[1]
Ganz im Ernst, ich setze alle Triggerwarnungen. Wenn du von Körperverletzung, Belästigung, Vergewaltigung, Suizidgedanken, Körperbildstörungen oder anderen psychischen Herausforderungen betroffen bist, lies bitte mit Bedacht weiter, sofern du dich überhaupt zum Weiterlesen entschließt. Ich sehe dich, ich unterstütze dich. Immer schön weiteratmen, meine Lieben.
[2]
Kunstpflanzen sind ökologische Hassverbrechen.
[3]
Antwort: Angst vor natürlicher Vielfalt (im Garten).
[4]
Ted Sarandos.
[5]
Hexerei oder weiße Vormachtstellung – das weiß nur der Algorithmus.
[6]
(tipp, tipp) «Hannah Gadsby möchte, dass Sie wissen … DU BIST DRAN!» (schnell wegrennen)
[7]
Zu meiner Verteidigung: Mein bester Freund, Douglas, ist ein Hund.
[8]
Und einzige.
[9]
Was mich durchaus hätte triggern können, wenn es nicht an sich schon so verstörend gewesen wäre.
[10]
Ich bin ein ziemlicher «Girrrlboss».
[11]
Jetzt bin ich durchaus solvent – zum ersten Mal in meinem Leben. Außerdem bin ich weiß. Was ein außerordentliches Privileg ist, egal ob ich mir das eingestehe oder nicht.
[12]
Nicht ganz in dem Ausmaß, aber okay.
[13]
Das ist ein cleverer Witz zur Täter-Opfer-Umkehr. Die allerdings alles andere als lustig ist.
[14]
Was denn? Ich bin doch nett.
[15]
Ich freue mich schon darauf, wenn wir endlich offen und erwachsen über Intersektionalität diskutieren können.
[16]
Kontext wäre definitiv in der Lage zu schwimmen, wenn man ihn in den Fluss würfe. Ich auch.
[17]
Dann will ich dem mal vorauseilen, so gut ich kann. In Nanette habe ich immer wieder vom «heterosexuellen weißen Mann» gesprochen. Dabei hätte ich besser «heterosexuellen weißen cis Mann» gesagt. Und dann hab ich ein bisschen mit «fellas» und «guys» um mich geworfen, was so nicht in Ordnung ist. Außerdem habe ich die Erfahrung des «Frauseins» zu sehr generalisiert. Ich bedaure es, nicht deutlicher auf die Intersektionalität von Herkunft, Gender und Sexualität hingewiesen zu haben (mit anderen Worten: meine Privilegien), und genauso, dass ich nicht konsequenter und vorsichtiger bei der Wortwahl war, um nichtbinäre Menschen und trans*Personen einzuschließen. Auch beim Thema psychische Gesundheit habe ich mich ein paar Mal vergriffen, was mir sehr leidtut. Ich möchte mich deshalb aufrichtig bei allen entschuldigen, für die das verletzend war, und erkläre hiermit ausdrücklich, dass ich für die nächsten neunundneunzig Jahre als Gastgeberin für die Oscarverleihung nicht zur Verfügung stehe.
[18]
Was so viel heißt wie mit großer Häufigkeit ohne jegliche Form der Menschlichkeit.
[19]
Falls dich meine Anti-Comedy triggert, greif gern zu meiner Vorlage, wie du dich aus dem Gefängnis deines eigenen Kummers befreist.
[20]
Außer an den Stellen, an denen ich rante. Dieser Stil wird sonst «wütenden archetypischen Männern, die einen Monolog halten», zugeordnet. Was viele als «reine Comedy» bezeichnen würden.
[21]
Als ich vor ein paar Jahren entdeckte, dass ich mich selbst dazu bringen konnte, genug Wasser zu trinken, indem ich eine Kindervitaminbrausetablette darin versenkte, dachte ich wirklich, ich sei auf dem besten Weg zum Nobelpreis für Flüssigkeitszufuhr. Irgendwann hörte ich mir mit Entsetzen dabei zu, wie ich einem wildfremden Menschen auf dem Hundeplatz meine Vitaminoffenbarung auf eine «immer erst das dicke Ende der Möhre schälen»-Art erklärte. Ich erschauderte bei dem Gedanken, wie vielen Menschen ich das schon erzählt hatte, bevor mir die Parallele zu meinem Dad bewusst geworden war und ich folglich nichts mehr daran ändern konnte. Und ich schäme mich, zugeben zu müssen, dass ich diese unnütze Nicht-Weisheit noch immer zum Besten gebe, wann immer ich Leute sehe, die pures Wasser trinken, weil ich es nicht ertrage, dass ihnen nicht mal klar ist, dass das ein Problem ist.
