Wo Chesterfield geht
Kopfgeldjäger T. T. Chesterfield
Band 1
Western von Werner J. Egli
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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
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© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
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Der Umfang dieses Buchs entspricht 203 Taschenbuchseiten.
1. digitale Auflage 2016 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783956175282
»Die Antwort aus Austin ist soeben eingegangen, meine Herren«, sagte Pierce und schlug die Beine auf dem Schreibtisch übereinander. »Frank Duncan ist kein unbeschriebenes Blatt. Man kennt ihn auch unter dem Namen Duncan Travis. Seine Eltern leben in Weatherford, der Countyhauptstadt. Duncan verbrachte die vergangenen drei Jahre in Leavenworth, nachdem er mit zwei Freunden zusammen eine Privatbank in Tyler überfallen hatte.«
»Sind die Namen seiner Komplizen bekannt?« wollte T. T. Chesterfield wissen.
»Nur einer der beiden taucht in den Gerichtsakten auf. Er wurde in Galveston von der Hafenpolizei festgenommen, als er versuchte, auf einem italienischen Frachter anzuheuern. Sein Name ist William Lincoln Throckmorton. Im zarten Alter von achtzehn Jahren wurde er in Yuma eingekerkert. Zwei Jahre Yuma. Danach trieb er sich im Südwesten herum, bis man ihn in Galveston für den Banküberfall in Tyler verhaftete. Der Junge wurde am ersten Januar dieses Jahres entlassen, und seither weiß man nichts mehr von ihm. Der andere, der damals in Tyler dabei war, wurde nie gefasst. Duncan und Throckmorton haben bei den Gerichtsverhandlungen etwa zehn verschiedene Namen angegeben. Anscheinend konnte ihnen nicht nachgewiesen werden, dass sie den richtigen Namen ihres Freundes kannten. Aus diesem Bericht geht hervor, dass zurzeit gegen Duncan nichts vorliegt.«
»Es wäre also nicht außergewöhnlich, wenn wir ihn daheim am Küchentisch seiner Eltern antreffen würden.«
»Er hat nichts zu befürchten, falls man ihm den Raubüberfall in Denver nicht nachweisen kann.«
»Das heißt, dass sich das Gesetz nicht bemühen wird, ihm ein paar Fragen zu stellen.«
»Genau so ist es, es sei denn, jemand würde gegen Frank Duncan Klage einreichen, die allerdings zu begründen wäre. Die Geschichte mit dem Hut ist zwar gut, klingt aber für die Ohren eines nüchternen Staatsanwaltes recht unwahrscheinlich. Sie haben Glück gehabt, dass sich Galahan an die Sache überhaupt herangemacht hat, Chesterfield. Von jetzt an dürfte es schwieriger werden, von behördlichen Stellen Unterstützung zu bekommen.«
»Die Vermutung, dass Bainbridge, Duncan, Throckmorton und ein anderer den Raubüberfall in Denver begangen haben, liegt nahe, Sheriff«, wandte T. T. Chesterfield ein. »Aber mir ist vollkommen klar, dass sich das Gesetz nur um lohnendere Aufgaben bemüht, zumal aus einem Fall wie diesem, bei dem zwar zwei Frauen getötet wurden, kaum mehr als die Genugtuung zu gewinnen ist, dem Gesetz Geltung verschafft zu haben.“
„Sie haben Recht, Chesterfield. Prestige und nationenweiter Ruhm stecken in diesem Fall nicht drin, Es handelt sich eher um eine kleine dreckige Angelegenheit, die nicht ausgeschlachtet werden kann, die einer persönlichen Karriere in der Politik oder Geschäftswelt förderlich wäre. Ein Gesetzeshüter, der einen dieser Burschen erwischen könnte, würde im besten Fall ein paar Dollar Verhaftungsgeld einstecken, sich dabei jedoch eine Menge Schreibarbeit aufladen?« Pierce erhob sich vom Stuhl hinter dem Schreibtisch. »Nun, die großen Zeiten sind vielleicht endgültig vorbei. Sam Bass hat noch einmal Schlagzeilen gemacht, und es gibt ein paar Leute, die Kapital daraus schlagen. Streeter, Duncan, Throckmorton, und wie sie alle heißen, das sind kleine Fische, Chesterfield. Die bleiben früher oder später im Netz hängen, ohne dass sich jemand groß Mühe machen muss. Sie zu erwischen. Selbstverständlich würde ich Ihnen zur Hand gehen, wenn der Fall hier im Webb County zu regeln wäre.«
T. T. Chesterfield hatte nicht erwartet, in diesem Fall eine Kompanie Texas Ranger anführen zu dürfen. Lange genug hatte er selbst den Stern getragen, um die Spielregeln zu kennen.
