Zum Buch:

Stolperfallen im Gespräch

Unser Gesprächsverhalten ist geprägt von Automatismen, wie Frage – Antwort, Vorwurf – Rechtfertigung oder Angriff – Verteidigung. Dieses Buch zeigt Ihnen, wie Sie auch anders reagieren können, um nicht beispielsweise auf dreiste Fragen zu antworten oder auf gespielte Hilflosigkeit hereinzufallen. Dieses Hereinfallen wird hier als Falle bezeichnet.

So unangenehm es ist, in eine Falle zu tappen, trifft sie doch nur den, der nicht vorbereitet ist. Dieses Buch zeigt, was Sie aktiv beisteuern können, um sich dem Automatismus zu entziehen, immerzu erwartungsgemäß und permanent für andere verfügbar zu sein. Glücklicherweise sind Sie den Ansprüchen, die andere an Sie stellen, nicht bedingungslos ausgeliefert – im Gegenteil: Sie können Bedingungen benennen und dadurch Begegnungen bereichern und Beziehungen belastbar machen.

Mit diesem Buch lernen Sie ein neues Gesprächsverhalten, mit dem Sie zu anderen Ergebnissen kommen. Das gilt insbesondere dann, wenn Ihnen an guten Beziehungen gelegen ist.

 

Zum Autor:

Prof. Dr. Christian-Rainer Weisbach (Universitäten Tübingen und Hohenheim) widmet sich mit seinem Forschungsschwerpunkt der „Professionellen Gesprächsführung“. Als viel gefragter Personalentwickler, Coach und Referent lautet sein Arbeitsmotto: Wertschöpfung durch Wertschätzung.

Beck-Wirtschaftsberater

Stolperfallen

im Gespräch

Passende Antworten auf unpassende
Fragen und andere Möglichkeiten,
Gespräche zu lenken

Von Prof. Dr. habil. Christian-Rainer Weisbach

 

VVorwort

Kennen Sie solche Fragen? „Hast du dir das auch gut überlegt?“ In der Regel neigen wir dazu, inhaltlich darauf einzugehen und verlieren unsere Souveränität. Denn der andere führt uns mit dieser Frage und lenkt unsere Reaktion. Bildlich gesprochen tappen wir in eine von vielen Gesprächsfallen, die so unscheinbar sind, dass wir sie meist zu spät bemerken.

Je länger ich mich mit Kommunikation im Allgemeinen und einer wertschätzenden Gesprächsführung im Besonderen auseinandersetze, umso mehr kristallisiert sich für mich heraus, dass das schier endlose Angebot an Möglichkeiten zu kommunizieren wenig zu echter und auch beglückender Begegnung beiträgt. Noch nie in der Geschichte konnten Menschen so problemlos Kontakte herstellen und sich mit Menschen in aller Welt verknüpfen. Und gleichzeitig fühlen sich so viele Menschen einsam, trotz hunderter von Freunden in ihren sozialen Netzwerken. Wieso beklagen sich so viele Menschen, dass sie kaum jemanden haben, der sie versteht? Ganz gleich, ob es sich um Kinder, Schüler, Mitarbeiter, Partner oder Rentner handelt.

Ehe Sie mit der Lektüre dieses Buches beginnen, will ich Ihnen in diesem Vorwort eine erste, schnelle Antwort geben: Es ist eine bestimmte, uns allen vertraute und auch allgegenwärtige Art der Kommunikation, die darauf abzielt, andere zu kontrollieren, verfügbar zu machen und zu verdinglichen. Kontrolle erhöht zwar in erster Linie Sicherheit, lässt aber Begegnung erstarren und verhindert Wachstum. Denn wir verfügen nicht über etwas, was sich eigenständig verändert, eben wächst. Immer dann, wenn uns an einer guten Beziehung – geschäftlich genauso wie privat – gelegen ist, können wir mit einem souveränen Reaktionsverhalten zu befriedigenden Ergebnissen kommen.

Mit diesem Buch will ich Ihnen zeigen, was Sie aktiv beisteuern können, um sich den zumeist unreflektierten Forderungen an Ihre Verfügbarkeit zu entziehen. Glücklicherweise sind wir den Ansprüchen VIanderer nicht bedingungslos ausgeliefert – im Gegenteil: Wir können Bedingungen benennen, die Begegnungen bereichern und Beziehungen belastbar machen.

