PAARTHERAPIE
für zu Hause
PAARTHERAPIE
für zu Hause
Das Workbook, um Beziehungskonflikte zu lösen und wieder miteinander glücklich zu werden
Originalausgabe
1. Auflage 2022
© 2022 by Yes Publishing – Pascale Breitenstein & Oliver Kuhn GbR
Türkenstraße 89, 80799 München
info@yes-publishing.de
Alle Rechte vorbehalten.
Redaktion: Mihirican Özdem
Umschlaggestaltung: Ivan Kurylenko (hortasar covers)
Layout und Satz: Müjde Puzziferri, MP Medien, München
eBook: ePUBoo.com
ISBN Print 978-3-96905-151-1
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96905-152-8
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96905-153-5
Willkommen zur Paartherapie!
Vorwort: Wie deine Paartherapie für zu Hause funktioniert
TEIL 1
REFLEXION – PARTNERSCHAFT VERSTEHEN
1. Wo steht deine Beziehung gerade?
2. Was denkst du über Beziehungen?
3. Die verschiedenen Beziehungsbereiche
4. Die Wunderfrage: Was soll sich verändern?
TEIL 2
HALTUNG – PARTNERSCHAFT ENTWICKELN
5. Richte deinen Fokus auf das Gute
6. Grundsätze der paartherapeutischen Arbeit
7. Erlerne die Prinzipien erfüllter Partnerschaft
TEIL 3
ANWENDUNG – PARTNERSCHAFT GESTALTEN
8. Kommunikation
9. Konflikte und Streitkultur
10. Vertrauen und Eifersucht
11. Sexualität und Intimität
12. Akzeptanz und Respekt – Wahrnehmung und Aufmerksamkeit
13. Alltag und Begegnung – Zeit und Gemeinsamkeit
14. Aufarbeitung und Entwicklung
TEIL 4
VERTIEFUNG – PARTNERSCHAFT LANGFRISTIG MEISTERN
15. Reflexion: Veränderungen in meiner Beziehung
Abschließende Impulse und Gedanken
Wie schön, dass du hier bist!
Wie schön, dass du eine glückliche und erfüllte Beziehung führen möchtest.
In diesem Buch werde ich dich dabei begleiten.
Gemeinsam erarbeiten wir deine Ziele, setzen uns mit deinen Wünschen und Bedürfnissen auseinander, reflektieren, was deine Partnerschaft gerade braucht, und erarbeiten Techniken und Strategien, die dir dabei helfen, eine Partnerschaft nach deinen Wünschen zu gestalten.
Als Psychologin und Online-Paartherapeutin arbeite ich täglich mit Paaren, die genau diesen Wunsch hegen: glücklich und erfüllt in ihrer Partnerschaft zu sein.
In diesem Buch werde ich all mein Wissen aus der Paartherapie-Praxis mit dir teilen. Ich werde dich Schritt für Schritt durch die Prozesse leiten und dich dabei unterstützen. Die Aufgaben, die dir in diesem Buch begegnen, dienen der Reflexion und der Entwicklung deiner Beziehung.
Nimm dir Zeit für die Arbeit mit diesem Buch!
Einige Kapitel und Übungen werden dir leichter fallen als andere. Einige werden mehr Spaß machen, andere dich mehr fordern. Bleibe dran! Mache dieses Buch zu deiner Routine. Mache die Arbeit an deiner Partnerschaft zu deinem Projekt, setze den Fokus darauf.
Vielleicht bearbeitest du dieses Buch gemeinsam mit deinem Partner oder deiner Partnerin und ihr tauscht eure Erkenntnisse aus den einzelnen Kapiteln direkt miteinander aus. Vielleicht arbeitest du vorerst allein an den Inhalten – auch das ist möglich. Das Buch unterstützt dich dabei, eine erfüllte Partnerschaft zu führen und der Partner oder die Partnerin zu werden, die du gern sein möchtest. Jede Übung, jeder Impuls und jede Minute, die du mit diesem Buch verbringst, wird einen Effekt haben.
Nicht alle Kapitel werden für dich relevant sein: Du kannst einzelne Kapitel überspringen oder das Buch von vorne bis hinten durcharbeiten. Es gibt kein falsches Vorgehen. Entscheide intuitiv, wie die Arbeit mit diesem Buch dir am besten dient.