»Wir haben eine Fährte, die möglicherweise noch heiß ist«, sagte er. Deshalb wollen wir hier keine Zeit mehr verschwenden, Deputy.“
Pierce zupfte an seinen Schnurrbartenden. »Das kann ich Ihnen nicht übel nehmen, Chesterfield. Sie haben sich einen Namen gemacht.« Er hob den Kopf und grinste. »Wo Chesterfield geht, wächst kein Gras mehr, heißt es. Nun, ein Furz ist kein Tornado. Sie werden diese Killer töten, davon bin ich überzeugt. Falls ich weiterhin etwas für Sie tun kann, schreiben Sie mir. Sobald sich die Gemüter hier über den Mord an Galahan beruhigt haben, kehrt wieder die Langeweile ein.«
Pierce öffnete einen Gewehrschrank und entnahm ihm eine Flasche und drei Gläser. »Bester Kentucky Bourbon, meine Herren. Trinken wir auf den Hut, der euch hergebracht hat.«
Es war Chesterfield aufgefallen, dass Justin Hunt sich seit dem Morgen ständig am linken Arm kratzte. Jetzt rollte Hunt den Ärmel hoch und legte eine rote, ziemlich geschwollene Stelle frei. Pierce, das Glas in den Händen, beugte sich interessiert vor. »Was haben Sie denn da gemacht, Hunt?« fragte er.
»Gemacht? Ich?« Hunt schüttelte den Kopf. »Das kam über Nacht. Irgendetwas hat mich gebissen, und das Zeug brennt unheimlich«, sagte er grimmig.
»Walpai-Tiger«, sagte T. T. Chesterfield ruhig, hob das Glas und trank es auf einen Zug leer.
»Wir fahren mit dem Sechs-Uhr-Zug hier weg«, sagte T. T. Chesterfield.
Hunt schüttelte den Kopf. »Morgen ist auch noch ein Tag, nicht wahr?« Er hatte einen Klumpen mit feuchtem Tabak auf dem Arm und ein Rezept von Mrs. Byrd, die sich mit solchen Sachen auskannte. »Ich habe Kopfweh, und der Arm ist auch nicht besser geworden.«
Es war nicht das Kopfweh und nicht der Arm. Es war Susan, und T. T. Chesterfield wusste es genau.
»Morgen wirst du vielleicht noch mehr Kopfweh haben«, sagte Chesterfield. »Und das Kopfweh wird immer stärker werden und du wirst hier in Laredo bleiben und dich pflegen lassen müssen.«
Hunt zog die Augen zusammen. »Was meinst du damit?«
»Das was ich gesagt habe.«
»Das klingt verdammt hinterlistig«, sagte er. »Stimmt etwas nicht?«
»Das wirst du am besten wissen.«
»T. T., es ist jetzt drei Uhr am Nachmittag. Kein Grund zur Eile.«
»Gut, wir fahren morgen. Ich gehe rüber zur Station und sehe mir den Fahrplan an. Zufrieden?«
Hunt sagte nichts. Er hatte den Kopf gedreht und erhaschte einen Blick auf Susan, die mit einem Einkaufskorb die Straße überquerte. T. T. Chesterfield entfernte sich diskret, verließ das Haus durch die Hintertür und ging in den nächsten Saloon, um ein Bier zu trinken und in seinem Kopf Ordnung zu schaffen. Noch wusste er nicht, wie es weiter gehen sollte. Mit oder ohne Justin Hunt. Und ob er nicht T. T. jr. nicht vorübergehend tatsächlich im Kinderheim in Denver unterbringen sollte. Aber es war eine lange Zugfahrt zurück nach Colorado und einer der Männer, die er sehen wollte, war Frank Duncan.
Im Saloon traf Chesterfield auf einen Mann, der in Schwierigkeiten war.
Es war ein kleiner Saloon, mit nur drei Tischen, einigen Stühlen und einer Theke.
Vor der Theke standen zwei Messingspucknäpfe. Und zwischen ihnen lag Deputy Pierce auf dem Boden. Blut tropfte von seinem Kinn, und sein linkes Auge war zugeschwollen.
Zwei Schritte von ihm entfernt standen zwei Männer.
Ohne Zweifel Brüder. Beide waren groß und schwer gebaut. Einer trug einen Hut, der andere hatte wildes, weizengelbes Haar und einen Revolver in der Hand. Und er sagte: »Steh auf, Pierce!«
Dazu war der Deputy jedoch nicht in der Lage, aber er hob aber den Kopf etwas an und versuchte schließlich, auf die Knie zu kommen.
