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Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Was bedeutet Sucht?
2.1 Definition
2.2 Suchtentstehung
2.3 Lebenswelt einer suchtkranken Person
3 Epidemiologie
4 Sucht und Familie
4.1 Auswirkungen der Suchterkrankung auf das Familiensystem
4.1.1 Familiendynamik
4.1.2 Familienregeln
4.1.3 Co-Abhängigkeit
4.2 Auswirkungen der elterlichen Suchterkrankung auf die Eltern-Kind-Beziehung
4.3 Einfluss der elterlichen Suchterkrankung auf betroffene Kinder
4.3.1 Lebenswelt
4.3.2 Rollenübernahme
4.3.3 Langfristige Folgen
5 Risiko- und Schutzfaktoren in der Entwicklung von Kindern suchtkranker Eltern
5.1 Resilienz
5.2 Unterstützungsbedürftige Lebensbereiche
6 Hilfeangebote für Kinder suchtkranker Eltern in Deutschland
7 Konzeptentwicklung „VerSucht“
7.1 Theoretischer Hintergrund
7.1.1 Zielsetzung
7.1.2 Methoden
7.2 Rahmenbedingungen
7.2.1 Teilnahmebedingungen
7.2.2 Finanzierung
7.2.3 Teilnehmergenerierung
7.2.4 Aufbau der Module
7.2.5 Gruppenleitung
7.2.6 Räumliche Bedingungen
7.2.7 Umgang mit Unpünktlichkeit und unregelmäßiger Teilnahme
7.3 Module
7.3.1 Elternmodul 1
7.3.2 Modul 1 - Kennenlernen und Öffnen in der Gruppe („Kennenlernen“)
7.3.3 Modul 2 – Psychoedukation („Was ist Sucht?“)
7.3.4 Modul 3 - Affektwahrnehmung und -ausdruck („Gefühlschaos“)
7.3.5 Modul 4 – Konfliktlösekompetenzen („Streiten lernen“)
7.3.6 Modul 5 – Ressourcenförderung („Ich kann!“)
7.3.7 Modul 6 – Hilfesystem („Zur Hilfe!“)
7.3.8 Modul 7 - Wiederholung und Abschied („Wiederholung und Abschied“)
7.3.9 Elternmodul 2
7.4 Dokumentation
7.5 Evaluation
8 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhänge
Anhang 1: Terminübersicht für Eltern
Anhang 2: Terminübersicht für Kinder
Anhang 3: Übersicht Modul 1 – Kennenlernen und Öffnen in der Gruppe
Anhang 4: Übersicht Modul 2 – Psychoedukation
Anhang 5: Übersicht Modul 3 – Affektwahrnehmung und -ausdruck
Anhang 6: Übersicht Modul 4 – Konfliktlösekompetenzen
Anhang 7: Übersicht Modul 5 – Ressourcenförderung
Anhang 8: Übersicht Modul 6 – Hilfesystem
Anhang 9: Übersicht Modul 7 – Wiederholung und Abschied
Anhang 10: Wichtige Gruppenregeln
Anhang 11: Informationsblatt zu Suchtmitteln
Anhang 12: Informationsblatt „Wann ist jemand süchtig?“
Anhang 13: Modell „Gefühlsrad“
Anhang 14: Arbeitsblatt „Fünf-Finger-Methode“
Anhang 15: Arbeitsblatt „Meine Oase“
Anhang 16: Arbeitsblatt „Sucht-Quiz“
Anhang 17: Dokumentationsleitfaden
Anhang 18: Evaluationsbogen für teilnehmende Kinder
Anhang 19: Evaluationsbogen für Eltern teilnehmender Kinder
Anhang 20: Evaluationsbogen für durchführende Gruppenleiter*innen
„Ich wollte den Fußspuren nachgehen, aber zuerst bückte ich mich, um die Abdrücke genauer zu betrachten. Erst bemerkte ich gar nichts, aber dann fiel mir doch etwas auf. Im linken Absatz war ein Kreuz aus dicken Nägeln, das den Teufel abhalten sollte. In einer Sekunde war ich auf und davon und raste den Hügel hinunter. Alle Augenblicke sah ich über meine Schulter hinter mich, aber ich entdeckte niemanden.“ (Twain, 2011, S. 284[1])
In Mark Twains Roman „Adventures of Huckleberry Finn“ (zu Deutsch „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“) aus dem Jahre 1884 ist Huckleberry der Sohn eines trinkenden Vaters. Dieser lässt seinen Sohn oft über Wochen allein auf der Straße leben und wenn er sich blicken lässt, so verursacht er durch seine Unberechenbarkeit Angst und Schrecken. In dieser Ausgewählten Szene der Geschichte erkennt Huckleberry in den Fußspuren die seines Vaters. Die Erkenntnis über dessen Rückkehr veranlasst ihn zur schlagartigen Flucht.
