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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74095-414-7
Der Kranke wälzte sich im Bett hin und her. »Wahnsinn«, murmelte er, »ich schaffe es nicht, nein!«
Er schrie gellend auf, und das war nicht das erste Mal, während er in der Behnisch-Klinik lag.
»Armer Kerl«, sagte Dr. Dieter Behnisch zu seiner Frau Jenny. »Ob er jemals darüber hinwegkommt?«
»Wenn er es erfährt, daß die anderen nicht überlebt haben, kann es noch schlimmer werden«, sagte Jenny deprimiert.
Drei Wochen lag der Pilot Felix Falk schon in dieser Klinik, und es war ein Wunder, daß er mit dem Leben davongekommen war, als einziger von den fünf Insassen der Privatmaschine, die er von Zürich nach München bringen sollte.
Alles war normal verlaufen, während dieses Fluges, aber als er zur Landung ansetzte, wurde das Flugzeug von einer Sportmaschine, die gerade erst gestartet war, gerammt. Der junge Pilot dieser Maschine, der noch wenig Flugerfahrung hatte, hatte dieses schreckliche Unglück verursacht, das auch er nicht überlebte.
Felix Falk hatte noch eine Notlandung versucht, und die Maschine auch zu Boden gebracht. Helfer waren auch schnell zur Seite gewesen. Zwei Insassen waren jedoch sofort tot, die beiden anderen, wie er selbst, schwerverletzt. Aber er allein hatte dann überlebt.
Die beiden Männer einer großen Schweizer Firma wurden von ihren Hinterbliebenen betrauert, das junge Ehepaar, Hilde und Alfred Greif, das in München eine Filiale übernehmen sollte, hinterließ nur einen kleinen vierjährigen Sohn, der in ein Waisenhaus gebracht wurde und nicht begreifen konnte, daß seine Eltern nie mehr wiederkommen würden.
Ausführlich war in vielen Zeitungen von dem Unglück berichtet worden, aber an den kleinen Dominik dachte bald niemand mehr. Für seinen Unterhalt war durch die Versicherung gesorgt, daß ein Kind nach seinen Eltern weinte, war bald vergessen.
Felix Falk hätte den kleinen Dominik nicht vergessen, aber er wußte noch immer nicht, daß Hilde und Alfred Greif, die er gut gekannt hatte, nicht mehr lebten. Und Dr. Behnisch hatte Angst vor der Stunde, in der er ihm die Nachricht sagen mußte.
*
Nicht weit entfernt von der Behnisch-Klinik lebte der Bankier Victor Sölting mit seiner Frau Manuela in einer feudalen Villa. Seit vierzehn Jahren waren sie verheiratet, doch die Ehe war kinderlos geblieben, und darüber war Manuela sehr unglücklich.
Dr. Daniel Norden, ein Freund von Dr. Behnisch, zählte Manuela zu seinen Patienten, seit sie sich in der Behnisch-Klinik einer Schilddrüsenoperation unterziehen mußte. Danach litt sie an noch stärkeren Depressionen, da ihr Mann so taktlos war, ständig die Narbe zu bemängeln.
Manuela war ein bildschönes Mädchen von neunzehn Jahren gewesen, als Victor Sölting sie geheiratet hatte, und dazu hatte sie noch ein Vermögen in die Ehe gebracht, das ihm gestattete, seine hochfliegenden Pläne zu verwirklichen.
Victor Sölting war ein attraktiver Mann, der seinen penetranten Egoismus unter lächelnder Maske zu verbergen verstand. Die Frauen flogen auf ihn, und treu war er eigentlich nie gewesen.
Manuela hatte erst nach ihrer Operation begriffen, daß es nicht nur Gerüchte waren, die an ihre Ohren drangen. Sie hatte es einfach nicht für möglich gehalten, daß ein Mann, ihr Mann, so skrupellos lügen und betrügen konnte.
Von ihm hatte sie nur Hohngelächter geerntet, als sie ihm Vorhaltungen machte, und sie hatte sich von ihm sagen lassen müssen, daß sie nicht einmal fähig sei, Kinder in die Welt zu setzen.
Nach außen hin konnte sie sich beherrschen. Eigentlich wußte nur Dr. Norden, wie es wirklich um ihr Seelenleben stand.
Er hatte tiefes Mitgefühl mit dieser sensiblen und so grundanständigen Frau. Als er an diesem Tag so dringend zu ihr gerufen wurde, betrat er das komfortable Haus mit sehr gemischten Gefühlen.
Manuelas Freundin, Liane Härtling, hatte ihn angerufen. Sie war eine robuste Frau, sehr sportlich und unsentimental, hatte als Leichtathletin einige Rekorde erzielt und dann den Sportartikelfabrikanten Hermann Härtling geheiratet, den sie Männe nannte, und der sich als Hobbyschreiner immer wieder kleine Verletzungen zuzog, die Dr. Norden dann kurieren mußte.
Dr. Norden mochte diesen Männe Härtling, und er mochte auch seine Frau.
»Nela ist zusammengeklappt, und daran bin ich schuld«, eröffnete ihm Liane, die nur schlicht Li genannt wurde. »Ich erkläre es Ihnen später. Schauen Sie erst mal nach ihr.«
Manuela lag bleich und starr auf ihrem Bett. Blicklos waren ihre Augen auf Dr. Norden gerichtet, und dann schüttelte sie nur immer wieder den Kopf.
»Es darf nicht wahr sein, es darf nicht wahr sein«, flüsterte sie, als er nach ihrer Hand griff. »Ich möchte schlafen, schlafen, und nie mehr aufwachen.«
Er war erschüttert, aber er wußte auch, daß er sie nicht zum Sprechen bringen würde. Ihr Puls war schwach, ihr Blutdruck zu niedrig. Es war besser, wenn sie jetzt schlafen würde, jedoch nicht für immer. Dr. Norden wollte von Liane Härtling hören, was geschehen war.
»Sie brauchen einen Tapetenwechsel«, sagte er eindringlich, während er ihr die Injektion gab.
»Tapetenwechsel«, murmelte sie. »Fort von hier, weit fort.« Und dann schlief sie schon erschöpft ein.
