Geschichten aus 1001 Nacht
Ali Baba und die vierzig Räuber
The Story of Ali Baba and the Forty Thieves
Den Ursprung der „Märchen aus 1001 Nacht“ vermuten heute viele Menschen in Arabien, und tatsächlich waren die Erzählungen im 8. Jahrhundert in dieser Region sehr verbreitet. Allerdings existiert bereits eine ältere Niederschrift aus dem persischen Raum, die um das Jahr 500 entstand. Einige Merkmale der Geschichten weisen indes recht deutlich auf noch ältere Quellen und eine wiederum andere kulturelle Ursprungsregion hin. Tatsächlich geht die Forschung heute davon aus, dass die Erzählungen ursprünglich aus Indien stammen, vermutlich aus der Zeit um das Jahr 250 nach Christi Geburt.
Ähnlich wie bei den Märchen, die die Brüder Grimm im europäischen Raum zusammengetragen haben, geschah die Weitergabe der Geschichten lange Zeit ausschließlich mündlich. Eine schriftliche Urfassung der Sammlung existiert nicht und ließe sich auch kaum noch rekonstruieren. Sicher ist, dass einige Geschichten erst im Laufe der Jahrhunderte und diverser Niederschriften hinzukamen, so dass sich die heute bekannten 1001-Nacht-Versionen von älteren Aufzeichnungen deutlich unterscheiden.
Hinzu kommt, dass jede Übersetzung ihre eigene Handschrift trägt. Die erste Übertragung in eine europäische Sprache nahm der französische Orientalist Antoine Galland (1646 - 1715) vor. Religiöse und erotischen Inhalte entschärfte er gegenüber dem ihm vorliegenden Original, ähnlich übrigens, wie es auch die Brüder Grimm bei den von ihnen aufgezeichneten Volksmärchen taten. Der Beliebtheit und dem Lesevergnügen, das die Geschichten heute noch auslösen, tat dies freilich keinen Abbruch.
Galland fügte seiner Geschichtensammlung außerdem einige Erzählungen hinzu. Dazu gehören mit „Sindbad der Seefahrer“, „Aladin und die Wunderlampe“ sowie „Ali Baba und die 40 Räuber“ interessanterweise genau die Geschichten aus 1001 Nacht, die sich im europäischen Kulturraum noch heute größter Beliebtheit erfreuen.
„Wo seid Ihr, meine tapferen Kameraden!“, rief er, „Ihr Gefährten meiner Nachtwachen, meiner Überfälle, all meiner Anstrengungen, wo seid Ihr? Was kann ich ohne Euch tun? Habe ich Euch nur zusammengebracht, um Euch so unwürdig Eurer Tapferkeit umkommen zu sehen?“
"Where are you, my brave lads," cried he, "old companions of my watchings, inroads, and labour? What can I do without you? Did I collect you only to lose you by so base a fate, and so unworthy of your courage!"
Die Geschichte „Ali Baba und die vierzig Räuber“ war in arabischen Fassungen von 1001 Nacht noch nicht enthalten. Die Forschung vermutet heute, dass sie der Übersetzer und Orientalist Antoine Galland selbst verfasst hat. Er gab freilich an, das Märchen sei ihm im Jahr 1709 in Paris von einem aus Syrien stammenden Mann zugetragen worden.
Interessant ist, dass in dem Märchen, obwohl es den Namen Ali Babas im Titel trägt, eigentlich eine Frau die heimliche Hauptrolle spielt, nämlich die kluge und mutige Sklavin Morgiane, die übrigens in anderen Übersetzungen auch unter dem Namen Mardschana auftaucht. Ihr geht es, anders als den männlichen Protagonisten, nicht darum, sich – auf mehr oder weniger clevere Art und Weise – Reichtümer anzueignen beziehungsweise Rachegelüste auszuleben, sondern einzig darum, das Leben der anderen zu beschützen – eine ganz typische Rollenverteilung, die ja auch in wesentlich jüngeren Geschichten, Romanen und Erzählungen immer wieder auftaucht.
