Erhard Oeser
Hund und Mensch
Die Geschichte einer Beziehung
3. Auflage
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ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-534-23015-0
3. Auflage 2009
© 2009 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
1. Auflage 2004
Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.
Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn
Einbandbild: Porträt einer jungen Frau mit ihrem Hund, Gemälde von Imre Goth (1893-1982-); picture-alliance/akg-images
eBook ISBN 978-3-534- 70478-1 (epub)
Als epub veröffentlicht 2010.
www.wbg-wissenverbindet.de
Vorwort |
Einleitung |
1. Die Frage nach dem Bewusstsein der Tiere |
Die Maschinentheorie der Tiere |
Die sprechenden Hunde: Leibniz und seine Nachfolger |
Die moderne Theorie der Seelenlosigkeit der Tiere |
Die Evolution des Bewusstseins: Darwin und die Folgen |
Die Intelligenz der Hunde |
Das Dilemma der modernen Verhaltensforschung |
2. Vor hunderttausend Jahren |
Der Anteil des Hundes an der Menschwerdung des Affen |
Die Suche nach dem Urhund |
Der Wolf – Mythos und Wahrheit |
Hundewölfe: Buffons erfolgreiche Kreuzungsversuche |
Die Pariahunde |
3. Der Jagdgenosse und Wächter |
Die Hunde der Griechen |
Platons Lehre von der philosophischen Natur des Hundes |
Aristoteles und die indischen Hunde |
Xenophons „Hundeführer“ |
Arrian, der Affe Xenophons |
Die Wachhunde der Römer |
Hof- und Jagdhunde im Mittelalter |
Glanz und Elend der Jagdhunde in der Neuzeit |
4. Die Kampf- und Kriegshunde |
Frühe Nachrichten aus Asien |
Die Gladiatorenhunde der Antike |
Die Urform der großen Kampfhunde: die Tibetdogge |
Die kubanische Dogge und die Vernichtung der Indianer |
Die Regimentshunde |
Die Hunde in den Weltkriegen |
5. Die Gebrauchs- und Arbeitshunde |
Der Schäferhund |
Vom Schäferhund zum Polizeihund |
Vom Metzgerhund zum Bullenbeißer |
Der Hund als Zug- und Lasttier |
Hunde als Lebensretter: die Bernhardiner |
Hunde als Blindenführer |
Der Hund an der Seite der Frau |
6. Der Hund als Versuchstier |
Die Folterkammern der Wissenschaft |
Das Seelenorgan des Hundes |
Der Sieg über die Tollwut |
Pawlows Hunde |
Das einsame Hundehirn |
7. Der Hund als Medizin und Nahrung |
Hundefett und andere Hundeheilmittel |
Die helfenden Hunde |
Die Hundefleischesser Ostasiens und der Südsee |
Menschenfresser und Hundefresser: Niamniam |
Die Hundefleischesser Europas |
8. Der Hund als Eroberer |
Die Eroberung Zentralafrikas |
Die Eroberung der Polargebiete |
Erschossen: Die Hunde der Nordpolexpeditionen von Payer und Nansen |
Ausgesetzt: Die Hunde des Verlierers Cook |
Die Hunde am Nordpol: Peary |
Scotts tödlicher Fehler: Ponys statt Hunde |
Die Hunde am Südpol: Amundsen |
Die Eroberung des Weltraums |
9. Schluss: Die Seele des Hundes |
Literatur |
Register |
Namen |
Sachen |
Wenn man die gesamte Geschichte der Philosophie von der Antike bis zur Gegenwart im Hinblick auf die Frage nach dem Bewusstsein oder der Seele der Tiere betrachtet, so lassen sich grob gesagt zwei Klassen von Philosophen unterscheiden. Die einen behaupten, dass Tiere eine Seele haben, die anderen meinen, dass sie keine haben. Nach einem altbekannten Scherz enthält die erste Klasse alle Philosophen, die einen Hund haben, und die zweite alle, die keinen haben.
Ich gehöre in die erste Klasse. Denn ich habe 13 Jahre lang mit einem Hund gelebt und bin seitdem davon überzeugt, dass die Hunde nicht nur Bewusstsein, sondern auch ihre eigene Geschichte haben, die jedoch so untrennbar mit der Geschichte der Menschheit verbunden ist, dass sie als ein Abbild menschlicher Kulturentwicklung gelten kann. Daher kann der Hund nicht ausschließlich nur ein Gegenstand biologischer Betrachtungsweise sein, sondern bedarf auch einer eingehenden historisch-kritischen Untersuchung, die sich auf seine Rolle in der Entwicklung der Menschheit bezieht. Diese Aufgabenstellung haben zwar auch Biologen und Hundezüchter erkannt, doch sind ihre Ausführungen darüber zumeist fragmentarische Randerscheinungen, die meistens im Erzählen von Anekdoten stecken bleiben.
