Archäologische Denkmalpflege

Jürgen Kunow / Michael Rind

Archäologische Denkmalpflege

Theorie - Praxis - Berufsfelder

Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen

Inhalt

Über Jürgen Kunow / Michael Rind

Public History – Geschichte in der Praxis

Herausgegeben von Irmgard Zündorf (Potsdam) und Stefanie Samida (Heidelberg)

 

 

 

Prof. Dr. Jürgen Kunow war Landesarchäologe in Brandenburg und im Rheinland sowie Mitglied der Zentraldirektion des Deutschen Archäologischen Instituts.

 

Prof. Dr. Michael M. Rind ist Direktor der LWL-Archäologie für Westfalen und lehrt als apl. Prof. an der Universität in Münster.

Einleitung

Es mag ein etwas ungewöhnlicher Anfang für ein Buch sein, zunächst zu betonen, was es nicht sein will: Dieses Buch ist keine allgemeine Einführung in die hiesige Archäologie. Dies liefern eher andere Publikationen, die zu diesem Thema in Deutschland bereits erschienen sind. Dabei sind die erst- und die letztgenannte Publikation als Einstieg besonders geeignet (Eggers 1959; Müller-Karpe 1975; Eggert 32008; Trachsel 2008; Eggert/Samida 22013). Es liefert auch keine umfassende Darstellung in Methoden und Anwendungsmöglichkeiten der Feldarchäologie (Gersbach 1989), auch wenn diese natürlich überblicksartig angesprochen werden (siehe Kap. 3.1). Vielmehr bietet das Buch – und dieses erstmalig auf dem deutschsprachigen Buchmarkt – eine Einführung in das Berufsfeld ‚Archäologische DenkmalpflegeDenkmalDenkmalpflege‘ bzw. ‚Bodendenkmalpflege‘.

Was bedeutet dies aber konkret? Was erfahren Studierende eigentlich über die Arbeit der Archäologischen DenkmalpflegeDenkmalDenkmalpflege im Rahmen ihres mehrjährigen archäologischen Universitätsstudiums und warum könnte das Wissen, das diese Publikation vermittelt, für eine spätere Berufswahl relevant sein (siehe Kap. 4)? Sieht man von der praktischen Teilnahme – häufig in den Semesterferien – an Projekt- und LehrgrabungenLehrgrabung, Feldbegehungen oder Vermessungsarbeiten eines Universitätsinstitutes einmal ab, gibt es in der Regel keine Veranstaltungen, die in das Berufsfeld der Archäologischen Denkmalpflege einführen. Die Umsetzung und Ausgestaltung von DenkmalschutzDenkmalDenkmalschutz und Denkmalpflege für untertägige Fundplätze und obertägige Geländedenkmäler, aber auch der denkmalgerechte Umgang bei der Bergung und Erstversorgung von Funden oder die Anwendungsmöglichkeiten des Denkmalrechts für das archäologische KulturerbeKulturerbe werden in der Regel nicht thematisiert. Es sei denn, ein Mitarbeiter eines Denkmalamtes kann als Dozent oder Honorarprofessor für einschlägige Übungen und Seminare gewonnen werden. Weiterhin recht selten ist in Deutschland zudem der Fall, dass ein Mitarbeiter eines Landesdenkmalamtes zu einem späteren Zeitpunkt an die Universität auf Dauer zurückkehrt und dort Lehrveranstaltungen über die berufliche Praxis anbietet. Diese Darstellung gibt die reale Situation in Deutschland wieder – auch die Verfasser dieser Publikation haben unter diesen Voraussetzungen den Einstieg in das Berufsleben finden müssen.