*
Liane Härtling hielt sich nicht lange bei der Vorrede auf. »Ich hätte diesen Kerl ja schon längst vor die Tür gesetzt«, sagte sie grimmig. »Er legt es doch darauf an, Nela systematisch kaputtzumachen. Aber einer mußte ihr doch mal die Augen öffnen, Dr. Norden. Nela ist meine einzige Freundin. Sie ist so ein feines Mädchen. Ich kann nicht zusehen, wie sie vor die Hunde geht. Ich habe ihr gesagt, was ihr Mann treibt.«
»Und was treibt er?« fragte Dr. Norden.
»An Sie kommt wohl kein Klatsch heran?« fragte Liane. »Aber es ist ja nicht nur Klatsch. Er hat schon ewig ein Verhältnis mit seiner früheren Sekretärin. Sie hat bereits einen sechsjährigen Sohn von ihm und kriegt jetzt noch ein Kind. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, nur Nela wohnt in ihrem Wolkenkuckucksheim und gibt sich selbst die Schuld am Dilemma ihrer Ehe, weil sie keine Kinder bekommen kann. Dabei ist Victor wahrhaftig zum Vater nicht geschaffen, und Susanne ist auch so eine dumme Person, die das nicht begreifen will.«
»Sie kennen diese Frau?« fragte Dr. Norden.
»Ja, sehr gut. Sie macht unsere Buchhaltung. Sie läßt sich nicht von ihm aushalten. Sie liebt diesen Kadetten. Die Wut könnte mich packen. Mir geht das einfach gegen den Strich. Am Ende bleiben beide auf der Strecke, Nela und Susanne, und dann mache ich mir vor Vorwürfe, daß ich den Mund nicht gehalten habe. Hätte ich ihn doch halten sollen, Herr Dr. Norden?«
»Von Ihrem und auch meinem Standpunkt haben Sie richtig gehandelt«, erwiderte er. »Was hilft es schon, in ungeklärten Verhältnissen zu leben. Können Sie sich heute um Frau Sölting kümmern?«
»Ja. Die Kinder sind bei meinen Schwiegereltern. Männe ist geschäftlich unterwegs. Victor übrigens auch. Hoffentlich nicht noch mit einer dritten Frau, von den Nebenbeiflirts abgesehen. Wenn mein Männe mir das bieten würde, wäre ich schon längst über alle Berge.« Sie machte eine kleine Pause. »Nela wäre es bestimmt nicht recht, daß ich so offen darüber spreche, aber ich kann doch nicht zuschauen, daß meine einzige Freundin vor die Hunde geht. Wir haben Nela viel zu verdanken. Victor hätte uns kein Geld geliehen damals. Wir sind in seinen Augen ja auch nicht gesellschaftsfähig. Aber dafür haben wir sowieso nichts übrig. Wir sind wenigstens ehrlich. Aber von uns habe ich genug geredet. Reden wir jetzt von Nela. Wäre es denn nicht möglich, daß Sie ihr zureden würden, mal auf die Insel der Hoffnung zu gehen? Man hört doch so viel davon, wie heilsam so eine Kur ist.«
»Es wäre vielleicht besser, wenn Sie ihr zureden würden, Frau Härtling. Ich mache nicht so gern Reklame für unser Sanatorium. Aber ich kann Ihnen versprechen, daß Frau Sölting dort bestimmt schnell Aufnahme findet, wenn sie sich dazu entschließen sollte.«
»Ich werde mein Bestes tun«, versprach Liane. »Ich bin so froh, daß wir Sie haben, Herr Dr. Norden. Die meisten Ärzte nehmen sich doch gar keine Zeit, einen anzuhören.«
»Sie rufen mich einfach an, wenn Frau Sölting wieder aufgewacht ist, und Sie mit ihr gesprochen haben. Dann werden wir weitersehen«, erwiderte Dr. Norden, der nun wieder in seine Praxis mußte, wo noch einige Patienten mit ihren kleinen und großen Leiden warteten.
Vielleicht hatte Liane Härtling nicht gerade die sanfteste Art, aber ehrliche Freundschaft mochte in manchen Fällen wohl besser helfen.
Dr. Norden war sich durchaus darüber klar, daß Manuela Sölting zu einem schwierigen Fall werden konnte, wenn diese Schocktherapie, die Liane intuitiv angewandt hatte, ihre Wirkung verfehlte.
Viele Leiden konnten durch Depressionen entstehen, selbst Krebs. Auch dazu bekannten sich jetzt einige Forscher, und diese Theorie hatte er selbst schon vertreten. Schwere Depressionen verminderten physische Abwehrkräfte. Die Ursache so mancher schwerer Leiden mußte im seelischen Bereich des Patienten gesucht werden. Hier heilend einzuwirken war wohl mit die wichtigste Therapie.
Als Dr. Norden an der Behnisch-Klinik vorbeifuhr, dachte er unwillkürlich an Felix Falk, über dessen Schicksal er durch Dieter Behnisch wußte.
Ihm ging auch durch den Sinn, daß da ein kleines Kind Waise geworden war. Hätte es Manuela Sölting nicht helfen können, wenn sie ein Kind adoptiert hätte?
So gut, so schön, gewiß, aber wenn Victor Sölting so war, wie Liane ihn drastisch geschildert hatte, wäre das doch keine gute Lösung gewesen. Immerhin aber war Sölting zumindest in finanzieller Hinsicht auf seine Frau angewiesen. Das wußte Dr. Norden von seinem Freund Dieter Behnisch, der Manuelas Eltern behandelt hatte, die beide in seiner Klinik im Abstand von zwei Jahren an unheilbaren Krankheiten gestorben waren.
*
Manuela schlief vier Stunden, und als sie erwachte, blickte sie verwirrt in Lianes Gesicht.
»Was war denn?« fragte sie verwirrt.
»Dir war nicht gut, Kleine«, erwiderte Liane liebevoll. »Und jetzt bleibst du hübsch liegen. Ich rufe gleich wieder Dr. Norden an.«
»Nein«, widersprach Manuela. »Ich erinnere mich. Du hast mir das von Victor erzählt. Oder habe ich es geträumt?«
»Meinetwegen hast du es geträumt«, sagte Liane.
