Ich bin ja so grantig geworden, weil es in der Nacht geschneit hat. Wie soll ich mit meiner Hüfte vor der Garage Schnee schippen? Im Nachbarort hat eine neue Bankfiliale aufgemacht, da hätte ich um elf Uhr sein müssen, aber hab ich es vielleicht rechtzeitig geschafft? Ja von wegen.
Wie solide eine Bank ist, merkst du schon bei der Eröffnung, und zwar am Kaffee und an den Stückchen dazu. Gibt es alte Hefewecken ohne Hagelzucker, wirst du sofort skeptisch. Und wenn sie Torte und Kaffeesahne hinstellen, weißt du, dass diese Filiale garantiert irgendwann wegen Verschwendung den Bach runtergeht, weil da wieder mal junge Männer dumme Entscheidungen getroffen haben. Mein Geld darf nur von einer Bank verwahrt und vermehrt werden, wo der Kaffee aus der Mokkamaster-Maschine kommt, wo es Vollmilch gibt und ofenfrischen Hefezopf. Bieten sie dazu auch noch was Salziges an, Karelische Piroggen oder Eintopf, kann es durchaus sein, dass ich ein zweites Konto aufmache: für das Geld, das mein Wald abwirft.
Ich hätte ja den Yrjänä gefragt, ob er mich mitnimmt, aber der Yrjänä ist tot. Seit ’46 waren wir die besten Freunde, und man darf mich ruhig fragen, ob ich sonst noch Freunde habe. Nein, habe ich nicht, weil ich keine brauche. Ich hatte den Yrjänä und ich hatte meine Frau, die jetzt im Heim wohnt und von dort auch nicht mehr zurückkommt. So ist das im Leben, du wirst von einem Abschnitt in den nächsten gejagt, ob du willst oder nicht.
Mein einziger Freund Yrjänä jedenfalls hatte eine Vergrößerung in der Lunge, aber noch größer war sein Herz. Ich bin ja eher engherzig, ich beschwer mich lieber.
Dreiundsiebzig Jahre lang habe ich mich kein einziges Mal beschwert. Aber dann untersucht mich der Doktor vom Kopf bis zu den Zehen und von außen nach innen und sagt, wenn ich meine Lebensgewohnheiten nicht ändere, kann es passieren, dass die Adern verstopfen und dem Blut der Weg zum Herz abgeschnitten wird. Er wollte mir die schweren Fette aus dem Essen streichen, zugunsten von Salat und mehr Bewegung, aber ich weiß, wo die Verstopfung herkommt. Die kommt daher, dass man nicht sagt, was man denkt und was einem aufs Gemüt schlägt. Wenn sich alles im Kopf staut, passt irgendwann nichts mehr rein. Dann geht zwangsläufig was in die Adern und Gelenke.
Da habe ich dann angefangen, mich ordentlich zu beschweren. Und? Sind die Werte seitdem in Ordnung? Jawohl. Dreizehn Jahre lang habe ich meiner Frau und dem Yrjänä mein Herz ausgeschüttet, aber jetzt schreibe ich Leserbriefe. Zuerst spreche ich alles auf Band, dann setze ich es auf Papier.
Ich hab aus dem Fenster geguckt, ob der Schnee schon in der Sonne schmilzt, aber nein. Zuerst schneit es zwanzig Jahre lang gar nicht, so dass die Kinder vergessen, was Skifahren ist, wie Rohre zufrieren oder wie man eine Schneeballschlacht macht. Und wenn man sich dann allmählich an die grauen Bäume und den Regen gewöhnt hat, schlägt der Winter doch wieder zu.
Ich hab meinen Sohn angerufen, ob er vor der Garage räumen kann, aber er hat behauptet, er wohnt zu weit weg. Dabei sind dreihundertfünfzig Kilometer heutzutage doch gar nichts mehr, in zwei Stunden hat man das erledigt, und unterwegs kann man Radio hören, den Erkki Pälli, die Iiris Mattila oder den einen jungen Kerl da, diesen Heikki Holopainen. Mein Sohn hat vorgeschlagen, dass ich jemanden fürs Schneeschippen bezahle. Aber was ein Mann ist, der macht so etwas nicht. Dann hat mein Sohn gesagt, ich soll ein Taxi in den Nachbarort nehmen. Das wird mir ein teurer Gratiskaffee, wenn ich mich im Mercedes zur Bank chauffieren lasse. Ich sag ja: Wie man’s macht.
