"Ich heiße Christine und komme aus..."
Mit so einem in ihrer Kindheit weit verbreiteten Schild vor der knapp neunjährigen Brust startete Christine Werner in ihr erstes Reiseabenteuer. Eine Großmutter setzte sie in der amerikanischen Besatzungszone allein in den Zug und mit Unterstützung der Schaffner ging es für die Zeit der großen Ferien zur anderen in der sowjetischen. Viele solcher Reisen weckten ihre Leidenschaft fürs Unterwegssein und die Begeisterung für Zugfahrten - je länger, desto besser.
Schon fast vierzig Jahre war sie trotzdem alt, als sie endlich auch die Grenzen Europas überschreiten konnte! Von München über Wien, Budapest, Kiew, Moskau, Ulan Bataar mit der Eisenbahn nach Beijing. Im Sommer 1986 eine durch viele Vorschriften und entsprechende Schlupflöcher geprägte höchst abenteuerliche Unternehmung. Die Volksrepublik China erlaubte endlich auch Individualreisen. So waren danach noch sechs traumhafte Wochen mit Bahn, Schiff, Flugzeug, Bus, Lkw, Taxi und Fahrrad möglich.
Selbst Großmutter, lässt sie sich nun in keinen Zug mehr setzen. Überwiegend allein bereiste sie bisher fast 50 Länder der Erde. Die Welt als Fast Food ist ihre Art des Reisens immer noch nicht. Tief in fremde Kulturen eintauchen, Kontakte mit Menschen knüpfen und nebenbei die eine oder andere Sehenswürdigkeit anschauen – so ist sie am Liebsten unterwegs und so ist sie auch um die ganze Welt gereist.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2015 Christine Werner
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7392-6487-5
meine Mutter,
von der ich das Reisen lernte
meine Kinder,
die mich in meinen Reisephantasien
stets unterstützen
meine vier Enkeltöchter,
denen ich das ‚Reise-Gen’ einpflanzen möchte
Verwandte und liebe Freunde,
die meine merkwürdigen Reiseträume oft nicht verstehen
und trotzdem gut finden
Ein ganz besonderes Dankeschön
gilt den wunderbaren Menschen überall auf der Welt,
die mir diese Reise zu einem unvergleichlichen
und unvergesslichen Erlebnis werden ließen!
Noch nicht sechzig, fiel auch ich einer betrieblichen Umstrukturierung zum Opfer. Einige Jahre tourte ich danach als Reiseführerin durch das Sultanat Oman, auf Dauer konnte ich damit nicht überleben. Also doch in den sauren Apfel des Vorruhestandes beißen! Vor-Ruhe-Stand – wie sich das schon anhört! Vor der Zeit schon ruhig stehen, obwohl mich eine grenzenlose Neugier umtreibt? Die Neugier auf ‚Anderes’, die mich mein Leben lang begleitet hat. Ich möchte doch noch so viel erleben und sehen! Weder ein spätes Studium noch Vollzeit-Oma reizten mich, weder Seniorensport noch Volkshochschulkurse zogen mich an. Was also tun mit der neu gewonnenen Freizeit? Erst leise, bald immer lauter wisperte eine Stimme tief in meinem Inneren „Gelegenheit für eine Weltreise“. Die Zeit hätte ich jetzt zwar, aber leider nicht das Geld…
Die Rente ist bescheiden! Vorzeitiger Ruhestand, wenn auch unfreiwillig, wird bestraft. Allein die Miete frisst den größten Teil der kleinen Rente, also muss schnell eine günstigere Wohnung gefunden werden. Da endlich die zündende Idee: Aus der teuren Wohnung ausziehen und in eine günstigere erst nach einer Weltreise wieder einziehen. Es wäre keine Miete mehr zu zahlen, weder Nebenkosten- noch Stromrechnungen wären zu befürchten, kein Telefon und GEZ nötig, kaum Versicherungen, auch das Auto könnte ich mir sparen. Gedacht, getan! Nur ein kaltes, nebliges Wochenende im beginnenden bayerischen Winter war nötig für einen vagen Reiseplan. Ein zweites gleich danach für eine ungefähre Kosten-Kalkulation. Es wird knapp werden, aber es wird gehen.
Meine Familie fand die Idee grandios! Das Weihnachtsfest bescherte mir von den Kindern eine kleine, aber feine Digitalkamera (schließlich wollten sie alle auch möglichst viel von der Welt sehen) und einen roten Koffer mit geringen Abmessungen (fast ohne Eigengewicht wegen der starren Gepäckvorschriften der Airlines). Tatsächlich reichte dessen Volumen wirklich für mehr als ein Jahr, ergänzt nur durch einen Daypack-Rucksack.
Das Around-the-World-Ticket buchte mir ein Spezial-Reisebüro für Backpacker. Gefallen hat mir dessen feste Streckenplanung nicht. Für die Freiheit, datumsmäßig jederzeit und so oft wie nötig kostenlos umbuchen zu können, nahm ich sie aber in Kauf. Regionale Flüge wollte ich nach Bedarf zubuchen.
Eine wahre Sisyphus-Arbeit war die Auflösung meiner Wohnung, eigentlich meines bisherigen Lebens! Wichtiges, Seltenes, Liebgewordenes, Notwendiges, Nichtssagendes – alles musste in die Hand genommen und angeschaut werden. Was will ich tatsächlich behalten? Was wird nach diesem Jahr noch wichtig sein? Was davon wird in einer kleineren Wohnung Platz finden? Ungewohnt rigoros sortierte ich aus. Der klägliche Rest passte in einen Lagerraum von vier Kubikmetern! Mein Auto wurde abgemeldet und konnte in einer Scheune kostenlos geparkt werden.
Das zeitige Frühjahr bot sich für alle notwendigen Impfungen an. Sogar Gelbfieber- und Tollwut-Impfungen vertrug ich ohne Probleme, trotz meines Alters.
Überraschung: Mein Sohn will im Sommer heiraten - ich eigentlich im Frühjahr starten! Erste Flugzeiten-Änderung schon vor dem Start, aber die Welt wartet auch noch drei Monate länger auf mich.
Auf meinem Plan standen vor allem für mich bisher unbekannte Regionen.
Afrika - bis auf Marokko war der ganze Erdteil noch ein weißer Fleck für mich. In Namibia lockten mich Wüste und Stätten der deutschen Vergangenheit, auf Sansibar freundliche Menschen und die Erinnerungen an Oman.
Asien war mir vertraut. Dort war jetzt nur Singapur als ‚Base Camp’ vorgesehen, um Freunde ‚ringsum’ zu besuchen.
Ozeanien - Australien, Neuseeland und die Südsee! Wegen der langen Flüge dorthin habe ich diesen Erdteil bisher außen vor gelassen. Ich freute mich auf lange Zugfahrten, kurze Bootsausflüge, Städte, Berge, Outback, Schnorcheln und die unterschiedlichsten Menschen – auf viel Platz für Neugier.
