Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.
1. Auflage 2016
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-022612-8
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-028469-2
epub: ISBN 978-3-17-028470-8
mobi: ISBN 978-3-17-028471-5
Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
Zwischen Pflege und Gerontologie bestehen wichtige Schnittstellen (Brandenburg, 2003): Auf der inhaltlichen Ebene sind dies Fragen bzgl. der a) bedürfnisgerechten Gestaltung von Pflege- und Versorgungsangeboten für ältere Menschen, b) professionellen Interaktion mit älteren Menschen sowie c) Aushandlungsprozesse zwischen verschiedenen, in die Versorgung alter Menschen involvierten professionellen, ehrenamtlichen und informellen Akteuren. Eine gemeinsame sozialwissenschaftliche Tradition bildet ein wichtiges Bindeglied zwischen Disziplinen auf der theoretischen Ebene (Brandenburg, 2003). Während jeder der Disziplinen spezifische Fragestellungen, Perspektiven, Theorien und Methoden zu eigen sind, die sie von der jeweils anderen unterscheiden, ist eine Verschränkung der Perspektiven in den Überschneidungsbereichen in Zeiten demografischer, sozialer und gesundheitlicher Wandlungsprozesse von besonderer Bedeutung (Höhmann, 2003). Vor diesem Hintergrund hat auch das vorliegende Buch – mit seinem Fokus der Implementierungswissenschaft – die engen Bezüge zwischen Pflege und Gerontologie im Blick, ohne die Eigenständigkeit beider Bereiche zu vernachlässigen.
Forschung in Pflege und Gerontologie ist zu weiten Teilen kein reiner Selbstzweck. Beide Disziplinen sind bestrebt, mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnisse die Situation der Adressaten zu verbessern. Aus Sicht der Gerontologie handelt es sich bei diesen Adressaten um ältere und hochaltrige Menschen, darunter auch, aber nicht nur, alte Menschen, die der Pflege bedürfen. Adressaten der Pflege sind pflegebedürftige Menschen im Allgemeinen, also auch, aber nicht nur, alte Menschen, die der Pflege bedürfen. Auch wenn es in der Gerontologie in starkem Maße um das normale Altern geht, so zielt doch Forschung in beiden Disziplinen in bedeutsamer Weise auf Handlungsfelder, in denen Menschen mit spezifischen Bedürfnissen unterstützt werden – sei es durch professionelle Experten1, ehrenamtliche Helfer, Bezugspersonen aus dem sozialen Umfeld oder durch Befähigung zur Selbsthilfe bzw. Bewusstseinsbildung. Grundsätzlich geht es auch in beiden Felder darum, Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen, auch hoch fragilen, zum Erhalt bzw. zur Verbesserung von Lebensqualität zu befähigen (vgl. dazu auch die »Interventionsorientierung« in der Gerontologie; Wahl et al., 2012). Dies verweist auf eine handlungswissenschaftliche Dimension von Pflege und Gerontologie, die über rein grundlagenwissenschaftliche Erwägungen (etwa Theorien über das Handlungsfeld bzw. das Handeln der Adressaten) hinausweist (Brandenburg & Dorschner, 2008; Behrens, 2010; Birgmeier, 2010). Wissen soll nicht nur generiert, es soll in Praxis überführt, es soll angewendet, es soll zum Wohl der Zielpersonen genutzt werden.
Die Menge des dafür potenziell verfügbaren Wissens ist zwischenzeitlich in Pflege und Gerontologie beträchtlich – und sie steigt kontinuierlich und zunehmend schneller (Pousti et al., 2011; Wahl & Heyl, 2015). Auch die Zahl der Synthesen dieser Wissensbestände in Form systematischer Übersichtsarbeiten, Metaanalysen oder klinischer Leitlinien und Standards nimmt stetig zu. Das Handeln der beruflichen Akteure in den Praxisfeldern der Pflege und Gerontologie, so scheint es, mag damit nicht immer Schritt zu halten: Disziplin-, setting- und länderübergreifend werden immer wieder Diskrepanzen zwischen Best Practice aus Sicht der Wissenschaft und der tatsächlich stattfindenden Praxis bemängelt (Boström et al., 2012; Grimshaw et al., 2012; Gitlin, 2013). Die gewählten Vorgehensweisen sind teilweise nicht die mit der besten Wirksamkeit, bisweilen sind sie sogar unwirksam und schlimmstenfalls schädigend. Dies wiederum hat gravierende wirtschaftliche, aber vor allem gesundheitliche und lebensqualitätsbezogene Folgen (Grimshaw et al., 2012).