Während in manchen kulturhistorisch orientierten populären Hundebüchern in naiv unkritischer Weise und oft sogar in ausdrücklichem Gegensatz zu den naturwissenschaftlich-genetischen Untersuchungen vom Bewusstsein und den Gefühlen der Hunde die Rede ist, wird von Verhaltensforschern, die sich gelegentlich auf die Kulturgeschichte des Hundes berufen, meist übersehen, dass nur ein Lebewesen „Geschichte“ haben kann, das auch Bewusstsein hat. Daher ist jeder Versuch, die Geschichte der Hunde zu schreiben, auch ein Beitrag zu der bis heute in der Wissenschaft noch umstrittenen Frage nach dem Bewusstsein der Tiere. Unter diesem Aspekt ist daher auch dieses Buch entstanden, das einen kritischen Gesamtüberblick über die Geschichte von Hund und Mensch liefern soll, bei dem nicht der Mensch, sondern der Hund mit seinen Leistungen für den Menschen und seinen Leiden durch den Menschen im Vordergrund steht. Damit soll ein weiterer Zugang zum Verständnis des Hundes eröffnet werden, der über den rein naturwissenschaftlichen Weg der Evolutionstheorie, Genetik und Verhaltensforschung hinausgeht, aber trotzdem mit diesem vereinbar ist.
Eine programmatische Darstellung dieses Versuchs, die Geschichte der Menschheit sozusagen mit den Augen des Hundes zu betrachten, habe ich bereits im November 1999 auf einem Symposium vorgetragen, das aus Anlass des 10. Todestages von Konrad Lorenz an der Forschungsstelle für Ethologie in Grünau im Almtal stattgefunden hat. Der etwas provokante Titel dieses Beitrages, >Der Anteil des Hundes an der Menschwerdung des Affen<, sollte darauf hinweisen, dass es sich bei dem Verhältnis von Hund und Mensch von allem Anfang an um die Geschichte einer Überlebensgemeinschaft gehandelt hat, bei der die Hunde mehr und mehr der „machiavellischen“ Intelligenz des Primaten Homo sapiens verfallen sind.
Mit dem Erscheinen dieses Buches 100 Jahre nach dem Geburtstag des großen Verhaltensforschers und Hundekenners hoffe ich einen grundsätzlichen Vorschlag zur Lösung jener Paradoxie zu liefern, die den Verhaltensforscher in seinen naturwissenschaftlichen Darstellungen heutzutage zwingt, Ausdrücke wie „Seele“ und „Bewusstsein“ möglichst zu vermeiden, ohne die jedoch die Leistungen der Hunde im Dienste der Menschheit unerklärbar sind. Wenn heutzutage immer mehr Verhaltensforscher und Psychologen versuchen, objektives und nachprüfbares Beweismaterial für das Denken und Fühlen der Tiere zu sammeln, so bietet die uns in vielen historischen Dokumenten überlieferte Geschichte der Beziehung von Hund und Mensch einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag zur Frage nach dem Bewusstsein der Tiere.
Wien, im Frühjahr 2003
Erhard Oeser
Es haben sich große Zoologen wie Linné und Buffon oder Evolutionstheoretiker wie Darwin mit dem Hund beschäftigt. Auch war man sich seit jeher der Sonderstellung dieses Lebewesens bewusst, die in unserer Zeit Konrad Lorenz mit seinem durchaus ernst zu nehmenden Ausspruch „Es gibt Tiere, Menschen und Hunde“ am deutlichsten ausgedrückt hat. Aber im Vergleich zur permanenten Gegenwart des Hundes in der menschlichen Gesellschaft und Geschichte ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem einzigartigen Lebewesen und seiner Geschichte merkwürdig gering und kontrovers geblieben. So konnte Brehm vor mehr als hundert Jahren in seinem berühmten Werk über das >Tierleben< die noch heute weitgehend gültigen Worte schreiben: „Jedermann glaubt ihn zu kennen, gründlich und hinlänglich zu kennen, und nur der Naturforscher gesteht zu, dass er, trotz aller Nachforschungen und Vergleichungen, eigentlich noch äußerst wenig und kaum irgendetwas Sicheres über den Hund weiß.“ Evolutionstheorie, Genetik und Verhaltensforschung haben zwar bereits einiges Licht auf die Frage nach der Abstammung, Verbreitung und Variabilität des Hundes geworfen. Doch ist noch vieles an ihm und seinem differenzierten Verhalten zum Menschen rätselhaft geblieben, weil man ihn, trotz gegenteiliger Ansicht großer Naturforscher, sowohl was seine Intelligenz als auch seine Leistungen anbelangt, erniedrigt und missbraucht hat.
Der Anteil des Hundes an der Geschichte der Menschheit ist aber unübersehbar. Nach neuesten Forschungsergebnissen kann er sogar zu ihrer Entstehung wesentlich beigetragen haben. Denn es waren die Caniden, die hundeartigen Vorfahren unserer Haushunde, und zwar in erster Linie die Wölfe, die unseren affenartigen Vorläufern, die wie die heutigen Affen ungestüme, aufbrausende und opportunistische Individualisten waren, zu dem gemacht haben, was wir heute mit „wahrer Menschlichkeit“ (Schleidt) identifizieren: das heißt zu sozialen Lebewesen, die zu einer Zusammenarbeit fähig sind, die weit über die engen genetisch bedingten Familienbande hinausgeht, auf die sich die anthropoiden Affen noch heute beschränken.
