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ISBN 978-3-89678-712-5
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung: Die Wiederkehr der Katastrophentheorie
1. Historische Katastrophentheorien
Sintfluttheorien: Biblische Tradition und naturwissenschaftliche Aufklärung
Der Einbruch der Meeresfluten: Die Kataklysmentheorie Cuviers
Vorsintflutliche Ungeheuer: Die Entdeckung der Dinosaurier
2. Evolution in kleinen Schritten und großen Sprüngen
Die Entdeckung der Tiefenzeit: James Hutton
Die ewige Wiederkehr des Gleichen: Charles Lyell
Evolution in kleinen Schritten: Der Gradualismus Darwins
Hintergrundaussterben und Massenaussterben
Evolution in Sprüngen: Saltationismus und Punktualismus
3. Tod aus dem Weltraum: Der Untergang der Dinosaurier
Das Massenaussterben am Ende der Kreidezeit
Vom Himmel fallende Steine
Die älteren Vorstellungen über die Bedrohung der Erde durch Kometeneinschläge
Die Anfänge moderner Impakttheorien
Der Dinosaurier-Impakt: Alvarez 1980
Weltenbrand, Winternacht und saurer Regen
4. Die Katastrophen der Hominidenevolution
Sprunghaftes Gehirnwachstum: Psychozoikum
Der Untergang der Hominiden
Die sechste Auslöschung: Frühe menschliche Einflüsse
5. Die unruhige Erde: Erdbebenkatastrophen
Historische Erklärungsversuche der Erdbeben
Kontinentalverschiebung und Plattentektonik
Die Erschütterung der vollkommenen Welt: Lissabon
Blattverschiebung und Scherbruch: San Francisco
Das Reich des Todes und der Verzweiflung: Im zerstörten Messina
Feuersbrunst und Flutwelle: Tokio und Yokohama
Unabwendbar, aber nicht voraussagbar: Das Problem der Erdbebenprognose
6. Die Tore zur Hölle: Vulkanausbrüche
Der Aschenregen: Pompeji und Herculaneum
Ein Jahr ohne Sommer: Tambora und Krakatau
Die Schlammlawine: Nevado del Ruiz
7. Wetterkatastrophen und Klimawandel
Tornados, Hurrikane und Zyklone
Klimawandel und Treibhauseffekt
Klimahysterie: Eisbärenaussterben und Gletscherrückgang
8. Aufstieg durch Untergang: Katastrophe Mensch
Die Bevölkerungskatastrophe und die apokalyptischen Reiter
Der Sieg über die Natur und die technischen Katastrophen
Die evolutionären Stufen des Krieges
Das Schweineprinzip und die Wirtschaftskatastrophen
Schluss: Evolution als Abfolge von Katastrophen
Literatur
Register
Personen
Sachen
Die Einsicht in die Unvermeidbarkeit und sogar Notwendigkeit von großen vernichtenden Katastrophen ist im Laufe der Geschichte der Menschheit immer stärker geworden. So sprechen heutzutage Biologen und Paläontologen von „Wendezeiten des Lebens“, die durch das Massenaussterben von ganzen Arten und Gattungen von Lebewesen gekennzeichnet sind. Und Astronomen und Astrophysiker sprechen von „kosmischen Katastrophen“, die nicht nur in ferner Vergangenheit stattgefunden haben, sondern auch heute noch durch Einschläge von großen Himmelskörpern, wie Kometen und Asteroiden, unsere Erde bedrohen. Diese Vorstellung von der Evolution als Abfolge von Katastrophen gilt auch für die Evolution des Menschen. Denn der Mensch ist ein Teil der Natur und alles, was er anrichtet, ist auch nichts anderes als eine Naturkatastrophe besonderer Art. Das Besondere daran ist, dass wir aus eigener Kraft durch unser Handeln in die Entwicklungsgeschichte des Lebens eingreifen können und es auch tatsächlich immer schon getan haben. Denn bisher hat es noch kein Lebewesen gegeben, das andere Arten völlig ausgelöscht hat und kein anderes Lebewesen hat seine Umwelt auf so grundlegende Weise verändert wie der Mensch.
Hinzu kommt noch die Tatsache, dass die heutigen Naturkatastrophen durch Sorglosigkeit und Unvernunft des Menschen in ihren Schadensfolgen verstärkt werden. Die schreckliche Steigerung der Todesraten in der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart, wie beim Tsunami vom 26. Dezember 2004 oder beim Erdbeben in Haiti am 12. Januar 2010, ist hauptsächlich auf das Anwachsen der Bevölkerung und des Tourismus zurückzuführen. Hinzu kommt noch die mangelhafte Bauweise in den dicht gedrängten Ansiedlungen der Menschen. Denn die meisten Menschen sind durch Erschlagen und Verschütten von den einstürzenden Gebäuden getötet worden, soweit sie nicht wie beim Tsunami in Indonesien in der auf das Land einbrechenden Seewelle ertrunken sind.
Immer deutlicher ist auch erkennbar, dass jeder technische Fortschritt auch das Risiko von Katastrophen vergrößert. Das zeigt nicht nur der historische Untergang der „Titanic“ am 14. April 1912, sondern auch die modernen technischen Katastrophen wie der spektakuläre Absturz einer Concorde am 25. Juli 2000 oder die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vom 25. April 1986, deren Schadensfolgen bis heute noch nicht absehbar sind. Doch diese unbeabsichtigt zustande gekommenen technischen Katastrophen sind nicht die größte Gefahr für die Menschheit. Denn es gibt kein Lebewesen auf dieser Welt, das die Tötung der eigenen Artgenossen so grausam praktiziert hat wie der Mensch. In einem Gewaltakt ohnegleichen ist die biologische Art Homo sapiens aufgrund ihrer Erkenntnisleistungen in einem geologisch unbedeuteten Zeitraum von wenigen Tausend Jahren zum Beherrscher der Erde geworden, der nur einen einzigen Feind kennt: sich selbst. Das beweisen nicht nur die beiden großen Weltkriege der Vergangenheit mit ihren Millionen von Toten, sondern auch der heute weltweit verbreitete Terrorismus, der täglich seine Todesopfer fordert. So sind wir auch in der soziokulturellen Evolution den von uns selbst verursachten Katastrophen ausgeliefert, mit denen wir fertigwerden müssen.
