Verena Brunschweiger

Fuck Porn!

Verena Brunschweiger

Fuck Porn!

Wider die Pornografisierung des Alltags

Verena Brunschweiger
Fuck Porn!
Wider die Pornografisierung des Alltags
© Tectum Verlag Marburg, 2013
(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-3153-7 im Tectum Verlag erschienen.)
eISBN: 978-3-8288-5671-4
Mobi ISBN: 978-3-8288-5672-1

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Inhalt

0.Einleitung

1.Feminismus und Gender Studies

Frauengeschichte im Licht der Gender Studies

Ikonen und Strömungen des Feminismus im 20. Jahrhundert

2.Gender – Chancen und Probleme eines Begriffs

Die kleinen Unterschiede zwischen Feminismus, Frauenforschung und Gender Studies

Geschlecht und Sprache

Frauenbildforschung

Diskursanalyse und Dekonstruktion

Queer Studies

Weitere Strömungen

Die Notwendigkeit politischer Einheit

Die Ignoranz gegenüber »Frauenkrankheiten«

Rollenkorsette formen Körper wie Chancen

Jenseits der Heterosexualität

2.Pornografie

Die falsche Toleranz für Pornos

Das Objekt Frau

Psychische und physische Auswirkungen auf Konsumenten

Reaktionen

Frauen als »Mittäterinnen«

Die Pornowelt wird unsere Welt

Die Pornografisierung der Frau in der Öffentlichkeit

Der Schönheitsmythos – Aussehen ist alles

Stichwort Alter

Nichts ist positiv an der Pornografie

3.Prostitution

Physische und psychische Auswirkungen der Prostitution

Prostitution in Politik und Gesellschaft

Die Gründe der Freier

Die Leidtragenden sind alle Frauen

4.Die Welt der Arbeit

Frauen in Männerdomänen?

Warum Unternehmen handeln müssen

Exkurs: Die (arbeitende) Mutter

Die Abwertung von Frauenarbeit

Der frauengerechte Arbeitsplatz

Grundlagen der Gleichstellungspolitik

Schwierigkeiten mit der Sprache

Mehr Selbstbewusstsein als Schlüssel zum Glück

5.Die Welt der Kultur

Frauenbilder in der Unterhaltungsliteratur

Das postfeministische Frauenbild oder der Backlash

Frauenbilder in der italienischen Literatur

Gibt es Alternativen?

»Traumfrau«: Jung und Barbie-Maße

Rollenverständnis im Film

Traumfigur auf Rezept

Exkurs: Geschlecht und Gesundheit

Frauen in der Welt der Oper und im Theater

Die Überlieferung misogyner Darstellungen

Aufbrechen der Geschlechtsidentitäten in der Oper?

6.Resümee

Literaturverzeichnis

Bildnachweis

0. Einleitung

Anlässlich der Examensfeier derjenigen jungen Frauen und Männer, die erfolgreich ihr Lehramtsstudium abgeschlossen hatten, haben sich Familie, Freunde und natürlich die Absolventen selbst in Schale geworfen und im Großen Sitzungssaal des Dekanats eingefunden. Einleitend beginnt der Rektor seine Rede mit dem Hinweis auf das Poster einer »netten jungen blonden Dame«, das die Gänge des Zentralen Hörsaalbereichs ziert. Er habe überlegt, sie als Rednerin für diesen Abend zu werben, nachdem sie ohnehin im Audimax eine Lesung veranstaltet, aber nach einigem Herumfragen habe er davon abgesehen, nachdem er die Branche der jungen Dame herausgefunden hatte. Es handelte sich um Gina Wild. Gelächter im Publikum. Der Redner lächelt verschmitzt, wartet ein paar Sekunden, dann fährt er fort, reiht langweilige Pauschalaussagen aneinander und kippt anschließend noch ein Glas Sekt, bevor er sich verabschiedet. Bravo!

Zum Glück haben nicht alle gelacht. Vor allem die Frauen konnten mit dieser, ach so witzigen, Einleitung doch weniger anfangen und manche fragten sich, wozu sie jahrelang studiert haben, wenn der eigentliche Star an diesem Abend der Pornostar ist. Subtile oder auch ganz offene Abwertungen von Frauen ereignen sich leider nach wie vor jederzeit und überall. Dieses Buch wird viele Alltagsbeispiele präsentieren, sie mit gängigen Theorien zur Geschlechterforschung in Bezug setzen und Handlungsmöglichkeiten vorschlagen. Denn trotz all der sexistischen Darstellungen, die uns auf Schritt und Tritt begegnen, bleibt die Hoffnung auf eine Welt, in der Frauen tatsächlich so gesehen werden, wie es zahlreiche Institutionen als Lippenbekenntnis bereits formuliert haben – nicht als Objekte, sondern als gleichberechtigte Persönlichkeiten.

