Émile Zola
Germinal
Roman
Aus dem Französischen von Armin Schwarz
Fischer e-books
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
Covergestaltung: bilekjaeger, Stuttgart
Abbildung: Plakatwerbung zur Veröffentlichung von Zolas »Germinal«, 1878©Bridgeman Art Library, Berlin
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
Unsere Adressen im Internet:
www.fischerverlage.de
www.fischer-klassik.de
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-10-401851-5
In sternenloser, finsterer, rabenschwarzer Nacht schritt ein einzelner Mann durch die flache Ebene, auf der Heerstraße dahin, die von Marchiennes nach Montsou führt, zehn Kilometer lang, geradeaus durch Rübenfelder sich hinziehend. Er vermochte selbst den schwarzen Boden vor sich nicht zu unterscheiden und hatte das Gefühl von dem ungeheuren, flachen Horizonte nur durch das Wehen des Märzwindes, der in breiten Strichen dahinfuhr, eisig kalt, nachdem er meilenweite Strecken von Sümpfen und kahlen Felsen bestrichen hatte. Kein Baumschatten hob sich vom Nachthimmel ab; die Straße zog sich mit der Regelmäßigkeit eines Dammes durch die stockfinstere Nacht dahin, in der das Auge wie geblendet war.
Der Mann war gegen zwei Uhr von Marchiennes aufgebrochen. Er machte lange Schritte, denn er fröstelte in seiner Jacke von dünnem Wollenzeug und in seinem Beinkleid von Samtstoff. Sein kleines Päckchen, in ein kariertes Taschentuch gewickelt, belästigte ihn sehr; er drückte es bald mit dem einen, bald mit dem andern Ellbogen an sich, um beide Hände zugleich in die Taschen stecken zu können, seine erstarrten Hände, die der eisige Ostwind wund geblasen hatte. Ein einziger Gedanke beschäftigte seinen hohlen Kopf eines arbeits- und obdachlosen Arbeiters: die Hoffnung, dass nach Sonnenaufgang die Kälte weniger empfindlich sein würde. Er mochte eine Stunde so dahingeschritten sein, als er zur Linken, zwei Kilometer von Montsou, rote Feuer wahrnahm, drei Gluthaufen im freien Felde, gleichsam in der Luft schwebend. Zuerst zögerte er, von Furcht ergriffen; dann konnte er dem schmerzlichen Bedürfnisse nicht widerstehen, einen Augenblick seine Hände zu wärmen.
Der Mann betrat einen Hohlweg, der dahin führte. Alles um ihn her verschwand. Zur Linken hatte er eine Plankenwand, welche einen Schienenweg abschloss, während rechts eine grasbestandene Böschung sich erhob, gekrönt von Häusergiebeln, die in der nächtlichen Finsternis verschwammen; es war das Schattenbild eines Dorfes mit niedrigen, gleichförmigen Hausdächern. Er machte ungefähr zweihundert Schritte. Plötzlich, bei einer Biegung des Weges, tauchten die Feuer ganz nahe wieder auf und er begriff jetzt so wenig wie früher, wie es komme, dass sie so hoch unter dem toten Himmel brannten, rauchenden Monden gleichend. Doch am Boden gab es einen andern Anblick, der seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war dies eine schwerfällige Masse, eine Gruppe niedriger Gebäude, aus deren Mitte der Schattenriss eines Fabrikschlotes aufstieg; ein Lichtschein drang aus den wenigen schmutzigen Fenstern hervor; außen hingen fünf oder sechs trübselige Laternen, an Balken befestigt, deren geschwärzte Hölzer sich zu riesigen Gerüsten aneinanderreihten; und von dieser phantastischen, in Nacht und Rauch getauchten Erscheinung stieg eine einzige Stimme auf: der laute und lange Atem einer Dampfausströmung, die man nicht sah.
Da erkannte der Mann, dass er sich bei einem Bergwerk befinde. Abermals ward er von Scham ergriffen: was nützte es? Er wird ja doch keine Arbeit bekommen. Anstatt seine Schritte nach den Gebäuden zu lenken, entschloss er sich endlich, den Hügel zu ersteigen, auf welchem die drei Kohlenfeuer in großen, gusseisernen Körben brannten, um Licht und Wärme zur Arbeit zu liefern. Die bei dem Abbau beschäftigten Arbeiter mussten bis in die späte Nacht am Werke gewesen sein, denn es wurde noch immer Schutt herausgeführt. Er hörte jetzt die Abführer die Züge über die Gerüste schieben und unterschied lebende Schatten, die bei jedem Feuer ihre Hunde leerten.
– Guten Morgen, sagte er, indem er sich einem der Feuerkörbe näherte.
Der Kärrner stand mit dem Rücken dem Feuer zugewendet; es war ein alter Mann, bekleidet mit einer Trikotjacke von blauem Wollenzeug und einer Mütze von Kaninchenfell; sein Pferd, ein großer, gelber Gaul, wartete unbeweglich, als wäre es von Stein, bis man die sechs Karren, die es heraufgeführt, geleert hatte. Der bei der Ausleerungsvorrichtung angestellte Handlanger, ein roter, magerer Bursche, beeilte sich nicht, drückte mit schläfriger Hand auf den Hebel. Da oben wehte der Wind noch stärker, ein eisiger Nordost, dessen breite, regelmäßige Stöße gleich Sensenstrichen vorüberzogen.
– Guten Morgen, erwiderte der Alte.
Dann trat wieder Stille ein. Der Fremdling, der sich mit misstrauischen Blicken betrachtet wusste, sagte sogleich seinen Namen.
– Ich heiße Étienne Lantier und bin Maschinist. Gibt es hier keine Arbeit?
Die Flammen beleuchteten ihn; er mochte einundzwanzig Jahre zählen, war sehr braun, ein hübscher Mann von kräftigem Aussehen trotz seiner kleinen Glieder.
Der Kärrner schüttelte den Kopf; er schien jetzt beruhigt.
– Arbeit für einen Maschinisten?, sagte er. Nein, nein … Gestern waren auch zwei da. Es gibt keine Arbeit.
Ein Windstoß schnitt ihm das Wort ab. Dann fragte Étienne, auf die dunkle Gruppe von Gebäuden am Fuße des Hügels zeigend:
– Das ist ein Bergwerk, nicht wahr?
Der Alte konnte nicht sogleich antworten. Ein heftiger Hustenanfall drohte ihn zu ersticken. Endlich spie er aus und sein Speichel bildete einen schwarzen Fleck am roten Erdboden.
– Ja, das Bergwerk le Voreux … Der Ort liegt ganz nahe.
Und er wies mit ausgestrecktem Arme nach dem im Dunkel der Nacht daliegenden Dorfe, dessen Hausdächer der junge Mensch mehr erraten als gesehen hatte. Doch die sechs Hunde waren jetzt leer; der Alte folgte ihnen ohne einen Peitschenknall, mit seinen gichtsteifen Beinen; während der große, gelbe Gaul von selbst seinen Gang wieder antrat, zwischen den Schienen mühsam seine Last schleppend, von einem neuen Windstoße gepeitscht, der ihm die Haare sträubte.
