Über dieses Buch:

Südtirol im 15. Jahrhundert: Hagen und Frieder sind unterwegs nach Trient, um dort die junge Francesca abzuholen, die Wolf von Greifenberg als Braut versprochen wurde. Auf ihrem Weg werden sie Zeugen, wie eine junge Frau von einem aggressiven Mob fast gesteinigt wird. Hagen rettet dem Mädchen mit Frieders Hilfe das Leben und sie entkommen. Doch dann scheint plötzlich jemand hinter Hagen selbst her zu sein …

Über den Autor:

Roland Mueller, geboren 1959 in Würzburg, lebt in der Nähe von München. Der studierte Sozialwissenschaftler arbeitete in der Erwachsenenbildung, als Rhetorik- und Bewerbungstrainer und unterrichtet heute an der Hochschule der Bayerischen Polizei. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Kurzgeschichten, Kinder- und Jugendbücher.

Bei dotbooks erschienen bereits Roland Muellers historische Romane Der Goldschmied, Das Schwert des Goldschmieds, Das Erbe des Salzhändlers, Die Töchter des Pflanzenjägers und Der Fluch des Goldes sowie die Jugendromane Die abenteuerliche Reise des Marco Polo und Der Kundschafter des Königs.

Die erste Staffel der historischen Serie Der Clan des Greifen umfasst folgende Bände:

Erster Roman: Die Begegnung.
Zweiter Roman: Der Pakt.
Dritter Roman: Das Vermächtnis.
Vierter Roman: Das Erbe.
Fünfter Roman: Die Rache.
Sechster Roman: Das Spiel. 


Die zweite Staffel umfasst folgende Bände:

Erster Roman: Die Hexe.
Zweiter Roman: Der Betrüger.
Dritter Roman: Der Greif.
Vierter Roman: Die Verfolgten.
Fünfter Roman: Die Braut.
Sechster Roman: Die Liebenden.

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Originalausgabe Februar 2016

Copyright © 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Anja Rüdiger

Titelbildgestaltung: Nele Schütz unter Verwendung von shutterstock/Olga Rutko

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-516-7

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Roland Mueller

Der Clan des Greifen

Die Verfolgten

Staffel II – Vierter Roman

dotbooks.

Die Sonne über Pisa schien heiß, und die Menschen sehnten nach jedem Tag den Abend herbei. Denn dann kühlte die hitzeflirrende Luft ab und brachte die erhoffte Kühle für die Nacht. Die wohlhabenden Familien flohen in ihre Villen oder Häuser auf dem Land rund um die Stadt. So auch die Moratinis. Doch selbst dort hielt sich das Oberhaupt der Familie, Bruno Moratini, am ehesten in seiner Studierstube auf. Der Handelsherr plante seit längerem die Gründung eines Geldhauses, und nun waren die Vorbereitungen dafür so gut wie abgeschlossen. Er hoffte darauf, dass die Moratinis dann endgültig in die erste Garde der mächtigsten Familien von Pisa aufsteigen würden. Seitdem die Florentiner ihren Einfluss in der Stadt immer mehr ausweiteten, waren die Geschäfte nicht einfacher geworden. Aber die frisch gegründete Moratini-Bank würde dies zu nutzen wissen und mit Florenz gute Geschäfte machen.

Was Bruno Moratinis Sohn Lorenzo und dessen Verlobte Johanna zu Greifenberg anging, litten sie sicher weniger unter der Hitze als die älteren Herrschaften. Dafür stellte die ständige Anwesenheit der Schwester des Patriarchen die beiden jungen Leute auf eine harte Probe. Das Paar war so verliebt wie am ersten Tag, wurde aber von der argwöhnischen Tante mit Argusaugen überwacht. Die Patrizier, so musste Johanna rasch feststellen, verbaten so ziemlich alles, was sie zu Hause an heißen Sommertagen gerne gemacht hatte: ausgedehnte Streifzüge zu Pferd über das Land, ein Bad in einem der Flüsse oder der Seen, die Dressur ihrer geliebten Jagdhunde oder gar eine Falkenbeize. Zu Beginn ihres Aufenthaltes in Pisa hatte sie noch geglaubt, wenn schon keine Freundinnen oder Hofdamen sie begleiteten, könne ja Lorenzo deren Platz einnehmen. Aber auch das wurde ihr nicht erlaubt. Ein flüchtiger Kuss war das Äußerste, was die Schwester des Hausherrn gestattete. Und weil sie wie ein Schatten überall zu sein schien, flüchtete sich Lorenzo als Erster vor ihrer Aufsicht. Zuerst in die Arbeit für das Unternehmen, dann immer öfter zu langen Jagdpartien mit den reichen Erben anderer Familien. Nach wie vor ließ er sich daneben auch von den zahlreichen Provinzfürsten zu Gesellschaften einladen. Da er noch nicht verheiratet war, ging er allein dorthin. Dabei traf er immer öfter auf Leute, die von Johannas Liebreiz gehört hatten und sie unbedingt mit eigenen Augen sehen wollten. Dann musste Lorenzo die Neugierigen vertrösten. Bevor er und Johanna nicht unter der Haube waren, war an gemeinsame Auftritte in der feinen Gesellschaft nicht zu denken.