Tübingen, im Mai 2019

Christian-Rainer Weisbach

VIIInhaltsübersicht

Vorwort

Einleitung

1. Kapitel Passende Reaktionen auf unpassende Fragen

2. Kapitel Fragen passend stellen

3. Kapitel Neugier statt Kontrolle

4. Kapitel Die Fragefalle vermeiden

5. Kapitel Wer argumentiert, verliert

6. Kapitel Dem „Opfer“ nicht auf den Leim gehen

7. Kapitel Entscheidungen bewusst machen

8. Kapitel Mit GEZ zum Dialog

Nachwort

Anmerkungen

Sachverzeichnis



1Einleitung

Auch wenn ich in den folgenden Kapiteln das Fragen infrage stelle, möchte ich vorab erklären, dass Fragen durchaus ihre Berechtigung haben können: In vielen Situationen erscheint die Frage als das beste Mittel, um schnell an Informationen zu kommen. Darum fragen wir üblicherweise, wenn wir etwas wissen wollen. Ob wir jetzt Verkäufer, Handwerker, Lehrer, Juristen, Ärzte oder Coaches nehmen, sie alle gehen davon aus, dass sie ihren Beruf nicht ohne Fragen ausüben können. Das erklärt auch das vielfältige Schulungsangebot zum Thema Fragetechnik sowie die überaus breite Literatur zu diesem Thema. Allerdings steht dort vor allem der Fragende im Mittelpunkt und es werden ausgefeilte Fragetechniken entwickelt, um den Fragenden an sein Ziel zu bringen.

Dabei werden mehrere Probleme nicht beachtet. Zum einen ist eine wichtige Voraussetzung: Wer fragt, muss zuhören können. Und zuhören heißt: Die Antworten mit ungeteilter Aufmerksamkeit aufzunehmen. Zum anderen gilt es, ein Klima des Wohlwollens und Vertrauens zu schaffen, um mit seinen Fragen voranzukommen.

Nach meinen Beobachtungen wird außerdem der folgende Punkt regelmäßig übersehen: Dass nämlich direkte Fragen nicht immer zielführend sind, weil die meisten Menschen dazu neigen, Fragen so zu beantworten, dass sie mit der Antwort in einem guten Licht stehen. Und zwar im doppelten Sinne: Sowohl in einem guten Licht vor dem Fragenden als auch vor sich selbst.

2Außer der Wissbegierde gibt es noch einen weiteren Grund, warum Fragen gestellt werden: Sie können den Befragten auch zur Reflexion einladen. In diesem Fall stellt der Fragende gewissermaßen stellvertretend für seinen Gesprächspartner Fragen, die dieser sich – aus welchen Gründen auch immer – bislang nicht selbst gestellt hat. Berater und Coaches sind in der Regel nicht an den konkreten Antworten ihrer Klienten interessiert, sondern setzen ihre Fragetechnik so ein, dass der andere zum Nachdenken kommt. Freilich sind auch diese Fragen nur zielführend, wenn der Befragte bereit und offen ist, darauf einzugehen. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, sind Fragen – und seien sie noch so differenziert – stets mit dem Risiko verbunden, Antworten zu provozieren, die sozial erwünscht klingen, einen also gut dastehen lassen. Da sich viele Menschen scheuen, Gefühle wie Zweifel, Zögern und Unentschlossenheit oder Sorgen, Bedenken und Ängste etc. offen zuzugeben, wird ihre Antwort oftmals unreflektiert geschönt, um vor anderen gut dazustehen bzw. um das eigene Selbstbild zu bewahren.

Rein grammatikalisch betrachtet, drücken wir uns mittels vier Satzarten aus: Aussage, Aufforderung, Ausruf und Frage. Auch wenn sich Aussage, Aufforderung und Ausruf mittels Betonung und Fragepartikel zu Fragen umformen lassen, sind sie eigentlich keine Fragen. Die Aufforderung: „Schließen Sie bitte die Tür!“ wird üblicherweise in Frageform höflich abgemildert: „Würden Sie bitte die Tür schließen?“ oder ganz umständlich: „Würde es Ihnen etwas ausmachen, die Tür zu schließen?“ Trotzdem ist die Bedeutung dieser Pseudofragen immer noch die der Aufforderung. Und auch das an eine Äußerung angehängte „gell?“, „nicht wahr?“, „oder?“ stellt die Aussage keineswegs infrage. Auch bewundernde Ausrufe wie „fantastisch!“, „großartig“, „einzigartig“ werden zustimmungsheischend um diese Partikel ergänzt: „Fantastisch, nicht wahr?“, „Großartig, gell?“, „Einzigartig, oder?“.