Aus unterschiedlichen Gründen verbreitet sich publiziertes Wissen (Evidenz) nur sehr begrenzt von selbst; aktive und systematische Verbreitungsstrategien (Dissemination) sowie gezielte, breit angelegte Implementierungsaktivitäten sind eher erfolgreich (Fixsen et al., 2005; Greenhalgh et al., 2005; Sudsawad, 2007). Doch auch letztere werden regelmäßig als große Herausforderung beschrieben – selbst scheinbar kleine, einfache Veränderungen erweisen sich schnell als höchst komplex (Greif et al., 2004; Greenhalgh et al., 2005; Kitson, 2009). Ein anschauliches Beispiel ist das der Handhygiene. Obwohl es weder zeitaufwendig noch besonders schwierig ist, sich regelmäßig die Hände zu waschen und/oder zu desinfizieren, tun dies Akteure des Gesundheitswesens (und dies betrifft Ärzte ebenso wie Pflegende, Therapeuten u. a. m.) oft nicht in der vorgesehenen Weise (Erasmus et al., 2010). In der Alternsforschung ist einer der robustesten Befunde jener des Zusammenhangs zwischen körperlicher Aktivität und positiven Endpunkten wie höhere kardio-vaskuläre Fitness, geistige Leistung, Wohlbefinden sowie geringere Depressivität (Erickson et al., 2012). Dennoch scheint es überaus schwierig zu sein, dieses prinzipiell kostenlose und erhebliche Gesundheitskosten einsparende Verhalten bei älteren Menschen nachhaltig zu implementieren. An Versuchen, diese bislang nur bedingt bewältigten Anforderungen mit mehr oder weniger ausgeklügelten Implementierungsstrategien zu ändern, mangelt es nicht – das Thema ist quasi ein »Dauerbrenner« der Implementierungswissenschaft (Grol & Wensing, 2013). Effektiv sind, dies zeigen Übersichtsarbeiten und Metaanalysen (Gould et al., 2010; Vindigni et al., 2011; Huis et al., 2012), eher komplexe als einfache Strategien – also solche, die auf mehreren Ebenen ansetzen (z. B. Wissen, Bewusstsein, Kontrolle, Unterstützung etc.) und die nicht nur eine, sondern ein Bündel verschiedener Maßnahmen beinhalten und unterschiedliche Akteursgruppen im Sinne einer konzertierten Anstrengung umfassen (sogenannte multi-facetted interventions). Allerdings ist, selbst was komplexe Strategien angeht, die Studienlage heterogen – und nachhaltige Veränderungen wurden bislang in Forschungsdesigns mit langen Beobachtungszeiträumen kaum erzielt. Insbesondere soziale Prozesse scheinen hier eine bedeutsame Rolle zu spielen (Huis et al., 2012). Wenn schon solch greifbare und eher einfache Veränderungen auf Schwierigkeiten stoßen, wie viel größer mögen dann die Herausforderungen sein, die bei der Implementierung komplexer Konzepte oder Interventionsprogramme zu erwarten sind? Vielfältige Einflussfaktoren und insbesondere heterogene, z. T. widersprüchliche Interessenlagen zahlreicher Akteure machen die Implementierung evidenzbasierter Neuerungen zu einem vielschichtigen Prozess, der sehr schwer zu steuern ist (Greif et al., 2004; Greenhalgh et al., 2005; Kitson, 2009). So kommt es, dass Implementierungen scheitern oder unerwünschte Folgen mit sich bringen, wie z. B. Enttäuschung, Überforderung, Unzufriedenheit, Demotivation, Burnout, Teamkonflikte oder Verschlechterung anstatt Verbesserung der Qualität (Fläckman et al., 2009; Jones, 2009; Höhmann et al., 2010).
Trotz dieser Herausforderungen und Risiken sind Institutionen wie auch Einzelakteure in Pflege und Gerontologie auf vielfältige Weise und aus unterschiedlichsten Gründen stetig damit befasst, bisherige Routinen und Vorgehensweisen zu verändern und Neuerungen einzuführen – sei es freiwillig oder weil sie z. B. durch regulatorische Vorgaben dazu verpflichtet sind. Pflege und Gerontologie agieren in einem Umfeld, das sich kontinuierlich wandelt: Demografischer Wandel sowie Veränderung von kohortenbezogenen Lifestyle-Faktoren und Lebenslagen erfordern eine ständige Anpassung der Angebotsstruktur an die Bedürfnisse und Erwartungen der Zielpersonen. Etwas überspitzt könnte man sagen: Kaum ist es ansatzweise gelungen, eine hilfreiche Strategie bei Zielpersonen zu implementieren, treten neue Kohorten mit anderen Erwartungen, Kompetenzen und Werthaltungen auf die Bühne, die wiederum andere Implementierungsdynamiken notwendig machen. Die ökonomische Situation (z. B. Konkurrenz, Wettbewerbsdruck und eigene finanzielle Ausstattung) zwingt zur Effizienz, Qualität und Innovativität, und politische Entscheidungen (wie z. B. neue Gesetze, Kontrollmechanismen oder Anreize bzw. Sanktionen) erfordern vielfältige Adaptationen (Kirby & Kennedy, 1999; Martin, 2003). Der stetig wachsende Fundus pflegerischer und gerontologischer Forschungsbefunde ist eben nur eine von vielen Quellen potenzieller Veränderungen. Für dieses Buch ist dieser Umstand aus drei Gründen zentral:
1. Die skizzierten Rahmenbedingungen sind wesentlich dafür verantwortlich, dass Implementierungsprozesse eine komplexe Herausforderung darstellen. Viele der Widerstände in der Praxis sind bedingt durch ein Gefühl der Überforderung – dem Eindruck, den in rascher Folge und kontinuierlich auftretenden Veränderungen nicht gerecht werden zu können (Johnson et al., 2009; Giæver & Hellesø, 2010; Solomons & Spross, 2011). Um evidenzbasierte Neuerungen nutzbringend und erfolgreich zu implementieren, ist es unabdingbar, die Situation in den Praxissettings der Pflege und Gerontologie zu reflektieren und systematisch zu berücksichtigen.