Der Mann mit dem Hut trat ihm ins Kreuz. Jemand lachte heiser auf, als Pierce mit dem Hinterkopf gegen den Sockel der Theke schlug.
T. T. Chesterfield war bei der Tür stehen geblieben. Er blickte sich kurz um. Hinter der Theke stand der Keeper, ein Mann mit einer roten Knollnase. Er war der Keeper. An einem der drei Tische saßen zwei Mexikaner mit einer Flasche Tequila. Am Thekenende, vor einem schmalen, schmutzigen Fenster, stand ein kleiner Mann mit Bat Wing Chaps und einem verwaschenen, stahlblauen Hemd. Er hatte einen Revolver im Waffengurt, machte aber keine Anstalten, sich einzumischen. Sonst war niemand im Saloon.
Die Brüder hatten Chesterfield den Rücken zugedreht. Der eine beugte sich jetzt über den Deputy, packte ihm am Hemd und zerrte ihn hoch.
„Pierce, Galahan war aus einem anderen Holz geschnitzt als du. Das hilft der Stern auf deiner Brust nichts. Du hast keinen Respekt, verstehst du. Nicht von und nicht von Niemandem.“
Die Augen des Barkeepers weiteten sich jäh, als Chesterfield einen Revolver aus dem Anzug holte. Der Mann mit den Bat Wing Chaps spuckte einen Strahl Tabaksaft in Richtung eines Spucknapfes, verfehlte jedoch das Ziel. Die beiden Mexikaner griffen beide gleichzeitig nach der Flasche, und bevor sie sich darüber einigen konnten, wem der nächste Schluck gehörte, wirbelte der Mann mit dem Revolver herum, erstarrte mitten in der Drehung.
»Hallo«, sagte T. T. Chesterfield. „Wie war das noch mal mit dem Respekt?“
Der Mann schnaubte durch die Nase. Sein Bruder drehte den Kopf. »Misch dich nicht rein, Mann«, zischte er. »Das ist eine Sache zwischen uns und Pierce.«
»Ich bin Pierces Schutzengel«, sagte T. T. Chesterfield ruhig. »Lass den Revolver fallen, Gelbhaar!«
Hinter der Theke hatte der Keeper plötzlich eine Schrotflinte in der Hand, aber er wusste nichts damit anzufangen. Die Läufe schwenkten durch den Raum und hoben sich dann zur Decke. »Es würde eine Sauerei geben«, murmelte er.
Pierce wischte sich mit der Hand das Blut vom Gesicht. Er atmete schwer, versuchte etwas zu sagen, aber er hatte einen Zahn verschluckt und ein anderer war ihm im Hals stecken geblieben.
»Misch dich nicht ein, Fremder«, sagte der mit dem Hut. »Steck den Revolver weg, und Harry wird dir ein Bier einschenken. Aber misch dich nur nicht in unsere Angelegenheiten.«
Pierce hustete.
Er war nun auf den Knien, stützte sich aber noch immer mit beiden Händen am Boden auf.
T. T. Chesterfield steckte den Colt weg und hob die Hände etwas an.
»Gut«, sagte er, lächelte und ging auf die beiden Männer zu. Der mit dem Hut grinste.
»Schön, dass du vernünftig bist, Mann. Mein Bruder hätte dich glatt erschossen.« Er drehte sich halb herum und sagte zu Pierce: »Steh auf!«
»Ich — kann — nicht«, sagte Pierce, und das genügte T. T. Chesterfield, dem einen den Hut über die Ohren zu ziehen und dem anderen das Knie in die Magengrube zu stoßen. Der Rest war eine relativ einfache Sache. T. T. Chesterfield stellte dem Mann mit dem Hut über den Augen das Bein, machte einen Schritt zur Seite und hieb dem andern die Faust aufs Ohr. Gleichzeitig packte er ihn beim den Arm, machte eine Kehrtwendung und kugelte ihm dadurch den Arm beinahe aus. Mit einem Fluch auf den Lippen, ließ dieser den Revolver fallen. T. T. Chesterfield stieß ihn von sich, und die beiden Brüder prallten in dem Moment heftig zusammen, als sich der mit dem Hut endlich aufgerichtet hatte.
Pierce war unterdessen auf den Beinen. Er bückte sich, nahm den Revolver des Mannes auf, drehte sich unsicher um und taumelte zur Tür.
