INHALT


Einleitung

Die Krise der privaten Altersvorsorge

Die drei Säulen der Altersvorsorge: gesetzlich, betrieblich, privat

Ist der Ruf erst ruiniert ... Versicherer in der Vertrauenskrise

Die Kapitallebensversicherung: der Deutschen liebstes Vorsorgemodell

Das Anlage-Problem: Absturz garantiert

Run-off-Gesellschaften: »Endlager« für Lebensversicherungen

Was wäre, wenn ... – ein Crash-Szenario

Die Mitschuldigen – der Staat als Brandbeschleuniger

Agenda 2010: der Rettungsversuch als Desaster

Solvency II: wenn Lösungen zum Problem werden

Unter Druck: die Lebensversicherung am Abgrund

Die Opfer – Altersarmut statt Rendite

Enttäuschte Kunden: wenn das Ersparte immer weniger wird

Abgezockt: Altersarmut statt Rendite

Die Verursacher – eine Branche sieht rot

Organisierte Verantwortungslosigkeit: wie Versicherungsunternehmen ticken

Linke Tasche, rechte Tasche: ein kannibalistisches Geschäftsmodell

Das große Schweigen – bloß keine Panik

Die Versicherungsbranche: too big to fail?

Das Geflecht der Abhängigkeiten: eine unheilige Allianz?

Der absehbare Kollaps

Der Sündenfall: vom Solidaritätsprinzip zum Sparprodukt

Die Entfremdung: der entfesselte Vertrieb

Die Gier: Der Markt frisst seine Kunden

Das Ende und die Zukunft – Altersvorsorge und Versicherungen im Wandel

Digitalisierung: die Versicherungsbranche im Umbruch

Change: Wer sich ändert, gewinnt

Das Neue: Wie geht Versichern 4.0?

Die Zukunft der privaten Altersvorsorge und die Rolle der Lebensversicherung

Was tun? – Wie Sie sich auf den Crash vorbereiten können

Der Neustart: am Ende ein Anfang

Raus aus den Policen: Was Sie mit Ihrer Lebensversicherung tun können

Seien Sie mutig: Das Leben besteht nicht nur aus Risiken


Zum Schluss

Dank

Anmerkungen

EINLEITUNG


Die Deutschen werden immer älter. Heute Fünfzigjährige können damit rechnen, weit über 80 Jahre alt zu werden – und wer jünger ist, hat eine noch höhere Lebenserwartung.1 Das ist schön und eigentlich eine gute Nachricht. Weniger schön sind jedoch die erschwerten Bedingungen, unter denen viele Ältere zukünftig werden leben müssen. Denn ihnen droht ein Alter in Armut. Für jeden einzelnen betroffenen Menschen ist das dramatisch. Wird Altersarmut gar zum Massenphänomen, rüttelt dies an den Grundfesten unserer Gesellschaft. Ein Problem, über das die Politik zwar hin und wieder redet, jedoch keinerlei Anstalten unternimmt, es durch eine grundlegende Reform der Altersvorsorge zu lösen.

Diese düstere Prognose habe ich mir nicht selbst ausgedacht, immer wieder weisen Untersuchungen auf die Gefahr der Altersarmut hin, exemplarisch sei hier eine aktuelle Studie2 im Auftrag der Bertelsmann Stiftung genannt. Deren Vorstandsvorsitzender Aart De Geus schlussfolgerte: »Wir brauchen weitere Reformen für den Ruhestand: Wenn die Babyboomer-Generation in Rente geht, könnte es zu einem bösen Erwachen kommen.«3 Denn Altersarmut wird kein Randphänomen sein. Das zeigt die Entwicklung der Altersstruktur unserer Gesellschaft: Die Babyboomer, das sind in Deutschland die zwischen Mitte der 1950er- und Ende der 1960er-Jahre Geborenen, erreichen bald das Rentenalter. Ältere werden bald über ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, Tendenz steigend.

