Inhaltsverzeichnis
Der nächste Tag, der wieder strahlend schön heraufzog, brachte mit der Morgenpost für Theo zwei Briefe. Reudnitz, der noch mit ihr beim Frühstückstisch saß, während Sabine hinaufgegangen war, ihren Hut zu holen, öffnete die Posttasche und begann die eingegangenen Briefschaften zu sortieren, welchem Geschäft Theo ohne besonderes Interesse zusah, da sie keine Briefe erwartete. Die für Fräulein von Ganting bestimmten wurden jedoch so auf den Tisch gelegt, daß sie die Adresse lesen konnte. Nur bei einem der Briefe sprang ihr ein lapidarer Firmenaufdruck in die Augen, welcher den Namen ihres eigenen Berliner Schneiders trug. Daß sie Cordula die Adresse genannt hatte, als es sich um Sabinens Garderobe handelte, war Theo entfallen; sie nahm von dem Firmenaufdruck des Briefes auch nur so weit Notiz, als ihr der bekannte Name auffiel.
»So. Fräulein Zöllner, hier sind auch zwei Briefe für Sie«, sagte der Kommerzienrat. »einer mit dem Poststempel Berlin, der andere aus – ja, aus Steinau.«
»Aus Steinau?« wiederholte Theo verwundert, denn da sie auf dem Umschlag des Berliner Briefes Leo Zimburgs Handschrift erkannte. die ihr von dem Zettel unter dem Torpfosten sehr vertraut geworden war, so konnte der aus Steinau nicht auch noch von ihm sein, noch weniger aber von Bergfried, dessen Handschrift ihr ja auch bekannt war. »Ja. du lieber Himmel, wer schreibt mir denn aus Steinau?«
»Sie brauchen den Brief ja nur aufzumachen und nachzusehen«, schlug Reudnitz vor, der selbst ein wenig neugierig war. Lachend folgte Theo dem guten und einzig richtigen Rat, schnitt den Umschlag auf, las und – lehnte sich dann ganz entgeistert zurück; denn der Brief enthielt in aller Form einen Heiratsantrag von dem braven Mühling, der ihr an seiner Seite goldene Berge verhieß und ihr – ihr Jawort als selbstverständlich angenommen – gleichzeitig bis zur Hochzeit eine temporäre Heimat bei seiner alten Freundin, der Oberhofmeisterin in Weißenfels, vorschlug, da die künftige Gutsherrin von Steinau sich unmöglich länger einer solchen Behandlung aussetzen dürfe wie die, deren Zeuge er gestern gewesen war. –
»Ach du lieber Augustin!« war das einzige. was Theo nach genossener Lektüre dieses Briefes hervorbringen konnte. Dann reichte sie dem Kommerzienrat das Schreiben hin.
»Diskretion ist Ehrensache, nicht wahr?« sagte sie dazu.
»Hm!« machte Reudnitz und gab den Brief zurück, nachdem er ihn gelesen hatte. »Ihre Antwort wird, wenn der Schein nicht trügt, dem Schreiber eine trübe Stunde machen. Ich beneide Sie nicht um die Antwort – falls Sie nicht Übung darin haben. Ich kann nur sagen, daß es mich tief beschämt, Sie in meinem Hause einer Behandlung ausgesetzt zu wissen, die einen Fremden zu solchen Maßregeln veranlassen. Wenn Sie Ihre bewundernswerte Geduld aber noch ein wenig weiter üben wollten, wäre ich Ihnen dankbar. Ich habe nämlich vor, die Bombe heute zum Platzen zu bringen.«
»Allheil!« sagte Theo trocken, aber inbrünstig in ihrer vollständigen Ahnungslosigkeit über die Rolle, die sie selbst bei dieser Katastrophe zu spielen ausersehen war. Der Vormittag verlief indes noch in völliger Ruhe, und auch das Mittagessen nahm einen ungetrübten Verlauf, da Cordula nicht an ihrem Platz erschien. Statt ihrer fand der Kommerzienrat neben seinem Teiler ein Billett, in welchem seine Schwägerin ihm mitzuteilen für gut fand daß sie es vorziehe ein einsames Mahl auf ihrem Zimmer einzunehmen: sie könne es nicht mehr über sich bringen, mit einer so anrüchigen Person wie Fräulein Zöllner am selben Tisch zu sitzen. Nähere Angaben behielt sich die Schreiberin vor, bis Sabine nach Schloß Weißenfels abgefahren sein würde, zu welchem Zeitpunkt ihr Schwager sie in seinem Zimmer erwarten dürfe.
Wutentbrannt zerknüllte Reudnitz dieses veilchenduftende Billett und steckte es in die Tasche. Die Eile mit welcher er dann seine Suppe aß, verriet deutlich seine innere Erregung; sie wich jedoch bald der Erkenntnis, daß es sich wahrlich nicht lohne, über solchen ›Quatsch‹ in Aufregung zu geraten, worauf er dann sogar recht aufgeräumt wurde.
Als dann am Nachmittag Sabine, glühend vor Aufregung, allein zu dem Kinderfest im Schloß abgefahren war, ging Theo in ihr Zimmer und benutzte ihre Freizeit zunächst dazu, Mühling zu schreiben. Daß diese Sorte von Briefen ihr nichts Ungewohntes war, darin hatte Reudnitz unbewußt ganz recht gehabt; indes erforderte dieses Schreiben denn doch einen wärmeren Ton und feineres Zuckerzeug für den schon vergoldeten Korb; denn der brave Gutsherr von Steinau hatte ihr Herz und Hand angetragen, trotzdem er sie für ein armes Mädchen unbekannter Herkunft hielt. Das erkannte Theo mit aufrichtig gerührtem Danke an, und darum schrieb sie auch sehr nett und herzlich, indem sie durchblicken ließ, daß ihr Herz nicht frei sei; da es jedoch im Bereich seines Freundeskreises verbliebe, so hoffe sie, daß auch sie in vielleicht nicht zu ferner Zeit Aufnahme darin finden würde. So viel erlaubte sie sich anzudeuten – mochte der gute Mühling daraus seine Schlüsse ziehen.
Den von Zimburg erhaltenen Brief mußte Theo unbeantwortet lassen, da es unsicher schien, ob er seine Berliner Adresse noch erreichen würde; Wichtiges hatte die Epistel nicht enthalten, soweit äußere Dinge in Betracht kamen. Sie war ›nur‹ der Erguß eines Herzens, das Sehnsucht empfand, sich dem Gegenstande seiner Liebe auszuschütten; das war genug, ihr diesen Brief außerordentlich lieb und wert zu machen.
Nachdem der Brief an Mühling geschrieben war, gedachte Theo die Stunden der Freiheit dazu zu benutzen, um dem Rätsel der Karten ernstlich zu Leibe zu gehen. Sie holte das Piquetspiel sowie die Abschrift des Gedichtes hervor, legte die Karten in der Reihen-, beziehungsweise Zeichenfolge aus, wie sie es schon einmal getan hatte, und las dann das Gedicht nochmals aufmerksam durch, indem sie den unterstrichenen Worten eine größere Aufmerksamkeit widmete. Das zweite dieser Wörter war ›Bube‹ und die zweite Karte in jeder dieser Reihen war, wie sie sie in ihrem Traume gesehen, auch ein Bube – das heißt, entsinnen konnte sie sich nur noch, daß der Treffbube die zweite Karte der obersten Reihe war. Sie nahm also den König fort, und legte den Buben dafür hin.
