Bemühungen im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung sind einem ständigen Wandel unterlegen. Seit der Herausgabe der 1. Ausgabe dieses Buches gab es vielfältige globale Veränderungen, die es notwendig machen, das Werk anzupassen.
Lange Zeit stand die Reduzierung chronischer Erkrankungen im Fokus präventiver Bemühungen und dies nicht ohne Grund, denn durch den veränderten Lebenstil in den Industrienationen galten chronische Erkrankungen als größte Herausforderung für die Gesundheitssysteme des 21. Jahrhunderts. Der Ausbruch der Coronavirus-Krankheit (COVID-19) hat die Aufmerksamkeit wieder stärker auf die Bedeutung und damit die Bedrohung durch Infektionskrankheiten gelenkt.
Im Zuge der Präventionsbemühungen rückten, bedingt durch Ausgangsbeschränkungen, digitale Interventionen in den Vordergrund. Ebenfalls stärker in in den Mittelpunkt traten präventive Interventionen, die Menschen mit „sanften Anstupsern“ (Nudging) in die gewünschte Richtung lenken sollten: Ziel war es bspw., zur Einhaltung der AHA+A+L-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltag mit Maske, App, Lüften) beizutragen oder die Impfbereitschaft zum Schutz der Bevölkerung zu erhöhen. Auch wird in dieser Auflage darauf eingangen, wie Entscheidungen durch die Art und Weise bzw. den Rahmen (Framing) der Informationsdarstellung in Gesundheitskampagnen positiv beeinflusst werden können.
Eng in Verbindung mit der zunehmenden Verbreitung von Infektionskrankheiten, chronischen Erkrankungen sowie akuten Gesundheitsbelastungen stehen umweltbezogene Veränderungen, wie z. B. die globalen Auswirkungen des Klimawandels. Dabei trägt das veränderte Klima nicht nur dazu bei, dass sich in neuen Regionen Krankheitserreger (durch z. B. Zecken, Mücken) übertragen, sondern auch dazu, dass sich, bedingt durch Hitzewellen, u. a. Herz-Kreislauf-Erkrankungen verschlechtern können. Dieser zunehmenden Bedeutung umweltbezogener und globaler Veränderungen sowie den damit verbundenen präventiven Möglichkeiten soll diese Auflage Rechnung tragen.
Bremen, März 2022
Prof. Dr. Viviane Scherenberg MPH
Hinweis ∣ Gendergerechte Sprache
In diesem Band wird für Berufs- und Personenbezeichnungen das generische Maskulinum verwendet. In dieser genderneutralen Ausrichtung schließt es alle Geschlechtsidentitäten mit ein.
Präventionsmarketing ist eine sehr neue Disziplin. Demgegenüber blickt Marketing und Werbung auf eine lange Geschichte zurück. Hannes Buchli beschreibt in seinem Buch „6.000 Jahre Werbung: Altertum und Mittelalter“ bereits 1962 Werbung als „eine Beeinflussung des Menschen, die ihn veranlasst, etwas freiwillig zu tun“ (vgl. Buchli 1962: 41). Hierbei ist die Freiwilligkeit hervorzuheben, die Ausdruck dafür ist, dass Werbung Kunst der Überzeugung darstellt und Zwang als Gegenstück verstanden werden kann (vgl. Buchli 1962: 49). Kommerzielles Marketing weckt die Sehnsucht auf und nach Produkten und Dienstleistungen, indem positive Emotionen und Motive angesprochen und in uns geweckt werden. Prävention fokussierte sich hingegen lange Zeit auf die Weckung negativer Emotionen, um gesundheitsbewusste Verhaltensweisen bei Menschen zu stimulieren. Die Darstellung drohender Konsequenzen mithilfe von Angstappellen, eine vermutete Defizitorientierung sowie der Fokus auf vermeintliche Fehler, Versäumnisse, Mängel, Unzulänglichkeiten und Versagen stand und steht teils immer noch in der Aufmerksamkeit des Präventionsgeschehens.
Ohne Zweifel können und sollten die Gesundheitswissenschaften von den Erkenntnissen des kommerziellen Marketings lernen. Intention des Buches ist es daher, aufzuzeigen, wie Risikozielgruppen mithilfe strategischer und operativer Marketingansätze erreicht werden können und welche unterschiedlichen Möglichkeiten der Qualitätssicherung hierbei zur Verfügung stehen.
Darauf hinzuweisen ist, dass Präventionsinterventionen – angefangen von Präventionskursen, Präventionsreisen, Aufklärungskampagnen, Onlinecoaching bis zu Gesundheits-Apps – für die unterschiedlichsten gesundheitlichen Handlungsfelder samt der jeweiligen Bedürfnis- und Motivlagen der Zielgruppe enorm vielschichtig, höchst komplex und die spezifischen Ausgangslagen sehr heterogen sind. Das Buch dient daher dazu, anhand einer Vielzahl von Praxisbeispielen Einblicke zu gewähren und Möglichkeiten aufzuzeigen, da Projekte im Bereich des Präventionsmarketings immer individuell auf die jeweiligen präventiven Herausforderungen und Belange der Zielgruppe differenziert konzipiert werden müssen.
