Berufsgeheimnisse
eines professionellen
Medien-Manipulators
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
Trust me I’m lying: The tactics and confessions of a media manipulator
ISBN 978-1-59184-553-9
Copyright der Originalausgabe 2012:
© Ryan Holiday, 2012. All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with Portfolio, a member of Penguin Group (USA) Inc.
Copyright der deutschen Ausgabe 2013:
© Börsenmedien AG, Kulmbach
Übersetzung: Dr. Tilman Kleinau
Umschlaggestaltung: Johanna Wack
Gestaltung, Satz und Herstellung: Tanja Erhardt
Lektorat: Elke Blanek
Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm
ISBN 978-3-86470-124-5
eISBN 978-3-86470-146-7
Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.
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EINLEITUNG
ERSTES BUCH
DAS MONSTER FÜTTERN –
Wie Blogs funktionieren
KAPITEL 1
Blogs machen Nachrichten
KAPITEL 2
Wie man aus nichts etwas macht – in drei nur allzu leichten Schritten
KAPITEL 3
Der Schwindel mit den Blogs: Wie Verleger online Geld verdienen
KAPITEL 4
Taktik Nummer eins: Blogger sind arm – helfen Sie ihnen, ihre Rechnungen zu bezahlen
KAPITEL 5
Taktik Nummer zwei: Den Leuten sagen, was sie hören wollen
KAPITEL 6
Taktik Nummer drei: Schreiben, was weiterverbreitet wird, nicht was gut ist
KAPITEL 7
Taktik Nummer vier: Den Leuten dabei helfen, ihre Leser auszutricksen
KAPITEL 8
Taktik Nummer fünf: Den Leuten etwas verkaufen, was sie weiterverkaufen können (das Problem des Direktverkaufs ausnützen)
KAPITEL 9
Taktik Nummer sechs: Was man mit einer Überschrift alles machen kann
KAPITEL 10
Taktik Nummer sieben: Mit Pageviews ganz freundlich töten
KAPITEL 11
Taktik Nummer acht: Die Technik mit ihren eigenen Waffen schlagen
KAPITEL 12
Taktik Nummer neun: Einfach viel Wirbel machen (die anderen tun es ja auch)
ZWEITES BUCH
DAS MONSTER GREIFT AN –
Was Blogs bedeuten
KAPITEL 13
Irin Carmon, The Daily Show und ich: Der perfekte Sturm oder: So giftig kann Blogging sein
KAPITEL 14
Es gibt auch andere: Die Ruhmeshalle der Manipulierer
KAPITEL 15
Süß, aber gefährlich: Online-Unterhaltung, die Sie und mich süchtig macht
KAPITEL 16
Die Link-Wirtschaft: Die fremdfinanzierte Illusion der Mittelbeschaffung
KAPITEL 17
Erpressung via Internet: Die Online-Drohung
KAPITEL 18
Iterative Eile: Die Schwindel-Philosophie des Online-Journalismus
KAPITEL 19
Der Mythos der Korrekturen
KAPITEL 20
Wir klatschen zu unserer eigenen Verdummung Beifall
KAPITEL 21
Die dunkle Seite der Häme: Wenn Humor im Internet wehtut
KAPITEL 22
Der Pranger im 21. Jahrhundert: Blogs als Werkzeug von Hass und Bestrafung
KAPITEL 23
Willkommen in der Unwirklichkeit
KAPITEL 24
Wie man einen Blog liest: Ein Update wegen all der Lügen
ZUM SCHLUSS
Das war’s ... und was jetzt?
Danksagung
Anmerkungen
Zitierte Werke
Empfohlene Lektüre
Freundliche Zeitgenossen würden sagen, ich arbeite im Bereich Marketing und Public Relations oder Online-Strategie und Online-Werbung. Aber das ist nur eine höfliche Tarnung für die nackte Wahrheit. In Wirklichkeit bin ich ein Medien-Manipulator. Ich werde dafür bezahlt, andere zu betrügen. Mein Job ist es, die Medien zu belügen, damit diese wiederum Sie belügen können. Ich betrüge, besteche und belüge andere im Auftrag von Bestseller-Autoren und milliardenschweren Marken, und das unter Einsatz meiner Internetkenntnisse.
Ich habe mit meiner Werbung bestimmten Blogs Millionen zugeschoben. Anstelle von offiziellen Nachrichtendiensten wie Good Morning America habe ich morgens Blogs mit Nachrichten beliefert, und wenn das nicht funktionierte, habe ich Familienmitglieder der Blogger angeheuert. Ich habe Blogger kreuz und quer durch die USA geflogen, ihr Einkommen durch Online-Traffic vermehrt, ihre Geschichten für sie geschrieben, mir raffinierte Tricks ausgedacht, um ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen, und sie mit teuren Essen und Prämien umgarnt. Ich habe genügend Geschenkkarten und T-Shirts an Blogger aus der Modebranche verschickt, um ein kleines Land einzukleiden. Warum ich das alles getan habe? Weil es für mich die einzige Möglichkeit war, sie als Quellen zu gewinnen, die ich anzapfen und im Sinne meiner Kunden nutzen konnte. Ich habe die Blogs dazu missbraucht, die Nachrichten zu kontrollieren.
So kam es, dass ich eines Tages um zwei Uhr morgens ganz in Schwarz an einer verlassenen Kreuzung mitten in Los Angeles stand. In der Hand hatte ich Klebeband und ein paar obszöne Aufkleber, die ich am Nachmittag zuvor noch bei Kinko’s herstellen lassen hatte. Was das sollte? Ich stand hier, um Plakatwände zu beschmieren, besonders solche Plakatwände, die ich selbst geplant und bezahlt hatte. Es ist nicht so, dass ich damit gerechnet hätte, so etwas tun zu müssen, aber hier stand ich nun und tat es. Meine Freundin, die ich dazu überredet hatte, meine Komplizin zu sein, saß hinterm Lenkrad des Fluchtfahrzeugs.
Nachdem ich fertig war, fuhren wir um den Block und ich machte aus dem Beifahrerfenster Fotos von meiner Arbeit, als hätte ich die Plakatwände zufällig von der Straße aus gesehen. Jetzt hing quer über jedem Plakat ein 60 Zentimeter langer Auf kleber, der andeutete, dass der Urheber des Films – mein Freund Tucker Max – es verdient habe, dass man seinen Schwanz in eine Falle mit zwei spitzen Metallhaken daran setzt. Oder so ähnlich.
Zu Hause angekommen, setzte ich sofort zwei E-Mails an zwei große Blogs ab. Ich schrieb unter dem falschen Namen Evan Meyer: „Leute, die habe ich heute Nacht auf der Heimfahrt gesehen. Ich glaube, es war auf der 3. und Crescent Heights. Gut zu wissen, dass auch Los Angeles Tucker Max hasst.“ – Und ich hängte die Fotos an die Mail.