Die Grube le Voreux schien aus dem Nachtschlafe zu erwachen. Étienne, der seine armen, blutenden Hände am Kohlenfeuer wärmte, verlor sich völlig in seinen Betrachtungen und erkannte allmählich sämtliche Teile des Bergwerkes, den geteerten Schoppen des Sichtungswerkes, den Glockenstuhl des Schachtes, die geräumige Halle der Fördermaschine, den viereckigen Turm der Schöpfpumpe. Dieses Bergwerk, in der Tiefe einer Schlucht gelegen, mit seinen niedrigen Ziegelbauten, seinem Schlot wie ein drohendes Horn in die Höhe streckend, schien ihm das unheilkündende Aussehen eines gierigen Raubtieres zu haben, das dahockte, um die Welt zu verschlingen. Und während er es betrachtete, dachte er an sich selbst, an sein Vagabundenleben, das er seit acht Tagen auf der Suche nach einem Platze führte. Er sah sich in seiner Eisenbahnwerkstätte wieder, wo er seinen Vorgesetzten geohrfeigt hatte, dann aus Lille verjagt und von überall verjagt. Am Samstag war er in Marchiennes angekommen, wo er in den Eisenhütten angeblich Arbeit finden sollte; aber es war nichts, weder in den Eisenhütten, noch in den Fabriken Sonnevilles; er hatte den Sonntag unter den Hölzern einer Wagnerei verborgen zugebracht, deren Aufseher ihn um zwei Uhr nachts von da weggejagt hatte. Er hatte nichts mehr, keinen Sou und keinen Bissen Brot; was wird er anfangen, auf den Heerstraßen ziellos umherirrend und nicht wissend, wohin er vor den Unbilden des Wetters flüchten sollte? Ja, es war ein Bergwerk, die wenigen Laternen beleuchteten das Pflaster des Vorhofes; eine plötzlich geöffnete Tür gestattete ihm, die Feuerung der Dampferzeuger in hellem Lichte zu sehen. Er erklärte sich jetzt alles, selbst die Dampfausströmung der Pumpe, diese laute, lange, unablässige Respiration, welche gleichsam der verschleimte Atem des Ungeheuers war.
Der Handlanger bei der Kohlenlöschhalde stand mit gekrümmtem Rücken da und warf keinen Blick auf Étienne. Dieser wollte eben sein kleines Bündel vom Boden wieder aufheben, als ein Hustenanfall die Rückkehr des Kärrners ankündigte. Man sah ihn langsam aus dem Dunkel auftauchen, gefolgt von dem gelben Gaul, der sechs volle Hunde schleppte.
– Gibt es in Montsou Fabriken?, fragte der junge Mann.
Der Alte warf wieder schwarzen Speichel aus und erwiderte dann, in den Wind sprechend:
– Oh, an Fabriken ist kein Mangel. Man musste das noch vor drei, vier Jahren sehen! Es summte und brummte ringsumher; man konnte nicht genug Leute finden; nie hatte man einen so guten Erwerb. Jetzt aber sind wieder magere Jahre gekommen. Ein rechtes Elend ist ins Land eingezogen; man entlässt die Leute, die Werkstätten werden geschlossen, eine nach der anderen … Es ist vielleicht nicht die Schuld des Kaisers; aber warum geht er nach Amerika sich herumschlagen? Dazu kommt noch, dass das Vieh an der Cholera zugrunde geht geradeso wie die Menschen.
Und in kurzen Sätzen, mit stockendem Atem beklagten sich die beiden weiter. Étienne erzählte, wie er seit einer Woche vergebens Arbeit suchte. Müsse man denn wirklich vor Hunger umkommen? Bald werden die Landstraßen sich mit Bettlern füllen. Ja, ja, meinte der Alte, das wird bös enden. Gott kann unmöglich wollen, dass so viele Christenmenschen auf die Straße geworfen werden.
– Man hat nicht alle Tage seinen Bissen Fleisch.
– Wenn man nur alle Tage Brot hätte!
– Das ist wahr; wenn man nur alle Tage Brot hätte!
Ihre Stimmen verloren sich; die Windstöße entführten ihre Worte mit einem melancholischen Geheul.
– Seht, dort liegt Montsou!, sagte jetzt der Kärrner sehr laut, indem er sich nach Süden wandte.
Und indem er von neuem die Hand ausstreckte, zeigte er im Dunkel unsichtbare Punkte, in dem Maße, wie er sie nannte. Fauvelles Zuckerfabrik in Montsou halte sich noch aufrecht, Hotons Zuckerfabrik jedoch reduziere ihr Personal; nur Dutilleuls Müllerei und Bleuzes Seilerei halten noch stand. Dann zeigte er mit einer breiten Gebärde den halben Horizont im Norden; die Bauwerkstätten Sonnevilles haben dieses Jahr nicht zwei Drittel ihrer sonstigen Aufträge bekommen; von den drei Hochöfen der Eisenwerke zu Marchiennes seien bloß zwei angeblasen; in der Glasfabrik Gagebois endlich drohte ein Ausstand, weil man von einer Herabsetzung der Arbeitslöhne sprach.
– Ich weiß, ich weiß, wiederholte der junge Mann bei jeder dieser Auskünfte. Ich komme ja von dort.
– Was uns betrifft, so ist es bisher noch erträglich, fügte der Kärrner hinzu. Und doch haben die Kohlengruben überall ihren Betrieb eingeschränkt. Da drüben, im Werk la Victoire, brennen auch nur mehr zwei Koksöfen.
Er spie und ging wieder ab hinter seinem schlummernden Gaul, den er wieder vor die leeren Hunde gespannt hatte.
Jetzt konnte Étienne mit seinem Blick die ganze Gegend umfassen. Es herrschte noch immer eine tiefe Finsternis; aber die Hand des Alten hatte sie gleichsam mit einem großen Elend angefüllt, welches der junge Mann jetzt unwillkürlich fühlte, überall ringsumher, in der ganzen unermesslichen Ausdehnung. Wars nicht ein Schrei des Hungers, den der Märzwind durch diese kahle Landschaft trug? Die Windstöße waren wütender geworden; sie schienen den Tod der Arbeit mit sich zu führen, eine Hungersnot, die viele Menschen zu töten drohte. Seine irrenden Augen strengten sich an, die Finsternis zu durchdringen, gepeinigt von dem Verlangen und von der Furcht zu sehen. Alles verlor sich in der Tiefe der nächtlichen Finsternis; er sah nichts, als in weiter Ferne die Hochöfen und die Koksöfen. Die Letzteren, Batterien zu hundert schief sitzenden Schloten, dehnten ihre Rampen von roten Flammen dahin; während die beiden Hochöfen, mehr nach links gelegen, unter freiem Himmel mit blauen Flammen brannten, gleich Riesenfackeln. Es war traurig wie auf einer Brandstätte; es gab keine anderen Lichter an diesem drohenden Horizont, als diese nächtlichen Feuer der Eisen und Kohle erzeugenden Länder.
– Sind Sie vielleicht aus Belgien?, fragte jetzt hinter Étienne der Kärrner, der wieder zurückgekehrt war.