Ich bin der Meinung, dass die alarmierenden Vorhersagen noch viel zu positiv sind. Sie betonen, dass vor allem die Marginalisierten – Bildungsferne, Langzeitarbeitslose und alleinstehende Frauen – von Altersarmut betroffen sein werden. Das verschiebt die Problemlage weg von der Mitte der Gesellschaft hin zu den Rändern. Doch Altersarmut kann uns alle treffen, auch Menschen, die durchgehend gearbeitet haben, und vor allem auch jene, die zusätzlich auf eigene Initiative hin vorgesorgt haben – etwa mit einer Kapitallebensversicherung, das in Deutschland mit Abstand beliebteste Produkt für die private Altersvorsorge.

Die Experten haben nämlich bei ihren Untersuchungen einen enorm wichtigen Faktor nicht bedacht. Sie gehen davon aus, dass die private Altersvorsorge – als Ergänzung zur gesetzlichen Rente und zur Betriebsrente heute für viele Menschen essentiell – funktioniert. Doch ist sie in ihrer Existenz bedroht. Die wichtigste Form der privaten Absicherung von Millionen Deutschen, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in Rente gehen, ist die »klassische« Lebensversicherung, im Fachjargon »kapitalbildende Lebensversicherung auf den Todes- und den Erlebensfall« genannt. Sie steht heute auf der Kippe. Etliche Versicherungsunternehmen lagern die entsprechenden Policen bereits an fremde Firmen aus, weil sie die Ansprüche ihrer Kunden nicht mehr bedienen können, anderen droht der Kollaps – und den Versicherten damit der Verlust eines beträchtlichen Teils ihres Vermögens.

Es handelt sich um eine Gefahr, die die Versicherungsunternehmen aus gutem Grund verschweigen. Eine Gefahr, die der Staat und seine Institutionen schon seit langem kennen – doch niemand möchte die schlechte Botschaft überbringen, denn es droht nicht nur die Abstrafung bei der nächsten Wahl, sondern Panik im Land. Und daran haben weder die Vorsorgeindustrie noch die Politiker ein Interesse. Das Schweigen hat System, eine Haltung, die unsere Gesellschaft in Sicherheit wiegt, uns aber unvorbereitet lässt, wenn es dann tatsächlich zu einem Crash kommt. Es ist eine Gefahr, über die auch nur sehr wenig in Zeitungen, Zeitschriften oder Rundfunk und TV berichtet wird. Eine Gefahr, die in der Medienlandschaft, wo sonst jede kleine Verfehlung sicher aufgespürt und garantiert zum Skandal hochgejazzt wird, fast unsichtbar geblieben ist.

Dabei ist der Tod der Lebensversicherung keine Schwarzmalerei, der Patient liegt bereits auf der Intensivstation. Die Ursachen und Folgen des absehbaren Zusammenbruchs möchte ich in diesem Buch näher beschreiben. Mich treibt dabei keineswegs eine morbide Lust am Untergang. Ich selbst habe einige Jahrzehnte in Führungspositionen der Versicherungswirtschaft gearbeitet und fühle mich ihr und ihrem ursprünglichen gesellschaftlichen Auftrag nach wie vor in vielerlei Hinsicht verbunden. Ich musste jedoch erkennen und konnte es auch in Leitungsfunktionen nicht verhindern, dass das Gründungs- und Grundprinzip der Branche, eine Solidar- und Schutzgemeinschaft der Versicherten zu sein, von einer überbordenden Vertriebsmaschinerie zermalmt wurde und zunehmend einer reinen Umsatzorientierung gewichen ist, die nun den Bestand des Geschäfts bedroht und damit die private Altersvorsorge. Das heißt, die Ursachen für den absehbaren Kollaps sind zu einem guten Teil – aber nicht ausschließlich – hausgemacht.

Schockwellen

Warum spitzt sich gerade jetzt die Lage für die Lebensversicherungsbranche und damit für ihre Kunden zu? Vor allem drei Faktoren kommen gegenwärtig zusammen, die jeder für sich gefährlich genug wären, die aber in ihrer Kombination kaum zu bewältigen sein werden.