P.S.: Ich hab mir vom Supermarkt eine Palette Salz liefern lassen. Wenn sie mit so was die Autobahn frei halten, wird man damit ja wohl noch eine Garageneinfahrt schneefrei kriegen. Hat auch geklappt. Bloß hatte ich vergessen, dass ich am Vorabend schlau genug war, den Ford auf der Straße stehen zu lassen.
Ich bin ja so grantig geworden, als ich gestern im Supermarkt war. Ganz selten geh ich da mal rein, die verkaufen schrumpeligen Lachs und alles musst du in der Familienpackung kaufen, obwohl ein Zehntel reichen würde.
Jedenfalls habe ich mir gestern dort trotzdem zwei Liter Buttermilch geholt, weil es der einzige Supermarkt in der Gegend ist, der seine Milchprodukte aus Molkereien in Mittelfinnland bezieht. Die anderen verkaufen Sachen, die sind aus der Milch von Kühen aus der Stadt oder aus Estland gemacht, und das schmeckt man, sage ich euch. Richtig schlecht sind die.
Nach dem Einkaufen habe ich mich in der Empfangshalle hinter den Kassen hingesetzt und ein Tässchen Kaffee aus der Thermoskanne getrunken. Von da aus hat man einen Blick auf die Fußgängerzone, und was kann man da als Mensch in wenigen Minuten nicht alles sehen! Mein Vater hat wahrscheinlich in seinem ganzen Leben nicht so viele und so komische Gestalten zu Gesicht gekriegt, wie die Ansammlung von letzten Dingen, die ich mir da angucken musste. Im Café gegenüber saß schon mal gleich eine junge Mutter, die ihrem Kind die Brust gab. Vor aller Augen! Und das Kleine hat ordentlich reingehauen.
Ich weiß, wie man das nennt. Das nennt man natürlich.
Jetzt versucht aber die Menschheit seit Tausenden von Jahren, von so unmittelbar natürlichem Treiben wie Blutrache und Kacken im Freien loszukommen, was soll das also mit dem Stillen? Am liebsten wäre ich sofort heimgefahren und dort ein bisschen in meiner Garage herumgestanden.
Ich kam aber nicht dazu, weil neben der Stillenden jemand saß und zu einem anderen, den ich nicht sehen konnte, etwas sagte, und dann führte ein Wachmann die Frau auf die Straße. Ja, und ich weiß nicht, ob das jetzt richtig war. In meiner Jugend hat es in jedem Dorf einen oder zwei gegeben, bei denen es im Kopf nicht ganz gestimmt hat, denen hat man dann eine Hilfsarbeit gegeben und einen Teller hingestellt. Das war Nervenbehandlung der billigen und guten Art. Einer – Hefe-Hanski wurde der genannt – hat sogar lesen gelernt.
Vor lauter Zugucken bekam ich Durst. Also bin ich in ebendiese Cafeteria und habe um ein Glas Wasser gebeten, aber die wollten Geld dafür haben. Da bin ich ja so grantig geworden. Schließlich hatte ich mit meinen Steuern das Leitungswasser schon bezahlt. Es ist nämlich vollkommen egal, ob sich der Wasserhahn hinter einer Theke befindet oder in meiner Küche, sage ich euch. Das ist Steuerwasser, das ist ein Bürgerrecht! Es gehört zu den guten Seiten der Sozialdemokratie, genau wie dieser sympathische Doktor in unserem Ärztezentrum, dieser Ilmari Kivinkinen.
Daheim habe ich meinen Sohn angerufen. Er meinte, ich hätte Geld genug, um für einen Becher Wasser zu bezahlen. Bei so einer laschen Einstellung musste ich erst mal ein bisschen die Daumenschrauben anziehen. Warum ist das so? Warum habe ich Geld genug und er nicht? Eben weil ich für einen Becher Wasser nichts bezahle! Ich zahle nie ohne Grund für etwas. Wenn immer schwadroniert wird, man soll sein Geld aus dem Fenster werfen, damit die Wirtschaft floriert, ist das die größte Lüge, die es gibt, und pure Verantwortungslosigkeit. Es ist wirklich nicht schwer, auf den Kontoauszug zu gucken und darüber nachzudenken, wann man mehr Geld auf dem Konto hat: wenn man nichts anrührt oder wenn man alles zum Fenster rausschmeißt, als wäre man der Besitzer von mehreren Vergnügungsdampfern.