Süd- und Mittelamerika mit seinem sehr europäisch gefärbten geschichtlichen Hintergrund sollte das größte Abenteuer für mich werden. Argentinien, Bolivien, Peru, Mexiko und Costa Rica - und eine Fahrt mit dem Tren a las Nubes bis in die Wolken!
Nordamerika habe ich oft bereist, es gab aber noch viel zu entdecken. Das swingende New Orleans und ‚Vom-Winde-verweht-Romantik’ im Süden, die Westküste von San Francisco bis nach Alaska und eine Bahnfahrt quer durch den ganzen Kontinent mit dem CANADIAN!
Zusätzlich freuten sich Freunde und Bekannte verstreut in der Welt auf ein Wiedersehen und ein paar Städte voll schöner Erinnerungen warteten ebenfalls auf mich.
Welch grandiose Aussichten!
Juli-August
Auf diesem Erdteil hatte ich mir ursprünglich auch Ghana vorgenommen. Das musste durch den verschobenen Start meiner Reise wegen dann beginnender Regenzeit gestrichen werden. Ein anderes Traumziel von mir, Botswana, hat sich als eins der teuersten Reiseländer in Afrika herausgestellt und fiel so aus Kostengründen aus. So blieb es dann bei NAMIBIA und SANSIBAR. Für mich als Afrika-Neuling vielleicht auch die beste Wahl!
nun zur ersten Station meiner Reise zu machen, war ein glänzender Entschluss! Ein Land, wo Winter gleichbedeutend ist mit deutlichen Minusgraden nachts und immerwährendem Sonnenschein tags. Wo die Auswahl an Fleisch die an Gemüse und Obst deutlich übersteigt. Wo man ständig vor kriminellen Übergriffen gewarnt wird und auf außerordentlich ehrliche und hilfsbereite Menschen stößt. Wo man mit Deutsch genau so weit kommt wie mit Englisch. Wo die Sonne schon nachmittags untergeht, erst nach sechs Uhr morgens wieder auf und die Geschäftszeiten sich beidem anpassen!
Etwa 50km außerhalb der Hauptstadt Windhoek liegt der Hosea Kutako International Airport. Die Ankunftshalle wird nach einem kurzen Fußmarsch über das Vorfeld erreicht, die Passkontrolle verläuft mehr als einfach, mein Köfferchen kommt schnell. Ein Geldautomat findet sich gleich nach dem Zoll und der Kauf einer namibischen Simcard ist die erste Gelegenheit, die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Einheimischen kennen zu lernen. Die Suche nach einem Taxi ist aber schon das erste Abenteuer. „Nie mit einem Taxi fahren, das Du nicht selbst oder jemand, dem Du vertrauen kannst, bestellt hat“ – was nutzt mir dieser Ratschlag, wenn ich nicht weiß, wen ich wo bestellen kann? Ein Glück, dass mir Engelhart über den Weg läuft. Der dunkelhäutigste Mensch, den ich je gesehen habe, ist im Moment der einzige Taxifahrer am Flughafen. Er bietet mir „280 Dollar“ für die Fahrt in die Stadt, ich gebe „höchstens 250“ zurück, er hätte noch einen anderen Fahrgast „dann kostet es nur 180“. Ich verzichte – mit zwei wildfremden Männern im Taxi, nein danke! Der Fahrgast hat Verständnis und wartet weiter. Engelhart kümmert sich um mein Gepäck und wir fahren los - für 250 namibische Dollar und bei inzwischen strahlendem Sonnenschein und 22°…
Ein einsames Asphaltband ist die Hauptstraße in die Stadt. Vorbei an Gästefarmen mit deutschen Namen und über das ausgetrocknete Flussbett des Bismarck sind wir nach knapp dreißig Minuten Fahrt fast ohne Gegenverkehr in Klein-Windhoek. Kurz danach in Windhoek selbst, genauer gesagt in Windhoek-West, wo ich mich per Internet in einem kleinen Hostel angemeldet hatte. Der zweite Glücksgriff heute: Ein hübsches Zimmer direkt am Pool mit wandbreiten Glas-Schiebetüren, bequemem Bett, absolut sauber, die Mitarbeiter mehr als freundlich und hilfsbereit und das Stadt-Zentrum fußläufig erreichbar. Das fängt ja gut an!
Die kälteste Nacht dieses Winters soll bevorstehen. Mit einer zweiten Decke plus Wolldecke plus Wärmflasche (eine Ausstattung, die ich bisher nur mit einer verschneiten Berghütte in den Alpen in Verbindung gebracht hatte) werde ich sie hoffentlich einfach verschlafen. Die ersten Tage sind wirklich kalt, sehr kalt. Nachts bin ich zwar gut versorgt, Frühstück und Abendessen müssen aber dick vermummt eingenommen werden, es gibt kaum irgendwo Heizung. Der Rekord ist minus acht Grad im Kalahari-Randgebiet, wo morgens auf den Kohlköpfen und Tomaten eine Eisschicht liegt. Die Tomaten sind nur noch Abfall, dem Kohl hat es kaum geschadet und der ebenfalls angebaute Rosenkohl hat es geradezu genossen.
Nicht nur deutsches Gemüse gibt es hier, auch häufig alte deutsche Namen. Konrad, Zacharias, Mathilde oder Elise hören sich bei Menschen mit unterschiedlich dunklen Hautfarben und in Kombination mit afrikanischen Nachnamen kurios an. Es gibt auch sonst viel deutsches Erbe. Vor allem in Windhoek, Lüderitz und Swakopmund eine große Zahl von Gebäuden aus der Wende zum 20.Jh., größtenteils gut erhalten oder restauriert. Überall im Land, selbst irgendwo im Nirgendwo, finde ich Farmen mit deutschen Namen, auch deutsche Bäckereien und Schlachtereien. An gutem Brot und Wurst mangelt es hier wahrlich nicht.
Der für mich ungewohnte Linksverkehr ist kein Problem. Die Straßen außerhalb der Orte, oft sogar innerhalb, sind in der Regel leer. Mit meinem Mietwagen der kleinsten Klasse komme ich überall gut zurecht. Als ich allerdings in der Kalahari knapp neben der geschotterten Piste für Fotos anhalte, stecke ich beim Anfahren im tiefen Sand fest! Vier deutsche Touristen im Geländewagen, ohne Abschleppseil, aber „mit acht starken Armen“, machen mich schnell wieder flott. Ungewohnt ist das sehr weitmaschige Tankstellen-Netz. Bei den großen Entfernungen bin ich froh um den Rat vor meinem Aufbruch „Wo immer es geht, tanken und mit viel Wasser und Proviant eindecken!“
Die Reise zum Etosha Nationalpark ganz im Norden des Landes ist eine überaus interessante, wenn auch weite Fahrt durch unterschiedlichste Landschaften. Höhepunkte sind natürlich die Ausflüge in und durch den Nationalpark, aber auch das blumenreiche Okahandja mit seinem riesigen Freiluft-Schnitzer-Markt, das Namutomi Fort und vor allem das Waterberg Plateau, um das herum die Herero von den Deutschen fast ausgerottet worden sind, sind außerordentlich beeindruckend. Touren durch den Nationalpark sind einfach – quer durch den Park fährt man mit dem (eigenen) Auto, darf das aber nicht verlassen. Aber auch vom Autofenster aus erlebe ich eine traumhafte Flora und Fauna. Elefanten, Giraffen, Gnus, Antilopen und Gazellen verschiedenster Arten, Nashörner, Zebras und Löwen versammeln sich an den Wasserlöchern. Jetzt im trockenen Winter sind wohlgefüllte selten, daher sind die Tiere auf die wenigen noch vollen angewiesen und üben meist gelassene Koexistenz. Geradezu fasziniert bin ich von den vielen Vögeln – die buntesten lieben es besonders, sich in den gerade in voller Blüte stehenden gelben Mimosensträuchern zu verstecken. Auch Sekretäre, Riesen-Trappen oder Pfefferfresser begegnen mir, daneben die niedlichen Erdhörnchen, zierliche Wüstenfüchse und Angst einflößende Hyänen.