Erstens: Nachdem das Bundesverfassungsgericht im März 2002 die unterschiedliche Besteuerung der Beamtenpensionen und der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes für unvereinbar erklärt und dem Gesetzgeber aufgetragen hatte, den Mangel zu beheben, trat am 1. Januar 2005 das Alterseinkünftegesetz in Kraft. Darin wurde das so genannte Steuerprivileg von Kapitallebensversicherungen verändert. Alle Zahlungen aus Verträgen, die nach dem 31. Dezember 2004 abgeschlossen wurden, waren nun steuerpflichtig. Seitdem muss bei Einmalauszahlungen die Hälfte der Erträge aus Kapitallebensversicherungen – diese Erträge sind die Differenz zwischen eingezahltem und ausgezahltem Betrag – versteuert werden, sofern die Auszahlung nach Vollendung des 62. Lebensjahrs erfolgt und der Vertrag eine Mindestlaufzeit von zwölf Jahren hat. Als diese gesetzlichen Vorgaben bekannt wurden, schwärmten die für mein damaliges Unternehmen tätigen Vertreter und Vermittler aus und brachten wäschekörbeweise Neuverträge mit, die wir auf extra herbeigeschafften Tapeziertischen bearbeiteten. Vor allem von Juli 2004, als das Gesetz verabschiedet wurde, bis Ende Dezember 2004 war der Andrang der Steuersparwilligen riesig. Jeder wollte noch schnell dem Fiskus ein Schnippchen schlagen. Da eine Mindestlaufzeit von zwölf Jahren auch bei Altverträgen die Voraussetzung für die Steuerfreiheit ist, kamen die Versicherer nach Ablauf dieser Frist in eine erste prekäre Phase. Ende 2016 wurden die ersten der damals geschlossenen Policen fällig, die Unternehmen mussten die Ansprüche ihrer Kunden bedienen, was sie gehörig unter Druck setzte. Und da viele Verträge erst noch zur Auszahlung kommen, müssen die Versicherer in den nächsten Jahren in großem Umfang liquide Mittel vorhalten. Um die Liquidität zu sichern, wurden bereits umfangreiche Sparmaßnahmen ergriffen und tausende Mitarbeiter entlassen.

Zweitens: Dieser Liquiditätsbedarf ist in einer Phase anhaltend niedriger Zinsen problematisch. Derzeit Jahren laufen viele noch hochverzinste, langlaufende Bundesanleihen aus den 1990er-Jahren aus und lassen sich durch keine auch nur annähernd rentablen Papiere ersetzen. Denn seit 2000 ist das Zinsniveau kontinuierlich gesunken und befindet sich derzeit auf einem Rekordtief. Zudem müssen die Versicherer laut gesetzlicher Vorgabe rund 80 Prozent ihrer Kapitalanlagen – also das Geld ihrer Kunden – in scheinbar sichere, festverzinsliche Wertpapiere anlegen. Mit ihren Anlagen erzielen die Unternehmen eine Rendite, die noch unter der liegt, die an die Kunden ausgezahlt werden muss. Wenn einige Versicherer nun zusätzlich Wertpapiere und Beteiligungen, die noch eine nennenswerte Verzinsung aufweisen, veräußern müssen, um den aktuellen Kapitalbedarf zu decken, werden sie hierfür künftig keinen adäquaten Ersatz mehr finden. Ohne Zinserträge aber ist ihr Geschäftsmodell praktisch perdu.

Drittens: Der Liquiditätsbedarf wird in den kommenden Jahren sogar noch steigen, wenn die Babyboomer in die Auszahlungsphase kommen. Es dürften Millionen Policen fällig werden. In gewisser Weise ist das eine Ironie der Geschichte: Jahrelang haben die Versicherer ihre Altersvorsorgeprodukte mit dem Argument beworben und verkauft, dass man sich wegen der demographischen Entwicklung gegen Versorgungslücken im Alter wappnen müsse, jetzt sitzen sie selbst in der Demographiefalle. Eine große Zahl von Leistungsberechtigten wartet auf Auszahlung, während immer weniger Beitragszahler hinzukommen.