Was nach meiner Erfahrung jedoch kaum genutzt wird, ist das umgekehrte Prinzip, nämlich die Frage nicht als Frage erscheinen zu lassen. Im Kern zielt die Frage ja auf eine Antwort ab und ist eine Sonderform der Aufforderung: Der andere soll antworten bzw. sich erklären. Damit der Befragte möglichst keinen Erklärungsdruck 3spürt, bietet es sich an, die Frage in Form einer Aussage zu formulieren. Aussagesätze wirken aufgrund des Tonfalls weniger bedrängend und ziehen in der Regel weitergehende Ausführungen des Gesprächspartners nach sich. Hier gilt die Analogie: Wer fragt, muss zuhören können und wer den anderen auffordert, etwas zu erklären, muss ebenso hinhören können.

Damit eine derartige Feststellung die volle Wirkung hat, ist es wichtig, dass sie mit Selbstverständlichkeit getroffen wird. Erst das macht sie zu etwas Natürlichem. Das trägt zur Entspannung und Entlastung bei, zeigt unser Tonfall doch, dass wir völlig ruhig und entspannt bleiben und an dem, was der andere erwidert, nichts Besonderes oder Ungewöhnliches finden.

Ehe Sie sich weiter in dieses Buch vertiefen, können Sie sofort überprüfen, wie die Reaktionen Ihrer Gesprächspartner ausfallen, wenn Sie einmal direkt fragen und ein anderes Mal die Frage im Aussagemodus stellen, beispielsweise:

Wann können Sie kommen?

Oder: Um Sie einzutragen, möchte ich noch wissen, wann Sie kommen.

Wie war Euer Urlaub?

Oder: Ich bin neugierig, von Eurem Urlaub zu hören.

Bist du jetzt sauer?

Oder: Ich habe den Eindruck, dass du jetzt sauer bist.

Welche Bedeutung hat diese Entscheidung für Sie?

Oder: Ich möchte gern mit Ihnen darüber nachdenken, welche Bedeutung diese Entscheidung für Sie hat.

Interessanterweise bringt das die meisten Menschen eher zu einer spontanen Fortsetzung der reinen Antwort, als dass dies durch eine Frage möglich wäre. Denn das Beantworten von Fragen wird ja immer von einem automatischen Kontrollmechanismus begleitet, bei dem sich der Antwortende auch fragt, ob und inwieweit die Antwort geeignet ist, sowohl die Frage zu beantworten als auch sein Selbstbild aufrecht zu erhalten und ihn in einem guten Licht dastehen zu lassen bzw. sozial erwünscht zu wirken.

Im folgenden Buch werde ich mich im ersten Kapitel ganz auf die Seite derer stellen, die sich durch viele Fragen ihrer Mitmenschen 4genervt fühlen und möchte zeigen, wie wir souverän reagieren können, auch ohne die jeweilige Frage zu beantworten.

Im zweiten Kapitel zeige ich, wie wir ein Gespräch führen können, indem wir unsere Fragen am Gegenüber ausrichten. Mithilfe unserer Erklärungen können wir den Befragten veranlassen, differenziert zu antworten und ihn im besten Fall in die von uns gewünschte Richtung lenken.

Leider wird vielen Menschen ihre natürliche Neugier bereits im Kindesalter ausgetrieben. Da diese für ein gelingendes Miteinander wichtig ist, führe ich im dritten Kapitel die Besonderheiten von Neugier und der Suche nach Möglichkeiten aus. Das steht im Kontrast zur gängigen Kontrolle und der vertrauten Bestätigung von Erwartungen.

Es gibt nicht nur eine Antwortfalle, auch eine Fragefalle ist vermeidbar. Im vierten Kapitel zeige ich, wie wir unversehens in Frageketten geraten, weil wir uns für den weiteren Gesprächsverlauf verantwortlich fühlen. Außerdem erläutere ich, wie man anderen helfen kann, aus diesen Frageketten herauszukommen.

So, wie eine Frage nur dann Sinn macht, wenn der Befragte bereit ist, sie zu beantworten, machen Argumente nur Sinn, wenn der Gesprächspartner bereit und willens ist, zuzuhören. Deshalb geht es im fünften Kapitel darum, wie wir unsere Standpunkte formulieren müssen, wenn wir den anderen nicht unterwegs verlieren wollen.

