Wolfgang Schwentker

DIE SAMURAI

C.H.Beck


Zum Buch

Der vorliegende Band beschreibt Entstehung, Aufstieg und Niedergang der Samurai über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren. Er erzählt die Geschichte des legendären Kriegerstandes im Spiegel der Sozial- und Kulturgeschichte Japans. Dabei wird der Bogen von den frühen Kriegern des 5./6. Jahrhunderts bis zur formellen Abschaffung der Samurai als sozialer Stand nach der Meiji-Restauration von 1868 gespannt. Auch nach der Auflösung der Samurai als Herrschaftsstand lebt die ältere Ideologie des bushidō («Der Weg des Kriegers») in Politik und Wirtschaft des modernen Japan fort.

Über den Autor

Wolfgang Schwentker ist Professor für vergleichende Kultur- und Ideengeschichte an der Universität Ōsaka. Veröffentlichungen u.a.: Max Weber in Japan. Eine Untersuchung zur Wirkungsgeschichte, 1905–​1995 (1998, jap. 2. Aufl. 2014); Die vormoderne Stadt. Asien und Europa im Vergleich (Mithrsg. 2002), Geschichtsdenken im modernen Japan (Mithrsg. 2015).

Inhalt

Vorwort

Hinweise zur Transkription
und zur Datierung

I. Lehren einer Legende:
Die Rache der 47 Samurai

II. Die Anfänge der Samurai

Krieger im alten Japan

Das Militär im frühen Zentralstaat

Die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht

Die Kriegerverbände der Heian-Zeit (794–​1185)

III. Die Samurai an der Macht

Der Genpei-Krieg 1180–​85

Die militärische Hierarchie im Kamakura-Shōgunat

Der Zen und die Samurai

Die Abwehr der Mongolen-Invasionen 1274/81

IV. Kriegführung als Lebensordnung

Die Samurai zur Zeit des Muromachi-Shōgunats (1338–​1573)

Waffen und Rüstungen der Samurai

Die Anfänge der Reichseinigung durch Oda Nobunaga

Die Reformen Toyotomi Hideyoshis

V. Das Alltags- und Privatleben der Samurai

Familie, Frauen und Kinder

Wohnverhältnisse, Nahrungsmittel und Kleidung

Wege in den Tod

VI. Der Kriegerstand als Verwaltungselite.
Die Samurai in der Edo-Zeit
(1600/03–​1867)

Die Anfänge des Tokugawa-Shōgunats

Herrschaft durch Status

Bushidō, der Ehrenkodex der Samurai

VII. Das Shōgunat im Niedergang

Arme Samurai, reiche Kaufleute:
die Gesellschaft im Umbruch

Die Ankunft der «Schwarzen Schiffe» (1853)

Der Samurai als Patriot.
Der bewaffnete Widerstand gegen die «Öffnung» Japans

VIII. Die Samurai nach der Meiji-Restauration
von 1868

Das Ende eines Herrschaftsstands

Die Samurai-Aufstände (1874–​77)

Die alte Elite in der neuen Gesellschaft

IX. Das Erbe der Samurai

«Der Weg des Kriegers» (bushidō) im modernen Japan

Helden der Leinwand:
Der Samurai-Film

www.samurai.com
Die Wirtschaft als Kriegsschauplatz

Literaturhinweise

Glossar

Abbildungsnachweis

Personen- und Ortsregister

Vorwort

Der vorliegende schmale Band beschreibt Entstehung, Aufstieg und Niedergang des japanischen Kriegerstandes über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren. Er erzählt die Geschichte der Samurai im Spiegel der politischen Sozial- und Kulturgeschichte Japans. Dabei wird der Bogen von den frühen Kriegern des 5./6. Jahrhunderts bis zur formellen Abschaffung der Samurai als sozialer Stand nach der Meiji-Restauration von 1868 gespannt. Auch nach der Auflösung der Samurai als Herrschaftsstand lebte die ältere Ideologie des bushidō («Der Weg des Kriegers») im modernen Japan fort. Sie wurde gar zum Mythos dort, wo man versucht hat, die eigene Geschichte nach Maßgabe der Samurai-Ideale auszulegen und das Handeln der Menschen an den alten Prinzipien auszurichten. Aus diesem Grunde möge der Leser dieses Buchs keine Militärgeschichte im engeren Sinne erwarten: nicht die Waffen, Rüstungen und Kampfesweisen der Krieger bestimmen den Gang der Darstellung und die Anordnung der Kapitel, sondern die zu jeder Zeit besondere Stellung der Samurai in Politik und Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur.