Trinkwasser ist knapp in Namibia, deswegen werden landesweit Flüsse gestaut. Es gibt bisher 19 Staudämme, der 20. ist im Bau. Der über fünfzig Jahre alte Hardap Dam ist der größte. Mit seiner beeindruckenden, fast 900m langen und 40m hohen Staumauer macht er aus dem Fish River einen riesigen See. Während der Sommermonate eine viel besuchte Freizeit- und Urlaubs-Region für Einheimische, wimmelt es jetzt im ruhigen Winter überall von Sumpfbibern, die ungestört der Futtersuche nachgehen können, ehe sie im Frühjahr wieder als Pelzlieferanten gejagt werden. Wichtiger für das Land ist aber, dass durch das gestaute Wasser Milchviehhaltung in großem Ausmaß möglich ist. Weitläufige Farmen mit riesigen Ställen, Molkerei-Anlagen und neu gebauten Häusern für die Arbeiter lassen rings um Mariental auch für einfache Leute einen annehmbaren Lebensstandard zu.
Asphaltierte Überland-Straßen verbinden einzelne Provinzen, Gravel Pads, meist als breite gekieste Straßen, durchziehen das restliche Land. Zu kleineren Gemeinden sind Feldwege gang und gäbe und ausgefahrene Pisten führen querfeldein durch Wüste, Savanne oder Steppe. Den Straßen entlang ziehen sich stets Zäune. Riesige Termitenhügel, Warzenschwein-Familien, Pavianherden, hysterisch davon eilende Straußenvögel und überall Antilopen oder Gazellen sind zu sehen. Vielfältig sind Landschaften und Natur. Die größten Dünen der Welt in der Namib wechseln sich ab mit der grünen Halbwüste Kalahari, endlose Savanne wird durchzogen von blau schimmernden Gebirgszügen, einzelne Berge ‚schwimmen’ im flirrenden Sonnenlicht wie Inseln in den endlosen Ebenen. Eine Ballonfahrt lässt mich die Wüste von oben sehen – mehr als beeindruckend und eine einzigartige Erfahrung, inklusive des folgenden Champagner-Frühstücks! Wanderungen durch die Buschmann-Savanne oder im Sesriem Canyon, Besteigung des Waterberg Plateaus oder der Namib-Dünen sind unvergessliche Erlebnisse. Solche Art von Unternehmungen lasse ich während meiner Reise allerdings nur in Begleitung zu. Allein unterwegs in unwegsamem und entlegenem Gelände - da könnte schon ein verknackster Knöchel fatal sein.
Nicht nur die üblichen Big Five gibt es in Namibia, sondern auch die Small Five der Wüste. Mit einem Geländebus geht es in einer kleinen Gruppe von Swakopmund aus frühmorgens in die Namib, um die zu finden. Unser Guide ist ein Meister seines Fachs, der uns mit seinen Erklärungen und Erzählungen fesselt. Um diese frühe Stunde sind die kleinen Tiere gut zu beobachten, sie tun sich alle gütlich am lebenswichtigen Tau. Wir müssen aber geduldig sein und warten können, die Tiere reagieren schon auf kleinste Erschütterungen. Kleine, vielfarbig schillernde Wüstengeckos verschwinden bei unserem Anblick so schnell im Sand, dass man meint, sie tauchen in Wasser ein. Ein Chamäleon ist der sandigen Umgebung so gut angepasst, dass es fast nicht zu sehen ist. Als unser Guide es auf den (dunkelrot bekleideten) Arm eines Tour-Teilnehmers setzt, wechselt es im Nu die Farbe, bis es auch zu diesem Untergrund passt. Als Belohnung wird es mit mitgebrachten fetten Mehlwürmern gefüttert. Viele Spuren im Sand zeugen von giftigen Sidewinder-Schlangen, glücklicherweise so scheu, dass wir sie nicht zu sehen bekommen. Nur eine winzig kleine Blindschleiche wird von unserem Guide als Anschauungsobjekt gefangen. Einen großen, schwarzen Skorpion schnappt er mit einer Grillzange, damit wir ihn eingehend betrachten können, bevor das Tier wieder das Weite suchen darf – mit einem Giftstachel, der so stabil ist, das er selbst durch Leder stechen könnte. Wüstenspringmäuse sind ein lustiges Völkchen, schon ihre Spuren sind besonders nett anzusehen. Die Mäuse selbst noch mehr, wenn sie wie winzige Hasen oder Kängurus davon springen! Vom Gipfel der letzten Düne bietet sich ein grandioser Blick auf das Meer und - man glaubt es nicht - auf eine mobile Toilettenanlage mitten in der Wüste!
Fahrten auf Gravel Pads können eine große Herausforderung sein. Wenn der Straßenhobel, der sie meist in monatlichen Intervallen ebnet, lange nicht da war, bilden sich tiefe Spurrinnen oder auch hohe Kiesberge zwischen den Fahrspuren. Trotzdem sind sie mit vernünftiger Fahrweise zu bewältigen, auch von meinem kleinen Mietwagen. Da die Straßen leer sind, kann ich oft auf die Seite der Fahrbahn wechseln, die besser zu befahren ist! Das Fahren ist kurzweilig, trotz der langen Strecken – endlose, packende Weite, wie man sie kaum irgendwo sonst erleben kann.