Hinter dem provozierenden Titel „Dem 'Opfer' nicht auf den Leim gehen“ zeige ich im sechsten Kapitel eine Reihe von kommunikativen Tricks, mit denen andere versuchen, uns vor ihren Karren zu spannen und welche Möglichkeiten es gibt, sich dieser Vereinnahmung souverän zu entziehen.

Im siebten Kapitel geht es um unsere allzu schnelle Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und die Frage, wie wir die Handlungsverantwortung beim anderen belassen können. Sie lernen Möglichkeiten kennen, dem anderen bewusst zu machen, welche Entscheidungen er getroffen hat.

Schließlich zeige ich im letzten Kapitel, wie wir durch eine erlaubende Haltung unseren Gesprächspartner zum Sprechen bringen können.5In einem kurzen Exkurs mache ich aus meinen Bedenken hinsichtlich der sogenannten „Gewaltfreien Kommunikation“ keinen Hehl. Abschließend führe ich nochmals aus, wie unser Tonfall den Dialog beeinflusst.

Ehe Sie die verschiedenen Gesprächsfallen kennenlernen, lade ich Sie zu einer kurzen Selbstreflexion ein. Die folgenden elf Fragen drehen sich ums Fragen und Befragt-Werden. Mit Ihren Antworten beziehen Sie Position und kommen mit meinen Ausführungen auf sehr direkte Weise in Kontakt; möglicherweise zustimmend oder auch sich reibend.

Die ersten fünf Fragen beziehen sich auf Alltagsgespräche, in denen Sie das Gespräch aktiv beginnen.

Bei den folgenden Fragen geht es um Ihre Erfahrung in Gesprächen, die ein anderer begonnen hat.

71. Kapitel

Passende Reaktionen auf unpassende Fragen

In diesem ersten Kapitel möchte ich Ihnen Möglichkeiten zeigen, sich vor zudringlichen Fragen zu schützen und gleichzeitig weniger „brav“ auf Fragen zu reagieren, deren Sinn sich Ihnen noch gar nicht erschließt. Ich spreche von der Antwortfalle, in die wir tappen, wenn wir antworten, obgleich uns noch gar nicht erklärt wurde, wozu der andere das von uns wissen will.

Eine gängige Redewendung sagt: „Wer fragt, führt . Formal mag das stimmen. Wer eine Frage stellt, gibt ein Thema vor, entscheidet mit der Formulierung, ob eine Ja-Nein-Antwort ausreicht oder die Antwort mehr Text erfordert; insoweit übernimmt der Fragende die Führung für diesen Gesprächsabschnitt. Wieweit diese Form der Kommunikation tatsächlich zielführend ist, soll im Folgenden hinterfragt werden.

Wie harmlos das Fragen daherkommt, wird in Wendungen deutlich, wie: „Man wird doch wohl noch fragen dürfen.“ Oder: „Fragen kostet nichts.“ Oder: „Mit Fragen kommt man durch die Welt.“ Die Frage scheint von solcher Beiläufigkeit, dass es erstaunen mag, diesem sprachlichen Phänomen Aufmerksamkeit zu schenken.

Es wird gern behauptet, dass es keine dummen Fragen gibt, ja dass diese unerlässlich für den Gesprächsverlauf sind, weil dieser ohne Fragen schnell versiegt. Mich macht jedoch stutzig, dass uns so viele Fragen unangenehm sind oder wir sie als unpassend empfinden. 8Gründe, warum eine Frage als unpassend empfunden wird, sind beispielsweise:

Bestimmt fallen Ihnen noch weitere Beispiele für unpassende Fragen ein. Gar nicht erwähnt habe ich all die Fragen, denen wir von vornherein ein ernsthaftes Interesse absprechen, im Sinne von „Wie geht's?“, „Wie war's?“, „Was läuft?“ und auf die wir in der Regel entsprechend undifferenziert antworten.

Trotz aller Aufdringlichkeit sind manche Fragen nicht nur alltäglich, sondern so selbstverständlich, dass Fragende völlig überrascht reagieren, wenn ihre Frage hinterfragt, also auf ihre Intention überprüft wird.

Hier ein paar Beispiele für ausgesprochen penetrante Fragen :

Wieso trägst du keine Krawatte?

Wie groß ist Ihre Bereitschaft, sich für den Betrieb einzusetzen?

Warum verdienst du eigentlich nicht mehr?

Wie schätzen Sie denn die Führungsqualitäten unserer neuen Chefin ein?