Doch mit all den hier vorgebrachten Argumenten soll keine Weltuntergangsstimmung hervorgerufen werden, wie sie in verantwortungsloser Weise heutzutage oft verbreitet wird. Denn mit der Erkenntnis, dass es schon vor Millionen von Jahren weltweite Vernichtungskatastrophen gegeben hat, die auf unserer Erde das Aussterben ganzer Tierarten verursacht haben, ist auch die Einsicht verbunden, dass es gerade diese Katastrophen waren, die zur Entstehung neuer Lebenswelten geführt haben. So verdankt auch der Mensch seine Existenz dem Aussterben der Dinosaurier, ohne deren Untergang die Entwicklung der Säugetiere niemals hätte stattfinden können. Im Vergleich zu solchen Katastrophen sind daher jene Ereignisse, die seit jeher in der Menschheitsgeschichte unsere Erde verwüstet haben, wie Erdbeben und Vulkanausbrüche, nichts Ungewöhnliches. Das Schaudern und Entsetzen, das uns beim Anblick von Massentod und Zerstörung ergreift, muss auch hier der Einsicht weichen, dass noch jede Katastrophe der Beginn einer Erneuerung war. Das zeigt schon der zu allen Zeiten nachweisbare ungebrochene Wille zum Wiederaufbau der zerstörten Wohnstätten des Menschen. Wobei auch mit der Größe der Vernichtung und des Leides die Hilfsbereitschaft der verschont Gebliebenen steigt und sich neue Lebensräume und Entwicklungsmöglichkeiten ergeben. Das gilt auch für die selbst verschuldeten Katastrophen der Menschheit, wie Kriege, Wirtschaftszusammenbrüche und Finanzkrisen, die auf diese Weise eine neue und nicht nur negative Bedeutung bekommen. Katastrophen sind daher als die wahre Triebkraft der Evolution anzusehen, da sie durch den Untergang des Alten einen Weg für den Aufstieg des Neuen schaffen.
Zu dieser Einsicht über das Wesen von Katastrophen, die jederzeit und überall in der Natur und der menschlichen Gesellschaft stattfinden, kann man aber nicht bloß durch fachspezifische Untersuchungen, sondern nur durch deren Vergleich und Zusammenfassung ihrer Ergebnisse kommen. Dazu gehört aber auch die Berücksichtigung der historischen Entwicklung unserer Erkenntnisse, die zeigt, dass im Gegensatz zu der Ansicht, dass Katastrophentheorie und Evolutionstheorie einander ausschließende Alternativen darstellen, ihre Vereinigung zu einer neuen Sicht sowohl vom Ablauf der Evolution der Lebewesen als auch von der Entstehung der Menschheit und der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft führen kann.
Konkreter Anlass zum Entstehen dieses Buches war eine interdisziplinäre Ringvorlesung über Naturkatastrophen im Wintersemester 2009/2010 an der Universität Wien, bei der ich den wissenschaftstheoretischen und wissenschaftshistorischen Teil übernommen hatte. Vorausgegangen sind eine langjährige Beschäftigung mit der Geschichte der Erdbebentheorien im Zusammenhang mit der bei der ESC (European Seismological Commission) eingerichteten Working Group on Historical Earthquake Data und mehrere Vorträge bei interdisziplinären Tagungen im Rahmen des Darwinjahres 2009, bei denen ich die in diesem Buch dargestellte Auffassung der Evolution als Abfolge von Katastrophen zu begründen versucht habe.
Wien im Sommer 2010
ERHARD OESER
„Das Leben ist auf dieser Erde oft durch fürchterliche
Ereignisse gestört worden ... Zahllose Lebewesen sind
das Opfer solcher Katastrophen geworden.“
Cuvier, Discours sur les révolutions de la surface du globe. 1812
Katastrophen als Triebkraft der Evolution anzusehen scheint nach der bisher üblichen Ansicht ungewöhnlich oder sogar widerspruchsvoll zu sein. Bildeten doch Evolutionstheorie und Katastrophentheorie seit ihrer Entstehung unversöhnliche Gegensätze. Die Evolutionstheorie, so wie sie Jean Lamarck (1744 – – 1829) in Frankreich begründet und Charles Darwin (1809 – 1882) mehr als ein halbes Jahrhundert danach wieder erneuert hat, sah in der Entwicklung der Lebewesen einen langsamen sich über Jahrmillionen erstreckenden Prozess, in dem die Veränderung der Arten von Lebewesen nur in kleinen Schritten erfolgen konnte. Dagegen ging die Katastrophentheorie von plötzlich eintretenden Leben vernichtenden Naturereignissen aus, nach denen es wieder zur Entstehung einer neuen Lebenswelt gekommen ist. Als der eigentliche wissenschaftliche Begründer der Katastrophentheorie ist Georges Cuvier (1769 – 1832) anzusehen, der seit 1802 Professor der vergleichenden Anatomie am Jardin des Plantes in Paris war, wo er den Grundstein für eine der größten naturhistorischen Sammlungen Europas legte. Seine Untersuchungen der Fossilien im Pariser Becken ließen ihn vermuten, dass es in der Entwicklungsgeschichte der Erde abrupte Zäsuren gab, die nur durch große Katastrophen zu erklären sind. Der von ihm behauptete Nachweis, dass es keine fossilen Bindeglieder zwischen den ausgestorbenen Tierarten und den darauffolgenden Generationen von Lebewesen gegeben hat, brachte daher auch Lamarcks Vorstellung von der Veränderung der Arten durch Anpassung an die Umwelt und Vererbung der dadurch erworbenen Eigenschaften zu Fall (vgl. Oeser 1996, S. 35 u. 71).