Wie sehr die Geschichte von Ali Baba und seiner treuen Sklavin sich auf die europäische Kultur ausgewirkt hat, zeigt sich darin, dass das Motiv im Laufe der Geschichte unzählige Male aufgegriffen wurde, unter anderem vom Komponisten Johann Strauss (1825 - 1899) in der Operette „Indigo“. Aus dem Jahr 1916 stammt das Musical Chu-Chin-Chow, das auch immer wieder für Film und Fernsehen aufbereitet wurde. In neuerer Zeit entstand dann eine Reihe von Verfilmungen, die sich mehr oder weniger stark ans literarische Original anlehnen. Noch 2007 diente die Geschichte in Frankreich erneut als Vorlage für eine Fernsehproduktion.
Hier gibt es das Märchen von Ali Baba und den 40 Räubern in einer moderat der modernen Ausdrucks- und Schreibweise angepassten deutschen Version sowie in englischer Übersetzung – ein ideales Angebot auch für Vorleser, die Kindern die englischen Sprache unterhaltsam näherbringen möchten.
In einer Stadt in Persien lebten einst zwei Brüder, von denen der eine Casim, der andere Ali Baba hieß. Ihr Vater hatte ihnen nur wenig Vermögen hinterlassen, das sie zu gleichen Teilen unter sich aufgeteilt hatten. Man hätte also eigentlich annehmen können, dass ihre Lebenssituation ziemlich ähnlich gewesen wäre. Es hatte sich aber anders ergeben.
Casim heiratete eine Frau, die bald nach ihrer Hochzeit eine große Summe und ein reich angefülltes Warenlager erbte, so dass er plötzlich ein wohlhabender Mann und einer der reichsten Leute der Stadt wurde.
Ali Baba hingegen heiratete eine Frau, die ebenso wenig besaß, wie er selbst. Er wohnte ärmlich und konnte die Seinigen nur ernähren, indem er in einem nahen Walde Holz fällte, das er dann mit drei Eseln, seinem einzigen Besitztum, in die Stadt brachte und verkaufte.
Eines Tages, als Ali Baba wieder im Wald war und genug Holz gefällt hatte, um seine Esel zu beladen, sah er auf einmal in der Ferne eine gewaltige Staubwolke aufsteigen, die sich ihm näherte. Er beobachtete das Geschehen aufmerksam und sah bald, dass es eine Reiterschar war, die sich rasch näherte.
Obwohl man sich in der Gegend keine Geschichten von Räuber erzählte, kam Ali Baba doch der Gedanke, es könne sich um solche handeln. Ohne darüber nachzudenken, was aus seinen Eseln würde, beschloss er, sich in Sicherheit zu bringen und stieg auf einen Baum, dessen Äste zwar nicht sehr hoch waren, aber außerordentlich dicht standen und verbarg sich ganz in der Mitte. Von hier aus konnte er alles sehen, was unten vorging, ohne selbst entdeckt zu werden. Der Baum stand am Fuße eines einsamen Felsens, so steil, dass niemand hätte hinaufsteigen können.
Der mit Waffen und Pferden sehr gut ausgestattete Trupp machte an diesem Felsen Halt und stieg ab. Ali Baba zählte vierzig Mann und war sich aufgrund ihrer Erscheinung und Auftretens bald sicher, dass es Räuber seien. Er täuschte sich nicht: Es waren tatsächlich Banditen, sie trieben ihr Unwesen aber nicht in der näheren Umgebung, sondern in weiter Ferne und hatten hier lediglich ihren Treffpunkt.
Ein jeder der Reitern zäumte sein Pferd ab, band es an einem Busch fest, warf ihm einen Sack voll Gerste, den er mit sich getragen hatte, über den Kopf. Dann luden sie ihre Satteltaschen ab, die Ali Baba so schwer schienen, als ob sie voller Gold und Silber seien.