Ich danke Freunden, Kollegen und nicht zuletzt meinen Studenten für Fragen, Kritik und weiterführende Hinweise. Gewidmet ist dieses Buch meinen Eltern.

Ōsaka, im November 2002

W. S.

Hinweise zur Transkription
und zur Datierung

Die Umschrift japanischer Namen und Begriffe richtet sich nach dem Hepburn-System; dabei entspricht die Aussprache der Vokale etwa dem Deutschen oder Italienischen, die der Konsonanten etwa dem Englischen. Lang ausgesprochene Vokale sind mit einem Längenzeichen versehen, wie z.B. shōgun. Japanische Fachausdrücke sind im Text kursiv wiedergegeben, die wichtigsten im Glossar erläutert. Bei der Nennung von Personennamen wird dem in Ostasien üblichen Brauch folgend der Familienname dem Vornamen vorangestellt.

Die Umrechnung des älteren japanischen Mondkalenders auf den jeweils gültigen westlichen Kalender ist kompliziert und wäre im Einzelfall zu begründen. Man kann die Angaben in japanischen Quellen über Jahreszahlen nicht einfach übertragen. Diese folgten seit dem Altertum sogenannten Regierungsdevisen, die aus verschiedenen Gründen und unregelmäßig wechselten und erst im modernen Japan mit dem Herrschaftswechsel des tennō identisch waren. Ein japanisches Kalenderjahr konnte sich durchaus auf zwei Kalenderjahre christlicher Zählung verteilen. Die chronologischen Daten sind daher nicht immer präzise; sie wurden aber der Einfachheit halber dem westlichen Kalender angepasst und mögen der Orientierung dienen.

I. Lehren einer Legende:
Die Rache der 47 Samurai

Wer heutzutage mit der Yamanote-Schnellbahn vom Bahnhof Tōkyō kommend südwärts bis Shinagawa fährt, erreicht nach einem kurzen Spaziergang den am Ende einer unscheinbaren Seitenstraße gelegenen Sengaku-Tempel. Dieser wurde in den Jahren 1596 bis 1615 auf Veranlassung von Tokugawa Ieyasu, dem Begründer des frühneuzeitlichen Shōgunats, zunächst außerhalb seiner Burg am Sakuradamon errichtet und nach einem Feuer 1641 an seinem heutigen Platz im Stadtteil Takanawa neu aufgebaut. Zu jener Zeit zählte der Tempel zu den bedeutendsten religiösen Wirkungsstätten der zen-buddhistischen Sōtō-Sekte. Aber nicht aus diesem Grunde kommen heute noch viele Japaner und ausländische Touristen dorthin. Die Besucher zieht es auf eine hinter dem Tempel gelegene Anhöhe, auf der sich eine meist in den Duft zahlloser Räucherstäbchen gehüllte Grabanlage befindet: Hier sind die sterblichen Überreste der sagenumwobenen 47 Samurai bestattet, die den Tod ihres Herren Asano Naganori rächten, um damit seine Ehre wiederherzustellen. Sie wurden dafür mit dem Tode bestraft. Was genau war damals geschehen?

Der Herr (daimyō) des Territoriums von Akō hatte am 21. April 1701 aufgrund einer öffentlichen Beleidigung das Schwert gegen den Zeremonienmeister Kira Yoshinaka, einen der ranghöchsten Beamten des shōgun, gezogen, was in dessen Residenz in Edo – so der damalige Name des heutigen Tōkyō – ein schweres Vergehen war. Obgleich der Angegriffene nur leicht verletzt wurde, musste Asano noch am gleichen Tage Selbstmord begehen, ohne dass der Fall eingehend untersucht wurde. Sein Besitz in Akō wurde eingezogen, seine Vasallen verloren ihr Auskommen. Als herrenlose Samurai (rōnin) irrten sie scheinbar hilflos umher, sannen aber insgeheim unter der Führung von Ōishi Kuranosuke (Yoshio), dem obersten Hausvasallen (karō) und engsten Vertrauten Asanos, auf Vergeltung. In einer kalten Dezembernacht des Jahres 1702 stürmten die 47 Getreuen die Residenz des verhassten Kira in Edo, töteten und enthaupteten ihn und brachten seinen Kopf zum Grab ihres Herren am Sengaku-ji. Ihre Tat wurde von den Zeitgenossen über die Grenzen der Stadt hinaus gerühmt, denn sie schien angesichts der ungerechten Behandlung des daimyō durch den shōgun legitim zu sein; legal war sie nicht! Aus diesem Grunde wurden die Gefolgsleute des daimyō von Akō zwei Monate nach der Tat gezwungen, harakiri (im Japanischen eher: seppuku) zu begehen, d.h. sich selbst zu entleiben. Sie hatten wissentlich dieses Risiko auf sich genommen, hatten den «Geist» der Samurai über das Recht des shōgun gestellt und folgten nun ihrem Herrn in den Tod.