»Li, ist es die Wahrheit?« fragte Manuela dumpf.
»Ja, es ist die Wahrheit. Herr im Himmel, liebst du ihn denn so sehr?«
»Nein, das ist es nicht, aber… versteh doch, unser guter Ruf steht auf dem Spiel.«
»Nela, sieh den Tatsachen ins Auge. Männer können sich immer noch mehr erlauben als Frauen. Ich habe Vic nie besonders gemocht, aber dafür stehst du mir um so näher, und du brauchst auf ihn wahrhaftig keine Rücksicht zu nehmen. Mach dich frei. Du bist doch eine gescheite Frau, hast soviel Talente und auch genügend Geld. Mich wurmt es, daß du leidest. Vielleicht fange ich es falsch an, aber ich bin und bleibe deine Freundin. Du hast uns geholfen, jetzt möchte ich dir helfen.«
»Es ist gut, daß du so offen bist«, sagte Manuela. »Bist du die ganze Zeit hier?«
»Jemand muß sich doch um dich kümmern«, erwiderte Liane.
»Danke, Li. Ich will mich den Tatsachen nicht verschließen. Du hast lange geschwiegen.«
»So lange weiß ich es auch noch nicht, aber ich befand mich in einer Zwickmühle. Leider bin ich nun mal für Klarheit.«
»Nicht leider sagen«, bat Manuela. »Mir ist jetzt wohler. Ich habe ja geahnt, daß es da noch eine Frau gibt. Unsere Ehe bestand doch seit Monaten nur noch auf dem Papier. Genau seit vierzehn Monaten, seit der Operation. Die Narbe hat mich verunstaltet.«
»Hat Victor dir das gesagt?« fragte Liane empört.
»Ja.«
»Ich könnte ihm an den Kragen springen«, ereiferte sich Liane. »Und du hast alles geschluckt.«
»Ich bin doch nur eine halbe Frau«, sagte Manuela leise. »Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn wir Kinder hätten.«
»Es ist gut, daß du nur vielleicht sagst. Wahrscheinlich würden dann jetzt noch mehr verschiedene Kinder unter der Unzulänglichkeit ihres Vaters leiden. Bleiben wir bei den Tatsachen, Nela. Das Verhältnis mit Susanne besteht seit Jahren. Sie ist immerhin so anständig, daß sie nicht auf Scheidung pochte, wollen wir davon absehen, daß Victor darauf eingegangen wäre. Ich weiß zwar nicht, was an ihm Liebenswertes sein könnte, aber sie liebt ihn, und du hast ihn auch geliebt.«
»Es ist lange her«, sagte Manuela leise.
Erstaunt sah Liane die Freundin an. »Lange?« fragte sie. »Wie lange?«
»Ich weiß es nicht mehr, wann ich plötzlich nichts mehr fühlte. Vielleicht kann ich gar nichts mehr fühlen. Ich weiß jetzt jedenfalls, was ich tun werde.«
»Und was ist das?«
»Ich werde die Scheidung einreichen.«
»Du solltest ein paar Wochen auf die Insel der Hoffnung gehen, Nela. Ich kenne dich doch lange genug. Du brauchst seelische Kraft. Du mußt aufgetankt werden, wenn man es so nennen will.«
»Ja, das werde ich im Auge behalten, aber zuerst muß ich hier Klarheit schaffen.«
»Fühlst du dich Victor denn gewachsen?«
»Jetzt schon. Du hast mir geholfen«, erwiderte Manuela. »Es ist sehr lieb von dir, daß du bei mir geblieben bist, aber Männe wird dich vermissen.«
»Willst du nicht mit zu uns kommen, Nela?«
»Nein, es ist besser, wenn ich jetzt alles durchdenke. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bringe mich nicht um. Nein, das würde ich niemals tun. Ich werde den Tatsachen ins Auge sehen, und das verspreche ich dir.«
»Und du wirst nicht vergessen, daß eigentlich doch alles dir gehört, Nela. Dieses Haus, sehr viel Geld. Du solltest nicht zu großmütig sein.«
»Besitz, Geld, was bedeutet das schon, wenn man sonst nichts hat«, sagte Manuela leise.»Ja, wenn ich ein Kind hätte, wäre mir wohl leichter gefallen, den Trennungsstrich zu ziehen. Aber ich werde nie eines haben.« Ihre Stimme bebte.
»Es gibt viele Kinder, denen man helfen kann, Nela«, sagte Liane eindringlich. »Geh doch mal in ein Waisenhaus.«
»So einfach ist das alles nicht, noch dazu, wenn man dann allein ist als Frau. Und wenn man ein Problem hat, soll man sich nicht ein zweites aufladen. Aber auf die Insel der Hoffnung werde ich gehen, Li. Kann Dr. Norden das arrangieren?«
»Aber gewiß. Sprich mit ihm. Er ist ein Mensch, nicht bloß ein gutaussehender Mann. Und außerdem ist er der beste Arzt, den ich kenne.«
»Dr. Behnisch ist auch ein guter Arzt«, sagte Manuela.
»Zugegeben, aber ich hab es nicht mit denen, die schneiden.«
»Manchmal kann es die letzte Rettung sein.«
»Aber nicht, wenn es um die Seele geht. Und bei dir geht es nur darum, Nela. Es tut mir leid, wenn ich es so hart sage. Ich bin halt ein Trampel.«
»Nein, das bist du nicht, Li«, sagte Manuela und dann umarmte sie ihre Freundin. »Du bist aufrichtig. Ich danke dir.«
Liane betrachtete Manuela forschend. »Und was nun, Nela?«
»Ich muß nachdenken. Ich möchte eine Lösung ohne Trara. Es will wohl überlegt sein.«
»Laß dich nicht aufs Kreuz legen, Nela«, sagte Liane warnend. »Victor ist ein Fuchs.«
»Das weiß ich«, erwiderte Manuela zu ihrer Überraschung. »Und nun fragst du dich wieder, warum ich nicht längst auf und davon bin. Ich kann dir keine klare Antwort geben. Ich hatte einfach Angst vor einem Skandal.«
»Du bist jetzt keine neunzehn mehr, sondern dreiunddreißig, Nela, und du hast noch ein Leben vor dir. Du kannst die Koffer packen und alles hinter dich werfen. Und wenn du mich brauchst, rufst du mich an, Männe mag dich. Er hätte nichts dagegen, wenn du auch bei Nacht bei uns aufkreuzst, aber ich denke, es wäre besser, wenn du auf die Insel der Hoffnung gehst. Dort haben sie mehr Verständnis für ein angeknackstes Seelenleben. Mehr Fingerspitzengefühl.«
Manuela versuchte ein Lächeln. »Dir habe ich viel zu verdanken, Li. Ich werde es niemals vergessen.«
»Hauptsache, du überstehst alles gut«, erwiderte Liane. »Und laß von dir hören.«
»Bestimmt«, nickte Manuela.
