Die folgenden Elemente erleichtern Ihnen die Orientierung im Buch:
Beispiel
In diesem Buch finden Sie zahlreiche Beispiele, die das Gesagte illustrieren.
Definitionen
Hier werden Begriffe kurz und prägnant erläutert.
Die Merkkästen enthalten Hinweise, Empfehlungen und hilfreiche Tipps.
Auf den Punkt gebracht
Am Ende jedes Kapitels finden Sie eine kurze Zusammenfassung des behandelten Themas.
Die Zahl der Betreuungsverfahren wächst. Ende 2013 standen in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt 1.310.619 Menschen unter Betreuung. Unsere Bevölkerung wird immer älter und auch die Zahl der psychischen Erkrankungen nimmt immer mehr zu. Dies stellt Betroffene und Angehörige vor eine Vielzahl von Problemen, darunter vielen Rechtsfragen. Diese Tatsachen sowie zwischenzeitlich eingetretene Rechtsänderungen haben eine Neuauflage erforderlich gemacht.
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München, im April 2015 |
Maria Demirci |
Im Hinblick auf die Tatsache, dass jeden von uns ein Unfall, eine schwere Erkrankung oder auch der Verlust der geistigen Kräfte im Alter treffen kann, stellen sich viele Fragen. Was passiert mit Ihnen, wenn solch ein Fall eintritt? Wer kümmert sich um Sie und regelt Ihre Angelegenheiten? Dürfen Sie überhaupt noch frei und selbst entscheiden?
Das Betreuungsrecht befasst sich mit der Unterstützung von Menschen, die Hilfe beim Regeln ihrer Angelegenheiten brauchen. Dieser Ratgeber soll Sie kurz und prägnant über das Betreuungsrecht informieren und Sie im Betreuungsfall dabei unterstützen, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.
Zudem soll dieser Ratgeber Sie dazu anregen, sich mit Ihrer eigenen Vorsorge für weniger gute Zeiten zu beschäftigen. Niemand möchte sich in guten Zeiten mit den Themen Betreuung und Vorsorge belasten. In anderen Bereichen hingegen – z. B. finanzielle Absicherung im Alter – ist dies jedoch selbstverständlich.
Vor diesem Hintergrund enthält dieser Ratgeber zusätzliche Hinweise und Tipps, wie Sie sich mithilfe einer Vorsorgevollmacht und/oder Betreuungsverfügung bereits im Vorfeld für den Fall der eigenen Hilfsbedürftigkeit absichern können.
Maria Demirci
Ein Fall für das Betreuungsgericht
Frau Musterfrau, 75 Jahre alt, wohnt ohne fremde Hilfe in ihrer Eigentumswohnung. Nach dem Tod ihres Mannes überkommt sie eine tiefe Depression, sodass sie sich nicht mehr um ihre persönlichen Angelegenheiten kümmern kann. Wichtige Termine lässt sie verstreichen, ihre Gesundheit ist ihr gleichgültig. Ihr Immobilienvermögen wird von ihr nicht mehr verwaltet. Angehörige, die ihr zur Seite stehen könnten, gibt es nicht.
Die Situation spitzt sich so zu, dass Frau Musterfrau mit Polizei und Krankenwagen aus ihrer Wohnung geholt werden muss, um in einem Krankenhaus behandelt zu werden. Nach ihrer Entlassung wird dann in einem gerichtlichen Verfahren ein Betreuer für Frau Musterfrau bestellt.
Ist ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit, einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht in der Lage, seine Angelegenheiten ganz oder teilweise selbst zu besorgen, liegt ein Betreuungsfall vor. Ein Minderjähriger braucht keine Betreuung, da er von seinen Eltern oder einem Vormund betreut, daher gesetzlich vertreten, wird.
Eine weitere Voraussetzung für das Vorliegen eines Betreuungsfalles ist, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, 9seinen Willen frei zu bestimmen, denn nur dann gilt er als unfähig, seine Angelegenheiten ganz oder teilweise selbst zu besorgen.
Achtung
Freie Willensbestimmung liegt nicht vor, wenn der Betroffene in seiner Willensbildung durch Krankheit oder Behinderung beeinträchtigt ist. Ist der Betroffene aber in der Lage, seinen freien Willen zu äußern, darf gegen seinen Willen kein Betreuer bestellt werden.
