WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE
AUS DEM
TECTUM VERLAG

Reihe Sozialwissenschaften

WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE
AUS DEM
TECTUM VERLAG

Reihe Sozialwissenschaften

Band 65

Christoph Rohlwing

Homosexualität
im deutschen Profifußball

Schwulenfreie Zone Fußballplatz?

Tectum Verlag

Christoph Rohlwing

Homosexualität im deutschen Profifußball.

Schwulenfreie Zone Fußballplatz?

Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag:

Reihe: Sozialwissenschaften; Bd. 65

© Tectum Verlag Marburg, 2015

ISBN: 978-3-8288-6315-6

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter

der ISBN 978-3-8288-3596-2 im Tectum Verlag erschienen.)

ISSN: 1861-8049

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Umschlaggestaltung: Norman Rinkenberger | Tectum Verlag

 

 

 

 

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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben

sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

INHALT

1Zur Themenwahl

2Einleitung

3Die Konstruktion des Begriffs Männlichkeit

4Die Konstruktion des Begriffs Homosexualität

5Zwischenfazit

6Das Interview als Methode

7Homosexualität im deutschen Profifußball

8Der Fall Thomas Hitzlsperger

8.1Der Fußballprofi Thomas Hitzlsperger

8.2Thomas Hitzlsperger: Der erste deutsche Fußballprofi bekennt sich zu seiner Homosexualität

8.3Was hat Thomas Hitzlsperger nach über einem Jahr mit seinem öffentlichen Coming-out bewirkt?

9Fazit

10Abschließende Bemerkung

Anhang

Interview mit Corny Littmann

Literaturverzeichnis

Danksagung

1ZUR THEMENWAHL

Bis Mai 2014 war ich selbst aktiver Fußballer und hatte schon vor meiner Einschulung angefangen, Fußball in einem Verein zu spielen. Dabei habe ich im Jugendbereich diverse Auswahlmannschaften (Stadtauswahl, DFB-Stützpunkt und Niedersachsenauswahl) durchlaufen. Da ich auf Vereinsebene im Jugendbereich in verschiedenen Spielklassen gespielt habe, bin ich mit den Strukturen und den Gegebenheiten im Jugendfußball seit Langem vertraut. Im Herrenbereich habe ich in der Saison 2010/2011 in der Regionalliga-Mannschaft des SV Wilhelmshaven gespielt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass diese Vierte Liga ein schmaler Grat zwischen Amateur- und Profifußball ist. Zu Beginn der Saison wurde ich von einem älteren Spieler gefragt, ob ich denn eine Freundin hätte. Daraufhin antwortete ich mit einem Nein, worauf sofort die Frage folgte, ob ich schwul sei. Schwächen im Fußball, egal welcher Art, dürfen schon in den höher spielenden Jugendmannschaften nicht gezeigt werden und erst recht nicht im Herrenbereich. Der häufige Gebrauch von Ausdrücken wie „schwule Sau“ oder „Schwuchtel“ erweckt den Anschein, dass Homosexualität im Fußball als eine Schwäche betrachtet wird.

Es wäre sicherlich auch interessant herauszufinden, wie Amateurspieler mit dem Thema Homosexualität und Fußball umgehen oder wie mit diesem Thema im Frauenfußball (Amateur- und Profibereich) umgegangen wird. Allerdings möchte ich mich im Rahmen dieser Arbeit auf den Profibereich der Männer in Deutschland konzentrieren. Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung, dem Coming-out von Hitzlsperger und dem Erlebnis im Jahr 2010 beim SV Wilhelmshaven habe ich mich für dieses Thema entschieden.

2EINLEITUNG

Einerseits ist Homosexualität im deutschen Profifußball ein Tabu, andererseits ist es dennoch hochaktuell, wie es der Fall Cassano oder auch das Coming-out von Hitzlspergerverdeutlichen. Der 29-jährige italienische Nationalspieler Cassano fiel im Trainingsquartier zur Zeit der Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine aufgrund seiner schwulenfeindlichen Äußerungen negativ auf („Ich hoffe, dass keine Schwulen in der Mannschaft sind.“) Erst nach heftiger Kritik von Homosexuellen-Vertretern und Politikern entschuldigte sich Cassano für seine Äußerung.1