Etwas Spezielles ist der Besuch im Mesosaurus Fossile Camp, wo auf dem Farmgelände Fossilien einer winzigen Saurierart gefunden wurden. Etwa in der Größe von Meerschweinchen sind sie sonst nur noch in Brasilien aufgetaucht - der Beweis, dass sich hier einst der Urkontinent Gondwana in Südamerika und Afrika aufgeteilt hat (sagt die Universität von Johannesburg). Neben den Fossilien sind zahllose Köcherbäume zu sehen und stark metallhaltiges Gestein, auf dem wie auf einer Orgel gespielt werden kann. Eine Einladung zu einem typischen namibischen Brai zeigt mir, wie alte Überlieferung und heutiges Landleben kombiniert werden: Deutsche Bratwürste aus Kudu- und Straußenfleisch und handtellergroße Lammkoteletts werden auf den riesigen Holzgrill gelegt, Rote-Bete- und Kartoffelsalat dazu aufgetischt. Die Nacht danach ist unheimlich – das erste Mal hier allein in freier Natur! Die Alarmanlage des Autos ertönt mehrfach, leise Schritte sind rings um die Hütte zu hören. Da hilft auch nicht, dass mein Gastgeber mich abends mit den Worten verließ „It’s a very safe platz and when you brauchst was, you can go to the huis von meine son on die andere seit van de straat“ - wer traut sich schon aus der Hütte und auch noch auf die andere Straßenseite, wenn man nicht weiß, wer draußen herumschleicht? Morgens stellt sich heraus, dass es eine Herde wilder Esel war…
Die Nachtfahrt mit dem D-Zug nach Swakopmund ist eine besondere Erfahrung (für ganze sechs Euro!). Trotz aller Unkenrufe fühle ich mich in Gesellschaft von jungen und alten dunkelhäutigen Menschen zu jeder Stunde absolut sicher. Ich werde einbezogen in ihre Gespräche, sie teilen ihr Essen und auch warme Decken mit mir und ich erfahre so einiges über ihren Alltag. Pünktlich morgens um sechs Uhr kommen wir an. Die kleine Pension, in der ich ein Zimmer gebucht habe, hat noch nicht geöffnet. Der Taxifahrer, der mich vom Bahnhof hierher gebracht hat, wartet mit mir zusammen vor der Tür, bis ich eingelassen werde: „So früh am Morgen lasse ich Dich doch nicht allein auf der Straße stehen!“ Zurück nach Windhoek geht es deutlich luxuriöser - im Desert Express, einer mehr als angenehmen Alternative. Kostet zwar 300 Euro, aber das sind die ‚Sundowner Cocktails’ auf einem Hügel mitten in der Savanne, ein mehrgängiges köstliches Abendmenü, ungestörter Schlaf in bequemer Kabine (mit eigener Dusche und Toilette), der morgendliche Ausflug zu einer Löwenfütterung und die Rundum-Versorgung durch das engagierte Personal auf jeden Fall wert.
Der Törn mit einem alten Segelboot vor der Küste von Lüderitz führt mich durch vorgelagerte Inseln, von denen früher ein Teil des Reichtums der Stadt kam. Hier wurde in großen Mengen Guano abgebaut - Pinguin-Kot als Blumendünger für Europa. Heute stehen nur noch Pinguin-Pärchen als Hausherren in den Türen der verlassenen Gebäude. Große Delphin-Schwärme begleiten das Schiff, auch Seehunde sind zu sehen. Kehrt wird unter dem Kreuz von Diaz Point gemacht, das an die Portugiesen erinnert, die hier schon 1487 als erste Weiße (kurz) an Land gingen.
Kolmanskuppe, die vormals deutsche Diamantenstadt vor den Toren von Lüderitz, katapultiert mich tief zurück in die Vergangenheit. Hier erinnern Kegelbahn, Linde-Eisfabrik, Maggi-Flaschen, Turnvereins-Fahne, Dr.-Oetker-Schulkochbuch und vieles mehr noch an die deutschen Gründer. Die meisten Häuser sind nach mehr als hundert Jahren zerstört, einige im Sand verweht, ein paar werden gerade wieder ausgegraben und nur wenige sind renoviert. Eine elektrische Kleinbahn durch den Ort versorgte damals jeden Haushalt täglich kostenlos mit Wasser, Bier und Milch. Es gab eine Schlachterei, Molkerei und Bäckerei, ein großes Krankenhaus mit der ersten Röntgenstation der Süd-Halbkugel (damit auf verschluckte oder anderweitig im Körper versteckte Diamanten kontrolliert werden konnte!), ein Elektrizitätswerk (Strom war ebenfalls kostenlos), Schwimmbad, Ballsaal, Theater und eine Schule. Das Süßwasser wurde mit dem Schiff aus Kapstadt geholt, alles andere wöchentlich aus dem fernen Deutschland per Dampfer angeliefert. Der ganze Aufwand für gerade mal vierhundert Einwohner und etwa dreißig Jahre. Als die Diamantvorkommen im unmittelbaren Umfeld erschöpft waren, wurden die Häuser sich selbst und der Wüste überlassen – oft mit allem, was darin war.
Namibia gibt es in der heutigen Staatsform erst seit 1994. Für mehr als 100 Jahre davor war es ‚Deutsches Schutzgebiet’, was de facto einer Kolonie entsprach, dann von Großbritannien, später von Süd-Afrika besetzt. Das Land ist sehr reich an Rohstoffen. Fast ein Viertel des Bruttosozialprodukts wird mit dem Abbau von Diamanten, Uran, Gold und Kupfer erzielt. Danach folgen landwirtschaftliche Produkte und der Tourismus, die Geld ins Land bringen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt in den größeren Städten des Landes und im fruchtbaren Norden. Der Süden und vor allem der Westen sind, abgesehen von den Küstenstädten, extrem dünn bis gar nicht besiedelt. Hauptsprache im Land ist Englisch, Afrikaans und Deutsch sind weit verbreitet. Es gibt darüber hinaus zahllose einheimische Bantu- und Khoisan-Sprachen, die in verschiedenen Dialekten vorkommen und deren besonderes Kennzeichen die typischen Schnalz- und Klicklaute sind.
Fast alle Städte hier können (und wollen?) ihre deutsche Herkunft auch heute nicht verleugnen. Ob sie nun Windhoek, Lüderitz, Swakopmund oder anders heißen. Gut erhaltene Häuser reicher Familien von damals gibt es überall. Frühere Kasernengebäude sehen noch gleich aus, haben heute nur andere Bedeutungen. Alte Rathäuser sind oft noch in Betrieb und auch manche Bahnhöfe, mehr als hundert Jahre nach ihrem Bau. Selbst die vierspurige Hauptstraße durch Swakopmund stammt schon aus dieser Zeit – sie musste so breit sein, damit 12- bis 28-spännige Ochsenwagen, die Schwerlast-Transporter der damaligen Zeit, auf ihr wenden konnten. In der Bergwerksstadt Tsumeb im Norden kann man in einem deutschen Biergarten unter uralten Kastanien sitzen und im Museum die Insignien des Karneval-Vereins von 1896 bestaunen. Im Bahnhofshotel von Aus bekommt man ‚Kaffee mit Schwarzwälder Kirschtorte’ serviert. Die Gräber der Soldatenfriedhöfe überall im Land betreut die Deutsche Kriegsgräber-Fürsorge – egal, ob von Freund oder Feind. Selbst ein Schloss wie aus dem Mittelalter steht mitten in der Wüste – Duwisib. Ein deutscher Artillerie-Offizier hat es mit dem Geld seiner amerikanischen Frau bauen lassen und damit seine Sehnsucht nach der Heimat bekämpft. Am nördlichen Stadtrand von Windhoek steht sogar ein deutsches Kloster. Hier haben sich Nonnen der ‚Benediktinerinnen von Tutzing’ niedergelassen – so weit weg vom Starnberger See…
Geldautomaten finden sich überall im Land, in größeren Städten kommt man leicht an Bargeld. Schwieriger kann es über Land werden, wie ich im kleinen Ort Maltahöhe erlebe. Der einzige Geldautomat weit und breit steht in der Tankstelle, hinter einer Tür mit einem herzförmigen Loch! Darauf wäre ich ohne Hilfe des Tankwarts nicht gekommen. Statt 2000 Dollar wie gewünscht, erhalte ich aber nur 1200 – damit ist der Automat geplündert. An der Hotelbar, die gleichzeitig das Kommunikationszentrum des Dorfes ist, stellt sich abends heraus, dass der Tankwart den Automaten auch auffüllt. „I stocked up the ATM, tomorrow you could be a bankrobber again“ ruft er mir beim Abendessen quer durch das Lokal zu. Ich bin der einzige fremde Gast – spätestens jetzt weiß das der ganze Ort. Ein guter Nebeneffekt ist, dass ich gleich von allen Seiten gute Tipps bekomme für die Fahrt in die Namib am nächsten Tag.
