THOMAS PIKETTY

KAPITAL
UND
IDEOLOGIE

Aus dem Französischen von André Hansen,
Enrico Heinemann, Stefan Lorenzer, Ursel Schäfer
und Nastasja S. Dresler

C.H.Beck

ZUM BUCH

«Lesen wir also dieses Buch zu Ende, und krempeln wir die Ärmel hoch. Thomas Piketty führt uns vor Augen, dass es an uns ist, Geschichte zu schreiben.»

Esther Duflo, Nobelpreisträgerin für Ökonomie

Mit dem Weltbestseller Das Kapital im 21. Jahrhundert hat Thomas Piketty eines der wichtigsten Bücher unserer Zeit geschrieben. Jetzt legt er mit einem gewaltigen Werk nach: Kapital und Ideologie ist eine so noch niemals geschriebene Globalgeschichte der sozialen Ungleichheit und ihrer Ursachen, eine unnachsichtige Kritik der zeitgenössischen Politik und zugleich der kühne Entwurf eines neuen und gerechteren ökonomischen Systems.

ÜBER DEN AUTOR

Thomas Piketty, geb. 1971, ist Professor an der École des hautes études en sciences sociales in Paris. Sein Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert wurde in 40 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als 2,5 Millionen Mal verkauft.

INHALT

VORWORT UND DANK

EINLEITUNG

Was ist eine Ideologie?

Die Grenze und das Eigentum

Ideologien ernst nehmen

Kollektives Lernen und die Sozialwissenschaften

Die in diesem Buch benutzten Quellen. Ungleichheiten und Ideologien

Der menschliche Fortschritt, die Wiederkehr der Ungleichheiten und die Vielfalt der Welt

Die Wiederkehr der Ungleichheiten. Erste Anmerkungen

Die Elefantenkurve. Für eine unaufgeregte Debatte über Globalisierung

Die Rechtfertigung extremer Ungleichheit

Aus der Geschichte lernen, aus dem 20. Jahrhundert lernen

Ideologische Erstarrung und neue Bildungsungleichheiten

Die Rückkehr der Multi-Eliten und die Schwierigkeit, eine Koalition für Gleichheit zu bilden

Eine Neubestimmung gerechten Eigentums, gerechter Bildung und gerechter Grenzen

Die Vielfalt der Welt. Der unverzichtbare Umweg über die langfristigen Entwicklungen

Über die Entsprechung von natürlicher und mathematischer Sprache

Plan des Buches

ERSTER TEIL: UNGLEICHHEITSREGIME IN DER GESCHICHTE

1.: DREIGLIEDRIGE GESELLSCHAFTEN:
TRIFUNKTIONALE UNGLEICHHEIT

Die Logik der drei Funktionen: Klerus, Adel, Dritter Stand

Dreigliedrige Gesellschaften und die Bildung des modernen Staates

Der Legitimationsverlust der dreigliedrigen Gesellschaften zwischen Revolutionen und Kolonisationen

Die Aktualität der dreigliedrigen Gesellschaften

Rechtfertigung von Ungleichheit in dreigliedrigen Gesellschaften

Vielfalt der Eliten, Einheit des Volkes?

Die dreigliedrigen Gesellschaften und die Bildung des Staates: Europa, Indien, China, Iran

2.: DIE EUROPÄISCHEN STÄNDEGESELLSCHAFTEN: MACHT UND EIGENTUM

Ständegesellschaften: ein Mächtegleichgewicht?

Die trifunktionale Ordnung, der Aufstieg der freien Arbeit und das Schicksal Europas

Die Größe von Klerus und Adel in Frankreich und deren Einnahmequellen

Die rückläufige Zahl von Adel und Klerus gegen Ende des Ancien Régime

Wie lässt sich die rückläufige Entwicklung des Adels erklären?

Der Adel: eine besitzende Klasse zwischen Revolution und Restauration

Die christliche Kirche als Eigentümerorganisation

Die Kirche als Eigentümer gegenüber familiärem Reichtum und Erbschaften

Das Kircheneigentum am Beginn von Wirtschaftsrecht und Kapitalismus?