Will man ‚Kustode‘ und ‚Anwalt‘ – selbstverständlich erfasst das generische Maskulinum hier und im Folgenden alle Geschlechter – für das

Zweifellos bestehen die größten Defizite bei Berufsanfängern beim Denkmalrecht und verwandten Rechtsgebieten. Natürlich ändern sich Gesetze im Laufe der Zeit und man muss schauen, ob zwischenzeitlich Änderungen oder wichtige Gerichtsurteile ergangen sind. Auch im Land Nordrhein-Westfalen, wo die beiden Autoren als Landesarchäologen tätig sind bzw. waren, befasst sich aktuell der Landtag mit einer Novellierung des Denkmalschutzgesetzes. Der Ausgang ist noch offen und mancher Bezug auf einen hier im Buch zitierten Gesetzesparagraphen (siehe Kap. 2.6) mag demnächst überholt sein. Doch geht es uns in dieser Einführung weniger um konkrete Paragraphen, sondern um die Kenntnis des ‚Baukastens‘, aus dem sich die Gesetze des Kulturgutschutzes in Grundfragen hierzulande (aber auch über Deutschland hinaus) bedienen. Da gibt es zu Einzelthemen in aller Regel verschiedene, allerdings zahlenmäßig beschränkte Alternativen, wobei tatsächlich wenig grundlegend Neues in den letzten Jahren an Einzelmodulen hinzugekommen ist. Ebenfalls eher nebulöse Vorstellungen bestehen zum vielseitigen Arbeitsalltag eines Bodendenkmalpflegers, etwa zu den Gutachten und Stellungnahmen, die er verfasst und die nicht selten eine erhebliche LangzeitwirkungLangzeitwirkung aufweisen, oder zu Abstimmungsgesprächen mit Bürgermeistern und Landräten, Bauherren und Landwirten. Wesentliche Fragen und die Antworten darauf bilden die Basis der Archäologischen DenkmalpflegeDenkmalDenkmalpflege in Deutschland und auch dieses Buches:

In den Jahren 2006 bis 2008 wurde eine umfassende Erhebung zur Situation von Archäologen in Europa von der Europäischen Union im Rahmen des Programms Leonardo da Vinci II gefördert (Aitchison 2010). An der Studie Discovering the Archaeologists of Europe (DISCO) beteiligten sich zwölf EU-Staaten (https://www.discovering-archaeologists.eu/DISCO_Transnational_Report.pdf.). Auch Deutschland – koordiniert vom Verband der Landesarchäologen, der hierzu zeitnah auch ein internationales Kolloquium veranstaltete (Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland 2010) – war darunter. Der umfassende Report liegt veröffentlicht vor (https://www.discovering-archaeologists.eu/national_reports/Disco-D-dt-korr-05-final.pdf). Analysen für Deutschland insgesamt (Krausse/Nübold 2010) und einige Bundesländer (Kunow et al. 2010) ergänzen diesen Report. Im Rahmen des Leonardo-Programms der EU wurde erfolgreich eine Fortschreibung der ‚DISCO-Studie‘ (20122014) beantragt, an der sich neben einigen der bisherigen Länder sieben weitere beteiligten. Die Ergebnisse wurden 2014 ebenfalls in einem Report vorgelegt und berücksichtigen nicht nur weitere Länderbeteiligungen, sondern zudem auch neue Abfragen und Aktualisierungen. Deutschland beteiligte sich wiederum an der Studie; federführend waren das Universitätsinstitut für Klassische Archäologie in Bonn und der Deutsche Archäologen-Verband (DArV) (https://www.discovering-archaeologists.eu/national_reports/2014/DE%20DISCO%202014%20Germany%20national%20report%20german.pdf). Auffällig ist beim Studienvergleich von 2008 und 2014 ein massiver Einbruch, der in Folge der großen Weltwirtschaftskrise insbesondere die südeuropäischen Länder und auch die dortigen Archäologen ereilte und sich etwa in Entlassungen oder Gehaltskürzungen niederschlug. Die eingetretene Ernüchterung wurde als ‚After the Goldrush‘ treffend charakterisiert und so konnte, ohne dass zwischenzeitlich im nennenswerten Umfang bessere Arbeitsbedingungen und Stellen hinzugekommen waren, die Bundesrepublik Deutschland ihren früheren Mittelfeldplatz im europäischen Vergleich, der unterschiedliche Faktoren wie ‚Archäologendichte‘ im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, Alters- und Geschlechtsverteilung, Qualitätsstandards und Qualifikation der Grabungsleiter, Organisationsgrößen, Vertragsdauer und Stellensicherheit etc. einbezog, erheblich verbessern.