Wie wichtig ist dir Ehrlichkeit?

Fragen können aber auch in unsere Intimsphäre eindringen oder es zumindest versuchen.

Ist Treue in Paarbeziehungen für Sie wichtig?

War das dein neuer Freund, mit dem du gestern im Kino warst?

Sind Sie immer so spröde?

Wieso habt Ihr fünf Kinder? Waren die alle geplant?

Warum hast du eigentlich keine feste Beziehung? Bist du schwul?

9Manchmal scheint es der Fragende sogar darauf anzulegen, uns bloßzustellen. Der Fragesteller wird zum Fallensteller:

Hast du eigentlich wieder zugenommen?

Sind Sie aufgrund eigener Leistung so weit gekommen?

Warum wirst du denn gerade rot?

Haben Sie wirklich nichts bemerkt?

Wie oft soll ich dir das noch erklären?

Halten Sie Ihr Outfit wirklich für passend?

Ebenso lästig, wenn nicht sogar belastend, erleben wir Fragen, die von uns eine Rechtfertigung fordern oder uns unter Druck setzen.

Wieso haben Sie sich nicht an den Zeitplan gehalten?

Warum kommst du jetzt erst?

Mit wem haben Sie da gerade telefoniert?

Weshalb willst du eigentlich nicht?

An was denkst du gerade?

Auch kann uns der fordernde oder auch herablassende Ton einer Frage unter Zugzwang setzen.

Wie viel Prozent Nachlass ist denn drin?

Was brauchst du denn noch, um es endlich zu kapieren?

Erwarten Sie ernsthaft, dass ich das glaube?

Willst du nicht oder kannst du wieder nicht?

Können Sie das selbst entscheiden oder müssen Sie erst fragen?

Manche Fragen sind nicht nur unpassend, sondern unverschämt, weil der Fragende sich anmaßt, die Hilflosigkeit oder Anspannung seines Gegenübers auszunutzen. So beklagen sich Bewerberinnen über Fragen, die definitiv nicht statthaft sind:

Sind Sie schwanger?

Wie verhüten Sie?

Leben Sie in einer festen Beziehung?

Sind Sie religiös und wenn ja, wie aktiv üben Sie Ihre Religion aus?

Wie sieht denn Ihre Familienplanung aus?

Und manchmal werden uns die Fragen so geballt gestellt, dass diese einem Frage-Feuerwerk gleichkommen, ohne dass uns überhaupt Zeit zum Nachdenken gewährt wird.

10Was werden Sie unternehmen? Beziehungsweise welche Lösungsmöglichkeiten schlagen Sie vor? Oder sind Sie mit der Fehleranalyse noch gar nicht so weit vorangekommen? Wie sieht also ihr konkreter Zeitplan aus?

Wollen wir am Wochenende etwas unternehmen? Was hältst du von Theater? Wie fandest du die Rezension über die Inszenierung des „Rings“? Oder möchtest du lieber ins Kino gehen?

Wie gefällt dir eigentlich meine Ausarbeitung? Findest du sie zu lang? Oder sollte ich noch mehr ins Detail gehen? Was findest du besonders gelungen? Und wo, meinst du, könnte ich kürzen?

Obgleich wir viele Fragen für unangemessen halten, fällt es den meisten Menschen schwer, genau das zu erwidern. Wir mögen vielleicht denken: „Das geht Sie bzw. dich gar nichts an.“ Tatsächlich bemühen wir uns aber in der Regel um eine sozial verträgliche Antwort. Es mag zutreffen, dass der Fragende den Gesprächsverlauf bestimmt, aber die Verantwortung liegt beim Antwortenden, dieser soll reagieren und tut es in der Regel.

Schließlich gib es noch den als Frage getarnten Ratschlag. Im Deutschen, aber noch viel stärker im Englischen, werden Vorschläge gern in Frageform geäußert. Damit soll erreicht werden, dass der Ratschlag höflicher und zurückhaltender klingt. Was zunächst wie konventionelle Höflichkeit erscheint, entpuppt sich als geschickte Vorgehensweise, einer möglichen Zurückweisung des Ratschlags zu entgehen, immer nach dem Standardmotto: „Man wird doch wohl noch fragen dürfen.“ Hier ein paar alltägliche Ratschläge in Frageform:

Wäre es nicht besser, wenn Sie persönlich zum Kunden gehen?

Solltest du nicht wenigstens fragen, ob sie uns helfen können?

Wie wäre es, wenn Sie das einfach mal ausprobieren?