Ein Blogger schrieb zurück: „Du willst mir wohl Ärger machen?“
„Nein“, antwortete ich. „Glaub’ mir, ich lüge nicht.“
Die beschädigten Plakate und die Berichterstattung, die ich mit meinen Fotos auslöste, waren nur ein kleiner Teil der absichtlich provozierenden Werbekampagne, die ich für den Film I Hope They Serve Beer in Hell gemacht habe. Mein Freund Tucker hatte mich gebeten, eine Kontroverse um den Film herum anzuzetteln, der auf seinem Bestseller-Buch basierte, und das habe ich getan – und das, wie sich zeigte, ziemlich mühelos. Es war eine von vielen Kampagnen, die ich in meiner Lauf bahn gemacht habe, und sie war keineswegs ungewöhnlich. Aber sie zeigt einen Teil des Mediensystems, den normalerweise niemand sieht – nämlich, wie Nachrichten von Marketing-Leuten gezielt gemacht und gestreut werden und dass niemand etwas tut, um diese Leute aufzuhalten.
Binnen weniger als zwei Wochen und ohne Budget schafften wir es, dass Tausende amerikanischer College-Studenten landauf, landab auf ihrem Campus gegen den Film demonstrierten, dass verärgerte Bürger unsere Plakate in ihrer Gegend beschmierten, dass FoxNews.com auf der ersten Seite eine Titelstory über die Reaktionen auf den Film brachte, dass die New York Post das erste von vielen Malen Tucker auf Seite 6 erwähnte und dass die Verkehrsbetriebe von Chicago die Filmwerbung von ihren Bussen verbannten und abrissen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, brachten die Washington Post und die Chicago Tribune in der Woche der Filmveröffentlichung je ein Editorial voller Empörung gegen den Film. Die Entrüstung über Tucker war so groß, dass man noch Jahre danach in der beliebten Fernsehshow Portlandia auf dem Sender IFC auf sie anspielte.
Heute können wir ruhig zugeben, dass der ganze Feuersturm, den wir damals auslösten, im Wesentlichen frei erfunden war.
Ich selbst war es, der die Filmwerbung entwarf, die ich in ganz Amerika kaufte und platzierte; ich war es, der prompt anrief und anonyme Beschwerden über diese Werbung hinterließ (und Kopien meiner Beschwerden an Blogs zur Unterstützung sandte). Ich alarmierte die Schwulen-, Lesben- und Transengruppen und die Frauenrechtsgruppen der Colleges, sie sollten sich den Film vorab ansehen, und brachte sie dazu, in den Kinos zu protestieren, weil ich wusste, dass die Spätnachrichtensendungen diese Proteste bringen würden. Ich gründete eine Boykottgruppe gegen den Film auf Facebook. Ich schrieb gefälschte Tweets und gefälschte Kommentare zu Online-Artikeln. Ich gewann sogar einen Wettbewerb, weil ich der Erste war, der eine verunstaltete Filmwerbung in Chicago fotografierte und einschickte. (Danke für das T-Shirt, liebe Leute von Chicago RedEye. Übrigens – das Foto stammte aus New York.) Ich dachte mir verrückte Storys über Tuckers Verhalten beim Dreh und privat aus und erzählte sie brühwarm den Klatsch-Websites, die sie dankbar an ihr Publikum weitergaben. Ich bezahlte frauenfeindliche Werbung auf Feministinnen-Websites und blasphemische Äußerungen auf denen der Christen, denn ich wusste, sie würden todsicher darüber schreiben. Manchmal schickte ich mit Photoshop verfremdete Werbung an Websites und holte so Berichte über umstrittene Werbeanzeigen heraus, die es gar nicht gab. Die Krönung war, als ich zum ersten Mal in der Geschichte eine Pressemitteilung herausgab, um auf meine eigene Kritik zu reagieren. Die Überschrift lautete: „TUCKER MAX’ ANTWORT AUF DIE ENTSCHEIDUNG DER VERKEHRSBETRIEBE VON CHICAGO: ‚LECKT MICH …‘“
Und der Erfolg? Empörung der Presse auf der ganzen Linie, und wir waren mit Tuckers Buch auf der Bestsellerliste der New York Times…
Das Ganze habe ich ohne Kontakte, ohne Geld und ohne Vorbilder angezettelt. Aber da unsere Blogs nun mal so sind, wie sie sind – von der Bezahlung der Blogger pro Seitenklick bis hin zu der Art, wie Blog-Postings geschrieben werden, um den Leser auf sie aufmerksam zu machen –, hatte ich ein leichtes Spiel. Das System fraß mir das Material, das ich ihm lieferte, gierig aus der Hand. Und als die Presse den von mir initiierten Sturm aufnahm und vervielfachte, glaubten echte Menschen diese falschen Behauptungen bereitwillig – und das Ganze wurde tatsächlich wahr.
Mein eigentlicher Job, gelegentlich auch ein Fulltime-Job, ist es, Marketing-Direktor für American Apparel zu sein, eine Bekleidungsfirma, die für ihre provozierenden Bilder und ihre unkonventionellen Geschäftspraktiken bekannt ist. Und wenn ich nicht für sie tätig bin, orchestriere ich diese Trugbilder auch für andere prominente Kunden – für Autoren, die Millionen Bücher verkaufen, ebenso wie für Unternehmer, die Hunderte Millionen scheffeln. Ich erfinde und „frisiere“ die Nachrichten für sie.
Das geschieht für gewöhnlich ganz einfach. Jemand gibt mir Geld, ich bastle ihm eine Geschichte und wir jagen sie die Medienleiter hinauf – vom kleinen Blog im Gawker über die Website eines lokalen Nachrichtensenders und die Huffington Post und über die größeren Zeitungen bis hin zu den Fernsehnachrichten und wieder zurück, so lange, bis das Unwahre wahr wird. (Mit „wahr“ meine ich, dass die Leute es glauben und sich entsprechend verhalten. Ich will damit sagen, dass man die Infrastruktur des Internets gegen das Internet selbst verwenden kann, bis jeder Nonsens zur Empörung führt und in Handeln mündet. Das passiert Tag für Tag.)
Wie geht das? Manchmal fange ich an, indem ich eine Geschichte erfinde. Manchmal bringe ich eine Pressemitteilung heraus oder bitte einen Freund, die Story in seinem Blog zu starten. Manchmal lasse ich ein Dokument „durchsickern“. Manchmal erfinde ich das Dokument selbst und lasse es „durchsickern“. Es kann alles Mögliche sein, vom Verunstalten einer Wikipedia-Seite bis hin zu einem sehr teuren Viralclip. Aber wie auch immer das Spiel beginnt, das Ende ist immer dasselbe: Man nützt die medialen Rahmenbedingungen des Internets, um die öffentliche Wahrnehmung zu verändern – und ein Produkt zu verkaufen.