Gleichzeitig spürte T. T. Chesterfield den Doppellauf einer Schrotflinte im Rücken, und der Barkeeper sagte mit herausgepresstem Atem: »Sei vernünftig, Mann! Wenn das Ding losgeht, fliegt die ganze Hütte in die Luft.«
Die beiden Brüder, die sich einen Moment gegenseitig behindert hatten und danach aneinander Halt fanden, waren noch ziemlich verwirrt.
»Halt ihn fest, Harry«, sagte der mit dem Hut und zog den Revolver, als er zur Tür lief. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt sich der andere mit der linken Hand den rechten Unterarm gegen den Unterleib gedrückt und stöhnte: »Das gibt jede Menge Ärger, das verspreche ich Dir!« Er ließ den Arm vorsichtig los und brachte von irgendwo her Handschellen zum Vorschein. »Hände auf den Rücken!« befahl er grimmig »Und versuch lieber keine Tricks, Mann!«
T. T. Chesterfield begriff nun, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Er blickte den Mann mit dem blonden Haar verständnislos an, und der Blick aus den stahlblauen Augen zeigte ihm, dass er weder Erbarmen noch Nachsicht erwarten durfte. Offenbar hatte er beim Betreten des Saloons einen grundlegenden Denkfehler gemacht, der für ihn schwerwiegende Folgen haben konnte. Es blieb T. T. Chesterfield nur noch der Versuch das Beste aus der Situation zu machen, in der er sich befand.
»Hören Sie, ich lege den Revolver auf die Theke und hebe die Hände. Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor.«
Draußen krachten Schüsse. Ein Mann brüllte. Hufschläge ertönten, und Männerschritte dröhnten auf dem hölzernen Vorbau. Chesterfield blickte verwirrt zur Tür, wo über der Schwingtür ein bärtiges Gesicht erschien. »Alles in Ordnung, Sergeant?«
Der Blonde nickte. »Hat Percy ihn erwischt?«
»Mit zwei Kugeln. Er hatte gerade noch Zeit, ein Geständnis zu machen«, sagte der bärtige Mann, drehten sich um und lief am Fenster vorbei und über die Straße.
»Los jetzt, die Hände auf den Rücken!« befahl der Blonde scharf.
T. T. Chesterfield legte die Hände auf den Rücken. »Darf ich fragen, was hier überhaupt gespielt wird?«
»Ich habe gesagt, dass es unser Spiel ist, nicht wahr?« erwiderte der Blonde.
Der Barkeeper lachte in Chesterfields Rücken auf. »Pierce war ein falscher Hund, Mister. Die Ranger haben erfahren, dass er die verfluchten Greaser bezahlt hat, die Galahan erschossen haben.«
T. T. Chesterfield atmete tief durch. „Das hätte mir vielleicht einer von euch sagen können, als ich reingekommen bin“, sagte er.
Die Schrotflinte mit einer Hand haltend, den Finger am Abzug, streckte der Barpkeeper die Hand aus. „Gib mir deinen Revolver!“
T. T. Chesterfield sah ein, dass es keinen Sinn hatte, sich den beiden zu wiedersetzen. Er ließ den Revolver in die Hand des Barkeepers gleiten.
Der Blonde näherte sich ihm vorsichtig und legte ihm die Handschellen an.
»Name!« fragte er und stieß Chesterfield vor sich her.
»T. T. Chesterfield.«
»Ah, Chesterfield, der berüchtigte Kopfgeldjäger.«
»Hören Sie mal, Sergeant, ich habe nicht ahnen können, dass …«
»Du wirst genug Zeit kriegen, dich zu erklären«, unterbrach ihn der Blonde, während er ihn zur Tür stieß.
T. T. Chesterfield drückte die Schwingtürflügel mit der Brust auf und trat in den Sonnenschein. Leute waren auf der Straße, unter ihnen der Mann mit dem Hut. Er unterhielt sich mit einem mittelgroßen, hageren Mann, der einen grauen Spitzbart trug.
»Wir gehen zum Gefängnis«, sagte der Blonde. »Lass dich nicht aufhalten.«
Sie gingen über die Straße, und T. T. Chesterfield sah zwischen Männerbeinen hindurch George Pierce auf dem im Staub liegen. Sie hatten ihn mitten auf der Straße erwischt. Zwei Männer legte ein Brett auf den Boden und legten Pierce darauf, so dass sie ihn von der Straße tragen konnten.
Der Blonde trieb T. T. Chesterfield vor sich zum Plaza, der im Schatten mächtiger Palmen lag. Dort, in einem Anbau des Gerichtsgebäudes, wo sich hinter Mauern auch der kleine Hof mit dem Galgen befand, waren auch das Sheriffs Office und das Gefängnis untergebracht. Auf dem Weg dorthin zweifelte T. T. Chesterfield keinen Augenblick daran, dass er den Rest des Tages und die folgende Nacht im Knast verbringen würde.