Ein besonderes Anliegen der Autorin ist es, auf die vielfältigen sozialen, ethischen und gesetzlichen Besonderheiten dieser höchst sensiblen Marketingdisziplin hinzuweisen, die bei präventiv agierenden Institutionen mit einem hohen Verantwortungsbewusstsein einhergehen sollten. Das Buch richtet sich damit sowohl an Studierende aus den Bereichen Gesundheitswissenschaften und Marketing als auch an interessierte Praktiker.
An dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an zahlreiche Kollegen aus Forschung und Praxis. Sie tragen mit ihren Erfahrungen und ihrem außerordentlichen Engagement zum Wohle der Gesundheit – insbesondere für schwer erreichbare und vulnerable Gruppen – dazu bei, dass dieses Buch mit zahlreichen nützlichen und praxisrelevanten Verweisen auf Plattformen, Checklisten, Leitlinien etc. gespickt ist.
Bremen, Juni 2017
Prof. Dr. Viviane Scherenberg MPH
ADM ∣ Arbeitskreis Deutscher Markt und Sozialforschungsinstitute
AIDA ∣ Attention, Interest, Desire, Action
AOK ∣ Allgemeine Ortskrankenkasse
ARD ∣ Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland
ASI ∣ Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute
ASIDAS ∣ Attention, Search, Interest, Desire, Action, Share
AWMF ∣ Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.
BBG ∣ Behindertengleichstellungsgesetz
BDGS ∣ Bundesdatenschutzgesetz
BGBI ∣ Bundesgesetzblatt
BKK ∣ Betriebskrankenkasse
BMEL ∣ Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft
BMG ∣ Bundesministerium für Gesundheit
BMWi ∣ Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
BoD ∣ Burden of Disease
BVM ∣ Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher
BZgA ∣ Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
CEM ∣ Customer-Experience-Management
COVID ∣ Coronavirus Disease
CRM ∣ Customer-Realtionsship-Management
DAK ∣ Deutsche Angestellten Krankenkasse
DEAS ∣ Deutscher Alterssurvey
DEGS ∣ Deutsche Erwachsenen-Gesundheits-Survey
denic ∣ Regristireungsstelle für deutsche Domains
DGOF ∣ Deutsche Gesellschaft für Online-Forschung e.V.
DIN ∣ Deutsche Industrienorm
DISCERN ∣ Qualitätskriterien für Patienteninformationen
DMP ∣ Disease Management Programm
DPMA ∣ Deutsches Patent- und Markenamt
ECDC ∣ European Center for Disease Control
EFSA ∣ Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit
EID ∣ Emerging and Re-emerging Infectious Diseases
ESOMAR ∣ European Society for Opinion and Marketing Research
FAMOS ∣ Fragebogen zur Analyse Motivationaler Schemata
GBE ∣ Gesundheitsberichterstattung
GbR ∣ Datenbank der Werbung
GEDA ∣ Gesundheit in Deutschland aktuell
GeschmMG ∣ Geschmacksmustergesetz
GHO ∣ Global Health Observatory
GKV ∣ Gesetzliche Krankenversicherung
GKV- GMG ∣ GKV-Modernisierungsgesetz
GKV-GRG 2000 ∣ Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000
HCV ∣ Health-Claims-Verordnung
HMG ∣ Heilmittelgesetz
HTA ∣ Health Technology Assessment
ICC ∣ International Chamber of Commerce
IDF ∣ International Diabetes Federation
IDG ∣ Informations- und Dokumentationszentrum
IfSG ∣ Infektionsschutzgesetz
IGEL ∣ Individuelle Gesundheitsleistungen
IPCC ∣ Intergovernmental Panel for Climate Change
IS-GBE ∣ Informationssystem im Internet (eingerichtet von der Serviceeinrichtung des Statistischen Bundesamts)
ISO ∣ International Organization for Standartization
JÖSchG ∣ Jugendschutzgesetz
KIGGS ∣ Kinder- und Jugendlichen-Gesundheitsstudie
KKV ∣ Komparativer Konkurrenzvorteil
LOHAS ∣ Lifestyles of Health and Sustainability
MarkenG ∣ Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen
MDS ∣ Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen
MWV ∣ Mobilfunk-Warn-Verordnung
MRSA ∣ methicillin-resistente Staphylococcus aureus
NCDs ∣ non communicable diseases
NPO-Marketing ∣ Non-Profit-Marketing
OECD ∣ Organisation for Economic Co-operation and Development
OTC ∣ over the counter
PrävG ∣ Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention
RABE ∣ Rauchen, Alkoholkonsum, Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung
RKI ∣ Robert Koch-Institut
RNS ∣ ribonucleic acid
DNS ∣ desoxyribonucleic acid
ROI ∣ Return-on-Investment
RStV ∣ Rundfunkstaatsvertrag
RUMBA ∣ relevant, understandable, mesurable, behavioral, attainable
SERVQUAL ∣ Service Quality Assessment
SGB ∣ Sozialgesetzbuch
SMART ∣ specific, mesurable, achievable, relevant, targeted
SOEP ∣ Sozioökonomischer Panel
SWOT ∣ strengths, weakness, opportunities, threats
TK ∣ Techniker Krankenkasse
TMG ∣ Telemediengesetz
UAP ∣ Unique Advertising Proposition
UCP ∣ Unique Communication Proposition
UPP ∣ Unique Passion Proposition
UrhG ∣ Urheberrechtsgesetz
USP ∣ Unique Selling Proposition
UV-Strahlung ∣ ultraviolette Strahlung
UWG ∣ Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
VBG ∣ Verwaltungs-Berufsgenossenschaft gesetzliche Unfallversicherung
VR ∣ Virtual Reality
WHO ∣ World Health Organisation
ZDF ∣ Zweites Deutsches Fernsehen
Lernziele
In diesem Kapitel erfahren Sie,
wie Gesundheit definiert wird und welche Dimensionen Gesundheit einnehmen kann.
welche Krankheitsbilder in den Industrienationen dominieren.
welche gesundheits- und präventionspolitischen Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit und des Gesundheitsverhaltens vollzogen wurden.
welche Bedeutung die Gesundheit aus unterschiedlichen Perspektiven als Wirtschaftsfaktor einnimmt.