*
Sie überlegte gar nicht lange, kleidete sich sorgfältig an und verließ dann das Haus. Sie schloß sorgfältig hinter sich ab, ging zur Garage und setzte sich in ihren kleinen Wagen.
Weit brauchte sie nicht zu fahren. Das Haus, vor dem sie hielt, sah sehr gepflegt aus, war gelb getüncht. Es befanden sich sechs Wohnungen darin.
Über einer Klingel stand der Name Rösch. Auf diese drückte sie. Der Summer ertönte bald. Manuela stieg zur ersten Etage empor. In der Wohnungstür stand eine blonde Frau, die ein paar Jahre jünger war als sie selbst.
An sie drängte sich im nächsten Augenblick ein ebenso blonder Junge. Die Frau war blaß geworden.
»Frau Sölting?« sagte sie leise.
»Ich denke, wir sollten miteinander sprechen, Susanne«, sagte Manuela ruhig.
»Was will die Dame, Mutti?« fragte der Junge, und Manuela dachte, daß dies der Sohn ihres Mannes war, und daß Susanne Rösch bald ein zweites Kind haben würde.
»Geh in dein Zimmer und spiel, Tommy«, sagte Susanne. »Wir haben etwas zu besprechen.«
»Ich möchte aber wissen, wie die Dame heißt«, sagte der Junge eigensinnig.
»Ich heiße Manuela«, erwiderte sie.
Mit den hellen Augen seiner Mutter sah der Junge sie an.
»Mutti hat gesagt, daß mein Schwesterchen vielleicht Manuela heißt«, sagte er eifrig. »Wenn es kein Brüderchen wird.«
»Und wie soll es dann heißen, wenn es ein Brüderchen wird?« fragte Manuela heiser.
»Manuel.« Tommy lachte. »Ich möchte aber lieber ein Schwesterchen.«
»Geh doch jetzt spielen, Tommy«, sagte Susanne bebend.
»Gehe ja schon, Mutti«, erwiderte er.
Er verstand schnell, und Susannes Augen waren flehend auf Manuela gerichtet.
»Ich glaube nicht, daß es richtig wäre, dem Kind meinen Namen zu geben«, sagte sie tonlos. »Warum wollen Sie das, Susanne?«
»Woher wissen Sie alles?« fragte Susanne Rösch zitternd.
»Spielt das eine Rolle? Ich meine nur, daß es an der Zeit ist, daß wir Klarheit schaffen. Ich reiche die Scheidung ein.«
»Um Gottes willen«, rief Susanne aus. »Victor würde mir die Schuld geben. Bitte, tun Sie es nicht. Er will sich doch gar nicht scheiden lassen.«
»Er braucht es nicht zu wollen. Ich will es. Erwarten Sie ihn?«
»Nein, er ist auf einer Geschäftsreise«, erwiderte Susanne mit erstickter Stimme.
»Dann können wir uns in aller Ruhe unterhalten. Mir ist das sehr lieb«, erwiderte Manuela. »Ich werde Ihnen keine Szene machen, Susanne.«
»Bitte, treten Sie näher«, sagte die Jüngere leise.
Das Wohnzimmer war hübsch eingerichtet, aber recht bescheiden. Manuela ging es unwillkürlich durch den Sinn, daß dies Victor für seine Geliebte gerade gut genug wäre, daß er aber auf seinen erstrebten und längst gewohnten Luxus doch nicht verzichten wollte, obgleich ihm diese Frau ein Kind geschenkt hatte.
Plötzlich dachte sie nicht mehr an sich selbst. Diese Frau tat ihr viel mehr leid. Sie kannte Susanne lange. Damals, als sie Victors Sekretärin gewesen war, hatte sie schon geahnt, daß er nicht achtlos an dem hübschen Mädchen vorübergehen würde. Dann hatte er ihr eines Tages gesagt, daß sie gekündigt hätte, aber nicht im Entferntesten hatte sie daran gedacht, weshalb sie nicht bei ihm im Büro blieb. Da hatte Susanne Rösch ihren Sohn zur Welt gebracht. Vor mehr als sechs Jahren schon, und sie hatte nichts davon gewußt.
Vielleicht hatte Victor sie immer betrogen, aber daß er sein Kind vor ihr verleugnet hatte, verzieh sie ihm nicht.
Sie wunderte sich selbst, wie ruhig sie Susanne gegenübersitzen konnte, die doch so nervös und hilflos wirkte.
»Ich wollte Ihnen nicht wehtun, Frau Sölting«, sagte Susanne bebend.
»Sie tun mir nicht weh. Ich bedauere nur, daß Victor mir nicht die Wahrheit gesagt hat«, erwiderte Manuela. »Schließlich haben Sie ein Kind, und das ist doch Victors Sohn.«
Susanne nickte stumm.
»Und nun erwarten Sie wieder ein Kind! Meinen Sie nicht, daß es an der Zeit ist, die Karten auf den Tisch zu legen?«
»Ich wußte doch, daß Victor mich niemals heiraten kann«, erwiderte Susanne leise. »Ich liebe ihn.«
»Und Sie sind zufrieden, daß er ab und zu mal kommt?«
»Ich muß damit zufrieden sein.«
»Guter Gott, ich war auch sehr viel allein, aber ich hatte kein Kind«, sagte Manuela. »Ich habe darüber nachgedacht, wo er nun ist, und mit wem er die Nächte verbringt. Verzeihen Sie, daß ich so deutlich werde, aber unsere Ehe ist doch nur noch eine Formalität. Ich ziehe die Konsequenzen. Selbstverständlich erwarte ich, daß er Sie heiratet und Ihren Kindern seinen Namen gibt.«
»Bitte nicht«, stieß Susanne hervor. »Das würde alles nur noch schlimmer machen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Jetzt wird doch nur getuschelt oder geklatscht, aber wenn es publik würde, daß ich der Scheidungsgrund bin, wäre Victor gesellschaftlich ruiniert, und ich…«, sie unterbrach sich, »bitte, verstehen Sie es doch, Frau Sölting, an mir würde alles hängenbleiben. Victor würde es mir nie verzeihen.«
Manuela legte die Hände vor ihr Gesicht. »So wenig sind auch Sie sich seiner sicher?« fragte sie erschüttert.