2. Es werden nicht nur nachgewiesenermaßen wirksame und nichtschädigende Neuerungen implementiert. Im Gegenteil: Während die Implementierung dieser eben genannten Interventionen oft einen enormen Kraftakt darstellt, verbreiten sich ineffektive oder gar schädigende Vorgehensweisen oft erschreckend einfach und nachhaltig (Abrahamson, 1991; Prasad & Ioannidis, 2014, Kap. 9). Mit ausgefeilten Methoden ließen sich, so lässt sich schließen, auch suboptimale Interventionen implementieren – etwa weil sie für eine Organisation finanziell attraktiver sind als wirksamere Alternativen. Dies ist aus unserer Sicht hochproblematisch, und wir gehen ausdrücklich davon aus, dass vor der Implementierung sichergestellt ist, dass eine Neuerung unschädlich und wirksam ist.
3. Gleichwohl ist wissenschaftliche Evidenz keineswegs die einzige (wenngleich eine sehr bedeutsame) Wissensquelle für die Praxis. Zum einen liegt für viele Fragen gar keine ausreichende (bzw. ausreichend eindeutige) wissenschaftliche Evidenz vor (z. B. Meyer & Köpke, 2012). Zum anderen ist die vorhandene Evidenz – und sei sie noch so eindeutig – von den professionellen Akteuren stets vor dem Hintergrund der Präferenzen und Bedürfnisse der Zielpersonen (pflegedürftige oder alte Menschen und deren Angehörige), der professionellen Erfahrung, der konkreten Situation und der gegebenen Rahmenbedingungen zu interpretieren (Bucknall & Rycroft-Malone, 2010; Straus et al., 2011; Howlett et al., 2013). Diesem Verständnis von evidenzbasierter Praxis (EBP) folgen wir in diesem Buch.
Um zu verstehen, warum es so schwierig ist, neue Erkenntnisse effektiv zu implementieren, und um Wege zu finden, Implementierungsprozesse erfolgreich zu beeinflussen, befassen sich verschiedene Disziplinen seit einigen Jahren wissenschaftlich mit diesen Prozessen. Gegenstand dieser in diesem Buch Implementierungswissenschaft genannten Bestrebungen ist es nicht so sehr, Implementierung zu betreiben – also die Praxis der Implementierung –, sondern vielmehr, sich mit diesen Prozessen theoretisch und empirisch auseinanderzusetzen, sie in einen umfassenden Theorie- und Methodenkanon einzubetten, und sie mit wissenschaftlichen Methoden empirisch zu erforschen (Peters et al., 2013). International steht inzwischen ein beachtlicher Fundus an Publikationen der Implementierungswissenschaft zur Verfügung, zu dem zunehmend auch Pflege und Gerontologie beitragen, und der vermehrt von Akteuren in Pflege und Gerontologie genutzt wird, um Implementierungsprozesse zu optimieren (z. B. Scott et al., 2010; Prohaska et al., 2012). Auch in der deutschsprachigen Pflege und Gerontologie sind die Implementierung neuer Erkenntnisse wie auch die damit verbundenen Schwierigkeiten viel diskutierte Themen (vgl. dazu auch die Stellungnahmen von wissenschaftlichen Gesellschaften zu Fragen der Implementierung Kap. 21 und 22). Die internationalen implementierungswissenschaftlichen Wissensbestände fanden dabei jedoch bislang bemerkenswert wenig Beachtung, und die wenigen im deutschen Sprachraum entstandenen Arbeiten scheinen methodisch heterogen und nur bedingt bestimmten Vorgehensstandards verpflichtet zu sein (im Detail: Kap. 1, 2 und Teil III). Zwar findet auch hierzulande ein aktiver Diskurs zur EBP statt (Meyer et al., 2013), doch mit der effektiven Implementierung implementierungswürdiger Erkenntnisse hat sich die EBP jedoch selbst bislang eher reduktionistisch befasst (vgl. zum Folgenden z. B. Nutley et al., 2007; Rycroft-Malone & Bucknall, 2010): So konzentrierten sich die EBP-Diskussionen stark auf technische Aspekte (z. B. Schritte des EBP-Prozesses oder Kriterien und Verfahren zur Herstellung bzw. Evaluation robuster Evidenz), auf die Vermittlung der EBP-Schritte an Praktiker sowie auf Disseminationsstrategien (z. B. Publikationen, Präsentationen, Schulungen). Implementierungsprozesse sind jedoch viel komplexer. Für die erfolgreiche Umsetzung neuer Erkenntnisse reichen Disseminationsstrategien nicht aus und auch die Konzentration auf individuelle Praktiker greift zu kurz (Nutley et al., 2007; Rycroft-Malone & Bucknall, 2010). Diese aus Sicht der EBP bislang eher dunklen Flecken beleuchtet die Implementierungswissenschaft. Insofern gilt es, diese beiden Perspektiven zu verschränken und synergetisch zu nutzen – ein wichtiges Grundanliegen des ersten Teils dieses Buchs.