‚Sechs Riemen’ tief ist der Canyon, an dessen Grund ein Bach fließt, aus dem die ersten Siedler ihr Trinkwasser schöpften. Auch die heutigen Wege nach Sesriem sind noch Pisten, die Straße von dort hinein in die Wüste jedoch asphaltiert - der weiße Sand einer Piste soll nicht das typische Rot der Namib-Dünen ‚verwässern’. Von einem Parkplatz vor den großen Dünen geht es nur im Sightseeing Jeep weiter oder zu Fuß. Zu jeder Tageszeit glühen die riesigen Hügel in einem anderen Rotton. Einige darf man besteigen, doch es ist anstrengend im weichen und tiefen Sand. Sattgrüne Büschel von Wüstengras sind der erstaunliche Farb-Gegensatz, Greifvögel stolzieren ohne Angst dazwischen umher.
Eine ganz besondere Einladung
Engelhart, der mich nach meiner Ankunft vom Flughafen in die Stadt gebracht hat, macht auch Stadtrundfahrten. Er möchte mir Katutura, die große ehemalige ‚Township’ von Windhoek, während einer Rundfahrt näher bringen. Das interessiert mich sehr, aber von allen Seiten werde ich bestürmt, es nicht zu tun. Ich würde den Fahrer nicht kennen und hätte keine Ahnung, was mich erwartet. Ich verlasse mich auf meine Menschenkenntnis, habe außerdem eine Visitenkarte des Fahrers (die ich, versehen mit seiner Auto-Nummer, im Hostel zurücklasse) und ein absolut gutes Gefühl. Bei einer kreuz und quer durch Windhoek führenden Fahrt bekomme ich zuerst Vieles gezeigt und erklärt, was mit der deutschen, der britischen, südafrikanischen und vor allem der Geschichte der hier ursprünglich beheimateten Stämme zusammen hängt. Während der Mittagspause fragt mich mein Begleiter, ob ich nicht heute Abend bei seiner Familie in Katutura zu Gast sein möchte. Jetzt werde ich doch unsicher. Es waren tolle Gespräche bisher und dieser junge Mann scheint mir durchaus vertrauenswürdig – aber soll ich das wagen? Ich möchte wissen, wieso er mich einlädt. Eigentlich nicht er, seine Urgroßeltern möchten mich gern sehen. Seine Urgroßeltern? Ja, deren Eltern hätten bei deutschen Familien gearbeitet, sie wären dort aufgewachsen und hätten es immer gut gehabt. Deswegen würden sie gern wieder einmal mit einer ‚echten Deutschen’ sprechen. Was für eine Überraschung – ich sage zu!
Bei der Fahrt durch Katutura imponiert mir die fast schon pingelige Sauberkeit rund um die Häuser und auf den Straßen. Auch wenn die Häuschen noch so ärmlich aussehen und nur das Nötigste enthalten (was ich beim langsamen Vorbeifahren erkennen kann), ist überall der Lehmboden sauber gefegt und es stehen Eimer oder andere Gefäße mit blühenden Pflanzen neben den Eingängen. Bei unserem Spaziergang durch die Tukondjeni Markthallen, einem der Mittelpunkte dieser Stadt neben der Stadt, überfluten mich die vielfältigsten Gerüche und eine Farbsymphonie sondergleichen. Man lächelt mir von allen Seiten zu und oft bekomme ich Obst oder kleine Kuchenstückchen angeboten. Ob das an meinen weißen Haaren liegt oder daran, dass ich von einem Einheimischen begleitet werde? Egal, ich genieße es mit allen Sinnen und verzichte hier ganz und gar aufs Fotografieren. Ehe wir weiterfahren, kaufe ich etwas Obst und Kuchen als Mitbringsel für heute Abend. Katutura ist riesig und wie mein Begleiter erklärt, gibt es durchaus auch Bereiche, die nicht ‚safe’ sind, aber da fährt selbst er nicht hin. Es gibt genug zu sehen in den sicheren Gebieten.
Beim freudigen Empfang durch die Familie sind alle Bedenken endgültig vergessen, vor allem bei der Begrüßung durch das fast 100jährige Paar. Eine riesige Schüssel Eintopf kommt auf den Tisch und ‚Opa’ füllt als erstes meinen Teller, ehe eine fröhliche Unterhaltung einsetzt. Meine betagten Gastgeber sprechen ein etwas altertümliches Deutsch, das ich aber gut verstehe (und sie mich offenbar auch problemlos). Es geht um Gott und die Welt - die Familie, die internationale Politik, Arbeitsplätze, Kindererziehung, Frau Merkel und vor allem die offenbar guten Erfahrungen und ihre Erlebnisse mit ihren damaligen ‚deutschen Herren’. Zwischendurch wird die restliche Familie immer wieder aufgefordert, dem ‚Kind’ (damit bin ich gemeint!) noch etwas aufzulegen oder Tee nachzuschenken. Was für eine unglaubliche Erfahrung!
Katutura heißt übersetzt „der Ort, an dem ich nicht leben will“. Genau das dachten die verschiedenen Stämme Ende der 50er Jahre, als das Zwangsumsiedlungsprogramm durch die Südafrikaner gestartet wurde. Aus ihren Wohnungen in Windhoek mussten sie in das neu geschaffene Viertel ziehen, mehr als 10km von der Stadt entfernt, wo die meisten von ihnen arbeiteten. In Einheitshäuser von 40 bis 50qm wurden ganze Großfamilien gepfercht, nur um Windhoek zu einer ‚rein-weißen Stadt’ ausrufen zu können. Hunderte wehrten sich gegen diese Maßnahme, der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen. Damals entstand hier die SWAPO, die teils terroristische Untergrundbewegung, die ab 1990 die Unabhängigkeit von Süd-Afrika erkämpfte. Heute gibt es in Katutura flächendeckend Elektrizität, fließendes Wasser, eine funktionierende Müllabfuhr und einige asphaltierte Straßen. Auch ein großes Krankenhaus, alle Schulformen und das Sam Nujoma Soccer Stadium für die fußballnärrischen Namibier. Inzwischen haben sich die Bewohner mit Katutura arrangiert und nach Aussage von Engelhard leben die meisten der heute etwa 70.000 Einwohner heute gern dort.