Und falls du einmal nicht weiterkommst: Mache eine Pause. Probiere es am nächsten Tag erneut. Überspringe eine Übung und komme einige Tage später auf sie zurück. Aber bleibe dran. Für dich und deine Traumbeziehung – weil du es verdienst und weil es für dich möglich ist!
Ich freue mich auf alles, was wir in diesem Buch zusammen erleben werden!
Alles Gute für dich!
Deine Linda Mitterweger
Die Arbeit mit diesem Buch basiert auf der Haltung, den Grundlagen, Methoden und Interventionen der systemischen Therapie und Beratung sowie all den Erkenntnissen und Erfahrungen, die ich in den letzten Jahren in der praktischen Arbeit mit Paaren und Einzelpersonen im Beziehungskontext in meiner Online-Paartherapie-Praxis machen durfte.
Die Arbeit mit diesem Buch kann dir dabei helfen, wieder mit deinem Partner oder deiner Partnerin in Kontakt zu kommen. Sie fördert das gegenseitige Verständnis, die Verbindung, die Toleranz und den achtsamen Umgang miteinander.
In der Paartherapie bedeutet das: sich selbst gut kennenlernen, die eigenen Erfahrungen und Einstellungen reflektieren, sich mit dem Partner über die Erkenntnisse austauschen und sich öffnen für die Erfahrungen und Erkenntnisse des Partners.
Durch diesen Prozess werdet ihr Schritt für Schritt begleitet.
Ich freue mich, dass du dich darauf einlässt!
Die systemische Arbeit richtet sich an alle Menschen, die in Beziehung zu anderen Menschen stehen. Deshalb ist dieses Buch geeignet für Einzelpersonen und Paare aller Ethnien und jeder sexuellen Orientierung und Beziehungskonstellation. In der systemischen Arbeit betrachten wir Menschen als Individuen mit einer einzigartigen Kombination an Erfahrungen, Wünschen und Bedürfnissen. Die Arbeit mit diesem Buch steht also allen Personen offen, die ihre Partnerschaft erfüllt leben, weiterentwickeln und gestalten wollen – um eine Beziehung zu leben, die sie aus tiefstem Herzen heraus erfüllt und bereichert.
Für eine gendergerechte Schreibung des Textes habe ich mich entschieden, möglichst genderneutrale Begriffe wie »Menschen«, »das Gegenüber« zu gebrauchen. In einem Buch über Paartherapie fällt es allerdings schwer, das Wort »Partner« zu vermeiden. So habe ich in diesen Fällen die männliche und weibliche Form gewählt: Partner und Partnerin. Damit spreche ich nicht nur Frauen und Männer an, sondern auch Menschen, die sich weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Es ist mir bewusst, dass auch das »Mitmeinen« von Menschen keine ideale Lösung ist, doch soll der Text noch lesbar bleiben. Aus gleichem Grund wähle ich beispielsweise in Sätzen mit zahlreichen Personalpronomen oder in Titeln nur das eine oder andere Geschlecht beziehungsweise wähle das Personalpronomen des letztgenannten Geschlechts.
Im ersten Schritt werden wir reflektieren, was du in deinem Leben über Beziehungen gelernt und erfahren hast, was du dir in einer Partnerschaft wünschst und was sich in deiner Beziehung noch verändern darf.
Nach dieser ausführlichen Reflexion werden wir uns Schritt für Schritt die einzelnen Beziehungsbereiche ansehen und deine Ziele für die jeweiligen Bereiche festlegen. Du erhältst psychologisches und paartherapeutisches Wissen zu den Bereichen sowie konkrete Übungen und Aufgaben, die dir dabei helfen, die Beziehungsqualität der einzelnen Beziehungsbereiche zu verändern.
Manchmal erzählen mir Paare in der Beratungssitzung, dass sie bestimmte destruktive Verhaltensweisen nur ihrem Partner oder ihrer Partnerin gegenüber zeigen. Dass sie eigentlich nicht so richtig wissen, woher dieses Verhalten kommt, und sich selbst fast nicht wiedererkennen in der Art, wie sie sich ihrem Partner gegenüber verhalten.