[22]
Von allen Menschen der Erde liebe ich auch meine Mum am meisten. Das wird besonders die Frau Gemahlin nicht gern lesen, deshalb möchte ich sie an dieser Stelle daran erinnern, dass sie ganz sicher an Platz zwei ist, außerdem ist Mum 78 Jahre alt, und die Nachfolge ist klar geregelt.
[23]
Von 1976 bis 1991 gab es eine Werbung von Colgate für «Fluorigard» mit der reizenden Lehrerin «Mrs Marsh», die ein Stück Kreide in einen Becher mit blau gefärbtem Wasser tunkte und dann zerbrach, um ihren Schüler*innen zu zeigen, wie tief die Flüssigkeit ins Innere der Kreide vorgedrungen war. Eine sehr saubere Metapher dafür, wie Colgates Zahnpasta in den Zahnschmelz der Zähne eindringen sollte, um sie vor Schäden zu schützen. Wenn doch die sättigenden Dinge nur auch so herrlich schmackhaft und gesund wären.
[24]
Das Internet hat das Konzept der Fehlinformation nicht erfunden.
[25]
Australiens Umweltpartei heißt The Greens, und ich bin mir sicher, dass sie sich über Robin Gs Einladung nach Tasmanien im Jahr 1988 gefreut haben, nachdem er so prägnante Sätze verbreitet hatte wie: «Haltet euch gut warm diesen Winter: Verbrennt einen Greenie.» Charmant.
[26]
Traurigerweise musste ich wieder und wieder die Erfahrung machen, dass selbst viele Homosexuelle vom Festland uns für minderwertiger hielten und sich nur zu gern an dem grausamen Spott beteiligten.
[27]
Um ganz ehrlich zu sein, habe ich das Projekt 1992 gemacht. Recherche war damals nicht so meine Stärke.
[28]
Ich bin ein regelrechter Pinocchio. Aber statt zu lügen, bin ich einfach implodiert. Außerdem bin ich keine fiktive Puppe.
[29]
Außer vielleicht für die Goldmantel-Baumkängurus, die mittlerweile durch Jagd und Entwaldung vom Aussterben bedroht sind.
[30]
Ich werde den Namen des Jungen hier nicht nennen, der jetzt ein Mann ist, aber ich habe ihn letztens gegoogelt und zu meiner großen Erleichterung festgestellt, dass er nicht zum Richter am Obersten Gerichtshof ernannt worden ist.
[31]
Dieser bahnbrechende Fall kippte Australiens terra nullius-Grundannahme, die im Prinzip auf die Behauptung englischer Kolonialisten zurückging, die sagten: «Hier war niemand, als wir ankamen, deshalb gehört uns der ganze Kontinent.» Das Mabo-Urteil erkannte an, dass tatsächlich bereits seit vielen, vielen Jahrtausenden indigene Gemeinschaften auf dem Kontinent gelebt hatten, was den Grundstein für die Durchsetzung indigener Landrechte legte. Ja, bitte mehr davon.
[32]
Hände sind so schrecklich schwer.
[33]
Für alle, die mit dieser Einheit nichts anfangen können: Ein Stone entspricht 6,35 kg.
[34]
Anm.d. Ü.: HALO ist das englische Wort für Heiligenschein.
[35]
Pflegekräfte vollbringen also in der Tat Wunder.
[36]
Ganz im Ernst.
[37]
Klack.
[38]
Ausschlussklausel: Ich weiß gar nicht, was auf Jungsklos wirklich vorgeht, ich beziehe mich ausschließlich auf die Ausrede, die man von Männern so häufig hört, sobald sie die haarsträubende Ausdrucksweise ihrer «Bros» wegerklären wollen. Wenn da aber was dran ist, bleibt dieser dämliche Quatsch jedenfalls weit hinter der ausgefeilten Diplomatie zurück, die heranwachsende Frauen auf den Toiletten dieser Welt praktizieren.
[39]
Was wäre aus mir geworden, hätte ich schon 1995 ein Smartphone gehabt?
[40]
Es dauerte noch ein Weilchen, bis ich verstand, dass man als weißer Mensch alle Privilegien der Welt genießt.
[41]
Profi-Tipp: Krautsalat ist immer fast schlecht, weil er nichts anderes ist als Larvenkotze.