Katuturas Bevölkerung setzt sich zum größten Teil aus Herero, Ovambo und Damara zusammen, die alle heute noch ihre eigenen Sprachen haben. Besonders die der Damara ist bemerkenswert, mit ihren acht Vokalen und einunddreißig Konsonanten eigentlich unserem Alphabet ähnlich. Zwanzig dieser Konsonanten sind hier aber Schnalz- und Klicklaute – es wird geschnalzt und geklickt während der Gespräche, dass es eine Freude ist. Ich erlebe das hautnah, als ich zwei Damara von Maltahöhe nach Mariental mitnehme. Sie müssen zu einer Versammlung des Landwirtschaft-Vereins, sind spät dran und diskutierten im Auto wohl noch einmal die Tagesordnung. Herrlich zuzuhören, obwohl ich nichts verstehe. Leider dauert das Gespräch nicht allzu lange, erst werden sie immer leiser, dann stiller, bald auch ziemlich grau um die Nase. Ich fahre wohl zu schnell. Der Tacho zeigt etwa 100km/h, auf guter Straße - sie sollen ja nicht zu spät kommen. So schnell waren sie noch nie vorher unterwegs, erfahre ich beim Abschied. Sie bedanken sich trotzdem überschwänglich fürs Mitnehmen und pünktliche Ankommen – auch wenn ihnen ein wenig übel ist…
Namibia hieß etwa 4000km im Mietauto, 700km mit dem Zug und viele, viele zu Fuß. Alles das war nicht anstrengend für mich, die leeren Straßen und freundlichen Menschen machten es sehr einfach. Meine Reisezeit im örtlichen Winter war hervorragend gewählt. Für die manchmal sehr kühlen Nächte wurde ich mit sehr angenehmen Frühsommer-Temperaturen während des Tages entschädigt, ideal zum Herumreisen und -gehen. Was für ein beeindruckendes Land und welch unglaublicher Anfang für meine Reise um die Welt!
Endlich werde ich die Insel kennen lernen, wo der Pfeffer wächst. Aber nicht nur Pfeffer, fast alle nur denkbaren Gewürze werden dort angebaut. Der Grund für meinen Besuch ist das jedoch nicht. Es ist auch nicht Freddy Mercury, der überraschenderweise selbst jungen Menschen dort kaum ein Begriff ist. Der Hauptgrund ist, dass Sansibar bis weit ins letzte Jahrhundert Teil von Oman war. Allerdings ist das kein Ruhmesblatt in der Geschichte des Sultanats - der weitaus größte Teil des damaligen Sklavenhandels lag in dessen Händen und mit Sklaven wurde nicht zimperlich umgegangen. Noch heute erinnert ein anrührendes Denkmal vor der anglikanischen Kathedrale, die auf dem Platz gebaut wurde, wo damals der Sklaven-Markt war, an diese schlimmen Zeiten.
Eine schöne Geschichte gibt es dagegen aus der späten Sultanszeit, die von der wunderschönen Salme, Prinzessin von Oman und Sansibar. In jungen Jahren verliebte die sich in den Sohn eines deutschen Kaufmanns. Nicht nur das, sie wurde schwanger und flüchtete deshalb, mit Hilfe des englischen Vize-Konsuls, mit ihrer großen Liebe von der heißen, sonnigen Insel im tiefen Süden ins kalte, regnerische Hamburg im hohen Norden. Insgesamt drei Kinder hatten die beiden zusammen. Die Prinzessin lebte als Emily Ruete in Deutschland, bis sie 1924 starb. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg kann man noch heute ihr Grab besuchen. Geboren wurde sie im Palast Bait al Mtoni, ein Stück außerhalb des heutigen Stonetown, wo sie bis zu ihrer Flucht lebte. Die Ruine des Palasts steht noch, man kann gut erkennen, wie luxuriös er für damalige Zeiten gewesen sein mag. Sie kann besichtigt werden und es finden von Zeit zu Zeit Konzerte oder andere Veranstaltungen dort statt. Mit den Erlösen soll eine spätere Restaurierung finanziert werden. Vielleicht aber strömt auch Geld aus Oman hierher, damit dieses Vorhaben schneller umgesetzt wird? Der dortige Sultan Qaboos ist schließlich ein Groß-Cousin der Prinzessin Salme…
Ausflüge zum Palastgelände organisiert das unmittelbar daneben liegende hübsche Hotel direkt am Meer. Mit einem Restaurant, das viele einheimische Spezialitäten auf der Karte hat, und überaus freundlichem Personal ist es ein wunderbarer Platz für mich, um ein paar Tage die Seele baumeln zu lassen. Wie ich inzwischen merke, ist eine Weltreise nicht mit ‚Urlaub’ zu vergleichen. Alle die vielfältigen Eindrücke und Erlebnisse, die ständig neu auf mich einstürmen, müssen verarbeitet werden – da braucht es hin und wieder Pausen vom Reisen. Die äußerst liebevoll zusammengestellte ‚Princess Salme Tour' des Hotels ist voller netter Überraschungen: Eine arabische Dhau mit dem charakteristischen dreieckigen Segel bringt mich zum Palast von Salmes Mutter, wo eine original omanische Qawa/Kaffee-Tafel wartet. Auf dem Boden sitzend werde ich mit Datteln und Süßigkeiten zum Kaffee in winzigen Tässchen verwöhnt. Höhepunkt ist der Ausflug in eine riesige Gewürzplantage, deren heutige Besitzer direkte Nachfahren von Salmes Mutter sind. Private Plantagen gehören nun aber alle einem Produktionsverband an – Überbleibsel aus sozialistischer Zeit oder pure Notwendigkeit?
An der Einfahrt zur Plantage stehen bunt geschmückte Eselskarren, mit denen die Gäste übers Gelände gefahren werden. Verführerischer Weihnachtsduft steigt mir bald in die Nase – Vanille, Zimt, Ingwer, Pfeffer und Turmaric lerne ich während des Rundgangs durch einen schattigen jungen Teakholz-Wald im Originalzustand kennen. Auf den angrenzenden Feldern sind ganze Familien mit der Reisernte beschäftigt. Zwischendurch werden frische Früchte wie Jack Fruit, Mandarinen, Orangen und Malaysian Apples zum Probieren verteilt – ein Traum, so frisch vom Baum! Dann bekomme ich Zitronengras, Kardamom, Nelken und endlich auch Muskatnüsse gezeigt. Überraschenderweise sehen die im Rohzustand wie gelbe Pflaumen aus, in deren relativ festem Fruchtfleisch ein Kern sitzt. Das ist die eigentliche Nuss, überzogen von einem knallroten Geflecht, das eher wie Kunststoff als Natur aussieht. Auch das ‚Plastik’ wird verwendet, getrocknet und gemahlen als Macisblüte auch bei uns verkauft. Muskatnuss soll der braune Kern übrigens heißen, weil er im omanischen Hafen Muskat von Schiffen auf Kamelrücken verladen wurde, auf denen er bis fast nach Europa kam. Trotz der überbordenden Gewürz-Vielfalt ist das Hauptexportgut des Sansibar-Archipels die Gewürznelke. Jedes Jahr werden etwa 1,2 Mio. Tonnen davon ausgeführt. Kaum vorstellbar, dass diese Menge kleiner Nelken bis heute in Handarbeit geerntet wird! Nach Indonesien steht Sansibar an zweiter Stelle der Weltmarktlieferanten. Unsere Schnittblumen haben den Namen übrigens vom Gewürz, nicht umgekehrt, weil ihr Duft ähnlich ist.