3.: DIE ERFINDUNG DER EIGENTÜMERGESELLSCHAFTEN

Die «große Abgrenzung» von 1789 und die Erfindung des modernen Eigentums

Frondienste, Bannrecht, Pachten: vom Feudalismus zum Proprietarismus

Das Laudemium und die Überlagerung dauerhafter Rechte und Ansprüche im Ancien Régime

Kann man das Eigentum neu fassen, ohne sein Ausmaß zu berücksichtigen?

Wissen, Macht und Emanzipation: der Wandel der dreigliedrigen Gesellschaften

Die Revolution, der Zentralstaat und das Erlernen der Justiz

Die proprietaristische Ideologie zwischen Emanzipation und Sakralisierung

Die Rechtfertigung von Ungleichheit in Eigentümergesellschaften

4.: DIE EIGENTÜMERGESELLSCHAFTEN: DER FALL FRANKREICH

Die Französische Revolution und die Entwicklung einer Eigentümergesellschaft

Die Verringerung von Ungleichheiten: die Erfindung einer «vermögenden Mittelschicht»

Paris, Hauptstadt der Ungleichheit: von der Literatur zu den Erbschaftsarchiven

Die Diversifizierung von Portfolios und Eigentumsformen

Die Belle Époque (1880–1914): eine proprietaristische und inegalitäre Moderne

Das französische Steuersystem zwischen 1800 und 1914: ungestörte Akkumulation

Die quatre vieilles, die Steuer auf Kapital und die Steuer auf Einkommen

Das allgemeine Wahlrecht, das neue Wissen, der Krieg

Revolution, Frankreich und Gleichheit

Der Kapitalismus: ein Proprietarismus des Industriezeitalters

5.: DIE EIGENTÜMERGESELLSCHAFTEN: EUROPÄISCHE ENTWICKLUNGSWEGE

Die personelle Stärke von Klerus und Adel: die Vielfalt Europas

Militäradel, Besitzadel

Großbritannien und die schrittweise Entwicklung von der Drei-Stände- zur Eigentümergesellschaft

Der britische Adel, eine proprietaristische Aristokratie

Die Eigentümergesellschaften im klassischen Roman

Burkes Almanach, von den Baronets zu den Öl- und Gas-Milliardären

Die Lords: Garanten der proprietaristischen Ordnung

Der Kampf um die Steuerprogression und der Machtverlust des Oberhauses

Irland zwischen trifunktionaler, proprietaristischer und kolonialistischer Ideologie

Schweden und die verfassungsmäßige Einteilung der Gesellschaft in vier Stände

Ein Mann, hundert Stimmen: die schwedische Demokratie mit einem hyperstrengen Zensuswahlrecht (1865–1911)

Aktiengesellschaften, Zensuswahlrecht: welche Grenze für die Macht des Geldes?

Das Abdriften der Eigentümergesellschaften im 19. Jahrhundert in die Ungleichheit

Die drei Herausforderungen der Eigentümergesellschaften

ZWEITER TEIL: DIE SKLAVENHALTER- UND KOLONIALGESELLSCHAFTEN

6.: DIE SKLAVENHALTERGESELLSCHAFTEN: EXTREME UNGLEICHHEIT

Gesellschaften mit Sklaven, Sklavenhaltergesellschaften

Vereinigtes Königreich: Die Abschaffung der Sklaverei gegen Entschädigung von 1833–1843

Die proprietaristische Rechtfertigung der Entschädigung der Sklavenbesitzer

Frankreich: die zweimalige Abschaffung der Sklaverei 1794–1848

Haiti: wenn Sklavenbesitz zu öffentlichen Schulden wird

Die Abschaffung der Sklaverei von 1848: Entschädigung, disziplinierende Arbeitsstätten und Engagés.