Auch in weiterer Romanliteratur, wie beispielsweise Charles Dickens „Oliver Twist“ (1838), in dem Oliver unter dem Wechselbad von Zu- und Abneigung durch seinen trinkenden Ziehvater Fagin leidet, findet der Alkohol und sein Einfluss auf das kindliche Leben seit Langem Beachtung (vgl. Dickens, 2012[2]).
In der Fachöffentlichkeit wurde man erst seit den 1990er Jahren verstärkt auf die Kinder suchtkranker Eltern aufmerksam (vgl. Homeier & Schrappe, 2012, S. 122). Dabei ist die Zahl betroffener Kinder unter 18 Jahren in Deutschland, die mit mindestens einem an einer substanzbezogenen Sucht erkrankten Elternteil aufwachsen, mit etwa 2,6-2,7 Millionen beachtlich hoch (vgl. Arenz-Greiving, Erger, Körtel & Krasnitzky-Rohrbach, 2007, S. 8; Klein, Moesgen, Bröning & Thomasius, 2013, S. 12; Homeier & Schrappe, 2012, S. 122; Klein, 2006, S.8). Diese Zahl beschränkt sich zudem noch auf die Abhängigkeit von Alkohol oder illegalen Drogen und lässt medikamentenabhängige Eltern außer Acht[3].
Umso verwunderlicher, dass zwischen 1999 und 2006 im ambulanten Sektor der Bundesrepublik Deutschlands lediglich etwa 50 professionelle Hilfeangebote für Kinder suchtkranker Eltern existierten (vgl. Klein, Moesgen, Bröning & Thomasius, 2013, S. 21-24).
Kinder und Jugendliche, die von einer elterlichen Suchterkrankung betroffen sind, gelten als erstrangige Hochrisikogruppe, später selbst eine Suchterkrankung oder eine andere psychische Störung zu entwickeln (vgl. Arenz-Greiving, Erger, Körtel & Krasnitzky-Rohrbach, 2007, S. 8; DHS, 2006a, S. 4; Homeier & Schrappe, 2012, S. 122). Um die Gefahr einer solchen negativen Lebensentwicklung zu verhindern ist es notwendig, möglichst früh entsprechende präventive Hilfemaßnahmen anzubieten.
Um diese spezifischen Hilfeangebote effektiv gestalten zu können, bedarf es der Beantwortung dreierlei Fragen, die der vorliegenden Arbeit als Forschungsfragen zugrunde liegen:
1. Wie wirkt sich eine elterliche Suchterkrankung auf das Familienleben, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung der Kinder, aus?
2. Welche Risikofaktoren beziehungsweise Schutzfaktoren seitens der Kinder gilt es zu verringern oder zu fördern, um einer negativen psychosozialen Entwicklung als Folge der Suchtbelastung durch die elterliche Erkrankung entgegenzuwirken?
3. Welche Formen der praktischen Umsetzung eignen sich in der Sozialen Arbeit besonders, um betroffene Kinder effektiv und gezielt in einer positiven Entwicklung zu unterstützen?