»Sie müssen das verstehen, Frau Sölting. Er hat mir gesagt, daß er mich nie heiraten kann. Ich habe es gewußt. Er hat mir versprochen, daß er die Kinder später adoptiert, wenn es ganz gewiß ist, daß Sie keine Kinder bekommen können. Und für die Kinder will er auch sorgen.«
Manuela war wie zu Stein erstarrt. Sie begriff, daß die andere Victor bedingungslos liebte, oder ihm hörig war und zu jeder Konzession bereit. Eisige Schauer rannen über ihren Rücken.
»Sie sind töricht«, sagte sie rauh. »Stellen Sie doch Ihre Forderungen. Sie können ihn blamieren, ihn sogar ruinieren. Sie können ein Kind, bald zwei vorweisen. Warum nehmen Sie Rücksicht?«
»Weil ich ihn liebe, verstehen Sie das doch. Ich will ihn nicht ganz verlieren. Er kommt immer wieder zu mir zurück.«
Warum, fragte sich Manuela. So schön ist sie doch auch wieder nicht. Und Geld hat sie auch nicht. Ist es das, daß er mit ihr machen kann, was er will, daß sie so unterwürfig ist und ihn anbetet wie einen Gott? Oder, daß sie so töricht ist, ihm all seine Märchen zu glauben?
»Darf ich Sie fragen, was Victor über mich spricht? Oder ist das zuviel verlangt?« fragte sie.
»Wir sprechen nicht über Sie«, erwiderte Susanne. »Victor respektiert Sie sehr.«
Fast hätte Manuela gelacht, aber bei ihr überwog nicht der Groll gegen ihren Mann, sondern das Mitgefühl mit dieser Frau, die ihm so blindlings untertan war, denn Berechnung war es bei Susanne Rösch nicht, das hatte Manuela bereits begriffen.
»Wir wollen jetzt nicht darüber sprechen, wie Victor mich einschätzt«, sagte sie. »Wir haben uns schon lange nichts mehr zu sagen. Ich wollte Sie nur wissen lassen, daß ich mich scheiden lassen werde, und Ihnen kann ich jetzt nur den Rat geben, sich nicht hinhalten zu lassen. Es tut mir leid, wenn ich nichts anderes zu sagen vermag, Frau Rösch, aber ich meine, daß Victor auch Ihnen einiges schuldig geblieben ist. Ich werde ihm nicht sagen, daß wir miteinander gesprochen haben, falls Sie es nicht wünschen.«
»Nein, bitte nicht«, stieß Susanne hervor.
»Nun, ich habe mehrere Gründe, mich von meinem Mann zu trennen«, sagte Manuela, »und ich hoffe, daß alles Aufsehen vermieden wird, doch auf jeden Fall sollen Sie es wissen, daß er in absehbarer Zeit frei sein wird. Sie können dann selbst Konsequenzen ziehen. Sollten Sie irgendwelche Schwierigkeiten mit ihm bekommen, können Sie sich jederzeit an mich wenden.«
»Aber das könnte ich nie«, erwiderte Susanne mit erstickter Stimme.
»Denken Sie an Ihre Kinder«, sagte Manuela.
»Warum sind Sie so großmütig, Frau Sölting?« fragte Susanne leise.
»Ich habe nichts mehr zu verlieren«, erwiderte Manuela. »Für mich ist dieser Lebensabschnitt beendet. Und es ist gut so. Es hat schon zu lange gedauert. Mein Angebot ist ernst gemeint«, fügte sie noch hinzu, dann verabschiedete sie sich.
Sie hatte das beruhigende Gefühl, von sich aus Klarheit geschaffen zu haben, und fuhr nun zu Dr. Norden, weil sie wußte, daß er dienstags bis sieben Uhr Sprechstunde hatte. Zwar vornehmlich für die Berufstätigen, aber sie hoffte, doch ein paar Minuten mit ihm sprechen zu können.
Loni sagte ihr, daß dies durchaus einzurichten sei, wenn es sich nur um eine Auskunft handelte.
Dr. Norden war allerdings sehr überrascht, Manuela in der Praxis zu sehen.
»Es geht mir gut«, erklärte sie. »Danke für Ihre Hilfe, Herr Dr. Norden, und jetzt möchte ich Sie bitten, mich auf der Insel der Hoffnung anzumelden.«
»Das werde ich gern tun«, sagte er. »Darf ich Ihnen morgen Bescheid geben, gnädige Frau?«
»Es eilt nicht so. Ich habe noch einiges zu erledigen. Und meinetwegen wird man doch einen anderen Patienten nicht vor die Tür setzen.« Es gelang ihr ein Lächeln, und wieder einmal dachte Dr. Norden, welch unglaublich tapfere und beherrschte Frau sie doch war.
»Wäre Ihnen der Anfang der nächsten Woche angenehm?« fragte er.
»Ja, sehr.« Sie zögerte kurz. »Warum sollen Sie es nicht wissen, ich will meine Scheidung einleiten.«
Sie sagte es ruhig und ohne Gefühlsbewegung, ohne das leiseste Zittern. Aber was sollte er darauf erwidern? Daß es das Beste sein würde? Es war ihre ureigenste Entscheidung, aber irgendwie beruhigte es ihn doch, daß die resolute Liane Härtling anscheinend den letzten Anstoß gegeben hatte, und Manuela auf ihre aufrichtige Freundin hörte.
