Inhalt

Vorwort
Auf schwankendem Grund
7

Prolog
Politische Interessen, ökonomische Gesetze und der Euro 13

Teil I: Die Eurokrise verstehen – ein Drama in sieben Akten 17

Missachtung des Maastrichter Vertrags: Die Kreditblase als erste Krisenstufe 17

Sind die Ökonomen schuld? Oder: Warum auch wir für Cristiano Ronaldo haften 29

Zweiter Akt: Selbstbedienung mit der Druckerpresse 39

Parlamente als Erfüllungsgehilfen der Europäischen Zentralbank 46

Hinter den Kulissen: Wie Deutschland ausgespielt wurde 54

Dritter Krisenakt: Der Kauf der Staatspapiere gegen das Votum der Bundesbank 71

Noch tiefer im Haftungsstrudel: Die Rettungsschirme EFSF und ESM – vierter Akt der Eurokrise 73

Das OMT-Programm der EZB – fünfter Akt des Dramas 76

Hoffnung: Die Grätsche des Bundesverfassungsgerichts in die Politik der EZB 82

Es kommt noch schlimmer – die Bankenunion als sechster Krisenakt 94

Siebter Akt: Eurobonds – ein Hauch von DDR und die Enteignung der Sparer 102

Wo stehen wir? Ist die Krise vorbei? 113

Teil II: Die Krise dauerhaft bewältigen – ein Sechs-Punkte-Programm 125

TOP 1 Alles auf den Tisch: Schuldenkonferenz und Schuldenschnitt 128

TOP 2 Das kleinere Übel: Schneller Austritt überschuldeter Länder aus der Eurozone 134

TOP 3 Eigenleistungen der Euro-Krisenländer: Pfänder und Vermögensabgaben 154

TOP 4 Die Neuordnung des EZB-Systems: Damit keine neuen Kreditblasen entstehen 156

TOP 5 Der »atmende Euro«: Feste Regeln für zukünftige Ein- und Austritte 164

TOP 6 Eine Konkursordnung für die Eurostaaten 165

Teil III: Europa nach vorn denken 167

Die Vereinigten Staaten von Europa: Ja, aber … 167

Eine Konföderation nach Schweizer Vorbild 182

Danksagung 191

Der Autor 193

Der Gesprächspartner von
­Hans-Werner Sinn 195

Vorwort
Auf schwankendem Grund

Die Eurokrise scheint überwunden zu sein. Deutschland jubelt über sprudelnde Steuereinnahmen, zunehmende Beschäftigung und Exportwachstum. Doch der Schein trügt. Denn anders, als es der öffentliche Jubel glauben machen will, ist die Eurokrise keinesfalls überwunden. Im Gegenteil: Sie schwelt weiter und vernichtet sowohl die Lebenschancen der jungen Menschen in den südeuropäischen Krisenländern als auch einen erheblichen Teil des Wohlstands der Deutschen.

Die Massenarbeitslosigkeit in Südeuropa ist ungebrochen. In Spanien, Griechenland und Italien liegt die Industrieproduktion auf Katastrophenniveau, weil diese Länder im Euro gefangen sind und ihnen der Weg zu einer Währungsabwertung verwehrt ist. Frankreich, der Hauptlieferant und Hauptgläubiger der Südländer, ist angeschlagen. Und Deutschland ist wie noch einige andere Länder Nordeuropas in einer Haftungsspirale gefangen, weil es die Investoren aus aller Welt, die ihr Geld in den Südstaaten angelegt haben, mit immer mehr Rettungsversprechen ablösen muss.

Der Koordinator der Rettungsaktionen ist die Europäische Zentralbank (EZB). Sie nimmt die deutschen Steuerzahler ungefragt in die Haftung und geht mit großzügigen Regionalkrediten an die südeuropäischen Staaten in Vorlage, die den Deutschen Bundestag und die deutsche Regierung anschließend vor fast alternativlose Entscheidungssituationen stellen. Nicht nur das deutsche Verfassungsgericht ist der Meinung, dass sich die EZB Macht angemaßt hat, die ihr nicht zusteht, und dass die EZB die Parlamente Europas zu Erfüllungsgehilfen degradiert hat.

Mit der ihm eigenen Mischung aus Kompetenz, Prägnanz und Streitbarkeit zeichnet Hans-Werner Sinn in diesem Buch die allmähliche Eskalation der Eurokrise nach: vom Unterlaufen des Maastrichter Vertrags über die Euro-Rettungsschirme und die ausufernde Politik der EZB bis hin zu Bankenunion und drohenden Eurobonds.