Unterstützt wurde Cuviers Katastrophentheorie durch die Entdeckung fossiler Skelette von ausgestorbenen riesigen Meeresechsen an der Südküste Englands und von ebenso gigantischen Ungeheuern im Innern des Landes, denen der Anatom Richard Owen (1804 – 1892) den Namen „Dinosaurier“ gab. Owen, der wegen seiner unbestrittenen Beherrschung seines Faches als der „englische Cuvier“ galt, war jedoch nicht der Entdecker dieser Dinosaurier. Die Meeresechsen wurden von begeisterten Fossiliensammlern gefunden, wie es die Geschwister Mary und Joseph Anning waren, während die ersten Überreste der Land bewohnenden Dinosaurier von William Buckland (1784 – 1856) und Gideon Algernon Mantell (1790 – 1852) entdeckt und beschrieben wurden. Mantell musste seine Jagd nach fossilen Dinosaurierknochen neben seinem Hauptberuf als Arzt betreiben. Reverend Buckland dagegen war auch Professor für Geologie an der Universität Oxford. In dieser doppelten Eigenschaft war er bemüht, Theologie und Geologie in Übereinstimmung zu bringen. Daher war er auch ein Anhänger der Cuvier’schen Katastrophentheorie, die mit der biblischen Sintflut besser in Einklang zu bringen war als die Lamarck’sche Evolutionstheorie, umso mehr als es schon vor Cuvier eine Reihe von Geologen gegeben hat, die solche Katastrophen angenommen hatten. Die durch die fossilen Überreste nachgewiesene Auslöschung ganzer Arten von Lebewesen und ihre Ersetzung durch neue war seit jeher die Grundlage für die Einteilung der Erdgeschichte in Zeitalter und Epochen.
Wie der noch lange in der Geschichte der Geologie beibehaltene Name „Diluvium“ zeigt, teilten die alten Geologen, die sich an der Bibel orientierten, die Geschichte unserer Erde in eine Zeit vor und nach der Sintflut ein. Das Zeitalter der Sintflut war für sie ein Katastrophenzeitalter, in dem fast alle Lebewesen mit wenigen Ausnahmen durch eine weltweite Überschwemmungskatastrophe zugrunde gingen. Buckland war in der Nachfolge dieser religiös eingestellten Geologen der letzte, der auf derartige Weise eine Verbindung zwischen Geologie und Theologie herstellen wollte. Auch Mantell, der um die Anerkennung seiner Funde durch Cuvier kämpfte, war davon überzeugt, dass der Untergang dieser vorweltlichen Ungeheuer durch eine plötzlich eintretende Katastrophe zustande gekommen sein musste. Richard Owen teilte zwar die Vorstellung von Cuvier und der Dinosaurierforscher Buckland und Mantell nicht, dass es sich bei diesen Katastrophen um sintflutartige Überschwemmungen gehandelt haben soll, aber auch er war der Meinung, dass Ereignisse wie eine Klimakatastrophe, bei der der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre stieg und der Luftdruck sank, den kaltblütigen Dinosauriern ein Ende bereitete.
Überschwemmungen durch Meereseinbrüche, sogenannte „Kataklysmen“, mussten aufgrund paläontologischer Befunde auch von jenen Naturwissenschaftlern angenommen werden, die eine strenge Trennung von Wissenschaft und Religion durchführten. Denn es zeigte sich, dass nicht nur in den Niederungen der Kontinente, sondern auch auf den höchsten Gipfeln der Berge Ablagerungen von Muscheln und Meerestieren zu finden waren. Die Annahme von weltweiten oder zumindest großräumigen Katastrophen war daher unumgänglich. Während die Sintfluttheoretiker in dieser Katastrophe eine Strafe von Gottes Hand sahen, wollten Wissenschaftler wie Cuvier über die Ursachen solcher Katastrophen weder religiöse noch andere Spekulationen in die Welt setzen, sondern an Hand der fossilen Funde lediglich Tatsachen feststellen. Doch einige Astronomen aus dieser Zeit, wie Franz von Paula Gruithuisen (1774 – 1852), Wilhelm Olbers (1758 – 1840) und schon lange vor ihnen Pierre-Louis Moreau de Maupertuis (1698 – 1759) hatten bereits eine Erklärung für die Ursachen derartig großer Katastrophen parat. Denn sie wussten bereits, dass die riesigen Mondkrater durch Einschläge von Kometen und Meteoriten entstanden waren. Dass auch die Erde von solchen Einschlägen nicht geschützt sein kann, war eine logische Folgerung aus dieser Erkenntnis. Doch im Unterschied zur Mondlandschaft, die weder von Wasserflächen noch von einer Atmosphäre bedeckt ist und daher auch keine Verwitterungs- und Abtragungserscheinungen aufweist, lassen sich die Spuren der Einschläge aus der Vergangenheit der Erdgeschichte nur schwer nachweisen. Abb. 1:
Eine Wende brachte die aktualistische Geologie von Charles Lyell (1797 – 1875), der nur die heute noch wirksamen Ursachen zulassen wollte und die großen Katastrophen Cuviers als Hexen- und Dämonenglauben verdammte, aber damit auch notgedrungen die ewige Wiederkehr des Gleichen annehmen musste. Der entscheidende Fortschritt dieser von ihm vertretenen Sichtweise von den langsam und stetig wirkenden Ursachen der Entwicklung der Erde war die Erkenntnis von den ungeheuren Zeiträumen, in denen sich die Geschichte der Erde und des Lebens auf ihr abspielt. Wie man heute weiß, haben sich diese Prozesse nicht, wie man früher glaubte, in Tausenden, sondern in Millionen und Milliarden von Jahren vollzogen. Die Entdeckung der heute so genannten „Tiefenzeit“ durch James Hutton (1726 – 1797) und die daran anschließende zeitliche Datierung der einzelnen Entwicklungsepochen der Erde bildete die Grundlage für die Erneuerung der Evolutionstheorie durch Darwin, der wie Lyell in der Geologie auch in der Entwicklung der Lebewesen eine langsame und stetige Veränderung der Arten annahm und die Lücken in der Abfolge der Fossilien als Lücken unserer Erkenntnis und nicht als reale Lücken ansah. Er glaubte daher ebenso wenig wie Lamarck schon vor ihm an große weltweite Katastrophen.