Diesmal brachte er nur drei Hunde; man konnte diese immerhin ausleeren. Im Aufzugsschachte war eine Schraubenmutter gebrochen und dieser Unfall störte die Arbeit eine gute Viertelstunde. Am Fuße des Hügels war es still geworden. Die Männer an der Winde hatten aufgehört, mit ihrer Arbeit die Gerüste in einer unaufhörlichen Erschütterung zu erhalten. Nur aus der Grube tönte das ferne Geräusch eines Hammers herauf, der auf Blech losschlug.
– Nein, ich bin aus dem Süden, antwortete der junge Mann.
Der Handlanger hatte die Hunde ausgeleert und sich dann auf die Erde gesetzt, ganz froh über den Unfall, der ihm eine kurze Ruhe gestattete. Er bewahrte seine stille Scheu und erhob die matten Augen ganz erstaunt zu dem Kärrner, gleichsam verdrossen durch so viele Worte. Der Letztere hatte in der Tat nicht die Gewohnheit, so viel zu reden. Das Gesicht des Fremden musste ihm gefallen und er wurde augenscheinlich von jenem Drang nach Vertraulichkeiten erfasst, welcher zuweilen bewirkt, dass alte Leute von selbst und ganz laut zu plaudern beginnen.
– Ich bin von Montsou, sagte er, und heiße Bonnemort. (Gutertod.)
– Das ist wohl ein Spitzname?, fragte Étienne erstaunt.
Der Alte grinste vergnügt und sagte nach dem Voreux-Schachte zeigend:
– Ja, ja … Man hat mich dreimal in Stücken von dort herausgezogen. Das erste Mal hatte ich alles Haar weggesengt, das zweite Mal hatte ich Erde bis in den Kropf; das dritte Mal hatte ich den Bauch von Wasser angeschwollen wie ein Frosch … Da sahen die Leute, dass ich nicht hin werden will und nannten mich Bonnemort, freilich nur so zum Spaß.
Er begann dabei wieder zu kichern; es klang wie das Kreischen eines eingerosteten Brunnenschwengels und artete schließlich in einen furchtbaren Hustenanfall aus. Der Feuerkorb beleuchtete jetzt vollständig seinen dicken Kopf mit den weißen, schütteren Haaren und dem flachen, bleichen, bläulich gefleckten Gesichte. Er war klein in der Gestalt, hatte einen furchtbar dicken Hals, die Waden und Fersen nach außen gekehrt, lange Arme, deren vierschrötige Hände auf seinen Knien ruhten. Er schien übrigens von Stein zu sein, wie sein Pferd, das unbeweglich auf den Beinen stand, völlig unbekümmert um den Wind; die Kälte und der Wind, der ihm um die Ohren pfiff, ließen ihn unberührt. Wenn er gehustet hatte – wobei ein tiefes Röcheln seinen Hals zu zerreißen schien –, spie er am Fuße des Feuerkorbes aus und die Erde färbte sich schwarz.
Étienne betrachtete ihn und betrachtete dann den Boden, auf den der Alte in solcher Weise schwarze Flecke warf.
– Ists schon lange her, dass ihr in der Grube arbeitet?, hub Étienne wieder an.
Bonnemort tat die beiden Arme weit auseinander und erwiderte:
– Lange? Ach, ja … Ich war noch nicht acht Jahre alt, als ich in den Voreux-Schacht einfuhr; jetzt zähle ich achtundfünfzig. Rechnen Sie einmal … Ich habe da drinnen alles gemacht, war zuerst Schlepper, dann Eggenmann, als ich stark genug dazu war, hernach Schaufler achtzehn Jahre lang. Und später, als die vertrackten Beine schlecht wurden, taten sie mich zum Abbau als Füller und Flicker, bis zu dem Tage, da sie mich heraufholen mussten, weil der Arzt sagte, dass ich die Knochen da lassen müsste. Und nun bin ich Kärrner, seit fünf Jahren schon … Fünfzig Jahre Bergwerksarbeit, das ist hübsch, wie? Davon fünfundvierzig in der Grube . . .
Und während er so sprach, warfen einzelne brennende Kohlenstücke, die aus dem Korbe gefallen waren, einen blutroten Schein auf sein fahles Gesicht.
– Sie raten mir in den Ruhestand zu gehen, fuhr er fort. Aber ich will nicht; ich bin nicht so dumm! … Ich werde wohl noch zwei Jahre aushalten, bis die sechzig voll sind, um meine Pension von hundertachtzig Franken zu bekommen. Wenn ich heut’ meinen Abschied nehme, würden sie mir sogleich hundertfünfzig bewilligen. Es sind gar pfiffige Kerle! … Ich bin übrigens noch kräftig, von den Beinen abgesehen. Das Wasser ist mir unter die Haut gedrungen, weil ich in den Stollen gar so viel nass geworden. Es gibt Tage, an welchen ich kein Glied rühren kann, ohne vor Schmerz aufzuschreien.
Ein Hustenanfall unterbrach ihn wieder.
– Und ihr habt auch den Husten davon?, fragte Étienne.
Er schüttelte heftig den Kopf. Dann, als er wieder reden konnte, sagte er:
– Nein, nein; ich habe mich im vorigen Monat erkältet. Niemals habe ich gehustet, jetzt aber kann ich den Husten nicht los werden. Und das Drollige ist, dass ich speie …
Ein Röcheln stieg wieder in seiner Kehle auf und er spie.
– Ist das Blut?, wagte Étienne endlich zu fragen.
Bonnemort wischte sich mit dem Handrücken langsam den Mund ab.
– Das ist Kohle, sagte er. Ich habe in meinem Leichnam genug davon, um mich bis an das Ende meiner Tage zu wärmen. Und doch habe ich seit fünf Jahren keinen Fuß mehr in die Gruben gesetzt. Wie es scheint, habe ich die Kohle aufgespeichert, ohne es zu wissen. Bah! Das hält die Knochen zusammen!
Es trat wieder Stillschweigen ein; der Hammer in der Ferne führte regelmäßige Schläge; der Wind fuhr klagend dahin, wie ein Schrei des Hungers und der Ermüdung, der aus den Tiefen der Nacht gekommen. Vor dem Kohlenfeuer sitzend, das im Winde aufflackerte, fuhr der Alte mit leiserer Stimme in seinen Erinnerungen fort. Ach ja, es ist lange her, dass er und die Seinen in den Minengängen arbeiten. Die Familie stand im Dienste der Bergwerksgesellschaft von Montsou seit der Gründung des Unternehmens. Und das ist lange her, schon hundert Jahre. Sein Großvater, Guillaume Maheu, hatte als fünfzehnjähriger Bursche die Steinkohle in Réquillart entdeckt; diese war die erste Grube der Gesellschaft; sie liegt dort unten, in der Nähe der Zuckerfabrik Fauvelle und ist jetzt längst aufgelassen. Dies wusste das ganze Land; zum Beweise dessen hieß das entdeckte Kohlenlager »Wilhelms-Schacht«, nach dem Vornamen seines Großvaters. Er hatte ihn nicht gekannt; es war, wie man erzählte, ein großer, sehr starker Mensch, der mit sechzig Jahren an Altersschwäche gestorben. Sein Vater, Nicolas Maheu, genannt der Rote, war mit kaum vierzig Jahren im Voreux-Schachte geblieben, welcher zu jener Zeit gegraben wurde; es gab einen Einsturz, eine vollständige Verschüttung, die Felsen verschlangen Blut und Knochen. Später hatten zwei seiner Oheime und seine drei Brüder gleichfalls ihre Haut da gelassen. Er selbst, Vincent Maheu, der fast ganz, nur mit geschwächten Beinen aus der Grube hervorgegangen, galt deshalb für einen Schlaumeier. Was war da übrigens zu machen? Man musste doch arbeiten. Man tat dies vom Vater auf den Sohn, wie man etwas anderes getan hätte. Sein Sohn Toussaint Maheu schund sich jetzt dort ab, und auch seine Enkel, seine ganze Familie, die da drüben im Dorfe wohnte. Hundert Jahre Frone, nach den Alten die Jungen, immer für den nämlichen Herrn: ist das schön? Nicht viele Spießbürger könnten so leicht ihre Geschichte hersagen.
