Henry David Thoreau
Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat
Thoreau wurde am 12. Juli 1817 in Concord, Massachusetts, als Sohn
eines Bleistiftfabrikanten mit französischsprachigen Vorfahren
geboren. Thoreau studierte von 1833 bis 1837 an der Harvard
University, wo er Unterricht in Rhetorik, Alte Geschichte,
Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaft erhielt. Anschließend
arbeitete er bis 1842 als Lehrer in Concord, wo er den Philosophen
und Sklavereigegner Ralph Waldo Emerson kennenlernte. Bis 1844
arbeitet er dann als Privatsekretär im Haushalt von Emerson in
Concord.
1845 zog Thoreau in eine selbsterbaute Blockhütte (Walden Hut) auf
einem Grundstück von Emerson. Dort verbrachte er rund zwei Jahre.
In seinem wohl bekanntesten Werk „Walden. Or Life in the Woods“
beschrieb er sein einfaches Leben in der Natur. Während des
Aufenthaltes in seiner Waldhütte beschäftigte er sich vor allem mit
den Schriften von Alexander von Humboldt. In diese Zeit fällt auch
sein Gefängnisaufenthalt, den er 1849 in seinem Essay „Resistance
to Civil Government“ beschreibt. Ins Gefängnis kam er, weil er sich
weigerte, die fällige Kopfsteuer an den Staat Massachusetts zu
entrichten.
Ab 1849 arbeitete Thoreau als Landvermesser, Gelegenheitsarbeiter
und Vortragsreisender. In seinen Vorträgen dieser Zeit wandte er
sich entschieden gegen soziale Ungerechtigkeit und Sklaverei. 1851
half er schließlich selbst dabei, einem entflohenen Sklaven die
Flucht nach Kanada zu ermöglichen.
Thoreau litt bereits seit 1835 unter Tuberkulose, die bei ihm aber
nur sporadisch auftrat. Nach einer Bronchitis im Jahre 1859
verschlechterte sich seine Gesundheit rapide. Er starb 1862 im
Alter von nur 44 Jahren.
Die meisten Menschen dienen dem Staat auf diese Weise: Nicht
vorwiegend als Menschen, sondern als Maschinen – mit ihren Körpern.
Sie sind die Armee, die Polizisten, Gefängniswärter, Ordnungshüter
und so weiter.
In den meisten Fällen gibt es keinerlei freie Ausübung des
Urteilsvermögens oder des moralischen Empfindens. Sie stellen sich
auf eine Stufe mit Holz und Erde und Steinen; und es lassen sich
vielleicht hölzerne Menschen herstellen, die dem Zweck ebenso gut
dienen. Sie werden nicht mehr geachtet als Menschen aus Stroh oder
ein Klumpen Erde. Sie haben nur denselben Wert wie Pferde und
Hunde. Und doch werden selbst solche gemeinhin als gute Bürger
angesehen.
Thoreaus Essay basiert auf einem Manuskript, das er 1848 in einer
Schule seiner Heimatstadt Concord verlesen hat. Ein Jahr später
erschien der Text dann in der Zeitschrift „Aesthetic Papers“.
Auslöser für die Abfassung des Manuskripts war seine Verhaftung,
die zu dem im Text beschriebenen Gefängnisaufenthalt führte. Grund
für die Festnahme war seine Weigerung, die Wahlsteuer zu
bezahlen.