Ist der Betroffene einfach nur nachlässig in eigenen Angelegenheiten, liegt kein Betreuungsfall vor. Etwas anderes gilt, wenn die Nachlässigkeit zu einer persönlichen Gefährdung für den Betroffenen führen kann oder andere Personen gefährdet, der Betroffene dies aber krankheitsbedingt nicht erkennen kann.
Gesundheitsgefährdende Nachlässigkeit
Herr Mustermann ist Witwer und hat seit Jahren seine Wohnung kaum verlassen. Seine Wohnung ist nicht begehbar, da Herr Mustermann ein Messie ist. Er sammelt und hortet krankhaft Sachen, darunter auch Essensreste, da er sich von ihnen nicht trennen kann. Die Nachbarn fühlen sich durch den Rattenbefall in der Wohnung des Herrn Mustermann gestört und haben Angst vor Gesundheitsschäden. Gespräche mit Herrn Mustermann darüber bleiben jedoch erfolglos, da er sein Problem krankheitsbedingt nicht erkennen kann.
10Damit ein Betreuungsfall vorliegt, muss die Hilfebedürftigkeit des Betroffenen in einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung liegen.
Zu den psychischen Krankheiten zählen alle seelischen Erkrankungen. Seelische Erkrankungen, die infolge körperlicher Krankheiten (beispielsweise infolge von Hirnverletzungen) auftreten, unterfallen ebenfalls der Kategorie der psychischen Krankheiten. Suchterkrankungen (z. B. Drogen- und Alkoholsucht), Neurosen und Persönlichkeitsstörungen können bei entsprechendem Schweregrad ebenfalls psychische Krankheiten sein.
Seelische Behinderungen sind bleibende psychische Beeinträchtigungen. Sie entstehen als Folge psychischer Erkrankungen. Hierzu zählt auch die sogenannte Altersdemenz.
Ein Betreuungsfall kann auch bei körperlichen Behinderungen, z. B. Blindheit, Taubheit sowie Stummheit, vorliegen und zwar wenn die körperliche Behinderung den Betroffenen in seiner Fähigkeit einschränkt, seine eigenen Angelegenheiten zu besorgen.
Ein Betreuungsfall liegt aber nur vor, wenn die Hilfsbedürftigkeit des Betroffenen auf dessen Krankheit beruht.
Weitere Voraussetzung für die Einrichtung einer Betreuung ist, dass diese überhaupt erforderlich ist.
Der Erforderlichkeitsgrundsatz schränkt die Betreuung sowohl zeitlich als auch sachlich ein. Am Erforderlichkeitsgrundsatz sind dabei die Frage des Ob der Betreuerbestellung, der Umfang der Betreuung sowie deren Dauer zu bestimmen.
11Tipp
Soweit der Betroffene einen Bevollmächtigten bestellt hat oder anderweitige Hilfe in Anspruch nehmen kann, ist die Einrichtung einer Betreuung nicht erforderlich.
Wenn der Betroffene sein Geld nicht anlegen möchte, sondern zu Hause aufbewahrt, Ansprüche auf Erhalt von Sozialleistungen nicht geltend macht oder trotz einer Erkrankung keinen Arzt aufsuchen möchte, kommt eine Betreuung gegen seinen Willen nicht in Betracht. Nur in den Fällen, in denen es das Wohl des Betroffenen erforderlich macht, kommt eine sogenannte Zwangsbetreuung infrage.
Eine Betreuerbestellung ist nur dann erforderlich, wenn der Betreuer überhaupt tatsächlich auch tätig werden kann. Ohne freiwillige Mitwirkung des Betroffenen ist dies kaum möglich.
Insbesondere ist eine Betreuung dann nicht erforderlich, wenn die zu regelnden Angelegenheiten durch einen Bevollmächtigten, z. B. bei Vorliegen einer wirksamen Vorsorgevollmacht, oder durch andere Hilfen besorgt werden können.
Mit „andere Hilfen“ ist jede denkbare Art von sozialen Hilfen gemeint, also Hilfe durch Angehörige, Freunde, Nachbarn oder soziale Dienste.