Wie schon erwähnt, kommt jede dieser drei Besonderheiten für sich schon einem realen Stresstest für die Versicherer gleich. Aber so sehr die Risk Manager und Aktuare – das sind die vom Vorstand bestellten Versicherungsmathematiker, die unter anderem die für die Zukunft erforderlichen Deckungsrückstellungen kalkulieren – auch rechnen werden, für einige Unternehmen wird der Absturz nicht abzuwenden sein. Ich werde beschreiben, warum das so ist und welche Szenarien dann realistisch sind.

Systemversagen

Der Kollaps, der hier droht, ist kein unvorhergesehener, plötzlicher und »unverschuldeter« Zusammenbruch eines an sich gesunden Systems. Nein, Lebensversicherer steuern vielmehr seit Jahren sehenden Auges auf einen Abgrund zu. Fehlentwicklungen werden beharrlich beschwiegen und mit teuren Marketingmaßnahmen übertüncht, bestenfalls missdeutet; ein enormer Verkaufsdruck hat die Beratungsqualität erodieren lassen; die Chancen der Digitalisierung bleiben bislang weitgehend ungenutzt; die Volatilität eines Marktes, der im Wesentlichen auf Vertrauen gründet, wird im Glauben an die eigene Kapitalstärke und »Systemrelevanz« regelmäßig missachtet. Würden die Versicherungsgesellschaften dadurch »nur« ihre eigene Existenz sowie den Bestand von hunderttausenden Arbeitsplätzen gefährden, wäre dies bitter genug. Es wird aber weit schlimmer kommen.

Der Kapitalbestand der Assekuranz-Unternehmen ist derart groß, dass sie den gesamten Finanzmarkt in die Krise reißen können. Natürlich wird der Staat deshalb, und um einen sozialpolitischen Super-GAU zu verhindern, im Zweifel mit Milliarden an Steuergeldern einen Kollaps abzuwenden versuchen. Tatsächlich hat der Gesetzgeber, in Sorge um die Branche, während der letzten Jahre bereits sehr viel getan, um ihre Zukunftsfähigkeit sicherzustellen. Schon die 2002 eingeführte Riester- und danach die Rürup-Rente waren gigantische Finanzhilfen für die private Versicherungswirtschaft, die es ihr eigentlich ermöglicht hätten, erforderliche Reformen auf den Weg zu bringen und zeitgemäße Geschäftsmodelle zu entwickeln. Aber die meisten Maßnahmen, auf die ich im Einzelnen noch eingehen werde, haben den Kollaps lediglich verzögert, weil sie eben nicht als Anschub für etwas Neues, sondern als Hilfe zur Weiterführung des Alten fehlverwendet wurden. In einigen Fällen erweisen sich die Interventionen des Bundesfinanzministeriums, der Finanzaufsicht und der Zentralbank sogar als Brandbeschleuniger, weil sie die angespannte Kapitalbasis der Unternehmen zusätzlich schmälern.

Wann der Zusammenbruch erfolgen wird, kann ich nicht präzise vorhersagen. Zwar gibt es bereits erste, gewissermaßen offizielle Warnungen, etwa seitens der deutschen und der europäischen Finanzaufsicht und des Internationalen Währungsfonds IWF, wonach die »Schieflage« der Lebensversicherer eine neue Finanzkrise auslösen könnte. Doch in der Öffentlichkeit und an den Börsen herrscht noch weitgehend Ruhe. Es dürfte die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm sein, da bin ich sicher.

Vom Prunkstück zum Auslaufmodell

Während ich diese Zeilen schreibe, verdichten sich die Anzeichen für den Crash: Viele namhafte und große Versicherer bieten die klassische Lebensversicherung gar nicht mehr an, weil das »Produkt« für sie unrentabel geworden ist – eine »Marktanpassung«, die allerdings wegen der Millionen noch laufenden Verträge keine Rettung verspricht.