– Wenn man wenigstens zu essen hat, murmelte Étienne wieder.
– Das sage ich auch; so lange man Brot hat, kann man leben.
Bonnemort schwieg, die Augen nach dem Dorfe gewendet, wo jetzt Lichter angezündet wurden, eines nach dem andern. Im Kirchturm zu Montsou schlug es vier Uhr; die Kälte wurde noch empfindlicher.
– Und ist sie reich, eure Gesellschaft?, fragte Étienne weiter.
Der Greis zog die Schultern in die Höhe und ließ sie wieder sinken, gleichsam erdrückt durch einen Berg von Talern.
– Oh, ja, oh, ja … Vielleicht nicht so reich wie ihre Nachbarin, die Gesellschaft von Auzin. Aber doch Millionen und Millionen; es ist gar nicht zu zählen … Neunzehn Schachte, davon dreizehn zur Ausbeutung, le Voreux, la Victoire, Crèvecoeur, Mirou, Saint-Thomas, Madeleine, Feutry-Cantel und noch andere; sechs für die Förderung und die Lüftung, wie Réquillart … Zehntausend Arbeiter; Konzessionen, die sich auf siebenundsechzig Gemeinden erstrecken, eine Förderung von täglichen fünftausend Tonnen; eine Eisenbahn, die sämtliche Gruben verbindet; und Werkstätten, und Fabriken! … Oh, ja, Geld ist da! …
Ein Rollen von Hunden über die Gerüste ließ den großen, gelben Gaul die Ohren spitzen. Der Aufzugskasten unten schien inzwischen ausgebessert worden zu sein; die Männer an der Winde hatten ihre Arbeit wieder aufgenommen. Während der Kärrner seinen Gaul anspannte, um wieder hinabzufahren, sagte er zu dem Tiere gewendet in sanftem Tone:
– Vertrackter Faulpelz, du sollst dich nicht ans Schwatzen gewöhnen! … Wenn Herr Hennebeau wüsste, wie du die Zeit vergeudest!
Étienne schaute nachdenklich in die Nacht hinaus und fragte:
– Das Bergwerk gehört also Herrn Hennebeau?
– Nein, erklärte der Alte; Herr Hennebeau ist nur der Generaldirektor; er wird ebenso bezahlt wie wir.
Der junge Mann wies mit einer Handbewegung in die unermessliche, dunkle Ferne hinaus und fragte weiter:
– Wem gehört also all dies?
Doch Bonnemort ward jetzt von einem neuen, dermaßen heftigen Anfall ergriffen, dass er nicht zu Atem kommen konnte. Als er endlich ausgespien und den schwarzen Schaum von seinen Lippen weggewischt hatte, sprach er in den wieder schärfer gewordenen Wind hinaus:
– Wie? Wem all dies gehört? Man weiß es nicht; es gehört Leuten.
Und er wies in der Dunkelheit nach einem unbestimmten Punkte, nach einem unbekannten und fernen Orte, bevölkert von den Leuten, für welche die Maheu seit hundert Jahren in den Bergwerken arbeiteten. Seine Stimme hatte eine andächtige Scheu angenommen; es war, als spräche er von einem unnahbaren Tabernakel, wo der gesättigte Gott im Verborgenen hockte, dem sie Leib und Leben hingaben und den sie noch niemals gesehen hatten.
– Wenn man sich doch wenigstens mit Brot satt essen könnte, sagte Étienne zum dritten Male, ohne scheinbaren Übergang.
– Ach ja, wenn man immer Brot zu essen hätte, es wäre zu schön! . . .
Das Pferd hatte sich in Gang gesetzt, auch der Kärrner verschwand mit seinem schleppenden Gang eines Invaliden. Der Handlanger bei der Entleerungsvorrichtung hatte sich nicht gerührt; er saß zu einer Kugel zusammengerollt da, das Kinn zwischen den Knien, mit den großen, matten Augen ins Leere starrend.
Étienne hatte sein Bündel wieder an sich genommen, entfernte sich aber noch nicht. Er fühlte, wie ihm der Rücken in dem eisigen Winde erstarrte, während seine Brust vor dem großen Kohlenfeuer briet. Vielleicht würde er doch gut tun, sich an die Bergwerksverwaltung zu wenden; der Alte war vielleicht nicht gut unterrichtet; überdies fügte er sich ja in sein Schicksal und wäre bereit, jegliche Arbeit anzunehmen. Wohin sollte er gehen und was sollte aus ihm werden in dieser durch den Arbeitsmangel ausgehungerten Gegend? Sollte er hinter einer Mauer verrecken wie ein verlaufener Hund? Doch hielt ein Zögern ihn zurück, eine Angst vor dem Voreux-Schachte, inmitten dieser kahlen, in tiefe Nacht getauchten Ebene. Der Wind schien mit jedem Stoße stärker zu werden, als bliese er von einem immer mehr sich erweiternden Horizonte her. An dem nachttoten Himmel wollte noch immer kein Morgendämmer sich zeigen; nur die Hochöfen und die Koksöfen flammten in der Finsternis mit blutrotem Schein, ohne die Ferne zu erhellen. Und der Voreux-Schacht, in seinem Loche hockend wie ein bösartiges Tier, duckte sich noch mehr und atmete tiefer und länger, gleichsam bedrückt durch seine mühsame Verdauung von Menschenfleisch.
Inmitten der Getreide- und Rübenfelder schlief das Grubendorf der zweihundertundvierzig in der finsteren Nacht. Man unterschied nur undeutlich die vier gewaltigen Körper von kleinen, Rücken an Rücken stehenden Häuschen, gleich den Kasernen oder Spitälern geometrisch genau und parallel angelegte Körper, durch drei breite Gassen getrennt, welche in gleich große Gärtchen abgeteilt waren. Auf der verlassenen Hochebene hörte man nichts als das Heulen des Windes, welcher in den abgerissenen Drähten der Einfriedungen sich verfing.
In der Familie Maheu, welche das Häuschen Nr.16 im zweiten Körper bewohnte, rührte sich noch nichts. Die einzige Stube des ersten Stockwerkes lag in tiefe Finsternis gehüllt, die gleichsam mit ihrem Gewichte den Schlaf der Wesen niederhielt, die man zuhauf, offenen Mundes, von Müdigkeit erdrückt daliegen vermutete. Trotz der schneidigen Kälte, die draußen herrschte, lag hier in der schweren Luft eine lebendige Wärme, jene erstickende Schwüle, die man selbst in den sorgfältigst gereinigten Stuben antrifft, wenn sie nach Menschenfleisch riechen.