Der stattlichste der Reiter, den Ali Baba für den Hauptmann hielt, näherte sich mit seiner Tasche auf der Schulter dem Felsen, in deren Nähe sich Ali Baba auf den Baum geflüchtet hatte. Er bahnte sich seinen Weg durch einige Sträucher und sagte für Ali Baba deutlich vernehmbar: „Sesam, öffne Dich!“ Kaum waren diese Worte ausgesprochen, öffnete sich eine Tür im Felsen. Nachdem er alle seine Leute hatte eintreten lassen, folgte der Räuberhauptmann nach und das Tor schloss sich wieder.
Die Räuber blieben lange in der Höhle. Da Ali Baba fürchtete, sie könnten gerade dann herauskommen, wenn er seinen Posten verlassen und fliehen wollte, blieb er geduldig im Baum sitzen und wartete. Gleichwohl geriet er in Versuchung, herabzusteigen, sich zweier Pferde zu bemächtigen, das eine zu besteigen, das andere am Zügel neben sich zu führen, und so, seine drei Esel vor sich hertreibend, in die Stadt zu gelangen, doch er entschied sich, kein Risiko einzugehen.
Schließlich öffnete sich das Tor wieder, und die vierzig Räuber kamen heraus. Der Hauptmann, der als Letzter hineingegangen war, kam nun als Erster heraus und blieb stehen, um die anderen an sich vorbeigehen zu sehen. Ali Baba sah, dass sich auf seine Worte: „Sesam, schließe Dich!“ das Tor wieder schloss. Ein jeder kehrte zu seinem Pferd zurück, zäumte es, warf seine Tasche über den Sattel und stieg auf. Als der Hauptmann sah, dass alle zum Abritt bereit waren, begab er sich an die Spitze der Truppe und sie ritten auf demselben Weg fort, auf dem sie gekommen waren.
Ali Baba kletterte nicht sofort vom Baum herab. Er befürchtete, die Räuber könnten vielleicht etwas vergessen haben, umkehren und ihn ertappen. Er blickte ihnen hinterher, bis sie nicht mehr zu sehen waren und warte zunächst noch eine Weile, ehe er den Baum herabkletterte. An die Worte, die der Räuberhauptmann zum Öffnen und Schließen der Tür verwendet hatte, konnte er sich gut erinnern, und er war neugierig, ob sie dieselbe Wirkung ausüben würden, wenn er sie ausspräche. So zwängte er sich durch das Gebüsch, stellte sich vor den dahinter verborgenen Eingang und sprach: „Sesam, öffne Dich!“. Augenblicklich gab das Tor den Eingang frei.
Ali Baba hatte erwartet, eine dunkle, finstere Höhle zu betreten. Sein Erstaunen war groß, als er das Innere des Felsens erleuchtet und geräumig vorfand. Vor ihm tat sich ein hohes Gewölbe auf, in das von oben durch eine Öffnung Licht eindrang. Er sah Vorräte aller Art, große Ballen Seide und Brokat, wertvolle Teppiche, die zu großen Haufen aufgetürmt waren, Barren von Gold und Silber, in Haufen aufgeschüttet, sowie Beutel mit Geld. Ihm schwante, diese Höhle müsse bereits seit langer Zeit als Räuberlager dienen.
Ali Baba überlegte nicht lange, was zu tun sei. Er trat in die Höhle, und sofort schloss sich das Tor hinter ihm. Dies beunruhigte ihn nicht, denn er wusste ja, wie es zu öffnen sei. Mit dem Silber gab er sich nicht lange ab. Er schaffte nur so viel von den Goldmünzen aus der Höhle, wie er seinen drei Eseln aufladen konnte. Dann trieb die Tiere an dem Felsen zusammen, bepackte sie mit den Säcken und legte Holz darüber, so dass nichts Verdächtiges zu sehen war. Als er fertig war, stellte er sich vor das Tor und kaum waren Worte „Sesam, schließe Dich!“ ausgesprochen, schloss es sich. Zuvor war die Tür jedes Mal, wenn er hineingegangen war, von selbst zugegangen und jedes Mal, wenn er herauskam, blieb sie offen stehen.
Zuhause angekommen trieb Ali Baba seine Esel in seinen Hof und schloss die Tür hinter sich. Nun lud er das wenige Holz ab, das die Beutel bedeckte, trug diese in sein Haus und legte sie vor seiner Frau, die auf dem Sofa saß, auf den Tisch.