»Es war einmal (Tatsache ist's, darum geht Acht!)« lautete die erste Zeile, in welcher das Wort »Acht« unterstrichen war. Aber natürlich war die Karten-Acht damit gemeint! Mit diesem Licht, das Theo plötzlich aufging, kam mit einem Mal Sinn in die alberne Geschichte, die ja selbstverständlich nur ersonnen war, um die Worte zu maskieren, welche die Reihenfolge angeben sollten, in der die Karten zu legen waren. Wie hatte sie nur so blind sein können, das nicht gleich zu beachten! Daß es die Herren Sachverständigen auch nicht getan hatten, war eigentlich ganz natürlich, da ihnen zu dem Gedicht ja die Karten fehlten, wennschon die doppelt unterstrichenen Worte: Trefflichen, Pique, Karo und Herz-As sie auf den Gedanken hätten bringen müssen, daß der Sache ein Spiel Karten zugrunde lag. Wozu in aller Welt waren diese Leute denn »Experten«, wenn sie darauf nicht kommen konnten?! Ob wohl Professor Findelkind, falls nur das Gedicht ihm vorgelegen hätte, und ohne von den Karten etwas zu wissen, ebenso begriffsstutzig gewesen wäre? Theo war geneigt, diese Frage rundweg zu verneinen. Nun sie die Entdeckung mit der unterstrichenen Acht gemacht hatte, war es ein Kinderspiel, die Reihen nach den einfach unterstrichenen Karten zu ordnen: Acht, Bube, Dame, Sieben, Neun, Zehn, König, As; wobei richtig das Coeur-As mit dem überzähligen Buchstaben »T« als letzte Karte der letzten Reihe in die unterste rechte Ecke zu liegen kam.
Soweit wäre die Sache anscheinend in Ordnung gewesen; aber wie nun die Buchstaben zu Worten zusammenfügen – das war die Frage! Die Erinnerung an das »Wie« im Traume war nun doch allgemach stark verblaßt, und Professor Findelkind hatte ja auch erklärt, daß man, ohne die verabredete Art des Lesens zu kennen, hundert Jahre über den Karten sitzen könnte, ohne herauszubekommen, welche Mitteilung sie enthielten. Mithin war die gemachte Entdeckung über die richtige Reihenfolge der Zeichen so gut wie wertlos; die Karten blieben stumm für sie, die sich soweit für sehr hell und weise gehalten hatte und da die Lippen, die das Geheimnis hätten verraten können, längst verstummt waren, so ging's Theo wie dem Mann im Märchen, der durch einen Zauber ein massives Tor aufgesprengt hatte und sich danach vor einem zweiten verschlossenen Tore befand, das eine schwarze vermummte Gestalt bewachte, die niemand zu überwältigen vermochte, ohne die Formel zu kennen.
Während Theo noch über den Karten gebeugt saß und sich abmühte, in ihrer Erinnerung zu suchen, in welcher Weise der Traummann im gelben Schlafrock die Karten gelesen hatte, wurde sie von einem Diener unterbrochen, der ihr meldete, »daß der Herr Kommerzienrat das Fräulein bitten lasse, sich zu ihm herüberzubemühen.«
»Sollte die Bombe schon geplatzt sein?« dachte Theo nicht ohne einen Anflug von Schadenfreude, so ja bekanntlich die reinste Freude sein soll, indem sie die Karten zusammenraffte und mit dem Gedicht in ein Fach des Sekretärs verschloß. Gleich darauf klopfte sie bei dem Kommerzienrat an, der ihr beim Eintritt sofort entgegenkam und ihr einen Sessel so an seinen Schreibtisch heranschob, daß sie ihm im vollen Licht daran gegenübersaß.
»Ich habe Sie zu mir herüberbitten lassen, weil wir hier ganz ungestört sprechen können«, sagte er, selbst Platz nehmend, und Theo, die sehr feine Ohren hatte, meinte aus seinem Ton etwas herauszuhören, was ihr gezwungen vorkam; auch war in seinem Wesen etwas, das gegen seine sonstige gemütliche, ja herzliche Weise ihr gegenüber abstach.
»Das klingt ja ganz feierlich!« meinte sie leicht befremdet, aber doch ganz ungezwungen und harmlos.
»Na ja – eigentlich ist es mehr eine fatale, denn eine feierliche Angelegenheit, die ich gezwungen bin mit Ihnen zu besprechen«, erwiderte er nicht ohne eine gewisse Verlegenheit. »Aber ich will mich nicht mit langen Einleitungen aufhalten, sondern gleich zur Sache kommen. Wie ich Ihnen schon gestern sagte, liegt Methode in dem Kampfe meiner Schwägerin. Wobei ich Ihnen, liebes Fräulein, gern das Zeugnis ausstellen möchte, daß Sie dabei stets die denkbar größte Mäßigung bewahrt haben. Dafür werde ich Ihnen immer dankbar sein; denn aus meinem Hause ein wildes Schlachtfeld gemacht zu sehen, dafür hätte ich mich ohne Verzug bedankt. Meine Schwägerin hat sich nun auf die Maulwurfsarbeit verlegt, um Sie durch deren Resultat aus dem Hause zu schaffen. Wir wollen nun einmal prüfen, was sie damit erreicht hat. Sie war vorhin bei mir und hat mir an der Hand emsig von ihr gesammelten Beweismaterials schwere Anklagen gegen Sie vorgelegt, die, wie ich dringend hoffe, – Seifenblasen sind. Meine Schwägerin forderte eine Art von Gerichtssitzung in ihrer Gegenwart, was ich aber glatt abgelehnt habe; denn ich glaube, Sie und ich werden uns unter vier Augen viel besser verständigen können, ohne daß gleich ein großer Trara daraus gemacht wird. Das ist also der Grund, weshalb ich Sie zu mir bitten ließ.«
Theo hatte aufmerksam zugehört; der alte Herr hatte sie während seiner Rede ebenso aufmerksam betrachtet und zu seiner Befriedigung festgestellt, daß sie weder die Farbe wechselte, noch sonst Zeichen von Unruhe oder Unbehagen gab.
»Ja, ich glaube auch, daß die Erörterung über die ›schweren Anklagen‹ zwischen Ihnen und mir ganz einfach sein wird«, sagte sie lächelnd. »Ich hin nämlich auch nur ein Mensch, und wie ich mich kenne, hätte ich vor Fräulein von Ganting bestimmt jede Auskunft verweigert. Man hat vor gewissen Leuten oft solch aufsässige Gefühle, nicht wahr? Nun aber zu den ›schweren Anklagen‹ – ich bin mordsneugierig auf den – mit Ihrer gütigen Erlaubnis – auf den Kohl.«
»Hoffen wir, daß es nichts weiter ist«, erwiderte Reudnitz etwas unsicher. »Ich für meine Person muß vorausschicken, daß mir einige Punkte der Beweisführung denn doch etwas – hm – bedenklich vorkommen. Nun, das wird sich ja alles historisch entwickeln. Also meine Schwägerin hat Sie mir als nichts mehr und nichts weniger denn eine geheime Agentin denunziert, die unter der Maske einer Gesellschafterin in mein Haus Eintritt gesucht und gefunden hat, um sich in den Besitz gewisser Papiere zu setzen, welche Bestellungen einer auswärtigen Großmacht bei meinen Werken betreffen. Ist diese Beschuldigung – Kohl?«
»Grünkohl ist's!« rief Theo laut lachend. »Wie ist denn Fräulein von Ganting auf diese glänzende Idee gekommen?«
Reudnitz hätte sich von dem ungekünstelten frischen Lachen beinahe anstecken lassen, aber ein Blick auf die vor ihm liegenden Papiere erinnerte ihn noch rechtzeitig daran, daß er als Untersuchungsrichter den Ernst zu bewahren verpflichtet war.