Ich war ganz bestimmt kein blauäugiges Kind mehr, als ich die Schule verließ, um diese Art PR von nun an tagtäglich zu machen. Ich hatte genug von den Bearbeitungskriegen bei Wikipedia und den Machtpolitik-Usern in den Sozialen Medien gesehen, um zu wissen, dass da hinter den Kulissen wohl so manches Fragwürdige passierte. Ein Teil von mir ahnte vieles, aber zum anderen Teil war ich auch immer noch gutgläubig. Ich hatte ein paar Projekte laufen und wollte nur das machen, woran ich auch wirklich glaubte (und ja, dazu gehörten auch American Apparel und Tucker Max). Aber dann zog mich die Medien-Unterwelt immer mehr in ihren Bann; ich sammelte Publicity-Hits für meine Kunden und musste dafür immer mehr Lügengeschichten verbreiten. Ich kämpfte, um diese beiden Teile in mir zu trennen, und verstand die Medienwelt, in deren Mitte ich tätig war, immer besser – auch, dass da einiges mehr als merkwürdig war.
Ich arbeitete so lange weiter, bis es für mich keinen Sinn mehr ergab. Ich wünschte, ich könnte Ihnen, liebe Leser, exakt den Moment aufzeigen, als alles für mich auseinanderbrach, als ich kapierte, dass das Ganze ein riesiges Lügenmärchen war, aber ich kann es nicht. Irgendwann jedoch war es so weit.
Ich nahm mein Handwerk ernst und studierte die Wirtschaftsfaktoren und die Ökologie der Online-Medien gründlich. Ich wollte nicht nur verstehen, wie, sondern auch warum es funktioniert – von der Technik bis hin zu den Menschen, die das Ganze betreiben. Als Insider sah ich Dinge, die normalerweise kein Akademiker und kein Guru zu sehen bekommt, selbst viele Blogger nicht. Die Verleger sprachen gern mit mir, denn ich hatte schließlich über millionenschwere Online-Werbeetats zu entscheiden, und sie waren nicht selten erschreckend ehrlich zu mir.
Allmählich sah ich die Verbindung zwischen den Mosaiksteinchen der Informationen, die ich mitbekam, und erkannte bestimmte Muster im Laufe der Geschichte. Schon in Büchern, die seit Jahrzehnten keine Neuauflage mehr erlebt haben, sah ich kritische Anmerkungen über Hintertürchen in den Medien, die sich heute wieder öffnen. Ich beobachtete Blogger, die gegen grundlegende psychologische Regeln verstoßen oder sie bewusst ignorieren, um ihre „Nachricht“ zu lancieren. Nachdem mir klar geworden war, wie viele der ganzen Online-Veröffentlichungen auf falschen Annahmen und sich selbst erfüllender Logik beruhten, wusste ich nun, ich kann das System überlisten. Dieses Wissen machte mir Angst, zugleich aber auch Mut. Ich gebe es zu: Ich ließ mich verführen und wendete mein Wissen nicht zum Wohle der Öffentlichkeit, sondern zu meinem eigenen Gewinn an.
Aber dann ließ mich eine kleine Sache, auf die ich im Laufe meiner Recherche stieß, plötzlich innehalten. Es war die Erwähnung einer Karikatur aus dem Jahr 1913 in einem Editorial des längst nicht mehr existierenden Leslie’s Illustrated Weekly Newspaper. Dieser Cartoon, so hieß es da, zeigt einen Geschäftsmann, der Münzen ins Maul eines riesigen, vielarmigen Monsters wirft, das ihn bedroht. Die einzelnen Tentakel des Monsters, die die Stadt um es herum zerstören, sind tätowiert mit Worten wie „Hass säen“, „Fakten verdrehen“ und „Kitsch auf bauschen“. Der Mann in der Karikatur ist ein Werbeprofi und der Mund gehört zu der bösartigen Yellow Press, die sein Geld braucht, um zu überleben. Unter allem steht die Zeile „Der Idiot, der das Monster füttert“.
Ich wusste, dass ich diese hundert Jahre alte Zeichnung finden musste, obwohl ich nicht genau wusste, warum. Als ich im Aufzug durch die gläserne Schlucht des Atriums und hinab in den Bauch der Staatlichen Bibliothek von Los Angeles fuhr, um nach dem Cartoon zu suchen, wurde mir klar, dass ich nicht nur nach einer alten Zeitung suchte. Den Narren, der dort abgebildet war und nach dem ich suchte, kannte ich nur zu gut – das war ich selbst.
Auch die Teilnehmer von Sucht-Selbsthilfegruppen verwenden das Bild des Monsters als Warnung. Man erzählt sich gern die Geschichte von dem Mann, der eines Tages vor seinem Haus ein Päckchen fand. In dem Päckchen war ein kleines Monster, ein niedliches Baby-Monster. Der Mann behielt das Tierchen und hegte und pflegte es. Je mehr er ihm zu essen gab, umso schneller wuchs es und verlangte nach noch mehr Nahrung. Der Mann unterdrückte seine Bedenken, das Monster wurde immer größer, immer fordernder und unberechenbarer, bis es ihn eines Tages, als er mal wieder mit dem Monster spielte, angriff und beinahe umbrachte. Die Erkenntnis, dass ihn die Situation überforderte, kam für den Mann zu spät – er hatte die Kontrolle verloren. Das Monster führte jetzt ein Eigenleben.
Meine eigene Geschichte ähnelt der von dem Monster. Allerdings geht es in meiner Geschichte nicht um Drogen oder um die Regenbogenpresse, sondern um ein weit größeres und moderneres Monster. Mein Monster ist die schöne neue Welt der Neuen Medien, die ich oft gefüttert habe und immer zu beherrschen glaubte. Ich lebte ganz gut in dieser Welt und glaubte an sie, bis es nicht mehr dieselbe Welt für mich war. Viele Dinge gingen vor die Hunde. Ich bin mir nicht sicher, wo meine Verantwortung dafür beginnt und wo sie endet, aber ich bin bereit, über das, was geschehen ist, zu sprechen.