Diese Idee, dass der Mensch seine Verbreitung und Herrschaft über die Erde seiner Kooperation mit den Hunden verdankt, ist mehrfach, am deutlichsten aber bereits von Buffon, ausgesprochen worden. Als erster und einziger ständiger Begleiter des Menschen ist daher auch der Hund mit der Geschichte der Menschheit unzertrennbar verbunden. Bereits in den frühen Hochkulturen Ägyptens, Babylons und Assyriens war er Jagdgenosse, Wächter und Mitstreiter in den Kriegen. Und bei den alten Griechen und Römern erlebte er schon eine Differenzierung seiner Leistungsfähigkeit, die zumindest in ihren Grundzügen mit der heutigen Vielfalt der Haupttypen der Rassen vergleichbar ist. Die Leistungen der Hunde bei der Ausbreitung des Menschen über die Erde und seiner Beherrschung der gesamten Tierwelt beschränkten sich nicht auf Antike, Mittelalter und beginnende Neuzeit. So war die Entdeckung sowohl des Nord- als auch des Südpols im vergangenen Jahrhundert ohne den Einsatz der Schlittenhunde nicht möglich, und das erste Lebewesen im Weltraum war weder ein Mensch noch ein Affe, sondern ein sibirischer Hund.
Die Geschichte der Hunde ist aber nicht nur eine Geschichte ihrer Leistungen für den Menschen, sondern auch eine Geschichte ihrer Leiden durch den Menschen, der seit den frühen Hochkulturen mit seiner „machiavellischen Intelligenz“ die Macht über die Hunde übernommen und sie ausschließlich nach seinen Vorstellungen und Bedürfnissen umgeformt hat. Zu diesen Bedürfnissen gehören Nahrung, Erhaltung der Gesundheit und Vergnügungen, die sich der Mensch seit jeher auf Kosten der Hunde verschafft hat. Das Schlachten und Verzehren der Hunde ebenso wie die grausamen Hundekämpfe waren nicht nur in den Ländern Ostasiens üblich, sondern auch bis in die jüngste Vergangenheit in vielen Gegenden Europas verbreitet. Und noch heute gilt bei uns Hundefett als wirksame Medizin für jede Art von Brustleiden. Als Versuchstier verdankt die Menschheit dem Hund die grundlegendsten Einsichten in die Struktur und Funktionsweise des Gehirns und der Verdauungsorgane, die nur durch grausame Experimente bei lebendigem Leib erreicht werden konnten.
Die wenigsten von unseren heutigen Hunden sind Versuchstiere oder „Gebrauchshunde“, die für bestimmte Tätigkeiten wie Jagen, Bewachen, Karrenziehen usw. eingesetzt werden. Nur die Anzahl der Blinden- oder Behindertenhunde ist vergleichsweise eher angestiegen, da der emotionale Wert eines lebenden und stets willigen Helfers nicht durch technische Hilfsmittel ersetzt werden kann. Auch bei Erdbeben und Lawinenabgängen sind sie noch immer unentbehrlich. Die überwiegende Zahl der Hunde sind jedoch heutzutage Begleit- oder Familienhunde. Ihr Wert ist heutzutage für die meisten Menschen, wie Lorenz sagt, ein „rein seelischer“. Sie werden sogar als Therapeuten eingesetzt.
Aus dem Alltagsleben vieler Menschen sind bis heute Hunde nicht wegzudenken. Es scheint sogar in unserer Zeit für alle Hunde ein neues paradiesisches Zeitalter angebrochen zu sein, das die Zeit der Hof- und Jagdhunde im Mittelalter und der frühen Neuzeit, die oft besser als Menschen gehalten wurden, noch weit übertrifft. Denn für die meisten Hundehalter sind ihre Haushunde wie echte Familienmitglieder und werden gefüttert, gepflegt und geliebt wie Kinder, die in ihrem kurzen Leben ewig Kinder bleiben. Doch haben bereits langjährige wissenschaftliche Experimente gezeigt, dass ein Hund keineswegs ein vierbeiniges in Pelz gekleidetes kindliches menschliches Wesen ist, sondern trotz seiner engen sozialen Kontakte mit den Menschen in seiner genetischen Veranlagung ein Carnivore, d. h. ein fleischfressendes Raubtier, geblieben ist. Aber der Hund allein war es, der die Schranke durchbrochen hat, die den Menschen von der Tierwelt trennt. Hunde sind daher die einzigen Lebewesen, die mit dem Menschen eine so enge Lebensgemeinschaft gebildet haben, dass sie nur durch den Tod beendet werden kann. Das vergessen all diejenigen, die ihre leichtfertig angeschafften Hunde aussetzen oder in Tierheime abliefern.
Hunde werden nicht immer und jederzeit geliebt. Für viele Menschen sind sie überhaupt ein Ärgernis. Denn sie verschmutzen mit ihren Kot die Straßen und Parkanlagen der Städte und viele bellen und kläffen vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. Als so genannte Kampfhunde, die frei herumlaufen, hilflose Kinder anfallen, zerfleischen und sogar töten können, verbreiten sie heutzutage mehr denn je Angst und Schrecken. Doch sie selbst sind schuldlos an diesem Ärger und Grauen. Denn ihre Geschichte lehrt uns, dass alles, was sie tun und leiden, unter Anleitung des Menschen geschieht. Ihre erstaunlichen Fähigkeiten wurden seit den alten Hochkulturen bis heute dazu benützt, um den Menschen im Guten wie im Bösen zu dienen. Sie leben daher auch seit jeher im Zustand absoluter Rechtlosigkeit und totaler Abhängigkeit vom Menschen. Sie, die untereinander jene Rassenunterschiede nicht kennen, die der Mensch ihnen angezüchtet hat, wurden zum Vorbild menschlichen Rassenwahns. Bei der Eroberung Amerikas wurden sie auf Indianer gehetzt und in der Kolonialzeit auf schwarze Sklaven. Zur Zeit des Nationalismus in Europa wetteiferten Deutsche, Engländer und Franzosen mit der Aufzucht ihrer Nationalhunde, von denen der Deutsche Schäferhund als Hund des „Führers“ in die Geschichte eingegangen ist.