Was dazukommt und die Lage weiter verschärft: Einige Lebensversicherer lagern ihre Policen in eigenständige Gesellschaften aus – das defizitäre Geschäft soll das Hauptunternehmen nicht mehr belasten. Andere verkaufen die Verträge über die Köpfe der Versicherten hinweg an spezialisierte Abwicklungsfirmen, so genannte Run-off-Gesellschaften, die mit den Lebensversicherungen von der Resterampe Geschäfte machen wollen. So landen viele der von den Bürgern besparten Policen auf der »Müllkippe« der Versicherungsindustrie. Werden die Policen ausgelagert, wird das Problem aber nicht gelöst, sondern nur verlagert. Am Ende droht den Versicherten gar der Verlust ihrer gezahlten Beiträge.

Ein weiteres, untrügliches Indiz für den Niedergang: Schon heute müssen zahlreiche Versicherte in den sauren Apfel beißen und zum Teil drastische Kürzungen bei ihrer Privatrente4 hinnehmen. Als Kunde bekommt man heute bei weitem nicht mehr das, was von den Vermittlern oder Vertretern bei Vertragsschluss versprochen wurde. Ein schwerer Schlag für alle Versicherten, die ihre Lebensplanung und ihre Altersvorsorge darauf aufgebaut haben.

Die Lebensversicherung, in der Bundesrepublik für viele Menschen jahrzehntelang ein Synonym für Sicherheit und Solidität, liegt auf dem Sterbebett. Und alle schauen beim Sterben zu. Das einstige Prunkstück der privaten Altersvorsorge ist zum Auslaufmodell geworden.

Sichere Einlagen?

Die Gefahr eines Crashs der Kapitallebensversicherung ist durchaus nicht unbekannt, sorgt aber öffentlich noch (!) nicht für große Aufregung, auch weil die eigentlich nicht zu übersehenden Krisenzeichen von den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft entweder kleingeredet oder mit fragwürdiger Rhetorik übertüncht werden. »Ihre Einlagen sind sicher. Dafür steht die Bundesregierung ein.«5 Diese mutige Auskunft erteilten Kanzlerin Merkel und der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück bekanntlich im Oktober 2008, auf dem Höhepunkt der Bankenkrise, allen »Sparerinnen und Sparern« im Lande – und sorgten damit für eine Beruhigung, die bis heute anzuhalten scheint. Dabei besteht zur Beruhigung überhaupt kein Anlass. Wer das Volumen des Sparvermögens in Deutschland kennt – über 2,2 Billionen Euro als Bargeld, Tages- oder Festgeld und noch einmal knapp 3,5 Billionen Euro in Form von Anleihen, Aktien, Fonds oder Versicherungen6 –, muss wissen, dass eine solche Aussage der reine Irrwitz ist. Der gesamte Bundeshaushalt für das Jahr 2018 beispielsweise sieht Ausgaben in Höhe von knapp 337 Milliarden Euro vor, damit könnten gerade einmal rund 6 Prozent der Spareinlagen gesichert werden. Und der Rest, immerhin knapp 94 Prozent? Kein Einlagensicherungsfonds und keine Regierung dieser Welt könnten so etwas stemmen. Unsere Ersparnisse sind also keineswegs sicher. Insofern sollte der beschwichtigende Auftritt der Regierungsverantwortlichen nicht als Garantie missverstanden werden. Er war psychologisch motiviert, wie Peer Steinbrück später auch einräumte. Wenn nur 15 Prozent der Sparer ihre Konten aufgelöst und ihr Geld nach Hause getragen hätten, wäre der gesamte Geldkreislauf im Land zusammengebrochen. Da darf man es mit der Wahrheit ruhig mal etwas weniger genau nehmen.