Ein erstes Ziel dieses Buchs ist es, vor diesem Hintergrund die Implementierungswissenschaft im Kontext der deutschen Pflege und Gerontologie zu positionieren, zu verankern und entsprechende Diskurse anzustoßen. Dies ist aus zwei Gründen bedeutsam: Zum einen gilt es, die umfangreichen internationalen Wissensbestände zu theoretischen, empirischen und methodischen Fragen der Implementierungswissenschaft zur Kenntnis zu nehmen und, wo möglich, systematisch zu nutzen. Erkenntnisse aus anderen Kulturkreisen und Systemstrukturen sind jedoch nur bedingt auf die hiesigen Verhältnisse übertragbar (z. B. unterschiedliche Gesundheitssysteme, gesetzliche Regelungen etc.). Dies ist ein Grund für die Notwendigkeit und Bedeutsamkeit von Aktivitäten der Implementierungswissenschaft im deutschsprachigen Raum. Internationale Erkenntnisse müssen auf ihre Übertragbarkeit überprüft und ggf. adaptiert oder verworfen werden. Zum anderen existieren trotz des größer werdenden Wissensbestandes auch international zahlreiche Forschungslücken. Diese zu schließen heißt, wesentlich zum Verständnis und damit zur Optimierung von Implementierungsprozessen beizutragen. Auch aus diesem Grund muss die deutsche Implementierungswissenschaft Anschluss an den internationalen Stand finden und mittelfristig diesen Diskurs selbst mitbestimmen. Dieses Buch leistet hierfür eine wichtige Vorarbeit, indem es den internationalen Diskussionsstand zusammenfassend aufbereitet, reflektiert und Anknüpfungspunkte für die Diskussion in Deutschland aufzeigt. Pflegewissenschaftlern und Gerontologen im deutschsprachigen Raum soll nicht nur eine Wissensbasis vermittelt, sondern auch bewusst gemacht werden, welche Bedeutung die Implementierungswissenschaft für ihre Disziplin und für ihre Tätigkeit hat. Das Buch will Alterns- und Pflegewissenschaftler somit auch dazu anregen, vermehrt implementierungsbezogene Fragestellungen als Teil ihrer Forschungstätigkeit zu verstehen bzw. zu bearbeiten, und ihnen dabei Hilfestellung anbieten. Zugleich sollen Mitglieder von Review-Boards wissenschaftlicher Zeitschriften für die Bedeutsamkeit dieser bislang als eher unkonventionell angesehenen Fragestellungen sensibilisiert werden. Nicht zuletzt soll potenziellen Drittmittelgebern aufgezeigt werden, wie wichtig die Förderung implementierungswissenschaftlicher Projekte ist.
Ein zweites Ziel dieses Buchs besteht darin, Akteure in Pflege und Gerontologie dabei zu unterstützen, Implementierungsprozesse effektiv zu gestalten. Bedingt durch die gesellschaftlichen und technologischen Wandlungsprozesse unterliegen auch Pflege und Gerontologie steten und raschen Veränderungen. Praktiker dieser Disziplinen (insbesondere solche in Führungspositionen) sind gefordert, sich und ihre Institutionen entsprechend zu positionieren. Die Einführung neuer Konzepte, Routinen, Instrumente etc. ist dabei unumgänglich. Das Buch richtet sich hier an all jene Institutionen, deren Aufgabe es auch oder ausschließlich ist, die Situation der eingangs genannten Adressaten zu verbessern. Dazu zählen u. a. Institutionen aus dem Gesundheitssektor (z. B. Krankenhäuser), Leistungserbringer im Bereich des SGB XI (z. B. Pflegeheime, ambulante Pflegedienste bzw. deren Träger), Kommunen, Verbände und weitere Körperschaften der Daseinsvorsorge und der öffentlichen Wohlfahrt. Die effektive Gestaltung von Implementierungsprozessen ist auch im Rahmen der Interventionsforschung von entscheidender Bedeutung. Um die Wirksamkeit einer Intervention (z. B. eines Hüftprotektors oder einer präventiven Bewegungs intervention) zu untersuchen, muss diese zunächst von den Zielpersonen umgesetzt werden – und zwar möglichst vollumfänglich und auf die vorgesehene Weise. Wissenschaftler müssen also sicherstellen, dass die Intervention implementiert ist. Professionelle und Wissenschaftler der Pflege und Gerontologie, die in ihrer Praxis Implementierungsprozesse planen, initiieren und steuern, bekommen mit diesem Buch Wissen an die Hand, das dazu beitragen soll, diese Prozesse effektiver und effizienter zu gestalten.
Das dritte Ziel dieses Buchs ist es, die notwendige Integration implementierungswissenschaftlicher Inhalte in Hochschulcurricula zu befördern. Studierende der Pflege2 und der Gerontologie werden in ihrer beruflichen Laufbahn mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Implementierungsprozessen konfrontiert werden und befasst sein, ja, sie werden wahrscheinlich in vielen Fällen zu zentralen »Implementierungsagenten«. Dies gilt unabhängig davon, ob das Studium auf eine Tätigkeit in der Praxis oder auf eine wissenschaftliche Laufbahn vorbereitet. Bislang werden Aspekte der Implementierungswissenschaft innerhalb des Hochschulstudiums nur mäßig und eher unsystematisch diskutiert. Allenfalls kommen Fragen des Theorie-Praxis-Transfers vor, jedoch selten mit Bezug zur internationalen Implementierungswissenschaft. Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem internationalen Stand der Implementierungswissenschaft befähigt Studierende der Pflege und Gerontologie, Implementierungsprozesse möglichst optimal zu gestalten bzw. selbst implementierungsbezogene Fragestellungen zu bearbeiten.