Die vorliegende Arbeit hat dadurch den Anspruch, die Lebenswelt einer suchtbelasteten Familie detailliert zu erfassen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf dem Einfluss der elterlichen Erkrankung auf die betroffenen Kinder liegt. Hier sollen Risiko- und Schutzfaktoren herausgearbeitet werden, die durch adäquate Hilfeangebote entweder gemindert oder gefördert werden sollen, um Kinder suchtkranker Eltern in einer positiven Lebensentwicklung zu unterstützen. Auf der Basis der aus der analytischen Arbeit gewonnen Erkenntnisse wird im Folgenden die Entwicklung eines beispielhaften Konzeptes für ein angemessenes Hilfeangebot im ambulanten Bereich der Sozialen Arbeit angestrebt.
Die vorliegende Arbeit mit dem Titel „Kreative Gruppenangebote für Kinder suchtkranker Eltern – Analyse & Konzeptentwicklung“ gliedert sich wie bereits im Titel impliziert in zwei Hauptteile: dem analytischen Teil und der Entwicklung eines eigenen Konzeptes.
Mittels deduktiver Methodik wird zunächst eine Analyse der Lebenswelt von Kindern aus suchtbelasteten Familien vorgenommen.
Zu Beginn muss die Suchterkrankung selbst definiert und ihre Auswirkungen auf die erkrankte Person erläutert werden. Im Folgenden liegt der Fokus auf der familiären Lebensweltanalyse. Dabei wird erst der Einfluss der Suchterkrankung auf die gesamte Familie, dann auf die Eltern-Kind-Beziehung und schließlich auf die Kinder selbst betrachtet.
Im Anschluss werden spezifische Faktoren und kindliche Bedürfnisse herausgearbeitet, deren Förderung die positive Lebensentwicklung betroffener Kinder begünstigt.
Am Ende des analytischen Teils findet sich ein Überblick über die verschiedenen Arten der bislang in Deutschland existierenden Hilfeangebote für Kinder aus suchtbelasteten Familien.
Der Teil der Konzeptentwicklung stellt nun einen eigenen konkreten Vorschlag zur Förderung von Kindern suchtkranker Eltern im ambulanten Bereich der Sozialen Arbeit durch die Maßnahme eines kreativen Gruppenangebots dar. Das entstandene Konzept trägt den Titel „VerSucht“.
An dieser Stelle der vorliegenden Arbeit wird zunächst die Entscheidung für diese spezifische Form der Hilfemaßnahme begründet und ein einleitender Überblick über das Gesamtkonzept gegeben. Es schließt sich die Darstellung des dem Angebot zugrunde liegenden theoretischen Hintergrundes und der Rahmenbedingungen an. Nun werden die einzelnen Modulelemente chronologisch erläutert. Zum Schluss wird die Dokumentations- und Evaluationsarbeit beschrieben.
Die Arbeit „Kreative Gruppenangebote für Kinder suchtkranker Eltern – Analyse und Konzeptentwicklung“ schließt mit einem Fazit.
Die vorliegende Arbeit legt den Fokus auf die Arbeit mit Kindern suchtkranker Eltern. Um zu verstehen, wie das alltägliche Leben betroffener Kinder aussieht, ist es notwendig, sich zunächst allgemeine Grundkenntnisse über das Thema „Sucht“ anzueignen. In diesem ersten Kapitel wird daher zunächst eine Begriffsdefinition von „Sucht“ unter Heranziehung klinischer Diagnosekriterien vorgenommen. Es folgt eine Erläuterung über Suchtentstehung und den Einfluss einer substanzbezogenen Sucht auf die Lebenswelt des Erkrankten.
Der Begriff „Sucht“ oder „Abhängigkeit“ bezeichnet ein Konsumverhalten, das sich stoffgebunden auf Alkohol, Drogen oder Medikamente und nicht-stoffgebunden auf Verhaltensweisen wie beispielsweise Spielsucht oder Internetsucht beziehen kann (vgl. Homeier & Schrappe, 2012, S. 119). „Sucht“ in der vorliegenden Arbeit bezieht sich lediglich auf stoffgebundene Abhängigkeiten.