Ein Sozialhilfefall
Herr Mustermann ist auf Sozialhilfe angewiesen, da seine kleine Rente nicht zum Leben ausreicht. Er ist jedoch zu stolz und möchte Vater Staat nicht auf der Tasche liegen. Ohne 12den Erhalt von Sozialhilfeleistungen besteht aber die Gefahr, dass Herr Mustermann seine Wohnung verliert, da er sich die Miete nicht leisten kann und bereits mit dieser im Rückstand ist. Seine nette Nachbarin wendet sich deswegen an den zuständigen Sozialhilfeträger. Daraufhin werden Herrn Mustermann Leistungen gewährt.
Der Betreuer wird vom Betreuungsgericht bestellt.Nach Möglichkeit muss eine einzelne Person als Betreuer ausgewählt werden. Als Betreuer kann auch ein Mitglied eines Betreuungsvereins oder ein selbstständiger Berufsbetreuer (z. B. Rechtsanwalt, Steuerberater etc.) bestellt werden. Betreuer kann grundsätzlich jede Person sein, die selbst uneingeschränkt geschäftsfähig ist.
Definition: Geschäftsfähigkeit
Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit, selbstständig wirksame Willenserklärungen abgeben zu können oder zu empfangen. Unbeschränkt geschäftsfähig ist man ab Vollendung des 18. Lebensjahres.
13Das Betreuungsgericht hat bei der Bestellung zum Betreuer denjenigen Personen Vorrang zu geben, die geeignet und zur ehrenamtlichen Übernahme der Betreuung bereit sind.
Das bedeutet, dass Betreuungsvereine, Betreuungsbehörden und Berufsbetreuer erst dann vom Betreuungsgericht bestellt werden können, wenn eine ehrenamtliche Betreuung als Möglichkeit ausscheidet.
Das Betreuungsgericht hat sich bei der Auswahl des Betreuers an den Wünschen des Betroffenen zu orientieren. Dies geschieht mittels einer gerichtlichen Anhörung im Verfahren der Betreuerbestellung. Der Wunschbetreuer muss jedoch für das Amt des Betreuers geeignet sein. Geeignet ist eine Person immer nur dann, wenn sie in der Lage ist, den Betroffenen in dem erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen. Dies ist beispielsweise nicht der Fall, wenn die vom Betroffenen vorgeschlagene Person räumlich weit entfernt von diesem wohnt und sich einen Umzug nicht zumuten will. Ungeeignet kann eine Person auch aufgrund anderer Verpflichtungen sein, beispielsweise wenn sie bereits mehrere Betreuungen übernommen hat oder sich um mehrere minderjährige Kinder kümmert. Das Betreuungsgericht muss darauf achten, dass der Betroffene sich durch einen möglicherweise unbedachten Vorschlag eines Wunschbetreuers nicht selbst schädigt.
Ungeeigneter Wunschbetreuer
Für Frau Musterfrau soll ein Betreuer bestellt werden, da sie nicht mehr in der Lage ist, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen. Sie leidet nämlich an einer sehr weit fortgeschrittenen Demenzerkrankung. Im Rahmen der gerichtlichen Anhörung zur Betreuerbestellung gibt Frau Musterfrau an, dass sie ihre Tochter als Betreuerin haben möchte. Frau Musterfraus Tochter wohnt allerdings in einem anderen Bundesland und ist Mutter von vierjährigen Drillingen. Sie ist rein tatsächlich nicht in der Lage, die Betreuung für ihre Mutter zu übernehmen.
Aus diesem Grund bestellt das Betreuungsgericht eine neutrale dritte Person zum Betreuer für Frau Musterfrau.
14Folgende Personen sind von vornherein von der Betreuung ausgeschlossen, auch wenn sie vom Betroffenen als Wunschbetreuer benannt sind:
Hierdurch soll Konflikten zwischen den Interessen des Betreuten und der Einrichtung, für die der Wunschbetreuer arbeitet, vorgebeugt werden.
Der Betroffene kann auch Vorschläge dahin gehend bringen, welche Personen nicht als Betreuer bestellt werden sollen.
Die Betreuung fällt weg, wenn die Voraussetzungen für deren Anordnung weggefallen sind.
Wieder geheilt
Herr Mustermann war schwer alkoholabhängig. Seine Alkoholsucht war so stark ausgeprägt, dass er nicht mehr in der Lage war, seine eigenen Angelegenheiten selbst zu besorgen. Deswegen wurde er unter Betreuung gestellt. Nach einer langen Therapie konnte Herr Mustermann seine Alkoholsucht erfolgreich bekämpfen und sich ein neues Leben aufbauen. Die Betreuung wurde im Anschluss an seine Genesung aufgehoben.