Fuck Porn! versteht sich in erster Linie als politische Streitschrift. Nach einem Überblick über erste feministische Erfolge werden die ganz realen, leider immer noch vorhandenen Benachteiligungen, denen Frauen im Alltag ausgesetzt sind, aufgezeigt. Diese sind manchmal so subtil, dass man sie nicht auf den ersten Blick erkennt. Daher trägt dieses Buch dazu bei, den Leserinnen und Lesern anschaulich vor Augen zu führen, was beispielsweise die Pornografie mit (oder sogar aus) ihnen macht. Erst wenn man Ungerechtigkeiten bewusst wahrnimmt, kann man sie bekämpfen und unsere Welt zu einer auch für Frauen wirklich lebenswerten machen.

Kaum ein anderes Thema erhitzt die Gemüter so sehr wie die Geschlechterfrage. Und zu kaum einem anderen Thema fühlt sich jeder berufen, etwas zu sagen. Na klar, jeder ist doch selbst eine Frau oder ein Mann und erlebt tagtäglich Dinge, die dazu ermächtigen, mitzureden. Egal, was die Debatte auslöst – sei es ein Scherz in der Teeküche des Betriebs oder die neueste Idee der deutschen Familienministerin – die Wellen der Erregung schlagen hoch und man bemerkt sofort, dass dieses Thema auch eines der heikelsten ist, weil es die Menschen direkt betrifft und ihre persönlichen Emotionen und Überzeugungen hierbei eine größere Rolle spielen als bei vielen anderen Themen.

Nicht wenige Leute sind der Ansicht, der Feminismus sei eine überholte, altmodische Angelegenheit, die von ein paar betagten Emanzen zwar noch betrieben wird, aber an und für sich überflüssig ist, weil man doch alles erreicht habe, was man sich als Frau nur wünschen könne: arbeiten, verhüten, wählen, alles wie es der jeweiligen Frau gerade am besten passt. Scheinbar.

Ich meine, dass dieses schöne Bild von hässlichen Rissen durchzogen wird. Dass es gesellschaftliche Mechanismen gibt, die Frauen den Alltag erschweren, die sie Situationen aussetzen, in denen sie lieber nicht wären. Diese Risse möchte ich aufspüren in verschiedenen Bereichen des Lebens. Vor allem in dem Bereich, der die angeblich gleichberechtigte Sexualität der Frauen betrifft (Kapitel 3 und 4), dann auf dem Terrain des Arbeitsmarktes (Kapitel 5) und auf dem Gebiet, das die gestresste Arbeitnehmerin unterhalten und entspannen soll – der Kultur (Kapitel 6).

An allererster Stelle wird hier allerdings die Hommage an die »echten«, im Aussterben befindlichen Feministinnen stehen. Während der erste Teil des ersten Kapitels den historischen Hintergrund und die Ergebnisse der Gender Studies nachzeichnet, schließt das zweite Unterkapitel eine Galerie der wichtigsten feministischen Streiterinnen des 20. Jahrhunderts und ihrer Errungenschaften an. Zahlreiche Frauen haben sich jahrzehntelang, mit teilweise unglaublichem Einsatz für mehr Gerechtigkeit und ein besseres Leben für alle Frauen stark gemacht. Ihre Arbeit hat eine Grundlage geschaffen, auf der man heute sagen kann, es ist viel erreicht worden, die wichtigsten Grundrechte habe in Deutschland jede Frau. Nichtsdestotrotz liegen noch mehr Dinge im Argen, als man es sich träumen lässt. Und damit ist weitaus mehr gemeint als die gerechte Verteilung der Hausarbeit und die Entscheidung für oder gegen Kinder.