Das Buch möchte deshalb die Chance nutzen, über eine früh einsetzende Sensibilisierung und Qualifizierung zukünftiger Akteure und Forschender, auf einer breiten Basis zu einer Professionalisierung von Implementierungs-prozessen beizutragen. Dabei richtet es sich zum einen an die Studierenden selbst. Es ermöglichst ihnen einen umfassenden Einblick in dieses Themenfeld und führt sie heran an die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema »Theorie-Praxis-Transfer«.
Zugleich werden Vertreter von Hochschulen und Hochschulinstituten angesprochen und ermutigt, diese Wissensbestände systematisch in Hochschulcurricula pflegerischer oder gerontologischer Studiengänge zu integrieren.
Um das weite und unübersichtliche Feld der Implementierungswissenschaft in eine übersichtliche Form zu bringen, haben wir das Buch in fünf Teile mit je unterschiedlichem Schwerpunkt gegliedert:
• Teil I Grundlagen der Implementierungswissenschaft im Kontext der Pflege und Gerontologie
• Teil II Stand der Implementierungsforschung in Pflege und Gerontologie
• Teil III Methodische Aspekte der Implementierungswissenschaft im Kontext der Pflege und Gerontologie
• Teil IV Handlungsfelder der pflegerischen und gerontologischen Implementierungswissenschaft und -praxis: Zugänge, Erfahrungen, Beispiele
• Teil V Sektionsstatements
Wir haben uns bewusst für das Format eines Herausgeberbandes entschieden. Wenngleich die Implementierungswissenschaft hierzulande in Pflegewissenschaft und Gerontologie noch nicht sehr weit verbreitet ist, so finden sich doch zwischenzeitlich im deutschen Sprachraum genügend ausgewiesene Experten, die sich mit entsprechenden Aspekten befasst haben. Wir waren bestrebt, so viele dieser Experten wie möglich mit ins Boot zu holen, was uns – mit Blick auf die in diesem Buch enthaltenen Beiträge – durchaus gelungen ist.
Das Format eines Herausgeberbandes bringt es jedoch mit sich, dass die Beitragsformate – stärker als bei einer Monografie – eine gewisse Heterogenität aufweisen. Um diese in Grenzen zu halten, haben wir zentrale Begriffe und Inhalte definiert ( Kap. 1) und Beitragsformate, -gliederung und Inhalte auf Basis einheitlicher Vorgaben mit den Beitragenden abgestimmt. Beim Gesamtaufbau des Buchs haben wir Wert darauf gelegt, dass die einzelnen Kapitel jeweils separat gelesen werden können, ohne dass vorhergehende Kapitel als Voraussetzung dafür rezipiert werden müssen. Gleichwohl haben wir die einzelnen Kapitel so in einen Gesamtzusammenhang eingebettet, dass diese dramaturgisch und logisch aufeinander aufbauen. Trotz all dieser Bemühungen ist es unvermeidlich (und auch gewollt), dass einzelne Autoren Begriffe evtl. anders definieren bzw. andere Begriffe verwenden als die Herausgeber. Dies gilt es beim Lesen der Beiträge zu beachten.
Auch das Abstraktionsniveau der Beiträge variiert z. T. merklich. Eine Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen der Implementierungswissenschaft oder mit implementierungswissenschaftlichen Instrumenten ist naturgemäß auf einem höheren Abstraktionsniveau angesiedelt als die Beschreibung eines konkreten Praxisprojekts. Wir bitten die Leser, sich von diesem Umstand nicht irritieren zu lassen und sich die Beiträge auszusuchen, die ihren jeweiligen Bedürfnissen und Ansprüchen gerecht werden.
Schließlich haben alle Autoren auch einen bestimmten disziplinären Hintergrund. Dieser spiegelt sich natürlich auch in den jeweiligen Beiträgen und ihren Schwerpunkten wider. Auch dies ist bei einem interdisziplinären Themenfeld wie dem der Implementierungswissenschaft die Regel und unvermeidlich – insbesondere wenn dieses dann auch noch in den Kontext zweier Disziplinen wie der Pflege und der Gerontologie (vor allem letztere selbst ein heterogenes und interdisziplinäres Feld) gestellt wird.
Wir wünschen allen Lesern eine bereichernde Lektüre, hilfreiche Einsichten in das Feld der Implementierungswissenschaft im Kontext von Pflege und Gerontologie und viel Freude bei der Rezeption dieses Buchs. Uns Herausgebern bleibt zu hoffen, dass das vorliegende Werk den implementierungswissenschaftlichen Diskurs hierzulande anregen und zu einer verstärkten Popularität der Implementierungswissenschaft führen wird.