 

Bonn und Münster, August 2021

Theorie

2.1 Einführung in die Archäologische Denkmalpflege

2.1.1 Zielsetzung und Zielgruppen

Worum geht es in dieser ‚Einführung in die Archäologische DenkmalpflegeDenkmalDenkmalpflege‘ und an wen insbesondere richten wir uns? Die in Deutschland in der Praxis stehenden Bodendenkmalpfleger – wir kommen auf Begrifflichkeiten und deren Synonymität gleich zurück – haben ein archäologisches Studium absolviert, dessen konkrete Bezeichnung einerseits und Arbeitsauftrag gegenüber anderen archäologischen Tätigkeitsfeldern andererseits uns noch beschäftigen werden (siehe Kap. 3.2 und 4). Sie, also die nach Beendigung des Studiums in der Archäologischen Denkmalpflege Tätigen, werden an der Universität auf ihre spätere berufliche Tätigkeit im Grunde nicht vorbereitet, wenn man von praktischen Einsätzen im Gelände etwa auf LehrgrabungenLehrgrabung oder Surveys absieht.

Universitätslehrer betonen gerne, dass sie Wissenschaftler ausbilden, die (so jedenfalls die Theorie) in jedem späteren Berufsfeld – also Universität, Museum, Bodendenkmalpflege, DenkmalbehördeDenkmalDenkmal(schutz)behörde, Kulturverwaltung, Forschungseinrichtung, GrabungsfirmaGrabungsfirma, Medienarbeit etc., um die wichtigsten zu nennen – reüssieren können. Vor diesem Hintergrund hatte vor mehr als zwanzig Jahren der Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland (1999b) unterschiedliche Fachvertreter zum Kolloquium ‚Bodendenkmalpflege als Beruf – Ein Ausbildungsziel der Universitäten?‘ nach Königswinter (Rheinland) eingeladen. Natürlich forderte und fordert die Landesarchäologie nicht, dass an den Universitäten jetzt Bodendenkmalpfleger ausgebildet werden sollten; auch wir unterstützen die große fachliche Breite im Studium. Als Vertreter der deutschen Universitäten hat seinerzeit Bernhard Hänsel$Hänsel, Bernhard, Prähistoriker und Lehrstuhlinhaber an der FU Berlin, seine Auffassung von Lehre pointiert dargestellt, indem er auf das Beispiel verwies, wonach Universitäten ja Juristen ausbilden würden und nicht Richter, Staatsanwälte oder Rechtsanwälte. Aber dieser Vergleich passt nicht so ganz. Die unterschiedlichen beruflichen Ausgangssituationen und Aufgabenstellungen in den drei großen Arbeitsfeldern Universität, Museum, DenkmalpflegeDenkmalDenkmalpflege sind doch weit stärker auseinanderdriftend als eben die Positionsverschiebung von einem Anwalt hin zu einem Staatsanwalt (selbst

Bernhard Hänsel$Hänsel, Bernhard beendete seinen Königswinterer Beitrag (Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland 1999b, 148) mit einem Fazit und zugleich einem Appell:

„Meine Aufforderung an die Denkmalpfleger lautet also: Kommen Sie mit den Anforderungen von heute in die Universitäten, erliegen Sie aber nicht der Versuchung, schon die Studierenden in Ihren Alltagsstreß einzubeziehen!“

Die vorliegende Einführung leistet auch in diesem Sinn Aufklärungsarbeit. Aber nicht allein für Studierende, auch für weitere Kreise, die sich mit KulturerbeKulturerbe und DenkmalpflegeDenkmalDenkmalpflege beschäftigen – wie Politiker und Kulturverwaltungen, DenkmaleigentümerDenkmalDenkmaleigentümer, Juristen, Touristiker, Journalisten oder Historiker und verwandte akademische Disziplinen – wurde diese Einführung geschrieben.

2.1.2 Aufbau und Gegenstand des Buches

Das vorliegende Buch versteht sich als eine Einführung und ein Handbuch insbesondere für die Studierenden der archäologischen und geschichtswissenschaftlichen Fächer sowie verwandter denkmalpflegerischer Studienrichtungen. Dabei orientiert sich die Gliederung an dem bewährten und vorgegebenen Aufbau der UTB-Reihe Public History – Geschichte in der Praxis mit den drei großen Abschnitten ‚Theorie – Praxis – Berufsfelder‘.