Diese Begebenheit kennt in Japan jedes Kind. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde sie, ungeachtet aller Zensurmaßnahmen seitens der Regierung, in Stücken für das Puppentheater oder Kabuki, in historischen und fiktiven Geschichten oder Holzschnitten festgehalten und in vielfältiger Form abgewandelt. Die wohl nachhaltigste Wirkung entfaltete das ursprünglich für das Puppentheater geschriebene Stück «Chūshingura» («Das Schatzhaus loyaler Vasallen»), das, für das Kabukitheater umgearbeitet, seit 1749 in Edo, Kyōto und Ōsaka mit großem Erfolg aufgeführt wurde. Wenn die Geschichte heute eher in Filmen, Comics (manga) oder Videospielen kolportiert wird, so ändert das an der «Botschaft», die sie jeder Generation auf je eigene Art und Weise vermittelt, nur wenig: Aus dem Verhalten der 47 Männer werden Mut, Besonnenheit und Loyalität, aber auch Opferbereitschaft einer Sache oder Person gegenüber herausgelesen, – Werte, die auch in der Gesellschaft des modernen Japan noch einen Platz haben. Die besondere Faszination, die von dieser Geschichte bis heute ausgeht, ist aber nicht nur mit einem spezifischen Tugendkatalog zu erklären, sondern sie verdankt sich wohl auch eigentümlichen sozialen Strukturelementen, die die frühneuzeitliche Gesellschaft ebenso geprägt haben, wie sie für die moderne Industriegesellschaft gelegentlich noch charakteristisch sind. Dies hat zu tun mit der Konfliktkonstellation, in die sich der Einzelne hineingestellt sieht, wenn er die politische oder soziale Ordnung als Ganze herausfordert. Die kollektive Aktion, der Zusammenhalt der Gruppe, gleicht in dieser Geschichte diesen Grundkonflikt zwischen Legalität und Legitimität, zwischen den Forderungen der shōgunalen Ordnung einerseits und dem Ehrgefühl der 47 Samurai andererseits, aus. Der Erfolg der Geschichte liegt deshalb weniger in der bis in den Tod reichenden Gefolgstreue der Vasallen, sondern darin, dass sie, wie es der Literaturhistoriker Katō Shūichi einmal treffend formulierte, «das Gefühl der Solidarität und der Gruppenzugehörigkeit, kurz, die Grundstruktur der japanischen Gesellschaft in verdichteter Form ausdrückt» (Kato 1990: 363).