Thomas Eakins: Porträt der Amelia van Buren, um 1891

1. Feminismus und Gender Studies

Frauengeschichte im Licht der Gender Studies

Vor dem 20. Jahrhundert gab es bekanntlich wenig zu lachen für die weibliche Hälfte der Bevölkerung. Selbst die adeligen Damen des 19. Jahrhunderts bewegten sich in eng gesteckten Kreisen und waren in der Regel in ihren Entscheidungen und Taten nur bedingt frei. Im 18. Jahrhundert, also zur Zeit der Aufklärung, wurde die Menschheit von großen Philosophen wie Immanuel Kant dazu aufgerufen, sich aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien, das heißt, selbständig zu denken und sich somit zu emanzipieren. Leider galt das nur für eine Hälfte der Bevölkerung – die männliche. Kant und andere Philosophen und Schriftsteller, zum Beispiel Friedrich Christian Daniel Schubart und Joachim Heinrich Campe, zeigen sich zu dieser Zeit wenig überzeugt von weiblichen Fähigkeiten und fordern eine gesonderte, auf ihre Bedürfnisse und ihre reale Zukunft ausgerichtete Erziehung für Frauen. Campe rät seiner eigenen Tochter, ihre Zeit nicht unnütz mit dem Erlernen von Fremdsprachen zu verschwenden, die ihr in ihrer Rolle als bürgerlicher Hausmutter nicht weiterhelfen werden. Nicht nur sinnlos, sondern sogar schädlich könne sich beispielsweise das Französischlernen auf die junge Frau auswirken! Schubart seinerseits macht sich über die »Gelehrten Weiber« lustig, die sich zu Kritikerinnen der Literatur und Kunst aufschwingen wollen – eine Anmaßung, die er unverschämt findet und daher unterbinden möchte.

18. Jhdt. – »Erfindung« des weiblichen Geschlechts

Der Gebärmutter gibt man die Schuld an dem oft irrationalen Verhalten der Frauen, weshalb man letztere auch nicht zum Studium zulassen möchte. Diese Erkenntnis wird von den Medizinern ihren Fachkollegen aus anderen Wissenschaften (wie eben der Philosophie) zur Verfügung gestellt. Einig sind sich die führenden Köpfe der Zeit in ihrer Abwertung des Weiblichen, das sie als grundsätzlich anders und damit leider untauglich für anspruchsvollere geistige Tätigkeiten ansehen. Der neutrale, normale Raum des Wissens ist der des Mannes, der als moderner Mensch auftritt. Oft wird vergessen, dass jahrhundertelang das so genannte Ein-Geschlecht-Modell vorherrschte, wonach die Frau eine Variante eines grundlegenden Typus von Mensch darstellte: nur dass bei ihrem Körper das beim Mann nach außen gekehrte Geschlechtsorgan nach innen gestülpt ist.

Im 18. Jahrhundert aber setzt sich die Aufteilung auf exakt zwei Geschlechter, die ganz unterschiedlich sind, durch. Dies gelang, indem Natur- und Geisteswissenschaften, Bildungssystem und Kultur – allesamt unter männlicher Führung – eng zusammenarbeiteten, um »wissenschaftlich« zu belegen, dass Frauen anders und vor allem weniger wert seien. Angesichts der sich verändernden Gesellschaft war dies notwendig, um die Frauen kontrollieren zu können. Zwar sollte der Bürger jetzt an der Regierungsgewalt beteiligt werden, nicht aber die Bürgerin! Von ihr wünschten sich selbst ansonsten sehr fortschrittlich gesonnene Denker der Aufklärung nach wie vor eine Beschränkung auf die heimisch-häusliche Sphäre. Freiheit und Gleichheit betrafen die Männer und den angestrebten Abbau der starken Schichtunterschiede, nicht aber die Kategorie Geschlecht.

19. Jhdt. – Prägung kultureller Kategorien

Das neue Interesse an einem eigenständigen weiblichen Geschlecht spiegelt sich auch in der Entstehung einer neuen Disziplin – der Gynäkologie. Sie spaltet sich circa 1820 von der Anthropologie ab. Davor hatte man, wie teilweise noch heute, den Mann als Norm im Kopf, wenn man »ganz allgemein« vom Menschen sprach. In den 1860er-Jahren trennt man Sexualität, Fortpflanzung und Biologie, sodass Sexualität und Geschlecht jetzt auch kulturelle Kategorien werden konnten. Es kündigte sich so also bereits die unheilvolle Spaltung der Frauen an, die im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt findet und in der Zweiteilung Hure-Heilige gipfelt. Sexualität ist nicht mehr zwangsweise mit der Reproduktion gekoppelt. Das heißt, es gibt Frauen, die geheiratet werden, mit denen eine Familie gegründet wird und es gibt die andere Gruppe, der alle Unverheirateten angehören und natürlich die, welche man nicht heiraten kann oder will, die Prostituierten beispielsweise. Dazu passt perfekt das Zwei-Geschlechter-Modell, das die leidenschaftslose Empfängnis propagiert, was das Bild der bürgerlichen Frau bestätigt, die (wenn überhaupt) eine eher geistige Auffassung des Sexuellen vertreten sollte.

