cover.jpg

 

Andreas Maurer

 

Ins Netz gehen

 

Von den Tücken der digitalen Mediengesellschaft

 

 

Sachbuch

 

© 2017 AAVAA Verlag

 

Alle Rechte vorbehalten

 

1. Auflage 2017

 

Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag

Coverbild: fotolia: cobweb with morning dew, close up Datei: #71506005

Urheber: Pink Badger

 

Printed in Germany

 

eBook epub:  ISBN 978-3-8459-2260-7

eBook PDF:   ISBN 978-3-8459-2261-4

Sonderdruck  Mini-Buch ohne ISBN

 

AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin

www.aavaa-verlag.com

 

eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken!

 

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

 

Als Einleitung eine kleine Leseanleitung

 

Das Leitfeuer der Freiheit

Weshalb die Enthüllungen der Online-Überwachung eine überfällige Debatte entfacht haben

 

I like, also bin ich

Was es heisst, im digitalen Zeitalter Mensch zu sein

 

Forza Italia!

Abenteuer Automiete in der Toskana

 

Die Gleichmacher/-innen

Wie der «Qualitätsjournalismus» systematisch das Weltbild verzerrt

 

Wenn aus Ernst Spiel wird

Immer mehr erleben wir den Alltag als Sportereignis – mit schwerwiegenden Folgen
 

Da muss man doch etwas tun!

Weshalb der Ruf nach «Führung»

(bzw. «Leadership») lauter wird

 

Seien wir ehrlich

Ausländerfeindlichkeit, Europafeindlichkeit, Islamfeindlichkeit … Über die Voraussetzung für echten Fortschritt

 

Die Verschwörung der Idioten

Und wie man sich zur Wehr setzen kann

 

Der Schwarze Mann im Weissen Haus

Barack Obama und mein amerikanischer Traum

 

Hilfe, PC-Polizei!

Political Correctness heute oder Warum Minderheiten bald in der Mehrzahl sind

 

Moment mal …

Oder der ständige Versuch, sich zu erinnern, was das eigentlich bedeutet: leben

 

Als Einleitung

eine kleine Leseanleitung

 

Noch vor wenigen Jahren dachten auch Nichttierfreunde beim Wort «Netz» zuerst an Spinnen oder Fische. Oder allenfalls an eine Zirkusnummer, «ohne Netz und doppelten Boden». Diese Assoziationen weckt es nach wie vor – nur dass inzwischen wir selber die Rolle der Akrobaten, Fische, Spinnen und andern übernommen haben. Nämlich im Internet(z).

Auch wenn dieses Netz – aka World Wide Web – erst eines fernen Tages weltumspannend sein dürfte: Was immer, wo immer, von ihm erfasst wird, verändert sich fundamental, ob Kommunikation oder Organisation, Produktion oder Konsum, Selbstbild oder Weltbild. Nicht einmal die Industrialisierung des 18. Jahrhunderts hat die Welt, deren Wahrnehmung und den Platz des Menschen darin so revolutioniert wie die Digitalisierung der Medien – in Highspeed. Und das ist doch das Erstaunlichste: wie wir längst schon mit einer solchen Selbstverständlichkeit «ins Netz gehen», dass wir die Bedeutung davon, die verschiedenen Bedeutungen, überhaupt nicht mehr hintersinnen.

Die hier versammelten Texte werfen daher einen kritisch-ironischen Blick auf unsern Alltag im und ums Netz, der oft alles andere als alltäglich ist, obwohl er uns so erscheint. Gerade das ist das Tückische daran. Von dem leisen Verschwinden des Geheimnisses und dem Wiederaufkommen der Fremdenangst über die Stimmungsmache und Sportmetaphorik des Journalismus bis hin zu der vermeintlich unverfänglichen Political Correctness und einer simplen Online-Ferienbuchung.

Achtung. Die letztlich alles entscheidende Frage: Wird der Mensch schnell genug dazulernen, um mitzuhalten mit dem technischen Fortschritt (den er selbst losgetreten hat)?, diese Frage versuche ich gar nicht zu beantworten. Das überlasse ich den Zukunftsforscherinnen und professionellen Kulturpessimisten. Lieber lasse ich mich im Weiteren von fünf praktischen Gedanken leiten – und lade dazu gerne auch die geneigten Leserinnen und Leser ein:

 

1. Das allzeit allumfassende Internet(z) macht uns zu einer Mediengesellschaft, buchstäblich. Wir sind die Medien. Sodass wir kaum merken, wie sich ringsum die öffentlichen und privaten Sphären auflösen, weil es bereits zur Gewohnheit geworden ist: Das Zeitalter nicht des gläsernen, sondern des glasfaserigen Menschen hat begonnen.

 

2. Im Netz sammelt sich mehr Wissen an denn je – aber auch Unwissen, Irr- und Aberglauben. Umso wichtiger wird es, Meinungen und Tatsachen zu unterscheiden, die Dinge beim Namen zu nennen und die nackte Wahrheit ans Licht zu zerren. Ohne Rücksicht auf Empfindlichkeiten.