Dass sich diese Ansichten heutzutage drastisch gewandelt haben, zeigt wiederum, wie sehr die Geschichte der Hunde ein Abbild der Geschichte des Menschen ist. Wie die Zukunft des Menschen ist daher auch die Zukunft des Hundes offen: Wird er als entbehrliches Relikt aus der Vergangenheit wie schon viele Lebewesen auf dieser Erde verschwinden oder noch weiter existieren? Die Geschichte seiner Leistungen und Leiden lässt hoffen, dass die Spuren seiner Pfoten auch noch in fernen Zeiten neben den Fußstapfen des Menschen zu sehen sein werden.
Nur ein Lebewesen, das Bewusstsein hat, hat auch seine Geschichte. Die grundlegende Frage lautet daher: Haben Hunde ein Bewusstsein? Diese Frage wurde seit jeher immer wieder in Bezug auf die gesamte Tierwelt gestellt. Eine frühe Antwort stammt von David Hume (1739), der kategorisch feststellt: „Keine Wahrheit erscheint mir offensichtlicher als die, dass Tiere ebenso mit Gedanken und Vernunft ausgestattet sind wie der Mensch“ (vgl. Griffin 1990, S. 15). Doch dieser intuitiven Einsicht, die jedem, der mit Hunden zu tun hat, völlig klar ist, fehlte jede theoretische Begründung. Daher setzte sich zunächst jene berühmt-berüchtigte Maschinentheorie der Tiere von Descartes durch, die bis auf unsere Tage im sog. Behaviorismus weiterlebt.
Descartes Ansicht von der Seelen- oder Geistlosigkeit der Tiere beruht auf der Kombination verschiedener ganz unterschiedlicher Argumentationen. Das eine und für ihn wichtigere und grundlegendere Argument ist ein theologisches Argument, das für ihn gleich nach dem Argument gegen die Leugnung der Existenz Gottes kommt. So sagt er am Ende des 5. Kapitels seiner Abhandlung über die Methode: „Denn nach dem Irrtum der Gottesleugnung, den ich oben hinlänglich widerlegt zu haben meine, gibt es keinen der schwache Gemüter mehr vom rechten Wege der Tugend entfernt, als wenn sie sich einbilden, die Seele der Tiere sei mit der unsrigen wesensgleich und wir hätten daher nach diesem eben nichts zu fürchten noch zu hoffen, nicht mehr als die Fliegen und die Ameisen“ (Descartes 1948, S. 139). Die Einzigartigkeit der Menschenseele, die er mit dem unausgedehnten Geist oder der denkenden Substanz (res cogitans) gleichsetzt, besteht aber nach Descartes gerade in ihrer Unabhängigkeit von der Materie oder ausgedehnten Substanz, die für ihn eine Garantie für ihre Unsterblichkeit ist.
Das andere und bis heute wirksame Argument stammt aus seiner mechanistischen Physiologie, die er auch konsequent auf den Menschen angewendet hat. Sie beruht auf den damaligen großen Erfolgen der klassischen Grundlagendisziplin der neuzeitlichen Physik, der Mechanik, die sich bereits in eine Vielzahl von Maschinen umsetzen ließ. Eine beliebte Beschäftigung in dieser Zeit war das Herstellen von menschen- und tierähnlichen Automaten, die oft zu einer täuschenden Ähnlichkeit mit lebendigen Körpern führten. Daher glaubte Descartes zeigen zu können, „dass, wenn es solche Maschinen gäbe, welche die Organe und die äußere Gestalt eines Affen oder irgendeines anderen vernunftlosen Tieres (animal sans raison) hätten, wir nicht im Stande sein würden, sie in irgendetwas von jenen Tieren zu unterscheiden“ (Descartes 1948, S. 131). Dagegen haben wir, wenn es dem Menschen ähnliche Maschinen gäbe, die unsere Handlungen nachahmen könnten, stets ein ganz sicheres Mittel, um zu erkennen, dass diese Automaten nicht wirkliche Menschen sind. Denn selbst dann, wenn die Maschine so eingerichtet ist, dass sie Wörter hervorbringt oder schreit, dass man ihr wehtue, wenn man sie anfasst, so wird sie doch nie imstande sein, „dass sie auf verschiedene Art die Worte ordnet“, um eine sinnvolle, der jeweiligen Situation entsprechende Aussage zu formulieren. Das Gleiche gilt für jene Handlungen, die nicht auf besonderen Dispositionen der Organe beruhen. Während eine Maschine für jede besondere Handlung eine besondere Disposition eines bestimmten Organs benötigt, kann der Mensch mit seinem „Universalinstrument“ der Vernunft in allen Fällen und Lebenslagen die entsprechenden Handlungen durchführen.