Zwangsarbeit, Sakralisierung des Eigentums und die Frage der Wiedergutmachungen

Die Vereinigten Staaten: die Abschaffung der Sklaverei durch Krieg (1861–1865)

Die Unmöglichkeit, in den Vereinigten Staaten die Sklaverei schrittweise gegen Entschädigung abzuschaffen

Die proprietaristische und soziale Rechtfertigung der Sklaverei

Der «Wiederaufbau» und die Geburt des Sozialnativismus in den Vereinigten Staaten

Brasilien: die Abschaffung der Sklaverei durch den Kaiser und die Vermischung der Bevölkerungen (1888)

Russland: die Abschaffung der Leibeigenschaft durch einen schwachen Staat (1861)

7.: DIE KOLONIALGESELLSCHAFTEN: VIELFALT UND HERRSCHAFT

Die beiden Zeitalter des europäischen Kolonialismus

Siedlungskolonien, Kolonien ohne Besiedlung

Die sklavenhaltenden und kolonialen Gesellschaften: extreme Ungleichheit

Maximale Ungleichheit des Eigentums, maximale Ungleichheit des Einkommens

Eine Kolonisierung für die Kolonialherren: die Kolonialetats

Die Ausbeutung durch Sklaverei und Kolonialwirtschaft in historischer Perspektive

Von der brutalen kolonialen Appropriation zur Illusion des doux commerce

Die Schwierigkeit, von anderen Ländern besessen zu werden

Legalität im Mutterland, Legalität in den Kolonien

Legale Zwangsarbeit in den französischen Kolonien (1912–1946)

Ein später Kolonialismus: die Apartheid in Südafrika (1948–1994)

Das Ende des Kolonialismus und die Frage des demokratischen Föderalismus

Von der franko-afrikanischen Union zur Mali-Föderation

8.: DREIGLIEDRIGE GESELLSCHAFTEN UND KOLONIALISMUS: DER FALL INDIEN

Die Erfindung Indiens: erste Orientierungspunkte

Indien und das viergliedrige Kastensystem aus Brahmanen, Kshatriya, Vaishya und Shudra

Brahmanenstand, vegetarische Ernährung und Patriarchat

Die multikulturelle Vielfalt der Jatis, die viergliedrige Ordnung der Varnas

Hinduistischer Feudalismus, Aufbau des Staates und Wandel der Kasten

Die Besonderheit der Errichtung des Staates in Indien

Die Entdeckung Indiens und die von der Iberischen Halbinsel ausgehende Umzingelung des Islam

Herrschaft durch Waffen, Herrschaft durch Wissen

Die Volkszählungen der britischen Kolonialregierung in Indien (1871–1941)

Die Bevölkerungsanteile in den trifunktionalen Gesellschaften Indiens und Europas

Gebildete Eigentümer, Verwalter und soziale Kontrolle

Das koloniale Indien und die Verfestigung der Kasten

Das unabhängige Indien angesichts der ererbten Ungleichheiten im Status

Erfolge und Grenzen der positiven Diskriminierung indischer Art

Ungleichheiten beim Eigentum, Ungleichheiten im Status

Geschlechter- und soziale Quoten und die Bedingungen ihres Wandels

9.: DREIGLIEDRIGE GESELLSCHAFTEN UND KOLONIALISMUS: EURASISCHE ENTWICKLUNGSWEGE

Kolonialismus, Militärherrschaft und westlicher Wohlstand

Der Nachtwächterstaat und die zwei großen Sprünge des modernen Staates nach vorn

Staatliche Konkurrenz und damit einhergehende Innovationen: die Erfindung Europas

Smithianische Chinesen und mit Opium handelnde Europäer

Protektionismus und Merkantilismus: zu den Ursprüngen der «großen Divergenz»

Japan und die beschleunigte Modernisierung einer dreigliedrigen Gesellschaft

Von der sozialen Integration der Burakumin, der Unberührbaren und der Sinti und Roma

Die trifunktionale Gesellschaft und die Errichtung des chinesischen Staates

Die Beamtenprüfungen im kaiserlichen China: Gebildete, Vermögende und Krieger

Chinesische Aufstände und neue Weichenstellungen, die nicht ans Ziel gelangten

Ein Beispiel für eine geistliche konstitutionelle Republik: der Iran

Die antikolonialistische Legitimität des schiitischen Klerus

Egalitäre schiitische Republik, sunnitische Ölmonarchien: Reden und Realitäten

Gleichheit, Ungleichheit und Zakat in den muslimischen Ländern

Proprietarismus und Kolonialismus: die Globalisierung der Ungleichheit

DRITTER TEIL: DIE GROSSE TRANSFORMATION IM 20. JAHRHUNDERT

10.: DIE KRISE DER EIGENTÜMERGESELLSCHAFTEN

Die «große Transformation» der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts neu denken