Johanna wartete jedes Mal mit wachsender Ungeduld auf ihren Verlobten, um ihn dann unter den Argusaugen der Tante mehr flüchtig und vor allem züchtig begrüßen zu dürfen. Dies alles gefiel ihr gar nicht, und sie empfand das Warten auf die bevorstehende Hochzeit allmählich als belastend. Ähnlich wie ihre ältere Schwester wäre sie in der Zwischenzeit gern wieder nach Hause zurückgekehrt, bis die Hochzeit dann tatsächlich anstand. Doch derart weite Reisen galten im Moment als gefährlich. In der Gegend um die Stadt Pisa hatten sich die Wanderarbeiter zum Aufstand erhoben, nachdem der Preis für Wein um fast drei Kreuzer pro Krug angehoben worden war. Johanna hoffte zwar ständig, noch aufbrechen zu können, doch immer öfter kamen ihnen Nachrichten über blutige Überfälle auf einsame Landgüter entlang des Arno zu Ohren. Sie wusste, dass ihre Mutter Hagen in Begleitung seines Burschen und Frieder in Richtung Süden geschickt hatte, um Wolfs zukünftige Braut nach Greifenberg zu geleiten. Ein Brief mit dieser jüngsten Nachricht, von ihrer Mutter geschrieben, hatte sie durch einen Boten etwa eine Woche nach dem Aufbruch erreicht. Und nach wie vor erhielt sie auch Briefe von ihrer Schwester Friederike aus deren zukünftiger Heimat Weil.

So saß Johanna an diesem Nachmittag im Garten unter einem schattenspendenden Baum und schrieb wieder einmal an ihre Mutter. In diesen Briefen konnte sie sich all die Kümmernisse von der Seele schreiben, weil sie wusste, dass Eleonore ihr immer tröstend antworten würde. Als plötzlich ein Schatten auf das Pergament fiel, blickte sie auf. Vor ihr stand ihr zukünftiger Schwiegervater. Wie immer elegant gekleidet, trug er trotz der Hitze ein Barett auf dem Kopf, und die Ärmel seines knielangen Gewandes, die mit feiner Spitze eingefasst waren, endeten erst an seinen Handgelenken.

»Ich wollte Euch keineswegs stören, mein Kind«, begann Bruno Moratini.

Johanna strahlte ihn an. »Das habt Ihr nicht, lieber Herr.«

So nannte sie ihn immer: „Lieber Herr“, und wie immer lächelte er geschmeichelt bei ihrer Anrede. Moratini blickte sich um, als suche er nach etwas.

»Wollt Ihr Euch ein wenig zu mir setzen?«, fragte Johanna höflich, und er nickte sofort zustimmend, bevor er an der Schmalseite des kleinen Tisches Platz nahm.

Ein Dienstbote, der in gebührendem Abstand gewartet hatte, entfernte sich, als ihn der Hausherr mit einer Handbewegung entließ.

»Es kommt nicht oft vor, dass wir uns unter vier Augen unterhalten können«, begann Moratini.

»Nein, mein Herr.«

Mehr sagte Johanna nicht, und eine plötzliche Verlegenheit ließ nun sie sich nach allen Seiten umblicken.

»Eure Schwester, mein Herr, die Signora, wird gleich bei uns sein.«

»Nein, das wird sie nicht.«

Moratini lachte vergnügt, als er Johannas verwunderten Gesichtsausdruck sah.