[42]
Als eine von vielen, die noch immer die Kollateralschäden der toxischen Debatte zur Gesetzesreform der Anti-Homosexuellen-Paragrafen in Tasmanien verdauen müssen, die unnötig durch polarisierende politische Spielchen erschwert und in die Länge gezogen wurde, bin auch ich ziemlich neidisch darauf, wie schnell meine Regierung etwas ändern kann, wenn sie denn will.
[43]
Wo wir gerade von Sekten sprechen …
[44]
Wahrscheinlich habt ihr mitgeschnitten, dass ich mich in der letzten Episode von Hannah übernimmt Gelegenheitsjobs nach einem Arbeitsunfall und erfolgreicher Knie-OP auf Versicherungskosten erholte. Nun, nachdem mein Knie geheilt und ich wieder zur Arbeit erschienen war, wurde mir mitgeteilt, dass ich nicht länger in der Feinkostabteilung willkommen sei, stattdessen wurde ich an die Kasse gesetzt. Angemessene Entscheidung. Dann, sechs Monate später, wurde mir gesagt, dass ich zu zerstreut und in keiner Abteilung des Supermarkts mehr willkommen sei. Was man wohl gemeinhin «gefeuert» nennt. Auch das wahrscheinlich eine angemessene Entscheidung.
[45]
Die Tatsache, dass ein heterosexueller, weißer cis Mann aus Amerika bei Weitem die mysteriöseste Kreatur war, die meinen Weg gekreuzt hatte, ist ein sehr guter Indikator dafür, wie klein meine Welt damals noch war.
[46]
Wenn ich Jennifer Aniston das nächste Mal sehe, muss ich ihr unbedingt sagen, dass ich viel Vergnügen an ihrer Arbeit hatte.
[47]
Bisexuelle sind die großartigsten Menschen. Ich sehe euch.
[48]
Ich habe weder ein intuitives Verständnis von Sarkasmus noch von Gesichtsausdrücken, aber lies doch bitte einfach noch mal das Wort «Proteine» und verdreh dann die Augen. Verdreh sie so sehr, dass du dein eigenes Hirn sehen kannst, und dann lass dir von deinem Hirn sagen: «Hey! Hey, hey! Das war Sarkasmus.»
[49]
Das war jetzt keinen Quantensprung entfernt von den Ausflügen zur Müllkippe, aber was soll ich sagen? Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.
[50]
Nicht zu verwechseln mit Selbstbeschmutzung oder Selbstentwertung. Obwohl …
[51]
Aber eins möchte ich sagen – ich bin froh, dass ich es probiert habe, als es noch nicht standardmäßig mit Opiaten gestreckt wurde.
[52]
Es erfordert hingebungsvolle Vernachlässigung, um einen Kaktus umzubringen. Die können schließlich selbst eine Dürreperiode in der Wüste überstehen.
[53]
Laut Ergebnissen einer nicht verifizierbaren und fehlerhaften Studie, die ich durchgeführt habe, um meine eigene Voreingenommenheit zu prüfen. Ein kleiner Trick, den ich von Wakefield selbst gelernt habe.
[54]
Engstirnigkeit ist eine Störung ersten Ranges.
[55]
Hi, Tay Tay!
[56]
Ich hätte mal besser seinem Schwanz ins Gesicht geschlagen.
[57]
Mitten in der Nanette-Genese begleitete Annie mich, als ich einen zweiten Hund zu mir nahm, einen hinreißenden, superverängstigten kleinen Fluffi namens Jasper. Jasper und Annie wurden enge Freunde, so eng, dass er mittlerweile überwiegend bei ihr lebt. Und so befeuert er die heikle Behauptung, dass wir eine besonders sonderbare kleine Familie seien.
[58]
Um ein Gegengewicht für die ganze Pracht des ikonischen Sydney Opera Houses zu schaffen, war es mir wichtig, dass wir die erste Szene des Specials bei mir zu Hause, in meinem geliebten Bloomfield, drehten. Ich wollte klarstellen, dass es sich, egal wie prächtig der Konzertsaal auch war, dabei nicht um meinen natürlichen Lebensraum handelte. Das Erste und Letzte, was die Zuschauer*innen sehen, bin ich in meiner bescheidenen Hütte mit einer Tasse Tee auf meinem Chesterfield, umgeben von Büchern – einschließlich der drei Kunstbände, die ich aus der Schulbibliothek in Smithton geklaut hatte – und in Gesellschaft meines besten Freundes, Douglas, und seinem neuen Kumpel, Jasper.