 

3. Gemeinschaften von Gleichgläubigen, die sich zunehmend online vernetzen, folgen einem archaischen Stammesverhalten. Am krassesten zeigt sich dies gegenüber dem Fremden, dem Andersartigen – und in der Sehnsucht nach Führerfiguren. Deshalb gilt es dringend, die demokratischen Freiheiten zu verteidigen.

 

4. Mit seinen Schlagzeilen, Schockbildern und Push/Pull-Nachrichten gibt das World Wide Web der Welt den Takt vor, 24/7. Entsprechend kurzsichtig und kurzatmig wird meist debattiert oder vielmehr: ventiliert. Denn der lange Atem und die lange Sicht erfordern unter diesen Umständen noch größere Anstrengungen als ohnehin.

 

5. Und je enger sich das Netz zieht, desto notwendiger wird es, einen Umgang damit zu finden. Da hilft es nichts, sich zu winden und zu wenden – wollen wir, dass es uns verbindet oder gefangen nimmt? Tatsächlich haben wir’s selbst in der Hand, auch wenn wir uns das immer wieder erst bewusst machen müssen.

 

Das Leitfeuer der Freiheit

 

Weshalb die Enthüllungen der Online-Über-wachung eine überfällige Debatte entfacht haben

 

Nur wer auf dem Schiffsweg nach New York reist und nach über einer Woche auf offnem Meer als Erstes sie sieht – sich im Morgengrauen stolz erhebend –, versteht die historische Strahlkraft der Freiheitsstatue. «Um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte», schrieb Franz Kafka Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Vorstellung eines Neuankömmlings im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Millionen von Einwanderern hat Lady Liberty damals so begrüsst. Und noch im Schatten der Wolkenkratzer inspirierte sie Künstler wie Warhol oder Hitchcock – der ganz oben von ihrer Fackel einen faschistischen Verräter ins Verderben stürzen liess … Allerdings soll es schon bei der Einweihung anno 1886 Stimmen gegeben haben, wonach dieses Feuer erst dann aufscheinen dürfte, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika wirklich frei seien. Stimmen, wie sie anlässlich des Unabhängigkeitstages vor einigen Jahren erneut laut wurden, als man die Freiheitsstatue nach einer kosmetischen Behandlung wiedereröffnete. Die USA? Schlimmer als ein Schurkenstaat – ein Spitzelstaat!

Ja, es rumort allenthalben seit den Enthüllungen der Internet- und Telefonüberwachung US-amerikanischer Geheimdienste. Denn auch wenn neben den Bürgerrechtlern viele Bürgerinnen und Bürger noch immer blauäugig («Jesses!») oder kaltschnäuzig («Jo mei!») reagieren: Die veröffentlichten Geheimdokumente haben ans Licht gebracht, was man dunkel geahnt hatte – und verdrängt. Nämlich die Auswüchse des Datensammelns samt dem Apparat dahinter … staatliche/halbstaatliche/privatwirtschaftliche Stellen kurzschliessend; sich automatisch-systematisch weitervernetzend; die Welt umspannend … Ungeheuerlich. Und dennoch: Bei näherer Betrachtung ist keineswegs so klar schwarz-weiss erkennbar, wer hier die «Guten» sind und wer die «Bösen». (Edward Snowden, Mr. Whistleblower himself, hat bekanntlich beim Ex-KGB-Offizier Putin Zuflucht gesucht.) Oder in den Worten seinerzeit von US-Präsident Obama zwischen Real- und Idealpolitik: «Man kann nicht hundertprozentige Sicherheit haben und zugleich hundertprozentige Privatsphäre und null Unannehmlichkeiten. Wir als Gesellschaft werden eine Wahl treffen müssen.» Womit wir alle angesprochen sind, gerade wir in den freiheitlichen Demokratien.

 

Wir haben die Wahl.

 

Die Herausforderung besteht darin, sich dies bewusst zu machen – an einem Ort und in einer Zeit, da «Freiheit» längst als geburtgegebene Selbstverständlichkeit erscheint (wie die «Freizeit» eben oder die «Freizügigkeit»). Dabei ist es nicht lange her, dass New Yorker Reporter mit Fäusten und Feuerwaffen – und der zaghaft Gestalt annehmenden Freiheitsstatue als Symbolfigur – für eine freie Presse kämpften; und dass die westlichen Industrienationen nach Jahrzehnten des Krieges und verbrannter Erde einen Siegeszug der Freiheit erlebten: vom freien Markt über die freie Liebe bis zum freien Personenverkehr. Die unbeabsichtigten Folgen dieser Triumphe treten freilich erst allmählich zutage. Insbesondere auch jene der Befreiung der Informationen durch die Medien, die Massenmedien zunächst, dann die Social Media. Tatsächlich hat die Digitalisierung zwei entgegengesetzte, sich gegenseitig verstärkende Trends entfesselt: einerseits das Streben nach totaler Transparenz, anderseits das Bedürfnis nach umso geschickterer Geheimhaltung. Beides zusammen wird die bestehende Gesellschaftsordnung vor eine Zerreissprobe stellen. Und entscheidend wird einmal mehr in der Geschichte die Frage sein: Beherrscht der Mensch die Technik oder umgekehrt? Und einmal mehr gilt – schon vergessen? –,

 

wir haben die Wahl.