Immerhin hatte sie vierzehn Jahre an der Seite dieses Mannes ausgeharrt, der in der Geschäftswelt einen guten Ruf genoß. Wahrscheinlich war dies vor allem ihr zu verdanken und es konnte durchaus möglich sein, daß Victor Sölting nicht damit rechnete, daß seine Frau zu einer solchen Entscheidung überhaupt fähig war.
Dr. Norden hatte ja so recht mit dieser Vermutung. Victor Sölting glaubte sich seiner Frau völlig sicher zu sein.
Er kam an diesem Abend von seiner Reise zurück. Manuela, hellhörig und hellsichtig geworden, roch auch das ziemlich aufdringliche Parfüm, das in seinen Kleidern haftete.
An Susanne und in deren Wohnung hatte sie solchen Geruch nicht wahrgenommen. Manuela war eiskalt bis in die Zehenspitzen.
»Wie heißt es?« fragte sie sarkastisch.
»Wie heißt was?« fragte er irritiert.
»Das Parfum, nach dem du duftest«, gab sie gelassen zurück.
Er sah sie konsterniert an. Das Blut stieg ihm in die Stirn.
»Im Flugzeug hat jemand etwas verschüttet. Ich weiß nicht, wie es heißt. Gefällt es dir?«
Manuela lachte auf. »Gott bewahre. Mit solchen Düften umgebe ich mich nicht. Du solltest doch wissen, daß ich alles Aufdringliche verabscheue.«
Sie gebrauchte absichtlich dieses Wort, obgleich sie sonst alles sehr vorsichtig formulierte.
»Es ist gut, daß du heute schon zurückkommst«, fuhr sie fort. »Ich habe die Absicht, nächste Woche zu verreisen…«
»Unmöglich!« fiel er ihr ins Wort. »Da haben wir den Empfang.«
»Du wirst ohne mich empfangen müssen«, sagte sie ironisch. »Mein Entschluß steht fest. Und ein anderer auch. Ich reiche die Scheidung ein.«
Es bereitete ihr Genugtuung, wie er erschrak, wie er fahl wurde und nach einem Halt suchte.
»Bist du übergeschnappt?« stieß er hervor.
»Aber nein, ich denke jetzt völlig normal«, erwiderte sie, »und ganz klar. Gott sei Dank, daß ich das wieder kann. Unter anderem möchte ich dir den Anblick meiner Narbe ersparen.«
Ein geradezu höllisches Vergnügen bereitete es ihr, sich so überlegen zu erweisen. Sie ließ ihn nicht aus den Augen. Er war noch immer ein sehr attraktiver Mann, auf sie wirkte er allerdings schon lange nicht mehr in seiner Arroganz und Blasiertheit.
»Spiel dich nicht so auf mit diesen Nichtigkeiten«, fuhr er sie an. »Was ist in dich gefahren?«
»Auf einmal sind es Nichtigkeiten«, sagte Manuela. »Es mag ja sein, daß du nach Gründen gesucht hast, um mich zu verletzen, und leider ist dir das ja auch eine ganze Zeit gelungen, aber die Gründe für meinen Entschluß sind andere. Ich meine, daß es an der Zeit ist für dich, die Mutter deiner Kinder zu heiraten.«
Nun färbte sich sein Gesicht grünlichgrau.
Bevor er noch etwas sagen konnte, fuhr Manuela fort: »Du willst diese Kinder doch nicht etwa verleugnen, Victor?«
»Wer hat dir denn diesen Bären aufgebunden?« fragte er zornig.
Manuela lächelte verächtlich. »Ja, ich habe mir gedacht, daß du es leugnen würdest«, sagte sie eisig. »Es paßt zu dir. Mir tut Susanne Rösch leid. Du kannst ruhig wissen, von wem ich es weiß. Li steht zu ihrem Wort. Es ist nur ein Jammer, daß sie es mir nicht früher gesagt hat.«
»Dieses Proletarierweib«, schimpfte er. »Eine feine Freundin hast du.«
»Beleidige Li nicht«, erwiderte Manuela scharf. »Hüte dich, ein Wort noch gegen sie und ihren Mann zu sagen, sie herabzuwürdigen. Kehre vor deiner Tür. Ich werde mich nicht mit dir streiten. Ich übergebe alles Dr. Dunker. Aber sagen wollte ich es dir selber. Und nun tu mir bitte den Gefallen und verlaß mein Haus.«
»Dein Haus? Es ist unser Haus«, zischte er.
»Nein, es ist mein Haus«, erwiderte Manuela. »Ich beanspruche es, in welcher Weise die vermögensrechtlichen Angelegenheiten auch geklärt werden müssen. In diesem Haus haben schon meine Eltern gelebt. Und wenn mir auch der Sinn nicht danach steht, in Zukunft darin zu leben, du wirst auch nicht darin leben, Victor.«
»Und ich werde auch nicht in die Scheidung einwilligen«, sagte er aggressiv. »Ich habe niemals die Absicht gehabt, mich von dir zu trennen.«
»Dann hättest du danach leben müssen«, sagte Manuela ruhig. »Mein Entschluß ist endgültig. Mag es dauern, solange es will, mich kann es nicht tangieren. Aber es wirft ein noch schlechteres Bild auf dich und deinen Lebenswandel, wenn du Susanne Rösch nicht heiratest, bevor dein zweites Kind zur Welt kommt.«
»Weiß ich denn, ob ich der Vater bin? Weiß ich, ob ich Tommys Vater bin? Sie hat mich erpreßt.«
Manuela wandte sich ab. »Du bist noch gemeiner, als ich dachte«, sagte sie und dann knallte sie die Tür hinter sich ins Schloß.
Auch das bereitete ihr Genugtuung. Es war fast symbolisch für sie. Dieser Knall, mit dem die Tür ins Schloß fiel, war ein Schlußpunkt.
Sie konnte nun ganz ruhig über alles nachdenken, über diese Zeit, in der sie sich so erniedrigt, oft gedemütigt gefühlt hatte, ohne die Kraft zur Gegenwehr aufzubringen.
Auch die Tür zu ihrem Zimmer hatte sie abgeschlossen. Es dauerte nur ein paar Minuten, dann rüttelte er an der Klinke.