Eine Grundannahme der systemischen Arbeit besteht darin, dass Menschen Kontextpersönlichkeiten sind. Das bedeutet, dass sich unser Verhalten dem Kontext anpasst – den Menschen, mit denen wir gerade zu tun haben. Sicherlich bemerkst auch du, dass du dich deinem Partner gegenüber anders verhältst als gegenüber deinen Eltern, deinen Kindern oder deinen Arbeitskollegen. Wir sind in unserem Leben Teil vieler verschiedener Gruppen und übernehmen so in verschiedenen Kontexten verschiedene Rollen. Diese unterschiedlichen Kontexte werden in der systemischen Arbeit als Systeme bezeichnet. Jeder Mensch ist gleichzeitig Teil ganz unterschiedlicher Systeme: Die Partnerschaft ist ein in sich geschlossenes System, ebenso unsere frei gewählte Kernfamilie, die Herkunftsfamilie, das berufliche Team, die Nachbarschaft, der Sportverein. In jedem dieser Systeme gelten eigene ausgesprochene und unausgesprochene Regeln, die die Mitglieder des Systems kennen müssen. In jedem System gibt es Wechselwirkungen zwischen den Mitgliedern, die unser Erleben und Verhalten maßgeblich bestimmen. So werden in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Erwartungen an uns gestellt: Unser Chef erwartet ein anderes Verhalten von uns als der Partner. Wir sind verschieden stark emotional involviert, bestimmte Lebensbereiche sind uns wichtiger als andere. In den verschiedenen Bereichen unseres Lebens haben wir unterschiedliche Erfahrungen gemacht und deshalb auch verschiedene Schlüsse gezogen. Wir verhalten uns niemals in zwei Lebensbereichen vollkommen gleich und das ist gut so und richtig.
In der systemischen Arbeit fokussieren wir uns darauf, die Wechselwirkungen zu erkennen, die in unseren verschiedenen sozialen Beziehungen stattfinden, und sie sichtbar zu machen. So können wir ein besseres Verständnis füreinander entwickeln und Lösungen finden für die Herausforderungen, die sich uns in den unterschiedlichen Lebensbereichen bieten. Denn die systemische Arbeit geht davon aus, dass wir alles, was wir zur Lösung benötigen, bereits in uns tragen.
Und doch sind Menschen unterschiedlich, ganz egal, wie gut sie sich kennen. So kann es zum Beispiel sein, dass ein Verhalten unseres Gegenübers von außen betrachtet wenig einfühlsam erscheint. Doch aus der Sicht dieser Person ist genau dieses Verhalten sehr angemessen und konstruktiv. Denn jeder Mensch verfügt über eine eigene innere Landkarte. Auf dieser Landkarte sind alle bisherigen Erfahrungen und die Lehren und Glaubenssätze aus diesen Erfahrungen gespeichert. Deshalb ist es möglich, dass die gleiche Situation auf zwei Menschen mit unterschiedlichen inneren Landkarten völlig anders wirkt und das Verhalten des Gegenübers deplatziert erscheint.
In der systemischen Arbeit geht es unter anderem darum, die Personen in einer Partnerschaft miteinander in Kontakt zu bringen über ihre individuelle Wahrnehmung und das eigene Erleben. Durch Reflexion und Austausch können Teile der inneren Landkarte sichtbar gemacht werden und so kann mehr Verständnis füreinander entstehen. Zudem können Lösungen gefunden werden, die sich für beide Personen stimmig und konstruktiv anfühlen.
Für die gesamte Arbeit mit diesem Buch gilt: Nutze, was dir hilft. Wenn etwas gut für dich funktioniert, mach mehr davon. Und wenn dir etwas nicht hilft, lass es sein. Nicht alles, was in diesem Buch geschrieben steht, ist für dich wichtig und richtig. Du darfst dieses Buch als Angebot verstehen und den Fokus auf all die Impulse, Übungen und Erkenntnisse lenken, die dich dabei unterstützen, zukünftig eine bessere Beziehung zu führen.
Vielleicht stellst du dir im Vorfeld die Frage: »Was kann ich neben der Arbeit mit dem Buch konkret tun, um größtmögliche Erfolge zu erzielen?« Einen Satz gebe ich in der Paartherapie fast jedem Paar mit:
Die eigentliche Arbeit passiert zwischen den Sitzungen!