Noch Ende des 19. Jahrhunderts befinden sich Frauen aufgrund dieser Vorgeschichten in einer Situation, die es ihnen anders als den Männern nicht erlaubt, an allen Lebensbereichen teilzuhaben. Sie haben oft überhaupt keine Wahlmöglichkeiten und werden aufgrund ihrer Herkunft in die Rollen gepresst, die schon ihre Mütter leben mussten. Bürgerliche Mädchen blieben Jungfrau, bis ein nach Bordellbesuchen und anderen unehelichen Beziehungen müder Mann sich ihrer erbarmte und sie vor den Altar führte. Dies heißt nicht, dass er sich danach der Treue verschrieb, im Gegenteil, außereheliche Vergnügungen der Männer waren an der Tagesordnung und auch absolut akzeptiert. Arbeit außerhalb des Hauses kam für die wenigsten Frauen in Frage. Kinder, Küche und Kirche sollten ihre Zeit ausfüllen.

20. Jhdt. – Aufbegehren der Frauen

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts aber kam die erste Phase der Frauenbewegung. Die so genannten Suffragetten kämpften für das allgemeine Wahlrecht, damit nicht mehr nur männliche Bürger die Politik beeinflussen durften. Nach langem Ringen gewannen diese mutigen Frauen, gegen die teilweise unheimlich brutal vorgegangen wurde. Eine der wichtigsten und bekanntesten Pionierinnen ist Emmeline Pankhurst, die 1903 die Women’s Social and Political Union gründete. Diese Frauenbewegung, die in Manchester begann, praktizierte hauptsächlich gewaltlosen Widerstand. Manche Mitglieder, unter anderem Pankhursts eigene Tochter, griffen aber zu radikaleren Methoden, um sich Gehör zu verschaffen. Sie verübten beispielsweise Anschläge in London. Immer wieder wurden sie inhaftiert, beschimpft, bespitzelt und kriminalisiert. Viele »Rädelsführerinnen« bezahlten ihren Einsatz mit ihrer Gesundheit – physisch und psychisch. Pankhurst war wegen ihrer Hungerstreikaktionen sehr oft in äußerst schlechtem Zustand. Aber der Einsatz zeigte Wirkung: das Parlament in London beschäftigte sich mit der Frage der aufgebrachten Frauen und ab 1918 durften alle Frauen über 30 zur Wahlurne schreiten. Das Anliegen der Suffragetten wurde als Anmaßung und Angriff auf ein Privileg der Männer begriffen. Auch dieses Stigma haftete von Anfang an den Frauen, die sich für ihre eigene Sache engagierten, an: man versuchte sie zu demütigen, indem man ihnen »echte« Weiblichkeit absprach. Diese »Weiblichkeit« sah man darin, zu kuschen und den Zustand zu akzeptieren, in dem sich die Welt befand.

Frauenbildung

Bald sollten Frauen auch studieren dürfen, was im 19. Jahrhundert noch erbittert bekämpft wurde. Man bemühte bis ins 20. Jahrhundert hinein pseudowissenschaftliche Studien, die beweisen sollten, dass das Gehirn der Frauen dazu nicht ausreiche. Diese Studien behaupteten, dass sie durch ein Studium unfruchtbar werden könnten und ähnlichen Humbug.

Dennoch war der Drang von Frauen in die Bildungsinstitutionen unaufhaltsam. Sie eroberten die Universitäten in einem Maße, dass heute sogar ein leichtes Überwiegen der Studentinnenanzahl in Deutschland herrscht. Schon am Beginn des 20. Jahrhunderts also kämpften Frauen aktiv dafür, Dinge tun zu dürfen, die für Männer schon immer eine Selbstverständlichkeit waren. Sie wehrten sich dagegen, sich von Männern in Kategorien pressen zu lassen – Hexe, Hure, Heilige, Heimchen am Herd etc. Sie versuchten, Aspekte abzuschütteln, die im Laufe der langen Jahrhunderte mittels Zuschreibungen von Wissenschaft, Religion und Kultur Teil ihrer Identität geworden waren oder hätten sein sollen – zumindest wenn es nach der Mehrheit der Männer gegangen wäre.