Müsstest du dich nicht längst umziehen?

Wäre es nicht ratsam, wenn Sie mit dieser Erkältung zu Hause bleiben?

Willst du nicht noch etwas für die Schule tun?

Möchtest du dir nicht ein neues Handy kaufen? Schau mal hier!

In manchen Ratgebern zu Fragetechniken wird empfohlen, Ratschläge weniger direkt zu formulieren und sie in Frageform einzukleiden. Das wird damit begründet, dass der Gesprächspartner dadurch weniger verletzt reagiert und über den Ratschlag nachdenken 11wird. Ich beobachte stattdessen, dass häufig das Gegenteil eintritt, denn diese sogenannte Höflichkeit wirkt alles andere als wertschätzend. Weder ist der Fragende an der tatsächlichen Meinung des anderen interessiert, noch gibt er zu erkennen, was sein eigenes Interesse an diesem Vorschlag ist. Was vordergründig höflich daherkommt, duldet keine Ablehnung. Der freundlich Befragte soll „Ja“ sagen, d. h. den Ratschlag nicht nur annehmen, sondern auch umsetzen. Sie können auf die Beispielsätze spaßeshalber mit „Nein“ antworten und bemerken sogleich, wie das Gespräch eskaliert.

Wie anders würde das Gespräch im ersten Beispielsatz verlaufen, wenn statt des Ratschlags ein Verstehen-Wollen im Vordergrund stünde, beispielsweise:

Ich gewinne gerade den Eindruck, dass Sie aus irgendwelchen Gründen nicht persönlich zum Kunden gehen wollen. Das möchte ich gern verstehen. Oder:

Irgendwie kommen Sie mit diesem Kunden nicht klar. Ich habe noch nicht begriffen, woran das liegt. Oder:

Die Idee, persönlich zum Kunden zu gehen, scheint für Sie nicht infrage zu kommen.

Von Menschen, die oft und gern Fragen stellen, höre ich immer wieder, dass es ihnen doch darum gehe, den anderen zu verstehen und sie darum fragen. Doch wer verstehen will, sollte erklären, was ihn beschäftigt und was ihm gerade wichtig ist, statt darauf zu vertrauen, dass die Fragen auch so beantwortet werden. In den allermeisten Fällen funktioniert das auch, denn:

Fragen provozieren, dass wir antworten wollen.

Warum wir bereitwillig in diese Antwortfalle tappen, liegt daran, dass Fragen und Beschuldigen eng miteinander verknüpft sind. Es heißt nicht umsonst „eine Antwort schuldig bleiben“, wenn wir etwas unbeantwortet lassen. Wenn also das Ausbleiben einer Antwort als „schuldig bleiben“ bezeichnet wird, dann liegt es nahe, der Frage die Möglichkeit einzuräumen, den Befragten in Schuld zu bringen. Das erklärt, warum für viele eine schnelle, vielleicht auch 12falsche Antwort immer noch besser zu sein scheint, als eine Antwort schuldig zu bleiben.

Ehe das möglicherweise wie Kritik am gängigen Antwortverhalten wirkt, möchte ich sogleich betonen, dass unsere Antworten geradezu automatisch erfolgen, also ohne bewusste Reflexion. Dieser Automatismus hat mit unseren Hörgewohnheiten zu tun. Am Beispiel von Fragevertonungen in der Musik lässt sich dies verdeutlichen. So wie die Stimme am Ende einer Frage nach oben geht, lassen Komponisten ihre Fragemelodie ansteigen, ohne sie jedoch aufzulösen. Im Hörer wird Spannung erzeugt, wenn die Melodie nicht zum Grundton zurückkehrt, sondern gewissermaßen in der Luft hängen bleibt. Im Erlkönig fragt der Vater:

Würde die Melodie hier enden, wäre das für uns Hörer kaum auszuhalten, denn unser Ohr verlangt nach Auflösung der Spannung. Nicht nur die klassische Musik verarbeitet Fragen mit Spannungsbögen, auch Pop- und Schlagermusik bedienen sich dieser Technik, hier ein alter Beatles-Song:

Löst sich die Spannung nicht auf, so nehmen wir Hörer nicht am zuletzt verklungenen Ton Anstoß, sondern am Ausbleiben der Auflösung. Genauso wird im Gespräch auch nicht an der Frage Anstoß genommen, sondern am Ausbleiben der Antwort. Zumal sich die Frage in ihrer Gestaltung nach der Antwort richtet, diese gewissermaßen vorwegnimmt. Ähnlich der musikalischen Fragespannung lenkt die Frage im Gespräch die Aufmerksamkeit auf die Antwort, auf das Sagen. Der Befragte soll sich ja der Frage stellen.