Und das gilt genauso für die Arbeit mit diesem Buch. Hier erhältst du Input – psychologisches Wissen und Erkenntnisse aus der Paartherapie, Reflexionsfragen, Aufgaben und Übungen. Diese Inhalte helfen dir dabei, Klarheit zu bekommen, was du erreichen möchtest. Sie werden dir helfen, zu verstehen, weshalb manches in deiner Partnerschaft ist, wie es gerade ist. Du wirst lernen, Bereiche deiner Beziehung zu verändern und neue Erfahrungen zu machen. Der langfristige Erfolg steht und fällt jedoch damit, inwieweit du die Inhalte aus diesem Buch in deinem Beziehungsalltag anwendest.
Wir alle neigen dazu, in bekannten Strukturen zu verharren. Nicht, weil diese Strukturen das bestmögliche Ergebnis in unser Leben und unsere Beziehung bringen, sondern ganz einfach, weil wir an die alten Strukturen gewöhnt sind. Es fällt uns leicht, alles so zu machen wie immer.
Die wichtigste Strategie des menschlichen Organismus lautet: überleben. Sie lautet nicht glücklich sein, Erfüllung finden oder die Traumbeziehung leben.
In unserem Kern geht es uns um Sicherheit. Wenn wir etwas gefunden haben, was sicher ist – eine Verhaltensweise, eine Strategie, eine Partnerschaft – ist das im Kern genug. Nach einiger Zeit wünschen wir uns jedoch mehr: Erfüllung. Und um diese Erfüllung zu erleben, müssen wir die Extrameile gehen. Neues Verhalten einüben. In einfachen Situationen dieses neue Verhalten anwenden, bis es sich so sicher anfühlt, dass es uns auch in herausfordernden und von Stress geprägten Situationen leichtfällt, dieses neue Verhalten anzuwenden. So lange, bis dieses neue Verhalten unser normales Verhalten ist. Du kannst dir das in etwa so vorstellen:
Genau wie in deiner Beziehung. An jedem Tag kannst du dich entscheiden, ob du deine Beziehung führen möchtest so wie immer, oder ob du einen Schritt in Richtung glückliche und erfüllte Partnerschaft gehst. Und ich freue mich für dich, wenn du das tust!
An manchen Tagen wird dir die Arbeit an deiner Partnerschaft leichter fallen als an anderen. Manchmal wirst du mehr Motivation verspüren, etwas an deinem Verhalten zu verändern, und manchmal weniger. Was du beitragen kannst, um langfristig eine erfüllte und glückliche Beziehung zu leben, ist, dein Verhalten zukünftig bewusst zu wählen. Einen Umgang in deiner Partnerschaft zu pflegen, der dazu beiträgt, deine Partnerschaft so glücklich und so erfüllt zu gestalten, wie du dir das wünschst. Dich von Rückschlägen nicht unterkriegen oder ausbremsen zu lassen. Und zu verstehen, dass jeder Tag eine neue Chance beinhaltet. Übe weiter und bleibe dran, so lange, bis das neue Verhalten dein normales Verhalten ist. Es liegt alles in deiner Macht und deiner Verantwortung.
Möglicherweise hast du Angst, mit dem Wunsch nach Veränderung allein zu sein. Vielleicht möchte dein Partner oder deine Partnerin nicht an der Beziehung arbeiten, hat Schwierigkeiten dabei, über Gefühle zu sprechen, oder sieht den Sinn einer Paartherapie oder der Arbeit mit diesem Buch noch nicht. Damit stehst du nicht allein! In meiner Paartherapie-Praxis arbeite ich häufig auch mit Einzelpersonen, deren Partner oder Partnerin noch nicht bereit für diesen Schritt ist. Denn auch Einzelpersonen können allein etwas bewirken.
Indem du Teufelskreise unterbrichst, verändert sich etwas. Indem du etwas anders machst als bisher, veränderst du automatisch das Ergebnis. Du allein hast die Macht, die Dynamik eurer Partnerschaft zu verändern.
Natürlich ist es hilfreich, sich in der Partnerschaft über Erkenntnisse, Wünsche und Bedürfnisse auszutauschen. Das ist jedoch auch außerhalb der gemeinsamen Arbeit mit diesem Buch möglich.