Ein herzlicher Dank geht an das Netzwerk Alternsforschung (Network Aging Research, NAR) der Universität Heidelberg, das die Publikation dieses Buches finanziell unterstützt hat.
Abrahamson, E. (1991). Managerial fads and fashions: the diffusion and rejection of innovations. Acad Manage Rev, 16(3), 586–612.
Behrens, J. (2010). EbM ist die aktuelle Selbstreflexion der individualisierten Medizin als Handlungswissenschaft: (Zum wissenschaftstheoretischen Verstandnis von EbM). Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes, 104(8–9), 617–624.
Birgmeier, B. R. (2010). Was sind Handlungswissenschaften? Sozialmagazin, 35(10), 46–52.
Boström, A.-M., Slaughter, S. E., Chojecki, D. & Estabrooks, C. A. (2012). What do we know about knowledge translation in the care of older adults? A scoping review. J Am Med Dir Assoc, 13(3), 210–219.
Brandenburg, H. (2003). Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Forschungsgegenstand und den theoretischen Perspektiven zwischen Pflegewissenschaft und Gerontologie. In Klie, T. & Brandenburg, H. (Hrsg.), Gerontologie und Pflege (S. 28–59). Hannover: Vincentz.
Brandenburg, H. & Dorschner, S. (Hrsg.) (2008). Pflegewissenschaft 1: Lehr- und Arbeitsbuch zur Einführung in das wissenschaftliche Denken in der Pflege. 2. Aufl. Bern: Huber.
Bucknall, T. & Rycroft-Malone, J. (2010). Evidence-based practice: doing the right things for patients. In: Rycroft-Malone, J. & Bucknall, T. (eds.), Models and frameworks for implementing evidence-based practice: Linking evidence to action (pp. 1–22). Chichester: Wiley-Blackwell.
Erasmus, V., Daha, T. J., Brug, H., Richardus, J. H., Behrendt, M. D., Vos, M. C. & van Beeck, E. F. (2010). Systematic review of studies on compliance with hand hygiene guidelines in hospital care. Infect Control Hosp Epidemiol, 31(3), 283–294.
Erickson, K. I., Miller, D. L. & Weinstein, A. M. (2012). Verbesserung der Gehirnfunktion und der kognitiven Leistungsfähigkeit durch körperliche Aktivität. In: Wahl, H.-W., Tesch-Römer, C. & Ziegelmann, J. (Hrsg.), Angewandte Gerontologie: Interventionen für ein gutes Altern in 100 Schlüsselbegriffen (S. 254–260). 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer.
Fixsen, D. L., Naoom, S. F., Blase, K. A., Friedman, R. M. & Wallace, F. (2005). Implementation research: a synthesis of the literature. Tampa: University of South Florida, Louis de la Parte Florida Mental Health Institute, The National Implementation Research Network.
Fläckman, B., Hansebo, G. & Kihlgren, A. (2009). Struggling to adapt: caring for older persons while under threat of organizational change and termination notice. Nurs Inq, 16(1), 82–91.
Giæver, F. & Hellesø, R. (2010). Negative experiences of organizational change from an emotions perspective: A qualitative study of the Norwegian nursing sector. Nord Psychol, 62(1), 37–52. -2276/a000004.
Gitlin, L. N. (2013). Introducing a new intervention: an overview of research phases and common challenges. Am J Occup Ther, 67(2), 177–184.
Gould, D. J., Moralejo, D., Drey, N. & Chudleigh, J. H. (2010). Interventions to improve hand hygiene compliance in patient care. Cochrane Database Syst Rev(9), Art. No. Cd005186.
Greenhalgh, T., Glenn, R., Bate, P., Macfarlane, F. & Kyriakidou, O. (2005). Diffusion of innovations in health service organisations: a systematic literature review. Massachusetts: Blackwell.
Greif, S., Runde, B. & Seeberg, I. (2004). Erfolge und Misserfolge beim Change Management. Göttingen: Hogrefe.
Grimshaw, J. M., Eccles, M. P., Lavis, J. N., Hill, S. J. & Squires, J. E. (2012). Knowledge translation of research findings. Implement Sci, 7(1), 50.
Grol, R. & Wensing, M. (2013). Implementation of change in healthcare: a complex problem. In: Grol, R., Wensing, M., Eccles, M. & Davis, D. (eds.), Improving patient care: the implementation of change in clinical practice (pp. 3–17). 2. ed. Chinchester: Wiley-Blackwell.
Höhmann, U. (2003). Gerontologie und Pflege. In Klie, T. & Brandenburg, H. (Hrsg.), Gerontologie und Pflege (S. 10–26). Hannover: Vincentz.
Höhmann, U., Schilder, M., Metzenrath, A. & Roloff, M. (2010). Problemlösung oder Problemverschiebung? Nichtintendierte Effekte eines Gesundheitsförderungsprojektes für Pflegende in der Klinik: Ergebnisausschnitte einer Evaluation. Pflege & Gesellschaft, 15(2), 108–124.
Howlett, B., Rogo, E. J. & Shelton, T. G. (2013). Evidence-based practice for health professionals: an interprofessional approach. Burlington: Jones & Bartlett Learning.