T. T. Chesterfield erhielt Besuch. Hunt und Susan. Sie trug ein helles Kleid und eine Strohblume im Haar. Hunt schien sich einen neuen Anzug erstanden zu haben und hatte die gleiche Strohblume im Kragenknopfloch, sozusagen als Symbol der Zusammengehörigkeit.
Sie sahen beide sehr glücklich aus, glücklicher jedenfalls als T. T. jr., der eine Rotznase hatte und offensichtlich sein Stück Rohhaut vermisste, denn er schrie wie am Spieß.
»Hallo, T. T.«, sagte Hunt, den Kleinen im Arm.
»Guten Tag, Mr. Chesterfield«, sagte Susan mit einem scheuen Lächeln. „Hier, meine Mutter hat mich gebeten, Ihnen ein Stück Kuchen zu bringen.“
»Hast du vielleicht auch daran gedacht, die zweihundert Dollar Bürgschaft mitzubringen?« fragte T. T. Chesterfield.
Hunt seufzte. »Unsere Mittel sind beschränkt, wie du zweifellos wissen dürftest, lieber Freund«, sagte Hunt. »Zweihundert Dollar würde unser Budget sprengen.«
»Ich will so schnell wie möglich raus hier, Justin. Herrgott, gibt es denn in diesem Nest keine vernünftige Leute? Außerdem sind es meine Ersparnisse, nicht wahr?«
»Wir sind Partner, mein Freund. Ich setze meine Gesundheit und sogar mein Leben aufs Spiel, werde am Ende nicht bezahlt und habe deshalb ein Anrecht, im gleichen Maße von unserem gemeinsamen Betriebskapital zu zehren. Ich habe es mir überlegt, T. T., und ich werde mich hüten, zweihundert Bucks für deine vorübergehende Freiheit zu zahlen.«
»Ich will einen Anwalt«, sagte Chesterfield grimmig.
„Keinem Anwalt würde es gelingen, dir aus der Patsche zu helfen. Du hast zwei Texas Ranger bei der Ausübung ihrer Pflicht behindert. Da kommst auch du nicht ungeschoren davon“.
»Geh raus und ruf einen der Ranger herbei. Ich habe es satt, verstehst du? Und dein dämliches Grinsen kannst du dir sparen. Ich weiß, woran ich bin mit dir!«
»Reg dich nur nicht so auf, mein lieber Freund«, sagte Hunt mit aufreizender Freundlichkeit. »Ich brauche nur etwas Zeit. Der Richter hier ist eine harte Nuss. Außerdem ist da Sergeant Palmer von den Rangers, der noch immer Kopfschmerzen hat. Und sein Bruder ist auch nicht besonders gut auf dich zu sprechen. Am liebsten würden sie dich mit ein paar schweren Steinen zusammen in einen Sack stecken und im Fluss versenken.«
T. T. Chesterfield ging zur Pritsche und setzte sich. Er schloss die Augen, rieb sich mit der Hand über den Nacken und tat, als wäre er allein.
»Der Kuchen ist einmalig gut, T. T.«, sagte Hunt.
Chesterfield schwieg.
»He, ich verstehe, dass du ungeduldig bist und hier raus willst. Aber das dauert etwas. Der Richter hat vielleicht vor, ausgerechnet bei dir ein Exempel zu statuieren, da er der Meinung ist, dass dieses Land nur zivilisiert werden kann, wenn sich alle an die Gesetze halten. Kein Faustrecht, verstehst du.“
Hunt erhielt keine Antwort. Nicht mal einen Blick. T. T. jr. krähte mit sich überschlagender Stimme.
»Willst du den Kuchen nicht versuchen?« fragte Hunt. „Vielleicht kriegst du erst zum Frühstück wieder was zu essen.“
Chesterfield schwieg eisern.
»Trotzkopf. Aber damit erreichst du nichts, Amigo. Du hast dich selbst in die Nesseln gesetzt, nicht wahr? So geht es nun einfach nicht, mein Lieber. Man kann nicht einem Texas Ranger den Hut über die Ohren ziehen und einem anderen einen Knoten in den Arm drehen. Das nimmt in hier in Texas keiner hin, wo man so verteufelt stolz auf die Ranger ist, dass man die Kinder nach ihren Namen tauft.«
Es verstrich fast eine Minute, die durch das Geschrei von T. T. jr. ausgefüllt wurde.
»Na?« fragte Hunt so plötzlich und laut, dass T. T. jr. die Luft wegblieb.