Das eigentliche Unterscheidungskriterium zwischen Mensch und Tier ist und bleibt für Descartes daher die Sprache: „Denn es ist sehr bemerkenswert“, sagt er, „dass es keine so stumpfsinnigen und dummen Menschen gibt, sogar die unsinnigen nicht ausgenommen, die nicht fähig wären, verschiedene Worte zusammen zu ordnen und daraus eine Rede zu bilden, wodurch sie ihre Gedanken verständlich machen; wogegen es kein anderes noch so vollkommen und noch so glücklich veranlagtes Tier gibt, das etwas Ähnliches tut“ (Descartes 1948, S. 133 f.). Diese Unfähigkeit, in geordneter Weise zu reden, beruht nicht auf der mangelhaften Beschaffenheit der Sprechorgane, denn man sieht, dass Papageien, nach Descartes übrigens auch die Spechte (les pies), ebenso gut Wörter hervorbringen können wie wir. Und doch können sie nicht ebenso gut wie wir reden, d. h. „zugleich erkennen lassen, dass sie denken, was sie sagen“. Umgekehrt können sich sehr wohl auch taubstumm geborene Menschen durch Zeichen verständlich machen. Das alles beweist nach Descartes nicht nur, „dass die Tiere weniger Vernunft als die Menschen, sondern dass sie gar keine haben“ (Descartes 1948, S. 135). Auch die Tatsache, dass manche Tiere in manchen Handlungen mehr Geschicklichkeit zeigen als wir, beweist nicht, dass sie Geist (l’esprit) haben, sondern nur, „dass es die Natur ist, die in ihnen nach der Disposition ihrer Organe handelt. So sieht man, dass ein Uhrwerk, das bloß aus Rädern unserer Klugheit besteht, die Stunden zählen und die Zeit messen kann“ (Descartes 1948, S. 137).
Diese Maschinentheorie der Tiere wird auch von Malebranche aufgegriffen, der behauptete: „Tiere fressen ohne Vergnügen, weinen ohne Schmerz, handeln ohne es zu wissen; sie ersehnen nichts, fürchten nichts, wissen nichts“ (Zit. nach Coren 1995, S. 94). Sogar die Tatsache, dass sich Tiere an manche Dinge erinnern können und allerlei Fertigkeiten erlangen können, ist für ihn kein Grund an ihrer Seelenlosigkeit zu zweifeln, denn das zeigt nur, dass „eine bloße Maschine sich weit leichter bewegt, wenn man sie einige Zeit bereits gebraucht hat, als wenn sie ganz neu wäre“ (Malebranche 1776, S. 223 f.). Aus dieser Vorstellung von der Maschinennatur der Tiere erklärt sich auch die viel zitierte Grausamkeit dieses frommen Ordensmannes, der seine „Untersuchungen über die Wahrheit“ nicht so sehr zur Ehre des menschlichen Geistes, sondern zur Ehre Gottes verfasste. Nach glaubhaftem Bericht des Sekretärs der Pariser Akademie der Wissenschaften Bernard Le Bovier de Fontenelle soll Malebranche einer trächtigen Hündin einen Fußtritt versetzt und den entsetzten Beobachter, der auf den Schmerzensschrei des Hundes reagierte, mit den Worten „Wissen Sie denn nicht, dass er nichts empfindet?“ zu beruhigen versucht haben.
Malebranche hat sogar eine Theorie bereit, nach der sich auch das Mitleid gegenüber Tieren auch bei jenen erklären lässt, welche die Tiere nur für Maschinen halten. Denn der Anblick von Wunden und Tod eines anderen Lebewesens erweckt in den entsprechenden Körperteilen eine entsprechende Erschütterung. Jedoch gilt dies nicht für „starke und muntere Menschen“, sondern nur für schwache und zart gebaute, die es weder sehen können, dass man ein Tier schlägt, noch hören, wenn es schreit, ohne merklich beunruhigt zu werden“ (Malebranche 1776, S. 231).
Solche „starken und munteren Menschen“ waren es auch, die sich, gerechtfertigt durch diese Maschinentheorie der Tiere, daranmachten, stellvertretend an ihnen durch grausame Experimente die Maschinerie des beseelten Körpers des Menschen zu untersuchen, der für solche Experimente aus moralischen Gründen nicht zugänglich war. Alle bisher rätselhaften Vorgänge im menschlichen Körper wie der Blutkreislauf und die Tätigkeit des Nervensystems wurden durch Vivisektionen an Tieren erforscht. Und es waren vor allem die Artgenossen des von Malebranche malträtierten Tieres, die Hunde, die dazu benützt wurden. Um Harveys umstrittene Theorie des Blutkreislaufes zu beweisen, band der Holländer Jan de Wale im linken Bein eines Hundes die Oberschenkelvene ab, wodurch sich die herznahen, oberhalb der Abschnürung liegenden Teile entleerten. Nur wenige Blutstropfen traten heraus, wenn man dort die Vene verletzte. Dagegen spritzte unterhalb der Abschnürung das Blut, das zum Herzen zurückströmte, in hohem Bogen heraus, wenn man diesen Teil der Vene durch einen Stich verletzte. Schnürte man aber den rechten Oberschenkel mit den Arterien ein, ohne jedoch die Venen mit einzubinden, versiegte in ihnen der Blutstrom gänzlich. Damit war eindeutig bewiesen, dass das Blut einen Kreislauf durchführt, der vom Herzen ausgehend das Blut durch eine stoßende Bewegung durch die Arterien wegführt und durch die Venen wieder zum Herzen zurückführt.
Abb. 1: Jan de Wales Experiment an einem Hund zur Demonstration des Blutkreislaufes (aus Bartholinus 1660)
Sogar der große Hirnanatom Thomas Willis (1621–1675), der ja selbst im Unterschied zu Descartes den Tieren eine sensitive Seele und damit auch Leidensfähigkeit zubilligte (vgl. Oeser 2002, S. 66), scheute nicht davor zurück, Vivisektionen durchzuführen. Und wiederum waren die Hunde die bevorzugten Versuchstiere. So unterband er bei der experimentellen Erforschung des vegetativen Nervensystems einem Hund beide Vagusnerven, um herauszufinden, ob der Herzschlag so sehr von der Tätigkeit dieser Nerven abhänge, dass er ohne diese überhaupt aufhöre. Tatsächlich wurde der Hund sofort stumm und starr, erlitt Krämpfe und starkes Herzzittern und lebte nur noch wenige Tage, ohne sich bewegen oder fressen zu können (Cerebri Anatome 24. Kap., S. 324 f.).