Und selbst wenn dein Partner jeden Versuch eines Gesprächs über eure Beziehung abblockt: Durch die Arbeit an den Themen in diesem Buch wirst du mehr über dich erfahren: welche Wünsche und Bedürfnisse du in der Partnerschaft hast; was du im Laufe deines Lebens über Beziehungen gelernt hast und welche Verhaltensmuster sich daraus entwickelt haben.
Du wirst dich verändern, und das kann Türen öffnen in eurer Partnerschaft – ob mit dem Zutun deines Gegenübers oder ohne.
Dass andere Menschen sich weigern, an sich selbst zu arbeiten, sollte dich niemals davon abhalten, an dir zu arbeiten. Was du hier tust, tust du für dich selbst. Du bist dein Grund und deine Motivation. Du kannst stolz auf dich sein!
Vielleicht wirst du in der Arbeit mit diesem Buch Phasen erleben, in denen es dir schwerfällt, dich zur Arbeit an deiner Partnerschaft zu motivieren. In solchen Phasen kann es helfen, dir vor Augen zu halten, weshalb du tust, was du tust.
Schreibe dir hier auf, warum du für deine Beziehung losgehst und Zeit und Energie in die Arbeit an deiner Partnerschaft und deiner Beziehungsfähigkeit steckst, um dich in herausfordernden Phasen wieder daran zu erinnern.
Zu Beginn der Arbeit an der Beziehung hilft es, den Fokus einmal darauf zu legen, wo ihr gerade steht. Wenn ich die Paare in der ersten Beratungssitzung bitte, mir die Geschichte ihrer Beziehung zu erzählen und zu beschreiben, wie es ihnen gerade geht, höre ich meist völlig unterschiedliche Geschichten über ein und dieselbe Beziehung. Und das ist völlig normal!
Wir betrachten unsere Realität zu jeder Zeit durch unsere ganz persönlichen Filter – wir erzählen uns eine Geschichte über die Situation. In der systemischen Therapie sprechen wir hierbei von Narrativen. Was wir über unser Leben – und somit auch über unsere Beziehungen – glauben, ist nichts anderes als die Geschichten, die wir uns erzählen. Und so kann es sein, dass du und dein Partner oder deine Partnerin eure Beziehung und auch die Situation, in der ihr euch gerade befindet, völlig unterschiedlich wahrnehmt. Während die eine Person mit Gedanken an Trennung spielt, kann die andere völlig zufrieden in der Partnerschaft sein und nichts von der drohenden Beziehungskrise ahnen.
Dass ihr eure Situation unterschiedlich wahrnehmt, ist völlig normal. Es macht aber deutlich, wie wichtig es ist, die eigene Sichtweise der Situation regelmäßig zu reflektieren und sich mit dem Gegenüber genau darüber auszutauschen. Die Fragen auf der folgenden Seite können dich dabei unterstützen.
Wir werden im weiteren Verlauf dieses Buches noch häufiger mit dieser Skala arbeiten.
Vielleicht hast du jetzt schon festgestellt, dass du dir mit deinem Partner oder deiner Partnerin in einigen Punkten einig bist. Vielleicht gibt es aber auch Punkte, in denen ihr die Qualität eurer Beziehung unterschiedlich einschätzt. Unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse habt. Das ist vollkommen normal. Lass uns zum Abschluss dieses ersten Abschnitts einmal ganz klar herausarbeiten, welche Geschichte du dir über eure Beziehung erzählst. Es gibt keine falschen Antworten auf die folgenden Fragen. Es geht einzig und allein um deine Wahrnehmung, denn die ist subjektiv immer richtig! Es ist wichtig zu wissen, welche Geschichte du dir über eure Partnerschaft erzählst, um überprüfen zu können, ob diese Geschichte dir dient. Denn du kannst deine Sichtweise jederzeit verändern.
Wir werden später noch tiefer in diese Fragen einsteigen und gemeinsam erarbeiten, welche Veränderungen du dir in deiner Partnerschaft konkret wünschst. Da wir aber niemals ganz unvoreingenommen in Partnerschaften sind, macht es Sinn, vor der Arbeit an eurer Beziehung einmal zu reflektieren, was du grundsätzlich im Laufe deines Lebens über Beziehungen gelernt hast – denn deine bisherigen Erfahrungen beeinflussen maßgeblich dein Verhalten im Hier und Jetzt.