»Raus!« knurrte T. T. Chesterfield und hob den Kopf. »Verschwinde hier! Ich will keinen Kuchen. Was ich will ist Gerechtigkeit!«
Sein Ruf nach Gerechtigkeit wurde überhört. Er bekam stattdessen einen Zellengenossen, der Läuse hatte und das Bett nässte.
Es war eine fürchterliche Nacht, die T. T. Chesterfield hinter sich hatte, als am nächsten Morgen Hunt den Zellengang betrat, mit einem Bund Schlüsseln klirrte und vor der Gittertür stehenblieb.
»Ich lasse dich raus, wenn du mir einen Tag Zeit gibst, mit Mrs. Byrd ins Reine zu kommen«, sagte er, nachdem sie sich eine Weile schweigend angesehen hatten.
»Ich tue alles, was du willst«, sagte T. T. Chesterfield.
»Gut. Es freut mich, dass du Verständnis zeigst.« Er steckte den Schlüssel ins Schloss. »Ich habe Schwierigkeiten.«
»Was du nicht sagst.«
»Ehrlich. Es ist ein schreckliches Missverständnis.«
»Mit deiner Phantasie wird es dir nicht schwerfallen, Mrs. Byrd aufzuklären.«
»Ich brauche den Rat eines erfahrenen Freundes.«
»Schließ auf!«
»Es geht um Susan «
»Unglaublich«, sagte T. T. Chesterfield und spürte ein Kribbeln im Nacken. »Schließ endlich auf, ja?«
»Wir — wir waren dabei uns gegenseitig zu vernaschen, als Mrs. Byrd und Molly hereinkamen. Mrs. Byrd fiel in Ohnmacht und Molly rannte schreiend aus dem Haus.“
»Man schließt Türen grundsätzlich ab, wenn man gegen die Regeln unserer Gesellschaft verstößt und ein Mädchen verführt, dessen Mutter sich in der Nähe befindet.«
Hunt seufzte. »Wir sind uns einig, T. T. Wir wollen heiraten.«
»Das ist ja interessant. Aber sag mal, können wir uns nicht woanders über solche Dinge unterhalten? Hier kriege ich kaum das richtige Einfühlungsvermögen.«
»Du scheinst nicht überrascht, was?«
»Der Schock verhindert einen entsprechenden Gefühlsausbruch«, spottete Chesterfield. »Dreh endlich den Schlüssel um, verdammt nochmal.«
Hunt wiegte den Kopf, aber anschließend schaffte er es. Das Schloss schnappte auf, und T. T. Chesterfield stieß die Tür auf, packte Hunt am Jackenkragen und sagte mit leiser Stimme: »Ich wünsch dir viel Glück zur Verlobung, mein Freund.« Dann ließ er ihn stehen, ging den Flur entlang und in das Office, wo ein Mann auf einem Stuhl hinter dem Schreibtisch saß und schnarchte. Er hörte, wie Hunt die Zellentür abschloss. Der Mann hinter dem Schreibtisch hüstelte, schlug die Augen auf und blinzelte verwundert in die Welt.
»He, sind Sie nicht dieser Kopfgeldjäger? Chesterfield?«
»Erraten,“ sagte Chesterfield. »Wo sind meine Sachen?«
»Die hat sich Ihr Freund gestern abgeholt. Himmel, ich dachte, Sie wurden schon gestern entlassen. Der Richter hat auf jeden Fall …«
»Moment mal«, unterbrach ihn T. T. Chesterfield und empfing Hunt mit einem Magenhaken, der diesen in den Zellenflur zurückwarf.
»Wir fahren heute!« rief er ihm nach. »Mit dem nächsten Zug! Und wenn's dir nicht passt, ist das auch okay! Ich suche mir für T. T. jr. ein Kindermädchen, auf das Verlass ist!« Er drehte sich auf dem Absatz und ging zur Tür.
»Warte!« rief ihm Hunt nach. »Ich erkläre dir alles.«
T. T. Chesterfield schlug die Tür in seinem Rücken zu, ging auf die Straße und schlug die Richtung zum Stationsgebäude ein um ein Ticket für die Fahrt nach Dallas zu kaufen. Hunt holte ihn auf halbem Weg ein.