Abb. 1: Die Vertreter der Katastrophentheorie: a) Buckland, b) Mantell, c) Cuvier und d) Owen
Einen entscheidenden Beitrag zur Durchsetzung der Evolutionstheorie Darwins lieferte der überzeugte Anhänger Darwins Thomas Henry Huxley (1825 – 1895), der wegen seiner streitbaren Redegewandtheit die „Bulldogge Darwins“ genannt wurde. Er brachte die Katastrophentheorie in Misskredit, indem er nicht nur das Hauptargument gegen die Evolutionstheorie, das Fehlen fossiler Bindeglieder, durch den Hinweis auf den „Urvogel“ Archaeopterix als einer Übergangsform zwischen Reptilien und Vögeln beseitigte, sondern weil er auch den von Owen heftig verteidigten Unterschied zwischen Affen- und Menschenhirn als eine nur gradweise Abstufung nachweisen konnte. Abb.2:
Abb. 2: Die Vertreter der Evolutionstheorie: a) Lamarck, b) Darwin und c) Huxley
Während die Verwandtschaft zwischen höheren Affen und Menschen durch die von einer Reihe von Funden bewiesene Tatsache der Hominidenevolution bestätigt worden ist, weisen heutzutage immer genauere chemische Analysen der geologischen Schichten ebenso wie die durch fossile Funde belegte Tatsache des Massenaussterbens von Arten auf die unleugbare Existenz solcher weltweiten Katastrophen hin, die auch kosmische Ursachen haben könnten. Denn es häufen sich heute immer mehr Erkenntnisse über die Spuren von Einschlägen von Meteoriten und Kometen auf unserer Erde. Dadurch ist klar geworden, dass der totgesagten Katastrophentheorie wieder eine neue Berechtigung zukommt. Es war vor allem die heute kaum mehr umstrittene Hypothese über den Untergang der Dinosaurier am Ende der Kreidezeit vor mehr als 65 Millionen Jahren, die zu einer Wiederkehr der Katastrophentheorie geführt hat. Die Erklärung, dass der Untergang dieser Tiergiganten die Folge eines Einschlags eines Asteroiden war, bildete die Grundlage des sogenannten „Neokatastrophismus“, der die bisher durch die Vorstellungen von Lyell festgelegte geologische Forschung revolutioniert hat. Dieser Wiederkehr der Katastrophentheorie haben sich bereits auch jene Vertreter der Evolutionsforschung angeschlossen, die sich mit dem Massenaussterben von Arten und der daran anschließenden explosionsartigen Entwicklung einer neuen Lebenswelt beschäftigt haben.
Mit diesem durch empirische Untersuchungen gestützten „Neokatastrophismus“ stimmt auch die Umformung der darwinistischen graduellen Evolution zur Theorie der unterbrochenen Gleichgewichte (punctuated equilibria) überein, in der Katastrophen als Triebkräfte der Evolution angesehen werden können. Auf diese Weise ist auch eine bessere Vergleichsgrundlage zur soziokulturellen Evolution zustande gekommen, als es der Gradualismus bietet. Denn die Menschheitsgeschichte ist durch Krisen und zum größten Teil durch selbst gemachte Katastrophen gekennzeichnet, die im soziokulturellen Bereich extreme Beschleuniger darstellen. Gerade diese Beschleunigung des Evolutionsprozesses in der soziokulturellen Evolution des Menschen ist einer der wesentlichen Unterschiede zu dem Millionen Jahre dauernden Prozess der genetisch-organischen Evolution. Damit erscheint auch die Geschichte der Menschheit in einem neuen Licht. Sowohl ihre Entstehung in der Hominidenevolution wie auch die graue Vorzeit des Homo sapiens sind von Katastrophen gekennzeichnet. Denn wie wäre es sonst möglich gewesen, dass nicht nur alle Hominiden verschwunden sind, sondern auch von allen Arten der Gattung Homo nur unsere Art Homo sapiens übrig geblieben ist? Es lassen sich heute genug Indizien finden, die darauf hindeuten, dass sowohl die Dezimierung und schließlich endgültige Vernichtung so erfolgreicher Hominidenarten wie Australopithecus africanus als auch die Auslöschung des Homo erectus, von dem wir abstammen, auf die Folgen von gewaltigen Impaktgeschehen zurückzuführen sind. Eine noch düstere Vorstellung, die man jedoch kaum abweisen kann, wäre die Vorstellung, dass sich in dem sogenannten „Tier-Menschen-Übergangsfeld“ ein mörderischer Kampf der gegenseitigen Vernichtung abgespielt haben könnte, aus dem schließlich nur Homo sapiens als größter Totschläger aller Zeiten hervorgegangen ist.
Mit noch größerer Sicherheit machen aber die seit mehreren Jahrtausenden zurückreichenden schriftlichen Überlieferungen von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und verheerenden Bränden deutlich, dass nicht nur die Erdgeschichte und die Evolution der Lebewesen, sondern auch die eigentliche Geschichte der Menschheit von Katastrophen bestimmt ist. Paradoxerweise werden aber gerade die naheliegenden und somit bedrohlichsten Katastrophen vom Menschen selbst hervorgerufen, der die Natur in katastrophaler und nicht mehr rückgängig zu machender Weise zu verändern begonnen hat. Dass das Zeitalter des Menschen, das der Biologe und Philosoph Julian Huxley (1887 – 1975) als das „Psychozoikum“ bezeichnet hat, zu einer Katastrophengeschichte geworden ist, die unsere Erde in wesentlich kürzerer Zeit, als alle Naturkatastrophen es bisher konnten, drastisch verändert hat, ist eine heute nicht mehr wegzuleugnende Tatsache.
Cuvier ist zwar als der eigentliche wissenschaftliche Begründer der klassischen Katastrophentheorie anzusehen, er war jedoch nicht der Einzige, der solche Katastrophen angenommen hatte. Er selbst weist darauf hin, dass schon vor ihm eine Reihe von Geologen überzeugt war, dass es große weltweite Katastrophen gegeben haben muss. Über die Ursache und Wirkung solcher Katastrophen machte sich jedoch jeder seine eigenen Gedanken, sodass es zu Abweichungen und Widersprüchen unter diesen geologischen Systemen kam. Den Grund dafür sieht Cuvier darin, dass alle älteren Geologen „Stubengelehrte“ (naturalistes de cabinet) waren, welche die Struktur der Gebirge nur wenig untersucht und nicht mit hinlänglicher Vollständigkeit die unzähligen Tierarten und die unendliche Mannigfaltigkeit ihrer Teile studiert hatten (vgl. Cuvier 1822, S. 41). Lange Zeit hat man überhaupt, sagt Cuvier, nur zwei Veränderungsepochen unserer Erde angenommen: die Schöpfung (la création) und die Sintflut (le déluge). Die ganze Anstrengung der Geologen ging nach seiner Meinung dahin, die Entwicklungsgeschichte der Erde dadurch zu erklären, dass sie sich einen gewissen Urzustand ausdachten, der durch die Sintflut verändert worden sei (vgl. Cuvier 1822, S. 31).