»Das ist doch alles Unsinn, Manuela!« schrie er. »Laß uns miteinander sprechen. Laß mich herein. Du kannst die vierzehn Jahre doch nicht vergessen.«
»Doch, das kann ich«, erwiderte sie kühl. »Ich habe lange gebraucht, um dich in all deiner Minderwertigkeit zu durchschauen, aber jetzt zählen für mich nur noch Tatsachen. Und ich sage es dir noch einmal: Mir tut Susanne leid. Mir tut jede halbwegs anständige Frau leid, die auf dich hereingefallen ist und noch hereinfällt. Du kannst jetzt ja beweisen, was dein Image wert ist. Ich mache nicht mehr mit. Ich kann mich nicht mehr verstellen.«
Und dann schwieg sie, obgleich er vor der Tür immer weiterredete, bettelte und flehte.
Sie wußte jetzt, wie nötig er sie als Rückhalt brauchte. Es verschaffte ihr keinen Triumph. Eher machte es ihr noch klarer, daß sie nur ein Aushängeschild für ihn gewesen war. Und als er dann, am Ende seiner Litanei, dröhnend schrie: »Ich kann doch nichts dafür, daß du keine Kinder bekommen kannst«, wußte sie auch, daß dies nur eine billige Ausrede für ihn war, die ihm als Entschuldigung dienen wollte.
Sie erwiderte auch darauf nichts. Sie begann ihre Koffer zu packen, da sie nun wußte, daß er freiwillig dieses Haus nicht verlassen würde.
Sie wartete, bis sie hörte, daß er mit seinem Wagen fortfuhr. Dann rief sie Liane an und fragte sie, ob sie zu ihnen kommen könnte für eine Nacht.
»Für tausend Nächte«, erwiderte Liane.
Welch ein gutes Gefühl war es doch, Freunde zu haben wie Liane und Männe.
Sie rief dann noch bei Dr. Norden an, um ihm zu sagen, wo er sie erreichen könnte. Ihn selbst konnte sie nicht sprechen. Das Telefon war bereits auf die Wohnung umgestellt. Fee Norden war am Telefon. Sie notierte, was Manuela sagte.
Persönlich kannten sie sich nicht, doch an diesem Abend sollte Fee Norden so manches über Manuela Sölting erfahren.
Aber auch Susanne sollte Victor an diesem Abend in einem anderen Licht sehen.
Er fuhr geradewegs zu ihr. Tommy schlief schon. Ihm war das nur recht. Er war jetzt nicht fähig, dem Jungen den liebevollen Vater vorzuspielen.
Susanne begrüßte ihn auch nicht so freudig wie sonst, sondern distanziert. Er betrachtete sie mißtrauisch, und sagte dann leichthin: »Gibt es wieder mal Tratsch?«
»Wieso?« fragte er.
»Du bist so komisch.«
»Ich fühle mich nicht wohl. Immerhin bin ich im sechsten Monat.«
»Was fehlt dir denn?« fragte er. »Sorge ich nicht gut genug für euch?«
»Es fehlt mir, daß ich nicht mehr arbeiten kann«, sagte sie.
»Bei diesem Härtling? Damit hast du uns sowieso eine schöne Suppe eingebrockt.«
»Wieso?« fragte sie.
»Manuela ist informiert.«
Susanne hatte sich in all den Jahren beherrschen gelernt. Heute fiel es ihr schwer, aber sie kam von diesem Mann nicht los, wenn sie auch noch so viele Zweifel hegen mußte.
Aber sie verriet nicht, daß Manuela mit ihr gesprochen hatte. Sie wollte hören, was er sagte.
»Sie braucht es ja nicht gerade von Frau Härtling zu wissen«, sagte sie. »Du gehst hier ein und aus und wirst gesehen. Ich habe dir immer gesagt, daß es irrsinnig ist, daß ich hier wohne.«
»Warum denn? Das Haus gehört mir. Es sind Eigentumswohnungen. Ich kann mich darum kümmern, ob alles in Ordnung ist. Du hast die Verwaltung. Du brauchst nicht noch für andere zu arbeiten.«
»Du weißt, daß ich mich nicht von dir aushalten lassen will.«
»Sei jetzt nicht so stur, Susanne. Ich zahle dir fünfhundert Mark mehr, und ich werde jetzt öfter mal Kerscher schicken. Er hat keine Ahnung, was zwischen uns ist. Er ist ein ganz netter Mann, sieht auch nicht schlecht aus. Wir müssen uns irgendwie arrangieren. Manuela ist in einer schlechten Verfassung. Ich muß mich um sie kümmern, muß mehr für sie daheim sein.«
Susanne wurde es ganz übel, aber sie wußte doch nicht abzuwägen, ob Manuela nun ehrlich zu ihr gewesen war, oder ob Victor ein Täuschungsmanöver demonstrierte.
»Wer ist Kerscher?« fragte sie.
»Ein neuer Mann in der Bank. Kassierer, sehr ordentlich. Wir haben ziemlich viel Wechsel. Jetzt kann man sich die Leute ja auch aussuchen.« Er blickte sich um. »Bekomme ich etwas zu essen?« fragte er dann.
»Hat deine Frau dir nichts gegeben?« fragte Susanne spöttisch.
»Ich habe dir doch gesagt, daß es ihr nicht gutgeht.«
»Und warum bist du dann nicht bei ihr geblieben?«
»Weil ich Sehnsucht nach dir hatte.«
Zum ersten Mal hörte sie den falschen Unterton, und ihr wurde es ganz elend.
»Sehnsucht«, wiederholte sie schleppend. »Hin und her pendeln zwischen zwei Frauen oder noch mehreren.«
»Spinnst du auch?« entfuhr es ihm unbeherrscht.
»Wieso auch?« fragte sie.
»Angenehm war es nicht für mich, als Manuela mir vorhielt, daß ich mit dir ein Verhältnis hätte und daß Tommy mein Sohn wäre.«
»Er ist dein Sohn«, sagte sie rauh.
»Natürlich ist er mein Sohn, aber wie oft habe ich mir gesagt, daß ich meine Ehe nicht gefährden kann. Einmal steckt zuviel Geld von Manuela in der Bank, und dann ist der Name meines Schwiegervaters noch immer mein Renommee. Wenn Manuela durchdreht, kann ich nichts mehr für euch tun. Du hast diese Abmachungen akzeptiert.«
»Ja, das habe ich«, erwiderte sie müde.