»Die Wahrheit zu gestehen: Das habe ich meine Schwägerin auch gefragt«, sagte er. »Sie hat mir geantwortet, daß ihr Anzug, der gar nicht im Einklang mit Ihrer abhängigen Stellung stünde, zuerst ihren Verdacht erregt habe. Mir wäre dabei nichts Besonderes aufgefallen, aber Frauen haben für solche Dinge ja einen schärferen Blick. Meine Schwägerin behauptet Ihre so einfach scheinenden Kleider seien in Wahrheit von einem erstklassigen, sehr teuern Schneider gearbeitet und sämtlich mit der besten Seide gefüttert. Wie sie das wissen will, ist mir zwar schleierhaft –«
»Mir gar nicht«, fiel Theo trocken ein. »Adelheid hat Fräulein von Ganting nämlich meine Kleider zur Begutachtung in ihr Zimmer getragen, wobei ich sie gleich am ersten Morgen ertappt habe. Übrigens hat sie ganz recht: Meine Kleider sind erstklassige Schneiderarbeit, aber pünktlich bezahlt und folglich meine eigene Angelegenheit.«
»Sehr richtig«, nickte Reudnitz, der bei Theos Feststellung mit rotem Kopf zurückgefahren war; denn anständigen Menschen geht nun einmal solch ein Spionagesystem gegen den Strich. »Weiter«, fuhr er fort, »sind Sie am zweiten Morgen Ihres Hierseins gesehen worden, wie Sie sich jenseits der Grenze von Amönenhof mit dem Baron Bergfried ein Stelldichein gegeben haben –«
»Falsch!« unterbrach ihn Theo. »Ich habe den Herrn von Bergfried, dessen Anwesenheit in Steinau mir unbekannt war, zufällig auf einem Morgenspaziergang getroffen – eine Begegnung, die mir recht ungelegen kam. Wenn ihr Gewährsmann, der wohl eine Gewährsfrau ist, dabei ebenso ›zufällig‹ unsere Unterhaltung belauscht haben sollte, dann muß er die Wahrheit dieser Angabe zugeben, falls er nicht absichtlich lügen will!«
»Die Person will nur die letzten Worte gehört haben, die Sie mit Herrn von Bergfried wechselten, ehe Sie sich trennten, und schwört, daß diese von einem Findelkind und einem Schlüssel handelten.«
Theo mußte trotz ihres aufsteigenden Ärgers nun doch wieder lächeln. Sie sah sich um, stand dann auf, holte einen Band des Konversationslexikons von dem Bücherregal und legte ihn vor dem Kommerzienrat hin. »Es sollte mich wundern, wenn Sie dieses Findelkind hierin nicht finden sollten«, sagte sie, ruhig wieder Platz nehmend. Reudnitz sah sie verdutzt an, schlug den Band auf, suchte darin, las etwas und sah Theo wieder an.
»Hier ist der bekannte Archäologe und Spezialist für Kryptogramme unter diesem Namen aufgeführt«, sagte er langsam. »Sehr richtig; von ihm sprach ich mit Herrn von Bergfried. Professor Findelkind ist ein gemeinsamer Bekannter, und Herr von Bergfried erklärte mir seine Tätigkeit im Auswärtigen Amt, wo es seine Aufgabe ist, Schlüssel für Chiffreschriften zu finden. Sonst noch etwas?«
»O ja, noch viel!« rief Reudnitz, und fuhr sich in die Haare. »Herr von Bergfried war Ihnen demnach bekannt, ehe Sie in mein Haus kamen?« »Gewiß, er verkehrte viel im Hause meiner Pate, bei der ich nach dem Tode meines Vaters war. Da er, soviel ich weiß, noch in Steinau ist, so wird er Ihnen das gern bestätigen«, erwiderte Theo gelassen. »Es ist wirklich schade, daß Ihre Gewährsperson nur die paar Worte unserer Unterhaltung aufgeschnappt hat, die sie sich nun nach ihrem Gusto zurechtlegte; sie wäre dann gewiß nicht auf den Gedanken gekommen, Schlüsse zu ziehen, die wirklich etwas kindisch sind. «
»Hm«, machte der Kommerzienrat unsicher. »Ich weiß doch nicht, ob dem wirklich so ist. Bergfried ließ sich Ihnen von mir vorstellen wie ein Fremder –« »Darum hatte ich ihn natürlich gebeten. Sie wissen ja, daß ich noch einen anderen Namen habe, aber Sie haben sich geweigert, ihn zu hören. Vielleicht sind Sie jetzt eher dazu geneigt.«
»Lassen Sie uns erst mal das Beweismaterial meiner Schwägerin durcharbeiten«, rief Reudnitz schnell. »Sie hat mir da eine Photographie von Ihnen gegeben, auf welcher ihr Anzug ihr wiederum höchst unpassend für Ihre Stellung hier im Hause erscheinen wollte –«
Theo warf einen neugierigen Blick auf die unaufgezogene Amateurphotographie, welche der Kommerzienrat ihr hinhielt, und lächelte unwillkürlich.
»Ja, lieber Himmel, ich hatte auch wirklich gar nicht vor, dieses Kleid im Amönenhof anzulegen!« sagte sie heiter. »Das Bild wurde in dem Park des Schlosses von seinem Besitzer aufgenommen; für diesen Aufenthalt ist die Toilette eigens angefertigt worden. Da ich aber nur ein Exemplar dieser Photographie besitze, so muß sie auf dem Zwangswege – sagen wir – entlehnt worden sein. Übrigens hatte ich sie über ein anderes Bild von mir, das verdorben war, aufgeklebt. Es wäre doch ganz interessant zu wissen, was aus dieser Photographie geworden ist.«
»Hier ist sie«, versetzte Reudnitz. »So, so! Meine liebe Schwägerin weigerte sich, mir zu sagen, woher sie diese Bilder hat. Das ist ganz begreiflich, wenn sie nun schon einmal – gestohlen waren. Nun, diese überklebte Photographie, die übrigens ausgezeichnet ist, hat es meiner Schwägerin besonders angetan. Sie hat sich's nicht versagen können, bei dem Schneider, dessen Adresse Sie ihr, glaube ich, gegeben haben, anzufragen, ob und für wen ein Kleid, wie das auf dem Bilde hier, bei ihm angefertigt wurde, von dem sie ihm eine genaue Beschreibung übersandte. Die Antwort ist heute eingetroffen. Hier ist sie. Der Mann schreibt, daß eine Robe, wie die beschriebene für ein Fräulein Zellner, Statistin am X'schen Theater in Berlin, angefertigt wurde; der erwähnte Maiglöckchenschmuck sei von der Bestellerin jedenfalls selbst angebracht worden, da in seinen Büchern nichts davon aufgezeichnet sei. Die Genannte schiene zwar über reiche Mittel zu verfügen, hätte diese Robe bei ihrer Abreise von Berlin aber zu bezahlen vergessen. Sie sei im übrigen keine hervorragende Schauspielerin, sondern eben nur eine sehr schöne Person und eine – hm – eine leichte Fliege, die –«
Hier wurde der Kommerzienrat durch einen Lachanfall Theos unterbrochen, den zu unterdrücken sie sich nicht die geringste Mühe gab. Sie hatte mit steigender Erheiterung zugehört, dann begann es um ihren Mund zu zucken, und bei der »leichten Fliege« konnte sie ihrer Heiterkeit nicht mehr Herr werden, sondern platzte unaufhaltsam damit heraus.