Als Menschen sind wir grundsätzlich beziehungsfähig und brauchen soziale Verbindungen. Das heißt aber nicht, dass wir intuitiv wissen, wie wir unsere Beziehungen langfristig gesund und harmonisch aufbauen und aufrechterhalten können. Bereits als Kind lernen wir von unseren wichtigsten Bezugspersonen – in den meisten Fällen den Eltern oder engen Vertrauenspersonen – wie Beziehung gestaltet wird. In der Psychologie spricht man vom Modelllernen: Wir lernen am Modell unserer Vorbilder, indem wir sie nachahmen. Leider sind auch unsere Eltern und engen Bezugspersonen nicht unfehlbar: Nicht alles, was wir von ihnen lernen, dient uns langfristig. Wenn unsere Vorbilder aus Kindheitstagen Schwierigkeiten damit haben, gut in Beziehungen zu sein, werden wir ihr dysfunktionales Verhalten übernehmen. Außerdem kopieren wir unbewusst die Beziehungsziele unserer engsten Bezugspersonen und all das, was sie über Beziehungen glauben, ganz einfach, weil uns in frühen Lebensphasen andere Vorbilder fehlen. Wir eignen uns Verhaltensstrategien an, die den Beziehungszielen und -vorstellungen unserer Bezugspersonen entsprechen, aber unseren eigenen Wünschen und Zielen nicht langfristig dienen. Als Erwachsene können wir jedoch Zugang zu unseren eigenen Wünschen und Vorstellungen erlangen und Verhaltensstrategien entwickeln, die uns diesen näher bringen. Wir können neues Verhalten lernen. Es benötigt allerdings eine aktive Auseinandersetzung mit allem, was wir bereits gelernt haben, und viel Übung bei den neuen Verhaltensweisen.
Früh erlernte Verhaltensweisen erscheinen dir in deinem bisherigen Leben als einzig mögliche Verhaltensweisen – als das, was normal ist. Dabei ist erst einmal zweitrangig, ob es dir dient und dir dabei hilft, deine Beziehungen so glücklich und erfüllt zu gestalten, wie du es dir wünschst. Wenn du ein neues Verhalten erlernen möchtest, musst du es aktiv wählen und bei jeder Gelegenheit üben. Das neue Verhalten wird dir erst dann als die Strategie der Wahl erscheinen, wenn du es mindestens genauso oft angewendet hast wie das alte Verhalten – besser sogar noch öfter. Das kann herausfordernd sein und manchmal zu Frustration führen. Wenn du aber verstehst, woher deine alten Verhaltensweisen kommen, kann es dir helfen, erfolgreich neues Verhalten zu integrieren.
Die nebenstehenden Fragen unterstützen dich bei der Reflexion.
Oftmals sind unsere Überzeugungen und Glaubenssätze rund um Partnerschaft und Beziehung noch tief verankert und können durch die reine Reflexion nicht bewusst gemacht werden. Die folgende Übung hilft dir dabei, auch tief sitzende Überzeugungen zu erkennen.
Deine Gedanken und dein Verhalten sind Ergebnisse von Lernprozessen. Bereits in deiner frühen Kindheit hast du erste Lernerfahrungen gesammelt. Frühe Beziehungserfahrungen sind tief verankert und bestimmen, wie du Beziehungen eingehst. Doch auch neuere Erfahrungen bilden deine Realität mit.
Wenn du in den Übungen festgestellt hast, dass dein Bild von Beziehung und Partnerschaft tendenziell eher abwertend und negativ geprägt ist, hängt das möglicherweise mit negativen Erfahrungen zusammen: Vielleicht hast du in deinem bisherigen Leben wenige vertrauensvolle Beziehungen erlebt.
Hast du jedoch positive Beziehungserfahrung sammeln können und von Modellen gelernt, die erfüllte und erfolgreiche Partnerschaften führen, hast du mit großer Wahrscheinlichkeit ein positiv geprägtes Bild von Partnerschaft verankert.