Bestes Beispiel ist hier Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, der die Hysterie als vornehmlich weibliche Krankheit festschrieb. Die Verdrängung des sexuellen Erlebens sei typisch für die weibliche Sexualentwicklung, so Freud, und führe nicht selten zur Hysterie. Die Frauen, die dem bürgerlichen Ideal der reinen, tugendhaften Frau nicht entsprachen, wurden als bedrohliche Hysterikerinnen in Anstalten gesteckt, wo sie zu Untersuchungsobjekten von Psychiatern wurden. Freud sah sie als vom Unbewussten geleitet, ihren Trieben unterworfen und absolut irrational. Die Gender Studies analysieren nun Freud selbst dahingehend, dass seine Angst vor Frauen in Wirklichkeit mit seinen Irritationen aufgrund der modernen Lebenswelt zusammenhing. Seine Vorstellung von Weiblichkeit spiegelt jene Aspekte, die ihm selbst Angst machten. Mit seiner Erfindung der Hysterie als fest umrissenes und vorrangig weibliches Krankheitsbild bewältigte er auch die eigenen Unsicherheiten. Wenn man allen Frauen Hysterie unterstellt, kann man sich als Mann wieder zurücklehnen. Man geriert sich selbst als Rätsel lösender Ödipus, der in der Lage ist, verbindliche Weiblichkeitsbilder zu entwerfen. (Eine Urphantasie ist nach Freud der Inzest wie in der Ödipus-Sage. Dem griechischen Helden wird prophezeit, er werde seinen Vater töten und seine Mutter heiraten. Ihre Hand gewinnt er dadurch, dass er das Rätsel der Sphinx löst.) Freud schreibt ebenso wie sein Schüler C.G. Jung Geschlechterpositionen fest und tut nichts dafür, die Lage von Frauen in irgendeiner Weise zu verbessern – ganz im Gegenteil.

Frauenbild der NS-Zeit

In den 1930er-Jahren versuchten die Nationalsozialisten, die Frau auf ihre Gebärmutter zu reduzieren, und jeder denkt sofort an die Aufrufe, dem Führer ein Kind zu schenken oder an Goebbels Verehrung der großen, blonden Schauspielerinnen, die die ideale Arierin verkörpern sollten. Ihre nobelste Aufgabe wurde darin gesehen, Mutter zu werden: Mutter eines Helden, der die Menschheit erlösen wird. Die Anklänge an die Geschichte von Jesus Christus sind nicht zufällig! Schon immer war man bemüht, die Identifikation von Frauen mit gesellschaftlich vordefinierten Rollenbildern möglichst attraktiv zu machen. So konnten all jene, die nicht mitdachten, eingelullt und geködert werden für Projekte, die letztendlich die Frauen nur benutzten. Und viele hatten so auch noch Erfolg! Denn nicht wenige Frauen tendierten dazu, sich mit scheinbar bequemen, althergebrachten Rollenbildern zu identifizieren und somit den Männern in die Falle zu gehen.

Immerhin war bis in die 1950er-Jahre hinein die Heirat einer Frau gleichbedeutend mit der Aufgabe ihrer Berufstätigkeit. (Beispielsweise durften um 1905 herum nur unverheiratete Lehrerinnen unterrichten.) Noch in den 1960er-Jahren musste ein Ehemann, wenn seine Frau »trotzdem« arbeiten wollte, eine Einverständniserklärung unterschreiben! Das änderte sich erst in den 1970er-Jahren grundlegend. Schließlich bestand die Gefahr, dass sie ihre eigentlichen Pflichten im Haushalt und bei der Kindererziehung vernachlässigen könnte – und daher rührt die unheilvolle Doppelbelastung vieler arbeitender Mütter, die teilweise durch die »Tradition« bedingt, immer noch im Durchschnitt um einiges mehr tun als ihre Männer.

Ikonen und Strömungen des Feminismus im 20. Jahrhundert

Immer wieder wird heutzutage festgestellt, dass sich niemand mehr an die Errungenschaften feministischer Pionierinnen erinnere. Gerade die jüngeren Leute seien einer bedenklichen Geschichtsvergessenheit anheim gefallen. Es folgt daher nun ein kurzer historischer Abriss, der berühmte Wegbereiterinnen und ihre Leistungen vorstellt. Außerdem dient der Überblick dazu, im Anschluss heutige Phänomene zu verorten und auch anders zu interpretieren.