Seine Frau nahm die Säcke, und als sie merkte, dass sie voller Gold waren, dachte sie, ihr Mann habe es gestohlen. „Ali Baba“, sagte sie zu ihm, „solltest Du so gottverlassen sein, dass Du ... “ Ali Baba aber unterbrach sie: „Ruhig, liebes Weib. Mach Dir deswegen keine Sorgen. Ich bin kein Dieb, denn ich habe dies alles nur Dieben genommen. Du wirst Deine schlechte Meinung von mir ändern, wenn ich Dir von meinem Glück erzählt habe.“ Er schüttete den Inhalt der Säcke auf einen Haufen, so dass seine Frau vom Glanz der Münzen ganz geblendet war. Daraufhin erzählte er ihr die ganze Geschichte und riet ihr, die Sache für sich zu behalten.
Als die Frau sich von ihrem Schrecken erholt hatte, freute sie sich mit ihrem Mann über das Glück, das ihnen widerfahren war, und wollte die Goldstücke zählen. „Liebe Frau“, sagte Ali Baba zu ihr, „Du bist nicht gescheit. Du würdest mit dem Zählen gar nicht fertig werden. Ich will das Gold vergraben. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
„Du hast recht“, antwortete die Frau, „aber es wäre doch gut, wenigstens ungefähr zu wissen, wie viel es ist. Ich will in der Nachbarschaft ein Messbecher borgen und es damit messen, während Du die Grube gräbst.“
„Liebe Frau“, antwortete Ali Baba, „das würde uns nichts nützen und ich rate Dir, es sein zu lassen. Du kannst natürlich tun, was Du willst, aber vergiss nicht, Verschwiegenheit über die Sache zu bewahren.“
Ali Babas Frau ging nun zu ihrem Schwager Casim, der nicht weit entfernt wohnte, aber er war nicht daheim. So bat sie seine Frau, ihr doch kurz ein Maß auszuleihen. Die Schwägerin fragte, ob sei ein großes oder ein kleines wolle, und Ali Babas Frau bat sich ein kleines aus, das ihr die Schwägerin auch gerne gab. Da sie aber von Ali Babas Armut wusste, war sie neugierig, welche Art von Getreide seine Frau damit messen wollte. So kam sie auf die Idee, unten in das Gefäß etwas Teig zu kleben. Das so präparierte Maß überreichte sie Ali Babas Frau und entschuldigte sich, dass sie es zunächst habe suchen müssen.
Als Ali Babas Frau nach Hause zurückkam, stellte sie das Maß auf den Goldhaufen, füllte es und lehrte es auf dem Sofa aus. Als sie nun alles gemessen hatte und mit dem Ergebnis zufrieden war, teilte sie ihrem Manne, der soeben die Grube vollendet hatte, die ermittelte Menge mit.
Während Ali Baba das Geld vergrub, brachte seine Frau, um ihrer Schwägerin ihre Pünktlichkeit und Ordnungsliebe zu zeigen, das Maß schnell zurück. Dass unten ein Goldstück kleben geblieben war, bemerkte sie nicht. „Liebe Schwägerin“, sagte sie zu ihr, als sie es zurückgab, „Du siehst, dass ich Dein Maß nicht zu lange behalten habe. Ich bin Dir sehr dankbar, hier hast Du es zurück.“
Kaum war ihre Schwägerin gegangen, nahm Casims Frau das Maß in Augenschein und staunte nicht schlecht, als sie das am Boden klebende Goldstück entdeckte. Neid regte sich in ihrer Brust. „Hat etwa“, so sagte sie bei sich, „Ali Baba so viel Gold, dass er es messen muss? Wie kommt dieser arme Geselle an derartige Reichtümer?“ Casim, ihr Mann, war nicht daheim und würde erst am Abend zurückkommen. Die Zeit bis dahin kam ihr ewig lang vor, denn sie brannte darauf, ihm die Neuigkeiten mitzuteilen.