Auf der Kuckucksuhr der im Erdgeschoss gelegenen Wohnstube schlug es die vierte Morgenstunde. Nichts rührte sich noch, man konnte zartes Atemholen vernehmen, begleitet von dem geräuschvolleren Atem zweier Schnarcher. Plötzlich richtete Catherine sich auf. In ihrer Schlaftrunkenheit hatte sie gleichsam aus Gewohnheit die durch den Fußboden herauftönenden vier Schläge der Uhr gezählt, ohne die Kraft zu finden, vollends zu erwachen. Dann zog sie die Beine unter der Bettdecke hervor, tastete einen Augenblick herum, rieb endlich ein Zündhölzchen an und machte Licht. Doch blieb sie da sitzen; ihr Kopf war so schwer, dass er zwischen den Schultern zurückfiel in einem unüberwindlichen Bedürfnisse, den Schlaf fortzusetzen.
Jetzt beleuchtete die Kerze die viereckige, mit zwei Fenstern versehene Stube, welche von drei Betten fast ganz angefüllt war. Es gab da außerdem ein Spind, einen Tisch und zwei Stühle von altem Nussholz, deren dunkler, angerauchter Ton sich scharf von den hellgelb getünchten Mauern abhob. Und kein weiteres Einrichtungsstück; die Kleider hingen an Nägeln. Auf den Fliesen stand ein Krug neben einer roten irdenen Schüssel, die als Waschbecken diente. In dem Bette zur Linken schlief Zacharie, der älteste Sohn, ein Bursche von einundzwanzig Jahren, mit seinem Bruder Jeanlin, der eben sein elftes Jahr vollendete. In dem Bette zur Rechten schliefen zwei kleinere Kinder, Lénore und Henri, der Erstere sechs, der Letztere vier Jahre alt; einander in den Armen haltend lagen sie da. Catherine teilte das dritte Bett mir ihrer Schwester Alzire, die für ihre neun Jahre so schwächlich war, dass Catherine sie neben sich kaum gefühlt haben würde, wäre nicht der Höcker der Kleinen gewesen, den diese ihr in die Seiten stieß. Die mit Glasscheiben versehene Tür stand offen; man bemerkte den Flurgang, eine Art Schlauch, wo Vater und Mutter ein viertes Bett einnahmen, vor welchem die Wiege der jüngsten Tochter stand, die Estelle hieß und erst drei Monate zählte.
Catherine machte inzwischen eine verzweifelte Anstrengung. Sie streckte sich und krümmte beide Hände in ihren roten Haaren, die struppig auf ihre Stirn und ihren Nacken niederfielen. Schmächtig für ihre fünfzehn Jahre zeigte sie von ihren Gliedern, außerhalb der engen Hülle, die ihr Hemd bildete, nur bläuliche Füße, die von der Kohle gleichsam tätowiert waren, und zarte Arme, deren Milchweiße sich lebhaft von der bleichen Farbe des Gesichtes abhob, das von dem fortwährenden Waschen mit schwarzer Seife schon verdorben war. Ein letztes Gähnen öffnete ihren etwas groß geratenen Mund mit prächtigen Zähnen, die in einem chlorotisch bleichen Zahnfleische saßen; während ihre grauen Augen von verhaltenem Schlafe trieften, mit einem Ausdruck des Schmerzes und der Erschöpfung, welcher ihre ganze nackte Gestalt zu schwellen schien.
Doch jetzt ward ein Gebrumme aus dem Treppenflur hörbar; Maheu stammelte mit müder Stimme:
– Alle Wetter, es ist Zeit aufzustehen! … Hast du Licht gemacht, Catherine?
– Ja, Vater; es hat unten vier Uhr geschlagen.
– Spute dich doch, Nichtsnutzige! Hättest du gestern Sonntags weniger getanzt, dann hättest du uns früher wecken können. Ist das ein Faulenzerleben!
Und er fuhr fort zu brummen; doch der Schlaf übermannte auch ihn; seine Vorwürfe verwirrten sich und gingen schließlich in einem neuen Schnarchen unter.
Im Hemde und mit nackten Füßen ging das Mädchen in der Stube hin und her. An dem Bette von Henri und Lénore vorbeikommend warf sie die herabgeglittene Decke über sie; sie erwachten darob nicht aus ihrem festen Kinderschlafe. Alzire, die mit offenen Augen dalag, hatte sich wortlos umgewendet, um den noch warmen Platz ihrer älteren Schwester einzunehmen.
– Was ists, Zacharie! und du, Jeanlin!, rief Catherine, vor ihren Brüdern stehen bleibend, die mit der Nase im Kopfkissen weiter schliefen.
Sie musste den Großen bei der Schulter fassen und schütteln; dann, als er Flüche vor sich hinbrummte, entschloss sie sich, die Decke von ihnen wegzuziehen. Sie fand dies drollig und begann zu lachen, als sie die beiden Jungen mit den nackten Beinen strampeln sah.
– Das ist blöd, lass mich in Frieden!, brummte Zacharie mürrisch, nachdem er sich aufgesetzt hatte. Ich mag solche Späße nicht … Herrgott, dass man schon wieder aufstehen soll!
Er war ein magerer, schlotteriger Kerl, mit einem langen Gesichte, in welchem einige schüttere Bartstoppeln saßen, mit den gelben Haaren und der blutleeren Blässe, die der ganzen Familie eigen waren. Sein Hemd hatte sich bis zum Bauche hinauf verschoben und er zog es herab, nicht aus Schamhaftigkeit, sondern weil er fror.
– Es hat unten vier Uhr geschlagen, wiederholte Catherine. Auf, auf! Der Vater wird bös.
– Scher dich zum Teufel! Ich will schlafen, sagte Jeanlin, indem er die Beine einzog und die Augen schloss.
Sie lachte wieder gutmütig. Er war so klein und seine Glieder so schwächlich mit ihren von den Skropheln angeschwollenen Gelenken, dass sie ihn mit leichter Mühe in ihre Arme nahm. Allein, er zappelte mit den Beinen; seine bleiche, faltige Affenfratze, von grünen Augen durchlöchert und durch seine großen Ohren noch breiter gemacht, ward ganz bleich in ohnmächtiger Wut. Er sagte nichts, aber er biss sie in die rechte Brust.
– Böser Bube!, brummte sie, einen Schrei unterdrückend und den Jungen auf die Erde setzend.
Alzire war nicht wieder eingeschlafen; die Decke bis zum Kinn hinaufgezogen lag sie stillschweigend da. Mit ihren klugen Augen eines Krüppels folgte sie den Bewegungen ihrer Schwester und ihrer Brüder, die sich ankleideten. Doch jetzt brach ein neuer Streit an der Waschschüssel aus; die Jungen stießen das Mädchen weg, weil sie sich zu lange wusch. Die Hemden flogen über die Köpfe, während sie noch schlaftrunken sich wuschen, ohne jede Scham, mit dem ruhigen Behagen, wie eine Tracht junger Hunde, die zusammen aufwachsen. Catherine war übrigens zuerst fertig. Sie schlüpfte in die Bergmannshose, legte die Leinwandjacke an, knüpfte die blaue Haube um den Haarknoten und in dieser sauberen Werktagsgewandung glich sie einem kleinen Mann. Nichts war von ihrem Geschlecht übrig geblieben, als ein leichtes Wiegen der Hüften.