Die Geschichte der 47 herrenlosen Samurai nimmt auch aus historischer Sicht eine Schlüsselrolle ein, denn sie markiert in der Entwicklung des japanischen Kriegerstandes im Tokugawa-Staat einen Wendepunkt. Zeitlich fiel der Racheakt der rōnin in die Genroku-Ära (1688–​1704). Sie gilt als eine Zeit der kulturellen Blüte, in der Bücher, Theaterstücke und die bildende Kunst, vor allem die Holzschnitte über die sogenannte «fließende Welt» (ukiyo-e) der prosperierenden Städte, ein breites bürgerliches Publikum erreichten, das sich gerne abends in den Vergnügungsvierteln von den Tagesgeschäften ablenken ließ. Es waren aber nicht nur Kaufleute und Handwerker, die sich an den reichhaltigen Angeboten der städtischen Kultur berauschten; auch die Samurai wussten bald die Annehmlichkeiten und Ausschweifungen bürgerlicher Lebenslust zu schätzen. Wirtschaftlich leisten konnten sie es sich damals schon nicht mehr. Aber die in der Genroku-Zeit relativ hohen und stabilen Reispreise kaschierten den Tatbestand, dass bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Samurai ihre Schulden bei den reichen Kaufleuten nicht mehr zurückzahlen konnten. Selbst an der politischen Spitze hatte der fünfte Tokugawa shōgun Tsunayoshi, dem seine die Tiere und insbesondere die Hunde begünstigenden Gesetze den unrühmlichen Namen «Hunde-shōgun» eintrugen, mit finanzpolitischen Tricks die Nöte der Regierung gelindert; zum normalen Kurs hatte er 1695 minderwertige Gold- und Silbermünzen prägen lassen und damit die Löcher in den öffentlichen Kassen vorübergehend gestopft. Die Genroku-Jahre waren deshalb für das Shōgunat und die Samurai eine ökonomische Verschnaufpause. Danach ging es wirtschaftlich nur noch bergab. Der Fall der Reispreise in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts und die damit verbundenen Einbußen der nach dem Reisertrag ihrer Lehen und Ämter bemessenen Stipendien beschleunigten den sozialen Niedergang des Kriegerstandes erheblich; denn viele Samurai konnten vom urbanen Luxus nicht mehr lassen und verschuldeten sich immer mehr. Dies war eine Entwicklung, die nicht nur auf Edo beschränkt war, sondern nahezu alle Provinzen und Burgstädte gleichermaßen erfasste. Staatlich verordnete Maßnahmen wie die Sistierung der Kredite brachten eine nur vorübergehende Erleichterung. Letztendlich verschärften sie die ökonomischen Probleme der Samurai eher, denn die Kaufleute waren nun nur noch zu verschärften Bedingungen bereit, ihr Geld Mitgliedern eines scheinbar marodierenden und deklassierten Standes zu leihen. In dieser Lage erschienen die 47 Samurai, die noch Werte wie Selbstbeschränkung und Pflichterfüllung symbolisierten, den Lesern und Zuschauern der Kabuki-Stücke in der Edo-Zeit als Helden einer verlorengegangenen Welt.

Die berühmte Geschichte weist uns darüber hinaus auf eine etymologische Problematik hin: All die, die außerhalb Japans gemeinhin mit dem Sammelbegriff «Samurai» bezeichnet werden, sind im strengen Sinne des Wortes oftmals keine samurai gewesen. Jene sind uns bislang in vielfältiger Gestalt begegnet: Erwähnung fanden der shōgun als Repräsentant der höchsten politischen Macht, die daimyō als seine höchsten Vasallen und «Regierungschefs» in den Provinzen, der karō als «Hausältester» und Stellvertreter eines daimyō, und schließlich die rōnin als herrenlose Krieger selbst. All diese Personen (und noch viele andere) werden in Japan eher als bushi denn als samurai bezeichnet. Erst in der späten Edo-Zeit begann sich der Begriff als Sammelbezeichnung für die Krieger durchzusetzen und wird dementsprechend bis heute im Westen (und deshalb auch in diesem Buch) in einem verallgemeinernden Sinne benutzt.