Ich weckte mit meinen Blogs bewusst falsche Vorstellungen und die führten zu schlimmen Schlussfolgerungen und falschen Entscheidungen – zu echten Entscheidungen in unserer echten Welt mit tatsächlichen Folgen für echte Menschen. Aus um der Publicity willen spielerisch geweckten Gerüchten über ein angeblich schlechtes Benehmen oder schockierendes Verhalten wurden Phrasen wie „stadtbekannter Vergewaltiger“. Freunde gingen pleite und wurden ruiniert. Allmählich merkte ich, dass auch andere immer öfter so arbeiteten wie ich und dass niemand sich daran störte, einen zur Rechenschaft zog oder den Schaden wiedergutmachte. Da gab es Aktien, die millionenfach gekauft wurden und deren Kurs in die Höhe schnellte, nur aufgrund von irgendwelchen Meldungen aus denselben unseriösen Quellen, die ich selbst oft mit falschen Geschichten fütterte.
Im Jahr 2008 veröffentlichte ein Blogger im Gawker E-Mails, die jemand aus meinem Posteingangsfach gestohlen hatte, der versuchte, einen Kunden über die Medien einzuschüchtern. Es war schrecklich und erniedrigend für mich. Aber heute, aus einiger Distanz, verstehe ich, dass der Gawker keine große Wahl hatte, welche Rolle er in dem schmutzigen Spiel spielen sollte. Ich weiß, dass ich genau wie er ein Teil des Problems war.
Eines Abends erwähnte ich bei einem Abendessen einen Skandal, der höchstwahrscheinlich nur ein „Fake“, ein Betrug war. Ich tat es, weil das Gerücht zu interessant war, um es nicht weiterzugeben. Jetzt war ich in der gleichen Unwirklichkeit gefangen, die ich anderen aufgezwungen hatte. Auch ich wusste nicht mehr, was wahr und was falsch war, und es war mir auch nicht mal mehr wichtig. Um es einmal mit den Worten von Budd Schulberg zu sagen, der in seinem Roman Schmutziger Lorbeer einen Medien-Manipulator beschreibt: Ich war „in der Illusion gefangen, mit Dreck werfen zu können, ohne selbst Dreck zu werden“. Ich habe diese Illusion heute nicht mehr.
Winston Churchill schreibt über die kleinen Tröster seines Alters: „Jeder hofft, wenn er das Krokodil nur genug füttert, wird es ihn als Letzten fressen.“ Ich hatte noch mehr Illusionen als er. Ich dachte, das Krokodil würde mich niemals fressen. Ich dachte, ich hätte es fest im Griff, es würde mich nicht angreifen. Ich dachte, ich wäre der Experte, der alles in der Hand hat. Aber das war ein Trugschluss.
Neben meinem Schreibtisch steht eine große Kiste mit Hunderten von Blog-Artikeln aus den letzten Jahren. Diese Artikel zeigen die typischen Merkmale aller Schummeleien und Schurkereien, wie ich sie selbst angewandt habe, und doch handelt es sich bei den Artikeln um einige der wichtigsten Nachrichten und Klatschmeldungen des Jahrzehnts. Die Ränder sind voller handgeschriebener wütender Kommentare und Fragezeichen. Der Satiriker Juvenal schreibt, er habe „ganze Notizbücher voller Beschimpfungen“ gegen das reiche, korrupte Rom vollgekritzelt; meine Kiste und dieses Buch sind meine Notizbücher aus meinen eigenen Tagen in dieser Welt. Es waren nicht Einzelheiten, sondern das Ganze, das mir die Augen geöffnet hat. Ich hoffe, mein Buch wird Ihnen auch die Augen öffnen.
In letzter Zeit habe ich meinen eigenen Beitrag zu diesem Beweisberg verringert, nicht weil sich die Qualität des Internet-Journalismus verbessert hat, sondern weil es dumm wäre, auf eine Verbesserung zu hoffen. Ich bin nicht mehr so dumm, von Bloggern zu erwarten, dass sie wissen, worüber sie reden. Ich erwarte mir keine seriösen Informationen mehr – wo es Bloggern und Marketing-Leuten doch so leicht gemacht wird, im Internet mit Lügen Reibach zu machen. Ich werde den Verdacht nicht los, dass andere mich im Netz genauso ködern, austricksen oder betrügen, wie ich es früher mit ihnen gemacht habe. Es ist schwer, im Internet zu surfen, wenn man an die Worte von A. J. Daulerio, Herausgeber des beliebten Sport-Blogs Deadspin, denkt, der sagt: „Alles ist ein einziger Ringkampf.“1
Manche von Ihnen werden mich, wenn sie dieses Buch aus der Hand legen, wahrscheinlich dafür hassen, dass ich ihnen das Surfen im Internet ebenfalls kaputtgemacht habe. Oder Sie werden mich der Lüge bezichtigen. Oder Sie werden mir vorwerfen, ich habe völlig übertrieben. Sie werden es nicht mögen, dass ich die Leute hinter Ihren Lieblingswebsites als die Dummen, die Scharlatane und pompösen Betrüger hingestellt habe, die sie sind. Aber unsere Welt ist voller Gauner und Abzocker und Sie sind das Ziel. Die List besteht darin, auf dem Rücken anderer eine Marke aufzubauen. Das, was dabei gestohlen wird, sind Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Glaubwürdigkeit.
Dieses Buch ist nicht so aufgebaut wie typische Business-Ratgeber. Es enthält keine ausgedehnten Kapitel, sondern ist zweigeteilt; jeder der zwei Teile besteht aus kurzen, einander überlappenden und verstärkenden Skizzen oder Vignetten. Im ersten Teil erkläre ich Ihnen, warum Blogs wichtig sind, wie sie die Nachrichtenlage bestimmen und wie man sie manipulieren kann. Im zweiten Teil zeige ich Ihnen, was passiert, wenn man so etwas macht, wie es nach hinten losgeht und welche schädlichen Folgen unser derzeitiges System hat.
Anschließend erläutere ich Ihnen Methoden, mit denen man Blogger und Reporter auf höchstem Niveau manipulieren kann, das Ganze heruntergebrochen auf neun simple Taktiken.
Jede dieser neun Taktiken enthüllt, wie verletzlich unser Mediensystem ist. Ich zeige Ihnen, worin die Taktiken bestehen, was man damit bewirken kann und woran Sie merken, ob Sie ein Opfer von so einer Taktik geworden sind. Natürlich erkläre ich Ihnen auch, wie Sie daraus Nutzen ziehen können, vor allem aber beweise ich Ihnen, dass es diese Verwundbarkeit wirklich gibt. Diese Lücken unseres Mediensystems werden hier zum ersten Mal bloßgelegt, sie wurden weder von Medienkritikern noch von anderen gezeigt. Ich hoffe, dass sie, wenn man sie einmal offen dargestellt hat, in Zukunft nicht mehr so gut funktionieren. Selbstverständlich bin ich mir der Tatsache bewusst, dass meine Haltung hier in sich widersprüchlich ist, was sie auch schon seit Langem in mir selbst ist. Meine innere Zerrissenheit war nicht immer gesund für mich, aber sie erlaubt es mir, unsere Probleme aus einer einzigartigen Sicht zu erklären.