Die Sucht beziehungsweise die Abhängigkeit ist seit 1968 als behandlungsbedürftige Krankheit anerkannt (vgl. Homeier & Schrappe, 2012, S. 121). Sie ist daher im von der WHO herausgegebenen internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten, dem ICD-10 vertreten, welches in Deutschland zur amtlichen Diagnosestellung im ambulanten und stationären Versorgungsbereich Bereich verwendet wird. Die im ICD-10 dargelegte Definition der substanzbezogenen Abhängigkeitserkrankung umfasst sechs Kriterien.
Das erste Kriterium ist der starke Wunsch oder der Zwang die betreffende Substanz zu konsumieren.
Kriterium zwei ist die mangelnde Kontrolle über Beginn, Beendigung, und Menge des Substanzgebrauchs.
Das dritte Kriterium bezieht sich auf körperliche Entzugssymptome. Es ist erfüllt, wenn bei dem*der Betroffenen entweder substanzspezifische, körperliche Entzugssymptome bei Verringerung oder Beendigung des Konsums auftreten, oder er*sie die Substanz konsumiert um ebenjene Entzugssymptome abzumildern oder zu verhindern.
Viertens liegt bei abhängigen Personen häufig eine Toleranzentwicklung bezüglich der konsumierten Substanz vor. Die zu konsumierende Dosis muss also mit der Zeit erhöht werden, um den gleichen Effekt zu erzielen wie zu Konsumbeginn.
Im fünften Kriterium werden im ICD-10 auch die sozialen Folgen in den Fokus gerückt. Menschen, die an einer Substanzabhängigkeit erkrankt sind, vernachlässigen oft ihre Interessen und verwenden immer mehr Zeit auf Beschaffung und Konsum der Substanz, sowie auf die Erholung von den Folgen ebendieses Konsumverhaltens.
Kriterium sechs ist das Fortsetzen des Konsumverhaltens durch den*die Konsument*in, obwohl bereits schädliche Folgen des Substanzkonsums aufgetreten sind, die von der betroffenen Person bewusst als solche wahrgenommen wurden.
Um die klinische Diagnose einer Substanzabhängigkeit nach Kriterien des ICD-10 zu stellen, müssen im Zeitraum der letzten 12 Monate mindestens drei der genannten Kriterien auf Seiten des*der Konsument*in erfüllt sein (vgl. Hautziger & Thies, 2009; Klein, 2005, S. 18f.).
Dabei ist die Sucht selbst ein Entwicklungsprozess, der mit einem Probierverhalten beginnt und sich über Gewöhnung, Missbrauch und Abhängigkeit bis hin zur Krankheit fortsetzt. Um eine Sucht handelt es sich dann, wenn die betroffene Person von ihrem Konsumverhalten so abhängig geworden ist, dass sie beginnt sich auf verschiedene Weise selbst zu schädigen, ohne den Konsum selbstständig einschränken oder beenden zu können (vgl. Wagner, 2006, S. 12).
Für die Ursachen und Entstehung der Suchtentwicklung gibt es in der Forschung verschiedene Theorien und Ansätze. Diese nennen beispielsweise eine labile oder instabile Persönlichkeit, eine Vererbung der Alkoholsucht oder traumatische Erfahrungen in der Kindheit als mögliche Gründe einer Suchterkrankung. Eine pauschale Erklärung, die auf alle Suchterkrankten zutrifft und wissenschaftlich belegbar ist, wurde bislang allerdings nicht gefunden (vgl. Homeier & Schrappe, 2012, S. 127). Einige Theorien werden im Folgenden kurz dargestellt.
Der Suchttherapeut Johannes Lindenmeyer beschreibt den Weg in die Abhängigkeit am Beispiel des Alkohols in drei Schritten.
Der erste Schritt ist das „Erste Mal“. Für viele junge Menschen ist der Alkohol das erste Suchtmittel, das sie konsumieren. Die Vorbilder in der Herkunftsfamilie und der Gleichaltrigengruppe haben dabei großen Einfluss darauf, wie die jungen Menschen mit dem Alkoholkonsum umgehen. Besonders ungünstig ist es, wenn die ersten Erfahrungen mit Alkohol außerhalb der Herkunftsfamilie, also ohne elterliche Einflussnahme, und in übermäßiger Form gemacht werden.