Ursprünglich hatte der Terminus samurai keine ausschließlich militärische Bedeutung; als Nominalform von samurau, auch saburau («dienen» oder «aufwarten») beschrieb er im alten Japan den «Diener» in einem allgemeinen Sinne. (Der Lautwandel von saburai zu samurai erfolgte erst im 16. Jahrhundert.) Noch in der Heian-Zeit (794–​1185) und der mittelalterlichen Kamakura-Zeit (1185–​1333) finden wir den Samurai, der «Dienst» beim Adel am Hof in Kyōto versah, und dies nicht nur als Soldat, Ordnungshüter oder Torwächter, sondern auch als jemand, der bei diversen höfischen Ritualen (Umzügen, Empfängen und dergleichen) assistierte oder dem hohen Amtsadel bei der Verwaltung der Finanzen half. Darüber hinaus ist der Samurai als Krieger bekannt, der in den Provinzen in einem bestimmten «Kriegerhaus» (buke) «Dienst» tat. Erst in der militärischen Hierarchie des Kamakura-Shōgunats entwickelte sich dann ein spezifischer Rang, der mit dem Begriff samurai belegt wurde und der in der Regel den bewaffneten Begleiter eines höhergestellten, berittenen Kriegers bezeichnete. Im Kampf bestand dessen Aufgabe darin, seinem Herrn Flankenschutz zu geben. Der ursprüngliche Charakter des Samurai als Diener blieb also auch im Zuge der militärischen Professionalisierung während der Kamakura-Zeit erhalten. Gleichwohl deutete sich in dieser Zeit schon eine Ausweitung der Bedeutung von «Samurai» an; abzulesen ist sie am besten im 1180 geschaffenen Amt «samurai dokoro», einer Zentralbehörde für die Angelegenheiten der Vasallen in Kamakura. Deren Befugnisse erstreckten sich im 13. Jahrhundert auch auf die Kontrolle der Polizei, der Militärgouverneure (shugo) und Vögte (jitō); in der Muromachi-Zeit war die Behörde darüber hinaus für die militärische Aufsicht über Kyōto als Sitz der tennō und die Ländereien der shōgun zuständig. Von da aus war es bis zur Durchsetzung des Gebrauchs von «Samurai» im Sinne einer allgemeinen Bezeichnung für alle Angehörigen des Kriegerstandes nicht mehr weit, wenngleich der Begriff bushi im Japanischen auch weiterhin bevorzugt wird.

Die für das Mittelalter noch typische Bedeutungsdifferenz können wir auch aus einer ganzen Reihe von europäischen Quellen herauslesen, wie z.B. dem von portugiesischen Missionaren im Jahre 1603 angefertigten «Vocabulario da lingoa de Iapam». Dort wurden die bushi als «soldado» von den saburai als «fidalgo» («Adel») oder «bomem bourado» («ehrenwerte Leute») geschieden. Als weitere Begriffe für Soldaten oder Krieger wurden tsuwamono («soldado» oder «gente de guerra»), mononofu («soldados») und musha («soldado armado») angeführt. Dies ist insofern bemerkenswert, als der Begriff des Samurai zu jener Zeit offensichtlich auch noch zur Bezeichnung von Personen diente, die nicht mit militärischen Tätigkeiten in Verbindung gebracht wurden. Das «Vocabulario» ordnete den «saburai» als Mitglied des Adels ein und verglich ihn in seinem Auftreten mit dem englischen Gentleman. Diese Wertschätzung der Samurai durch die europäischen Besucher verlor sich bis ins 19. Jahrhundert nahezu völlig. Für den englischen Gesandten Sir Rutherford Alcock waren die Samurai die arroganten Beamten des shōgun, die sich vor allem dadurch auszeichneten, dass sie zu viel Sake tranken und die Schärfe ihrer Schwerter an Bettlern und Hunden ausprobierten. Erst Nitobe Inazō hat dann im Jahre 1899 mit seinem zuerst in englischer Sprache publizierten Buch «Bushido. The Soul of Japan» das positive Bild der Samurai im Westen für Jahrzehnte festgeschrieben. Über dieses Bändchen sowie über die Erzählungen und Berichte der ausländischen Händler, Diplomaten und Wissenschaftler gelangte der Begriff des Samurai schnell nach Europa und breitete sich hier soweit aus, dass er seit den 1930er Jahren in nahezu allen europäischen Lexika und Enzyklopädien verzeichnet ist.