Das ‚Land’ Sansibar besteht aus der Hauptinsel Unguja, die früher Sansibar genannt wurde, der kleinen Schwesterinsel Pemba, Hauptanbaugebiet der riesigen Nelkenbäume, und vielen kleineren, z.T. unbewohnten Inseln. Das frühere Sultanat Sansibar und der Festlandstaat Tanganjika bilden seit 1964 die Swahili Jamhuri ya Muungano wa Tanzania’, Vereinigte Republik Tansania. Sansibar ist autonom, mit eigener Regierung (Parlament und Präsident) und eigener Gerichtsbarkeit, die nicht dem höchsten Gericht von Tansania untersteht. Hauptstadt ist Sansibar Stadt, das historische Zentrum dort wird Stonetown genannt - weil dessen Häuser überwiegend aus Korallengestein gebaut sind. Ein Überbleibsel aus sozialistischen Zeiten ist der Stadtteil Michenzani, dessen Straßen heute noch mit von der damaligen DDR finanzierten typischen Plattenbauten gesäumt sind. Sansibar ist muslimisch, es gibt aber auch Christen (Stonetown ist Bischofssitz der röm.-kath. Kirche) und Hindus auf der Insel.
Am Rande von Stonetown besuche ich das fast direkt am Meer liegende Haus der Wunder. Ein Palastgebäude, um 1880 gebaut, mit allerhand ‚Wundern’ für die damalige Zeit: Ein eigenes Elektrizitätswerk (mit dem auch der neu gebaute Leuchtturm befeuert wurde) für die Beleuchtung der Räume und den Betrieb des Fahrstuhls, fließendes kaltes und warmes Wasser im Haus und trotz Lift eine riesige Freitreppe. Heute ist der Palast ein Museum, in dem Artefakte aus damaliger Zeit zu sehen sind. Von der riesigen umlaufenden Terrasse im obersten Stockwerk hat man einen fantastischen Blick auf die gesamte Stadt und die Festungsruine nebenan. In deren Mauern haben sich Künstlerateliers angesiedelt, wo vor allem die berühmten Tinga-Tinga-Bilder entstehen - farbenfrohe Gemälde mit Alltagsszenen, die mit Lackfarben, anfangs nur Autolacken, auf Leinwand gestaltet werden. Aber auch andere Handwerker und Frauen, die Rasta-Mützen häkeln, werkeln hier.
Mein erster Tag auf Sansibar fällt zusammen mit dem ersten Tag des Ramadan. Schlecht für mich, da tagsüber in der Öffentlichkeit nicht gegessen und getrunken werden darf. Aber wozu gibt es Dachterrassen? Dort bekomme ich als Touristin alkoholfreie Getränke und auch kleine Mahlzeiten. Verhungern oder verdursten müssen westliche Besucher während der Fastenzeit hier nicht. Die Forodhani-Gärten, die sich jeden Abend in ein riesiges Freiluft-Restaurant verwandeln, liegen genau unter mir. Zahllose Stände bieten die unterschiedlichsten Spezialitäten der Insel an, Petroleum-Lampen und Kerzen sorgen für Beleuchtung. Beim abendlichen ‚Fastenbrechen’ schlägt die Stimmung besonders hohe Wellen - die Menschen sind ausgelassen und das Essen jetzt schmeckt köstlich!
Jeden Tag durchstreife ich andere Gassen und Gässchen der Stadt. Dabei lerne ich nicht nur die üblichen Sehenswürdigkeiten kennen: Die anglikanische Kathedrale mit dem bemerkenswerten Denkmal für die Opfer des Sklavenhandels, die katholische St.Josephs-Kathedrale mit dem beispielhaft bescheidenen Bischofssitz von Sansibar, die ‚Kenyatta Street’ mit aller Art Geschäften, Galerien, Bars und Cafés und dem Geburts- und Wohnhaus von Freddy Mercury, das alte Fort und die ‚Alte Apotheke’, eins der schönsten, wunderbar restaurierten Gebäude der Insel, in dem sich heute ein charmanter Souvenirladen, Galerien mit wechselnden Ausstellungen und ein empfehlenswertes Restaurant befinden. Unzähliges, das in keinem Reiseführer steht, entdecke ich aber auch: Einen alten Hamam, den mir der Händler nebenan aufsperrt, damit ich mich umschauen kann, fliegende Händler mit fast 2m hoch bunt bepackten Fahrrädern, die alles anbieten, was der Mensch so braucht oder auch nicht, einen Souvenirladen in einer kleinen Seitengasse, der von zwei Massai geführt wird. Die erzählen mir von Ihrer Heimat, der Savanne, und zeigen mir geduldig die Herstellung der typischen runden Perlenkragen. In einer uralten Bäckerei werden zwei mit Holz befeuerte Steinbacköfen noch heute genutzt wie bestimmt schon vor hundert Jahren. Dort kaufe ich täglich frisches, köstliches Brot zu einem Spottpreis, obwohl der wohl zu Recht schon ein Touristenpreis ist. Auf unzähligen kleinen Plätzen sammle ich unter Jojoba-Bäumen mit Kindern und auch Erwachsenen die Früchte, das gemeinsame Vernaschen ist begleitet von schönen Geschichten und viel Gelächter. Dazu viele, viele wunderbar geschnitzte alte omanische und neuere indische Tore, Türen oder Portale, kleine Freiluft-Werkstätten, wo Polstermöbel zwar in Serie, trotzdem in Handarbeit hergestellt werden, das riesige Marktgelände, teils im Freien, teils überdacht, wo den ganzen Tag ein kolossales Gewimmel herrscht und unter anderem vortreffliche frische Kokosnüsse verkauft werden!