Huis, A., van Achterberg, T., de Bruin, M., Grol, R., Schoonhoven, L. & Hulscher, M. (2012). A systematic review of hand hygiene improvement strategies: a behavioural approach. Implement Sci, 7(1), 92.
Johnson, S., Ostaszkiewicz, J. & O’Connell, B. (2009). Moving beyond resistance to restraint minimization: a case study of change management in aged care. Worldviews Evid Based Nurs, 6(4), 210–218.
Jones, M. (2009). The side effects of evidence-based training. J Psychiatr Ment Health Nurs, 16(7), 593–598.
Kirby, E. G. & Kennedy, S. D. (1999). The evolution of health care delivery systems. In: Lancaster, J. (ed.), Nursing issues in leading and managing change (pp. 3–24). St. Louis: Mosby.
Kitson, A. L. (2009). The need for systems change: reflections on knowledge translation and organizational change. J Adv Nurs, 65(1), 217–228.
Martin, V. (2003). Leading change in health and social care. London, New York: Routledge.
Meyer, G., Balzer, K. & Köpke, S. (2013). Evidenzbasierte Pflegepraxis: Diskussionsbeitrag zum Status quo. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes, 107(1), 30–35.
Meyer, G. & Köpke, S. (2012). Wie kann der beste pflegewissenschaftliche Kenntnisstand in die Pflegepraxis gelangen? Pflege & Gesellschaft, 17(1), 36–44.
Nutley, S. M., Walter, I. & Davies, H. T. O. (2007). Using evidence: how research can inform public services. Bristol: Policy Press.
Peters, D. H., Adam, T., Alonge, O., Agyepong, I. A. & Tran, N. (2013). Implementation research: what it is and how to do it. BMJ, 347, f6753.
Pousti, H., Linger, H. & Burstein, F. (2011). From evidence-based to knowledge-based healthcare: a task-based knowledge management approach. In: Pokorny, J., Repa, V., Richta, K., Wojtkowski, W., Linger, H., Barry, C. & Lang, M. (eds.), Information systems development: business systems and services: modeling and development (pp. 587–595). New York: Springer.
Prasad, V. & Ioannidis, J. P. (2014). Evidence-based de-implementation for contradicted, unproven, and aspiring healthcare practices. Implement Sci, 9(1), 1.
Prohaska, T. R., Smith-Ray, R. & Glasgow, R. E. (2012). Translation: dissemination and implementation issues. In: Prohaska, T. R., Anderson, L. A. & Binstock, R. H. (eds.), Public health for an aging society. Baltimore, MD: Johns Hopkins University Press.
Rycroft-Malone, J. & Bucknall, T. (2010). Preface. In: Rycroft-Malone, J. & Bucknall, T. (eds.), Models and frameworks for implementing evidence-based practice: linking evidence to action (p. xvii). Chichester: Wiley-Blackwell.
Scott, S. D., Profetto-McGrath, J., Estabrooks, C. A., Winther, C., Wallin, L. & Lavis, J. N. (2010). Mapping the knowledge utilization field in nursing from 1945 to 2004: a bibliometric analysis. Worldviews Evid Based Nurs, 7(4), 226–237.
Solomons, N. M. & Spross, J. A. (2011). Evidence-based practice barriers and facilitators from a continuous quality improvement perspective: An integrative review. J Nurs Manag, 19(1), 109–120.
Straus, S. E., Richardson, W. S., Glasziou, P. & Haynes, R. B. (2011). Evidence-based medicine: how to practice and teach it. 4. ed., reprinted. Edinburgh: Churchill Livingstone–Elsevier.
Sudsawad, P. (2007). Knowledge translation: introduction to models, strategies, and measures. Austin: Southwest Educational Development Laboratory (SEDL), National Center for the Dissemination of Disability Research (NCDDR). http://www.ncddr.org/kt/products/ktintro/ktintro.pdf [letzter Zugriff: 08.12.2014].
Vindigni, S. M., Riley, P. L. & Jhung, M. (2011). Systematic review: handwashing behaviour in low- to middle-income countries: outcome measures and behaviour maintenance. Trop Med Int Health, 16(4), 466–477.
Wahl, H.-W. & Heyl, V. (2015). Gerontologie: Geschichte und Einführung. 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer.
Wahl, H.-W., Tesch-Römer, C. & Ziegelmann, J. P. (2012). Bewährte Interventionen und neue Entwicklungen: Zur zweiten Auflage der »Angewandten Gerontologie«. In: Wahl, H.-W., Tesch-Römer, C. & Ziegelmann, J. P. (Hrsg.), Angewandte Gerontologie: Interventionen für ein gutes Altern in 100 Schlüsselbegriffen (S. 12–18). 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer.
1 Für den besseren Lesefluss wird im gesamten Werk auf die geschlechtsspezifische Nennung verzichtet, wobei jedoch beide Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.
2 Pflegewissenschaft, Pflegemanagement, Pflegepädagogik oder grundständige Pflegestudiengänge.
Wenn wir in diesem Buch von Implementierung sprechen, dann meinen wir mit Greenhalgh et al. (2005), Bucknall und Rycroft-Malone (2010) sowie Rabin und Brownson (2012) einen aktiven und systematischen Prozess, in dem Neuerungen in ein bestimmtes pflegerisches oder gerontologisches Setting integriert werden. Dieser Prozess umfasst die Identifikation von förderlichen und hinderlichen Faktoren sowie die Auswahl und Anwendung effektiver Strategien zur Überwindung von Barrieren und zur erfolgreichen Steuerung des Implementierungsprozesses.