Es waren aber gerade solche oft wiederholten grausamen Vivisektionen an einem Hund, die den bedeutendsten Kopf der französischen Aufklärung, Voltaire (1694–1778), ein bis heute gültiges Argument dafür lieferten, dass auch Tiere ähnlich wie Menschen Gefühle haben müssen: „Sie nageln ihn auf einen Tisch und öffnen bei lebendigem Leibe seine Bauchhöhle, um Euch einen Blick auf die Innereien zu bieten. Ihr entdeckt in ihm die gleichen, zum Fühlen befähigenden Organe, die auch Ihr besitzt. Antwortet mir, Ihr Maschinentheoretiker, hat die Natur dieses Tier mit allen Quellen des Fühlens ausgestattet, damit es nicht zu fühlen vermag? Besitzt es Nerven, um ohne jede Erregung zu sein?“ (Voltaire 1786, S. 258 f.).
Einer der ersten, der Einwände gegen diese Maschinentheorie der Tiere erhob, war jedoch Descartes’ Zeitgenosse Pierre Gassendi (1592–1655). Für ihn ist es nicht einzusehen, warum Sinneswahrnehmung und das, was man „Leidenschaften der Seele“ (passiones animae) nennt, bei den Tieren anders zustande kommt als bei uns. Denn auch in den Tieren gibt es Nerven und ein Gehirn und im Gehirn ein erkennendes Prinzip, das wie beim Menschen die Empfindung zustande bringt. Und wenn für Descartes das Wesen menschlicher Erkenntnis darin besteht, dass es hinter den stets wechselnden äußeren Erscheinungen den eigentlichen Erkenntnisgegenstand erfassen kann, so urteilt auch der Hund nach Gassendis Meinung auf ähnliche Weise: Mag sein Herr stehen, sitzen, liegen, sich zurücklehnen, zusammenkauern oder ausstrecken, er erkennt doch immer den Herrn, der hinter all diesen Erscheinungsformen steckt (vgl. Oeser 2002, S. 57).
Es ist nicht nur Gegenstandserkenntnis als solche, die Gassendi dem Hund damit zubilligt, sondern auch das, was heutzutage als Objektkonstanz bezeichnet wird. Denn er fragt Descartes: „Und so oft ein Hund einen laufenden Hasen jagt und ihn zuerst unversehrt, dann tot und hernach abgezogen und in Stücke zerlegt sieht, glaubst Du, er meint nicht, dass es immer derselbe Hase sei?“ (Gassendi in Descartes 1965, S. 248). Gibt man das zu, dann liegt der Schluss nahe, dass auch in den Tieren, vor allem in den so genannten höheren Tieren, die ein Gehirn besitzen, auch ein den Menschen „nicht unähnlicher Geist“ wohnt. Daher gibt es auch beim Hund so etwas wie eine freie Wahlentscheidung zwischen Ausüben oder Unterlassen einer Handlung. Denn es kommt doch vor, dass ein Hund bisweilen ohne alle Furcht vor Drohungen und Schlägen auf den Bissen, den er sieht, losspringt, wie der Mensch oft Ähnliches tut.
Wenn aber Descartes sagt, dass ein Hund nur bellt und nicht spricht und sogar ein Irrer mehrere Worte verbinden kann, um etwas auszudrücken, was auch das klügste Tier nicht kann, so antwortet Gassendi darauf, dass Hunde zwar keine menschlichen Laute hervorbringen, weil sie eben keine Menschen sind, aber doch ihre eigenen besonderen Laute hervorbringen und sich ihrer genauso bedienen wie wir uns der unsrigen. Daher ist es auch nicht recht und billig, von den Tieren menschliche Stimmen zu verlangen, ohne auf ihre eigenen zu achten. Ungeachtet dieses berechtigten Einwandes hat man jedoch immer wieder versucht, Hunden die menschliche Sprache beizubringen.
Ein auf die große Autorität des berühmten Universalgelehrten Leibniz gestütztes Beispiel eines sprechenden Hundes kann man in den Berichten der französischen Akademie der Wissenschaften vom Jahre 1706 lesen: „Ohne einen solchen Gewährsmann, wie Monsieur Leibniz es ist – der Augenzeuge war –, würden wir es gar nicht wagen, davon Mitteilung zu machen, dass es in der Nähe von Zeitz in der Region von Meißen einen Hund gibt, der spricht. Es ist der Hund eines Bauern – von ganz gewöhnlicher Gestalt und mittlerer Größe. Ein kleines Kind hörte, wie er einige Laute ausstieß, von denen es glaubte, dass sie deutschen Worten ähnlich seien. Auf Grund dessen setzte es sich in den Kopf, ihm das Sprechen beizubringen. Der ‚Meister’, der wohl nichts Besseres zu tun hatte, sparte weder Zeit noch Mühe, und der ‚Schüler’ hatte glücklicherweise eine derartige Veranlagung, wie man sie wohl schwerlich in einem anderen findet. Nach Ablauf einiger Jahre konnte der Hund schließlich ungefähr 30 Worte aussprechen – wie etwa ‚Tee‘, ‚Kaffee‘, ‚Schokolade‘, ‚Assemblée‘ –, französische Worte also, die – so wie sie sind – ins Deutsche übergegangen sind. Es ist zu bemerken, dass der Hund ungefähr drei Jahre alt war, als seine Schulung begann. Er spricht nur gleichsam als Echo, d. h. nachdem sein Herr ein Wort ausgesprochen hat, und es scheint, als wiederhole er es nur gezwungenermaßen und beinahe gegen seinen Willen, obwohl man ihn überhaupt nicht malträtiert“ (Leibniz 1768, S. 180).