Dieses Buch enthält meine Erlebnisse hinter den Kulissen von Blogging, PR- und Online-Machenschaften – und das, was diese Erlebnisse über unser dominantes Kulturmedium aussagen. Ich spreche persönlich und ehrlich über das, was ich weiß, und ich kenne mich in diesem Bereich besser aus als so gut wie jeder andere.
Es war nicht meine Absicht, aber ich habe mit dazu beigetragen, ein Mediensystem zu perfektionieren, das auf Täuschen und Schmeicheln basiert und darauf, den Menschen ihre kostbarste Ressource zu stehlen, ihre Zeit. Jetzt zeige ich Ihnen jeden einzelnen Trick und was er bedeutet.
Was Sie mit diesen Kenntnissen anfangen, ist Ihre Sache.
„Wir brauchen bloß lange genug nach ihren Regeln zu spielen, und es wird unser Spiel.“
Orson Scott Card, Enders Spiel (Heyne Verlag, 2012)
ICH MÖCHTE SIE AUF EINEN ARTIKEL IN der New York Times hinweisen, der ganz zu Beginn des Wahlkampfes für die US-Präsidentschaft 2012 erschien, fast zwei Jahre vor den Wahlen.1
Der Artikel handelt von einem damals noch unbekannten Mann, Tim Pawlenty, dem Gouverneur des Staates Minnesota. Pawlenty war damals noch kein Kandidat für das Präsidentenamt. Er verfügte über keinen Kampagnen-Manager, keinen Bus und nur wenige Spender und war als Politiker noch wenig bekannt. Er hatte nicht einmal eine eigene Werbekampagne. Immerhin war es erst Januar 2011. Worüber er verfügte, war ein Reporter vom Internet-Blog Politico, der ihm von Stadt zu Stadt mit einer Kamera und einem Laptop hinterherreiste und laufend über seine Nicht-Kampagne berichtete.
Es ist schon seltsam, wenn man darüber nachdenkt. Selbst die New York Times, die Zeitung, die Jahr für Jahr Millionen für ihr Büro in Bagdad ausgibt und es sich leisten kann, investigative Reportagen über einen Zeitraum von fünf oder gar zehn Jahren zu finanzieren, hatte keinen Reporter für Pawlenty übrig. Aber Politico, ein Blog mit nur einem Bruchteil des Geldes einer großen Zeitung, bezahlte diese Reportage. Die Times berichtete nur darüber, dass Politico über einen unbekannten Kandidaten berichtete.
Es war ein bisschen wie ein Schneeballsystem und wie alle diese Systeme scheiterte es nach anfänglichem Erfolg kläglich. Pawlenty wurde Präsidentschaftskandidat, die Berichterstattung über ihn führte zu Millionen Online-Klicks, anschließend zu vielen Artikeln in Printmedien und Fernsehsendungen, bevor er wie ein Stern verglühte und sich schließlich aus dem Wettrennen zurückzog. Trotzdem war sein Einfluss auf die Wahl kein geringer; er war immerhin so groß, dass der nächste republikanische Spitzenkandidat um Pawlentys Unterstützung bat.
Es gibt eine berühmte politische Karikatur über die Nachrichtenagentur Associated Press, den seinerzeit wichtigsten Nachrichtenlieferanten der meisten amerikanischen Zeitungen. Die Karikatur zeigt einen AP-Agenten, der verschiedene Flaschen in das Trinkwasserreservoir einer Großstadt schüttet. Auf den Flaschen steht „Lügen“, „Vorurteil“, „Verleumdung“, „unterdrückte Fakten“ und „Hass“. Der Untertitel der Zeichnung lautet: „Die Nachrichten – schon an der Quelle vergiftet“.
Ich finde, Blogs sind die Nachrichtenagenturen von heute.
Mit „Blogs“ meine ich alle möglichen Arten von Online-Veröffentlichungen. Das Spektrum reicht von Twitter-Äußerungen über Websites der größeren Zeitungen und Web-Videos bis hin zu Gruppen-Blogs mit Hunderten von Autoren. Es ist mir egal, ob sich die Urheber selbst als Blogs betrachten oder nicht. Die Wahrheit ist, dass sie alle denselben Reizen unterliegen und dass sie mit ähnlichen Taktiken um Aufmerksamkeit buhlen. (Ich war nie ein Freund der Begriffe „Blogosphäre“ oder „Blogwelt“ und werde sie deshalb nur spärlich verwenden.)
Die meisten Leute verstehen nicht, wie unsere heutige Informationsvermittlung wirklich funktioniert. Viele haben keine Ahnung davon, in welchem Maße ihre Weltsicht schon heute von der Erzeugung von Nachrichten im Internet beeinflusst wird. Was online beginnt, endet offline.
Obwohl es Millionen von Blogs gibt, erwähne ich einige von ihnen in diesem Buch besonders häufig: Gawker, Business Insider, Politico, BuzzFeed, Huffington Post, Drudge Report und Ähnliche – nicht weil sie am häufigsten gelesen werden, sondern weil sie von der Medienelite am häufigsten gelesen werden. Ihre missionierfreudigen Besitzer Nick Denton, Henry Blodget, Jonah Peretti und Adriana Huffington haben einen immens großen Einfluss. Ein Blog ist nicht klein, wenn sich seine kümmerliche Leserschaft aus TV-Produzenten und Zeitungsautoren zusammensetzt, die in den gesamten USA publizieren.
Früher haben unsere Radiomoderatoren und Fernseh-Nachrichtensprecher ihre Sendungen aus den Schlagzeilen der großen Zeitungen gespeist; heute wiederholen sie das, was sie in Blogs gelesen haben, wobei sie bestimmte Blogs bevorzugen. Geschichten aus Blogs fließen auch in unsere Gespräche sowie Gerüchte ein, die durch Mundpropaganda von Mensch zu Mensch verbreitet werden. Kurz gesagt: Blogs sind die Vehikel, über die die Reporter der Massenmedien – und Ihre geschwätzigsten und „bestinformierten“ Freunde – Nachrichten zugetragen bekommen und sie weiterverbreiten. Dieser vielen verborgene Zyklus ist verantwortlich für unser kulturelles „Wissen“, für die angehenden Stars, die später unsere Prominenten werden, für die Denker, die später einmal unsere Gurus werden, und für die Meldungen, die unsere Nachrichten werden.
Als ich das zu Beginn meiner PR-Laufbahn „gecheckt“ hatte, dachte ich genau das, was wohl nur ein naiver und selbstzerstörerisch ehrgeiziger Twen denken kann, nämlich: Wenn ich weiß, nach welchen Regeln Blogs funktionieren, kann ich Herr über dieses Medium werden und alles in seiner Reichweite beeinflussen. Dann bin ich Herr über die wichtigsten kulturellen Informationen.