Es existiert in der Wissenschaft eine Vielzahl an Definitionen von Gesundheit. Die wohl bekannteste Definition wurde in der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (Constitution of the World Health Organisation) erstmals 1946 festgehalten und definiert Gesundheit als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“ (WHO 2006a: 1). Einerseits beinhaltet diese Definition einen hohen und medizinisch schwer fassbaren Anspruch, der mitunter falsche Erwartungen erweckt und zudem gesellschaftliche Verhältnisse und gesundheitliche Ungleichheiten nicht berücksichtigt (vgl. Kickbusch 1982: 267). Darüber hinaus schließt die Definition die Bedeutung der subjektiv wahrgenommenen Gesundheit, die als ein wesentliches Bewertungskriterium des Gesundheitszustandes in Form der gesundheitsbezogenen LebensqualitätLebensqualität des salutogenetischen Konzepts beschrieben wird, aus. Andererseits bietet die WHO-Definition eine Perspektive, die ganzheitlich ist und weit über eine biomedizinische (körperliche) Ebene hinaus soziale sowie emotionale Aspekte miteinschließt. Das Konzept der SalutogeneseSalutogenese wurde von dem israelischen Medizinsoziologe Aaron Antonovsky entwickelt auf der Erkenntnis, dass Menschen trotz vielfältiger Gesundheitsrisiken gesund bleiben können. Damit stellt das Konzept der Salutogenese das Gegenstück zur Pathogenese dar, das die Entstehung und Entwicklung von Krankheit in den Fokus stellt. Bei der salutogenetischen Sicht wird Gesundheit und Krankheit nicht traditionell dichotom klassifiziert, da das Konzept von einem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum (health easy-disease continuum) ausgeht, bei dem sich der Gesundheitszustand eines Menschen aus den dynamischen Wechselwirkungen zwischen Gesundheitsrisiken und -ressourcen und seiner Umwelt ergibt. Somit betrachtet die Salutogenese „den Kampf in Richtung Gesundheit als permanent und nie ganz erfolgreich“ (Antonovsky 1993: 10). Inwiefern ein Mensch von den Endpolen „völliger Gesundheit“ und „völliger Krankheit“ entfernt ist, wird nach der Auffassung von Antonovsky von den vorhandenen Widerstandsressourcen und dem Kohärenzgefühl beeinflusst (vgl. Hurrelmann 2006: 125). Dabei wird das KohärenzgefühlKohärenzgefühl als Orientierungsmaßstab des salutogenetischen Modells verstanden und beschreibt, inwiefern das Gefühl des Vertrauens (vgl. Antonovsky 1997: 36)
die Anforderungen aus der inneren oder äußeren Umwelt im Verlauf des Lebens strukturiert, vorhersehbar und erklärbar macht (Verstehbarkeit: sense of comprehensibility),
die Ressourcen verfügbar sind, um den Anforderungen gerecht zu werden (Handhabbarkeit: sence of manageability), und
es sich lohnt, Energie zu verwenden (Bedeutsamkeit: sence of meaningfulness).
Insbesondere in Belastungssituationen wirkt sich ein starkes Koheränzgefühl positiv auf den Gesundheitszustand aus, da das Stresserleben als weniger belastend empfunden wird. In welchem Maße sich ein Kohärenzgefühl, Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen und soziale Kompetenzen entwickeln und damit Menschen eine Stärkung der Problemlösungsfähigkeit erfahren, hängt u. a. von den jeweils gesammelten Partizipationserfahrungen ab. Nicht ohne Grund beschreibt die Verfassung der WHO zudem:
„Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selbst Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die all ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen.“ (WHO 2006a).
Weiter heißt es:
„Der Besitz des bestmöglichen Gesundheitszustandes bildet eines der Grundrechte jedes menschlichen Wesens, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Anschauung und der wirtschaftlichen und sozialen Stellung“ (WHO 2006a: 1).
Mit der Definition wird deutlich, dass Gesundheit ganzheitlich und mit allen ihren körperlichen, psychischen und sozialen Dimensionen (im Rahmen des Präventionsmarketings) betrachtet werden muss. Die → Tab. 1 zeigt daher beispielhaft, was sich hinter den einzelnen Dimensionen der Gesundheit verbergen kann.
Dimension | Beispiele |
soziale Aspekte der Gesundheit | Ausgestaltung und Zufriedenheit mit sozialen Beziehungen, Wahrnehmung sozialer Akzeptanz und Unterstützung, Zugehörigkeit und Gebrauchtwerden |
physische Aspekte der Gesundheit | Funktionsfähigkeit und Beeinträchtigung des körperlichen Gesundheitszustandes |
psychische Aspekte der Gesundheit | emotionale Befindlichkeit, Selbstwertgefühl, Körperselbstbild, Optimismus |
Dimensionen der Gesundheit
Quelle: Eigene Darstellung.