»Mrs. Byrd war zum Kaffee bei Molly eingeladen, T. T. Und da dachten wir, wir hätten das Haus ganz für uns allein hätten, bis sie zurück ist.«
»Ich hole Fahrkarten für den nächsten Zug, der Laredo verlässt, mein Freund. Du musst dich entscheiden.«
»Jetzt? In dieser Sekunde?“
„Jetzt oder nie!“
„Lass mich zuerst einmal ausreden, verdammt! Verstehst du denn nicht? Ihre Mutter kam früher zurück, als wir erwartet hatten, und überraschte uns in der Küche.«
»In der Küche? Himmel, du hast eben gesagt, dass ihr das ganze Haus für euch gehabt habt. Da macht man sowas doch nicht in der Küche.“«
Hunt verzog das Gesicht. »Es hat sich halt so ergeben. Daran ist jetzt nichts mehr zu ändern. Wir wollten es ihr gestern erklären, aber sie wollte nichts hören und tobte, und Molly machte ein Gesicht, als hätten sie uns zusammen im Bett erwischt.«
»Im Bett macht man das, und nicht auf dem Küchentisch!«
»T. T., ich lag die halbe Nacht wach Und heute Morgen war kein Frühstück auf dem Tisch, und sie stand in der Küche, und da wollte ich es ihr sagen, aber sie sah mich an, als hätte ich meine Seele dem Teufel verschrieben, und da ging ich weg, um dich rauszuholen.«
»Schön, dass du damit nicht noch einen Tag länger gewartet hast.«
»Sei nicht so nachtragend, verdammt!«
»Willst du nun mitkommen oder bleiben?«
»Selbstverständlich komme ich mit.«
»Na also.«
»Aber ich muss es ihr zuerst sagen.«
»Niemand hindert dich daran.«
»Hör mal, ich habe so was noch nie gemacht, und ich dachte, dass du da. besser Bescheid weißt, da du doch Mrs. Hammersmith zur Schwiegermutter hattest.«
»Nichts einfacher als das. Du gehst hin und ziehst in aller Höflichkeit deinen Hut und sagst ihr, dass du dir in den Kopf gesetzt hast, ihre Tochter zu heiraten, und dass es daran nichts zu ändern gibt. Klar?«
»Das geht nicht.«
»Warum nicht? Das geht immer. Das hat sogar bei Mrs. Hammersmith geklappt“.
»Susan und ich — hör mal, wir hatten eine Idee. T. T- jr. kriegt Zähne, und außerdem macht er die Windeln voll, nicht wahr? Ich habe nichts dagegen, mal für eine Zeit Kindermädchen zu spielen, aber wir könnten es einfacher haben.«
T. T. Chesterfield war stehengeblieben. »Soll das heißen, dass du Susan mitnehmen willst?«
Hunt holte tief Luft. Dann nickte er.
»Du bist verrückt!«
»Die Idee klingt zwar verrückt, ist gut, nicht wahr?«
»Hm.«
»Siehst du die Vorteile, T. T.? Wir könnten unsere ganze Aufmerksam und unsere ganze Energie der Aufgabe widmen, die Killer zu finden und zu töten, so wie es sich gehört.“
„Hm, ich muss zugeben, dass …“
„Ich wusste es!« rief Hunt aus. »Die Sache ist nur, wie wir es Mrs. Byrd beibringen.«
»Hast du ihr gegenüber schon eine Andeutung gemacht?«
»Ich wagte es nicht.«
»Und Susan?«
»Sie ist von der Idee begeistert. Sie hat etwa achtzig Dollar, die sie sich erspart hat. Und sie meint, dass ihre Mutter gut eine Zeit ohne sie zurechtkommen würde.« Hunt hob die Brauen. »Was meinst du dazu?«
T. T. Chesterfield schüttelte den Kopf. »Eine verrückte Idee, Hunt. Und ich bin nicht bereit, mich mit einer ganzen Sippschaft zu umgeben. Wer weiß, wie lange die Sache dauert. Wer weiß, was passieren wird. Nein, mein Lieber, das geht nicht.«
Hunts Gesicht wurde lang.
»Susan ist ein Mädchen, das nicht mit Handschuhen angefasst werden muss, T. T. Sie würde uns nicht behindern, im Gegenteil. T. T. jr. hätte jemanden, der was vom Geschäft versteht. Du weißt ja, was bei unserer Pflege herausgekommen ist. Einen wunden Hintern hatte er ständig, und eine Rotznase.«
»Hör mal, Hunt, wir sind auf der Fährte von vier Raubmördern. Wir haben schmutzige Arbeit zu erledigen. Wir werden töten und wenn wir Pech haben, getötet werden. Ich gebe zu, dass es Mädchen gibt, die so was ohne weiteres mitmachen können. Ich verstehe auch, dass ihr zusammenbleiben wollt, und ich habe nichts dagegen, wenn du aussteigen willst. Das kostet mich eine Fahrkarte weniger.«
Eine Stunde später löste T. T. Chesterfield vier Fahrkarten. Eine für sich, eine für Justin Hunt, eine für Susan und eine für Mrs. Byrd. T. T. jr. ging noch immer frei, da er noch keine zwölf Jahre alt war.