Kapitel 2 liefert die theoretische Basis, wobei es in diesem Abschnitt nicht um ‚emphatisches Theoretisieren‘ gehen soll. Zunächst müssen jedoch einige Grundlagen bezüglich der Quellen, mit denen der Bodendenkmalpfleger arbeitet, erörtert werden. Dabei handelt es sich um die beiden Hauptkategorien ortsfeste und bewegliche BodendenkmälerBodendenkmalbewegliches und ihre historische Aussagekraft, mithin ihren Zeugnis- und Erkenntniswert für unsere Gesellschaft. Es war kein geradliniger Weg von der Begeisterung für die ‚vaterländischen Altertümer‘ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu unserem heutigen wissenschaftsbasierten Umgang. Die wichtigsten Etappen hierzu zeichnet dieses Kapitel nach. Eine besondere Bedeutung fällt hierbei dem Zeitraum des NationalsozialismusNationalsozialismus zu, in dem Ausgrabungsergebnisse, aber auch die Stätten der ‚germanischen Vorzeit‘ politisch instrumentalisiert wurden und sich Archäologen in Universitäten, Museen, aber auch in Denkmalämtern dem Staat ideologisch andienten. Bedeutungs- und Wertewandel archäologischer Quellen werden diesbezüglich im Kapitel nachgezeichnet und Nachdruck darauf gelegt, dass archäologische Fundstätten und Bodendenkmäler einen weit größeren Bedeutungskanon besitzen als nur den Wert für die Fachwissenschaft, wie man ihn üblicherweise an

Kapitel 3 ist der Praxis gewidmet. Es beschreibt die Grundlagen und Methoden der praktischen Arbeit von der InventarisierungInventarisation/Inventarisierung der Bodendenkmäler bis hin zu schwierigen Selektionsprozessen, denen man in der Städtebausanierung, beim Autobahnbau oder in Regionen, wo der Abbau oberflächennaher BodenschätzeBodenschätze (Sand, Kies) und der Braunkohlenbergbau umgeht, als Bodendenkmalpfleger unterliegt. Es sind hier in aller Regel irreversible zu treffende Entscheidungen, welche Fundstätten durch RettungsgrabungenRettungsgrabung noch ausreichend erforscht werden können und welche man notgedrungen nur teil- oder bisweilen sogar ununtersucht aufgeben muss. Aber nicht nur Rettungsgrabungen kennzeichnen die Alltagsarbeit der Bodendenkmalpflege. Dieses Buch befasst sich auch mit den grundlegenden strategischen Konzepten, um das KulturerbeKulturerbe nachhaltig zu sichern und durch InwertsetzungInwertsetzung und VermittlungVermittlung der Gesellschaft zu erschließen, die Basis jeglicher öffentlichen Akzeptanz. Unterschiedlicher Umgang mit den Denkmälern ist dabei erforderlich; die Palette hierfür ist groß und reicht vom unveränderten Belassen (mit kontrolliertem MonitoringMonitoring) bis hin zu wissenschaftlich fundierten Rekonstruktionen und Nachbauten. Hierbei hat es die amtliche Bodendenkmalpflege mit einer Vielzahl von Zielkonflikten und gesellschaftlichen Interessensgruppen zu tun.

Das Kapitel 4 schließlich beschäftigt sich mit dem Studium als Ausgangsvoraussetzung für eine spätere berufliche Tätigkeit, wobei es an deutschen Universitäten unterschiedliche Einzelarchäologien gibt, die in der Lehre angeboten werden. Nicht alle sind gleichermaßen geeignet für einen Einstieg in das hiesige Berufsleben. Verschiedene Berufsfelder stehen dann aber bereit, die dieses Kapitel in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden näher ausführt.

Das letzte Kapitel (Kap. 5) befasst sich dann zusammenfassend mit dem Image der Bodendenkmalpfleger und greift hier verschiedene Topoi und Vorstellungen auf, die in der Gesellschaft zu unserer Arbeit kursieren und stellt dabei manches richtig.