Der Anfang allen Reichtums ist das Sonderangebot. Und nichts zu kaufen ist der Eckstein jeder Erbschaft, auch der meines Sohnes. Es wurmt mich allerdings schon ein bisschen, Leuten etwas zu hinterlassen, die bloß Rechte kennen und keine Pflichten und die nie mal richtig grantig werden.
P.S.: Ich habe eine Liste aufgestellt, wo man stillen darf, weil ich den Müttern ein bisschen entgegenkommen will. Am Badestrand darf man es von mir aus, weil dort sowieso alle so gut wie nackt rumlaufen und ich da nie hingehe. Im Viehstall darf man es auch, weil das der wahre Ort zum Stillen ist. Und im Freien darf man es bei mehr als fünfundzwanzig Grad, mit anderen Worten bei Hitze.
Ich bin ja so grantig geworden, als ich mein Rezept erneuern lassen musste. Da gibt es zwei Schlangen. In der einen steht man vor dem Apparat an, an dem man sich eine Nummer zieht, und in der anderen steht man dann in der Reihenfolge an, in der man die Nummern gezogen hat. Schon damals, kurz vor Mittsommer sechsundsiebzig, als die Zettel mit den Wartenummern aufkamen, leuchtete mir das ein.
Was ist daran so schwer? Warum müssen sich manche grundsätzlich falsch in die Schlange stellen und auf den Knöpfen herumdrücken wie am Spielautomaten? Und dann schnellere Bedienung verlangen, weil sie es eilig haben? Als hätten es die anderen nicht eilig. Jeder auf dieser Welt hat seine Zeit und seinen Platz und seine Nummer in der Schlange, und wollt ihr wissen, was das Resultat von Drängelei ist? Ja, ihr wollt es wissen. Das Resultat ist Anarchismus. Die Kommunisten haben gewusst, wie man Schlange steht, auch wenn sie sonst alles falsch gemacht haben, vor allem bei den Häusern. Ich war mal mit dem Yrjänä in Leningrad, da haben sie einfach Backstein auf Backstein gesetzt, ohne Isolierung, ohne Fundament.
Und es hakt nicht nur bei der Schlange in der Apotheke.
Am Geldautomaten graben sie ewig in der Handtasche oder grölen lautstark mit ihren Kumpels herum. Dann lassen sie sich die Geheimzahl auf der Zunge zergehen, obwohl die kommen müsste wie aus der Pistole geschossen. Und zum Schluss wird jede einzelne Karte in jedem einzelnen Schlitz ausprobiert.
Mir passieren da keine Fehler, weil ich übe. Ich will nämlich nicht nur selbst nicht grantig werden, sondern auch keine anderen grantig machen. Darum habe ich in meiner Werkstatt einen Geldautomaten aus Pappe nachgebaut. Damit bleibe ich in Übung, weil ich ja nicht mehr als einmal im Monat was am richtigen Apparat zu suchen habe. Ich hebe ab, was ich in vier Wochen brauche, und wenn gegen Ende des Monats das Geld ausgeht, gibt es halt Haferflocken und Kartoffeln aus eigener Ernte.
Und dann erst die Eisenbahn!
Ich hatte es gut gemeint, als ich mit der Bahn zu meinem Bruder nach Vantaa fuhr, Stadtteil Koivukylä. Aber das mache ich nicht mehr, nie mehr. Die Leute kapieren ja nicht mal, dass man erst aus- und dann einsteigt. Die drängen mit Gewalt genau da hin, wo garantiert keiner mehr reinpasst, als wäre es der letzte Zug auf der ganzen Welt.
Wenn ein Mensch nicht Schlange stehen kann, ist sein ganzes Leben ein einziges Gezappel und Gedrängel. Ein solcher Mensch glaubt, dass er schneller vorwärtskommt, aber in Wahrheit hält er bloß die anderen auf. So ist das und nicht anders.
Nicht dass man mich falsch versteht. Die Jugend ist nicht blöd. Der Nachbarsbub zum Beispiel, der mir den Satelliten-Resiefer angeschlossen hat. Der konnte sogar die Bedienungsanleitung in drei Sprachen lesen. Wenn der mir helfen würde, eine Firma zu gründen, dann würde ich eine Anstehschule aufmachen. Und da würde ich meine Schüler alles so oft wiederholen lassen, bis es sitzt.