– Wenn der Alte heimkommt, wird er sich freuen, das Bett so zerworfen anzutreffen, sagte Zacharie boshaft. Ich werde ihm erzählen, dass du es getan hast.
Der Alte war der Großvater, Bonnemort, der bei Nacht arbeitete und bei Tage schlief. Das Bett kühlte denn auch nie aus; es war immer jemand da, der darin schlief.
Ohne zu antworten, hatte sich Catherine daran gemacht, das Bett in Ordnung zu bringen. Doch seit einer Weile wurden hinter der Mauer, aus der Nachbarschaft, Geräusche vernehmbar. Diese Ziegelbauten, von der Gesellschaft auf das sparsamste hergestellt, waren so dünn, dass man jeden Hauch hindurch hörte. Man lebte da eng zusammengedrängt, von einem Ende des Ortes bis zum andern; nichts von dem intimen Leben blieb da verborgen, selbst vor den Kindern nicht. Ein schwerer Tritt hatte eine Treppe in Erschütterung gebracht; dann gab es einen weichen Fall, gefolgt von einem Seufzer der Erleichterung.
– Schön, sagte Catherine. Levaque geht zur Grube und Bouteloup geht zur Frau Levaque.
Jeanlin kicherte und auch Alzires Augen funkelten lebhafter. Jeden Morgen belustigten sie sich in dieser Weise über die benachbarte Ehe zu dreien; es war ein Häuer, der einem Erdarbeiter Unterkunft gab; in dieser Weise hatte die Frau zwei Männer, den einen bei Nacht, den anderen bei Tag.
– Philomène hustet, hub Catherine wieder an, nachdem sie die Ohren gespitzt.
Sie sprach von der Ältesten der Eheleute Levaque, einem großen Mädchen von neunzehn Jahren, der Geliebten Zacharies, von dem sie schon zwei Kinder hatte. Sie war übrigens so schwach auf der Brust, dass man sie am Sichtungswerk beschäftigte, weil sie zur Arbeit in der Grube nicht taugte.
– Oh, freilich, Philomène!, antwortete Zacharie. Die schläft jetzt. Es ist doch eine Schweinerei, bis sechs Uhr zu schlafen.
Er schlüpfte in seine Hose; da schien ihm ein Einfall zu kommen und er öffnete ein Fenster. Draußen herrschte noch immer tiefe Dunkelheit und das Dorf erwachte allmählich; zwischen den Brettchen der Jalousien sah man nacheinander die Lichter aufblitzen. Und nun gab es wieder einen Zank; Zacharie neigte sich hinaus, um zu spähen, ob er nicht aus dem gegenüber gelegenen Hause der Eheleute Pierron den Oberaufseher des Voreux-Schachtes weggehen sehen würde, welchen man verdächtigte, dass er mit der Frau Pierron schlafe; während Catherine ihm zurief, dass der Gatte gestern seinen Tagesdienst in der Grube gehabt habe und dass folglich Herr Dansaert diese Nacht nicht da geschlafen haben konnte. Die Luft drang eiskalt herein; die beiden ereiferten sich, indem jeder die Richtigkeit seiner Erkundigungen behauptete, als plötzlich ein heftiges Weinen losbrach. Es war Estelle, die in ihrer Wiege fror.
Maheu erwachte augenblicklich wieder. Was hatte er denn in den Knochen, dass er wieder eingeschlafen war wie ein Taugenichts? Und er fluchte so wild, dass die Kinder nebenan keinen Laut mehr wagten. Zacharie und Jeanlin beendigten mit müden Händen das Waschen. Alzire schaute noch immer mit weit offenen Augen. Die beiden Kleinen, Lénore und Henri, hatten trotz des Geräusches sich nicht gerührt und fuhren fort, einander in den Armen liegend, mit demselben leisen Atem zu schlafen.
– Catherine, gib mir die Kerze!, rief Maheu.
Sie war eben mit dem Zuknöpfen ihrer Jacke fertig geworden und trug die Kerze nach dem Flurgang, während ihre Brüder bei dem wenigen Licht, das durch die Glastür fiel, ihre Kleider zusammensuchten. Ihr Vater stieg vom Bette. Doch sie hielt sich nicht länger auf; mit dicken Wollstrümpfen an den Füßen stieg sie tastend hinunter, um den Kaffee zu bereiten. Die Holzschuhe der ganzen Familie standen dort unter dem Essschrein.
– Wirst du schweigen, elender Wurm?, rief Maheu, erbittert durch das fortwährende Geschrei Estelles.
Er war klein wie der alte Bonnemort und glich ihm ins Fette übertragen mit seinem starken Kopfe, seinem platten und fahlen Gesichte unter gelben, kurzgeschnittenen Haaren. Das Kind heulte jetzt noch ärger, erschreckt durch diese großen, knotigen Arme, die über seinem Kopfe fuchtelten.
– Lass sie in Frieden; du weißt wohl, dass sie nicht still sein will, sagte die Maheu, indem sie sich mitten im Bette ausstreckte.
Auch sie war eben erwacht und beklagte sich; es sei doch zu dumm, dass man niemals die volle Nacht durchschlafen könne. Konnten sie denn nicht mit weniger Geräusch weggehen? In die Bettdecke eingewickelt zeigte sie nichts als ihr langes Gesicht mit den groben Zügen, von einer etwas schwerfälligen Schönheit, mit neununddreißig Jahren schon verunstaltet durch ihr Leben voll Müh und Not und durch die sieben Kinder, die sie geboren. Die Augen auf die Zimmerdecke gerichtet, sprach sie mit gedehnter Stimme, während ihr Mann sich ankleidete. Weder er noch sie achtete auf die Kleine, die sich schier den Hals ausschrie.
– Ich muss dir sagen, dass ich keinen Sou im Hause habe und es ist heut erst Montag; sechs Tage dauert es noch bis zum fünfzehnten des Monats. Ich weiß nicht, wie wir uns da durchschlagen sollen. Ihr bringet alle miteinander neun Franken; wie soll ich da auskommen? Wir sind unser zehn im Hause.
– Oho, neun Franken?, wandte Maheu ein. Ich und Zacharie je drei, das macht sechs; Catherine und der Vater je zwei, das macht vier; sechs und vier sind zehn; Jeanlin bringt einen, macht elf Franken.
– Ja, elf; aber du rechnest die Sonntage nicht und die Tage, an welchen es keine Arbeit gibt. Nie mehr, als neun, hörst du?
Er suchte seinen Ledergurt am Boden und schwieg. Dann richtete er sich auf und sagte:
– Beklage dich nicht, Weib; ich bin noch stark genug. Es gibt mehr als einen, der mit zweiundvierzig Jahren schon aus der Grube herauf muss.
– Das ist möglich, Alter, aber damit haben wir noch kein Brot. Was werde ich anfangen? Hast du nichts?