Werden Marketingkonzepte für Präventionsmaßnahmen entwickelt, so muss genauestens analysiert werden, welche Dimensionen der Gesundheit angesprochen werden. Dabei ist zu beachten, dass sich die beschriebenen Dimensionen der Gesundheit gegenseitig – positiv wie negativ – beeinflussen können. So kann sich eine körperliche Beeinträchtigung (z. B. ausgelöst durch eine chronische Erkrankung) auf die psychische Gesundheit negativ auswirken und bspw. bei einem drohenden Arbeitsplatzverlust dazu führen, dass die soziale Gesundheit der Betroffenen (z. B. durch Ausgrenzung, Isolation, Einsamkeit) stark in Mitleidenschaft gezogen wird.
Gerade chronische Erkrankungenchronische Erkrankungen stehen im Fokus von Präventionsbemühungen. Zu den häufigsten nicht übertragbaren Krankheitennicht-übertragbaren Krankheiten („non communicable diseases“, kurz NCDs) zählen bspw. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, psychische Gesundheitsprobleme, Diabetes mellitus, chronische Atemwegserkrankungen und Muskel-Skelett-Erkrankungen aber auch Suchterkrankungen.
Laut GEDA-Studie 2019/2020-EHIS geben 51,9 % der Frauen und 46,4 % der Männer an (gesamt: 49,2 %), mindestens von einer chronischen Krankheit betroffen zu sein (vgl. Heidemann et al. 2021: 7). Dabei wird der höchste Anteil der Krankheitslast auch als „burden of disease“ (kurz BoD) tituliert. Innerhalb der letzten 12 Monate im Untersuchungszeitraum lag bei 30,9 % der deutschen Bevölkerung eine Allergie, bei 17,1 % Athrose, bei 8,9 % Diabetes Mellitus, bei 8,3 % depressive Sympthome, bei 8,0 % Asthma bronchiale und bei 5,8 % eine koronale Herzerkrankung (KHK) vor (vgl. Heidemann, 2021: 9ff.). Liegen mehrere Erkrankungen gleichzeitig vor, so wird von Multimorbidität gesprochen. Mit 4.140 € pro Einwohner war im Jahr 2015 rund die Hälfte (49,3 %) der Krankheitskosten für
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (570 €),
Erkrankungen des Verdauungssystems (510 €),
psychische Verhaltensstörungen (540 €) und
Muskel-Skelett-Erkrankungen (420 €) verantwortlich (vgl. Statistisches Bundesamt 2019a).
NCDs bergen einen gesamtgesellschaftlichen Schaden in sich, da chronische Erkrankungen
nicht nur mit persönlichem Leid, sondern einer Einbuße der selbstbestimmten Lebensführung, -qualität (intangible Kosten) und -erwartung verbunden sind,
Versorgungskosten (direkte Kosten) und
durch Arbeitsunfähigkeit und Frührente indirekte Kosten verursachen, da sie oft lebenslang auf das medizinische Versorgungssystem angewiesen sind.
Nicht nur die Betroffenen, sondern auch Angehörige sind betroffen. Denn die Pflege chronisch erkrankter Angehöriger (caregiving burdencaregiving burden) kann dazu führen, dass Angehörige ihren Beruf aufgeben müssen oder aufgrund der hohen Belastung selbst erkranken (vgl. Lange et al. 2000: 1130f.). Die so fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch den hohen Anteil krankheitsbedingt nicht erwerbsfähiger Bevölkerungsteile stellt eine Belastung für eine Volkswirtschaft dar. Daher ist es Aufgabe der Gesundheitspolitik, den Gesundheitszustand der Bevölkerung – zur Sicherstellung des gesellschaftlichen Humankapitals – zu stärken und unnötige Krankheitskosten für die Gemeinschaft zu vermeiden (vgl. Schwartz 2003: 3). Denn ein langfristig geschwächter Arbeitsmarkt durch Erwerbslosigkeit bzw. -minderung und die zunehmende Verrentungstendenz führt zu einer wirtschaftlichen Leistungsschwächung des sozialen Sicherungssystems. Letztlich können nur dann Sozialleistungen an Bedürftige verteilt werden, wie sie zuvor erwirtschaftet wurden (vgl. Eichenhofer 2007: 30).
Wichtige Informationen über die Entwicklung u. a. chronischer Erkrankungen für die Politik und Forschung, für die Akteure des Gesundheitswesens sowie die breite Öffentlichkeit liefert die GesundheitsberichterstattungGesundheitsberichterstattung (GBE) (vgl. Bardehle/Annuß 2012: 404). Die in der GBE verwendeten Datenquellen, die sich mit den Häufigkeiten von Erkrankungen und Todesursachen befassen (sogenannte deskriptive EpidemiologieEpidemiologie), werden von unterschiedlichsten Institutionen zu unterschiedlichen Gebiets- oder Sachbezügen bereitgestellt. Oft handelt es sich hierbei um aggregierte Daten, die routinemäßig in Sammelstatistiken erhoben werden. Aspekte, die bei der GBE betrachtet werden, sind vielfältig und können sich auf gesundheitliche RisikofaktorenRisikofaktoren und -verhaltensweisen, auf Krankheiten und Gesundheitsstörungen, auf die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems und auf die Gesundheitskosten beziehen. Die GBE speisen sich aus amtlichen Statistiken, Statistiken unterschiedlicher Akteure des Gesundheitswesens sowie Surveys.