Eine gefährliche Idee, zugegeben, aber keine Übertreibung. Pawlenty hätte auf diese Weise Präsident der Vereinigten Staaten werden können. Ein Medienkritiker formulierte es so: Unser Land wird von der öffentlichen Meinung bestimmt und diese wiederum von der Presse. Ist es da nicht von Bedeutung, zu verstehen, wer über die Presse bestimmt? Sein Fazit: Wer die Kontrolle über die Medien hat, hat die Kontrolle über das ganze Land. In diesem Fall war es so: Wer über den Blog Politico bestimmte, bestimmte über nahezu jedermanns Meinung.
Erst wenn Sie verstehen, was Blogs zum Handeln bringt – in diesem Fall, warum Politico Pawlenty unbedingt begleiten wollte –, haben Sie den Schlüssel in der Hand und können die Medien dazu bringen, zu tun, was Sie wollen. Lernen Sie die Spielregeln kennen und ändern Sie sie. Das ist alles, was Sie brauchen, um die öffentliche Meinung zu Ihren Gunsten zu beeinflussen.
Auf den ersten Blick wirkt das Ganze ziemlich seltsam. Pawlentys Phantom-Bewerbung war keine besondere Nachricht, und wenn die New York Times es schon nicht für wert befand, einen Reporter zu bezahlen, um ihn zu beobachten, muss man sich doch wundern, warum Politico genau das getan hat.
Aber es war nicht so seltsam. Blogs brauchen Dinge, über die sie berichten können. Die Times muss ihr Blatt nur einmal täglich voll bekommen. Ein Kabelkanal muss an 365 Tagen im Jahr je 24 Stunden pro Tag Programm anbieten. Blogs jedoch müssen eine unendliche Menge an Nachrichten bringen. Die Seite, die am meisten Neues bringt, gewinnt das Rennen.
Politische Blogs wissen natürlich, dass ihr Traffic, ihre Besucherzahl, vor Wahlen stark zunimmt. Da sie ihren Werbekunden Traffic verkaufen, bedeuten Wahlzeiten für sie erhebliche Zusatzeinnahmen. Nun sind leider nicht dauernd Wahlen, sondern nur alle paar Jahre. Wenn die Wahlen beendet sind, sinken die Teilnehmerzahlen. Blogs haben dafür eine einfache Lösung parat: Sie verändern die Wirklichkeit durch ihre Berichterstattung.
Mit Pawlenty schuf man sich bei Politico nicht nur seinen eigenen Kandidaten, sondern gleich einen eigenen Teil des Wahlzyklus, von dem man profitieren konnte. Es war eine bewusste Entscheidung. In einer Story über die Entstehung seines Unternehmens erzählte der Politico-Chef Jim VandeHei mit einem Seitenhieb auf die New York Times: „2008 waren wir noch eine Garagencombo, machten alles spontan. Jetzt sind wir ein 200-Mann-Betrieb mit genauem Instinkt und planvollem Vorgehen. Wir versuchen, allen anderen immer ein Stück weit voraus zu sein.“
Als ein Blog wie Politico versuchte, den anderen ein Stück weit voraus zu sein, wurde aus dem Mann, den sie willkürlich zu begleiten beschlossen hatten, ein echter Kandidat. Die Kampagne beginnt allmählich, mit gelegentlichen Erwähnungen in Blogs, das Ganze schwenkt dann um in den Wortlaut „potenzieller Wettbewerber“, der Kandidat kommt für Debatten infrage und kommt schließlich in die Abstimmung. Die Plattform zieht im Laufe der Wochen immer mehr echte Befürworter an, die ihre echte Zeit und ihr Geld der Kampagne spenden. Die Kampagne wird von den Massenmedien aufgenommen, die über alles, worüber bisher nur online gesprochen wurde, berichten und es legitimieren.
Pawlentys Kampagne um das Präsidentenamt war letztlich kein Erfolg, aber für Blogs und andere Medien war es einer. Pawlenty sorgte für Millionen von Klicks auf Blogs, er war Thema von Dutzenden Geschichten in den Printmedien und online und hatte auch im Fernsehen ganz schön viel Sendezeit. Als die Jungs von Politico sich für Pawlenty entschieden, gingen sie eine Wette ein, deren Ergebnis sie mit ihrem Einfluss steuern konnten.
Falls es Ihnen noch nicht klar geworden ist, hier noch einmal der Kreislauf der Medienmacht:
• Politische Blogs brauchen laufend Dinge, über die sie berichten können; zu Wahlzeiten ist hier mehr Traffic.
• Die Realität (die Wahlen sind in weiter Ferne) passt sich dem nicht an.
• Politische Blogs schaffen sich früh ihre Kandidaten; der Wahlzyklus beginnt dadurch eher.
• Die Person, über die sie berichten, wird durch die Art und Weise der Berichterstattung zum aktuellen Kandidaten (oder Präsidenten).
• Die Blogs machen (buchstäblich) Gewinn, das Publikum verliert.
Sie werden im Laufe dieses Buches feststellen, dass sich dieser Zyklus immer wieder wiederholt. Das gilt für Klatsch und Tratsch über Stars, für die Politik, für Nachrichten aus der Wirtschaft und für jedes andere Thema, das die Blogs abdecken. Die inneren Zwänge des Bloggens führen zu künstlich erfundenen Inhalten, die als echt dargestellt werden und echte Ereignisse und deren Folgen beeinflussen.
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Internets führten zur Erfindung pervertierter Anreize; mehr Traffic wird wichtiger – und profitabler – als die Wahrheit. Seitdem sich die Massenmedien – und unsere Massenkultur – auf das Internet als Lieferanten des nächsten großen Hypes verlassen, haben diese Anreize verheerende Konsequenzen.
Blogs brauchen Publikum (Traffic), der Erste zu sein bringt Traffic, und so kommt es, dass ganze Storys aus dem Nichts entstehen, um das zu erreichen. Dies ist nur eine Facette der Ökonomie des Bloggens, aber eine sehr problematische. Wenn wir die Logik verstanden haben, die hinter diesen Entscheidungen steht, werden sie vorhersagbar. Und was vorhersagbar ist, kann man vorwegnehmen, neu inszenieren, beschleunigen oder unter seine Kontrolle bringen – wie auch immer Sie wollen.
Im Laufe des Wahlkampfs veränderte Politico seine Taktik wieder, um weiterhin die Nase vorn zu haben. Da Tempo nicht mehr so erfolgreich war, motzte der Blog das Ganze mit einem Skandal auf, um das Rennen umzudrehen. Erinnern Sie sich noch an Herman Cain, den lächerlichen, von den Medien fabrizierten Kandidaten, der nach Pawlenty kam? Nachdem er als führender Wettbewerber der Republikaner gehandelt worden und zum Thema einer gewaltigen Menge Blog-Postings geworden war, die allesamt Traffic anzogen, wurde Cains Kandidatur schließlich durch einen sensationellen und bis heute bestrittenen Skandal ausgebremst, erfunden von … Sie haben richtig geraten … Politico.