Es war Justin Hunts Sache, seinen Gästen klarzumachen, dass dies kein Ausflug mit Picknick und allem Drum und Dran war. Die Frage war nur, ob sich Justin Hunt dessen selbst bewusst war. Die Bahnfahrt von Laredo nach Dallas vertrieb er sich nämlich damit, Susan mit Blicken zu verschlingen. Manchmal, wenn Mrs. Byrd mit T. T. jr. beschäftigt war und sich durch nichts ablenken ließ, hielten die beiden Händchen und guckten aus dem Fenster über das wilde, buschbedeckte Land, das auf die Dauer so einschläfernd wirkte, dass jedermann im Abteil hochschreckte, als ein kleiner Junge plötzlich mit einem Schrei kundtat, dass er einen Baum entdeckt hatte, ein Windmühlenrad und ein paar Rinder. Sonst gab es kaum etwas zu sehen. Ein Himmel mit unzähligen Wolkenflocken wölbte sich von einem Horizont zum anderen, und die kleinen Ortschaften und Siedlungen, die der Zug mit kurzen Zwischenaufenthalten passierte, glichen sich alle wie wenn sie von ein und der derselben Person errichtet worden wären.
Zwischen Waco und Dallas, nachdem sie den Brazos River überquert hatten, trugen die flachen, weiten Hügel nur noch vereinzelte Büsche. Goldgelbes Gras wogte im Wind, und ab und zu legten sich silberne Schimmer wie hauchdünne Tuchfetzen in die Senken, die vom Zug in beinahe rasender Geschwindigkeit durchfahren wurden.
T. T. Chesterfield verbrachte die halbe Strecke im Dämmerschlaf, in dem er von wirren Träumen gebeutelt nie richtig zur Ruhe kam. Die Begleitung der beiden Frauen behagte ihm nicht. Obwohl Mrs. Byrd ganz anders aussah als Mrs. Hammersmith ausgesehen hatte, erinnerte sie ihn zu sehr an seine Schwiegermutter, und das Susan, obwohl sie äußerlich kaum mit Billie Joe zu verwechseln war, machte es ihm schwer, nicht an die Zeiten zu denken, als er allerlei Dummheiten gemacht hatte, um das Herz eines Mädchens zu gewinnen und sich dabei eine Schwiegermutter einzuhandeln.
Er beneidete Justin Hunt, ärgerte sich gleichzeitig und wünschte, durch eine Tür zu gehen, die er hinter sich abriegeln konnte. Sollte er aus dem Zug springen? Die Gefahr, den Hals oder zumindest ein paar Knochen zu brechen, war zu groß. Außerdem sah es draußen aus wie auf dem Mond oder sonst an einem Ort, wo sich nur ein verrückter Texaner wohlfühlen konnte.
Nun, T. T. Chesterfield war froh genug, dass seine Begleiter sich miteinander zu beschäftigen verstanden. Mrs. Byrd hatte mit T. T. jr. zu tun, Justin Hunt und Susan schienen sich darüber einig, dass für sie ein Honigmond aufgegangen war. Die Vermutung, dass T. T. Chesterfield recht bald Ehrengast bei hochzeitlichen Feierlichkeiten sein würde, womöglich sogar noch Trauzeuge, erschien ihm keineswegs verwegen oder gar unmöglich. Dieser Gedanke daran bekümmerte ihn noch mehr. Er hatte absolut nichts gegen Feiern, aber zurzeit konnte er es sich nur schwer vorstellen, bei einer Hochzeit in Stimmung zu kommen. Die Trauer um Billie Joe saß zu tief, die Sorgen, die er sich um die Zukunft machte, wogen zu schwer. Seine Gedanken kreisten um die Männer, die sein Leben durcheinander gebracht hatten. Vor dem Überfall in Denver hatte er ab und zu daran gedacht, Mrs. Hammersmith einfach sitzen zu lassen, aber jetzt stand er plötzlich allein da, mit T. T. jr., zwar, der mit seinen Zähnen Fortschritte machte. Es waren bedrückende Gefühle Gefühl, die ihn Tag und Nacht beschäftigten und ihn manchmal hilflos werden ließen. Seine Gedanken an die Zukunft waren von Unsicherheit und Angst geprägt, denn als Kopfgeldjäger war er kein Vater, auf den sich T. T. jr. verlassen konnte. Der Boden unter seinen Füßen war wie Treibsand oder Sumpf, über dem Nebelschleier wallten und die rettenden Ufer unsichtbar machten.