Homosexualität ist in unserer heutigen Gesellschaft in vielen Bereichen kein Tabuthema mehr. In Deutschland sind ca. 10 bis 15 % der Männer homosexuell,2 und in den ersten drei deutschen Profiligen gibt es 1581 Spieler.3 Rein statistisch betrachtet ist es eher unwahrscheinlich, dass es keinen homosexuellen Profispieler in Deutschland gibt. Das zeigt auch die Aussage von Müller-Hohenstein (Sportjournalistin und Moderatorin des Aktuellen Sportstudios im ZDF): „Wenn man eine Fußballmannschaft als Abbild der durchschnittlichen männlichen Bevölkerungsstruktur hernimmt, so kann man davon ausgehen, dass es im deutschen Profifußball homosexuelle Spieler gibt.“4 Deshalb stellt sich für mich die zentrale Frage: „Warum outen sich im deutschen Profifußball keine homosexuellen Spieler?“ Daraus ergibt sich meiner Ansicht nach Folgendes:

Fußball ist ein echter Männersport. Homosexualität gilt nicht als männlich und bedeutet, nicht normal zu sein. Um dem Ideal eines männlichen Fußballers zu entsprechen, ist der Druckgroß, die eigene Homosexualität geheimzuhalten, weil niemand wissen kann, wie das Umfeld (eigene Mannschaft, Fans, Verein, Sponsoren usw.) reagiert.

Um meine These zu belegen bzw. zu widerlegen, werde ich zunächst die Begriffe Männlichkeit und Homosexualität näher beleuchten und versuchen zu klären, was man unter diesen Begriffen aus soziologischer Sicht versteht und wie sie konstruiert werden. Dann werde ich mich direkt mit dem Thema der Homosexualität im deutschen Profifußball befassen.

Des Weiteren habe ich ein Experteninterview mit Cornelius Littmann geführt. „Corny“ Littmann, geboren 1952, lebt in Hamburg und ist Unternehmer sowie ehemaliger Präsident des FC St. Pauli. Littmann bekannte sich von Anfang an während seiner Tätigkeit als Präsident des FC St. Pauli zu seiner Homosexualität.

Den Leitfaden für das Interview habe ich in der Form von Klaus Konrad in die Makroplanung und die anschließende Mikroplanung unterteilt. In diesem Zusammenhang bestimmt die Makroplanung die Struktur des Interviews, und bei der Mikroplanung habe ich darauf geachtet, den Interviewten weder zu unter- noch zu überfordern.5

Aufgrund der Komplexität des Themas habe ich mich für das Prinzip der Triangulation entschieden.

„Vereinfacht ausgedrückt bezeichnet der Begriff Triangulation, dass ein Forschungsgegenstand von (mindestens) zwei Punkten aus betrachtet – oder konstruktivistisch formuliert: konstituiert – wird. In der Regel wird die Betrachtung von zwei und mehr Punkten aus durch die Verwendung verschiedener methodischer Zugänge realisiert.“6

Deshalb habe ich neben der Arbeit mit Literatur (1. methodischer Zugang) das Interview mit Herrn Littmann als Experten geführt (2. methodischer Zugang), um das Thema aus zwei unterschiedlichen Betrachtungsweisen zu beleuchten. Anschließend sollen Gemeinsamkeiten, aber auch mögliche Unterschiede zum untersuchten Thema (Homosexualität im deutschen Profifußball) herausgearbeitet werden, um den Blickwinkel nicht auf eine Sichtweise zu beschränken.

1Vgl. Semmler, Robert (2012)

2Vgl. de Hek, Alexandra Martine (2011): S. 83.

3Seidel, Matthias (2015)

4Erb, Andreas/ Leibfried, Dirk (2011): S. 7.

5Vgl. Konrad, Klaus (2011): S. 37.

6Flick, Uwe (2011): S. 11.

3DIE KONSTRUKTION DES BEGRIFFS MÄNNLICHKEIT

Was versteht man unter Männlichkeit, wie konstruiert sich dieser Begriff, und welche symbolische Macht steht dahinter? Der folgende Abschnitt wird sich mit diesen Fragen befassen und klären, welche Bedeutungen und Auswirkungen der Begriff Männlichkeit für den Profifußball in Deutschland hat.

