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Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
„Der Ruf zur Freiheit“
1 Bezeichnungen muslimischer Bewegungen
1.1 Zu „Vätern einer Ideologie“
1.2 Zu Ideologien islamischer Aktivisten
2 Entwicklung von Jihadkonzepten
2.1 Jihadbedeutung in Koran und Hadithen
2.2 Entwicklung von Jihadkonzepten im islamischen Recht
2.2.1 Unterscheidung von großen und kleinen Jihad
2.2.2 Die Legitimierung der Jihadkonzepte
2.2.3 Jihad als religiöse Pflicht
2.2.4 Legitime Ziele des jihad
2.2.5 Einteilung der Welt in Gebiete und Frage der Universalität des Kampfs
2.2.6 Herleitung der Jihadkonzepte aus dem Koran
2.2.7 Wer ist der Feind?
2.2.8 Regeln der Kriegsführung
2.2.9 Dauer bestimmter Jihad-Kämpfe
3 Sayyid Qutb
3.1 Zur Biografie
3.2 Jihadkonzept
3.2.1 Situationsdiagnose
3.2.2 Legitimierende Quelle
3.2.3 Zum Islamverständnis Qutbs
3.2.4 Aktive Weisung des Islam
3.2.5 Der richtige Weg zur islamischen Ordnung
3.2.6 Ausgangspunkt der rechtlichen Herleitung
3.2.7 Notwendigkeit des kämpferischen Jihad
3.2.8 Offensiver oder defensiver Jihad?
3.2.9 Pflicht zum Jihad
3.2.10 Reichweite des jihad
3.2.11 Gegner
3.2.12 Ziele des Jihad
3.2.13 Charakter des Jihad
3.2.14 Islamischer Staat
4 Sayyid Abul A’la Maududi
4.1 Zur Biografie
4.2 Jihadkonzept
4.2.1 Situationsdiagnose
4.2.2 Legitimierende Quellen
4.2.3 Verständnis des wahren Islam und wahrer Muslime
4.2.4 Charakter des Jihad als revolutionäres Mittel
4.2.5 Motive und Ziele des Jihad
4.2.6 Pflicht zum Jihad
4.2.7 Offensiver oder defensiver Jihad?
4.2.8 Reichweite des Jihad
4.2.9 Gegner
4.2.10 Phasen des Jihad?
4.2.11 Islamischer Staat
5 Vergleich und Ausblick
5.1 Neue Begriffe und Konzepte
5.1.1 Ijtihad als Methode zur Herleitung neuer Konzepte
5.1.2 Erklärung des takfir
5.1.3 Begriffe der westlichen Moderne
5.1.4 Sakralisierung des Souveränitätsbegriffs
5.1.5 Eine genuin islamische Moderne
5.2 Eschatologische Motive
5.3 Einfluss auf islamistische Bewegungen des Jahrhunderts
6 Fazit
7 Quellenverzeichnis
Abbildung 1: Jihad- Phasen bei Qutb
Abbildung 2: Maududis Modell zum Ablauf des Jihads
Am 17.12.2010 löste ein Gemüsehändler in Tunesien, der sich aus Protest gegen Polizeiwillkür und die schlechte wirtschaftliche Situation selbst anzündete, den Beginn von Massenunruhen und nachfolgend die tunesische Revolution aus. Die Protestbewegung weitete sich auf mehrere Länder der arabischen Halbinsel und den Maghreb aus und führte in Tunesien zur Absetzung Staatschefs Ben Ali, in Ägypten zum Sturz Husni Mubaraks und in Libyen zum Mord an Präsident Muammar al-Gaddafi, sowie in Syrien zum andauernden revolutionären Kampf gegen das sozialistische Baath-Regime.
Mit den Revolutionen des Arabischen Frühlings wurde der muslimische Kampf um die Befreiung von Fremdherrschaft zu einem Höhepunkt geführt. Die Entwicklung von islamischen Reformbewegungen zur Erneuerung des Islam und im Widerstand gegen Fremdherrschaft formierte sich bereits im 19. Jahrhundert mit antikolonialer Ausrichtung. Die mit dem 17. Jahrhundert einsetzende Kolonialisierung der Staaten des Mittleren und Nahen Ostens führte mit der Unterwerfung zuvor muslimisch beherrschter Staaten zu weitreichenden Krisenerscheinungen. Muslime verbanden mit der Moderne vorrangig die leidvollen Erfahrung der Unterdrückung, Unterlegenheit und den Niedergang der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung ihrer Länder[1]. Im Jahre 1922 standen fast alle arabischen Länder – mit Ausnahme Saudi Arabiens und Teilen Jemens – unter europäischer Vorherrschaft[2]. Mit dem Kolonialismus transportierten europäische Mächte einen Anspruch der Überlegenheit gegenüber dem Islam, der dämonisiert, als rückständig gebrandmarkt wurde und nach westlichen Vorstellungen modernisiert und „zivilisiert“ werden sollte[3]. Das Osmanische Reich wurde seit dem 18. Jahrhundert zunehmend territorial aufgelöst; der aufstrebende Staat Ägypten mit florierender Wirtschaft im 19. Jahrhundert durch britische Kolonialpolitik entmündigt und dem wirtschaftlichen Niedergang geweiht.