Der Begriff des bushi ist im Westen nur als eine Herleitung aus dem Wort bushidō geläufig, womit der «Weg des Kriegers» im Sinne einer spezifischen Moral und Methodik der Lebensführung beschrieben wird. Die einschlägigen Lexika weisen zwei Bedeutungsvarianten aus, die sich zum einen aus der Tätigkeit der Betreffenden, zum anderen aus ihrem Status ergeben: Mit bushi sind diejenigen gemeint, die die «Kriegskunst» (bugei) beherrschen oder in militärischen Organisationen an zentraler Stelle bzw. in der Gesellschaft über dem «gemeinen Volk» (shojin) stehen. Diese vorwiegend militärischen Konnotationen bilden den ursprünglichen Bedeutungsgehalt des Begriffs bushi und seiner beiden Schriftzeichen aber nur unvollkommen ab. Das erste Zeichen bu (chin. wu) des sino-japanischen Binoms bushi meint nach Ausweisung älterer chinesisch-deutscher Lexika «militärisch, kriegerisch» (im Gegensatz zu «zivil») und wurde in der Verbindung mit shi (chin. shih) in einem pejorativen Sinne auch als «Henker» wiedergegeben, – eine für die frühe Übernahme des Begriffs im Altjapanischen unzulässige semantische Verengung. Die neuere Forschung betont gegenüber den älteren Auffassungen, wonach die bushi noch aus den Revolten der Kriegsherren in den Provinzen gegen den Hofadel hervorgingen, ihre Funktion als Ordnungsmacht, die gleichsam «gute» Gewalt ausübte. Zu Recht wird heute der «Krieger» (bushi) dem «Gelehrten» (bunjin) an die Seite gestellt, wo es darum geht, die beiden tragenden Säulen von Staat und Gesellschaft im alten Japan zu benennen. «Krieger» und «Gelehrte» stehen in einem funktionalen Komplementärverhältnis zueinander. In diesem Sinne findet der Begriff des bushi auch in frühen japanischen Quellenwerken wie dem «Shoku Nihongi» Erwähnung, wo es in einem Eintrag zum Jahre 721 heißt: «Dem Gelehrten und dem Krieger bringt das Herrscherhaus eine besondere Wertschätzung entgegen» (Shimomura 1993: 10).

Der zweite Teil des Binoms shi (chin. shih) bezeichnet in den älteren, in chinesischer Sprache abgefassten Annalen schon das Ganze: den konfuzianisch gebildeten Gentleman-Ritter, der Schutz gewährt und Ordnung schafft, und zwar in seiner Doppelfunktion als Kämpfer und als Beamter. Dieser im Begriff bushi angelegte «freundliche Dualismus» erklärt, «warum der Kriegerstand in der japanischen Neuzeit die dominierende Rolle in der Gesellschaft spielen konnte» (W. Naumann 1998: 142). Yamaga Sokō, der große konfuzianische Theoretiker des «Bushidō» in der Edo-Zeit, brachte diese Bipolarität der Funktionen der bushi mit den Worten zum Ausdruck: «Es wäre nicht hinreichend, wenn die bushi ihre kriegerischen und zivilen Tugenden nur kennen würden, ohne sie nicht auch zum Ausdruck zu bringen und in der Wirklichkeit umzusetzen» (Tsunoda 1958,1: 399). Nach diesem Ideal war der Samurai also nicht nur der kriegerische Held, sondern auch ein gesellschaftlicher Erzieher, der den anderen Ständen der feudalen Gesellschaft ein Vorbild sein sollte. Damit rechtfertigte er seine privilegierte Existenz als Angehöriger eines nicht-produktiven Standes. Die 47 herrenlosen Getreuen agierten auch in diesem «volkspädagogischen» Sinne, auch wenn ihre Tat, im Vergleich zum rationalisierten Ideal der Krieger in einer befriedeten Gesellschaft, einen gleichsam emotionalen Gegenentwurf darstellte.