Zahlreiche alte arabische Häuser, die dem Verfall nahe sind, werden mit Geld ausländischer Investoren instand gesetzt. Es ist eine willkommene Aufwertung des Stadtbildes, wenn alte, schwärzlich verfärbte und unansehnliche Häuser aus Korallen- und Muschelkalk-Gestein wieder in alter Pracht erstrahlen und bewohnbar sind. Ein Großteil des Geldes kommt vom Aga Khan Development Network, einer NGO-Entwicklungshilfe-Organisation. Mehr und mehr engagieren sich auch die Vereinigten Arabischen Emirate und das Sultanat Oman. Oft werden Hotels oder Gästehäuser daraus, die teilweise in der Hand der Investoren bleiben, teilweise zu günstigen Konditionen an Einheimische abgegeben werden. Ein besonders gelungenes Beispiel ist das Africa House. Früher ein arabischer Palast, später das Haus des britischen Hochkommissars, dann lange leer stehend, ist es heute ein Hotel wie aus 1001 Nacht. Seine Terrasse, fast direkt über dem Meer, ist der angesagte Treffpunkt für den täglichen Sundowner. In einem der gemütliche Sessel, mit einem leckeren Cocktail in der Hand, kann ich mich gar nicht satt sehen am farbenfrohen, immer wieder anderen Sonnenuntergangs-Spektakel. Die kleinen Bush Babies, eine Lemurenart, die überall frei herum springen, sind ebenfalls scharf auf Cocktails - man muss sein Glas gut im Auge behalten, besser gleich in der Hand. Ein Tierchen ist besonders anhänglich und klammert sich fest an meinen Arm, bis ich von ihm befreit werde. Großes Hallo um mich herum – vor allem auf italienischen Urlaubsfotos ist das verewigt worden.
Sansibar ist so, wie ich es mir vorgestellt hatte. In Vielem sehr ähnlich dem Sultanat Oman, nur nicht ganz so ‚aufgeräumt’. Kein Wunder, es gibt zwar viel mehr Einwohner hier, aber nur einen Bruchteil des Volksvermögens. Der Aufenthalt ist entspannend, was auch an der einfachen Verständigung liegt - fast alle Einheimischen sprechen Englisch, oft noch Italienisch. Wie mir eine Tour-Managerin erzählt, kommt seit Jahren die größte Zahl ausländischer Touristen aus Italien. Vielleicht auch der Grund, dass sich eine unübersehbare Zahl von Vespas hier tummelt?
Vor und nach der Insel bin ich in Daressalam. Die größte Stadt Tansanias ist eine afrikanische Großstadt - laut, bunt, schmutzig und mit den üblichen kleinen Gaunern. Sicher fühle ich mich trotzdem, obwohl ich einem der ‚Menschenfischer’ ins Netz gehe. Schließlich habe ich keinerlei Erfahrung mit deren Maschen. Der Schaden hält sich mit etwa fünf Euro allerdings in Grenzen. Hotels sind sehr teuer hier, empfehlenswerte billige Unterkünfte rar. Für die Zwischenstation vor Sansibar fand ich im Internet ein Business Hotel - gesichtslos, für mein Budget zu teuer, aber sauber und fußläufig zum Zentrum. Nach Sansibar wohne ich im Hostel der Lutherkirche. Auch nicht billig, ein wenig schmuddelig und deutlich lauter. Das Zimmer ist klein, aber mit eigenem Bad, Bettwäsche und Handtücher sind sauber. Die AC lärmt wie ein Formel-1-Rennen und es gibt Mücken - das erste Mal auf dieser Reise richtig viel! Ohne Mückengitter vor den Fenstern haben sie freien Eintritt. Mit Moskito-Spray gehe ich auf Jagd! Ein kurzer Sprühstoß genügt, sie taumeln zu Boden, wo ihnen ein gezielter Fußtritt den Rest gibt! Die Nacht ist dann bei geschlossenen Fenstern störungsfrei…
Am Flughafen DAR haben sich eineinhalb Stunden vor dem geplanten Abflug noch kaum Passagiere eingefunden. Nur zwei deutsche Urlauberpaare regen sich lautstark über die Sicherheitskontrolle auf. Eine große Dose Haarspray und eine ebensolche Flasche Sonnenmilch im Handgepäck wurden beanstandet. Die freundlich angebotene Möglichkeit, beides noch schnell in die Koffer zu packen, wird ausgeschlagen „sehen wir doch gar nicht ein!“. Als alles beschlagnahmt werden soll, geht ein deutscher Redeschwall auf die arme Beamtin nieder „das will die nur selbst behalten, kriegt ja sonst so gutes Zeug nicht“ und ähnliches mehr. Auf meine Frage, von wo sie denn angereist sind, bekomme ich ein „was hat denn das damit zu tun, dass man sich hier am Eigentum von Touristen vergreift“? Ich erinnere daran, dass diese Vorschriften weltweit gelten und solche Artikel auch in Deutschland konfisziert werden. Widerwillig packen sie die Sachen doch in den Koffer - Leute gibt’s…
Während des Fluges sind die beiden Sitze neben mir frei und ich kann mich ausstrecken. Leider nutzt das nicht viel - die innere Uhr sagt mir „viel zu früh zum Schlafen“ und der Flug ist einigermaßen turbulent. Als ich nach Video- und Filmprogramm doch müde werde und einnicke, geht das Licht an: Frühstück! Also statt schlafen lecker frühstücken und auf die Landung vorbereiten.
Die Ankunft am sehr, sehr frühen Morgen im Flughafen Singapore Changi überrascht mit komplett geöffneten Immigrations-Schaltern. Die Einreise geht daher fix, hier wird aber das erste Mal meine Gelbfieber-Impfung kontrolliert. Obwohl ich die fast sterile Sauberkeit in Singapur von früheren Besuchen in Erinnerung habe, bin ich doch überrascht, wie sauber der Flughafen ist. Nicht das kleinste Fleckchen ist auf dem Teppichboden zu sehen – dafür ein Meer gestrandeter Transit-Passagiere, die sich dort zum Schlafen niedergelegt haben. Die Duschen öffnen leider erst um zehn Uhr, deswegen nutze ich die Toiletten schnell zum Umziehen – im ‚wirklichen Leben’ draußen ist es laut Durchsage des Kapitäns um diese frühe Tageszeit bereits 28° warm.
Mit der U-Bahn in die Stadt zu fahren fällt leider aus – auch die Schalter der SMRT, Singapore Mass Rapid Transit, sind noch geschlossen und es gibt weder die Möglichkeit, Kleingeld zu wechseln für die Fahrkarten-Automaten, noch einen Netzplan, damit ich sehen kann, wohin ich überhaupt fahren müsste. Singapore Tourism Board ist aber schon besetzt. Dort bekomme ich einen Berg sehr gutes Infomaterial und den Rat, mit dem Airport Shuttle in die Stadt zu fahren. Der fährt für etwa fünf Euro direkt bis vors Hotel - das ist doch mal ein faires Angebot!
August-September
Asien habe ich bewusst fast ganz ausgelassen, da ich viele der Länder dort schon von früheren Reisen gut kenne. SINGAPUR als ‚Drehkreuz’ war hauptsächlich durch die Flugpläne vorgegeben, nichtsdestotrotz freute ich mich auf die Stadt, die ich im Lauf der Jahre schätzen gelernt hatte. BALI habe ich ausgewählt, um dort endlich Freunde zu besuchen und HONGKONG, um einen ehemaligen jungen Kollegen wieder einmal zu treffen.
vor Bali
Nach fast genau sechs Jahren wieder einmal zu Besuch in der Stadt der Löwenhandicapped people