Die Auflösung der Ungleichheiten und des Privateigentums (1914–1945)

Vom europäischen Proprietarismus zum Neoproprietarismus in den Vereinigten Staaten

Das Ende der Eigentümergesellschaften, die Stabilität der Ungleichheit bei Löhnen und Gehältern

Analyse des Einbruchs beim Privateigentum (1914–1950)

Enteignungen, Verstaatlichungen als Sanktionen und «gemischte Wirtschaft»

Private Ersparnisse, staatliche Verschuldung und Inflation

Ein Schlussstrich unter die Vergangenheit und die Sorge für Gerechtigkeit: Sondersteuern auf privaten Kapitalbesitz

Vom Absturz des Eigentums zu seiner dauerhaften Dekonzentration: die Rolle der progressiven Besteuerung

Die angelsächsischen Ursprünge der modernen progressiven Besteuerung

Der Aufstieg des Steuer- und Sozialstaats

Die Vielfalt der Abgaben und der Rolle der progressiven Besteuerung

Die Eigentümergesellschaften, die progressive Besteuerung und der Erste Weltkrieg

Die Rolle der gesellschaftlichen und ideologischen Auseinandersetzungen beim Sturz des Proprietarismus

Warum eine soziale Einbettung der Märkte nötig ist

Die Konkurrenz der Imperien und die Auflösung des europäischen Gleichgewichts

Von maßlosen Tributzahlungen zu einer neuen kriegerischen Ordnung

Der Niedergang der Eigentümergesellschaften, die Überwindung des Nationalstaats

Die föderale Union – zwischen demokratischem Sozialismus und Ordoliberalismus

11.: SOZIALDEMOKRATISCHE GESELLSCHAFTEN: DIE UNVOLLENDETE GLEICHHEIT

Die Verschiedenheit der europäischen sozialdemokratischen Gesellschaften

Der New Deal in den Vereinigten Staaten: eine sozialdemokratische Gesellschaft mit Abschlag

Die Grenzen der sozialdemokratischen Gesellschaften

Öffentliches Eigentum, soziales Eigentum, Eigentum auf Zeit

Die Macht aufteilen, gesellschaftliches Eigentum einführen: eine unvollendete Geschichte

Erfolge und Grenzen der deutschen Mitbestimmung

Die langsame Ausbreitung der Mitbestimmung in den deutschsprachigen und nordeuropäischen Ländern

Sozialisten, Labour Party und Sozialdemokraten: Wege, die sich kreuzen

Von der europäischen Mitbestimmung zum Vorschlag «2x + y»

Jenseits der Mitbestimmung: soziales Eigentum und die Aufteilung der Macht neu denken

Kooperativen und Selbstverwaltung: Kapital, Macht und Stimmrechte

Die Sozialdemokratie, die Bildung und der verlorene Vorsprung der Vereinigten Staaten

Die Vereinigten Staaten, das Land der frühen primären und sekundären Schulbildung

Der Absturz der unteren Schichten in den Vereinigten Staaten seit 1980

Die Auswirkungen des Rechts-, Steuer- und Bildungssystems auf die primäre Ungleichheit

Die zunehmende Bedeutung der Hochschulbildung und die neue Stratifikation von Bildung und Gesellschaft in der Welt

Kann man seinen Studienplatz kaufen?