Ich bin mir sicher, es gab damals mächtige politische Interessen, die es nicht zulassen konnten, dass Cain mehr als ein Nebenkriegsschauplatz wurde. Also änderte man seine Legende, und manche nahmen an, dass jemand wie ich dahintersteckte, jemand, den ein anderer Kandidat für seinen eigenen Wahlkampf angeheuert hatte – und die Geschichte machte die Runde, ob sie nun stimmte oder nicht. Falls sie tatsächlich wahr ist, dann hat derjenige, der Cain den medialen Todesstoß gab, es genauso gemacht, wie ich selbst es gemacht hätte: schmerzhaft, nicht zurückzuverfolgen und so, dass Cain sich davon nicht mehr erholte.
So erfand man einen anderen Nicht-Kandidaten und ließ ihn real werden, um ihn anschließend erneut aus dem Rennen zu werfen. Ein anderer musste ins Gras beißen, damit die Blogs ihren Zyklus vollenden konnten.
„Einige Leute von der Presse, finde ich, sind einfach nur furchtbar faul. Es gibt Zeiten, da denke ich mir eine Story aus, und sie geben sie einfach wortwörtlich wieder. Das ist nur noch peinlich. Sie passen sich einer Zeit an, in der weniger Qualität und mehr Quantität gefragt ist. Meist ist es zu meinem Vorteil, denn ich glaube, die meisten Reporter mögen es, wenn ich Inhalte schön für sie verpacke. Die meisten sind für den bequemeren Weg, um möglichst schnell weitermachen zu können. Reporter werden daran gemessen, wie oft ihr Material auf die Website Drudge kommt. Das ist nicht gut, aber es ist die Wahrheit.“
Kurt Badella, ehemaliger PR-Sekretär des republikanischen Kongressabgeordneten Darrell Issa
IN DER EINLEITUNG HABE ICH IHNEN EINE Betrugsmasche erklärt, die ich „etwas die Kette hinaufziehen“ oder „etwas durch alle Ebenen ziehen“ nenne. Es ist eine Strategie, die ich entwickelt habe und die die Medien durch Rekursion manipuliert. Ich kann aus dem Nichts etwas machen, indem ich eine Story in einem kleinen Blog bringe, der sehr niedrige Anforderungen stellt, sodass diese Story dann zur Quelle für die Story eines größeren Blogs wird, die schließlich von den größeren, einflussreichen Medien aufgegriffen wird. So erzeuge ich, mit den Worten eines Medienforschers, eine „sich selbst verstärkende Nachrichtenwelle“. Leute wie ich tun so etwas jeden Tag.
Die Arbeit, die ich mache, ist nicht gerade Respekt einflößend. Aber ich möchte erklären, wie sie funktioniert, ohne dass Sie sie sofort negativ mit einigen meiner eher berühmt-berüchtigten Kunden assoziieren. Daher zeige ich Ihnen mal, wie ich die Medien für eine gute Sache mobilisiere.
Vor Kurzem hat mich einer meiner Freunde um Rat gefragt, wie man für sein Charity-Projekt die Medienkette nutzen könnte. Er wollte Gelder für ein Kunstprojekt seiner Gemeinde einwerben, und zwar über Kickstarter, einer Fundraising-Plattform für privat finanzierte Projekte. Innerhalb von ein paar Tagen machte er aus einer völlig unbekannten Sache ein beliebtes Internetprojekt und bekam knapp 10.000 Dollar für die internationale Weiterentwicklung seines Projekts zusammen.
Wie er das anstellte? Er folgte meinen Anweisungen und stellte seine Arbeit den Kickstarter-Usern als YouTube-Video vor. Das Video zeigte nicht die beste Arbeit des karitativen Projekts, auch nicht die bedeutendste Arbeit, sondern eine Arbeit, die bestimmte Elemente betonte, die für die Verbreitung des Videos besonders günstig waren. (In diesem Fall waren es zwei oder drei Beispiele an exotischen Orten, die der Gemeinde eher wenig nutzten.) Als Nächstes schrieb er einen kurzen Artikel für einen kleinen Blog in Brooklyn und brachte das Video mit ein. Diese Seite wurde ausgewählt, weil die darauf befindlichen Geschichten oft von der New Yorker Sektion der Huffington Post genutzt oder aufgegriffen wurden. Wie erwartet biss die Huffington Post an und brachte die Story unter „Lokales“ in New York City und Los Angeles. Mein Freund folgte meinem Rat und schickte unter einer falschen Adresse eine E-Mail mit diesen Links an einen CBS-Reporter in Los Angeles, der darüber einen Fernsehbeitrag bastelte – wobei er hauptsächlich Clips aus dem inzwischen ziemlich verfremdeten Video meines Freundes verwendete.
In weiser Voraussicht war mein Freund inzwischen auf der Nachrichtenseite Reddit aktiv geworden (auf der User Geschichten und Themen, die ihnen gefallen, bewerten dürfen), um dort Wochen vor dem eigentlichen Start seiner Kampagne schon einmal ein paar Beziehungen zu knüpfen. Als der CBS-News-Sendebeitrag mit dem Video herauskam und auch recht beliebt war, postete er das alles auf Reddit. Er kam fast sofort damit auf die Reddit-Titelseite. Die hohe Reddit-Bewertung (die mittlerweile durch andere Presseartikel unterfüttert wurde) brachte die Story auf den Radarschirm der von mir so genannten „Cool stuff“-Blogs – ich meine damit Seiten wie Boing-Boing, Laughing Squid, FFFFOUND! und Ähnliche –, die Ideen für ihre Postings von Reddit beziehen. Nach dieser finalen Welle der Berichterstattung strömten Spenden und freiwillige Ehrenamtliche, Anerkennung und neue Ideen nur so herein.
Das kleine Video brachte es ohne Werbeetat, ohne PR-Manager und ohne jede Erfahrung meines Freundes auf nahezu eine halbe Million Zuschauer, und die Spenden sicherten die Fortdauer des Projekts für die nächsten zwei Jahre. Aus nichts wurde „etwas“ – und nicht wenig.
Zwar geschah dies alles für eine gute Sache, aber trotzdem stellt sich die kritische Frage: Was genau war da passiert? Wie konnte er die Medien so leicht an der Nase herumführen und sei es auch für eine gute Sache? Er verwandelte ein übertriebenes Amateurvideo in eine Nachrichten-Story, über die unabhängig voneinander in Dutzenden von Outlets in Dutzenden von Märkten berichtet und die millionenfach gelesen wurde. Sie gelangte sogar auf die nationale Ebene. Diese Aufmerksamkeit hatte ganz allein er erzeugt und gesteuert.