Frauen – Das andere Geschlecht?

»Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht.« (Le Deuxième Sexe/Das andere Geschlecht). 1949 erschien das Buch »Das andere Geschlecht« von der französischen Philosophin, Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir (1908–1986). Sie beschreibt darin, wie Frauen von Männern gelenkt und bestimmt werden und dass sie als das titelgebende »andere, also zweite, nachgeordnete, Geschlecht« gesehen werden. Sie weist auch darauf hin, dass Frauen vor allem als Sexualobjekte für die Männer von Bedeutung sind. Mütter erziehen ihre Töchter anders als ihre Söhne, was unter dem Schlagwort der geschlechtsspezifischen Sozialisation aufgegriffen wurde. So mussten Mädchen eher im Haushalt helfen und wurden schon durch Spielsachen auf ihre künftige Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet. De Beauvoirs Buch entfaltete eine große Breitenwirkung und wurde auch in Deutschland viel gelesen und diskutiert. Die zentrale Botschaft bestand darin, dass sich das Geschlechterverhältnis ändern kann, beispielsweise durch eine andere Erziehung. Somit prägte de Beauvoir eine neue Einstellung, ein neues Selbstbewusstsein.

LITERATUR

Simone de Beauvoir: Le Deuxième Sexe (1949), Das andere Geschlecht. Reinbek 2000.

Deirdre Bair: Simone de Beauvoir. Eine Biographie. München 1990.

Jedes Individuum lernt, dass manche Verhaltensweisen für Frauen nicht dienlich sind, dass man sie als unangemessen betrachtet und infolgedessen sanktioniert. Das geht schon los beim normalen Gespräch: eine Frau soll sich eben anders als der Mann nicht breitbeinig hinsetzen und rüde das Gegenüber unterbrechen, sondern mit übereinander geschlagenen Beinen lächelnd und nickend dasitzen. Sprachwissenschaftler stellen heute noch fest, dass Frauen seltener Wortbeiträge bringen, die dazu angetan sind, Streit zu entfachen. Sie glätten im Gegenteil eher die Wogen, wenn die Stimmung zu kippen droht. (Dass es immer wieder Ausnahmen gibt, versteht sich von selbst. Hier werden lediglich starke Tendenzen beschrieben.) Daher ist Gianna Nannini, die italienische Rockerin, immer noch mit so einfachen Mitteln das Enfant terrible, das sich wohltuend abhebt von den blondierten Einheitssängerinnen. Indem sie beispielsweise keine kurzen Kleidchen trägt, sondern in Boots und Lederkluft zum Interview erscheint und ihre Füße auf den Tisch legt. Dass so ein Verhalten auch im 21. Jahrhundert noch provozierend wirkt, sagt schon viel.

De Beauvoir lehrt uns, dass die Gesetze und Vorschriften, die Frauen daran hindern sollen, aus dem Rahmen ihrer eng gesteckten Möglichkeiten auszubrechen, nicht in alle Ewigkeit fortbestehen müssen. Sie wurden irgendwann eingeführt – genauso gut kann man sie wieder abschaffen!

Auch vor de Beauvoir gab es bereits Vorläuferinnen, die männliche Doppelmoral und die Beschränkung der Frauen auf die häusliche Sphäre anprangerten. Beispielsweise die britische Erzieherin und Autorin Mary Wollstonecraft (1759–1797), die 1792 ihr Buch »A Vindication of the Rights of Women« herausbrachte, das sie als Vordenkerin der Gleichstellung von Mann und Frau bekannt machte.

Auszug aus A Vindication of the Rights of Women, Ausgabe 1796

1970er-Jahre

De Beauvoirs Buch war wegbereitend für die zweite große Welle der Frauenbewegung in den 1970er-Jahren: Nun kämpfte man um echte Gleichberechtigung und sexuelle Freiheit. Da gibt es beispielsweise die Orgasmus-Befreierinnen um die amerikanische Sexualwissenschaftlerin Shere Hite (geboren 1942), die auch die Existenz(berechtigung!) des weiblichen Orgasmus’ ins Bewusstsein der Menschen zu rücken versuchten. Im ersten so genannten Hite-Report aus dem Jahr 1976 stellte die Autorin fest, dass nur jede 3. Frau mit ihrem Mann einen Orgasmus hätte. Die Herren wären auch im Bett egoistisch und so wäre es kein Wunder, dass viel mehr Frauen masturbierten, als man bislang annahm. Für derartige Aussagen musste sich Shere Hite viele Anfeindungen gefallen lassen. Vor allem natürlich aus konservativen Kreisen, in denen die gleichberechtigte Sexualität der Frauen noch lange nicht angekommen war.