P.S.: Heute Morgen musste ich Fleischwurst kaufen, weil sie im Angebot war. Zweiundzwanzig Kilometer bin ich gefahren, bei einem durchschnittlichen Spritverbrauch von 4,3 Liter. Bei der Turnhalle verlaufen die Fahrspuren so komisch, dass ich auf einmal in der Autoschlange von diesem Hamburgerlokal gelandet bin. Und ich muss sagen, die sieht vernünftig aus. Da gibt es keine Drängelei. Und warum nicht? Weil das Auto breit ist und die Fahrspur schmal. Warum kann man das nicht bei allen Schlangen machen? Schlangenspuren aus Beton, gerade mal so breit wie ein Mensch. Bevor man was kauft, muss man sich entscheiden, was, und dann kriegt man die Sachen und die Medikamente und die Lebensmittel fertig eingepackt in einer Tüte. Außerdem hätte jeder die Pflicht, vorher das Geld passend abzuzählen, oder es gäbe Rabatt für abgezähltes Geld. Aber wäre es dann noch abgezählt, wenn davon fünf Prozent abgehen?
Ich bin ja so grantig geworden, weil sich alle gegenseitig grantig machen. Da quengeln und lästern erwachsene Menschen, schubsen sich und schmollen, trinken, und zum Schluss wird dann geheult. Wenn nicht gleich von Anfang an. Dann wird darüber in der Abendzeitung geschrieben, und das ganze Land nimmt am Zwist zwischen zwei fremden Personen teil. Dabei hätte alles mit Reden geklärt werden können, so wie immer im Leben.
Ich selbst habe das in meinen ersten sechzig Lebensjahren auch nicht verstanden. Fürs Reden habe ich noch immer nicht viel mehr übrig als für Muskelkater, aber in bestimmten Situationen muss es sein. Dann kann man es nicht aufschieben. Das Gleiche gilt für den Zahnarzt und den Keilriemenwechsel am Auto.
Im Herbst neunundsechzig machte sich zwischen mir und meiner Frau unangenehme Stille breit, als sie mich wegen einem Fummel fragte, ob der nicht wunderbar wäre. Ich konnte darauf nicht so antworten, wie sie es gern gehabt hätte. Stattdessen war ich ehrlich und sagte, es sieht eher nach einem unbequemen Kleidungsstück aus, das beim Waschen eingeht. Das gefiel ihr nicht, am Abend spülte sie das Geschirr, dass es nur so schepperte.
Oder als die Kinder im schwierigen Alter waren, da konnte ich schon mal auf die Idee kommen, einen neuen Holzschuppen zu bauen. Meine Frau kümmerte sich um die Bälger, und ich sägte, hobelte und nagelte. Am Abend waren wir dann müde und gereizt.
Eine Zeitlang versuchte ich es anstatt mit Reden mit anderen Problemlösungsmethoden: Ich ging Holz hacken, wenn es mit meiner Frau zu atmosphärischen Spannungen kam. Solang ich mich erinnern kann, wollte sie, dass ich mehr rede. So etwas ärgert einen jungen Mann. Reicht es nicht, dass man ein Haus baut, sich um Grund und Boden kümmert und seinen Lohn verdient?
Nein, es reicht nicht. Auch nicht, dass man bei der Forstarbeit seinem Pferd ein paar tiefsinnigere Sachen erzählt.
Aber irgendwie hat sich von dem Unausgesprochenen auch in mir was angesammelt. Und jetzt, wo ich ab und zu Lust hätte, über dies und das zu quasseln, ist keiner mehr da, mit dem ich es könnte. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als an die Zeitung zu schreiben.
Streiten ist einfach sinnlos und doch tun es die Menschen ständig. In meinem Alter möchte man sich keinen Streitereien mehr aussetzen, und darum schaue ich mir keine Wahldiskussionen im Fernsehen an. Staaten und Männer und Frauen zanken sich. Je näher sich die Menschen stehen, desto hässlicher geht es aus. Da vergeudet man seine Kräfte, da prallen gemeinsame Sachen aufeinander, die eigentlich nebeneinander hergehen müssten. Oder die man auf einen Lastschlitten packen sollte, um sie dann gemeinsam zu ziehen. Ich habe mit meiner Frau nie lange im Streit liegen können, meistens blieb es bei weniger als einem Jahr. Mit meinem Nachbarn Kolehmainen dürfte ich allerdings inzwischen schon ins sechzehnte Jahr gehen.
P.S.: Wenn man es nicht genau weiß oder sich unsicher ist, dann hilft eines immer: eine Nacht drüber schlafen. Der Geist eines Menschen, der gestern noch verzweifelt war, kann am nächsten Morgen schon hell und munter sein und wissen, wo es langgeht.