Spannend ist, dass dich in deinem Leben genau die Beziehungserfahrungen erwarten, die deiner Einstellung entsprechen. Egal ob du positiv oder negativ über Beziehungen denkst: Es wird dich genau das erwarten, was du erwartest oder auch befürchtest. In der Psychologie spricht man dabei von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Und das ist kein Hokuspokus – im Gegenteil: Wir verhalten uns meist unbewusst so, dass die Erwartung eintritt. Sehen wir uns dieses Phänomen anhand eines Beispiels von zwei Personen an, die mit Herausforderungen in ihrer Partnerschaft konfrontiert sind.
Person A denkt über sich selbst: »Ich bin einfach unfähig, langfristige Beziehungen einzugehen. Bei mir geht das immer schief!«
Person B hingegen denkt über sich selbst: »Ich kann alle Herausforderungen, die mir in meiner Beziehung begegnen, gut meistern, solange ich an mich glaube und an mir arbeite.«
Person A wird sich im Angesicht der Herausforderungen in ihrer Beziehung bedroht fühlen. Ihre Gedanken werden geprägt sein von Sätzen wie »War ja klar, dass das wieder nichts wird! Es hat so gut angefangen, aber jetzt gibt es wieder Probleme – ich bin einfach nicht fähig, eine langfristige Beziehung zu führen. Ich muss mich trennen.« Sie wird sich in ihrer Annahme, keine langfristigen Beziehungen aufrechtzuerhalten, bestätigt fühlen.
Auch Person B wird die Situation als Bestätigung ihrer eigenen Annahmen deuten. Jedoch wird sie beispielsweise folgende Gedanken haben: »Gerade bin ich mit sehr vielen Herausforderungen in meiner Beziehung konfrontiert und es ist alles andere als einfach. Zum Glück kann ich auch diese Herausforderungen gut meistern, solange ich nur an mich glaube und an mir arbeite. Am besten suche ich direkt ein Gespräch mit meinem Partner und verabrede einen Termin für eine Paarberatung.« Durch die Erwartung, die Situation aus eigener Kraft heraus lösen zu können, wird Person B genau dies gelingen.
Kurz gesagt: Wenn du etwas Schlechtes erwartest, kommt selten etwas Gutes heraus!
Wenn du festgestellt hast, dass deine Gedanken über Beziehungen aktuell eher negativ geprägt und destruktiv sind, so kannst du dein Bild von Beziehung verändern zu einem Bild, das dir besser dient, das dafür sorgt, dass du glückliche und erfüllte Beziehungen erfährst. Doch dafür ist es entscheidend, die Geschichte, die du dir über Beziehungen erzählst, in genau diese Richtung zu verändern, indem du dir deine eigenen Gedanken bewusst machst, sie reflektierst und dich in positivem Denken übst.
Die Fragen auf der folgenden Seite können dir dabei helfen. Träume hier wirklich groß, erlaube dir, deine tiefsten Wünsche zuzulassen.
Dich auf diese positiven Wünsche, Gedanken und Bedürfnisse zu fokussieren, unterstützt dich auf dem Weg hin zu einer dauerhaft glücklichen und erfüllten Partnerschaft. Wenn dir das aktuell noch schwerfällt, kannst du es regelmäßig üben:
Manchen Menschen fällt es leichter als anderen, positive Gedanken über Beziehungen zu fassen und zu erhalten. Das hat, wie bereits erwähnt, mit den Erfahrungen in unserem Leben zu tun, vor allem mit unserer Art der Bindung an andere, die wir in unserer Kindheit entwickelt haben. In der Psychologie spricht man vom Bindungsstil.
Der britische Psychoanalytiker und Kinderpsychiater John Bowlby, der schottische Psychoanalytiker James Robertson und die US-amerikanischkanadische Psychologin Mary Ainsworth definieren in ihrer Bindungstheorie vier Bindungsstile.
Um herauszufinden, welchen Bindungsstil du entwickelt hast, kreuze unter den folgenden Aussagen all diejenigen an, die auf dich zutreffen (die Großbuchstaben am Ende der Zeile dienen nachher zur Auswertung):
Werte den Test nun aus, indem du zählst, wie viele Aussagen du aus den jeweiligen Kategorien angekreuzt hast:
In welcher Kategorie hast du die höchste Anzahl an Kreuzen gesetzt? ________________.
Diese Kategorie ist dein vorwiegender Bindungsstil.