Dualismus und Synonymität bei archäologischen Termini technici

Um eine Kommunikation mit dem Leser überhaupt zu ermöglichen, muss man sich zunächst zu einigen archäologischen Grundbegriffen und ihrer Verwendung und Ausdeutung verständigen. Dieser Abschnitt widmet sich also der Fachsprache. Der Begriff ‚Archäologie‘ (in recht wörtlicher Übersetzung: ‚Altertumskunde‘ oder ‚Altertümerkunde‘) leitet sich aus dem Altgriechischen archaiologia ab und meinte seinerzeit so etwas wie eine erzählerische ‚Darstellung vom Alten‘ oder „Kunde von den [mythischen] Anfängen“ (Eggert 2006, 3f.; Eggert/Samida 2013, 6f.). Als einer der Begründer der modernen und ‚gegenständlichen‘ Archäologie, die ihre Anfänge im Zeitalter der Aufklärung nimmt, gilt Johann Joachim Winckelmann$Winckelmann, Johann Joachim (17171768). Seine 1764 in erster Auflage erschienene Geschichte der Kunst des Altertums gilt noch heute als epochales Standardwerk. Im Winckelmannschen Sinne, der in seinem berühmt gewordenen Zitat von ‚edler Einfalt und stiller Größe‘ der Objekte sprach, wurde nach Beginn des 19. Jahrhunderts bald an mehreren deutschen Universitäten die Klassische Archäologie als eine vor allem kunstgeschichtlich orientierte Wissenschaft gelehrt. Man bezog die Archäologie dabei – Winckelmann folgend – begrifflich und kulturgeschichtlich auf Stätten und Objekte aus dem mediterranen Raum. Die heimischen Hinterlassenschaften hingegen bezeichnete man als ‚vaterländische Altert(h)ümer‘ und sprach von der ‚heidnischen Vorzeit‘ (siehe Kap. 2.3.2).

Eine neue Begrifflichkeit tauchte nach der Mitte des 19. Jahrhunderts zuerst in England und Frankreich auf: Prehistory bzw. Prehistoric Times und Archéologie Préhistorique (Hoika 1998, 52f.). Dieser Terminus wurde als Lehnwort ‚Prähistorie‘ übernommen oder eingedeutscht in ‚VorgeschichteVorgeschichte (Begriff)‘, die zugleich den älteren und mythisch aufgeladenen Begriff einer hiesigen ‚Vorzeit‘ verdrängte. Prähistorie bzw. prähistorisch konnte sich jedoch zunächst nicht durchsetzen, auch wenn manches wichtige Museum wie das Völkerkundemuseum in Berlin eine auch internationalen Ansprüchen genügende imposante ‚Prähistorische Abteilung‘ unterhielt – ihre offizielle Bezeichnung ‚Sammlung vaterländischer und anderer vorgeschichtlicher Altertümer‘ wich allerdings davon ab. Im Jahr 1880 präsentierte man dort die große ‚Ausstellung prähistorischer und anthropologischer FundeFund (Begriff) Deutschlands‘ und erstellte einen begleitenden Katalog. Später wurde die Sammlung bzw. Abteilung ausgegründet und 1931 in das heutige Staatliche Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin umbenannt.

Die 1909 erstmals erschienene Prähistorische ZeitschriftPrähistorische Zeitschrift steht hingegen unmittelbar in dieser Namenstradition und hat bis heute ihre ursprüngliche Bezeichnung behalten, was, wie noch zu zeigen sein wird, im Zuge zahlreicher Namensänderungen beinahe schon eine Ausnahme darstellt. Nicht Prähistorie, wohl aber VorgeschichteVorgeschichte (Begriff) hatte als neue Bezeichnung Konjunktur. So übernahm sie das erste, ausschließlich für heimische Bodenfunde noch vor Ausbruch des