Wichtigste amtliche StatistikenStatistiken des Bundes und der Länder sind z.B. Bevölkerungsstatistik, Mikrozensus, Pflegestatistik, Krankenhausstatistik, Pflegestatistik, Todesstatistik sowie Statistik meldepflichtiger Erkrankungen, Schwangerschaftsabbrüche, Berufskrankheiten, Geburten und Sterbefälle.
Verschiedene Akteure des Gesundheitswesens erstellen Basis- und Spezialberichte. Während BasisberichteBasisberichte einen Überblick über übergreifende Bereiche (z. B. Geburtenstatistik) bieten, beziehen sich Spezialberichte auf ausgewählte Thematiken. Gerade die GKVn verfügen über eine Vielzahl epidemiologisch routinemäßig erhobener Daten, die in Spezialberichten münden.
Barmer GEK: GesundheitsreportGesundheitsreports der Länder, Zahnreport, Heil- und Hilfsmittelreport, Arzneimittelreport, Pflegereport, Krankenhausreport, Arztreport
BKK-Bundesverband: BKK-Gesundheitsreport
DAK-Gesundheit: Gesundheitsreport
Deutsche Rentenversicherung: Reha-Bericht
Die Nationale Präventionskonferenz: Präventionsbericht
Fachverbände: Deutsche Diabetes Union: Gesundheitsbericht Diabetes
IKK classic: Berichte „Gesundheit im Handwerk“
Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen: Präventionsbericht
Techniker Krankenkasse: TK-Gesundheitsreport
WHO: Europäischer Gesundheitsbericht etc.
WIdO AOK: Versorgungs-Report; Fehlzeiten-Report, Gesundheitsatlas etc.
Zudem existieren weitere Register, die z. B. von Universitäten oder Instituten gepflegt werden. Hinsichtlich der regionalen Perspektive und des Einzugsgebiets lassen sich weitere Gesundheitsberichterstattungen auf internationaler Ebene (z. B. der OECD, WHO oder Europäischen Kommission) und nationaler Ebene (GBE des Bundes, das Robert Koch-Institut sowie die einzelnen Bundesländer) nennen. Wichtige nationale SurveySurveys werden u. a. vom Robert Koch-Institut durchgeführt, z. B. der Bundes-Gesundheits-Survey bzw. die „Gesundheit in Deutschland aktuell“-Studie (GEDA)der Deutsche Erwachsenen-Gesundheits-Survey (DEGS), die telefonische Kinder- und Jugendlichen-Gesundheitsstudie (KiGGS) oder der Deutsche Alters-Survey (DEAS). Darüber existieren zahlreiche weitere nationale Surveys zu unterschiedlichsten Themen (wie z. B. „Health Literacy Survey Germany, kurz HLS-GER) oder auch zu Krankheitsbildern (wie der „Epidemiological Survey of Substance Abuse“, kurz ESA). Wichtige internationale Surveys sind bspw.: International Health Policy Survey (IHP), Global Drug Survey (GDS), Health Behaviour in School-aged Children und National Health Interview Survey (HBSC). Spezifische Datenselektionen können auf nationaler Ebene mithilfe des Informationssystems für die Gesundheitsberichterstattung selbst vornehmen. Das Informations- und Dokumentationszentrum (IDG), eine Serviceeinrichtung des Statistischen Bundesamts, hat hierzu im Internet das Informationssystem IS-GBE eingerichtet (➽ www.gbe-bund.de). Mit der Hilfe des Informationssystems können individuelle Selektierungen, bspw. zur Bedarfsermittlung und Argumentationsuntermauerung, für präventive Marketingmaßnahmen vorgenommen werden. Auch auf internationaler Ebene existieren Informationssysteme zur Gesundheitsberichterstattung, wie bspw. die OECD-Datenbank oder der WHO. In der Datenbank der Organisation for Economic Co-Operation and Development (OECD), also eine Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (➽ stats.oecd.org) können nicht nur wirtschaftliche Indikatoren, sondern auch Gesundheitsindikatoren (z. B. Mortalität, Lebenserwartung, arbeitsbedingte Fehlzeiten, Übergewicht, Tabakkonsum) der Mitgliedsstaaten selektiert werden. Über das Global Health Observatory (GHO) der WHO (➽ www.who.int/data/gho) können vielfältige Indikatoren (z. B. Verkehrsicherheit, Gewaltprävention, Ernährung, Body-Mass-Index (BMI), Umwelt und Gesundheit, Luftqualität, ansteckende Krankheiten, Impfquoten etc.) der unterschiedlichen Länder selektiert und eingesehen werden.