15Fallen die Voraussetzungen der Betreuung nur teilweise weg, so ist der jeweils betroffene Aufgabenkreis des Betreuers auf die Bereiche einzuschränken, in denen die Betreuung noch notwendig ist.
Beendet ist die Betreuung auch, wenn deren Zweck erreicht wurde.
Kurzzeitbetreuung
Frau Musterfrau ist nicht in der Lage, für sich den Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente zu stellen. Allein für diese Aufgabe wurde für sie vom Betreuungsgericht ein Betreuer bestellt. Nach Antragstellung benötigt sie keinen Betreuer mehr.
Erst mit Erlass des gerichtlichen Aufhebungsbeschlusses wird die Aufhebung wirksam.
Stirbt der Betreute, endet die Betreuung automatisch. Es bedarf keines gesonderten gerichtlichen Beschlusses. Der Betreuer muss dann seine Bestallungsurkunde an das Betreuungsgericht abgeben.
Definition: Bestallungsurkunde
Die Bestallungsurkunde ist ein vom Betreuungsgericht ausgestellter Ausweis für den Betreuer. Damit kann sich der Betreuer nach außen hin, z. B. gegenüber Banken, Behörden etc., legitimieren.
Merke
In der Bestallungsurkunde sind die Gründe für die Einrichtung der Betreuung nicht aufgeführt.
16Der Betreuer hat jedoch nach dem Tod des Betreuten noch gewisse Aufgaben zu erledigen. Er muss das Betreuungsgericht benachrichtigen, die Angehörigen unterrichten, unaufschiebbare Angelegenheiten regeln und nach Abwicklung aller Geschäfte einen Schlussbericht erstellen.
Definition: unaufschiebbare Angelegenheiten
Unaufschiebbare Angelegenheiten sind, z. B. Strom abstellen in der Wohnung des Betreuten, Auftragserteilung für dringende Reparaturen etc.
Die Organisation der Beerdigung gehört dagegen nicht mehr zu den Aufgaben des Betreuers. Diese Aufgabe obliegt den Angehörigen. Hat der Verstorbene festgelegt, dass der Betreuer die Beerdigung in die Wege leiten soll, dann muss er diesem Wunsch nachkommen. Wenn keine Angehörigen vorhanden sind, sollte der Betreuer die Ordnungsbehörde einschalten, der regelmäßig eine Hilfszuständigkeit für die Durchführung der Bestattung zukommt.
Eine weitere Möglichkeit, die Betreuung zu beenden, ist ein Antrag des Betroffenen selbst sowie sonstiger Dritter beim Betreuungsgericht. Es handelt sich dabei eher um eine Anregung als um einen Antrag. Das Betreuungsgericht muss von Amts wegen auf einen solchen Antrag hin ein Verfahren einleiten, in dem dann überprüft wird, ob die Voraussetzungen der Betreuung noch vorliegen.
17Achtung
Der Tod des Betreuers beendet die Betreuung nicht. Die Erben des Betreuers müssen seinen Tod beim Betreuungsgericht sofort anzeigen, damit ein neuer Betreuer bestellt werden kann.
Durch Einrichtung der Betreuung wird der Betroffene nicht „entmündigt“. Er ist weiterhin geschäftsfähig. Die von ihm abgegebenen Erklärungen sind wirksam, wenn er deren Tragweite, Wesen und Bedeutung erkennen und seine Handlungen danach ausrichten kann. Ist dies nicht der Fall, dann ist er – unabhängig von einer Betreuerbestellung – nicht geschäftsfähig.
Hat das Betreuungsgericht für einzelne Aufgabenkreise einen sogenannten Einwilligungsvorbehalt angeordnet, ist der Betroffene jedoch in seiner Teilnahme am Rechtsverkehr beschränkt. Von gewissen Ausnahmen abgesehen, wie z. B. Brot kaufen, braucht der Betreute dann die Einwilligung seines Betreuers. Ein Einwilligungsvorbehalt wird vom Betreuungsgericht dann angeordnet, wenn die Gefahr besteht, dass der Betreute sich selbst oder sein Vermögen in Gefahr bringt. Die Anordnung des Einwilligungsvorbehaltes dient somit in erster Linie dem Schutz des Betreuten.
18Achtung