Aber bereits früher, nämlich schon im 19. Jahrhundert, hatte man an diesem Begriff inhaltlich Anstoß genommen. ‚VorgeschichteVorgeschichte (Begriff)‘ markierte aus Sicht der Kritiker einen (wie auch immer definierten) Zeitraum ‚vor‘ der Geschichte. Sie verwendeten für diesen ältesten Zeitabschnitt stattdessen den Terminus ‚UrgeschichteUrgeschichte (Begriff)‘ (Urban 1996), der nicht zuletzt durch Rudolf Virchows$Virchow, Rudolf Gesellschaften für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte gerade in akademischen Kreisen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Zuspruch fand (siehe Kap. 2.3.3). Etwa zeitgleich kam nun auch für jüngere Zeitabschnitte die Etikettierung ‚Frühgeschichte‘ auf, die eine vergleichsweise schriftarme jüngere Epoche (grob gesprochen für Deutschland der Zeitraum bis zum Ende der Karolingerzeit zu Beginn des 10. Jahrhunderts) zum Gegenstand hat und sich bei ihrer Erforschung weitgehend auf archäologische Methoden und Quellen stützt (Hoika 1998, 53; 69). Heutzutage bezeichnen sich die meisten universitären Fachinstitute in Deutschland als ‚ur- und frühgeschichtlich‘ oder auch ‚vor- und frühgeschichtlich‘ (ebd. 58 mit Abb. 2). An aktuell zwei Universitäten in Deutschland (Berlin und Halle) hat man sich davon abweichend für ein ‚Institut für Prähistorische Archäologie‘ entschieden und die alten Institutsschilder entfernt. Egal welche konkrete Bezeichnung ein derartiges Institut begrifflich auch gewählt hat, ein Unterschied im Lehrplan gegenüber anderen lässt sich dadurch nicht ableiten; die Begriffe werden synonym verwendet (Ament 1996). Inhaltliche Unterschiede bestehen indessen gegenüber den Instituten für Provinzialrömische ArchäologieArchäologieProvinzialrömische Archäologie oder ArchäologieNeuzeitarchäologieMittelalterArchäologieMittelalterarchäologie

Was geschah nun außerhalb der Universitäten, also bei den Bezeichnungen der Landesämter und einschlägigen Fachmuseen? In der DDR behielten die Landesmuseen in Halle und Dresden ihre Traditionsbezeichnung aus der Vorkriegszeit bei, nämlich ‚Landesmuseum für VorgeschichteVorgeschichte (Begriff)‘; in den Städten Potsdam, Schwerin und Weimar unterhielt man hingegen ein ‚Museum für Ur- und Frühgeschichte‘, wobei diese fünf Häuser nicht nur die mit Abstand umfangreichsten Sammlungen an Bodenfunden aufwiesen, sondern mit ihren angegliederten Forschungsstellen auch die Gebietsbodendenkmalpflege für die DDR-Bezirke versahen (siehe Kap. 2.3.5). Nach dem Zweiten Weltkrieg bekam hingegen in der alten Bundesrepublik Deutschland die Bezeichnung ‚Archäologie‘, die man bis dahin insbesondere mit der Klassischen Archäologie und dem mediterranen Raum verband, nun auch einen heimischen Bezug. So wurde als Dachverband der Landesämter im Jahr 1949 der Verband der westdeutschen Landesarchäologen gegründet (siehe Kap. 2.5.1). Nach der WiedervereinigungWiedervereinigung setzte dann ein großer Namenswechsel vielerorts ein. Manches Landesamt (etwa Hamburg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein sowie etwas früher bereits Westfalen) führt seitdem die Bezeichnung ‚Archäologie‘ im Amtstitel; überregional bedeutende Museen mit hiesigen Bodenfunden etwa in Brandenburg, Chemnitz, Frankfurt, Herne (früher Münster), München oder Schleswig schlossen sich dem an und legten ihren in der Regel Jahrzehnte alten Namen ab. Die Intention dahinter war und ist immer die gleiche. Mit dem Begriff ‚Archäologie‘ können Öffentlichkeit und Politik etwas anfangen. Diese verbinden mit Archäologie die Vorstellung von einer ‚ausgrabenden‘ Wissenschaft, die mit gegenständlichen historischen oder kulturhistorischen Quellen (aufgelassenen Stätten und zugehörigen Bodenfunden) arbeitet, die illiterat, also nicht-schriftlich, sind und als authentische Zeugnisse einer vergangenen Epoche gelten (Eggert 2006, 189192; Eggert/Samida 2013, 59). Bewusst und mit Kalkül haben sich die Herausgeber des großen populärwissenschaftlichen Magazins Archäologie in DeutschlandArchäologie in Deutschland (Zeitschrift) im Jahr 1984 bei der Gründung der Zeitschrift diesbezüglich entschieden. ‚Archäologie‘ hat sich im Laufe der Jahrzehnte sprachlich auch für die Feldaktivitäten hierzulande etabliert – selbst wenn etwa die ‚Bodendenkmäler der Neuzeit‘ (Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland 1995) oder ‚Archäologie der ModerneArchäologieder Moderne‘ (siehe Kap. 2.2.4) vielleicht dem ein oder anderen als contradictio in adiecto aufstößt. Bezeichnungen wie UrgeschichteUrgeschichte (Begriff), Vorgeschichte oder Prähistorie hingegen sind (fast) nur noch im akademischen Milieu üblich.