Linktipps
Gesundheitsmonitoring des RKI: ➽ www.rki.de (Gesundheitsmonitoring)
Informationssystem IS-GBE: ➽ www.gbe-bund.de
Gesundheitsmonitoring der WHO: ➽ www.who.int/data/gho
Welche drastischen Folgen InfektionskrankheitenInfektionskrankheiten für Mensch und Gesellschaft haben können, wurde spätestens nach dem COVID-19COVID-19-Ausbruch im Dezember 2019 deutlich. Dabei können Infektionskrankheiten als ständiger Begleiter des Menschen angesehen werden, da Menschen von einer unüberschaubaren Anzahl von Viren, Bakterien, Pilzen und Parasiten befallen werden und entsprechend erkranken können (vgl. Vogel/Schaub 2021: 1). Neue sowie vermehrt auftretende Infektionskrankheiten werden unter dem Begriff „emerging and re-emerging infectious diseases“ (kurz EID) zusammengefasst und stellen trotz verbesserter hygienischer, diagnostischer und therapeutischer Errungenschaften eine große Herausforderung für Medizin und Gesundheitspolitik dar. Der Grund für die gewachsene Bedrohung des Menschen durch die Einschleppung und Verbreitung von InfektionskrankheitenInfektionskrankheiten kann in der Zunahme weltweiter Handelsbeziehungen und Fernreisen sowie der steigenden internationalen beruflichen Mobilität gesehen werden (vgl. Hellenbrand 2003: 7). Dabei können sich Infektionskrankheiten mehr oder weniger über die eigenen Landesgrenzen hinaus ausbreiten: Von einer EndemieEndemie wird dann gesprochen, wenn eine Erkrankung bzw. ein Erreger innerhalb eines geografisch definierten Gebietes oder einer bestimmten Bevölkerungsgruppe konstant auftritt. Eine EpidemieEpidemie liegt dann vor, wenn mehr Krankheitsfälle auftreten als überlicherweise erwartet werden. Liegt eine Erkrankungswelle vor, bei der eine große Anzahl von Menschen betroffen ist und die sich weltweit oder über ein weites Gebiet inklusive des Überschreitens internationaler Grenzen ausbreitet, dann kann von einer PandemiePandemie gesprochen werden (vgl. Ammon 2020: 201). Dabei setzt das Vorliegen einer Infektion einen Erreger, einen Übertragungsvorgang sowie einen empfänglichen Wirtsorganismus voraus (vgl. Ammon 2020: 206).
Die Übertragung, das Haftenbleiben und das Eindringen von Mikroorganismen (Viren, Bakterien, Pilze, Protozoen) in einen Makroorganismus (Mensch) kann direkt oder indirekt erfolgen. Eine direkte Übertragung liegt vor, wenn der Erreger direkt aus dem Reservoir auf den Wirtsorganismus übergeht (z. B. durch Berührung, Einatmen infektiöser Tröpfchen, Tierbiss). Bei einer indirekten Übertragung erfolgt die Übertragung vom Erreger zum Wirtsorganismus über ein Transportmittel. Dies kann entweder über ein Vehikel (z. B. Lebensmittel, Wasser, ärztliche Instrumente) oder einen Vektor (z. B. Insekten, Nagetiere) geschehen. Auch Luft kann zum Vehikel werden und den Erreger indirekt übertragen, so dass die Infektion nicht durch den direkten Kontakt (wie bei der Tröpfcheninfektion) erfolgt (vgl. ebd.).
Infektionkrankheiten können danach unterteilt werden, über welchen Übertragungsweg der Erreger den Wirtsorganismus befällt (vgl. Groß 2013: 30; Weiß 2013: 206ff.; Schulz-Stübner 2017: 317):
Infektionen durch Bakterien: Bakterielle InfektionskrankheitenInfektionskrankheiten (z. B. Diphterie, Tetanus, Scharlach) werden durch einzellige Lebenswesen (Bakterium) in der Umwelt (Luft, Wasser, Lebensmittel etc.) ausgelöst.
Infektionen durch Viren: Virale Infektionskrankheiten können über Tröpfcheninfektionen, Blutderivate, Schmierinfektionen, Sperma oder Tiere übertragen werden. Unterschieden werden RNS-Viren (z. B. Mumps, Masern, HIV, Influenza, Hepatitis A) sowie DNS-Viren (z. B. Pockenvirus, Hepatitis-B-Virus).
Infektionen durch Zoonosen und Parasiten: Zoonotische InfektionskrankheitenInfektionskrankheiten (wie z. B. FSME, Borriliose, Malaria, Tollwut, BSE) liegen vor, wenn Erreger zwischen Wirbeltier und Mensch übertragen werden. Parasitäre Infektionskrankheiten werden durch Parasiten bzw. Protozonen (Einzeller), Helminthen (Würmer) oder Arthopoden (Gliederfüßler) hervorgerufen.
Infektionen durch nosokomiale Erreger: Nosokomiale Infektionen (bzw. Krankenhausinfektionen) stellen Infektionen (z. B. durch Staphylokokken) dar, die Patienten in Krankenhäuser bekommen können. MRSA-Stämme, die zu einer nosokomialen Infektion führen, können sowohl von betroffenen Patienten stammen (endogene Infektionen) als auch exogen von anderen Menschen oder Tieren bzw. durch die unbelebte Umgebung (z. B. gemeinsam benutzte Badetücher) übertragen werden.
Infektionen durch Pilze: Pilzinfektionen werden durch Mykosen (Pilze) verursacht. Solche krankheitsauslösenden Erreger können bspw. Dermatophyten, Hefepilze oder Schimmelpilze sein.