Wichtig ist uns, zwischen dem Vorgang der Implementierung (quasi der Implementierungspraxis) und der wissenschaftlichen Untersuchung von Implementierungsprozessen – der Implementierungsforschung bzw. -wissenschaft – zu unterscheiden. Wenn Pflegewissenschaftler oder Gerontologen in ihren Studien etwas implementieren (und dies kommt häufig vor, etwa wenn ein Konzept zur Betreuung von Menschen mit Demenz eingeführt wird, um zu untersuchen, ob dessen Anwendung das Wohlbefinden der Betroffenen verbessert), dann ist dies – entgegen eines verbreiteten Missverständnisses – noch nicht per se Implementierungsforschung/-wissenschaft (z. B. Fixsen et al., 2005). Auch wenn hier Implementierung im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie betrieben wird, kann erst von Implementierungswissenschaft die Rede sein, wenn der Implementierungsprozess selbst zum Forschungsgegenstand wird (wenn z. B. untersucht wird, welche Bedingungen den Erfolg dieses Prozesses fördern oder hemmen, wie dieser erfolgreich beeinflusst werden kann oder wie gut das eingeführte Konzept von den Betreuungspersonen umgesetzt wird) (Rabin & Brownson, 2012). Wird implementiert, ohne den Implementierungsprozess selbst zu erforschen, handelt es sich um Implementierungspraxis – auch wenn sie von Wissenschaftlern betrieben wird.
Streng genommen handelt es sich bei der Implementierungswissenschaft eigentlich nicht um eine voll entwickelte Wissenschaft. Das Themenfeld ist gerade erst im Begriff zu entstehen, verschiedene Disziplinen und »Schulen« tragen äußerst heterogene Perspektiven bei und rein implementierungswissenschaftliche Studiengänge oder Lehrstühle sind noch selten (Dearing & Kee, 2012). Dennoch werden wir im Rahmen dieses Buchs von Implementierungswissenschaft sprechen – einerseits weil es einer griffigen Bezeichnung bedarf, um den hier thematisierten Gegenstandsbereich in Worte zu fassen und andererseits weil es – bei aller Begriffsvielfalt und Heterogenität – durchaus einen gemeinsamen Kern gibt: die wissenschaftliche Auseinandersetzung damit, wie Implementierungsprozesse funktionieren und effektiv beeinflusst werden können (Estabrooks et al., 2008)
Das, was in Implementierungsprozessen eingeführt wird (also den Gegenstand der Implementierung), bezeichnen wir als Neuerung (oder auch Innovation). Mit Rogers (2003) und Greenhalgh et al. (2005) verstehen wir Neuerungen in einem breiten und umfassenden Sinne. Einfache Instrumente, wie z. B. eine Skala zur Einschätzung der Schmerzintensität, fallen darunter ebenso, wie etwa eine neue Pflegedokumentationssoftware, ein komplexes Assessmentinstrument, Präventionsmaßnahmen wie beispielsweise Bewegungsprogramme für ältere Menschen, ein Konzept zum Umgang mit Menschen mit Demenz, gesundheitsfördernde Aktivitäten etc. – bis hin zu umfangreichen Programmen mit multiplen Komponenten (sogenannte komplexe Interventionen). Eine Neuerung kann also sowohl materielle, greifbare Bestandteile enthalten (z. B. ein technisches Gerät oder schriftliche Anweisungen) als auch immaterielle Komponenten (z. B. veränderte Prozesse oder neue Denkweisen) (May, 2013). Entscheidend ist, dass das, was eingeführt wird,
a) zumindest von einem Teil der involvierten Akteure als neu empfunden wird,
b) von bisherigen Vorgehensweisen abweicht und
c) auf die Verbesserung der Situation pflegebedürftiger oder alter Menschen zielt.
Wie aber können wir sicherstellen, dass eine Neuerung nützlich ist und keinen Schaden anrichtet? Eine besondere Bedeutung kommt hier den evidenzbasierten Neuerungen zu. Evidenzbasiert sind Neuerungen dann, wenn sie sich im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen (oder wie Behrens und Langer (2010a, 25) es ausdrücken: entsprechend der »derzeit besten wissenschaftlich belegten Erfahrungen Dritter«) als wirksam und nicht schädigend erwiesen haben. Natürlich kann man eine neue Vorgehensweise, Technologie oder Therapiemethode auch einfach ausprobieren. Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit, Unwirksamkeit und zu unerwarteten (ggf. sogar schädigenden) Auswirkungen einer Neuerung haben gegenüber der subjektiven, erfahrungsbasierten Einschätzung der Anwender jedoch zwei entscheidende Vorteile: Sie wurden mit systematischen Methoden generiert, um verschiedenen »Verzerrungs- bzw. Selbsttäuschungsgefahren« (Behrens & Langer, 2010a) vorzubeugen. Außerdem geht dieses Wissen über Einzelerfahrungen professioneller Akteure hinaus.
evidenzbasierte Neuerung