Der Erste von den Geologen, bei denen die Entwicklungstheorien der Erde noch nicht von der biblischen Schöpfungsgeschichte getrennt waren, war Thomas Burnet (1635 – 1715), der in seinem Werk „Telluris theoria sacra“ (1681) noch völlig von der biblischen Schöpfungsgeschichte ausging. Er nahm einen festen Erdkern an, um den sich das Tiefenwasser (Abyssos) legte, worüber sich die völlig glatte Erdkruste bildete. Nach 1600 Jahren war die Erdrinde so ausgetrocknet, dass sie zu reißen begann und in Stücke zerbrach, die in das Tiefenwasser hinabstürzten. Dadurch entstand eine allgemeine Flut, welche die ganze Erdoberfläche bedeckte. Aber die in den Abgrund stürzenden Erdmassen rissen bei ihrem Fall eine große Menge Luft mit sich, sodass große mit Luft angefüllte Höhlen entstanden. Die Gewässer eröffneten sich allmählich Wege zu diesen Höhlen und in dem Maße, in dem sich diese anfüllten, entblößte sich die Oberfläche der Erde an den höheren Teilen von dem Wasser der allgemeinen Flut. Schließlich blieb nur in den niedrigsten Teilen der Erdoberfläche Wasser übrig. So entstanden die Weltmeere, die nichts anderes als ein Teil des alten Tiefenwassers sind. Die Inseln und Klippen sind daher nach Burnets Meinung die Bruchstücke und die Festländer sind die großen Massen der alten unregelmäßig zerbrochenen Erdrinde. Auf diesen Festländern, die den heutigen Kontinenten entsprechen, sind Unebenheiten in Form von Bergen und Tälern entstanden. Daher ist die gegenwärtige Erde ein Überbleibsel der Vernichtung durch die Sintflut, eine „garstige Ruine“, ein „zerklüfteter, wirrer Haufen von Körpern“ auf einem „schmutzigen kleinen Planeten“ (Burnet 1681, zit. nach Gould 1990, S. 57).
Während Burnet noch einen festen Erdkern annahm, bestand die Erde nach John Woodwards (1665 – 1722) Theorie aus einer ungeheuer großen Wasserkugel, die eine harte Rinde umgab. Die Erdkruste zerbrach und löste sich im Wasser der Sintflut auf. Die aufgelösten Teilchen der Erdkruste setzten sich in mehren Schichten ab und bildeten erneut eine feste Rinde, die wiederum zerbrach. Auf diese Weise entstanden dann die Erhöhungen und Vertiefungen der Erde. Diese Vorstellung begründete Woodward durch eigene Untersuchungen des Erdreiches in England, bei denen er feststellte, dass alle Stoffe von der Oberfläche an bis zu den tiefsten Stellen, zu denen er vorgedrungen war, als Schichten waagerecht übereinander liegen und dass in einer großen Menge dieser Schichten Muscheln und andere Meereserzeugnisse vorhanden sind. Außerdem stellte er durch einen umfangreichen Briefwechsel mit befreundeten Gelehrten fest, dass in allen anderen Ländern das Erdreich ebenso zusammengesetzt ist und man nicht nur in den Ebenen und an einigen Stellen, sondern auch auf den höchsten Bergen, in den tiefsten Steinbrüchen und an unendlich vielen anderen Stellen Muscheln findet. Doch entsprechend seiner Theorie von dem katastrophalen Zusammenbruch der Erdkruste glaubte er, dass diese Bodensätze alle zugleich nach unten gesunken sind und sich in Schichten nach der Ordnung ihrer spezifischen Schwere abgelagert haben.
Der berühmteste unter den englischen Autoren, die sich mit einer Theorie der Erdentstehung beschäftigten, war jedoch William Whiston (1667 – 1752), der im Jahre 1701 Nachfolger Isaac Newtons als Professor der Mathematik in Cambridge wurde. Dass er dieser Berufung durchaus würdig war, bewies er durch seine Einführungsvorträge zu Newtons Gravitationstheorie. In seiner „Cometographia“ (1724) konnte er bereits eine mathematische Methode zur Bestimmung der Entfernung eines Kometen von der Erde angeben. Sein in jungen Jahren verfasstes Werk „New Theory of the Earth“, das zum ersten Mal in London im Jahre 1696 erschienen ist, erregte wegen seiner fantasiereichen und ungewöhnlichen Hypothesen großes Aufsehen. Noch zu Lebzeiten des Verfassers erschienen sechs Auflagen. Newton und John Locke waren sich im Lob dieser Schrift einig. Whistons Absicht war es nicht nur zu zeigen, dass der biblische Schöpfungsbericht mit seiner neuen Theorie der Erde übereinstimmt, sondern er wollte auch die Prophezeiung von dem zukünftigen Untergang der Erde als wissenschaftlich zu rechtfertigende Prognose darstellen. Nach seiner Theorie war die Erde ursprünglich ein großer Komet mit einer sehr exzentrischen Bahn, der unbewohnbar war, weil er entsprechend seiner Entfernung von der Sonne abwechselnd einer übermäßigen Hitze und Kälte ausgesetzt war. Die Stoffe, aus denen dieser Komet bestand, bildeten der Reihe nach vor Hitze schmelzend und verglasend und dann vor Kälte vereisend ein Chaos. Durch die Hand Gottes wurde jedoch die exzentrische Bahn dieses Kometen zu einer Kreisform umgewandelt und mit einer Rotation um seine Achse versehen. Dann bildeten sich aus dem chaotischen Kometenkörper drei schalenförmige Schichten aus: ein schwerer heißer Erdkern, darüber eine Wasserschicht und schließlich die Erdrinde, auf der nun das Leben entstehen konnte. Die innere Wärme der Erde war damals jedoch viel stärker als heute. Dieser größere Wärmegrad brachte auch eine größere Menge von Tieren und Pflanzen zur Welt. Die Erde wurde dadurch tausendmal bevölkerter und tausendmal fruchtbarer als jetzt und das Leben der Menschen und der Tiere war zu dieser Zeit zehnmal länger. Doch diese Wärme, welche die Fruchtbarkeit und die Kräfte der Lebewesen vermehrte, stieg den Menschen und Tieren zu Kopf. Alle, die Fische ausgenommen, die ein kaltes Element bewohnten, empfingen die Wärme des Erdkerns und wurden infolge der aufgeheizten Leidenschaften verbrecherisch und verdienten den Tod.