»Ich habe sie mit meiner Frau auf den Markt geschickt. Vor dem späten Nachmittag werden die beiden keinesfalls zurück sein. Bei Secundo unweit des Doms soll es Genueser Taft geben.«

Johanna sah ihn verwundert an. »Aber handeln die Moratinis nicht selbst mit Taft?«

Moratini lachte fröhlich.

»Von jeher waren die Waren der Konkurrenz verlockender als die unseres eigenen Hauses. Zumindest in den Augen unserer Frauen. Aber vielleicht ist genau dieser Umstand der Grund für unseren Erfolg als Tuchhändler.«

Als Johanna ihn fragend anblickte, begann Moratini zu erzählen.

»Die Frauen in unserer Familie haben schon immer die Konkurrenz aufs Genaueste beobachtet, um dann ihren Männern in den Ohren zu liegen, sich an der Qualität der anderen Händler ein Beispiel zu nehmen. Oder am besten gleich noch bessere Stoffe anzubieten.«

Als er lachte, fiel Johanna mit ein. Das Gespräch gefiel ihr, auch wenn sie im Moment noch nicht wusste, was ihr zukünftiger Schwiegervater eigentlich von ihr wollte.

»Und Ihr erwartet nun, dass ich als die Ehefrau Eures Sohnes diese Tradition fortsetze, ja?«

Moratini lachte nun nicht mehr. Sein Blick war auf einmal ernst.

»Nein. Nein, mein Kind, keineswegs. Ihr seid keine solche Frau. Ihr seid anders. Und darüber bin ich sehr froh.«

Seine Worte verwirrten sie ein wenig. Moratini schürzte die Lippen, bevor er weitersprach.

»Habt Ihr noch Freude an dem Pferd, das Euch mein Sohn geschenkt hat?«

Johanna nickte eifrig. »Oh ja, es ist ein wundervolles Tier. Ich reite es, wann immer ich kann.«

»Also jeden Tag habe ich mir sagen lassen«, sagte Moratini freundlich.

Als sie zustimmend nickte, zupfte er seine Ärmel zurecht und rückte ein wenig umständlich seinen kurzen, prächtig verzierten Dolch am Gürtel gerade.

»Johanna ...«

»Ja, mein lieber Herr?«

»Wir werden reisen.«

Sie blieb stumm. Das konnte wieder nur bedeuten, dass es noch einsamer in diesem prächtigen Palast werden würde. Aber Moratini winkte gleich ab, als er ihr enttäuschtes Gesicht sah. »Keine Sorge, Ihr sollt uns dieses Mal begleiten.«

»Wirklich?«, fragte sie nun überrascht.

»Ja. Wir wollen nach Konstanz.«

Johanna wusste nicht, was sie sagen sollte, als Moratini bereits weitersprach.

»Der Bischof von Florenz wollte schon vor Wochen mit aller Pracht in der Stadt einziehen. Begleitet von den vornehmsten Familien Pisas wie der unseren, von den Scarfagas und den Bellinis. Doch wir haben lange Zeit nichts von ihm gehört.«

Johanna nickte stumm, und Moratini fuhr fort.

»Doch nun habe ich erfahren, dass er in den Rang eines Kardinals erhoben wurde. Und nun will Scarpa als Kardinal noch einmal Hof halten, bevor er sich in die Abgeschiedenheit des Konklaves zurückzieht.«

»Es wird also doch einen neuen Papst geben?«

Moratini lächelte. »Ja, das wird es, mein kluges Kind.«

Er erhob sich von seinem Platz, zog ein kleines Tuch aus einem seiner weiten Ärmel, hielt es sich unter die Nase und schnupperte daran. Johanna wusste um seine liebe Angewohnheit, ein paar Tropfen Lavendelöl auf den Stoff zu geben, um sich dann, so wie jetzt, damit die Stirn und das Gesicht zu betupfen. Dann trat er langsam auf sie zu, bis er plötzlich vor ihr stehen blieb. Johanna wunderte sich über sein Zögern. Dann fasste er sie mit den Händen an den Schultern, beugte sich zu ihr und küsste sie sanft aufs Haar.

»Von jeher haben wir Moratinis Freude an schönen Dingen gehabt und sie deshalb gesammelt«, begann er.

Seine Hände unterstrichen mit einer Bewegung, dass er die prächtige Villa inmitten des großen Gartens meinte.