Ungleicher Zugang zu Bildung in Europa und in den Vereinigten Staaten

Gleicher Zugang zu Bildung, der Ursprung des Wachstums in der modernen Zeit

Die Sozialdemokratie und die gerechte Besteuerung: eine unvollständige Begegnung

Die Sozialdemokratie und die Überwindung des Kapitalismus und des Nationalstaats

Die Globalisierung und die Liberalisierung der Kapitalströme neu denken

Die Vereinigten Staaten, Europa und die Steuer auf Eigentum: eine unvollendete Debatte

Die progressive Eigentumsteuer oder die permanente Landreform

Das Beharrungsvermögen der Steuern auf Eigentum, die im 18. Jahrhundert entstanden

Kollektive Lernprozesse und künftige Perspektiven für die Besteuerung von Eigentum

Gemeinsamkeiten und Wiederentdeckungen bei der Steuer auf Eigentum

12.: KOMMUNISTISCHE UND POSTKOMMUNISTISCHE GESELLSCHAFTEN

Kann man ohne eine Eigentumstheorie Macht ausüben?

Vom Überleben des «Marxismus-Leninismus» an der Macht

Glück und Unglück der kommunistischen und antikolonialistischen Emanzipation

Der Kommunismus und die Frage der legitimen Unterschiede

Die Rolle des Privateigentums in einer dezentralisierten gesellschaftlichen Organisation

Das postkommunistische Russland: der Aufstieg von Oligarchen und Kleptokraten

Wenn Offshore-Geldanlagen den Gesamtwert der legalen Geldanlagen übersteigen

An den Ursprüngen der «Schocktherapie» und der russischen Kleptokratie

China als autoritäre gemischte Wirtschaft

Negative staatliche Vermögen, Allmacht des Privateigentums

Flucht nach vorn in die Verschuldung und die unterstellte Unmöglichkeit einer gerechten Besteuerung

Grenzen der chinesischen Ungleichheitstoleranz

Von der Undurchsichtigkeit der Ungleichheit in China

China zwischen Kommunismus und Plutokratie

Die Auswirkung der Kulturrevolution auf die Wahrnehmung der Ungleichheiten

Das chinesische Modell und die Überwindung der parlamentarischen Demokratie

Die Wahldemokratie, die Grenzen und das Eigentum

Die Einheitspartei und die Reformierbarkeit der gelenkten Demokratie

Osteuropa: ein Labor enttäuschter Hoffnungen nach dem Ende des Kommunismus

Die «Naturalisierung» der Marktkräfte in der Europäischen Union

Der Postkommunismus und die sozialnativistische Falle

13.: DER HYPERKAPITALISMUS: ZWISCHEN MODERNE UND RÜCKWÄRTSGEWANDTHEIT

Formen der Ungleichheit in der Welt des 21. Jahrhunderts

Der Nahe Osten, der Gipfel der Ungleichheiten

Die Messung von Ungleichheiten und die Frage nach der demokratischen Transparenz

Mangelnde Transparenz der Staaten in Steuerangelegenheiten

Soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit

Die Ungleichheit der CO2-Emissionen verschiedener Länder und verschiedener Personen

Die Messung der Ungleichheit und der Rückzug der Staaten

Die Intransparenz durchbrechen: ein staatliches Finanzkataster

Die Verarmung der staatlichen Statistik im Informationszeitalter

Der Neoproprietarismus, die Intransparenz von Vermögen und der Steuerwettbewerb

Die Hyperkonzentration der Vermögen und ihre Hartnäckigkeit

Die Beharrungskraft des Patriarchats im 21. Jahrhundert

Die Verelendung der armen Staaten und die Liberalisierung des Handels

Wird die Geldschöpfung uns retten?

Der Neoproprietarismus und die neue Geldordnung

Neoproprietarismus und Ordoliberalismus: Von Hayek zur EU

Die Erfindung der Meritokratie und des Neoproprietarismus

Von der philanthropischen Illusion zur Vergötterung der Milliardäre

VIERTER TEIL: EIN NEUER BLICK AUF DEN POLITISCHEN KONFLIKT

14.: GRENZE UND EIGENTUM: DIE KONSTRUKTION DER GLEICHHEIT

Dekonstruktion der Linken und der Rechten: die Dimensionen des soziopolitischen Konflikts

Die Linke seit 1945: von der Arbeiterpartei zur Akademikerpartei

Zu einer globalen Untersuchung der politisch-ideologischen Lager

Für eine länderübergreifende Untersuchung der ethnischen Bruchlinien und des Sozialnativismus