Als Gegner der amerikanischen Eroberungs- und Sklavenpolitik seiner
Zeit plädiert Thoreau dafür, sich gegen das staatliche Recht
aufzulehnen, wenn es persönlichen moralischen Wertungen
widerspricht. Im Spannungsfeld zwischen staatlichen Normen, denen
der Bürger unterworfen ist, und den Normen des persönlichen
Gerechtigkeitsempfindens entscheidet er sich für die Vorgaben des
Gewissen: „Wenn die Ungerechtigkeit eine Feder, einen Flaschenzug,
ein Seil oder eine Kurbel besitzt, ausschließlich für sich selbst,
dann kannst Du vielleicht erwägen, ob die Abhilfe nicht schlimmer
ist als das Übel; aber wenn sie von solcher Art ist, dass sie von
Dir verlangt, der Vermittler der Ungerechtigkeit gegenüber einem
anderen zu sein, dann, sage ich, brich das Gesetz. Lass Dein Leben
ein Gegengewicht sein, um die Maschine zu stoppen. Ich muss auf
jeden Fall darauf achten, dass ich mich nicht zu dem Unrecht
hinreißen lasse, das ich verurteile.“
Thoreaus Ideen zum zivilen Ungehorsam gegen den Staat beeinflussten
später etwa das Denken von Gandhi in Indien und Martin Luther King
in den USA. Die Grundidee ist dabei immer gleich: Durch den zivilen
Ungehorsam will der Ungehorsame auf Gesetze oder Regelungen
hinweisen, die er als ungerecht empfindet. Hierdurch möchte er auf
eine Änderung hinwirken. Dabei beruft sich auf ein vermeintlich
höheres Recht, sei es göttlichen, natürlichen, vernünftigen oder in
heutiger Zeit wissenschaftlichen Ursprungs, als das bestehende
Gesetz einer Gemeinschaft.
Vor allem in einer Demokratie, die für ihre Funktionsfähigkeit von
der Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen durch Minderheiten lebt,
ist dieses Vorgehen problematisch. So schreibt etwa der
Rechtsphilosoph Hans Kelsen in seiner Schrift „Vom Wesen und Wert
der Demokratie“: „Das ist nämlich die große Frage: Ob es eine
Erkenntnis absoluter Wahrheit, eine Einsicht in absolute Werte
gibt. Das ist der prinzipielle Gegensatz der Welt- und
Lebensanschauungen, in den sich der Gegensatz von Autokratie und
Demokratie einfügt: Der Glaube an absolute Wahrheit und Werte
schafft die Voraussetzung für eine metaphysische und insbesondere
religiös-mystische Weltanschauung. Die Negation dieser
Voraussetzung aber, die Meinung, dass nur relative Wahrheiten, nur
relative Werte der menschlichen Erkenntnis erreichbar sind, und
sohin jede Wahrheit und jeder Wert – so wie der Mensch, der sie
findet – allzeit bereit sein muss, abzutreten und anderen Platz zu
machen, führt zur Weltanschauung des Kritizismus und des
Positivismus, sofern man darunter jene Richtung der Philosophie und
Wissenschaft versteht, die vom Positiven, das heißt vom Gegebenen,
Erfassbaren, von der wandelbaren und sich stets wandelnden
Erfahrung ausgeht und sohin die Annahme eines die Erfahrung
transzendierenden Absoluten ablehnt. (…) Der
metaphysisch-absolutistischen Weltanschauung ist eine
autokratische, der kritisch-relativistischen die demokratische
Haltung zugeordnet.“
Gerade in Zeiten sich verschärfender ideologischen
Auseinandersetzungen, etwa in der Klimafrage, lohnt sich also eine
Auseinandersetzung mit Thoreaus Schrift. Wie alle Klassiker der
Geistesgeschichte von ofd edition hilft also auch dieses Werk, zum
Kern häufig nur oberflächlich diskutierter Themen
vorzudringen.
Das Motto: „Die beste Regierung ist die, die am wenigsten regiert“
unterstütze ich von Herzen. Ich sähe es gern, wenn man ihm
schneller und systematischer folgen würde. Täte man dies, führte es
letztlich zu etwas, an das ich ebenfalls glaube: „Die beste
Regierung ist die, die überhaupt nicht regiert“. Sobald die
Menschen hierzu bereit wären, wäre genau dies die Regierung, die
sie dann haben werden.
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