[59]
Es waren nicht unsere letzten. Manchmal sind klinische Studien klinische Wunder.
Für Mum und Dad
Kunst ist Restauration: Sie will Schäden reparieren, die im Laufe des Lebens beigebracht wurden, sie will etwas Gebrochenes – denn das ist es, was Ängste und Sorgen mit einem Menschen anstellen – wieder zu einem Ganzen machen.
Louise Bourgeois
Genau genommen ist dies mein zweites Buch. Aber ich würde mir nicht die Mühe machen, das erste zu suchen, denn davon gab es gerade mal ein einziges Exemplar, und ausgerechnet das habe ich verloren. Für die literarische Welt stellt das keinen großen Verlust dar, mein erstes Buch war nämlich ziemlich schlecht. Obwohl, vielleicht sollte ich nicht zu hart zu mir sein, die Geschichte hat schon einen gewissen Charme, wenn man bedenkt, dass ich gerade mal sieben Jahre alt war, als ich sie schrieb. Betrachtet man sie als eigenständiges Werk, ist sie allerdings sehr übel. Allein der Titel ist schlecht:
Wie Siffin Soffon sich mit einem Drachen anfreundete. Teil eins
Ich habe schon im Titel gespoilert. Ich Trottel. Wer sollte ein Buch lesen, wenn von vornherein klar ist, dass Siffin Soffon und der Drache, egal wie dramatisch die erzählerischen Wendungen auch sein mögen, am Ende ziemlich gut miteinander auskommen werden?
Offensichtlich hatte ich eine Serie epochalen Ausmaßes geplant, als ich «Teil eins» hinzufügte, auch wenn ich den zweiten Band leider nie geschrieben habe. Trotzdem hätte man annehmen können, dass ich den Leser mit einem Cliffhanger zurücklasse, um ihm Appetit auf den zweiten Teil zu machen, aber nein, der erste Teil endet damit, dass Siffin Soffon gemeinsam mit seinem neuen Drachenfreund zum Abschied vom schönen Strand der «Holiday Island» winkt. Eigentlich ist es also nicht weiter verwunderlich, dass ich den zweiten Band nie geschrieben habe, ich konnte mir ja nicht einmal einen Namen für eine Insel ausdenken, der über den Zweck hinausging, für den ich die Insel erfunden hatte. Hier lag eindeutig ein Mangel an Ideen vor.
Möglich wäre noch, dass jemand das Buch lesen will, um herauszufinden, wer dieser Siffin Soffon ist, aber auch hier kann mein Werk nur enttäuschen, da ich es wohl nicht für nötig hielt, die zentrale Figur meiner Geschichte zu beschreiben. Die angefügten Zeichnungen hätten Aufschluss geben können, würden sie nicht zusätzlich zur Verwirrung beitragen. Siffin Soffon beginnt seine epische Reise als sorgfältig, wenngleich sehr kindlich gezeichnete kleine rote Ziege, doch kaum freundet er sich mit dem Drachen an, besteht er nur noch aus faul dahingekrakelten orangen Schnörkeln, weil ich vermutlich nicht nur die Lust am Zeichnen, sondern auch den roten Stift verloren hatte. Glücklicherweise kann ich jedoch mit Insiderinformationen aufwarten, dass Siffin Soffon nämlich weder eine rote Ziege noch ein oranger Schnörkel war, es handelte sich vielmehr um einen imaginären Freund meines älteren Bruders, Hamish. Laut Hamish war Siffin Soffon ein winziger Footballspieler, der mit seiner besten Freundin Kinnowin in der Kloschüssel lebte.
Als das einzige Exemplar meines wirklich schlechten Buchs kürzlich zu mir zurückfand, brach eine Welle von Erinnerungen über mich herein, von denen ich gar nicht mehr wusste, dass ich sie noch hatte. Ich spreche nicht von unterdrückten Erinnerungen, die auf einen Schlag auftauchten, sie arbeiteten sich eher langsam in mein Bewusstsein vor, als wären sie nie weg gewesen.
