UWE
STEIMLE

NEUES VON
MARTIN LUTHER

UNTER MITARBEIT
VON MICHAEL SEIDEL

GÜTERSLOHER VERLAGSHAUS

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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Umschlaggestaltung: Gütersloher Verlagshaus

Bilder Innenteil: Pfeifer, Uwe, Tagtraum © VG Bild-Kunst, Bonn 2016;

Pfeifer, Uwe, Tischgespräch mit Luther © VG Bild-Kunst, Bonn 2016;

alle anderen Fotos Michael Seidel.

ISBN 978-3-641-16634-2
V003

www.gtvh.de

Meine Kirche ist der Mensch.

Meine Religion ist der Zweifel.

Uwe Steimle

Psalm 97, Demut

Inhalt

Ein Buch über Luther?

Kanzelrede von Uwe Steimle in der Wittenberger Stadtkirche am 14.06.2015

(Wortprotokoll mit sächsischen Einlagen –
zum Bild »Im Weinberg des Herrn«)

THESE 96

Flutschen musses

Die Glocke

Die älteste aktive Tanzlehrerin Frau Gisela Weser

Frau Dorle aus Gommlo

Uwe Pfeifer

THESE 97

Demut

These, Hypothese

Als Martin ein kleiner Junge war

Heinz Plank

Weltliches Scheitern

Luthers Oktoberfest. Eine These

THESE 98

Kein Getue, kein Gemache

Flagge zeigen

Punkt, Punkt, Komma, Strich

16. Mai, Kartoffelbrei! Ein Gespräch im Lutherhof

Uwe Steimle trifft Friedrich Schorlemmer

THESE 99

Luther würde Wartburg fahren

»Für meine Deutschen bin ich geboren, ihnen will ich dienen.«

Martin Luther

Mir san Mir

Budinbulwer

Ein Esel packt aus

Ein Gespräch mit Martin Sancho Güldenberg,
Vorsitzender der DEGW

Für unsere ProtesTanten Angela und Joachim

Sozialistischer Biedermeier, Kurt Bartsch

THESE 100

Hungrig bleiben im Geist

Dank

Ein Buch über Luther?

Was ist Ihnen noch nicht bekannt über Deutschlands Glaubensumwälzer Nr. 1? Wer kennt sie nicht, die 95 Thesen zu Wittenberg an die Schlosskirche geschlagen? Na also. Der Nagel soll noch existieren! Also ich frage genauer: Wer kennt die 95 Thesen? Und was steht drin? Nennen Sie eine These. Nur eine, bitte!

------------------ Ich auch.

Aber Luther, den kennt man natürlich, den Mann, der einstmals hungrig auszog, dem Glauben, dem falschen, das Fürchten zu lehren. Mit Luther, so mein Gefühl, ist es wie mit der Demokratie. Je mehr darüber gelabert wird, umso hohler wird die ganze Angelegenheit. 500 Jahre Luther und kein Ende. Reformation, Bestandsaufnahme, glauben wir, und wenn ja, wie viele und was kostet uns das? »Das Einzige, woran ich glaube, ist, dass ein Pfund Rindfleisch eine gute Brühe gibt«, sagte schon meine Oma aus Übigau, und die war volksfromm, also durch Luthers Schule gestolpert. 1973 brachte sie mir den Glauben bei, abrechenbar, konkret und vor allem sattmachend. Wenn das kein Beweis ist für gelebten Glauben. Heut wird ja oft behauptet, der Glaube ginge verloren. Sachsen, überhaupt der Osten wäre eine einzige gottlose Wüstenei, geschehen durch die 40-jährige SED-Diktatur, die eigentlich noch schlimmer war als die Hitler-Nazizeit …

Ach Gottchen. Da wird wieder Geschichte auf den neuesten Stand der Lüge gebracht. Nie war Gott näher, unmittelbarer und direkter präsent als heute und gestern in Deutsch Nahost. Freundlichkeit gegenüber Jedermann, unverstelltes Auftreten, Respektlosigkeit gegenüber der Obrigkeit, sowie Dialekt und ein mit Witz und Charme gelebter Heimatstolz als Anker. Das erlebe ich als lebendigen Beweis für die Präsenz Gottes auf Erden in Sachsen.

Beweise – keine Thesen.

Die sieben Lebensfreuden, gerade aufgezählt, nicht Todsünden. So versteh ich meinen Luther. Weltgewandt, unangepasst und unbedingt Jasagend zum Leben, gilt doch auch heute noch das Pflanzen eines Apfelbäumchens als ultimativer Hoffnungsgruß für Gott, Mutter Erde eingeschlossen. Erinnern wir uns, wie alles begann …

Im zarten Alter von sieben Jahren ermahnte Luthers Mutter den Martin, der am Küchentisch biblische Kreuzworträtsel zu lösen versuchte: »Martin, nu hör off mit dösen«: Dösen, dies sollte später auch sein Zauberwort werden, denn in dem festzuhalten bleibt: Ohne Dösen keine Thesen. (In sächsischer Schreibschrift so: Ohne Dösen keine Desen, gesprochen sächsisch ebenso.) Dass beide Worte so schön dicht neben einander liegen, fast einträchtig, hat Ursachen, wie der Sachse zu sagen pflegt, Verzeihung, versteht. Ohne die wissenschaftlich technische Revolution in Form des Buchdruckes hätte sich der neue alte Glaube doch gar nicht so rasant verbreiten können. Ohne Technik kein Glauben, ohne Fortschritt kein Selbstbewusstsein. Und nichts Anderes meint Martin, der eben doch kein Falschmüntzer war. Sein fast ohnmächtiges Bekenntnis: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders«, macht mich auch heute noch demütig staunend. Im Angesicht eines nahenden Todes, aufs Rad geflochten wurde damals schnell. Knochenknacken galt als Teufelsaustreibung, ja es stand nicht nur beim Bauernhaufen auf der Agenda. 1525 musste selbst Thomas Müntzer daran glauben. Was ich damit zum Ausdruck bringen will? Unerschütterlicher Glaube an die Versöhnbarkeit der Welt, das lehrt mich Luther heute. Sein Leben in die Waagschale werfen, ehrlichen Herzens mit heiligem Zorn und dennoch Zweifler bleiben, dies ist mir sehr nah. Deshalb reisen »Wir« vom MDR durch unser Heimatland. Wir hoffen Menschen im Alltag zu begegnen, die Luthers Botschaft leben. »Kee Getue, kee Gemache.« Dies würde hoffentlich auch Martin unterschreiben. Der Herr zeigt sich dort, wo wir ihn am wenigsten vermuten, das glaube ich fest. Übrigens lautet meine »Dese«: Im Rückzug, im Besinnen, dem Kontemplativen, da ist er zu Haus. Und wer es nicht fühlt, wie soll dem geholfen werden? Glauben heißt nicht wissen … So lehrte einst der marxistische Murks in der Schule, der Polytechnischen. Heute, als reifer Apfel am Lutherischen Bäumchen, möchte ich zweifelnd ausrufen und zwar still: Ja, glauben heißt nicht wissen, »Gott sei Dank«! Und neben mir liegt Kater Karli und schnurrt gerade zu und aus. Stimmt.

Nun aber erst einmal meine »Desen«:

Dösen ist sanftes Innehalten, im geistlichen Wiegeschritt, ohne absichtsvoll handeln zu wollen, so die alttestamentarische, wörtliche Übersetzung aus fernen Tagen.