Grundsätzlich kann eine Immunität und damit der Schutz vor der krankmachenden Wirkung des Erregers natürlich, durch eine frühere durchgemachte Infektion mit demselben Erreger (spezifsche Immunität) aktiv (durch Impfung) oder passiv (durch spezifsche Immunglobuline) erreicht werden (vgl. Ammon 2020: 206). Dabei erzeugen Impfungen sowohl eine individuelle Immunität als auch eine kollektive Immunität (HerdenimmunitätHerdenimmunität) gegen die InfektionskrankheitInfektionskrankheiten, wenn eine hohe Durchimpfungsrate erreicht wird. Wird eine Herdenimmunität von bspw. 95 % erreicht, profitieren die restlichen 5 % der nicht geimpften Personen, da die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, sinkt (vgl. Krauth/Oedingen 2021: 131). Für Präventionsinterventionen ist es wichtig zu wissen, dass die Motive für eine positive Impfentscheidung teils geschlechtsunabhängiger, teils aber auch geschlechtsspezifischer Natur sind. Dabei stellen eine gute Imformationsbasis zum Nutzen von Impfungen, das Vertrauen in das Gesundheitssystem sowie eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung geschlechtsunabhängige Faktoren dar, die eine Impfentscheidung begünstgen. Bei Männern scheint besonders der Abbau von Barrieren (Zeit, Entfernung, reibungsloser Ablauf der Impfung etc.) sowie die Sensibilisierung für potenzielle Gesundheitsgefahren im Falle einer Nichtimmunisierung relevant zu sein, während bei Frauen soziale Faktoren (z. B. bereits geimpfte Angehörige, Schutz der Familie) einen großen Einfluss auf die Impfwahrscheinlichkeit ausüben. Genderspezifische Motive sowie z. B. der Beziehungsstatus oder das Vorhandensein von schutzbedürftigen Kindern oder Angehörigen etc. sind folglich auch bei der Gestaltung von Impfkampagnen von Bedeutung, um die Impfbereitschaft mithilfe einer zielgruppenspezifischen Ansprache erhöhen zu können (vgl. Scherenberg/Preuß 2021: 59). Daneben stehen weitere Konzepte zur Eindämmung wie z. B. Aufklärung, Kontaktreduzierung, Identifizierung und Isolierung von Erkrankten, Screening und neuere Ansätze wie Apps zur Kontaktnachverfolgung im Zentrum der Präventionsbemühungen (vgl. Vogel/Schraub 2021: 56). Die Grundlage für die Verordnungen zur Eindämmung von PandemienPandemie (z. B. Kontaktbeschränkungen oder Schließungen von Schulen etc.) bildet das „Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen“ (Infektionsschutzgesetz, kurz IfSG). Dabei stellt die Meldepflicht für InfektionskrankheitenInfektionskrankheiten ein international etabliertes Instrument zur Krankheitskontrolle (Surveillance) und Krankheitsprävention dar. Während die meldepflichtigen Krankheiten (Arztpflicht) im § 6 des IfSG hinterlegt sind, regelt der § 7 des IfSG meldepflichtige Krankheitserreger (Labormeldepflicht). Während das RKI in Deutschland die zentrale Behörde zur Überwachung von Infektionskrankheiten ist, hat sich seit 2005 mit dem „European Center for Disease Controll“ (kurz ECDC) ein EU-weites Netzwerk zur Überwachung von Infektionskrankheiten etabliert (vgl. Ammon/Faensen 2009: 176). Infektionskrankheiten gewinnen hierzulande nicht nur angesichts der Globalisierung an Bedeutung, sondern auch der KlimawandelKlimawandel beeinflusst die Zunahme an InfektionskrankheitenInfektionskrankheiten und damit die Bedeutung von präventiven Interventionen, wie das folgende Kapitel verdeutlicht.
Umweltbezogene Veränderung und insbesondere der KlimawandelKlimawandel bringt weltweit ein vermehrtes Auftreten von extremen Wetterereignissen (Stürme, Gewitter, Hitze, Dürren etc.) mit Gefahrenpotentialen für den Menschen mit sich. Die mit den Extremwetterereignissen (z. B. Starkregenereignisse, Überflutungen, langanhaltende Trockenphasen) verbundenen klimabezogenen Gesundheitsgefahren äußern sich sowohl in einem verstärkten Aufkommen hitzebezogener Erkrankungenhitzebezogene Erkrankungen (Hitzekrämpfe, Hitzeerschöpfung, Hitzschlag etc.) als auch von Infektionserkrankungen (z. B. Dengue-Fieber, Malaria, Borreliose, Durchfallerkrankungen) (vgl. IPCC 2019: 240ff.). Zudem gehen klimabezogene Veränderungen mit einer negativen Beeinflussung der Luftqualität (z. B. Ozonkonzentration), der Bedrohung der Ernährungssicherheit sowie klimabezogenen Migrationsbewegungen einher (ebd.). Auf die damit verbundenen umwelt- und gesundheitsbezogenen Folgen wies der „Intergovernmental Panel for Climate Change“ (IPCC), ein zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen, der auch als Weltklimarat tituliert wird, bereits 2018 in seinem Sonderbericht „Global Warming of 1,5°C“ hin (vgl. ICCP 2019: 53f.). Die → Tab. 2 verdeutlicht exemplarisch, welche Gesundheitsgefahren für den Menschen durch Hitzewellen, länger anhaltende Pollenflüge, erhöhte UV-Strahlung und Ozonwerte ausgehen können.
gefährdete Zielgruppen | Gesundheitsgefahren |
Hitze |
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|
|
UV-Strahlung |
|
|
|
Pollen |
|
|
|
Ozon |
|
|
|
Gesundheitsgefährdungen durch Hitze, UV-Strahlungen, Pollen und Ozon
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Capellaro/Sturm 2015: 56.