»Nein, das ist ja zum Schießen!« stöhnte sie, und trocknete sich die Augen. »Das setzt dem ganzen wirklich die Krone auf! Sagen Sie Fräulein von Ganting mit meinem respektvollsten Knicks, daß sie eine mordskluge Dame sein mag, aber für die Rolle des Detektivs nicht die allerelementarsten Begriffe besitzt. Nicht eine Beschreibung des Kleides mußte sie dem Schneider einschicken, sondern die Photographie! Er hat das Kleid nämlich wirklich gemacht; ich hab' es bei der letzten Cour in Berlin getragen und vorher richtig bezahlt! Besser wär's aber noch gewesen, dem Photographen, dessen Name ja groß und breit hinter dem Bilde aufgedruckt ist, die Photographie zu schicken! Dann hätte Fräulein von Ganting meinen wahren Namen eher erfahren als Sie selbst! Nein, Herr Kommerzienrat, die Talente Ihrer Schwägerin sind in puncto der Maulwurfsarbeit höchst mangelhaft entwickelt, ihre Methoden von einer geradezu rührenden Kindlichkeit! Herrschaft! So habe ich lange schon nicht mehr gelacht. Sind Sie jetzt fertig?«
»Nein!« donnerte Reudnitz mit ganz überflüssigem Stimmaufwand, um nicht mitlachen zu müssen. »Ich habe noch zwei Posten auf Ihrem Konto. Einer ist so haarsträubend, daß ich ihn nur als Kuriosum erwähnen möchte. Meine Schwägerin behauptet nämlich, Sie hätten ein gewisses goldenes oder vergoldetes Maschentäschchen mit einer fürstlichen Chiffre auf dem edelsteinbesetzten Bügel –«
»Freilich hab' ich es; Fräulein von Ganting geruhte ja, es sehr genau zu betrachten.«
»Eben ja. Bitte mich nicht zu unterbrechen. Wo war ich? Ja, meine Schwägerin behauptet, besagtes Täschchen im Besitz der Herzogin, als diese hier war, gesehen zu haben. Es blieb im Saal liegen, als die Herrschaften in den Garten zu gehen geruhten, und nun besteht meine Schwägerin darauf, daß Sie – daß Sie –«
»Daß ich das Täschchen unterdessen gemopst habe, nicht?« vollendete Theo lachend. »Natürlich, und danach habe ich, dumm wie ich nun einmal bin, gleich damit geprunkt. Hätte Fräulein von Ganting nicht nur nach der äußeren Ähnlichkeit geurteilt, so hätte sie gefunden, daß das Täschchen der Herzogin ein ›T‹ als Chiffre trägt, während auf dem meinigen sich ein ›E‹ befindet. Es ist nämlich ein sogenanntes Austauschgeschenk. Übrigens hat Herr von Willig der Herzogin das Täschchen aus dem Saal geholt. Ich bin ihm dabei begegnet, was er Ihnen gewiß bestätigen wird, falls Sie noch nicht überzeugt sein sollten. Doch das ist eigentlich unwesentlich, darum weiter im Text. Zweiter und letzter Posten, bitte!«
»Na, 's ist Zeit, daß es der letzte ist«, murrte Reudnitz. »Also nur zu: Sie sind nochmals an einem schönen Morgen, – genau gesagt an dem, der auf den Abend in Steinau folgte, drüben am Grenzzaun am See gesehen worden, wie Sie sich – gerechter Bimbam, wie bringe ich das noch heraus, ohne zu ersticken – na, meinetwegen: wie Sie sich von Graf Zimburg, der zuvor über den Zaun gesprungen ist, was ich nebenbei für eine sehr respektable Turnerleistung halte – küssen ließen!«
»Das hat – Sabine gesehen?« fragte Theo rasch, mit dunkler Glut übergossen.
»Sabine?« wiederholte Reudnitz erstaunt »Nein, Sabine hätte sich, falls sie's gesehen hätte, wohl sofort entfernt, bestimmt aber nicht darüber gesprochen! Die Person, die Sie beobachtete und scheint's prinzipiell zu spät kommt, war dieselbe, welche Sie mit Herrn von Bergfried zusammen sah.«
»Ah so!« machte Theo befriedigt. »Ihr Vorname ist wohl Adelheid, oder gar – nun, es tut nichts zur Sache. Mich freut's nur, daß es nicht Sabinchen war, und ich bedaure, daß ich sie auch nur vorübergehend in Verdacht haben konnte. Ja, Herr Kommerzienrat, ich leugne den Grafen Zimburg ebensowenig ab wie den Herrn von Bergfried. Wenn es unangenehm aufgefallen ist, daß Graf Zimburg mich – mich küßte, so kann ich nur sagen, daß er ganz in seinem Rechte dazu war; denn er ist mein Verlobter. Ich glaube wenigstens, daß Verlobte sich zu küssen pflegen, will aber Sabinchen deshalb fragen, die darüber ja auch Bescheid wissen wird. So, und falls Sie nun wirklich mit Ihrem Beweismaterial fertig sind, will ich reden und mich Ihnen gebührend vorstellen. Dieses ganze hochnotpeinliche Verhör wäre überflüssig gewesen, wenn Sie mich in der ersten Stunde unserer Bekanntschaft hätten sagen lassen, was ich allerdings zu verheimlichen vorhatte, bis das Gewissen mich zwickte und ich Farbe bekennen wollte. Ich verstehe eigentlich immer noch nicht, weshalb Sie mich nicht hören wollten.«
»Ja nun, man hat halt mal seine schwachen Seiten«, bekannte Reudnitz mit einem Rest von Mißtrauen, dem sich ein gewisses Unbehagen beimischte. »Sehen Sie, ich habe auch ein paar durch die Schule des Lebens geschärfte Augen, die ganz genau sahen, was meiner Schwägerin im schiefen Winkel auffiel, nämlich daß Sie unmöglich das sein konnten, als was Sie in mein Haus kamen. Nun, das haben Sie ja damit gleich erklärt, als Sie zugunsten Ihrer Freundin auf deren Gehalt verzichteten. Daß ich Ihren wahren Namen nicht hören wollte, war eine ganz niederträchtige Feigheit von mir: ich wollte mir für alle Fälle vor meiner Schwägerin die Hintertür der Ahnungslosigkeit offen lassen. Das ist ein hartes Eingeständnis, aber ich glaube es Ihnen als Sühne schuldig zu sein. Und nun haben Sie das Wort – ich bin ganz Ohr!« –
Als Theo nach dieser interessanten Unterhaltung in ihr Zimmer zurückkehrte, war sie entschlossen, der tollen Sache nicht den Rest ihres freien Nachmittags durch Nachgrübeln zu opfern, sondern lieber über dem Rätsel der Karten nachzudenken. Sie hatte das Spiel, als sie abberufen wurde, rasch wieder zusammengeschoben und mit dem Gedicht einstweilen in ein Fach ihres Schreibtisches verschlossen, aus welchem sie es nun wieder hervorsuchte, um es, wie vorher, auf der Klappe des Sekretärs auszubreiten. Dabei fand sie den Raum etwas beschränkt; der Tisch vor dem Sofa war mit allen möglichen Dingen beladen, die erst abgeräumt werden mußten, und vergeblich sah sie sich im Zimmer nach einem anderen zweckdienlichen Möbel um. Da fiel ihr ein sogenannter Puff ein, der zur Aufnahme der gebrauchten Wäsche in Badekabinett stand und für ihren Zweck ganz geeignet schien, weil er die Form eines viereckigen, umfangreichen Hockers hatte, dessen glatte Oberfläche ganz gut wie ein Tisch benutzt werden konnte. Rasch holte sie sich dieses nicht zu schwere Möbel, das eben leer war, herbei und stellte es neben ihrem Schreibtisch auf. Im Grunde war das Ding eben nichts anderes, als eine mit leichtem, buntem Kattun bekleidete Kiste von 60 bis 70 Zentimeter im Quadrat und etwa 50 Zentimeter Höhe, die innen einfach dunkel gebeizt war, was Theo feststellte, als sie zufällig den Deckel emporhob und dabei auch bemerkte, daß dieser nicht massiv war, sondern nur aus einem an Scharnieren befestigten Rahmen bestand, der oben mit leichtem Kattun straff bespannt und ringsum mit einer Krause verziert war.