Das Recht auf Abtreibung wurde ebenfalls von den Feministinnen gefordert, eine scheinbar ganz selbstverständliche Sache, aber der Bauch einer Frau gehört eben doch nicht nur ihr! Erklärt man Mädchen diesen Sachverhalt, reagieren sie teilweise sehr erstaunt. Was, man dürfe nicht selber über seinen Körper entscheiden?! Ja, leider, liebe Kinder, willkommen in der Welt der erwachsenen Frauen, die nach wie vor Fesseln tragen, die sie sich teilweise selbst auferlegen, teilweise aber auch angelegt bekommen und die vielleicht manchmal weniger deutlich sichtbar sind als früher, deswegen in ihren Auswirkungen aber nicht weniger katastrophal sein können.

Feministinnen wie Germaine Greer (geboren 1939) sahen die Mutterschaft als solche weniger positiv, als es in konservativen Mutter-Ideologien und vorgeblichen Vergötterungen der Fall war – und ist! Wie schön haben es doch die Mütter, diese stillen Heldinnen der Nation, die das ganze Jahr nervige, lästige Arbeiten erledigen, die sich ständig wiederholen, die aber dafür immerhin ein Wellness-Wochenende geschenkt bekommen, an dem sie sich wieder für 363 Tage unbezahlte Arbeit fit machen können! Gerade Greer zeichnet sich in den Jahrzehnten ihrer Arbeit als Journalistin, Autorin und Professorin für englische Literatur aber auch durch unterschiedliche Auffassungen gerade zum Thema Mutterschaft aus. Schon in den 1970er-Jahren kämpfte sie jedoch gegen den Status der Frau als Sexobjekt und bemühte sich später, den älter werdenden Frauen mehr Selbstbewusstsein zu geben. Wird man durch seine Umwelt schon als »alte Schachtel« abgestempelt, kann man genauso gut die Vorteile des Alters entdecken und genießen. Neue Rollen wollen ausgelotet werden!

Radikalkritische Positionen

Natürlich gab es stets auch ein paar provokante Geister, die zur Vernichtung der Männer aufriefen, deren Einfluss aber logischerweise gering blieb, die auch nicht unschuldig sind an dem negativen Image, das sich das Volk vom Feminismus und Ausnahmevertreterinnen desselbigen gemacht hat. Leider werden die Ansichten einer Valerie Solanas (1936–1988), die Ehefrauen als Wärmflaschen mit Titten bezeichnet hatte, allen anderen Feministinnen in absolut unzulässiger Weise fälschlich übergestülpt, sodass man sie alle zusammen in Bausch und Bogen verdammen oder zumindest guten Gewissens auslachen kann. Solanas machte außer durch einen Mordversuch an Andy Warhol vor allem durch das SCUM-Manifest auf sich aufmerksam. Darin ist zu lesen, dass Männer nicht zu menschlichem Handeln fähig seien und daher »abgeschafft« werden müssten. Ebenso Frauen, welche die männliche Vorherrschaft unterstützen.

Neue Forschungsfelder

In den 1970er-Jahren entwickelte sich auch die Erforschung der Geschlechterverhältnisse deutlich weiter. Frauen- und Gender-Studien als Teile der Geistes- und Sozialwissenschaften wurden ins Leben gerufen. Nebenbei bemerkt – auch andere diskriminierte Gruppen wie Schwarze, Homosexuelle etc. bildeten zu dieser Zeit (neue) Emanzipationsbewegungen. Befreiung und Chancengleichheit waren Konzepte, für die sich in Europa und in den USA zahlreiche Gruppierungen einsetzten, mit Erfolgen, die aber auch noch nicht alle Probleme beseitigt haben. Wie lange wird schon an allen Fronten gegen Rassismus gekämpft? Trotzdem landen auch im Jahr 2013 noch Bananen beim Training vor den Fußballschuhen des schwarzen italienischen Nationalspielers Mario Balotelli…

Im Verlauf des Buches gibt es immer wieder Gelegenheit, die Verbindung von Sexismus zu anderen Unterdrückungen und Ungleichbehandlungen zu sehen. Beispielsweise werden schwarze Pornodarstellerinnen in den USA gerne in Fesseln gezeigt. Auch andere deutliche Anklänge an ihre mögliche Sklavinnenherkunft fehlen nicht.