Erneuerung der politischen Parteien, Rückgang der Wahlbeteiligung

Der Rückzug der Unterschichten von den Wahlen

Umkehrung des Bildungsgefälles: die neue Akademikerpartei

Die Beständigkeit der Umkehrung des Bildungsgefälles

Umkehrung des Bildungsgefälles, Neudefinition der beruflichen Gruppierungen

Die Linke und die Unterschicht: Anatomie eines Bruchs

Die «brahmanische Linke»: soziale Gerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit

Bedarf an neuen Normen für Bildungsgerechtigkeit

Das Eigentum, die Linken und die Rechten

Die Linke und die Selbstständigen im 20. Jahrhundert: die Chronik eines gegenseitigen Misstrauens

Stärken und Schwächen der «brahmanischen Linken» und der «kaufmännischen Rechten»

Die Wiederkehr von Spaltungen nach nationaler Identität und Religion

Der Aufstieg des Nativismus und die große politisch-religiöse Zerrüttung

Religiöse Spaltungen, Spaltungen aufgrund der Herkunft: die Fallstricke der Diskriminierung

Die Grenze und das Eigentum: die viergeteilte Wählerschaft

Die Instabilität der viergeteilten Wählerschaft

Gelbwesten, Kohlendioxid und Vermögensteuer: die sozialnativistischen Fallstricke in Frankreich

Europa und die Unterschichten: ein Bruch

Die neoproprietaristische Instrumentalisierung Europas

15.: BRAHMANISCHE LINKE: DIE NEUEN EURO-AMERIKANISCHEN BRUCHLINIEN

Die Wandlungen des Parteiensystems in den Vereinigten Staaten

Werden die Demokraten zur Partei der Globalisierungsgewinner?

Über das politische Ausschlachten der Rassenspaltung in den Vereinigten Staaten

«Welfare queens» und «Rassenquoten»: die republikanische Südstaatenstrategie

Wählerlager und Identitätskonflikte: Blicke über den Atlantik

Über fließende Identitäten und die Gefahren starrer Kategorien

Die Demokraten, die «brahmanische Linke» und die Rassenfrage

Ungenutzte Chancen und verpasste Abzweigungen: Von Reagan zu Sanders

Die Wandlungen des Parteiensystems in Großbritannien

«Brahmanische Linke» und «kaufmännische Rechte» in Großbritannien

Wachsende religiöse und ethnische Spaltungen im postkolonialen Großbritannien

Die Politisierung der Einwanderung in Großbritannien, von Powell zur UKIP

Die europäische Entzweiung und die unteren Volksschichten

16.: SOZIALNATIVISMUS: DIE POSTKOLONIALE IDENTITÄTSFALLE

Von der Arbeiterpartei zur Akademikerpartei: Ähnlichkeiten und Varianten

Den Zerfall des Links-Rechts-Parteiensystems der Nachkriegszeit neu denken

Die Entstehung des Sozialnativismus im postkommunistischen Osteuropa

Die Entstehung des Sozialnativismus: der italienische Fall

Die Falle des Sozialnativismus und die europäische Ernüchterung

Die Demokratische Partei – ein erfolgreicher Sozialnativismus?

Der zwischenstaatliche Wettbewerb und die nativistische Marktideologie

Die nativistische Marktideologie und ihre Verbreitung

Die Möglichkeit eines europäischen Sozialföderalismus

Die Konstruktion eines transnationalen demokratischen Raums

Eine europäische parlamentarische Souveränität auf der Grundlage souveräner nationaler Parlamente schaffen