»Blendwerk der Hölle«, murmelte sie, diesen Deckel kritisch betrachtend, aber ein Versuch zeigte ihr, daß der Stoff so fest angezogen war, daß man darauf trommeln konnte, und die leichte Last der Karten durfte ihm darum ohne Bedenken anvertraut werden. Sie schob also einen niedrigen Sessel herbei, um bequem vor dem Kasten sitzen zu können, und trat dann an ihren Sekretär, die Karten zu holen, – – In diesem Augenblick aber wurde die Tür zum Korridor aufgerissen, und Cordula stürzte mit blassem, verstörtem Gesicht, in welchem die Augen vor Wut funkelten, wie ein Orkan herein.
»So!« rief sie atemlos vor Aufregung. »So, das also war des Pudels Kern, Sie abgefeimtes, intrigantes Geschöpf! Aber ich werde diese unerhörte, unmögliche Sache nicht dulden und nicht eher von dieser Stelle weichen, bis ich Sie vor mir auf die Knie gezwungen habe!« Wenn ein Mensch aus unbekannten Ursachen sehr aufgeregt ist, dann wird der andere, dem die Aufregung gilt, meist sehr ruhig. Und so ging es auch Theo.
»Lieber Himmel, was ist denn geschehen?« fragte sie erstaunt. »Verzeihen Sie, aber ich habe Sie wirklich nicht klopfen gehört.«
»Klopfen! Ich bin nicht in der Stimmung, mich mit Anklopfen aufzuhalten. Sollte ich mich vielleicht gar bei Ihnen durch den Diener anmelden lassen?« versetzte Cordula unwillkürlich etwas ruhiger. »Ich komme, Sie wegen Ihres unerhörten Betragens zur Rede zu stellen!«
»Wirklich?« fragte Theo ungläubig. »Nun, dann bin ich sehr neugierig zu wissen, was ich in Ihren Augen wieder verbrochen habe.«
»Sparen Sie sich diese Unschuldsmiene für – andere Leute; mich betrügt sie nicht!«
»Ich habe doch aber wenigstens das Recht zu erfahren, was eigentlich los ist!«
»Nun, mir scheint, die Hölle ist los – die Hölle, die mit Ihnen in dieses friedliche Haus eingezogen ist, Sie blonder Satan, Sie!« schnob Cordula, sich aufs neue aufregend. »Kaum im Haus, machen Sie mir das Herz meiner Nichte abspenstig, und damit nicht genug – umgarnen Sie meinen Schwager, und der alte Hansnarr geht natürlich wirklich in ihr Netz!«
»Na, da schlägt's dreizehn!« sagte Theo ruhig, aber doch ein wenig besorgt um die geistige Gesundheit ihres Besuches und darum bemüht, sie nicht noch mehr zu reizen. »Sie müssen schon entschuldigen, aber ich verstehe wirklich noch nicht ganz – – darf ich Ihnen vielleicht ein Glas Wasser holen?« Damit machte sie einen Schritt seitwärts der Tür zu; aber Cordula trat ihr in den Weg.
»Sie bleiben!« herrschte sie sie an. »Nicht wahr, um in die Arme meines Schwagers zu flüchten?«
»Waaaas?« machte Theo zurückprallend, und nun wurde auch sie ernstlich böse. »Fräulein von Ganting, es hat alles seine Grenzen. Sie stürzen ohne anzuklopfen zu mir herein, überhäufen mich mit Ehrentiteln. Sie werfen mir die unglaublichsten Beschuldigungen ins Gesicht – ich finde, jetzt ist es damit genug. Entweder, Sie erklären, was Sie in diesen Zorn versetzt hat, oder – Sie kommen lieber ein anderes Mal wieder, wenn Sie sich beruhigt haben.«
Cordula mochte wohl eingesehen haben, daß sie in ihrer Heftigkeit zu weit gegangen war. Jedenfalls blieb der ruhige, bestimmte Ton Theos nicht ohne Wirkung auf sie; denn nach einer kurzen Pause sagte sie wesentlich milder:
»Sie wissen zwar sehr genau, was mich in einen Abgrund von Kummer und Sorgen gestürzt hat. Mein Schwager hatte vorhin eine Unterredung mit Ihnen auf Grund von Beweisen, die ich gegen Ihre Person vorgelegt habe. Nach Beendigung dieser Unterredung mit Ihnen kam mein Schwager zu mir, teilte mir kurz mit, und ohne auf die Gegenbeweise einzugehen, die Sie natürlich in Bereitschaft hatten, daß meine ganzen, vollwichtigen Anklagen gegen Sie hinfällig seien und er zu Ihrer Rehabilitierung und zu Ihrer Entschädigung entschlossen sei, Sie – zu heiraten!«
Theo prallte zurück, unterdrückte einen Ausruf unbegrenzten Erstaunens ebenso wie eine fast unbezwingliche Lachlust, weil sie plötzlich begriff! Sie hielt den Ausbruch mit einer geradezu heroischen Anstrengung zurück und war damit Herr der Lage.
»Nein, wie lieb von ihm«, sagte sie sanft. »Ich habe von Anbeginn eine sehr hohe Meinung von dem Herrn Kommerzienrat gehabt, und daher wundert es mich wirklich nicht, daß seine Ritterlichkeit sich bis zu dieser Höhe erheben konnte. Aber, bescheiden, wie ich nun einmal bin, hätte ich doch kaum zu hoffen gewagt, Sie, teures, gnädiges Fräulein, dereinst noch – Schwippschwägerin nennen zu dürfen.«
Cordula sah ihre Gegnerin fassungslos an.