Die Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts entstanden in Reaktion auf die Kolonialisierung und Dämonisierung des Islam durch europäische Mächte[4]. Reformer, teils auch als muslimische Modernisten oder Salafiyya-Bewegung bezeichnet - wie Muhammad Abduh und al-Afghani - ersuchten eine islamische Modernität mit Rückbesinnung auf die frühislamische Zeit, Koran und Sunna, die in eigenständiger Rechtsfindung ausgelegt wurden. Abduh plädierte für eine zeitgemäße Erneuerung des Islam, wobei noch der Glaube an die Harmonisierbarkeit der islamischen Tradition mit europäischen Konzepten vorherrschte. Die Konzepte der Modernisten des 19. Jahrhunderts orientierten sich zwar an der Frühzeit des Islam, suchten aber den Beweis der Vereinbarkeit mit der Moderne und vertraten einen defensiven Widerstand (jihad) gegen den Kolonialismus und den Überlegenheitsanspruch des Westens.
Ein entscheidender Einschnitt zur Entwicklung eines antiwestlichen, politischen verstandenen Islams ist nach dem Zerfall des osmanischen Reichs mit der Abschaffung des Kalifats 1924 und dem Beginn der arabischen Nationalstaaten nach dem ersten Weltkrieg auszumachen. 1928 legte Hasan Banna mit der Gründung der Muslimbruderschaft den Grundstein für den Aufstieg politisch-islamischer Bewegungen und dem Islamismus als „massenwirksamer Ideologie“[5]. Besonders die Zeit nach 1940 stand im Zeichen nationalistischer und sozialistisch-säkularer Ideologien der arabischen Staaten (besonders in Ägypten unter Nasser und in Syrien unter dem Baath-Regime). Die „islamistischen Bewegungen“ formten sich zeitgleich und in Opposition zu der fortgesetzten Unterdrückung der säkularen Regimes bis zur sogenannten islamischen Wende in den 1970er Jahren, die besonders in der Islamischen Revolution im Iran 1979 realisiert wurde[6]. Traughber sieht die ideologischen Wurzeln der islamischen Bewegungen im 19.Jahrhundert und die organisatorische Wurzel des „Islamismus“ in der 1928 gegründeten Muslimbruderschaft[7].
Diese Arbeit soll die Legitimierung des Kampfes bei zwei muslimischen Akteuren des 20. Jahrhunderts vorstellen: Sayyid Qutb und Abu Maududi. Beide Autoren haben sowohl die Situation der Kolonialherrschaft ihrer Heimatländer Ägyptens bzw. Indiens erlebt, als auch die Zeit der Dekolonialisierung unter den säkularen, despotisch regierenden Regimes. Beide Akteure stehen paradigmatisch für das Hervortreten des „Politischen Islam“ - der Sichtbarkeit des Islams als politischen Faktors[8] – im 20. Jahrhundert. Der politische Trend des Islam wurde bei westlichen Beobachtern als Bedrohung aufgenommen und rückte insbesondere nach der Islamischen Revolution im Iran 1979 in deren Blickfeld[9]. In der westlichen Wissenschaft wurden die islamischen Bewegungen erst seit dem Aufkommen terroristischer Anschläge, besonders seit dem 11.9.2001, häufig thematisiert[10]. In der islamwissenschaftlichen und politikwissenschaftlichen Literatur sowie in westlichen Medien wurde der Islam teils pauschal mit Terrorismus und Fundamentalismus gleichgesetzt und als wesenhaft gewalttätige Religion interpretiert[11]. Die islamischen Bewegungen wurden als einheitlicher Block verurteilt und das Spektrum der Bewegungen verkannt[12]. Islambilder mit dem Klischee des monolithischen Islams, ein undifferenziertes Bild über Muslime und islamische Bewegungen hielten auch in wissenschaftlichen Arbeiten Einzug[13]. Islamischer Fundamentalismus wurde als Gegenseite zur westlichen Kultur dargestellt, als Gegensatz zur freiheitlichen, westlich-toleranten Gesellschaft. „Der Islam“ wurde mit Anwachsen der islamischen Bewegungen verantwortlich für die Verbreitung von Gewalt gemacht[14], daher forderten einige Autoren eine Aufklärung „des Islam“. Feindbilder des Islams und des Kampfs der Kulturen wurden entworfen[15].