Gleiches gilt im Grunde für den Begriff ‚Bodendenkmalpflege‘, der erstmals in den 1930er Jahren Verbreitung fand (siehe Kap. 2.3.4). Elf unserer sechzehn Denkmalschutzgesetze sprechen zwar von der Schutzkategorie ‚Bodendenkmal‘ und von daher liegt es nahe, auch weiterhin Bodendenkmalschutz und

(Ernst Bernheim$Bernheim, Ernst, Lehrbuch der Historischen Methode und Geschichtsphilosophie)

2.2 Definition und Systematik von Bodendenkmälern

Die Archäologie in Deutschland, das mag erstaunen, hat die zentrale Frage nach Definition und Systematik ihrer Quellen und Objekte, also der ortsfesten und beweglichen Bodendenkmäler, erst recht spät methodisch aufgegriffen. Dieses Kapitel soll den Weg zu unseren heutigen Vorstellungen und Kenntnissen aufzeigen und damit die Grundlagen zum Verständnis für die folgenden Abschnitte in dieser Einführung liefern.

2.2.1 Grundfragen und Grundanliegen

Ein richtungsweisendes Kolloquium zu dieser Thematik führte im Herbst 1989 der Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland – ein Zusammenschluss der Landesarchäologen der seinerzeit noch elf Bundesländer (siehe Kap. 2.5) – mit seiner Veranstaltung „Archäologie und Recht – Was ist ein Bodendenkmal?“ durch. Der Kolloquiumsband hierzu gibt die Vorträge von Archäologen sowie Juristen wieder und wird durch eine Beispielsammlung von knapp 40 Bodendenkmälern ergänzt, die eine gute Vorstellung von der Vielfalt dieser Geländezeugnisse geben (Horn/Kier/Kunow/Trier 1991).

Noch zuvor griff man zur Charakterisierung der Archäologie und ihrer Quellen auf eine häufig zitierte Metapher des Prähistorikers Paul Reinecke$Reinecke, Paul (18721958) von der ‚Wissenschaft des Spatens‘ zurück, die letztendlich auf Heinrich Schliemann$Schliemann, Heinrich (18221890) zurückgeht und auch in der Öffentlichkeit tief verankert ist. So wenig, wie die Medizin die ‚Wissenschaft des Skalpells‘ ist, trifft die Gleichsetzung der Archäologie mit einer ‚SpatenwissenschaftSpatenwissenschaft‘ zu. Zum einen kommen auf AusgrabungAusgrabungen für Erdarbeiten neben dem Spaten Gegenstände höchst unterschiedlicher Skalierung, von Großgeräten wie Bagger oder Raupe bis hin zu Feingeräten wie Spachtel oder Pinsel, zum Einsatz, zum anderen – und das ist in unserem Kontext sicherlich entscheidender – wird durch schlichte Benennung eines Arbeitsgerätes in keiner Weise deutlich, um welche Objekte in der sogenannten Spatenwissenschaft es eigentlich geht, kurzum: was ein Bodendenkmal (Pl.: Bodendenkmäler oder Bodendenkmale) ist.