Als zweiten Schritt benennt Lindenmeyer die „Gewohnheit“. Da etwa 85-90% der Bundesbürger regelmäßig Alkohol zu sich nehmen, wird es im weiteren Verlauf oft immer „normaler“, Alkohol zu konsumieren. Problematisches Konsumverhalten entsteht dabei dann, wenn der Körper sich mehr und mehr an den Alkohol gewöhnt. Der*Die Konsument*in scheint dann immer größere Mengen offenbar problemlos zu vertragen, was von der Umwelt häufig toleriert oder gar gefördert wird. Dabei kann es passieren, dass der*die Betroffene zunehmend auf den Alkoholkonsum als beispielsweise stressregulierende Verhaltensweise angewiesen ist. Alternative Strategien zur Stressbewältigung werden kaum noch wahrgenommen.
Im dritten Schritt entsteht nun die „Abhängigkeit“. Der Körper beginnt, auf den kontinuierlichen Alkoholkonsum zu reagieren. Wird der Konsum verringert oder eingestellt, so kommt es zu unangenehmen Entzugserscheinungen. Zudem verliert der*die Konsument*in stetig an Kontrolle über sein*ihr Trinkverhalten. Die daraus entstehenden Schuldgefühle versucht der*die Konsument*in mit weiterem Alkoholkonsum zu regulieren, wodurch er*sie in einen Teufelskreis gerät, aus dem er*sie ohne professionelle Hilfe meist nicht mehr auszubrechen vermag (vgl. Lindenmeyer, 2001/2005 zitiert nach Homeier & Schrappe, 2012, S. 127).
Als zusätzliche Risikofaktoren einer Suchtentwicklung nennt Lindenmeyer eine niedrige Frustrationstoleranz und wenig Selbstkontrolle. Zudem kann es suchtfördernd sein, wenn sich der*die Betroffene im nüchternen Zustand unsicher und hilflos fühlt. Auch ein soziales Umfeld, in dem der Alkoholkonsum eine große Rolle spielt, bildet einen zusätzlichen Risikofaktor (vgl. Homeier & Schrappe, 2012, S. 128).
Dem neurobiologischen Erklärungsansatz liegt die Vermutung zugrunde, Süchtige leiden unter einer Stoffwechselkrankheit. Wissenschaftlich belegt werden konnte dies bislang allerdings nicht. Sicher ist aber, dass kontinuierlicher Alkohol- oder Opiatkonsum die körpereigene Produktion der Endorphine, also der „Glückshormone“, verhindert. Dies veranlasst suchtkranke Menschen dazu, weiterhin die betreffende Substanz zu konsumieren, da dies als die einzige Möglichkeit erscheint, „Glücksgefühle“ zu empfinden. Bei nicht-stoffgebundenen Süchten wie beispielsweise der Spielsucht ist diese Theorie allerdings unbrauchbar (vgl. Wagner, 2006, S. 12).
Die Lerntheorie dagegen geht davon aus, dass das Konsumverhalten der Kinder und Jugendlichen hauptsächlich von ihren Eltern und ihrem sozialen Umfeld abhängt. Alkohol- und Drogenkonsum wird sich hierbei „abgeguckt“ und verinnerlicht. Eine Suchterkrankung entstehe daher durch ein bereits süchtiges Umfeld (vgl. Wagner, 2006, S. 15).
Die Hauptgrundlage für die meisten suchtspezifischen Therapien bildet der psychoanalytische Ansatz. Häufig liegt die Ursache für die spätere Suchtentwicklung demzufolge bereits in der frühen Kindheit. Markante und dramatische Lebenserfahrungen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht produktiv verarbeitet wurden, können zur Entwicklung psychischer Störungen führen. Persönlichkeitsaspekte können nicht weiterentwickelt werden, die Betroffenen können ihre psychischen Probleme nicht mehr eigenständig lösen und versuchen letztendlich, sich den negativen Gefühlen mittels Drogenkonsum zu entziehen und durch angenehme Gefühle zu ersetzen (vgl. Wagner, 2006, S. 14f.).