– Ich habe zwei Sous.
– Behalte sie, um einen Schoppen zu trinken … Mein Gott, was werde ich anfangen? Sechs Tage, eine Ewigkeit! … Wir schulden sechzig Franken an Maigrat und er hat mir vorgestern die Türe gewiesen. Das wird mich nicht hindern, wieder zu ihm zu gehen. Aber wenn er sich weigert, uns zu pumpen . . .
So fuhr die Maheu fort, mit bekümmerter Stimme, unbeweglichem Kopfe, vor dem schwachen Lichte der Kerze von Zeit zu Zeit die Augen schließend. Der Schrein sei leer, sagte sie, und die Kleinen verlangen Brotschnitten zum Kaffee, der ebenfalls ausgegangen. Das leere Wasser mache nur Bauchzwicken. Dann erzählte sie von den langen Tagen, die man damit zubrachte, dass man mit gekochten Kohlblättern den Hunger täuschte. Allmählich hatte sie den Ton erhöhen müssen, weil Estelles Geheul ihre Worte deckte. Das Geschrei der Kleinen ward unerträglich. Maheu schien plötzlich es zu hören; außer sich vor Wut nahm er das Kind aus der Wiege und schleuderte es auf das Bett der Mutter mit den Worten:
– Da, nimm sie, denn ich würde sie zertreten … Donner Gottes über den Balg! Das sauft an der Mutterbrust, dem geht nichts ab und es grölt ärger als die anderen!
Estelle hatte in der Tat zu saugen begonnen; sie war unter der Decke verschwunden und in der Bettwärme still geworden; man hörte nichts mehr als das gierige Lutschen ihrer Lippen.
– Haben die Bürgersleute von Piolaine dir nicht gesagt, dass du sie besuchen mögest?, fragte der Mann nach einer Weile.
Die Frau spitzte die Lippen mit einer Miene mutlosen Zweifels.
– Ja, sie sind mir begegnet, antwortete sie. Sie bringen den armen Kindern Kleider … Ich werde heut Morgen Lénore und Henri hinführen. Vielleicht geben sie mir hundert Sous.
Wieder trat Stillschweigen ein. Maheu war fertig. Er blieb einen Augenblick unbeweglich, dann schloss er mit seiner dumpfen Stimme:
– Was willst du? Das ist nun einmal so: Mach wie du kannst, um die Nachtmahlsuppe fertig zu bringen. Das Schwatzen führt zu nichts; es wird besser sein, wenn ich zur Arbeit gehe.
– Gewiss, sagte die Maheu. Blase das Licht aus; ich kann mir auch im Finstern den Kopf zerbrechen.
Er blies die Kerze aus. Zacharie und Jeanlin stiegen schon hinunter, er folgte ihnen; die hölzerne Treppe krachte unter seinen schweren, mit wollenen Strümpfen bekleideten Füßen. Die Stube und der Flurgang hinter ihnen lagen jetzt wieder in Finsternis gehüllt. Die Kinder schliefen; auch Alzire hatte wieder die Augen geschlossen. Nur die Mutter schaute mit offenen Augen in die Finsternis, während an ihrer hängenden Brust eines erschöpften Weibes Estelle brummte wie ein junges Kätzchen.
In der Wohnstube im Erdgeschoss angekommen beschäftigte sich Catherine zunächst mit dem Feuer. Es war ein Kamin aus Gusseisen da, mit einem Rost in der Mitte und einem Backofen auf jeder Seite. In diesem Kamin brannte unaufhörlich ein Kohlenfeuer. Die Gesellschaft verteilte monatlich acht Hektoliter Abfallkohle an jede Familie. Dieser auf den Straßen zusammengelesene Staub entzündete sich nur schwer; darum deckte das Mädchen jeden Abend das Feuer mit Asche zu und brauchte es am Morgen nur umzurühren, indem sie einige, aus dem Mist sorgfältig herausgesuchte Kohlenstückchen zulegte. Dann setzte sie einen Kochtopf auf den Rost und hockte vor dem Speisenschrein nieder.
Es war eine ziemlich geräumige Stube, welche das ganze Erdgeschoss einnahm, apfelgrün gestrichen, von holländischer Sauberkeit mit seinen blank gescheuerten und mit feinem weißen Sande bestreuten Fliesen. Nebst dem Speisenschrein von gefirnisstem Tannenholze bestand die Einrichtung aus einem Tische und Sesseln vom nämlichen Holze. An den Mauern hingen grell ausgemalte Bilder, von der Gesellschaft geschenkt, den Kaiser und die Kaiserin darstellend, dann Soldaten und Heilige in goldenen Gewändern, die von der hellen Kahlheit der Mauern abstachen. Und es gab keinen andern Zierrat in der Stube, als eine Schachtel von rosafarbenem Kartonpapier auf dem Speisenschrein, und die Kuckuckuhr in buntbemaltem Kasten, deren helles Ticktack die Leere der hohen Stube auszufüllen schien. Neben der Tür, die sich auf die Stiege öffnete, gab es noch eine zweite Tür, die in den Keller führte. Trotz der Reinlichkeit verdarb ein seit dem Abend eingeschlossener Geruch von verbrannten Zwiebeln die Luft, diese heiße, schwere, stets von einem scharfen Kohlengeruch gesättigte Luft.
Catherine hockte sinnend vor dem offenen Speisenschrein. Es war nichts geblieben als ein Stück Brot, weißer Käse zur Genüge, aber kaum ein Krümchen Butter; und es galt, vier Butterbrote zurechtzumachen. Endlich entschloss sie sich, schnitt die Brotstücke, bedeckte eines mit Käse, bestrich ein zweites mit Butter und legte die beiden zusammen. Das war der »Ziegel«, die Doppelschnitte, die jeden Morgen in die Grube mitgenommen wurde. Bald lagen die vier »Ziegel« nebeneinander auf dem Tische, mit größter Genauigkeit aufgeteilt, von dem größten, der für den Vater bestimmt war, bis zu dem kleinsten, den Jeanlin bekam.
Catherine, scheinbar ganz bei ihrer Arbeit, dachte über die Geschichten nach, welche Zacharie von dem Oberaufseher und der Frau Pierron erzählte. Sie öffnete die Haustür zur Hälfte und warf einen Blick hinaus. Der Wind blies noch immer; an den niedrigen Häuserreihen des Dorfes flammten immer mehr Lichter auf und das undeutliche Getümmel der erwachenden Bevölkerung machte sich vernehmbar. Türen wurden geöffnet und geschlossen; einzelne dunkle Reihen von Arbeitern zogen durch die Nacht dahin. Sie war doch recht dumm, sich einer Erkältung auszusetzen, da ja der Häuer gewiss zu Hause schlief, bis er um sechs Uhr seine Arbeit aufnehmen musste. Aber sie verharrte dennoch in ihrer hockenden Stellung und beobachtete das Haus, das auf der anderen Seite, hinter den Gärten lag. Jetzt ging die Türe auf und ihre Neugierde ward wieder rege. Doch das konnte nur Lydie sein, die Tochter der Pierronschen Eheleute, die zur Grube ging.