»So waren sie sicher vor den Augen der Neider und den gierigen Händen der Diebe.«

Er seufzte tief. »Aber Ihr, mein Kind, seid die erste Kostbarkeit in meinem Haus, die man nicht einsperren kann.«

Johanna lächelte gerührt.

»Ihr seid für mich wie eine Tochter, die ich nie hatte, und ich bin stolz darauf, dass mein Sohn ein so wunderschönes Mädchen wie Euch zur Frau bekommt.«

Er ließ sie los. »Aber ich muss Euch gestehen, ich habe Angst.«

Sie nahm seine Hand. »Aber wovor, mein Herr?«

»Scarpa.«

Er blickte sich um und sah dann erneut Johanna an.

»Er ist Kardinal geworden, und es ist geradezu gespenstisch, wie schnell dies geschehen ist. Er muss viele Helfer haben, darunter andere Kardinäle, die auf seiner Seite stehen. Auch wenn ich ihn nicht mag, muss ich mich gut mit ihm stellen.«

»Weil das zukünftige Bankhaus Moratini mit ihm Geschäfte machen will?«

Der Handelsherr unterdrückte nur mühsam sein Erstaunen. Dieses Mädchen war um keine Antwort verlegen.

»Ja, so ist es.«

»Daran sehe ich nichts Verwerfliches.«

»Nein.« Moratini lachte. »Natürlich ist mir Scarpas Geld gut genug. Genauso wie das Geld jedes anderen Kunden.«

Nun seufzte er tief.

»Aber Scarpa ist gefährlich. Er führt etwas im Schilde, von dem niemand weiß, was es sein könnte. Das macht ihn unberechenbar wie eine giftige Viper.«

Er versuchte erneut ein sorgloses Lachen, was ihm jedoch nur halbherzig gelang.

»Als Geschäftsmann will ich immer gern wissen, woran ich bin. Das Einzige, was ich sicher weiß, ist, dass wir die Gefährlichkeit des Kardinals nicht unterschätzen dürfen.«

Er sah sie an. »Aber ich denke, ich langweile Euch, mein Kind.«

»Nein, das tut Ihr ganz und gar nicht. Bitte sprecht weiter.«

Moratini stellte erneut fest, wie sehr er dieses Mädchen ins Herz geschlossen hatte. Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest.

»Konstanz gleicht einem Hexenkessel, und in dieser Stadt, in diesen Zeiten, ist Scarpa nicht einfach so Kardinal geworden, weil es der Himmel oder das Schicksal so gewollt haben. Nein, er hat nach diesem Amt gestrebt und nun noch mehr Macht angehäuft als zuvor. Eines weiß ich aber sicher: Wer in seine Hände gerät, ist in großer Gefahr. Er muss damit rechnen, dass ihn dieser Kirchenmann zerquetscht wie ein rohes Ei.«

»Ihr habt also Angst vor dem Kardinal, mein Herr?«

»Nein, ich habe Angst um Euch, meine Tochter. Dass Ihr in Scarpas Fänge geratet und ich es mit ansehen muss. Denn dann kann Euch niemand beschützen und ...«

Er schwieg und schüttelte bei dieser Vorstellung den Kopf.

Johanna sah, dass er etwas heftiger atmete, dann wie in Gedanken mit einer Hand über sein Gewand strich, bevor er sie wieder anblickte.

»Tut nichts Unüberlegtes. Versprecht mir das, mein Kind, ja?«

Als sie es fast feierlich versprach, küsste Moratini sie noch einmal sanft auf die Stirn, bevor er sich umdrehte und langsam davonschritt. Johanna blieb ein wenig ratlos zurück und sie blickte ihm nach, bis er zwischen den grünen Hecken des prächtigen Gartens verschwunden war.

***

Der Ritter Hagen ritt voraus, gefolgt von Frieder zu Pferd. Dann kam Michel, ebenfalls reitend, der ein schwerbeladenes Packpferd mit sich führte. Manchmal wechselten die beiden jungen Männer sich in der Reihenfolge ab, und statt Frieder war es dann Michel, der in Hagens Nähe ritt. Dann redeten sie über Gott und die Welt miteinander. Oft genug trabten sie aber auch nur Stunde für Stunde schweigsam dahin. So waren sie seit Tagen unterwegs, immer den schmalen Wegen und Straßen Richtung Süden folgend mit dem Ziel, die Braut des Herrn von Greifenberg abzuholen und sicher in die Burg ihres Zukünftigen zurückzugeleiten. Ihr Ziel war Trient. Von dort aus wäre es dann nur noch eine knappe Tagesreise zu dem Landgut, auf dem die zukünftige Frau des Grafen lebte.