Insofern ist in der jüngeren Forschungsgeschichte eine differenzierte Analyse der Vielfältigkeit muslimischer Positionen gefordert worden[16]. Die Wirklichkeit sollte nicht vereinheitlichend dargestellt werden, islamische Akteure anhand von Fallstudien bzw. Bestandaufnahmen untersucht werden[17]. Diese Arbeit knüpft daran an, mit Hilfe authentischer Zeugnisse der beiden muslimischen Akteure Positionen zum politisch ausgerichteten Kampf zu untersuchen. Es soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass die Positionen Qutbs und Maududis eine einheitliche islamische Bewegung repräsentieren würden, die grundsätzlich zu Gewalt neigt. Qutbs und Maududis Positionen sind Positionen im Spektrum der islamischen Bewegungen, die sich im weitesten Sinne dem Kampf um Freiheit verschrieben haben. Die Analyse der Legitimierung des Kampfes soll zwei mögliche Interpretationen zur islamischen Legitimierung des Kampfes anhand deren Schriften darstellen.
Im ersten Kapitel wird die Begriffsgrundlage der Arbeit gelegt. Hierbei spielen die angesprochenen undifferenzierten und wertgeladenen Islamverständnisse eine Rolle, die sich in der Terminologie der wissenschaftlichen Literatur widerspiegeln. Insofern dient dieser erste Abschnitt dem Versuch, einen Begriff zur Bezeichnung der muslimischen Akteure herauszuarbeiten, der das Spektrum und die Sicht auf islamische Akteure nicht eurozentrisch vordefiniert oder unzutreffend einengen soll. Des Weiteren werden einige allgemeine Merkmale islamischer Bewegungen des 20. Jahrhunderts angesprochen, die in der Forschung herauskristallisiert wurden. Im Laufe der Arbeit wird sich zeigen, inwiefern diese Kategorien bei Qutb und Maududi auch spezifische Gestalt annehmen können.
Ein Blick auf die Jihadkonzepte der klassischen Rechtslehre ist im zweiten Kapitel notwendig, um eine angemessene Einordnung von Maududis und Qutbs Lehre vornehmen zu können. Die Lehren der klassischen Jurisprudenz, entstanden mit den islamischen Rechtsschulen, galt für Jahrhunderte als verbindlich für Muslime und wird bis heute von traditionell ausgerichteten Muslime befolgt. Der Stellenwert der Interpretationen Maududis und Qutbs, ihre Originalität und somit auch der Einfluss der Gegenwart können im Vergleich zu den klassischen Rechtsvorstellungen deutlicher werden.
Der Hauptteil der Arbeit ist den Jihadkonzepten Maududis und Qutbs gewidmet. Die bisherigen Forschungsarbeiten konzentrieren sich zumeist auf die Darstellungen der Staatskonzepte oder bestimmte Begriffe der beiden Autoren. Eine differenzierte Analyse der Jihadkonzepte wurde in der Forschung bisher nicht vorgenommen – obwohl zumeist ein entscheidender Einfluss Qutbs und Maududis auf jihadistische Bewegungen proklamiert wird. Die Analyse der Jihadkonzepte nimmt ihren Ausgang von Merkmalen der Islamverständnisse Qutbs und Maududis, aus denen heraus sie die Rechtmäßigkeit des Kampfes als jihad entfalten. Der weitere Weg der Analyse führt von den angewendeten, legitim erachteten Rechtsfindungsmethoden, den Quellen der Konzepte, bis hin zu den legitimen Gründen, Zielen und dem rechtmäßigen Verlauf des Kampfes. Die jeweiligen Konzepte des islamischen Staats als Ziel des Kampfes können dabei nur skizziert werden.
Im Kapitel zum Vergleich und Ausblick soll die bisherige Mikroebene veranschaulicht werden und zu einem erweiterten Verständnis verhelfen. Die wichtigsten Aspekte der Jihadkonzepte Maududis und Qutbs werden gegenübergestellt, sowie Brüche mit der Tradition angedeutet. Im weiteren Verlauf werden die neuinterpretierten Begriffe und die Beziehung der Autoren zur Moderne versucht herauszuheben. Im Fazit kann gezeigt werden, inwieweit nicht nur das Islam- sondern auch das Jihadverständnis differenziert betrachtet werden können, wie wandelbar und vielfältig der legitimierte Kampf sein kann, obwohl er jeweils von den islamischen Quellen Koran und Sunna abgeleitet wird.
Im Sinne des Umfangs der Arbeit kann kein Vergleich der Ansichten Qutbs und Maududis mit den Strömungen der Salafiyya und Wahhabiyya vorgenommen werden. Auch frühere Gelehrte oder Bewegungen mit teils ähnlichen Lehren wie Ibn Taimiyya, Hanbal oder die Charidschiten können nicht oder nur am Rande erwähnt werden, insofern bei diesen auch kein sicherer Einfluss auf Qutb und Maududi angenommen werden kann. Da es sich um eine Studie mit Fallbeispielen handelt, können die vielfältigen Vertreter des muslimischen Spektrums zum Kampf nicht in den Blick genommen werden. So müssen beispielsweise auch im Kapitel zur klassischen Lehre schiitische Konzepte unberücksichtigt bleiben – wobei sich bei den Sonderentwicklungen dieser Konzepte auch in der Forschung kein Einfluss auf die hier behandelten Autoren nachgewiesen wurde.