Dabei ist Sinn mehr denn je die Stimme der ökonomischen Vernunft in der europäischen Finanzkrise. Er macht deutlich: Wir dürfen uns von öffentlichen Beschwichtigungen der Politiker und EZB-Repräsentanten nicht beirren lassen. Denn wir sind schon jetzt tief versunken im Euro-Haftungsstrudel, in den wir uns durch falsche Versprechen haben hineinziehen lassen. Schon jetzt sind wir immense, kaum mehr rückgängig zu machende Verpflichtungen gegenüber den wettbewerbsschwachen südeuropäischen Krisenländern eingegangen.

Spannend wie in einem Krimi erklärt Sinn nicht nur komplexeste Zusammenhänge. Er berichtet, selbst leidenschaftlicher Europäer, erstmals auch von Geschichten hinter den Kulissen, etwa wie Deutschlands Widerstand bei Verhandlungen überwunden wurde oder wie es zu den Rücktritten der von ihm geschätzten Axel Weber, ehemals Chef der Deutschen Bundesbank, Jürgen Stark, ehemals EZB-Chefvolkswirt, und Bundespräsident Horst Köhler kam.

Hans-Werner Sinn zeigt: Wir bewegen uns auf gefährlich schwankendem Grund, und den Preis für diese Situation werden Arbeitnehmer, Rentner und Hartz-IV-Empfänger und die folgenden Generationen zu zahlen haben – auch wenn das die Politiker nicht offen zugeben.

Doch Sinn bleibt nicht bei der Dynamik der Eurokrise stehen. Mit Vehemenz fordert er in den Konturen eines Sechs-Punkte-Programms eine Änderung der Euro-Krisenpolitik, die ein Ende macht mit der Vergemeinschaftung der täglich weiter wachsenden Schulden zugunsten der internationalen Investoren, die ihr in Südeuropa investiertes Geld von den Steuerzahlern der noch gesunden Länder Europas zurückbekommen wollen. Besonders betont er dabei eine notwendige Reform der Europäischen Zentralbank. Seine zentrale Forderung ist, den Krisenländern die Möglichkeit zu nehmen, sich das Geld zu drucken, das sie sich auf den Kapitalmärkten nicht mehr zu günstigen Konditionen leihen können.

Unterstützung für einen radikalen Kurswechsel in der Euro-Krisenpolitik erhielt Sinn auch durch das Bundesverfassungsgericht, mit dessen Kritik an der EZB-Politik er sich intensiv auseinandersetzt. Er ruft die Bundesregierung auf, das Verdikt über die EZB-Politik ernst zu nehmen und nun aktiv dagegen vorzugehen, wie es das Gericht verlangt.

Sinn wäre nicht Sinn, wenn er nicht einen Ausweg aus der Krise formulieren würde, um die den innereuropäischen Frieden bedrohende »Gefangenschaft im Euro« zu überwinden. Einerseits plädiert er dafür, die jetzige Krise durch eine europäische Schuldenkonferenz zu lösen, die die überschuldeten Länder von einem Teil ihrer nicht mehr tragbaren Schulden befreit, sowie einigen südeuropäischen Ländern den Weg zu einem temporären Austritt aus dem Euro nebst Währungsabwertung zu ebnen. Dabei formuliert er das Leitbild des »atmenden Euro«, eines Systems, in das man nicht nur eintreten, sondern aus dem man auch austreten kann. Andererseits fordert Sinn perspektivisch eine »Europäische Konföderation« nach Schweizer Vorbild als unabdingbare Voraussetzung für weitere Vergemeinschaftungsaktionen. Diese Konföderation sollte nicht auf die heutigen Eurostaaten beschränkt sein, sondern auch die ost- und nordeuropäischen Staaten umfassen. Frankreich, das er als Hauptprofiteur der Rettungsaktionen sieht, drängt er, dazu nun endlich Farbe zu bekennen und seine massiven Vorbehalte gegen eine weitere politische europäische Integration aufzugeben. Bundeskanzlerin Merkel fordert er auf, die Entwicklung einer konkreten neuen europäischen Vision federführend voranzutreiben, um die Krise durch beherzte Schritte zu überwinden und Europa wieder ein neues, nach vorn gerichtetes Ziel zu geben.

Dieses kompakte Buch ist kein im engeren Sinne wissenschaftliches Werk, sondern auf eine ganz andere Art und Weise fundiert, kämpferisch und persönlich zugleich. Wie schon der vor einem Jahr erschienene Bestseller Verspielt nicht eure Zukunft, der sich mit den ökonomischen Zukunftsfragen Deutschlands jenseits der Eurokrise beschäftigte, ist es das Ergebnis mehrerer längerer Gespräche, die ich mit dem Autor seit dem Winter 2012/2013 über mehr als ein Jahr immer wieder habe führen dürfen. Diese interviewhaften Gespräche hatten den Vorteil, dass sie den Leser, vertreten durch mich, dort abholten, wo er sich gedanklich befinden könnte. Im Anschluss gab es eine Niederschrift, in der Themen geordnet wurden, und danach wurde der Text im Wechselspiel mit dem Autor mehrfach gründlich überarbeitet und ergänzt. Auf diese Weise blieb einerseits die Dynamik und emotionale Lebendigkeit des persönlichen Gesprächs erhalten, andererseits konnten zugleich die ökonomischen Argumente noch sorgfältiger herausgearbeitet werden.