Die Buchdeckel, zwei rote Pappquadrate, die von Malerkrepp zusammengehalten wurden, waren über die Jahre verblasst und weich geworden, dagegen sah der schlecht gewählte Titel so aus, als wäre er erst gestern schlecht aufgebracht worden. Als ich das Buch in den Händen hielt, wusste ich plötzlich wieder, wie wütend mein siebenjähriges Ich geworden war, als mir bewusst wurde, dass die letzten sechs Wörter des Titels gar nicht mehr auf den Deckel passen würden. Die Selbstvorwürfe brannten so heiß in mir, als wären seither keine fünfunddreißig Jahre vergangen. Beim Durchblättern entdeckte ich am Ende das Lob der stellvertretenden Direktorin neben einem Aufkleber des rosaroten Panthers, der sich um einen riesigen Stift schlingt, aus dessen Spitze die Wörter «Gut gemacht!» hervorquellen. Ich erinnerte mich daran, wie liebevoll ich mit dem Finger um den Aufkleber gefahren war, fast platzend vor Stolz, und wie es mich geärgert hatte, dass das Lob nur von der stellvertretenden Direktorin kam, und ich mich gefragt hatte, was zur Hölle ich tun müsste, um die Aufmerksamkeit der Direktorin selbst zu erregen. Auch die Erinnerungen kamen zurück, wie meine Lehrerin darauf bestanden hatte, meine Geschichte für mich abzuschreiben, weil ich noch keinen Füller benutzen durfte, und wie sie dann darauf bestanden hatte, dass ich sie der ganzen Klasse vorlas, und wie alle aus meiner Klasse mich und mein Buch GEHASST hatten. Ich kann ihnen keinen Vorwurf machen. Es war schließlich ein ziemlich schlechtes Buch.
Die Rückkehr meines literarischen Debüts wühlte viele, viele Erinnerungen auf, die weit über das Objekt an sich hinausgingen, unter anderem die emotionale Achterbahnfahrt, die mein Bedürfnis, die Geschichte zu schreiben, überhaupt erst ausgelöst hatte. Ich war nämlich wie besessen von Hamishs imaginären Freunden und zunehmend verzweifelt gewesen, weil sie nicht mit mir befreundet sein wollten. Ich wusste nicht, was «imaginär» bedeutete, sondern ging davon aus, dass Hamish coole Freunde hatte, die einfach nicht mit mir sprechen wollten, was zu vielen Tränen bei meinen Toilettengängen führte. Mir fiel wieder ein, dass ich, nachdem mir erklärt worden war, dass Hamishs Freunde in seiner Vorstellung lebten, fragte, ob ich mir Siffin Soffon dann auch vorstellen dürfe, und ich, als Hamish verneinte, wieder in Tränen ausbrach, weshalb Hamish mir den absolut inakzeptablen Kompromiss anbot, mich doch mit Kinnowin anzufreunden. Ich lehnte ab, weil ich nur Siffin Soffon wollte, den ich als kleine rote Ziege vor mir sah und mir eingeredet hatte, dass ich ihn manchmal auf den Rohren trippeln hören konnte. Für Kinnowin interessierte ich mich nicht, ich kannte sie doch kaum, ich wusste ja nicht mal, wie sie aussah.
Plötzlich erinnerte ich mich daran, dass ich versucht hatte, meine eigenen unsichtbaren Freunde zu erfinden und auf meinem Pferd, Sergeant, durchs Haus galoppiert war, während ich mit meinem guten Freund Mr Dog sprach, einem Hund, den ich offenbar nach guter, alter Holiday-Island-Manier benannt hatte. Das war kein Moment des Triumphs, weil ich mir dabei so unfassbar albern vorkam, schließlich wusste ich ja, dass es meine Freunde nicht gab. Um die Sache noch schlimmer zu machen, hatte ich sie mir außerdem so groß vorgestellt, dass ich aus diesem Grund immer noch niemanden hatte, mit dem ich auf dem Klo hätte sprechen können. Ich bin mir nicht sicher, wie ich meinen nächsten Schritt beschreiben soll, weil ich es für unmöglich halte, etwas zu töten, das es gar nicht gibt, deshalb sage ich einfach mal, dass ich Sergeant und Mr Dog übelst geghostet habe. Damals fühlte es sich gerecht an, dabei wollte ich sie eigentlich nur aus dem Weg schaffen, um noch mal mein Glück mit Siffin Soffon zu versuchen.