Ich hatte erklärt, dass wir üblicherweise automatisch reagieren, weil wir in bestimmten Verhaltens- und Gesprächsmustern aufgewachsen sind. Verhaltens- und Reaktionsmuster werden in der Kindheit 13gebildet und über das ganze Leben beibehalten. Sie laufen über Mechanismen des Unterbewusstseins automatisch ab. Unsere Reaktionen erscheinen dann völlig selbstverständlich:

Wenn wir im Sinne der Muster reagieren, überlassen wir dem anderen die Führung. So vertraut uns diese Muster auch sein mögen, sind wir trotzdem nicht verpflichtet, uns stets mustergerecht zu verhalten. Immer, wenn wir Verhaltensmuster durchbrechen, verwandeln wir Reaktion in Aktion. Statt auf eine Frage antwortend zu reagieren, können wir auch den Fragenden bitten, sich zu erklären.

Sobald wir verstanden haben, worauf eine Frage eigentlich abzielt, was den Fragenden letztlich interessiert bzw. was er beabsichtigt, können wir entscheiden, ob und wenn ja, wie wir reagieren wollen.

Ich hatte geschrieben, dass Fragen uns provozieren, antworten zu wollen. Doch wenn wir antworten, ohne den eigentlichen Grund der Frage bzw. ihren Sinn verstanden zu haben, tappen wir geradewegs in die Antwortfalle.

Auch die beiden anderen Muster lassen uns regelmäßig in die Falle tappen. Wenn wir auf einen Vorwurf mit einer Rechtfertigung reagieren, führt dies nur in den seltensten Fällen zu einer verständnisvollen Auflösung. Oder wie oft passiert es Ihnen, dass Ihnen auf Ihre Rechtfertigung erwidert wird:

Oh danke, das hat mir gerade geholfen.

Besten Dank für die Erklärung, jetzt kann ich das verstehen.

Ach, so war das. Nun kann ich nachvollziehen, wie das passiert ist.

14Meistens erhebt der andere weitere Vorwürfe, die zu weiteren Begründungen führen, ohne dass geklärt wird, worum es eigentlich geht. Beispielsweise:

Warum kommst du jetzt erst?

Tut mir echt leid, der Chef hat noch kurzfristig ein Meeting um 18 Uhr angesetzt.

Wieso hast du nicht wenigstens kurz angerufen oder mir eine SMS geschickt?

Ich wollte ja, aber der Akku von meinem Handy war leer.

Und weshalb konntest du keinen deiner Kollegen bitten, dir kurz mal seines zu leihen?

Weil wir da schon alle im Meeting saßen und es sofort zur Sache ging.

Ebenso verhält es sich bei dem Muster Angriff-Verteidigung: Wer sich verteidigt, wird keineswegs in Ruhe gelassen, nach dem Motto:

Ich merke gerade, dass du dich verteidigst, das war nicht meine Absicht.

Womöglich fühlst du dich gerade angegriffen, das tut mir leid.

Falls dich mein letzter Satz unter Druck gesetzt hat, ziehe ich ihn zurück.

Nein, ganz im Gegenteil, wer sich verteidigt, provoziert geradezu weitere Angriffe. Auch hier führt das spontane, dem Muster folgende Reagieren nicht nur in die Falle, sondern über kurz oder lang in eine Niederlage.

Sagen Sie mal, sind Sie auch nur ansatzweise qualifiziert?

Ja selbstverständlich. Ich habe mein Examen mit Auszeichnung bestanden.

Meinen Sie wirklich, ein Examen sagt etwas über die tatsächliche Qualifikation? Wie viel Erfahrung haben Sie denn schon?

Ich mache das immerhin schon seit fünf Jahren und kenne mich mit diesen Prozessen wirklich aus.

Dass ich nicht lache. Bilden Sie sich wirklich ein, nach fünf Jahren schon alle Details zu erfassen? Haben Sie mal was von Selbstkritik gehört? Usw.

Wer uns angreift, geht davon aus, zu siegen. Oder würden Sie jemanden angreifen, wenn Sie schon vorab ahnen, dass Sie gleich den Kürzeren ziehen?