Bevor Sie sich jetzt über uns aufregen, bedenken Sie bitte: Wir tun nichts anderes als das, was Lindsay Robertson, eine Bloggerin aus Videogum, Jezebel und dem Vulture-Blog des New York Magazine, vorgemacht hat. In einem Posting, in dem sie PR-Leuten erklärte, wie diese Blogger wie sie selbst besser abzocken könnten, riet Lindsay: „Konzentriert euch auf einen niedrigeren Traffic und auf das (korrekte) Wissen, dass Content heutzutage genauso nach oben wie nach unten gespült werden kann und die kleineren Websites mit ihrer Fähigkeit, sich tiefer ins Internet einzugraben und beweglicher zu sein, den größeren als Wegbereiter dienen.“1 (Wie zum Beweis, dass diese Theorie stimmt, nahm Newsweek Lindsays Ratschlag aus ihrem kleinen persönlichen Blog auf und übernahm ihn auf dem offiziellen Newsweek Tumblr.)
Blogs haben einen enormen Einfluss auf andere Blogs. Sie machen es möglich, ein Posting auf einer Seite mit wenig Traffic in Postings auf viel größeren Seiten zu verwandeln; die größeren Blogs übernehmen Inhalte der kleineren. Blogs wetteifern miteinander darum, wer die Neuigkeit zuerst bekommt, Zeitungen versuchen, sie als Erste zu „bestätigen“, und dann wetteifern irgendwelche selbst ernannten Experten um die Sendezeit, sie kommentieren zu dürfen. Die kleineren Seiten legitimieren den Nachrichtenwert der Geschichte für die Seiten, die ein größeres Publikum haben. Daraus folgt natürlich, dass alles, worüber berichtet wird, verdreht und übertrieben dargestellt wird.
Und so funktioniert es: Es gibt Tausende Blogger, die das Netz durchstreifen und nach Themen suchen, über die sie schreiben können. Sie müssen mehrere Male am Tag schreiben. Deshalb durchkämmen sie Twitter, Facebook, Kommentare, Pressemitteilungen, rivalisierende Blogs und andere Quellen, um ihr Material auszuarbeiten.
Über ihnen befinden sich Hunderte Online- und Offline-Journalisten mittleren Niveaus, die für Websites, Blogs, Magazine und Zeitungen arbeiten und die Blogger eine Ebene tiefer als Quellen und Filter nutzen. Auch diese Journalisten müssen die ganze Zeit schreiben und sich an der gleichen Suche nach etwas Spektakulärem beteiligen, nur etwas professioneller.
Über ihnen befinden sich die großen nationalen Websites, Veröffentlichungsorgane und Fernsehsender. Sie durchkämmen wiederum die „Topfkratzer“ eine Ebene tiefer nach verwendbarem Material, nehmen deren Aufmacher und machen daraus echte nationale Debatten. Sie sind die Einflussreichsten im amerikanischen Nachrichtengeschäft – Größen wie die New York Times, die Today Show und CNN – und erreichen die Massen, ob ihre Einnahmen nun sinken oder nicht.
Zwischen, über und mitten unter diesen konzentrischen Kreisen ist die zahlenmäßig größte Gruppe, nämlich wir, das Publikum. Wir durchforsten das Internet nach Material, das wir anschauen, kommentieren oder unseren Freunden und Followers mitteilen können.
Das heißt: Blogger informieren Blogger, die wiederum andere Blogger und so weiter. Das ist kein Märchen, sondern eine Tatsache. Eine Medienbefragung von Cision und der George Washington University hat ergeben, dass 89 Prozent aller Journalisten bei der Recherche ihrer Storys Blogs als Quelle verwenden. Ungefähr die Hälfte der Befragten gab an, sie verwendeten Twitter, um Storys zu finden und zu recherchieren, und mehr als zwei Drittel sagten, sie griffen auf Facebook oder LinkedIn zurück.2Je direkter das Medium der Veröffentlichung ist (Blogs, gefolgt von Zeitungen und Zeitschriften), umso abhängiger ist ein Journalist bei seiner Recherche von skizzenhaften Online-Quellen wie den Sozialen Medien.
Rücksichtslosigkeit oder Faulheit oder wie Sie es nennen wollen – diese Einstellung zur journalistischen Arbeit wird offen toleriert und allgemein anerkannt. Die Mehrheit der befragten Journalisten gab zu, dass ihre Online-Quellen weniger zuverlässig sind als die traditionellen Quellen. Nicht ein einziger Journalist behauptete, er glaube, dass die in den Sozialen Medien zu findenden Informationen „viel zuverlässiger“ seien als die traditionellen Quellen! Warum ist das so? Weil es diesen Informationen an „journalistischen Standards der Überprüfung von Fakten, der Verifikation und der Berichterstattung fehlt“.3
Zerlegen wir der Einfachheit halber die Kette der Nachrichtengewinnung in drei Ebenen. Ich persönlich kenne alle drei Ebenen nur als Stadien des Erfindens von Nachrichten. Ich glaube, jemand, der sich ein System ausdenken wollte, das extrem leicht zu manipulieren ist, hätte es nicht besser machen können.
Auf der ersten Ebene befinden sich kleine Blogs und lokale Web-sites aus Ihrer Nachbarschaft oder einer bestimmten Szene. Sie haben am meisten Bodenhaftung. Da sie in der Regel über ortsnahe, persönliche Themen schreiben, und das für eine begrenzte Leserschaft, ist Vertrauen bei ihnen sehr hoch angesiedelt. Allerdings sind sie auch vom Geld abhängig und hungrig nach Traffic; sie halten stets Ausschau nach einer großen Story, die ihnen einen großen Zulauf neuer Leser bescheren könnte. Die Website muss aber nicht lokal begrenzt sein; sie kann auch von einem bekannten Thema handeln oder die Website eines Freundes sein. Wichtig ist, dass die Seite klein und personell unterbesetzt ist. Das ermöglicht es uns, ihr eine Story anzudrehen, die mit ihrer Kernbotschaft nur wenig zu tun hat, es aber auf die nächsthöhere Ebene schaffen kann.
Hier sehen wir immer mehr eine Mischung aus Online- und Offline-Quellen. Die Blogs der Zeitungen und der lokalen TV-Stationen zählen zu unseren besten Zielen. Zum einen haben sie oft dieselbe URL und sind oft auf Google News versammelt. Unternehmen wie das Wall Street Journal, NewsweekSmartMoney.comMainstreet.comBNet.com