Wie immer gilt: Hans-Werner Sinn vertritt in diesem Buch teils unbequeme Standpunkte und bezieht Position für das aus seiner Sicht ökonomisch und deswegen letztlich auch politisch Richtige. Und doch ist er kein Mitglied einer politischen Partei und als Professor der Ludwig-Maximilians-Universität München und Präsident einer staatlich geförderten Forschungseinrichtung, des ifo Instituts, unabhängig und keinen wirtschaftlichen Einzelinteressen verpflichtet. Er äußert sich als Wissenschaftler und als engagierter Bürger, dem das Schicksal Europas und seiner Menschen am Herzen liegt.

»Wir sind gefangen im Euro und in der Euro-Rettungsmaschinerie«, ruft uns Hans-Werner Sinn zu: fachlich exakt auf den Punkt gebracht und verfasst mit dem leidenschaftlichen Willen zu Aufklärung und Einmischung. »Viel Kapital, das uns einmal gehörte, wurde schon verbrannt. Südeuropa versinkt in einer Massenarbeitslosigkeit. Nur mit einer beherzten Politik, die aufhört, die ökonomischen Gesetze zu missachten, können wir das europäische Einigungswerk retten und eine neue Perspektive für unsere Nachbarn und uns selbst eröffnen. Die brauchen wir unbedingt.«

Jens Schadendorf

Co-Herausgeber der Edition Debatte

München, im März 2014

Prolog –
Politische Interessen, ökonomische Gesetze und der Euro

Herr Sinn, Sie sind einerseits forschender Wirtschaftswissenschaftler. Andererseits wollen Sie die Öffentlichkeit aufklären, nicht selten mit Kampfgeist. Gerade in Sachen Euro reiben Sie sich noch heftiger als sonst an der Politik …

Ja. Und das hat mit unterschiedlichen Ansprüchen und Sichtweisen zu tun. Denn es gibt politische Wahrheiten und wirkliche Wahrheiten. Politische Wahrheiten entstehen, indem hinreichend viele Politiker sie einander erzählen, bis sie selbst, die Medien und die Menschen sie glauben. Wirkliche Wahrheiten folgen aus statistischen Fakten sowie ökonomischen und naturwissenschaftlichen Gesetzen. Ich werde als Wirtschaftswissenschaftler von den Bürgern dafür bezahlt, dass ich die wirklichen Wahrheiten zu finden versuche. Die Vorstellung von der Existenz einer wirklichen Wahrheit, die sich nicht an dem orientiert, was in der Mediendemokratie mehrheitsfähig ist, mag manch einer für naiv halten. Aber davon gehen alle Wissenschaften aus.

Die Existenz wirtschaftswissenschaftlicher Wahrheiten wird häufig in Zweifel gezogen, weil sich die Wirtschaftswissenschaft mit der Politik beschäftigt und Antworten gibt, die mit Ideologien und bloßen Werturteilen konkurrieren. Es gehört aber zum Selbstverständnis einen Volkswirts, dass er sich davon, soweit es geht, freimacht. Dass anders denkende Politiker und Journalisten ihn trotzdem ideologisch verorten wollen, ist sein Schicksal. Das muss er hinnehmen, weil es sich nicht ändern lässt.

Seit es unser Fach gibt, steht es im Konflikt zwischen dem sogenannten Primat der Politik und den Gesetzen der Ökonomie. Nicht nur der Fall des Eisernen Vorhangs hat mich davon überzeugt, dass die Gesetze der Ökonomie sich letztlich durchsetzen werden. Mittel- bis langfristig ist keine Wirtschaftspolitik erfolgreich, die diesen Gesetzen widerspricht. Sie scheitert – auch wenn uns Politiker gern anderes glauben machen möchten, um wirtschaftliche Probleme in spätere Wahlperioden zu verschieben. So, wie das seit Jahrzehnten bei der Rente geschieht.

In Diktaturen kann es viele Jahrzehnte dauern, bis sich die Wahrheit durchsetzt, in Demokratien viele Jahre. Politiker, die die ökonomischen Gesetze missachten, mögen ein oder zwei Legislaturperioden damit durchkommen, doch irgendwann kommt es an den Tag, dass etwas falsch läuft. Dann kommen neue Politiker an die Macht und betreiben die Wende oder die Wende von der Wende. Es gibt Parteien, die sich dem Druck der Wähler nicht beugen, weil die Altvorderen, die ursprünglich die Fehlentscheidungen trafen, im Hintergrund aktiv bleiben und den Kurswechsel verhindern. Solche Parteien gehen auch schon mal unter und werden durch andere ersetzt. Oder sie werden so geschwächt, dass sie stark an Einfluss verlieren.