Eine zusätzliche wesentliche Ursache für die Abhängigkeitserkrankung ist eine starke Unzufriedenheit mit der aktuellen Lebenssituation und die Unfähigkeit, mit dieser angemessen umzugehen. Die Gründe für diese, spezifische oder noch diffuse, Unzufriedenheit können vielfältig sein. Das Spektrum reicht hier von Langeweile über Dauerstress und Überforderung bis hin zu tieferliegenden traumatischen Erfahrungen in der Lebensgeschichte des*der Betroffenen (vgl. Wagner, 2006, S. 12).
Sucht wird also nicht allein durch das Suchtmittel ausgelöst. Sie ist vielmehr die Folge einer Fehlentwicklung, deren Wurzeln häufig schon in der frühen Kindheit liegen. Das daraus resultierende gestörte Sozialverhalten kann in den Bereichen der Kontakt-, Beziehungs- und Konfliktfähigkeit, ebenso wie der Genussfähigkeit und einem Mangel an Selbstwertgefühl und Selbstverantwortlichkeit deutlich werden (vgl. Wagner, 2006, S. 13).
Insgesamt kann das Bedingungsmodell der Sucht als multifaktoriell verstanden werden. Die drei Hauptvariablen sind dabei die Substanz selbst, in ihrer spezifischen Wirkungsweise, das Individuum mit seinen körperlichen und psychischen Eigenschaften und seiner genetischen Disposition, und das soziale Umfeld mit interpersonalen und sozialisierenden Beziehungen (vgl. Klein, 2005, S. 16).
Obwohl es in dieser Arbeit speziell um jenen Aspekt der Suchtkrankheit geht, der vorwiegend das Eltern- und Familie-Sein behandelt, sehen sich auch suchtkranke Eltern allen Folgen ihrer Abhängigkeit entgegengestellt, die eine solche Erkrankung auch bei Betroffenen ohne Kinder mit sich bringt (vgl. Kunz, Steier & Kampe, 1994, S. 218). Die Konsequenzen einer Suchterkrankung auf der psychischen, körperlichen, sozialen, juristischen und familiären Ebene werden im Folgenden genauer dargestellt.
Die psychischen Folgen des kontinuierlichen Konsums sind oft substanzspezifisch. Kokain und Amphetamine können beispielsweise zu Ängsten und tiefen Depressionen führen, während Ecstasy, Cannabis und LSD psychoseähnliche Zustände auslösen können. Häufig bringen die Betroffenen ihre psychischen Probleme über längere Zeit gar nicht mit dem Substanzkonsum in Verbindung. Dabei gilt, je häufiger solche psychotischen Zustände auftreten und je länger sie andauern, desto schwieriger wird es, sie erfolgreich zu behandeln (vgl. Mende, 2003d).
Generell leiden viele Suchtkranke unter schweren Depressionen, bis hin zu Selbstmordgedanken. Auch kann der langfristige Konsum die Persönlichkeit des*der Betroffenen erheblich verändern. So werden chronische Cannabiskonsumenten oft antriebs- und interesselos und haben Konzentrationsschwierigkeiten. Auch Heroinabhängige leiden häufig unter Antriebsarmut und erscheinen weinerlich. Kokain- und Amphetaminkonsumenten hingegen entwickeln ein steigendes Aggressionspotenzial und werden selbstsüchtig (vgl. Mende, 2003d).
Des Weiteren kann ein dauerhafter Konsum von beispielsweise Alkohol oder Ecstasy Nervenzellen dauerhaft zerstören. Sind diese erst einmal geschädigt, so erholen sie sich kaum noch. Bei langfristigem Konsum vermindert sich folglich das geistige Leistungsvermögen des*der Konsument*in erheblich (vgl. Wagner, 2003d).
Auch haben Suchtkranke oft Probleme, ihre emotionalen Zustände differenziert wahrzunehmen und auszudrücken. Die genaue Benennung von Gefühlen wie Wut, Trauer, Langeweile und Niedergeschlagenheit beziehungsweise Freude, Zuneigung und Zufriedenheit gelingt ihnen dann nur unzureichend (vgl. Steier, Kunz & Kampe, 1994, S. 219).