Schließlich wirft die Legende der 47 Samurai eine Frage auf, die auf den interkulturellen Vergleich zweier feudaler Systeme zielt: Wäre die Rache der 47 rōnin auch im mittelalterlichen Europa möglich gewesen? Sind die japanischen Samurai wirklich die «Ritter des Fernen Ostens» gewesen, wie es der Untertitel des älteren Buchs von Richard Storry noch leichter Hand behauptet hat? Diese Fragen sind schwer zu beantworten, denn man muss sie eigentlich auf zwei Ebenen diskutieren: auf der des feudalen Systems und auf der seiner Protagonisten, der Samurai und Ritter. Im Anschluss an einen Definitionsvorschlag des Historikers Otto Hintze kann man von Feudalismus immer dann sprechen, wenn sich die Geschichte in drei Funktionsbereichen auf folgende Weise entwickelt hat: 1.im militärischen Bereich durch «Absonderung eines ausgebildeten, dem Herrscher in Treue verbundenen Kriegerstandes», deren Verhältnis zueinander auf Privatvertrag beruht; im sozial-ökonomischen Bereich durch die Entwicklung grundherrschaftlich-bäuerlicher Wirtschaftsformen, die dem Kriegerstand ein arbeitsfreies Auskommen auf Rentenbasis garantiert; und im politisch-administrativen Bereich durch Dezentralisierung und die Übertragung öffentlicher Herrschaftsrechte auf lokale Herrengewalten. Im Anschluss an die Arbeiten des berühmten japanischen Mediävisten Asakawa Kan’ichi waren Hintze und nach ihm der amerikanische Historiker John W. Hall zu der Auffassung gelangt, dass es zwischen europäischem und japanischem Feudalismus einen «merkwürdigen Parallelismus» gebe. Die neuere Japanforschung hat diese grundsätzliche Vergleichbarkeit der beiden Feudalismen im Wesentlichen bestätigt und insbesondere in den vergangenen Jahren Gemeinsamkeiten und Differenzen für einzelne Länder und Perioden überzeugend herausgearbeitet. Man streitet aber noch darüber, ab und bis wann man in Japan überhaupt von Feudalismus sprechen kann. Die Krieger der Nara-Zeit (tsuwamono) erfüllten im 8. Jahrhundert die von Hintze angeführten Kriterien nur zum Teil; sie waren eigentlich «Teilzeit-Krieger» und konnten angesichts der großen, von Bauern gestellten Infanterien kein Gewaltmonopol für einen spezifischen Kriegerstand durchsetzen. Auch die enge personale Bindung, wie sie aus der Geschichte der 47 Samurai spricht und in den 1920er Jahren von Asakawa betont wurde, war bis zur Sengoku-Zeit (1467–​1573) noch kein typisches Merkmal des japanischen Feudalismus. In diesen Jahren des permanenten Bürgerkriegs – man sollte besser von einem «Krieg der Krieger» sprechen – war der Herrschaftswechsel an der Tagesordnung, wenn es nicht zur angemessenen Belohnung und zur entsprechenden Anerkennung für die geleisteten Kriegsdienste kam. Im Tokugawa-Shōgunat haben sich die oben genannten konstitutiven Merkmale eines feudalen Systems zwar noch erhalten. Sie unterlagen aber einem deutlichen Trend hin zur Stärkung der Zentralgewalt. Ihrer Autorität mussten sich schließlich auch die 47 Samurai beugen, auch wenn es in der Öffentlichkeit Edos zu einer lebhaften Kontroverse über die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens und die Angemessenheit des harten Strafmaßes kam.

Die vergleichende Perspektive stößt offensichtlich dort an ihre Grenzen, wo es um die mentale und religiöse Disposition von Rittern und Kriegern in feudalen Gesellschaftssystemen geht. Besondere Treuebindungen, Fehden und Blutrache hat es natürlich auch im mittelalterlichen Europa gegeben. In Frankreich bildeten sich im Umkreis geistlicher Herrschaften um die Mitte des 11. Jahrhunderts die «homines ligii» aus, die ihrem Herrn zu unbedingter Treue gegen jedermann verpflichtet waren. Im Fall von Loyalitätskonflikten ging das ligische Verhältnis allen anderen vor. Unbedingte Opferbereitschaft mit einkalkulierter Todesfolge hatte aber dort ihre Grenze, wo der christliche Glaube berührt war, der dem Ritter die Selbsttötung zur Wiederherstellung seiner Ehre verbot. Dem stand in Japan die enge Verbindung der Samurai mit dem Zen-Buddhismus gegenüber, für den die Betonung der Flüchtigkeit und Nichtigkeit der Existenz charakteristisch ist. Eine ethische oder religiös temperierte Beschränkung, Würde und Ehre (meiyo) für sich und die Gruppe, der man angehörte, in auswegloser Lage auch auf dem Weg der Selbsttötung zu wahren, bestand in Japan nicht. Dass die Bestrafung der 47 Samurai als Ritual des seppuku und als Gemeinschaftserlebnis zelebriert wurde, weist darüber hinaus auf die spezifische Bedeutung der Gruppensolidarität hin, die sich in diesem extremen Fall bis zum eigenen und freiwilligen Tod erstreckt.

Aus der Geschichte der 47 Samurai und aus den nachfolgenden Legenden lassen sich also, wie wir gesehen haben, vielfältige Perspektiven entwickeln, die eine kurze Geschichte des japanischen Kriegerstandes heute zu berücksichtigen hat. Zu keiner Zeit handelte es sich bei den Samurai (= bushi