Ähnlich dramatische Zeiten stehen uns jetzt wieder bevor. Denn in Wahrheit ist das Kartenhaus unserer privaten Vorsorge akut einsturzgefährdet. Schon heute findet, insbesondere durch die anhaltende Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, eine schleichende Enteignung von Millionen Sparern statt, deren Zinserträge aus Sparguthaben und Lebensversicherungen von der Inflation mehr als aufgezehrt werden. Nach Berechnungen der DZ Bank, des Zentralinstituts der Volks- und Raiffeisenbanken, mussten die Deutschen allein von 2010 bis Ende 2016 einen Wohlstandsverlust von knapp 200 Milliarden Euro verkraften.7 Der damit einhergehende Verlust an politischer Stabilität ist nicht minder schmerzlich. Bekanntlich basierten die ersten Erfolge der AfD vor allem darauf, dass die Partei vorgab, den deutschen Sparer vor Europa und den griechischen Staatsschulden zu schützen. Gerade der Anti-Kurs gegen den Euro und die Europäische Zentralbank ist Teil der Gründungsgeschichte der vermeintlichen »Alternative für Deutschland«, die die Parteienlandschaft in Deutschland durcheinandergewirbelt hat.

Richtig ist: Die niedrigen Zinsen sind ein wirkmächtiger Faktor. Richtig ist aber auch: Sie bieten keine hinreichende Erklärung für die Krise der Versicherungsbranche, die in meinen Augen viel gefährlicher ist – und sich erheblich einschneidender auswirken kann – als die erwähnte schleichende Enteignung. Der Vorsorge-Markt ist bereits in eine Abwärtsspirale geraten und steuert direkt auf den freien Fall zu. Geschieht dies, wird kein Sicherungsnetz auch nur annähernd in der Lage sein, die Verluste in nennenswertem Umfang auszugleichen, allen Beschwichtigungen zum Trotz.

Ein Placebo als Rettungsschirm

Solange es lediglich einen, möglichst nicht mehr als mittelgroßen, Versicherer trifft, wird man das Problem wohl noch managen können. Schon im Jahr 2003 haben alle im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) organisierten Assekuranz-Unternehmen auf Druck der BaFin, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, eine gemeinsame Rettungsgesellschaft gegründet, die Protektor AG, um gegen die Insolvenz eines Mitgliedsunternehmens gewappnet zu sein. Und es gab einen konkreten Anlass. Im Frühjahr 2003 war das bis dahin für unmöglich Gehaltene tatsächlich passiert: In Deutschland stand eine Versicherung vor dem Aus. Die Mannheimer Versicherung hatte durch hohe Kursverluste an den Börsen einen Gutteil ihres Anlagevermögens, das heißt der von ihr verwalteten Kundengelder, verloren und benötigte 370 Millionen Euro, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. 340 000 Lebensversicherungsverträge drohten zu platzen, der Ruf der gesamten Branche war gefährdet.

Nachdem Übernahmeverhandlungen gescheitert waren, traf man sich zum Krisengipfel und gründete flugs die genannte Auffanggesellschaft, um den Schaden möglichst gering zu halten. Die Protektor AG übernahm schließlich alle Verträge der Mannheimer, um sie weiterzuführen, sowie knapp 300 von 1200 Mitarbeitern. Da laut Satzung keinerlei Neugeschäft vorgesehen ist, konnten die Vertriebs- und Verwaltungskosten bei dieser »Sterbebegleitung« zunächst vergleichsweise gering gehalten werden, ohne dass die Leistungen für die Altersvorsorge und den Risikoschutz für die Kunden geschmälert werden. Trotzdem mussten die Aktionäre der Protektor Lebensversicherungs-AG, also die Gemeinschaft der Versicherer, nach eigenen Angaben 240 Millionen Euro aufbringen, um die Katastrophe für die Mannheimer-Kunden abzuwenden.8 Am Ende war man froh, den durch Ablauf, Todesfälle oder vorzeitige Beendigung auf rund 100 000 abgeschmolzenen Bestand der Versicherungsverträge loszuwerden und 2017 an die private Abwicklungsgesellschaft Viridium verkaufen zu können.9

Trotz allem ist die ganze Abwicklung erstaunlich geräuscharm über die Bühne gebracht und sogar als Beispiel für die Solidität der Branche vermarktet worden. Ob das ein weiteres Mal gelingen kann, erst recht, wenn mehrere Unternehmen abrutschen, muss bezweifelt werden. Und auf die im Oktober 2008 geschürte Hoffnung, dass es dann eben, als letzte Instanz, der Staat richten wird, sollte man, wie schon erwähnt, besser nicht bauen.