Ein zischendes Geräusch veranlasste sie den Kopf zu wenden. Sie schloss die Tür und eilte zum Herde: Das Wasser kochte, floss über und drohte das Feuer zu verlöschen. Es war kein Kaffee mehr da; sie musste sich begnügen, Wasser auf den Satz von gestern zu schütten. Dann süßte sie den Inhalt der Kaffeekanne mit Farinzucker. Eben kamen auch ihr Vater und ihre beiden Brüder herunter.
– Alle Wetter!, sagte Zacharie, als er die Nase in den Napf gesteckt hatte – das ist ein Trank, der uns nicht zu Kopf steigen wird.
Maheu zuckte resigniert die Achseln.
– Bah!, sagte er; man hat doch wenigstens etwas Warmes im Leibe und das tut wohl.
Jeanlin hatte die Brosamen neben den Schnitten zusammengescharrt und in seinen Napf geworfen. Nachdem sie getrunken, goss Catherine den Rest des Kaffees in die blechernen Feldflaschen. Alle vier standen in dem fahlen Lichte der rauchigen Kerze und stürzten in aller Hast den Trunk hinunter.
– Sind wir endlich fertig?, fragte der Vater. Man möchte glauben, dass wir von unseren Renten leben.
Doch jetzt wurde von der Treppe her, deren Tür sie offen gelassen hatten, eine Stimme vernehmbar. Die Frau Maheu rief:
– Nehmt alles Brot; ich habe noch einen Rest von Nudeln für die Kinder übrig.
– Ja, ja, antwortete Catherine.
Sie hatte das Feuer wieder zugedeckt und in einer Ecke des Rostes einen Rest Suppe warmgestellt, welchen der Großvater, der um sechs Uhr kam, vorfinden sollte. Jeder holte unter dem Essschrein seine Holzschuhe hervor, hängte die Feldflasche um und schob die Butterschnitte in den Rücken, zwischen Hemd und Jacke. Dann brachen sie auf, die Männer voraus, das Mädchen hinterdrein, nachdem es die Kerze ausgelöscht und den Schlüssel umgedreht. Das Haus verfiel wieder in Stille und Dunkelheit.
– Schau, wir gehen zusammen, sagte ein Mann, der die Türe des Nachbarhauses schloss.
Es war Levaque mit seinem Sohn Bébert, einem Jungen von zwölf Jahren, der mit Jeanlin eng befreundet war. Catherine war erstaunt, unterdrückte ein Lächeln und flüsterte Zacharie ins Ohr: Wie? Bouteloup wartete nicht einmal, bis der Gatte fort war?
Die Lichter im Dorfe erloschen jetzt nach einander. Eine letzte Tür fiel noch ins Schloss, dann ward wieder alles still; die Frauen und Kinder setzten in den bequemer gewordenen Betten ihren Schlaf fort. Und vom Dorfe bis zu dem pustenden Voreux-Schachte gab es einen langsamen Zug von Schatten, den Aufbruch der Kohlenarbeiter zum Werke, die ihre Schultern dahinschoben und ihre Arme, mit welchen sie nichts anzufangen wussten, über die Brust kreuzten, während der Brotvorrat auf dem Rücken eines jeden einen kleinen Höcker bildete. Bloß mit dünner Leinwand bekleidet, zitterten sie in der Kälte, ohne sich deshalb mehr zu beeilen; in regelloser Zeile zogen sie mit dem Getrappel einer Herde längs des Weges dahin.
Étienne war von dem Hügel endlich herabgestiegen und im Voreux-Schachte eingetreten; und die Männer, an die er sich mit der Frage wandte, ob es keine Arbeit gebe, schüttelten den Kopf und sagten ihm alle, er solle den Oberaufseher abwarten. Man ließ ihm freie Bewegung inmitten der schlecht beleuchteten Gebäude, die voll finsterer Löcher waren und beängstigend mit ihrem Wirrsal von Sälen und Stockwerken. Nachdem er eine dunkle, halb zerstörte Treppe emporgestiegen, befand er sich auf einem schwankenden Brückensteg; dann durchschritt er den Schoppen des Sichtungswerkes, der in so tiefer Finsternis lag, dass er mit den Händen vorausgehen musste, um nicht anzustoßen. Plötzlich sah er vor sich zwei riesige, gelbe Augen die Nacht durchbrechen. Er befand sich unter dem Glockenstuhl, im Aufnahmesaale, an der Mündung des Schachtes.
Ein Aufseher, der Vater Richomme, ein Dicker mit dem Gesichte eines gutmütigen Gendarmen, welches ein grauer Schnurrbart zierte, wandte sich eben nach dem Bureau des Aufnahmsbeamten.
– Braucht man hier nicht einen Arbeiter für welche Beschäftigung immer?, fragte Étienne abermals.
Richomme schickte sich an nein zu sagen; doch er ward anderen Sinnes und sagte wie die anderen, während er sich entfernte:
– Erwarten Sie Herrn Dansaert, den Oberaufseher.
Vier Laternen waren hier angebracht und die Reflektoren, die das ganze Licht auf den Schacht warfen, beleuchteten hell die eisernen Geländer, die Hebel der Signale und Verschlüsse, die Pfosten der Seile, an welchen die beiden Aufstiegkästen hinabglitten. Der Rest, der einem Kirchenschiffe gleichende geräumige Saal, lag im Dunkel, war mit großen, schwebenden Schatten bevölkert. Bloß die Laternenkammer flammte im Hintergrunde, während das Lämpchen im Bureau des Aufnahmsbeamten einem erlöschenden Stern glich. Die Kohlenförderung war wieder aufgenommen worden und es gab ein unaufhörliches Dröhnen auf den gusseisernen Platten, die Kohlenhunde rollten unablässig und man sah die gebeugten Gestalten der an der Winde beschäftigten Männer inmitten des Getümmels all dieser in Bewegung befindlichen dunklen und geräuschvollen Gegenstände.
Einen Augenblick war Étienne unbeweglich, betäubt und geblendet. Er fror, denn es gab einen Luftzug von allen Seiten. Dann trat er einige Schritt vorwärts, angezogen durch die Maschine, deren stählerne und kupferne Bestandteile er jetzt glänzen sah. Sie stand etwa fünfundzwanzig Meter hinter der Schachtmündung, in einem höher gelegenen Saale, so fest auf ihrem Unterbau gelagert, dass sie mit ganzem Dampfe arbeitete, mit ihren vollen vierhundert Pferdekräften, ohne dass die Bewegung ihrer riesigen Treibstange, welche, weil gut geölt, leicht und glatt auf- und abstieg, die Mauern im geringsten erschüttert hätte. Der Maschinist, der am Verschlusskolben stand, lauschte dem Geklingel der Signale und wandte kein Auge von der Nachweistafel, auf welcher der Schacht mit seinen verschiedenen Stockwerken durch eine senkrechte Fuge dargestellt war, in welcher an Schnüren befestigte Bleistücke, die Aufzugskästen darstellend, auf- und niederliefen. Und bei jedem Abstieg, wenn die Maschine sich in Bewegung setzte, drehten sich die Wellen, die beiden Riesenräder von fünf Meter Durchmesser, auf deren Naben die Stahlseile sich in entgegengesetzter Richtung auf- und abrollten, mit solcher Schnelligkeit, dass sie einem grauen Staube glichen.