Die Konstruktion des Begriffs Männlichkeitkann von Nationalität zu Nationalität sehr unterschiedlich ausfallen. Littmann beschreibt, dass es heute im Gegensatz zu den 60er-, 70er- und 80er Jahren kaum eine Mannschaft in der Ersten und Zweiten Bundesliga gibt, die mehrheitlich deutsche Spieler in ihren eigenen Reihen hat.7 Hier treffen also unterschiedliche Nationalitäten und Kulturen aufeinander. Dieser Aspekt spielt dabei eine ganz zentrale Rolle, weil diese ausländischen Spieler in der Regel ein Männerbild haben, „was sich sehr von unserem unterscheidet“.8 Dies verdeutlicht auch das Habituskonzept von Bourdieu und knüpft genau an diesen Punkt an. Wenn Bourdieu vom Habitus spricht, meint er damit zwar in erster Linie den Klassenhabitus,9 jedoch ist es für ihn ein ganz zentraler Punkt, dass eine soziale Klasse nicht zuletzt dadurch bestimmt wird, welche Stellung und welchen Wert sie „den beiden Geschlechtern und deren gesellschaftlich ausgebildeten Einstellungen einräumt“.10 Für Bourdieu wird der Habitus von frühester Kindheit an durch die Auseinandersetzung mit der Welt sowie der Interaktion mit anderenausgebildet.11 „Im Körper ist der Habitus der Akteure präsent, die als systematische Schemata der Wahrnehmung, des Denkens und Handelns fungieren.“12 Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Habitus einen Abgrenzungsmechanismus zu anderen gesellschaftlichen Schichten darstellt13 und dadurch auch die Auffassung des Begriffs Männlichkeit innerhalb eines sozialen Milieusunterschiedlich interpretiert werden kann. Außerdem spricht Bourdieu bei seinem Habituskonzept auch von einem geschlechtlichen Habitus und untersucht das Geschlechterverhältnis näher. Dieser Geschlechtshabitus ist wie der Klassenhabitus zu verstehen und stellt einen gesellschaftlichen Orientierungsrahmen dar. Dabei konstruiert Bourdieu eine Vorstellung von der „gesellschaftlichen Konstruktion des Geschlechts.“14 Im Geschlechtshabitus kommen zwei Aspekte zum Ausdruck:einerseits die Strategie der Differenz und andererseits die Position im Gefüge der Geschlechterordnung.15

Meuser knüpft in seinem Werk zum Thema Geschlecht und Männlichkeit anParsons an, der sich auf die Familiensoziologie bezieht. Für Parsons steht die Sozialisation der Kernfamilie im Mittelpunkt.16 Er macht darauf aufmerksam, dass die Geschlechterrolle für die strukturelle Differenzierung von Gesellschaften in diesem Zusammenhang ohne eine deutliche Unterscheidung weiblicher und männlicher Rollen nicht möglich sei.17 Dabei stellt er fest, dass der Vater für die Kinder den Prototyp der Männlichkeit darstellt.18 Damit wird die Vorbildfunktion des Vaters deutlich, was wiederum Verhalten, Denkmuster und Handlungen der Kinder beeinflusst. In der Art, wie der Vater den Begriff Männlichkeit für sich interpretiert und vorlebt, kann er das spätere Leben seiner Kinder beeinflussen. Demnach ist die Familie kein starres, mechanisches System, sondern stellt ein Beziehungsgeflecht dar, in dem nach Connell das soziale Geschlecht ausgehandelt wird.19

Bourdieu hat seinen Fokus zur Untersuchung des Begriffs Männlichkeit auf den homosozialen Aspekt gelegt. Seiner Meinung nach wird der männliche Habitus „konstruiert und vollendet nur in Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich unter Männern die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen.“20 Im Gegensatz dazu misst Connell der heterosexuellen Dimension ein stärkeres Gewicht bei, auf das im Folgenden näher eingegangen wird. Dabei ist die Ausgangslage für Männlichkeit nach Connell die gesellschaftliche Dominanz von Männern über Frauen.21

Der Ansatz von Connell und dessen Theorie der Männlichkeit basiert auf der Kategorie der Macht. Den Kern seiner Theorie bildet dabei der Begriff der Hegemonie.22 Unter Hegemonie im Allgemeinen versteht man die Vorherrschaft einer Institution oder Organisation, aber auch die Überlegenheit eines Akteurs in politischer, religiöser oder kultureller Hinsicht.23 In diesem Zusammenhang hat Connell zwei Achsen für seine Theorie entwickelt. Zum einen gibt es die Hauptachse der Machtstruktur, diese ist die Verknüpfung von Autorität mit Männlichkeit. Männlichkeit definiert sich dabei im Verhältnis von Mann zu Frau. Allerdings bestimmt sich Männlichkeit nicht nur aus dem Verhältnis der beiden Geschlechter, sondern auch aus den Beziehungen, die Männer untereinander haben. Damit gibt es neben der Hauptachse eine zweite Achse, die die Hauptachse aufgrund der Hierarchie von Autoritäten innerhalb der dominanten Geschlechterkategorie Mann überlagert.24 „Die doppelte Relation, in der die Männlichkeit ihre Kontur gewinnt – zum anderen und zum eigenen Geschlecht – fasst Connell mit dem Begriff der hegemonialen Männlichkeit.“25 Dadurch, dass die hegemoniale Männlichkeit die Verhältnisse der Männer auch untereinander strukturiert, kommt es zu Ausgrenzungen und Abwertungen anderer Formen von Männlichkeit. Es kommt zu einer Strategie der Ausschließung, denn sie enthält eine Normalitätsorientierung, auf deren Basis in Eigen- und Fremdtypisierung Grenzziehungen durchgeführt werden.26 Diese Strategie der Ausschließung beinhaltet automatisch die Definition dessen, was unter Mannsein zu verstehen ist.27 Das zentrale Merkmal hegemonialer Männlichkeit ist die Heterosexualität und wird für Connell am deutlichsten in der Institution Ehe hervorgebracht.28