Was tun?

Noch einmal: Ich möchte hier nicht schwarzmalen. Doch nur wer die Wirklichkeit zur Kenntnis nimmt, wird in der Lage sein, sich auf schwierige Zeiten vorzubereiten und auch die mit jeder Krise einhergehenden Chancen wahrzunehmen. Der Kollaps selbst ist meiner Überzeugung nach nicht abzuwenden – eben weil die Lebensversicherer alle sich bislang ergebenden Möglichkeiten zur Neuausrichtung ignoriert haben. Als Erstes wird es die vielen »normalen« Sparer treffen, die schon heute am Ende der Vertragslaufzeit kaum mehr herausbekommen, als sie eingezahlt haben – und ganz gewiss deutlich weniger, als ihnen bei Vertragsschluss in schönen Modellrechnungen vorgegaukelt wurde. Aber auch das Eingezahlte, das Ersparte ist nicht mehr sicher. Wir werden eine massenhafte Kapitalvernichtung erleben, können aber gleichwohl gestärkt aus dieser Situation hervorgehen, wenn wir als Verbraucher, aber auch die Unternehmer und nicht zuletzt die Politik die richtigen Schlüsse ziehen.

Für die Bürgerinnen und Bürger heißt es, nicht blind ins Verderben zu laufen und sich aktiv mit dem Thema Altersvorsorge auseinanderzusetzen Für die Versicherungsbranche bedeutet dies ein radikales Umdenken. Es heißt vor allem, endlich den Schritt ins 21. Jahrhundert zu gehen, zeitgemäße Vorsorgeprodukte anzubieten und sich den Chancen, die die Digitalisierung bietet, nicht zu verweigern. Die Politik schließlich sollte ihre Lethargie ablegen; zu lange schon beobachtet sie die Krise der Alterssicherung und lässt die private Altersvorsorge in Richtung Abgrund laufen. Die letzte Bundestagswahl liegt noch nicht lange zurück. Die neue Bundesregierung hat nun die Möglichkeit, endlich das »heiße Eisen« Altersvorsorge anzupacken – ohne direkt eine Abstrafung durch die Wähler befürchten zu müssen.

Ein Überblick

In den folgenden Kapiteln werde ich die derzeitige Situation der privaten Altersvorsorge – insbesondere der Lebensversicherung – skizzieren und ihre Hintergründe aufzeigen. Wie konnte es zur Krise kommen? Welche Rolle spielte dabei die Versicherungsbranche selbst? Warum verschärfte der Staat die Situation, anstatt mit sinnvollen Instrumenten gegenzusteuern? Und wie stellt sich die Lage für die Betroffenen, die Versicherten dar? Ich möchte weiter beschreiben, durch welche Fehlentwicklungen die gegenwärtige Lage entstanden ist und wie die Versicherer ihre Zukunft aufs Spiel setzten, und damit auch die ihrer Kunden. Im Anschluss möchte ich Anregungen dafür geben, was Sie, verehrte Leserin, lieber Leser, tun können, um den Aufprall so wenig beschadet wie möglich zu überstehen; wie Sie sich auf den drohenden Crash vorbereiten können, was Sie mit Ihren Lebensversicherungspolicen tun können, und wie Altersvorsorge und Versicherungsschutz in der Zukunft aussehen können.

Ich stütze mich in diesem Buch in erster Linie auf eigene Beobachtungen, Erlebnisse und Erfahrungen, denn ich bin kein Wissenschaftler, sondern komme und berichte aus der Praxis. Und in dieser Praxis rast man gerade mit hoher Geschwindigkeit in eine Sackgasse. Ein Aufprall wird nicht mehr zu verhindern, aber vielleicht abzumildern sein. Deshalb dieses Buch, das weder ein Fachbuch noch ein Ratgeber sein will, sondern eine Diskussion anstoßen möchte, die wir dringend führen müssen, wenn wir die Fehler der Vergangenheit künftig vermeiden wollen.