Nachdem ich überflüssigerweise also ein unsichtbares Pferd und einen unsichtbaren Hund geopfert hatte, offenbarte Hamish mir, dass ich zu spät dran war. Seine Freunde waren fort. Als ich ihn löcherte, wo sie denn jetzt steckten, antwortete er mir sehr ernst, sie seien im Himmel, um Gott zu helfen. Ich vergötterte Hamish von Kindesbeinen an bis tief ins Erwachsenenalter, und oft hatte ich das schmerzliche Gefühl, dass er seine Macht über mich maßlos ausnutzte. Aber wenn ich an Vorfälle dieser Art zurückdenke, bin ich mir sicher, dass das auf diesen kleinen Jungen einfach nicht zutreffen kann, der nicht bloß glaubte, dass Gott die Unterstützung von winzigen Footballspielern brauchte, sondern selbst so hochgradig einsam war, dass er sich Freunde ausdenken musste, um jemanden zu haben, mit dem er reden und auf den er kacken konnte. Dieser Junge hatte eindeutig eigene Probleme.
Während sich all diese Erinnerungen so wunderbar anschaulich zurückmeldeten, sagte mir die Geschichte an sich rein gar nichts. Sie war mir so wenig vertraut, dass das Ende eine völlige Überraschung gewesen wäre, hätte ich es nicht schon im Titel vorweggenommen. Ein weiterer, verblüffender Punkt des sehr schlechten Buchs, an dessen Schöpfung ich mich nicht erinnern konnte, war der große Anteil an Gewalt, Blutrünstigkeit und Tod, ganz zu schweigen davon, wie nüchtern mein siebenjähriges Ich die splatterigsten Details beschrieben hatte. Dafür hätte ich eher einen Therapieplatz verdient gehabt als einen Aufkleber mit dem rosaroten Panther.
Trotz der fremdartigen Handlungen mit all ihren Enthauptungen, den Folterungen und anderen blutigen Dingen kam mir die Geschichte an sich bekannt vor, weil sich dieser erste Teil wie eine kaum verfremdete Autobiografie liest. Siffin Soffon hasste Kleider, träumte davon, ein Hund zu sein, und liebte das Essen. Aber das Erstaunlichste an meinem sehr schlechten Buch ist, dass es sich liest wie eine Blaupause meiner Zukunft, eine Beschreibung dessen, wie sich die erwachsene Hannah aus dieser sonderbaren, kindlichen kleinen Autorin entwickeln würde. Ganz wie mein Leben waren die Abenteuer des Siffin Soffon geprägt von Unfällen, Isolation und Verbannung, und sein Überleben – genau wie sein Verderben – fußte wie bei mir auf maßlosem, blindem Vertrauen und einer passiven Akzeptanz der äußeren Umstände, egal wie trostlos sie auch sein mochten.
Zehn Schritte Richtung Nanette, das man wohl als sehr späte Fortsetzung verstehen könnte, ist dagegen eine eher traditionelle Autobiografie. Sie beginnt mit meiner Geburt und endet mit einer Deadline des Verlags. Sie erzählt zwei Geschichten – die von meinem eher ungewöhnlichen Start ins Leben und die von meiner eher ungewöhnlichen Entscheidung, mein Comedyleben zu beenden. Ich habe versucht, dieses Buch so ehrlich wie möglich zu schreiben; trotzdem ist das, was folgt, teils kaum verfremdete Fantasy. Stellenweise habe ich mich statt auf Fakten lieber auf meine Fantasie verlassen, weil ein paar der Geschichten nicht allein meine sind. Manche Namen habe ich geändert, manchmal Personen, Orte und Zeiträume zusammengefasst, weil ich nicht das Recht habe, öffentlich aus dem Nähkästchen anderer Leute zu plaudern. Aber hier kommt eine Bitte. Verliert euch nicht in der Rolle des Privatdetektivs. Der Großteil meines Lebens hat in meinem Kopf stattgefunden, und solang du nicht Mr Dog und/oder Sergeant bist, warst du dort noch nie und musst mich einfach beim Wort nehmen.
Und obwohl ich dazu tendiere, mit meinen Geschichten den einen oder anderen Lacher zu provozieren, möchte ich die Warnung vorausschicken, dass mir ein paar schreckliche Sachen zugestoßen sind. Ein paar meiner Geschichten werden dir unter die Haut gehen. Mir sind sie jedenfalls unter die Haut gegangen.[1] Weil ich aber nicht möchte, dass du dir zu große Sorgen machst, verderbe ich dir die Reise schon jetzt, noch bevor du überhaupt den ersten Schritt gemacht hast, indem ich das Ende vorwegnehme. Denn in diesem Moment, während ich dies schreibe, komme ich ziemlich gut mit dem Drachen aus, und es gibt eine Menge zu essen.