Beim Frage-Muster kann es uns ähnlich ergehen. Noch während wir antworten, formuliert unser Gegenüber im Geiste bereits die 15nächste Frage, so dass dieses Frage-Antwort-Spiel zunehmend einem Verhör ähnelt.

Wie war eigentlich Euer Urlaub?

Super, wirklich großartig. Ich habe mich schon lange nicht mehr so gut erholt.

Und wie war das Wetter?

Erstaunlich stabil. Vom Anreisetag abgesehen, hatten wir viel Sonne, wenig Wind und insgesamt Kaiserwetter.

Und das Essen?

Na ja, das war anfangs für mich gewöhnungsbedürftig, aber ich konnte mich schnell umstellen und jetzt fehlt es mir schon ein wenig.

Und wie war die Unterkunft?

Schon etwas laut, wir hatten halt Fenster zur Straße.

Und was habt Ihr so unternommen? Usw.

Um aus diesen eingefahrenen Mustern herauszukommen, müssen wir uns etwas erlauben, was geradezu verpönt ist: Eine Pause machen und erst einmal nachdenken.

Statt dem ersten Impuls zu folgen und sofort zu reagieren, fragen wir uns erst einmal, wieweit uns gerade nachvollziehbar ist, was der andere konkret von uns will.

Es gibt Situationen, die aus dem Kontext heraus selbsterklärend sind, nehmen wir beispielsweise ein Arzt-Patient-Gespräch:

Seit wann haben Sie die Beschwerden?

Seit zwei Wochen.

Wann im Tagesverlauf spüren Sie es besonders?

Immer wenn ich mich bücke.

Wie äußert sich das dann?

Wenn ich einen Holzkorb trage, fährt es mir richtig ins Kreuz.

Wie schwer ist so ein Korb in der Regel?

Circa 20--30 Kilo. Usw.

16Hier erscheinen die Fragen für den Patienten passend, weil sie für ihn nachvollziehbar sind. Er kann entsprechend konkret antworten. Das würde sich aber sogleich ändern, wenn im weiteren Verlauf des Gesprächs Fragen gestellt werden, die der Patient nicht mehr nachvollziehen kann, beispielsweise

Wie viel Alkohol trinken Sie täglich?

Viele Patienten trauen sich nicht, den Arzt zu fragen, warum er das wissen will. Stattdessen geben sie eine Antwort, die sie bei dieser doch recht persönlichen Frage in einem halbwegs guten Licht dastehen lässt, im Sinne von:

Eigentlich kaum.

Hin und wieder mal ein Gläschen, nicht der Rede wert.

Gelegentlich.

Das hält sich in Grenzen.

Ich konnte bei verschiedenen Untersuchungen beobachten, dass Patienten ganz anders reagieren, wenn sie nachvollziehen können, wozu sie etwas gefragt werden.

Ich möchte Ihnen gern ein Medikament gegen Ihre Beschwerden verschreiben. Damit Sie möglichst keine Nebenwirkungen spüren, müsste ich vorher noch wissen, wie viel Alkohol Sie täglich trinken.

Na ja, zum Abendessen trinke ich gern eine Flasche Wein und wenn der Abend lang wird, können es auch zwei Flaschen werden.

Grundsätzlich gilt: Fragen, die sich für den Befragten erschließen, werden anders, und in der Regel ausführlicher beantwortet, als Fragen, bei denen unklar ist, wozu die Antwort dienen soll.

Wir stoßen aber immer wieder auf Menschen, die uns mit Fragen behelligen, die sich keineswegs von selbst erklären. Nun liegt es an uns, die jeweilige Frage für uns passend zu machen, indem wir dem Anderen Gelegenheit geben, dies nachzuholen. Dafür müssen wir uns eine Strategie aneignen, die uns selbst daran hindert, spontan zu antworten und die Aufmerksamkeit auf den Fragenden lenkt:

17Die einfachste und zugleich subtilste Form, einen anderen zum Sprechen zu bringen, ist der fragende Blick .

Diese Art der Nicht-Antwort ist durchaus eine legitime Reaktion auf eine Frage und führt ohne weitere Umschweife zu Erklärungen. Es entlastet uns und verschafft Zeit, wenn wir uns vom Antwort-Druck befreien und den Fragenden ins Zentrum rücken. So kann dieser begründen, warum er die Frage gestellt hat und wozu ihn die Antwort interessiert.

Die schon erwähnte Redewendung: „Wer fragt, führt können wir auch ins Passiv setzen, dann heißt es: Wer gefragt wird, wird geführt.