Es war der Wunsch des seligen Wolfram von Greifenberg gewesen, dass alle seine Kinder gemeinsam auf der väterlichen Burg ihre Hochzeit feiern sollten. Außer Frieder, dem ein Posten als Gesandter an einem der Fürstenhöfe zugedacht war.

Auf dieser Reise war Frieder die meiste Zeit in Gedanken versunken. Anfangs war er wütend über seine Rolle des gehorsamen Knappen gewesen. Inzwischen aber hatte er Hagens Bedingung akzeptiert. Weniger mit dem Gedanken, für all das zu büßen, was er zusammen mit seinem Bruder angestellt hatte, sondern aus echter Dankbarkeit heraus. Er fand, dass ihn der Ritter verstand, ohne dass er darum viel Aufhebens machte. Und noch etwas hatte Frieder festgestellt: Er schätzte Hagen, und der Respekt ihm gegenüber war groß. Doch der junge Edelmann war auch stolz, und genau dieser Stolz verbat es ihm, Hagen so etwas wie Zuneigung zu zeigen oder ihm dies gar zu sagen.

Michel dagegen tat eifrig alles, um sich in den Augen seines Herrn und Gönners zu bewähren. Kein noch so barsches Wort, keine Ungeduld, kein Spott konnten die Hingabe zu Hagen schmälern. Für Michel war der Ritter Held, Vater und Heimat in einer Person. Zu Frieder hielt Michel weiterhin höfliche Distanz, was noch immer von der Erinnerung an ihr erstes Zusammentreffen herrührte, als der jüngere Sohn des Grafen zu Greifenberg ihn bei einer Waffenübung beinah getötet hätte. Dazu kam, dass sich Michel schwer damit tat, dass Frieder im Moment nicht mehr war als er selbst: der einfache Bursche eines Ritters.

So ritten sie jeden Tag viele Stunden, nur hin und wieder unterbrochen von einer kurzen, stillen Andacht vor einem namenlosen Wegkreuz oder wenn sie die müden Pferde verschnaufen und trinken ließen.

Am vierten Tag ihrer Reise erreichten sie die Gegend um Trient. Obwohl sie die Stadtmauer in der Ferne bereits erkennen konnten, ließ Hagen anhalten und die Pferde an einem kleinen Weiher tränken und dann absatteln. Michel kam der Anweisung sofort eilfertig nach. Frieder dagegen ließ sich Zeit.

»Hagen ...«

»Herr Hagen, Frieder. Ein Bursche spricht seinen Herrn immer respektvoll an. Denk daran und vergiss es nicht ständig.«

»Ich werde es versuchen!«

Frieder bemühte sich, ruhig zu bleiben, und begann erneut.

»Herr Hagen, erlaubt Ihr mir eine Frage?«

Der Ritter betrachtete statt Frieder das weite Land vor sich. Dann sah er ihn an und nickte zustimmend.

»Warum halten wir?«, begann Frieder. »Bis in die Stadt ist es nicht mehr weit. Ich kann ja bereits die Kirchenglocken hören.«

Frieder wartete auf eine Antwort, und auch Michel hatte seine Arbeit unterbrochen. Doch der Ritter räusperte sich nur vernehmlich, und als sein Blick Michel traf, griff der Junge sogleich eilfertig nach dem schweren Sattel seines Herrn und schleppte ihn in den Schatten eines mächtigen Baums.

»Die Stadt ist mir nicht geheuer«, begann Hagen dann, »man erzählt sich allerlei.«

Er nahm auf einem umgestürzten Baumstamm Platz und trank aus seinem Wassersack. Dann wischte er sich mit dem Handrücken den Mund ab und nickte wie in Gedanken.

»Ich habe ein ungutes Gefühl, und darum möchte ich diesen Ort lieber meiden.«

»Trügt Euch denn Euer Gefühl nie, Herr Hagen?«

Der Ritter sah auf und sah Frieder an.