Das große Massensterben kam, als entsprechend den Angaben der Bibel im Jahre 2349 v. Chr. ein ungeheurer Komet erschien, dessen wassergefüllter Schweif am Mittwoch, den 18. November, die Erde streifte und die Sintflut verursachte. Entsprechend der Newton’schen Gravitationstheorie behauptete Whiston, dass sich die Anziehungskraft des Kometen auch auf die unterirdische Wasserschicht der Erde auswirkte und auf diese Weise die Erdkruste zerbrach und die heutigen Landmassen, Gebirgsbildungen und Meere entstanden. Auch das Ende der Erde stellte sich Whiston durch die Auswirkung eines Kometen vor. Dieser Komet aber soll dann glühend heiß sein. Bei seiner Annäherung sollen wieder schreckliche Katastrophen auftreten und die Erde soll durch die sich annähernde Gluthitze des Kometen zu brennen beginnen und schließlich in den Zustand der Verglasung und völligen Durchsichtigkeit gelangen.
Auch der Schweizer Arzt Johann Jakob Scheuchzer (1672 – 1733) war ein überzeugter Vertreter der Vorstellung von der allgemeinen Sintflut. Er sandte eine Abhandlung über den Ursprung der Berge an die Pariser Akademie der Wissenschaften, in der er Gott als den Verursacher der Gebirgsbildung annahm. Seine allmächtige Hand war es, die nach seiner Meinung das Wasser der Sintflut in unterirdische Behälter zurücktreten hat lassen. Daraufhin sind die horizontalen Lagen der Erdkruste zerbrochen und Berge und Täler entstanden (Scheuchzer 1709, S. 37 ff.). Scheuchzer glaubte sogar aufgrund seiner empirischen Untersuchungen einen unwiderleglichen Beweis für die reale Existenz der Sintflut erbracht zu haben, als er in den Kalkschiefern von Öningen ein großes Skelett (vgl. Abb. 3) entdeckte. Dieser Fund erregte vor allem deswegen beträchtliches Aufsehen, weil er behauptete, dass es sich dabei um das „Beingerüst eines in der Sündflut ertrunkenen Menschen“ handelt. Später konnte jedoch Cuvier dieses Skelett als die fossilen Überreste eines Riesensalamanders (Proteus) identifizieren, als ihm gestattet wurde, „die im Stein verborgenen Teile zu entblößen“ (Cuvier 1822, S. 102). Abb. 3
Alle diese Erdentstehungstheorien von Burnet, Woodward, Whiston und Scheuchzer sind in die „Théorie de la Terre“ von Georges Louis Leclerc Buffon (1707 – 1788) eingegangen. Als erster Band seiner „Histoire naturelle“
Abb. 3: Homo diluvii testis – „Das Beingerüst eines in der Sündflut ertrunkenen Menschen“ (nach Scheuchzer, aus Mantell 1839)
Abb. 4: Zusammenstoß eines Kometen mit der Sonne (aus Buffons „Époques de la nature“ 1778)
1749 erschienen und mehrmals neu bearbeitet, stellt sie den vorläufigen Höhepunkt der Versuche einer allgemeinen Theorie der Erde dar, in der Katastrophen, vor allem Einschläge von Kometen und Erdbeben, eine wesentliche Rolle spielen. Buffon kritisiert jedoch alle Theorien, die ein direktes Eingreifen Gottes in das irdische Geschehen behaupten. So sind für ihn die Theorien von Burnet, Woodward und Scheuchzer nicht mehr als gut geschriebene Romane, zur Belustigung des Lesers geeignet, aber ohne seriöses Fundament, zum Teil sogar auch lächerlich. Nur von Gottfried Wilhelm Leibniz und Nicolaus Steno spricht er mit großer Achtung und schließt auch Whiston trotz oder gerade wegen seiner fantastischen Kometentheorie in seine Anerkennung als einen seiner wissenschaftlichen Vorläufer ein. Denn er selbst verwendet in der letzten Fassung seiner Theorie der Erde die Vorstellung von dem Zusammenstoß eines Kometen mit der Sonne, um die Entstehung der Erde zu erklären. Abb. 4:
Nach Buffons Meinung ist die Erde ursprünglich nichts anderes als eines der glühenden Stücke, die ein riesiger Komet aus der Sonne herausgeschlagen hatte. Als Hauptgrund für diese Annahme sieht er die Tatsache an, dass sich alle Planeten in derselben Richtung und fast in derselben Ebene um die Sonne drehen. Hinzu kommt noch die Übereinstimmung der Dichte der Sonnenmaterie mit der Gesamtheit der Dichte der Materie, aus der die Planeten bestehen. Nach seiner Meinung wird der Komet „durch seinen schiefen Fall die Oberfläche der Sonne gefurcht und eine dem 650sten Teil der Gesamtmasse dieses Gestirns gleiche Stoffmenge aus dessen Körper hinausgetrieben haben ... Die größten und am wenigsten dichten Teile werden am weitesten weggetrieben worden sein, und die kleinsten und dichtesten Teile, die nur denselben Fortstoß erhalten hatten, werden sich, von der Anziehungskraft der Sonne zurückgehalten, nicht so weit entfernt haben“ (Buffon 1847, 1. Bd., S. 169). Alle diese durch den Kometen fortgerissenen Teile haben sich durch die wechselseitige Anziehungskraft der Teile ihres Stoffes zu Kugeln geformt und sind zu einem fortwährenden Kreislauf um die Sonne gezwungen worden, wobei die nächsten bei der Sonne notwendig mehr Geschwindigkeit behalten haben.