»Manuela ist krank«, sagte er. »Sie leidet an Depressionen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann kann ich geltend machen, daß unsere Ehe so nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Aber ich muß aus dieser Geschichte mit weißer Weste herauskommen, Susanne. Das mußt du begreifen.«
»Ja, das begreife ich«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Du brauchst deine weiße Weste.«
»Sonst ist doch alles aus. Herrgott, seid ihr Weiber denn so dumm.«
»Ich bin es wahrscheinlich, weil ich dir so lange alles geglaubt habe. Daß deine Frau herzlos, kalt und herrschsüchtig ist. Daß sie auf ihr Geld pocht und keinesfalls in eine Scheidung einwilligen würde.«
Seine Augen verengten sich, als sie schwieg. »Und jetzt bist du anderen Sinnes geworden? Warum denn, Susanne?«
»Weil ich mit ihr gesprochen habe.«
»Du hast mit ihr gesprochen?« fragte er erregt, und an seinem Gesichtsausdruck merkte sie, daß er nichts wußte, daß Manuela nichts von ihrer Unterredung gesagt hatte.
»Ich habe sie getroffen. Sie kennt mich doch von früher. Sie hat nichts aber auch gar nichts gesagt, daß sie von unserem Verhältnis wüßte«, erwiderte sie überstürzt.
»Wo hast du sie getroffen?«
Sie überlegte krampfhaft. »Bei Dr. Leitner«, erwiderte sie.
»Das ist doch der Gynäkologe. Was macht Manuela dort?«
»Das weiß ich nicht«, redete sie sich heraus. »Vielleicht war sie zu einer Vorsorgeuntersuchung.«
In seinen Augen blitzte es teuflisch auf. »Vielleicht hat sie Krebs«, sagte er. »Das würde doch ihr eigenartiges Verhalten erklären. Sie plant eine Reise – Susanne, wenn sie krank ist, dann…«
»Sei still!« schrie sie auf. »Sprich nicht weiter. Ich will das nicht hören. Ich habe gelogen. Ich war bei ihr.« Lieber diese Lüge, als weiter anhören zu müssen, was er noch sagen würde.
»Du warst bei ihr?« Er packte sie bei den Schultern und schüttelte sie. »Du bist zu meiner Frau gegangen?« Und dann schlug er ihr rechts und links ins Gesicht, daß sie nur so hin und her taumelte.
Sie fiel auf das Sofa. Sie starrte ihn aus weit offenen Augen an, als sähe sie ihn zum ersten Mal.
»Geh«, sagte sie. Mühsam brachte sie es über die Lippen. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dieses Wort zu sagen.
»Ja, ich gehe. Du wirst meine Ehe nicht zerstören«, mußte sie hören. Aber dann dachte sie an Manuela, an ihre verständnisvollen Worte, und sie dachte an ihren Jungen. Aber an das andere Kind wollte sie nicht denken, und sie ahnte nicht, daß sie es noch in dieser Nacht verlieren würde.
Tommy wachte von ihrem Stöhnen auf. Er kam zu ihr ins Zimmer gelaufen. »Mutti, was ist denn?« fragte er. Doch sie wand sich nur in qualvollen Schmerzen.
Er lief die Treppe hinunter und läutete an der Tür. Dort war zwar erst ein neuer Mieter eingezogen, aber wie hätte man von einem kleinen, angstvollen Jungen erwarten können, daß er daran dachte.
Ein Mann mittleren Alters öffnete die Tür. »Was ist denn?« fragte er erschrocken.
»Meine Mutti, meine Mutti«, schluchzte Tommy, und dann folgte ihm der Mann im Schlafanzug die Treppe hinauf.
*
Dr. Norden wurde aus dem Schlaf geläutet. Er hatte zwar Nachtdienst, aber bis Mitternacht gab es keinen Anruf, und so hatte Fee gemeint, daß er doch ein paar Stunden schlafen könnte.
Sie hatten noch lange über Manuela gesprochen, nachdem Daniel seiner Frau gesagt hatte, daß Manuela auf der Insel der Hoffnung Abstand von ihrer mißlichen Situation nehmen wolle. Er hatte auch mit seinem Schwiegervater Dr. Cornelius telefoniert und festgelegt, daß Manuela schon am Sonntag kommen könnte. Für besondere Fälle hielt Dr. Cornelius immer ein, manchmal auch zwei Appartements frei. Er war es schon gewöhnt, daß sein Schwiegersohn ihm solche dringenden Fälle daherbrachte und schließlich war Daniel ja Mitbesitzer des Sanatoriums.
Fee Norden war immer voller Mitgefühl, wenn es um betrogene Ehefrauen ging. Allerdings versagte sie ebensowenig betrogenen Ehemännern ihr Mitgefühl.
Da sie selbst eine so überaus glückliche Ehe führte, schien es ihr jedoch unbegreiflich, wie man eine Frau wie Manuela betrügen konnte, eine Frau, die schön, klug und zudem auch noch reich war, aber auch eine durchaus liebenswerte Frau.
Fee kannte Victor Sölting nur vom Sehen und Hörensagen. Man sprach nicht schlecht über ihn. Er verstand es, nach außen hin sein Gesicht zu wahren und sein Image zu pflegen. Unbestreitbar war er ja ein gutaussehender Mann.
Fee konnte nicht wissen, was diese Susanne Rösch, zu der Daniel jetzt unterwegs war, mit Victor Sölting zu schaffen hatte. Aber da sie nicht wieder einschlafen konnte, wie immer, wenn sie aus dem ersten Schlaf gerissen wurden, dachte sie über Manuela Sölting nach.
Daniel Norden wurde indessen von einem recht aufgeregten Mann und einem weinenden kleinen Jungen empfangen, und er brauchte nicht lange, um festzustellen, daß Susanne Rösch vor einer bedrohlichen Frühgeburt stand.
Er rief den Notarztwagen herbei, und danach gleich seinen Freund, Dr. Leitner, an.
»Sind Sie der Ehemann?« fragte er den Mann im Schlafanzug.