Die in der → Tab. 2 dargestellten umwelt- und klimabedingen Auswirkungen haben einen direkten Einfluss auf die Prävalenzen der angeführten Krankheitsbilder. Präventionsinterventionen, die sich auf die Folgen des KlimawandelsKlimawandel konzentrieren, werden daher in Zukunft an Bedeutung zunehmen. Insbesondere digitale Informations- und Frühwarnsysteme werden hierbei an Relevanz gewinnen, da hierbei sowohl die breite Bevölkerung, spezifische Bevölkerungsgruppen als auch Akteure in gesundheitsbezogenen Settings (z. B. Pflegeheime, Schulen, Betriebe) in die Lage versetzt werden, vorsorgliche Maßnahmen zum Gesundheitsschutz zu treffen. Hierbei gilt es besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen, wie z. B. ältere Menschen zu schützen. Die Fähigkeit, dass Gesundheitssysteme und gesundheitsbezogene Settings trotz umwelt- und klimabezogenen Belastungen ihre Grundfunktion aufrechterhalten können, wird unter dem Begriff KlimaresilienzKlimaresilienz zusammengefasst (vgl. Herrmann/Danquah 2021: 29ff.). Bereits heute existieren zahlreiche digitale Informations- bzw. Frühwarnsysteme (z. B. UV-Index, Hitzewarnsystem, Pollenflug- und Ozonvorhersage) für gesundheitsbezogene Umweltfaktoren. Unterschieden werden können sowohl internetbezogene Informationssysteme (z. B. Starkregenkarten, Hitzekarten) wie auch Apps. Dabei werden Apps, trotz der „Verordnung für die Aussendung öffentlicher Warnungen in Modilfunknetzen“ (Mobilfunk-Warn-Verordnung, kurz MWV) und der damit verbundenen Möglichkeit, die Bevölkerung per SMS zu informieren, einen wichtigen Teil des „Warn-Mix“ aus Sirenen, Ansagen im Rundfunk und auf Ansagetafeln darstellen (vgl. BMWi 2021a: o. S.). Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass in eine App integrierte Leitfäden, Checklisten oder kommunale Informationen für die relevanten Zielgruppen auch nach einem Netzausfall offline einsehbar sind (vgl. Nestler 2017: 4). Unterschieden werden können umweltbezogene Apps zum Schutz der Gesundheit danach, ob sich die Warnhinweise an die allgemeine Bevölkerung oder an spezifische Bevölkerungsgruppen richten:
Gesundheits-Apps, die sich populationsübergreifend auf umweltbezogene Gesundheitsbelastungen konzentrieren (z. B. Pollenwarn-App),
Gesundheits-Apps, die sich auf umweltbezogene Gesundheitswarnhinweise für spezifische Bevölkerungsgruppen (z. B. Asthma-App mit Pollenflughinweisen) konzentrieren,
Bevölkerungsschutz-Apps, die populationsübergreifend umweltbezogene Warnhinweise (z. B. NINA-App) aussprechen und
Bevölkerungsschutz-Apps, die (umweltbezogene) Warnhinweise für spezifische Bevölkerungsgruppen (z. B. in Risikogebieten; Meine Pegel-App) aussprechen.
Dabei beschränken sich im Bereich des Bevölkerungsschutzes Einzelgefahren-Apps auf spezifische Gefahren (z. B. Erdbeben, Stürme, Starkregen, Überflutungen, Brände, EpidemienEpidemie), während Multi-Gefahren-Apps (oder multiszenarische Gefahren-Apps) sämtliche Gefahren einschließen (vgl. Dallo/Marto 2021: 2). Die Auswirkung und das Ausmaß umwelt- und klimabezogener Gesundheitsgefahren für den Menschen hängen von der individuellen (Prä-)Disposition und Resilienz, dem individuellen Verhalten sowie den individuellen und gemeinschaftlichen Anpassungsleistungen ab. Ungeachtet dieser Einflussfaktorensind als weitere Parameter bspw. der Wohnort, die natürliche Umwelt, das soziale Netzwerk sowie die Anpassungsfähigkeit des Gesundheitssystems zu nennen (vgl Bunz/Mücke 2017: 637), die durch vorausschauende Maßnahmen (u. a. der Gesundheitspolitik) positiv beeinflusst werden können. Wie eng die Themen Umwelt- und Klimaschutz sowie Gesundheit miteinander verknüpft sind, verdeutlicht ein Beispiel. So können gesundheitsbezogene Marketingsmaßnahmen im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes, die sich auf die Verändung sozialer Normen als Strategie zur Verhaltensänderung beziehen, sowohl auf der individuellen als auch der gesellschaftlichen Ebene angesiedelt sein. Eine solche Maßnahme stellt die Aktion „Zu gut für die Tonne“ (➽ www.zugutfuerdietonne.de) des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung dar (vgl. Debbeler et al. 2021: 254).