Die vielleicht wichtigste Erkenntnis Buffons war jedoch, dass er diese Zeiträume der Erdgeschichte beträchtlich erweiterte. Damit war er auch der Erste, der die noch zu Newtons Zeiten übliche auf der Bibel begründete Vorstellung vom nur wenige Jahrtausende alten Ursprung der Welt durchbrach. Buffon versuchte sogar auf experimentelle Weise Entwicklungsepochen der Erde zu unterscheiden und mit bestimmten zahlenmäßigen Zeitangaben auszustatten. Nachdem er selbst eine Reihe von Versuchen über die Abkühlung von glühenden Eisenkugeln von unterschiedlichem Gewicht angestellt hatte, und feststellen konnte, wie sich die Abkühlungszeit mit dem Gewicht der Kugel erhöht, berechnete er, dass unsere Erdkugel 35 000 Jahre nur eine Glut- und Feuermasse sein konnte, „der sich kein empfindendes Wesen nähern konnte“ (Buffon 1847, 2. Bd., S. 235). Anschließend an diese Zeit setzten gewaltige Niederschläge aus dem dichten Dunstkreis ein, den die Glut der Erdkugel bisher um sich herum festgehalten hatte. Nach der Reinigung der Atmosphäre von den Wassermassen war dann die ganze Erdoberfläche 15 000 bis 20 000 Jahre lang mit einem allgemeinen Meer bedeckt. In dieser Zeit erfolgte auch das langsame Zurücktreten der Gewässer. Erst am Ende dieser Periode haben nach Buffons Meinung unsere Festländer ihre heutige Gestalt bekommen. Dieser Zeitraum war aber auch durch heftigste Katastrophen gekennzeichnet. Es war ein ständiger Kampf zwischen Wasser und dem Feuer, das aus zahllosen Vulkanen hervorbrach. Von der Wut dieser beiden Elemente war die Erdoberfläche gleichermaßen zerrissen und bot nirgendwo Ruhe. Ströme von geschmolzenen Glas, Erdharz und Schwefel flossen von den vulkanischen Gebirgen in die Ebenen und vergifteten die Gewässer. Die Sonne war fast immer verdunkelt, nicht nur von den Wasserwolken, sondern auch von den dichten Massen der von den Vulkanen ausgeworfenen Aschenhaufen und Steinen. Glücklicherweise, sagt Buffon, hatten diese furchtbaren Katastrophen noch keine lebenden Zuschauer. Erst nach völligem Ablauf dieses Zeitraums kann man nach seiner Meinung das Entstehen der Landtiere annehmen, während primitive Muscheltiere sich bereits zur Zeit des allgemeinen Meeres gebildet haben. Da Buffon bereits auf die riesengroßen Mahlzähne eines „gewaltigen Tieres, dessen Art verloren gegangen ist“ (Buffon 1847, 2. Bd., S. 239), und auf Elefantenknochen hinweisen konnte, die man in Sibirien aufgefunden hatte, war er der Meinung, dass entsprechend der langsamen Abkühlung der Erde die ersten Landtiere in den nördlichen Gegenden ihren Ursprung hatten. Zu dieser Zeit waren die südlichen Länder, wo die Abkühlung der Erde wegen der größeren Sonnenwärme langsamer vonstattenging, viel zu heiß, als dass dort Leben entstehen konnte. Erst mit der fortschreitenden Abkühlung der Erde konnte auch der heiße Gürtel der Erde von Elefanten und Nilpferden bewohnt werden, während sie in den immer kälter werdenden nördlichen Gegenden auf immer verschwanden.
Zu einer auf empirischer Erfahrung beruhenden Theorie wurde jedoch die Katastrophentheorie erst durch Cuvier. Bei seinen Untersuchungen der Fossilien im Pariser Becken machte er die Entdeckung, dass es in den älteren Schichten der Erdkruste Fossilien von ausgestorbenen Lebewesen gibt, die in den jüngeren Lagen nicht mehr wiederkehren und den heute lebenden nicht ähnlich sind. Die Gipsbrüche in der Umgebung von Paris waren voll von den fossilen Knochen einer besonderen Art von Dickhäutern, die mehr oder weniger Ähnlichkeit mit den heute lebenden Tapiren hatten. Cuvier nannte sie „Paläotherien“ und sah in ihnen den ersten handfesten Beweis für eine untergegangene Welt (vgl. Abb. 5).
Abb. 5: Paläotherium – Skelett und Rekonstruktion (aus Cuvier 1822)
Hinzu kommt noch die bereits bekannte Tatsache, dass fossile Muscheln auch in „Höhen zu finden sind, die das Niveau aller Meere übersteigen“ (Cuvier 1822, S. 7). Die logische Folgerung daraus war für ihn, dass es mindestens eine Katastrophe gegeben haben muss, in der sich der Meeresboden gehoben und dann wieder gesenkt hat. Wenn man dann mit noch mehr Sorgfalt die Reste organischer Wesen untersucht, sagt Cuvier, so macht man die weitere Entdeckung, dass sich mitten unter den ältesten Lagern mit Meerestieren auch die versteinerten Reste von Pflanzen und Tieren finden lassen, die dem Festland angehören. Und unter den jüngsten Lagern, die der Oberfläche am nächsten liegen, kann man feststellen, dass bei ihnen einige vorkommen, wo Landtiere unter Massen von Seeprodukten begraben liegen. Das aber kann nur bedeuten, dass auf unseren Planeten mehrmals gewaltige Meeresfluten die Festländer überschwemmt und sich dann wieder zurückgezogen haben: „Das Leben ist auf dieser Erde oft durch fürchterliche Ereignisse gestört worden. Dergleichen Zustände mögen im Anfang vielleicht die ganze Erdrinde auf eine bedeutende Tiefe aufgewühlt, aber später minder tief eingegriffen haben und weniger allgemein geworden sein. Zahllose Lebewesen sind das Opfer solcher Katastrophen geworden; ein Teil wurde durch Überschwemmungen vernichtet, ein anderer mit dem Boden des plötzlich zurückgetretenen Meeres auf das Trockene gesetzt; ihre Rassen selbst sind untergegangen auf immer und ließen auf der Erde nur einige, kaum für den Naturforscher erkennbare Überreste zurück“ (Cuvier 1822, S. 14).
Es war jedoch Cuviers Verdienst, dass er als vergleichender Anatom aus diesen wenigen Überresten die Gestalt des ganzen Tieres rekonstruieren konnte. Denn nach seiner Meinung ist in jedem seiner einzelnen Teile die Form des Ganzen bereits anzutreffen. Denn es gibt für ihn kein Geschöpf der Natur, so niedrig seine Organisation auch sein mag, das nicht einen Bauplan (embranchement) aufweist. In diesem Bauplan, in welchem jedes einzelne Glied auf alle anderen bezogen ist, hat das untersuchte fossile Einzelteil eines ausgestorbenen Tieres durch seine Funktion eine bestimmte Bedeutung und einen genauen Platz (Cuvier 1822, S. 75). Für Cuvier sind daher die Begriffe „Typus“ und „Bauplan“ nicht nur abstrakte Allgemeinbegriffe, sondern die Gesetzmäßigkeiten der Koexistenz (lois de coexistence). Doch gerade diese Vorstellung eines fixen Bauplanes, die ihm solche Rekonstruktionen ermöglichten, ließen ihn zu einem erklärten Gegner der Evolutionstheorie werden, wie sie bereits zu seiner Zeit von Jean Lamarck aufgestellt worden war. Sein Hauptargument gegen die ersten Anhänger der Phylogenetik bot ihm deren eigenes System: „Wenn die Arten sich nach und nach geändert hätten, so müsste man Spuren von diesen Umwandlungen finden.“ Das aber bedeutet, dass man zwischen ausgestorbenen Arten und den heutigen Arten einige Zwischenformen finden müsste, wovon sich aber, wie er damals noch sagen konnte, „bis jetzt noch nicht ein Beispiel gezeigt hat“ (Cuvier 1822, S. 90). Für ihn ist daher die Entwicklung der Lebewesen nicht wie nach der Evolutionstheorie Lamarcks als ein langsamer und stetiger Prozess mit fließenden Übergängen anzusehen, in dem sich die Grenzen aller Gestalten verwischen, sondern für ihn ist das Tierreich der Vergangenheit durch große vernichtende Katastrophen in scharf unterschiedene Epochen aufgeteilt. Daher gibt es nach Cuviers Auffassung auch in der erdgeschichtlichen Abfolge der Baupläne der Lebewesen nur den Untergang des Alten und das Entstehen des Neuen.