Vertrauen wiederherstellen, gemeinsame Gerechtigkeitsnormen schaffen

Die permanente Staatsschuldenkrise in Europa überwinden

Aus der Geschichte der Schulden lernen und neue Lösungen finden

Die politischen Voraussetzungen der sozial-föderalistischen Umgestaltung Europas

Die separatistische Falle und das katalanische Syndrom

Ideologische Unstimmigkeit, Steuerdumping und das Kleine-Länder-Syndrom

Die sozial-lokalistische Falle und die Konstruktion des transnationalen Staates

Die Entstehung des Parteiensystems und der Wählerlager in Indien

Politische Konfliktlinien in Indien: Zwischen Klasse, Kaste und Religion

Das allmähliche Hervortreten der Klassenspaltungen in Indien

Die Schicksalsgemeinschaft der unteren Schichten erkennen

Bruchlinien zwischen Klassen und zwischen Identitäten: die sozialnativistische Falle in Indien

Die Zukunft der Klassenspaltung und die Umverteilung in Indien: Wechselwirkungen

Die unvollendete Politisierung der Ungleichheit in Brasilien

Bruchlinien zwischen Identitäten, Bruchlinien zwischen Klassen: die Grenze und das Eigentum

Sackgassen und Fallstricke der Debatte über den Populismus

17.: ELEMENTE EINES PARTIZIPATIVEN SOZIALISMUS FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT

Gerechtigkeit als Partizipation: Teilhabe, Beratung, Mitbestimmung

Die Überwindung des Kapitalismus und des Privateigentums

Die Macht in Unternehmen aufteilen. Eine Teststrategie

Progressive Eigentumsteuer und Kapitalzirkulation

Eigentumsstreuung und allgemeine Kapitalausstattung

Das Triptychon der progressiven Steuer: Eigentum, Erbschaft, Einkommen

Die Rückkehr der Steuerprogression und die permanente Landreform

Für ein soziales und temporäres Eigentum

Vermögenstransparenz innerhalb eines einzelnen Landes

Zur Verankerung des Prinzips der Steuergerechtigkeit in der Verfassung

Grundeinkommen und gerechter Lohn: die Rolle der progressiven Einkommensteuer

Zur Frage der progressiven Besteuerung von CO2-Emissionen

Für die Einführung von Normen der Bildungsgerechtigkeit

Die Bildungsheuchelei beenden, für Transparenz sorgen

Gerechte Demokratie: Gutscheine für demokratische Gleichheit

Für eine partizipative und egalitäre Demokratie

Gerechte Grenzen. Über den globalen Sozialföderalismus nachdenken

Für eine transnationale Gerechtigkeit

Zwischen Kooperation und Abschottung: die Entwicklung des transnationalen Ungleichheitsregimes

SCHLUSSWORT

Geschichte als Kampf der Ideologien und Suche nach Gerechtigkeit

Über die Grenzen der Entwestlichung des Blicks

Über die staatsbürgerliche und politische Rolle der Sozialwissenschaften

INHALTSÜBERSICHT

AUFLISTUNG DER GRAFIKEN UND TABELLEN

PERSONENREGISTER

VORWORT UND DANK

Dieses Buch setzt Das Kapital im 21. Jahrhundert fort, aber es kann auch unabhängig von ihm gelesen werden. Ganz wie sein Vorgänger bringt es eine kollektive Arbeit zum Abschluss, die ohne die Mitarbeit und Unterstützung sehr vieler Freunde und Kollegen nie hätte entstehen können. Für die Deutungen und Analysen, die auf den folgenden Seiten vorgelegt werden, bin selbstverständlich ich allein verantwortlich; aber nie hätte ich aus eigener Kraft die historischen Quellen zusammentragen können, auf die sich diese Untersuchung gründet.

Ich stütze mich namentlich auf die in der World Inequality Database gesammelten Daten (http://WID.world). Das unter diesem Namen laufende Projekt beruht auf den vereinten Anstrengungen von mehr als 100 Forschern und deckt inzwischen mehr als 80 Länder auf sämtlichen Kontinenten ab. Es bietet die umfassendste Datenbank zur historischen Entwicklung von Einkommens- und Vermögensungleichheiten innerhalb der einzelnen Länder wie zwischen ihnen, die derzeit verfügbar ist.

Darüber hinaus habe ich in diesem Buch zahlreiche andere Quellen und Materialien zu Zeiträumen, Ländern oder Aspekten konsultiert, die von WID.world nur unzureichend erfasst werden, zum Beispiel zu vorindustriellen Gesellschaften oder Kolonialgesellschaften, aber auch zu Status-, Berufs-, Bildungs-, Geschlechter-, Rassen- oder Religionsungleichheiten, zu politischen Einstellungen und zum Wahlverhalten.