Der von Leibniz mit so großem Interesse beachtete sprechende Hund gab in den darauf folgenden Jahren den Anstoß zu weiteren Versuchen, Hunden das Sprechen beizubringen. Dass dieses ein schwieriges Unterfangen ist und nicht ohne „Beihilfe“ der Menschenhand zustande kommen kann, hat man schon sehr früh erkannt. Denn der Hund kann keinen Lippenlaut hervorbringen, da er die Lippen nicht aufeinander drücken kann, weil die Oberlippe als ziemlich schlaffer Vorhang über die Unterlippe herabhängt. Der Kreismuskel des Mundes fehlt und die Zunge ist viel zu lang und schlaff, um das für die Erzeugung der Zungenlaute notwendige Anpressen der Zunge gegen den Gaumen ausführen zu können.
All die in diesem Zeitraum der ersten beiden Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts gelieferten Berichte über sprechende Hunde weisen auf diese anatomisch begründeten Schwierigkeiten hin, die nur durch unsinnige Tierquälerei überwunden werden konnten. So soll sich im Jahre 1718 in Holland ein Österreicher eingefunden haben, der einen „redenden Hund“ mit sich geführt haben soll. Dieser Hund konnte angeblich alle Buchstaben des Alphabetes nachahmen, ausgenommen die Buchstaben B, M und N. Einem grauen Mops wurde in Augsburg „durch Gurgelrühren“ beigebracht „viele jüdische Worte deutlich auszudrücken“. Noch deutlicher zeigt die Beschreibung eines redenden Hundes in Regensburg, der ebenso wie der Leibniz’sche Hund deutsche und französische Wörter wie Tee, Kaffee, Schokolade und „oui monsieur“ aussprechen konnte, dass es sich um eine ziemlich grobe Manipulation an dem armen Tier handelte. Denn der Meister nahm den Hund auf seinen Schoß und „zerrte ihm bald den Kopf, bald den Hals, bald das Maul auf verschiedene Arten, dass man es ohne Lachen nicht ansehen konnte“ (Flößel 1906, S. 485).
Das gleiche Schicksal hatte der redende Hund in Berlin, der nach einem Bericht in der „Bibliothèque Germanique“ vom Jahre 1720 durch folgende Prozedur zum „Reden“ gebracht wurde: „Sein Herr setzte sich nämlich auf die Erde und nahm den Hund zwischen die Beine, so dass er mit ihm machen konnte, was er wollte. Mit der einen Hand hielt er ihm den oberen, mit der anderen den unteren Kinnbacken. Solange nun das Tier seiner Gewohnheit nach murrte, drückte der Herr auf verschiedene Art bald den einen, bald den anderen Kinnbacken und bisweilen beide zugleich. Hierdurch wurde der Rachen des Hundes auf verschiedene Art verdreht, wodurch verursacht ward, dass er einige Worte aussprechen konnte“ (vgl. Flößel 1906, S. 485). Die Wörter „Tee, Kaffee, Schokolade“ gehörten natürlich ebenfalls zum Repertoire der Sprache dieses Hundes. Noch weniger überzeugend, wenn auch frei von Tierquälerei, waren die Versuche, Hunden beizubringen, ganze Sätze auszusprechen. Ein Hofrat in Helmstedt gelang es zwar, dass zwei seiner Hunde Sätze wie z. B. „Marie, bring Kaffee!“ riefen, doch konnte man diese erst dann verstehen, wenn man sich einmal die Bedeutung dieses artikulierten Gebells hatte erklären lassen. Denn mit der menschlichen Stimme hatte diese Sprache keine Ähnlichkeit.
Schließlich nahmen sich dann auch Bauchredner der sprechenden Hunde an, die in Kostümen gekleidet um ihren Meister gruppiert wurden und sich auf diese Weise an der Täuschung der Zuschauer mitbeteiligten. Anerkennenswert war bei diesen Vorstellungen lediglich die sorgfältige Abrichtung der Hunde, die den leisesten Wink ihres Lehrmeisters verstehen mussten, um die beabsichtigte Täuschung in vollendeter Weise zu ermöglichen.
Das Gegenstück zu den sprechenden Hunden waren die lesenden Hunde, die nicht nur lesen konnten, sondern auch durch Hinlegen von beweglichen Buchstaben Fragen beantworteten. So zeigte man auf der Messe zu Danzig im Jahre 1754 einen kleinen Hund, dem eine Frage vorgelegt wurde, die er dadurch beantwortete, dass er die entsprechenden Buchstaben suchte, die er nacheinander hinlegte, bis die Wörter vollständig waren. Wenn ihn z. B. jemand fragte, wer Rom erbaut hat, so legte er die Buchstaben, die zu dem Wort „Romulus“ erforderlich sind, nacheinander in eine Reihe hin. Auf die Frage, wer der erste römische Kaiser gewesen sei, legte er die Buchstaben zu „Julius Caesar“ zusammen.