Er konnte zwar zunächst aufgrund seiner eigenen örtlich begrenzten Untersuchungen im Pariser Becken zunächst nur von einer großen sintflutähnlichen Katastrophe ausgehen, dann aber als er Kenntnis von den ausgestorbenen ungeheuren Säugetieren wie Mammut und Mastodon bekam, deren Überreste in Sibirien und Nordamerika gefunden worden waren, wurde ihm klar, dass es mehrere von diesen Katastrophen gegeben haben muss. Und als er schließlich von der Entdeckung der fossilen Knochen der riesigen Reptilien in England erfuhr, an deren Erkennung und Rekonstruktion er selbst maßgeblich beteiligt war, war er davon überzeugt, dass die bereits zu seinen Lebzeiten aufgefundenen Riesenreptilien Ichthyosaurus und Plesiosaurus noch vor den von ihm entdeckten Paläotherien und den anderen ausgestorbenen Tiergattungen eine erste Epoche gebildet haben: „Gewiss ist es, dass wir uns jetzt wenigstens zwischen einer vierten Reihenfolge von Landtieren befinden und dass auf das Zeitalter der Reptilien, auf das der Paläotherien, auf das der Mammuts, Mastodonten und Megatherien, dasjenige gefolgt ist, in welchem das Menschengeschlecht, von einigen Haustieren unterstützt, friedlich die Erde bewohnt und bearbeitet“ (Cuvier 1822, 2. Bd., S. 62 f.).
Diese Abfolge von völlig voneinander getrennten Epochen von Lebewesen will Cuvier jedoch nicht in Abweichung von der biblischen Schöpfungsgeschichte als eine Aufeinanderfolge von Neuschöpfungen verstanden wissen: „Ich behaupte nicht, dass es einer Neuschöpfung bedurft hätte, um die heute lebenden Arten hervorzubringen; ich sage nur, dass sie nicht an den Orten lebten, wo sie heute gefunden werden, sondern dass sie von woandersher kommen mussten“ (Cuvier 1830, S. 129). Cuvier war also kein Kreationist, wie so oft behauptet wird (Eldredge 1997, S. 28; Leakey/Lewin 1996, S. 58). Neuschöpfungen nahm vielmehr Alcide d’Orbigny an, der aufgrund neuer Erkenntnisse auch ihre Anzahl vergrößerte: „Eine erste Schöpfung zeigt sich mit der silurischen Stufe. Nach ihrer gänzlichen Vernichtung durch irgendeine geologische Ursache und nach Verlauf eines beträchtlichen Zeitraumes findet eine zweite Schöpfung in der Devon-Stufe statt; darauf haben 27-mal hintereinander verschiedene Schöpfungen die ganze Erde mit ihren Pflanzen und Tieren im Anschluss an die geologischen Umwälzungen, die alles in der lebenden Natur zerstört hatten, wieder von neuem bevölkert. Das sind sichere, aber unbegreifliche Tatsachen, mit deren Feststellung wir uns genügen lassen, ohne in das sie umschließende überirdische Geheimnis einzudringen zu versuchen“ (d’Orbigny 1849, 2. Bd., S. 251; dt. Übers. von Hölder 1960, S. 477).
Noch zu Buffons Lebzeiten entdeckten Steinbrucharbeiter im Jahre 1770 tief im Innern des St. Petersbergs in Maastricht die Kieferknochen eines riesengroßen Tieres. Adrien Camper, der Sohn des berühmten holländischen Anatomen Pieter Camper, stellte als Erster fest, dass es sich um die Überreste einer gewaltigen Meeresechse handelt. Diese Ansicht wurde viele Jahre später durch Cuvier bestätigt, der bereits 1795 in jungen Jahren als Gehilfe am Jardin des Plantes in Paris tätig war und dort das als wertvolle Kriegsbeute von französischen Soldaten nach Paris geschaffte Skelett untersuchen konnte. Benannt wurde diese Meeresechse von dem englischen Geistlichen William Conybeare, der sie mangels anderer Vorschläge nach dem Ort ihrer Herkunft als „Mosasaurus“ (Maasechse) bezeichnete. Nach der Länge des Schädels zu urteilen, so vermutete Conybeares Amtsbruder William Buckland, musste dieser „ungeheure Waran der vorzeitlichen Tiefe 25 Fuß lang“ gewesen sein (Buckland 1837, vol. 1, S. 217).
Buckland, der als Professor für Mineralogie und Geologie an der Universität Oxford wirkte, sollte selbst zum Entdecker des ersten wissenschaftlich benannten und beschriebenen Dinosauriers werden. Als in dem nur wenige Meilen von Oxford entfernten Schiefer von Stonesfield mehrere große fossile Knochen gefunden wurden, ließ er sie in das Oxforder Museum bringen. Obwohl kaum einer der riesenhaften Wirbel- und Extremitätenknochen in unmittelbarer Berührung mit einem anderen aufgefunden worden war, waren er und sein Mitstreiter Conybeare in Sachen biblischer Katastrophentheorie davon überzeugt, dass es sich ebenfalls wie bei der Maasechse um eine Riesenechse aus der vorsintflutlichen Zeit handelt. Sie wurde daher auch mit der wissenschaftlichen Bezeichnung „Megalosaurus“ „Dieses war eine Eidechse so groß wie ein Wallfisch“