»Das – das ist eine Unverschämtheit, die ich mir merken werde«, gappste sie, faßte sich aber gewaltsam, weil sie einsah, daß heftige Worte hier wirklich nichts ausrichteten, und fuhr scheinbar kalt fort: »Natürlich kann aus diesem – ritterlichen Plane nichts werden. Dafür stehe ich gut. Die Beweise, die ich gegen Sie meinem Schwager vorgelegt habe, sind – natürlich von seiner Verblendung für Sie abgesehen – derartige, daß ich nicht zögern werde, sie der Polizei vorzulegen, die dann das Weitere veranlassen wird, falls Sie nicht vorziehen sollten, mir jetzt gleich freiwillig, freiwillig eine schriftliche Erklärung zu geben, daß Sie ein für allemal auf die Hand meines Schwagers Verzicht leisten. Sie haben also jetzt die Wahl und werden mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ich mild gegen Sie sein will, wenn Sie Vernunft annehmen.«
»Hm –« machte Theo scheinbar unentschlossen, »man muß doch Bedenkzeit haben – es sich überlegen dürfen –«
»Lassen Sie mich das Für und Wider in Ruhe auseinandersetzen«, rief Cordula, durch dieses scheinbare Schwanken ermutigt, mit gänzlich verändertem Ton, der halb schmeichelnd, halb drohend war. »Setzen wir uns denn und besprechen wir die Sache, welche –«
Den Rest der Rede verschlang eine unerwartete Katastrophe. Cordula hatte mit einer gnädigen Handbewegung auf den Sessel gedeutet, den Theo vorher für sich herangeschoben hatte, und ehe diese noch einen Warnungsruf ausstoßen konnte, ließ Fräulein von Ganting sich selbst mit einem flüchtigen Blick nach rückwärts auf die kattunbezogene Kiste nieder. Das aber geschah, da dieses Möbel niedriger war, als sie's geschätzt haben mochte, mit einer Wucht, durch welche der dünne Kattun des Deckels, straff, wie er ohnedem gespannt war, regelrecht zerplatzte. Und das hatte zur natürlichen Folge, daß die durchaus nicht leichte, stolze Cordula, Gan-Erbin von Burg Ganting, im Nu in der Stellung eines zugeklappten Taschenmessers in die Tiefe der leeren Kiste versank.
Theo rechnete es sich später hoch an, daß sie bei diesem Anblick wenigstens noch einen Rest von Fassung bewahrte und nicht gleich zu Hilfe eilte, wie es, genau genommen, ihre Pflicht gewesen wäre – selbst nach allem Vorangegangenen. Aber es gibt Augenblicke, wo selbst die Pflicht der Humanität zurücktreten muß und das Gegenteil zur Pflicht wird.
Das Häufchen Unglück in der Kiste war überdies auch noch ein Anblick für Götter. Durch den unsanften Anstoß des höchstens nur zu zwei Dritteln über den Kistenrand ragenden Kopfes der wie in einer Versenkung Verschwundenen war ihr die Perücke bis über die Augen gerutscht; die Hände der festgeklemmten Arme griffen wild in die Luft, und da auch das reichlich weite Kleid von den nach oben stehenden Beinen, die sich bis an die Knie würdelos in weißen Strümpfen emporstreckten, herabgeglitten war, so verhüllte es auch, was von dem Gesicht noch hätte sichtbar sein können. Das Zetermordio, das Cordula nach dem ersten Schrecken über diese Katastrophe erhob, veranlaßte Theo zwar, das Kleid etwas herabzustopfen, damit die Versunkene Luft bekam, aber da sie sich an der Perücke nicht vergreifen wollte, so ließ sie diese, wie sie der Rand des Kistendeckels verschoben hatte.
»Nein, das ist aber wirklich eine fatale Sache«, meinte Theo, heldenhaft mit ihrem Lachen ringend. »Wer hätte auch denken können, daß der Stoff so dünn ist?«
»Helfen Sie mir! Helfen Sie mir doch!« kreischte Cordula mit vergeblichen Anstrengungen, sich aus ihrer Falle herauszuarbeiten. »Sie sehen ja, daß ich allein nicht hier heraus kann! Ich ersticke!«
»Ja, was soll ich denn dabei machen? Sie sind doch viel zu schwer für mich!« behauptete Theo nicht ohne Berechtigung. »Dazu sind andere Kräfte notwendig. Ich gehe, gleich die Diener rufen –«
»Unterstehen Sie sich!« zeterte Cordula aus ihrer Kiste heraus. »Damit ich zum Gaudium dieser Menschen gemacht werde und meine Autorität damit zugrunde gerichtet wird. Geben Sie mir die Hände und versuchen Sie, mich daran herauszuziehen!«
»Da müßte ich ja Herkuleskräfte haben!« widersprach Theo »Wenn Sie die Diener nicht wollen, werde ich den Herrn Kommerzienrat rufen –«
»Nein, nein, ihn erst recht nicht!« schrie Cordula. »Helfen Sie mir – es muß sich doch machen lassen, ohne daß das ganze Haus zusammenläuft, um mich in dieser schändlichen Lage zu sehen. Gott, wenn nur Sabine nicht jetzt etwa zurückkommt!«
Theo war inzwischen ein herrlicher Gedanke gekommen. »Ja, es ließe sich allerdings ohne fremde Hilfe machen – das heißt, ich sehe eine Möglichkeit dazu«, begann sie.
»Nun, so versuchen Sie es, schnell, nur schnell! Ich vertrage diese Lage nicht länger!« jammerte Cordula dem Weinen nahe.
»Aber es ist ein bißchen gewaltsam«, meinte Theo gemütlich. »Das macht nichts, ich übernehme die Verantwortung«, versicherte Cordula. »Nur um alles: Holen Sie niemand herzu, der mich so sehen kann! Schnell doch, schnell! Was zögern Sie denn noch? Ich halte es nicht mehr aus.«
»I bewahre, so schlimm kann es ja doch nicht sein«, sagte Theo freundlich zuredend. »Also, ich glaube, es ginge so, wie ich mir's denke, aber ich tu's nur unter einer Bedingung.«
»Oh, Sie schlechtes Geschöpf, Sie!«
»Wenn Sie wieder auf mich schimpfen wollen, gehe ich auf der Stelle, die Diener rufen«, erklärte Theo mit der größten Entschiedenheit. »Also –«
»Wollen Sie Geld haben? Meinen Schmuck –?«
»Unsinn! Je eher Sie mich ausreden lassen, um so schneller kommen Sie aus diesem Kasten heraus, in den allein nur Ihre eigene Niederträchtigkeit Sie hereingebracht hat«, sagte Theo weniger logisch als energisch. »Also passen Sie gut auf – ich will Ihnen die schriftliche Erklärung geben, daß ich Ihren Schwager unter keinen Umständen heiraten will; aber ich verlange dafür Ihre schriftliche Erklärung –«
»Daß ich Sie bei der Polizei nicht anzeigen soll!« fiel Cordula hastig ein. »Ich habe das zwar vorweg schon so gut wie versprochen, will es aber gern noch schriftlich –«
»Meinetwegen können Sie sich in dieser Kiste sofort zur Polizei tragen lassen«, fiel Theo ein. »Ich rate Ihnen sogar dringend dazu, denn eine tüchtige Blamage wäre Ihnen ganz gesund. Ich befinde mich nämlich in der angenehmen Lage, auf Ihre ganzen Beweise gegen mich pfeifen zu können. Trotzdem aber will ich Sie in puncto Ihres Schwagers und meiner beruhigen und es Ihnen schriftlich geben, wenn Sie sich ebenfalls schriftlich dafür verpflichten, das Haus des Kommerzienrats für immer zu verlassen.«
»Ich sollte fort, Sabine verlassen? Nie und nimmermehr!« begehrte Cordula auf.