Und beim Euro?

Auch beim Euro zeigen sich die ökonomischen Gesetze unerbittlich. Kurzfristig – nach seiner Einführung – sah alles bestens aus. Aber nun zeigt sich, dass er Europa in eine ökonomische Zwickmühle gebracht hat, aus der es keinen leichten Ausweg mehr gibt. Exzessive Kreditflüsse haben die Länder Südeuropas in die Inflation getrieben und ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubt. Ohne Euro-Austritt kämen diese Länder nur dann aus ihrer Misere wieder heraus, wenn sie eine lange Phase der Stagnation und Deflation akzeptierten, die die Inflation wieder neutralisiert. Während einer solchen Phase herrscht indes eine Massenarbeitslosigkeit, an der die Gesellschaft zerbrechen kann. Diese Gefahr sollte man nicht unterschätzen. Wird aber versucht, die Massenarbeitslosigkeit durch nachfragestimulierende Maßnahmen abzumildern – etwa durch schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme –, dann entsteht ein chronisches Siechtum, weil die Deflation nicht stattfindet und sich die Wettbewerbsfähigkeit nicht verbessert. Genau das zeichnet sich ab. Die Länder Südeuropas sind im Euro gefangen, weil der Austritt als politisches Unglück deklariert wird und sie im Euro nur dann wieder wettbewerbsfähig werden, wenn sie zuvor eine lang währende Massenarbeitslosigkeit erdulden, die weit über das hinausgeht, was man von Tiefpunkten in konjunkturellen Zyklen kennt. Das ist eine fast ausweglose Situation.

Und wir Deutschen? Sind wir durch die ökonomischen Gesetze nicht auch im Euro gefangen?

Ja, aber anders. Wir sind in eine Situation geraten, in der man von uns fordert, durch immer mehr öffentlichen Kredit und immer mehr Kreditgarantien über die Europäische Zentralbank und die Rettungsfonds die zerstörte Wettbewerbsfähigkeit der südlichen Länder zu kompensieren. Uns scheint es zwar gut zu gehen, weil die Kapitalexporte aus Deutschland heraus den Eurokurs niedrig und Krisenländer liquide halten, sodass unser Güterexport ganz gut läuft. Aber der Schein trügt insofern, als es uns letztlich nicht gelungen ist, für die Exporte ein hinreichend solides und ertragreiches Auslandsvermögen aufzubauen. Zu Hause haben wir nicht mehr genug investiert, und die Auslandsinvestitionen erwiesen sich, soweit sie finanzieller Art waren und über unsere Banken und Lebensversicherungen flossen, als Flop. Um es auf eine Kurzformel zu bringen: Wir haben genug Arbeit, doch das Vermögen geht verloren. Uns geht es also nur scheinbar gut. Das wird in den nächsten zwei Jahrzehnten jedermann klar werden, nämlich dann, wenn die Babyboomer, die jetzt 50 sind, ins Rentenalter kommen und von ihren mittlerweile erwachsenen Kindern ernährt werden wollen, von denen es nur wenige gibt, und sich das vermeintliche Auslandsvermögen unserer Banken und Versicherungen in Luft aufgelöst hat.

Doch damit nicht genug: Auf der zwischenstaatlichen Ebene hat die Krise Spannungen hervorgebracht, wie wir sie in Europa – abgesehen vom Ost-West-Konflikt – seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr erlebt haben. Und das paradoxerweise als Ergebnis eines politischen Friedensprojektes! Helmut Kohl hat den Euro ja nicht ökonomisch begründet, sondern als großes europäisches Friedensprojekt. Er war kein Ökonom, und er hörte auch wenig auf ökonomische Argumente. Die Folgen erleiden wir heute und noch stärker in der Zukunft.

Gerade beim Euro sehen wir also: Die Politik kann nicht auf Dauer gegen die ökonomischen Gesetze funktionieren. Die Geschichte hat gezeigt, dass sich die ökonomischen Gesetze letztlich durchsetzen – es sei denn, es kommt zu politischen Megaereignissen, wie es z. B. Kriege sind. Aber ohne solche Eruptionen setzen sich die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten durch. Das gilt auch für den Euro und die Eurorettungspolitik. Je länger diese Politik versucht, die Gesetze der Ökonomie zu ignorieren – und das tut sie derzeit immer noch –, desto mehr müssen künftige Generationen dafür bezahlen.