In diesem Zusammenhang verdeutlicht Jösting, dass das heterosexuelle Paar einerseits ein geeigneter Ort sei, um Geschlechtsunterschiede darzustellen, und andererseits ein adäquater Ort, um jeden Unterschied zwischen den Beteiligten der Geschlechterdifferenz zuzuordnen. Des Weiteren sei das heterosexuelle Paar der Bereich, an dem sich die geschlechtliche Arbeitsteilung und die sexuelle Kontrolle von Frauen manifestiere. Vor diesem Hintergrund weise das kulturelle Konzept des heterosexuellen Paares dem Mann die dominante Rolle zu, sodass er ohne weiteres persönliches Zutun in diesem Lebensbereich die Vorherrschaft erfahre. Dies wiederum entspräche dem Ideal der hegemonialen Männlichkeit, da es seine kulturelle Bestimmung sei.29

Daraus ergibt sich, dass Homosexualität die stärkste ausgegrenzte Form von Männlichkeit erfährt und Homophobie der Kernbestand hegemonialer Männlichkeit ist. Für Connell ist das homophobe Verhalten als Verteidigung der zentralen Institution der hegemonialen Männlichkeit zu verstehen.30 Connell fasst das Entstehen und die Aufrechterhaltung der hegemonialen Männlichkeit abschließend zusammen:

„Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit begreift Männlichkeit nicht als eine Eigenschaft der individuellen Person, sondern als in sozialer Interaktion – zwischen Männern und Frauen und von Männern untereinander – (re)produzierte und in Institutionen verfestigte Handlungspraxis.“31

Jetzt stellt sich die Frage, wie der Männlichkeitsbegriff in den unterschiedlichen Milieus definiert wird. Meuser und Scholz ziehen unterschiedliche empirische Untersuchungen heran, die zeigen, dass die Konstruktion von Männlichkeit in bestimmten sozialen Praxen erfolgt und es zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Begriff Männlichkeit gibt. Das spezifisch entworfene Männlichkeitsideal hat in der alltäglichen Praxis die Funktion eines regulatorischen Ideals für das Handeln des Mannes. Dadurch, dass sich das Handeln der Männer an diesem Ideal orientiert, wird gleichzeitig Männlichkeit reproduziert. Der Mann, der innerhalb eines sozialen Feldes dem entsprechenden Ideal am nächsten kommt, besitzt das höchste Prestige und soziale Macht. Demzufolge ist das Feld hierarchisch strukturiert. Hinzu kommt, dass das regulatorische Ideal ein Männlichkeitsideal ist, das den Akteuren meistens nicht bewusst ist, denn aus der Perspektive der Männer handelt es sich um ein allgemeines Ideal. Des Weiteren ist dieses regulatorische Ideal mit anderen sozialen Zugehörigkeiten wie soziale Herkunft, Generation oder Ethnizität verbunden32 und damit ein weiterer Beweis dafür, dass die Vorstellungen von Männlichkeit von Milieu zu Milieu variieren können.

Bourdieu spricht, wie schon angedeutet, bei der Entstehung und Konstruktion von Männlichkeit von den ernsten Spielen des Wettbewerbs. Aufgrund von Bourdieus These zieht Meuser daraus die Schlussfolgerung, dass hegemoniale Männlichkeit eine institutionalisierte Praxis ist und sich in dem sozialen Feld konstituiert. Diese sozialen Felder sind historisch variabel und von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich. Auf ihnen finden die zentralen Machtkämpfe statt, und auf diese Weise werden die gesellschaftlichen Einflusszonen festgelegt.3334353637