»Sabine wird Sie verlassen, und zwar recht bald. Wobei mir einfällt, daß Sie für den Fall, daß Herr Reudnitz Sie zur Hochzeit einladen sollte, sich verpflichten müssen, gleich nachher wieder abzureisen, damit Sie es nicht wieder vergessen, wie das letzte Mal. Also – wollen Sie, oder wollen Sie nicht?«
»Das Haus meines Schwagers verlassen? Niemals!«
»Gut, dann gedulden Sie sich also noch ein paar Minuten, bis ich das ganze Haus zu Ihrer Befreiung aus der Kiste zusammengerufen habe«, erwiderte Theo und ging auf die Tür zu.
»Fräulein Zöllner! Haben Sie Erbarmen!« zeterte Cordula.
»Ich gehe ja nur, Hilfe für Sie zu holen«, gab Theo, die Klinke in der Hand, gleichmütig zurück. Und drückte die Tür möglich laut auf.
»Halt!« tönte es aus der Kiste. Theo wartete. »Ich werde die verlangte Erklärung schreiben«, stöhnte Cordula. »Und nun helfen Sie mir schnell!«
»Gleich, – nachdem ich die Erklärung geschrieben, und Sie unterschrieben haben werden«, erwiderte Theo liebenswürdig. »Ich fürchte nämlich, Sie könnten in dem berechtigten Wunsch, sich von dem fatalen Sturze erst zu erholen, darauf vergessen!«
Cordula stöhnte zum Steinerbarmen und murmelte etwas, das Theo sich bemühte zu überhören, während sie sich an den Schreibtisch setzte und auf einen Briefbogen eine kurze Erklärung des Inhalts schrieb, daß sie nicht die Absicht habe, den Kommerzienrat Reudnitz auf Amönenhof zu heiraten, wofür Fräulein Cordula von Ganting, Gan-Erbin auf Burg Ganting, sich verpflichtet, das Haus des Obengenannten, ihres Schwagers, alsbald für immer zu verlassen und auch nach der Vermählung seiner Tochter nicht wiederzukehren, und dies freiwillig durch ihre Unterschrift bekräftige. Dieses Elaborat las Theo nun der Gan-Erbin in der Kiste vor und erhielt nach einigen kleinen Seitenhieben das geforderte Ja des Einverständnisses.
»So«, sagte Theo, unterschrieb die Erklärung und legte sie auf einen Löschblock. »Jetzt werden Sie die Güte haben, Ihre Unterschrift unter die meinige zu setzen. Es geht ganz gut, wenn ich den Block halte und Sie sich etwas Mühe geben. Wenn ich Sie nämlich vorher herauslasse, würde ich auf Ihre Unterschrift bis zum Jüngsten Tage warten müssen, wozu ich keine Zeit habe, da ich ja nur in Stellvertretung hier bin. Man muß seinem Nächsten immer das Beste zutrauen, das habe ich von Ihnen gelernt. Also, bitte, hier ist meine Füllfeder. Ich lege den Block gegen Ihre Knie und halte ihn fest – zur Not geht es schon!«
»Es geht nicht!« keifte Cordula. »Ich kann ja überhaupt nichts sehen und die Hand kaum bewegen. Und überhaupt gilt die Unterschrift nichts, wenn Sie mich dazu zwingen –«
»Aber nein, um kein Wunder möchte ich Sie zwingen. Wenn Sie nicht wollen oder können, dann ist die Sache ja erledigt, und ich hole Ihnen endlich Hilfe –«
Wieder schritt Theo zur Tür und machte sie auf, und wieder wurde sie von Cordula zurückgerufen mit der Versicherung, daß sie freiwillig unterschreiben wolle; das tat sie denn auch wirklich, obgleich es weniger gut ging, als Theo behauptet hatte. Wenn man in einem engen Raum eingepreßt ist, die Arme gegen den Leib gepreßt und die Knie unmittelbar vor der Nase hat und in dieser Lage auch noch schreiben soll, so ist das tatsächlich mit großen Schwierigkeiten verknüpft; aber Theo mußte trotzdem darauf bestehen, weil sie sehr mit Recht im anderen Fall Verrat fürchtete. Sie rückte ihrer Widersacherin die Perücke aus den Augen, gab ihr die Feder in die Hand, und so mußte es denn gehen, schlecht und recht, aber mehr schlecht wie recht, wie nicht verhehlt werden darf.
Nachdem dies geschehen war, schloß Theo den Bogen trotz des Jammerns der Gan-Erbin über diese neue Verzögerung erst sorgsam in ihren Schreibtisch ein, weil man nie wissen kann, was sich ereignen könnte, holte dann einen Feuerhaken vom Kamin, schob ihn nicht ohne Anstrengung als Hebel unter die eine Seite der Kiste und kippte diese dann nach der anderen Seite auf vorgelegte Sofakissen um, und nun konnte die Gefangene unter Mitwirkung eigener Kräfte aus ihrer würdelosen Lage befreit, beziehungsweise herausgezogen werden. Sie gelangte in der Stellung auf »allen vieren« zunächst wieder auf den Fußboden und wurde mit Theos Hilfe dann gerade auf ihre Beine gestellt, wobei ihr die Perücke vom Kopfe fiel – eine Begleiterscheinung, deren sie sich in dem Bemühen, ihre steifgewordenen unteren Extremitäten wieder geschmeidig zu machen, gar nicht bewußt wurde.
So stand sie, finster vor sich hinblickend, eine Weile da, versuchte dann ein paar Schritte, und nachdem sie sich vergewissert hatte, daß ihre Glieder wieder den gewohnten Dienst taten, ging sie schwerfällig bis zur Tür, wo sie von Theo eingeholt wurde.
»Sie haben etwas vergessen, Fräulein von Ganting«, sagte sie liebenswürdig, indem sie ihr die Perücke überreichte. »Ich an Ihrer Stelle würde das Ding aber nicht mehr tragen, denn Sie glauben gar nicht, wie hübsch Sie mit Ihren naturkrausen weißen Löckchen aussehen.«
Mechanisch hatte Cordula ihre »falsche Behauptung« in Empfang genommen.
»Wie?« machte sie geistesabwesend. Aber als ihr Blick dabei auf Theo fiel, übermannte sie ihre unbezähmbare Heftigkeit wieder.
»Da – Sie elende Natterkröte!« kreischte sie und warf ihr die Perücke an den Kopf. Theo fing sie aber auf und schleuderte sie durch die offene Balkontür hinab in den Garten.
»Danke! Ich habe keine Verwendung dafür«, sagte sie kühl und drehte sich auf dem Absatz um, wobei der Krach der zugeschmetterten Tür sie belehrte, daß Fräulein von Ganting sie endlich verlassen hatte.