1980er-Jahre

Die dritte Welle der Frauenbewegung begann in den 1980er-Jahren, größtenteils als Reaktion auf den so genannten »Backlash« – Aktionen der herrschenden männlichen Macht, um die Fortschritte der Frauen einzudämmen oder wieder zu beschneiden. Der Backlash könnte auch als konservative Antwort auf den echten Feminismus bezeichnet werden.1 Typisch dafür ist die Geschichtsvergessenheit, mittels welcher man bequem alle Feministinnen als verklemmte, hässliche, alte, verbitterte Frauen abstempeln kann. Das ist nichts anderes als eine besonders gemeine Strategie, um in Misskredit zu bringen, was die Lage aller Frauen deutlich und nachhaltig verbessert hat! Aber die historischen Erfolge und Befreiungsmomente – wie beispielsweise der bereits erwähnte lange, aber schließlich gewonnene Kampf um das Frauenwahlrecht – werden nicht mehr vermittelt, sondern (absichtlich) vergessen oder herabgespielt.

Antifeminismus der Gegenwart

Der Feminismus gehört ins Museum, scheinen Zeitschriften und andere populäre Medien zu sagen. Heute gebe es nur noch mündige Konsumentinnen, keine rassistischen oder sexistischen Diskriminierungen mehr – oder? Gerade die Zeitschriften sind voll mit falschen Darstellungen, Mythen und Klischees über Frauen. Da wird gerne von Frauen über 30 berichtet, die riesige Probleme haben, einen Partner zu finden. Entertainment, Lifestyle und Popkultur ergeben eine ungute Mischung, die beeinflussbaren Frauen suggeriert, die richtige Totalrasur sei wichtiger als das Ablehnen sexueller Handlungen, hinter denen man selbst nicht hundertprozentig steht. Die Frauen werden geschwächt durch die scheinbaren Ermächtigungen, die als Ersatz für den angeblich altmodischen Feminismus angeboten werden. Man hält zwar noch an einer medientauglichen Pseudo-Feminismus-Version fest, aber die Abwertung seiner Vorkämpferinnen als fette, haarige Lesbierinnen hat klar die Warnung an junge Frauen zum Ziel, sich gut zu überlegen, ob man wirklich abstoßend auf Männer wirken will… Statt die Leistungen der feministischen Pionierinnen zu würdigen, macht man sich lieber über deren oft ach so wenig reizvolles Aussehen lustig. Somit wird unterstellt – Vorsicht, wer sich feministisch engagiert, hat wohl offenbar keine Chancen bei Männern und nimmt sich aus Frustration einer Sache an, die doch mittlerweile überflüssig sei. Man darf als Frau längst arbeiten, wählen und konsumieren, wo ist denn dann das Problem?

Angriffe auf den echten Feminismus findet man allerorts in der Populärkultur und in der unwissenschaftlichen Gender-Debatte. Individualität ist nicht mehr wirklich gefragt. Man erfreut sich an genormten Körpern, die sich dem Befehl zur Selbstoptimierung unterwerfen, der dazu führt, dass junge Frauen Verhaltensweisen entwickeln, die pathologisch sind (man denke allein an die vielen Essstörungen!) und die wiederum von Männern belächelt werden! So werden Rat suchenden Männern in Büchern wie dem »Bro-Code« Tipps gegeben, die angeblich bei den Mädchen funktionieren, die sich für zu dick halten und der Autor schiebt den Gag gleich selbst hinterher: also bei allen! Aber, so wehren sich Autoren dieser Art, das sei doch alles ach so ironisch gemeint, das dürfe man nicht so ernst nehmen. Leider tun das aber viele Männer…

Der natürliche Körper wird den Mädchen madig gemacht. Er bedarf der beständigen Verbesserung, hat den Normen unterworfen zu werden, die Perfektion fordern – mit allen Mitteln. Dass diese Oberflächlichkeit die Frauen gefangen hält und beschränkt, liegt auf der Hand. Man will einfach um jeden Preis chic sein. Feministische Ideen stören da eher, weil sie einem bewusst machen, was man da eigentlich tut, indem man sich erstens zum willigen Objekt macht (dessen Verfallsdatum sowieso schon absehbar ist!) und zweitens eben dafür die Ausbildung und Förderung wichtigerer Aspekte der eigenen Persönlichkeit vernachlässigt.

Feminismus – dead or alive?