Ganz anders hat sich von Beginn an, nämlich mit den ersten einschlägigen Denkmalgesetzen in Deutschland um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die Jurisprudenz mit dem Rechtsbegriff ‚Bodendenkmal‘ oder auch ‚Archäologisches DenkmalDenkmal‘ – beide Begriffe tauchen synonym in unseren

In der Ausbildung an Universitätsinstituten wird vielfach den Studierenden archäologischer Fächer der stark einschränkende Eindruck vermittelt, Bodendenkmäler seien primär als ‚archäologische Quelle‘ zu bewerten und daher ausschließlich wegen ihrer Bedeutung für die Forschung, also allein aus (fach-)wissenschaftlichen Gründen schützenswert – selbst aus dem Kreis der Landesarchäologen hörte man vereinzelt diese Auffassung (Reichstein 1991; 1993). Diese Sichtweise verkennt, dass das ‚öffentliche Interesse‘ an Erhalt und Schutz eines Denkmals erheblich breiter angelegt ist und eine Reduktion allein auf die Bedeutung für die (eigene) Wissenschaft ungenügend (siehe Kap. 2.4.2). Dieses mag bei Bodendenkmälern aus unserer jüngsten Vergangenheit besonders schnell einleuchten, wenn wir uns als Archäologen oder – präziser – Bodendenkmalpfleger auch vor dem Hintergrund gesetzlicher Zuständigkeit mit Geländeobjekten aus unserer jüngsten Vergangenheit beschäftigen müssen, wie etwa den in großen Teilen eingeebneten Konzentrations-Konzentrationslager oder ArbeitslagernArbeitslager (Abb. 1) – der Historiker Ulrich Herbert (2021, 82104) hat weiter ausgreifend eine ausführliche Studie dem „Jahrhundert der Lager“ gewidmet – aus der Zeit des sogenannten Dritten Reich‚Drittes Reich‘s (Theune 2014; diverse Beiträge einer Fachtagung: Kersting et al. 2017; Ausstellungsführer mit Lagerporträts: Haubold-Stolle et al. 2020). Noch jünger datieren die in den Erdboden eingegrabenen Zeugnisse des Kalten Krieges (Cold War Monuments) wie BunkeranlagenBunkeranlagen und Raketenstellungen (Hoppe/Wegener 2014), die aktuell im Zuge von Konversionsmaßnahmen besonders bedroht sind, oder heute nur noch untertägig vorhandene Relikte der Berliner MauerBerliner Mauer aus ihren Anfangsjahren (Dressler 2020a) sowie die Fluchttunnel, die man nach dem Mauerbau als unterirdische Verbindung von Berlin-West nach Berlin-Ost gegraben hat und die nach neuerlicher Zugänglichmachung und Sicherung ein breites, auch touristisches Interesse als ‚Berliner Unterwelten‘ finden (Dressler 2020b).

Diese, in der jüngeren bzw. jüngsten Vergangenheit entstandenen Objekte sind nach Gesetzeslage Bodendenkmäler – allerdings tritt hier ein expliziter oder gar exklusiver archäologischer Forschungsansatz zurück. Dennoch gibt es natürlich gute Gründe für den Erhalt und gesetzlichen Schutz auch dieser Bodendenkmäler. Aber diese Situation trifft nicht nur auf Objekte des . Jahrhunderts zu. Auch Relikte aus früheren Jahrhunderten wie montanarchäologische Zeugnisse des Mittelalters mit ihren Pingen und Schlackenhalden, renaissancezeitliche Landwehren oder ein Aussichtshügel, ein sogenannter Point de vue, in ansonsten heute eingeebneten barockzeitlichen Parkanlagen unterliegen dem Schutz- und Erhaltungsgedanken, ohne dass die Archäologische DenkmalpflegeDenkmal

53GG19913419932833Forschungsfreiheit1993Ausgrabungultima ratio32in totoEinvernehmenRessourceAbgrabungBodenschätzeBraunkohle35

5AusgrabungAusgrabungVermittlung

$Eggert, Manfred K.H.2006230250246