»Grundgütiger! Noch solch ein schöner, freier Tag und ich ziehe das Leben eines Steinklopfers vor!« dachte sie, und sank auf den nächsten Stuhl. »Das heißt«, setzte sie einschränkend hinzu, »es wäre doch schade gewesen, diese Affenkomödie hier nicht zu erleben! Doch, nun aber wollen wir das Eisen schmieden, solange es warm ist; mit anderen Worten, die Sache muß in Ordnung gebracht werden, ehe das herzige Tantchen sich besinnt und ein großes Geschrei erhebt!«
Rasch sprang sie auf, nahm die kostbare, gegenseitige »Entsagungsurkunde« an sich und lief damit zu dem Kommerzienrat hinüber, der ihr bei ihrem Eintritt lebhaft entgegenkam.
»Meine Schwägerin war bei Ihnen?« rief er nicht ohne Besorgnis.
»Ich hatte die Ehre – und hier ist das Resultat«, erwiderte Theo, indem sie ihm das Papier mit einem triumphierenden Knicks überreichte. Reudnitz las das Schriftstück durch, las noch einmal und sank dann auf den nächsten Stuhl nieder.
»Wie haben Sie denn das zuwege gebracht?« fragte er mißtrauisch und noch ein wenig ungläubig. Theo lachte etwas verlegen, kämpfte dann einen kurzen Kampf mit ihrer Diskretion und dem dringenden Verlangen, die gute Geschichte nicht für sich behalten zu müssen.
»Eigentlich sollte ich einen Schleier darüber decken«, meinte sie, »aber uneigentlich ist die Geschichte dieser Urkunde viel zu schön, als daß ich sie für mich behalten könnte – namentlich, da Sie ja Sinn für Humor haben!« Und damit erzählte sie den Vorgang genau wie er sich abgespielt, wobei Reudnitz gelegentlich einige Kraftausdrücke dazwischen streute. »Warum haben Sie mich denn aber nicht auf Ihren Staatsstreich vorbereitet?« schloß sie vorwurfsvoll. »Ich bin wirklich fast auf den Rücken gefallen!«
»Nachdem Sie mich verlassen hatten, kam mir's erst ein, daß jetzt der Augenblick für meinen Trumpf gekommen war«, erwiderte Reudnitz nicht ohne eine gewisse Verlegenheit. »Ich hatte den Gedanken daran allerdings schon vorher in mir herumgewälzt, und es lag eigentlich nicht in meiner Absicht, daß Sie überhaupt Kenntnis davon bekommen sollten. Freilich hatte ich nicht mit dem Temperament meiner Schwägerin gerechnet, sondern darauf gebaut, daß sie sofort abreisen würde, Sie und mich mit stummer Verachtung strafend, was keinen Lärm macht und uns beiden nicht weh getan hätte. Die Wahrheit zu gestehen, ist dieser Staatsstreich, wie Sie ihn nennen, nicht in meinem Kopfe entsprungen, denn eine solche – Kühnheit wäre mir nie in den Sinn gekommen. Es war die nette, alte Hofmeisterin, die mir diesen Floh ins Ohr gesetzt hat.«
»Das habe ich mir gleich gedacht«, lachte Theo. »Aber was nun? Wird Fräulein von Ganting ihre etwas kraxliche Unterschrift für gültig halten? Wird sie keinen Widerruf versuchen?«
»Hm – ich werde es darauf ankommen lassen müssen, ob sie sich auf den Rechtsstandpunkt stellen will«, meinte er nachdenklich. »Juristisch anfechtbar dürfte diese kostbare Urkunde freilich sein, schon weil die Unterschrift von Zeugen fehlt. Daß ich mich auf dieses Blatt steifen werde, versteht sich; wird die Gültigkeit von ihr angefochten, dann sind wir ja ohnedem geschiedene Leute. Freilich wäre mir ein öffentlicher Skandal ebenso unangenehm, wie Ihnen wahrscheinlich erst recht.«
»Du meine Güte, daran habe ich überhaupt nicht gedacht!« rief Theo erschrocken. »Das wäre ja eine nette Bescherung! Da hätte ich ja etwas Reizendes angerichtet!«
»Na, na – soweit sind wir ja noch nicht; meine Schwägerin wird sich's wohl zweimal überlegen, ehe sie auf Grund dieses Wisches eine Klage wegen – Nötigung anstrengt. Wir wollen die Sache sich historisch entwickeln lassen«, brummte Reudnitz.
Theo war nun doch etwas weniger siegesbewußt, als sie langsam in ihr Zimmer zurückkehrte und mechanisch die Ordnung darin wiederherstellte. Ungerecht, wie der beste Mensch nun einmal ist, gab sie der Unglückskiste einen tüchtigen Puff, als sie dieses Möbel mit seinem durchgesessenen Deckel wieder in das Badekabinett zurücktrug.
»Hübsche Suppe das, die du Scheusal mir da eingebrockt hast«, redete sie das unschuldige Ding an, das sich nicht einmal verteidigen konnte. »Wer macht denn auch einen Puff mit einem falschen Deckel, frage ich? Soll ich nun zu dem alten Drachen gehen und den Wisch selbst widerrufen? Damit wären wir freilich auf dem alten Standpunkt, nur mit dem Unterschied, daß ich schleunigst meine Koffer packen und der alten Exzellenz bei ihrem Abendessen helfen dürfte. Und Leo –? Nein, folgen wir dem Rat von Vater Reudnitz, und lassen wir die Ereignisse sich historisch entwickeln.«
Indes saß Cordula allein in ihrem Zimmer, nachdem sie Adelheid mit heftigen Worten hinausgejagt hatte, und überlegte. Da sie ja nicht von heute und gestern war, so fiel es ihr auch sehr bald ein, daß die gegebene Unterschrift ohne Zeugen so gut wie ungültig war, damit aber auch jene »dieser Zöllner«. Darin lag der Haken, auf den sogar der Kommerzienrat nicht gekommen war. Für Cordula kam nun die Frage in Betracht, ob sie die ganze Sache einfach ignorieren und es darauf ankommen lassen sollte, was nun erfolgen würde, oder ob sie den Ochsen sozusagen gleich bei den Hörnern nehmen sollte, indem sie zu einem Rechtsanwalt ging und Theo wegen Erpressung ihrer Unterschrift verklagte. Damit wurde aber die gräßliche Geschichte von Ihrer Versenkung in die Kiste an die große Glocke gehängt und der Rechtsanwalt samt dem lieben Publikum konnte sich schieflachen über die scheußliche Situation.
Leute vom Schlage Cordulas sehen schwer ein eigenes Unrecht ein; aber es dämmerte ihr in der Stille ihres Kämmerleins denn doch, daß sie falsch gehandelt, indem sie in der ersten Hitze gleich zu Theo hinübergerast war, um sie zur Rede zu stellen und zu einer »Entsagung« einzuschüchtern. Bei reiflicher Überlegung hätte sich die Sache ganz anders anfassen lassen, und die schreckliche Blamage Ihrer Versenkung wäre ihr erspart geblieben. Jetzt erst fiel es Cordula ein, daß ihr Schwager ja eigentlich nur von der Absicht gesprochen hatte, Theo zu heiraten, und daß letztere selbst ganz überrascht von dieser Mitteilung war. Aber der Zorn über die bloße Möglichkeit, über die unmittelbare Nähe dieses Schrittes war bei Cordula dermaßen entfesselt worden, daß er alle Überlegung bei ihr ausgeschaltet hatte.