 

«Das Geheimnis […] ist eine der grössten geistigen Errungenschaften der Menschheit», begann Georg Simmel seine «sozialpsychologische Skizze» von 1907. Keinesfalls wollte er damit die finstren Machenschaften früherer Regime rechtfertigen, die durch die Aufklärung endlich in den Bannstrahl der Öffentlichkeit gezerrt worden waren. Aber der Menschenkenner Simmel sah, dass es das (Vertrauens/Liebes/Macht-)Verhältnis zwischen zwei Individuen oder Gruppen charakterisiert, «ob und wie viel Geheimnis in ihm ist». Im Guten wie im Bösen. Mit Blick auf das moderne grossstädtische Leben mutmasste er gar, jedes menschliche Zusammensein bedürfe «eines gewissen Masses» an Geheimnis – bloss habe es sich nun ins Private zurückgezogen. Was Simmel nicht vorhersehen konnte: Im digitalen Zeitalter lösen sich die Grenzen zwischen privater und öffentlicher Sphäre zusehends auf. Das Private wird veröffentlicht, das Öffentliche privatisiert, und das Heimliche ist überall daheim, wenn sich verliebte Teenies ebenso wie unbeliebte Politiker – statt einem Tagebuch mit Schlösschen – Facebook anvertrauen mit bis zu 1,3 Milliarden «Freunden». So verflüchtigen sich durch den Cyberspace und die Handys als Fernbedienung jegliche sozialen Distanzen, indem sich allzeit alles mit allen teilen lässt. Freiwillig wohlgemerkt. Kein Wunder, ziehen immer mächtigere Datenwolken auf. Und bringen es mit sich, dass immer weniger Geheimnisse wasserdicht sind (seien es Bankverbindungen auf Servern, Diplomatenprotokolle auf WikiLeaks oder Amateurvideos auf youporn.com); und dass immer mehr Dienste – nebst den geheimen – die sogenannten Big Data anzapfen (vom Marketing- über den Personal- bis zum Gesundheitsbereich). Das heisst, diese Datenmassen, die wir fortlaufend mit unseren Smartphones, Tablets, Identitätskarten, Kreditkarten und Cumulus-Karten anhäufen, bilden zugleich das Kapital des Cyberbusiness sowie das Material des Cyberwar der Zukunft. Dafür müssen wir nicht nur ein Bewusstsein entwickeln, sondern auch Verantwortung übernehmen. Denn von wegen «Big Brother»-Totalitarismus – wir selbst sind es, die sich «Big Brother» anschauen. Und im Gegensatz zu den Bewohnern von Orwells vielbeschworenem Gedankenpolizeistaat sind wir so frei, das Programm zu wechseln:

 

Wir haben die Wahl.

 

Zugegeben, der Digitalisierung wird sich keiner verschliessen können. Und kaum einer wird es wollen. Vielmehr will man die neue Gamekonsole (die über Kameras und Mikros mit einem interagiert), man will die neue Virtual-Reality-Brille (die jeden Augenblick das On- ins Offline-Erlebnis integriert), und man will die 123-seitigen Nutzungsbestimmungen einfach wegklicken. Weil es den Homo sapiens von jeher drängt, seine angeborenen Sinne technisch zu erweitern – weiter und weiter hin zum gläsernen oder, wie sich heute abzeichnet, glasfaserigen Menschen, zum Cyborg: biometrisch vermessen, mittels GPS verortet, im World Wide Web verlinkt. Offen ist jedoch, welcher Raum für das Geheimnis bleibt. Das Amtsgeheimnis. Das Geschäftsgeheimnis. Das Pressegeheimnis. Das Beichtgeheimnis. Werden sie früher oder später ebenfalls der «nationalen Sicherheit» nach 9/11 geopfert, während Geheimagenten die kafkaesken Geheimurteile von Geheimgerichten vollstrecken? Oder werden digitale Updates etwa des Briefgeheimnisses gefordert, mit frei ersichtlichen Metadaten analog zur Kuvertbeschriftung und geschütztem Inhalt? Immerhin geht es um viel mehr als eine Sache des Rechts oder der Technik, um viel mehr als irgendwelche Firewalls, PINs oder Log-ins. Es geht – gemäss Simmel – ums «menschliche Zusammensein» an sich. Wäre es ohne gemeinsames Geheimnis überhaupt möglich? Wer weiss. Vielleicht würde entweder totales Vertrauen oder totales Misstrauen regieren, sobald Dinge nur noch in unseren Köpfen sicher wären … jenem vorerst letzten undurchschaubaren Geheimversteck.

 

Wir haben die Wahl, die freie Wahl.

 

An der Urne genauso wie an der Kasse oder am Handy. Genau darin liegt der weltweit strahlende Kern der Freiheit –