Noch größeres Aufsehen erregte ein Pudel namens Munito im Jahre 1818 in Paris, der sowohl Buchstaben als auch Ziffern als Antwort auf Fragen oder Rechenaufgaben zusammenstellte. Dieser Hund ging auch in die Weltliteratur ein. Denn er war das Vorbild von Jules Vernes Hund Dingo, der in einem seiner Romane durch die Zusammenstellung zweier Buchstaben den Mörder seines Herrn entlarvte. Allerdings entlarvte auch Jules Verne, der selbst ein Hundebesitzer war, die Künste Munitos durch folgende Erklärung: „Waren die Buchstaben auf dem Tisch aufgestellt, so lief Munito zwischen dem Alphabet auf und ab. Kam er dabei an denjenigen Buchstaben, den er auswählen musste, um das verlangte Wort zu bilden, so blieb er stehen. Aber das geschah nur, weil er ein für jeden anderen nicht wahrnehmbares Geräusch hörte, das von einem Zahnstocher herrührte, den sein Herr in der Tasche etwas umbog und abspringen ließ. Dieses Geräusch war für Munito das Zeichen, den Buchstaben bei dem er sich befand, zu erfassen und in eine Reihe zu legen“ (Verne 1879, S. 54).
Eine Täuschung ähnlicher Art waren auch die berühmten Rechenkünste des „klugen Hans“, eines Pferdes, das sogar bis zum heutigen Tag noch immer das Trauma der Tierpsychologen darstellt und nicht unbedeutend zur behavioristischen Wende beigetragen hat. Der kanadische Psychologe Stanley Coren, der 1994 eine umfangreiche Studie über die Intelligenz der Hunde verfasst hat, sieht in dieser Geschichte vom rechnenden Pferd eine wissenschaftliche Peinlichkeit, die eine Reihe von zum Teil sogar berühmten Psychologen in den Augen anderer Wissenschaftler in Misskredit gebracht hat. Der Betreuer dieses Pferdes, ein Herr von Osten, ein ehemaliger Lehrer, stellte dem klugen Hans eine Rechenaufgabe aus dem Bereich der vier Grundrechnungsarten, Addition, Substraktion, Multiplikation oder Division, entweder mündlich oder indem er die Aufgabe auf eine Karte schrieb. Anschließend „rechnete“ das Pferd und klopfte entsprechend dem Resultat mit dem Huf auf den Boden.
Rechnen war nicht die einzige Leistung dieses Wunderpferdes. Es konnte die Buchstaben des Alphabets und eine große Anzahl von Farben unterscheiden, geometrische Figuren richtig bezeichnen, Töne richtig angeben, Melodien erkennen und nach dem Zeugnis eines Zeitgenossen (Zell 1922, S. 194) auch die Uhrzeit auf einer Taschenuhr ablesen. Übertroffen wurden diese Leistungen des „klugen Hans“ von einem Pferd des Juweliers Krall aus Elberfeld, das sogar Quadrat- und Kubikwurzeln aus großen Zahlen ziehen konnte, und das alles wurde immer nur durch Klopfen mit dem Huf angezeigt.
Die rechnenden Pferde aus dem 20. Jahrhundert hatten aber auch Vorläufer in vergangenen Zeiten. So wurde bereits 1732 in Saint-Germain ein Pferd vorgeführt, das außer anderen Kunststücken durch Aufschlagen mit dem Huf auf die Erde die Anzahl der Augen auf einer Spielkarte oder die Stunde auf einem Uhrenblatt anzeigen konnte. Aber bereits damals wusste man, dass alle diese Kunststücke durch fast unmerkliche Andeutungen, Zeichen und Winke zustande kamen, die das Pferd von seinem Herrn erhalten hatte.
Abb. 2: Der lesende Hund (aus Verne 1879)
Die Dressur zu solchen Leistungen bedarf zwar großer Geduld, ist aber relativ einfach: Schlägt man einem Pferd auf die Krone eines Vorderschenkels, so scharrt es mit dem Fuß. Der Dresseur tritt vor das Pferd, spricht in fragendem Ton zu ihm und gibt ihm solche Schläge. Soll das Pferd nicht mehr scharren oder klopfen, so tritt der Dresseur zurück. Ist diese Übung öfters wiederholt worden, so genügt dann nur die gleiche Stellung und der fragende Ton, um das Pferd so lange scharren zu lassen, bis der Dresseur zurücktritt, sodass also das Pferd die Frage nach bestimmten Zahlen scheinbar richtig durch Scharren oder Klopfen mit dem Huf beantwortet. Das war auch im Prinzip die Lösung der Frage nach der Intelligenz des „klugen Hans“, der auf die unauffälligen Signale nicht nur eines Betreuers, sondern in dessen Abwesenheit auch auf die gar nicht bewusst erfolgten Reaktionen der Zuseher achtete.
Nachdem ein nur wenig bekannter Psychologe namens Oskar Pfungst durch sorgfältig ausgeführte Experimente die Sache mit dem „klugen Hans„ in diesem Sinne aufgeklärt hatte, schlug die Meinung der Tierpsychologen ins Gegenteil um: Sie waren der Meinung, dass jede Annahme, Tiere könnten höhere geistige Fähigkeiten besitzen, nur zu Demütigung und Schande führen muss (Coren 1995, S. 97).