Leser, die sich genauer über die Gesamtheit der historischen Quellen, bibliographischen Angaben oder über die Methoden informieren möchten, derer ich mich bediene, sind eingeladen, den online verfügbaren Technischen Anhang zu Rate zu ziehen (im Haupttext des Buches oder den Fußnoten konnten nur die wichtigsten Quellen und Belege zitiert werden): http://piketty.pse.ens.fr/files/AnnexeKIdeologie.pdf.

Alle statistischen Reihen, Grafiken und Tabellen, die im Buch vorgelegt werden, sind ebenfalls online verfügbar: http://piketty.pse.ens.fr/ideologie. Wer sich dafür interessiert, wird dort auch eine große Zahl zusätzlicher Grafiken und Datenreihen finden, die nicht ins Buch aufgenommen wurden, um es nicht zu überfrachten, auf die ich mich aber in den Fußnoten manchmal beziehe.

Besonders dankbar bin ich Facundo Alvaredo, Lucas Chancel, Emmanuel Saez und Gabriel Zucman. Gemeinsam haben wir das Projekt WID.world und den Laboratoire sur les inégalités mondiales an der École d’économie de Paris und der University of California, Berkeley ins Leben gerufen. Aus diesem Projekt ist jüngst der Rapport sur les inégalités mondiales 2018 hervorgegangen (http://wir2018.wid.world), auf den ich in diesem Buch häufig zurückgreife. Mein Dank gilt auch den Institutionen, die dieses Projekt möglich gemacht haben, zuallererst der École des Hautes Études en Sciences Sociales, an der ich seit 2000 lehre und die eine der wenigen Einrichtungen auf der Welt ist, in der alle Sozialwissenschaften einander Gehör schenken und sich austauschen können, aber auch der École Normale supérieure und all den anderen Einrichtungen, die 2007 mit vereinten Kräften die École d’économie de Paris ins Leben gerufen haben, eine Schule, die, wie ich hoffe, in diesem beginnenden 21. Jahrhundert zur Entfaltung einer multipolar und interdisziplinär angelegten historischen und politischen Ökonomie beitragen wird.

Für ihre wertvolle Hilfe danke ich auch Lydia Assouad, Abhijit Banerjee, Adam Barbé, Charlotte Bartels, Nitin Barthi, Asma Benhenda, Erik Bengtsson, Yonatan Berman, Thomas Blanchet, Cécile Bonneau, Jérôme Bourdieu, Antoine Bozio, Cameron Campbell, Guillaume Carré, Guilhem Cassan, Amélie Chelly, Bijia Chen, Denis Cogneau, Léo Czajka, Mark Dincecco, Mauricio de Rosa, Esther Duflo, Luis Estevez-Bauluz, Ignacio Flores, Juliette Fournier, Bertrand Garbinti, Amory Gethin, Yajna Govind, Jonathan Goupille-Lebret, Julien Grenet, Jean-Yves Grenier, Malka Guillot, Pierre-Cyrille Hautcoeur, Simon Henochsberg, Mark Jemmama, Francesca Jensenius, Fabian Kosse, Attila Lindner, Noam Maggor, Clara Martinez Toledano, Ewan McGaughey, Cyril Milhaud, Marc Morgan, Eric Monnet, Mathilde Munoz, Alix Myczkowki, Delphine Nougayrede, Filip Novokmet, Katharina Pistor, Gilles Postel-Vinay, Jean-Laurent Rosenthal, Aurélie Sotura, Alessandro Stanziani, Blaise Truong-Lo, Sebastien Veg, Richard Von Glahn, Marlous van Waijenburg, Daniel Waldenström, Li Yang, Tom Zawisza, Roxane Zighed; ganz wie all meinen Freunden und Kollegen vom Centre François-Simiand d’histoire économique et sociale und vom Centre de recherches historiques der École des Hautes Études en Sciences Sociales und der École d’économie de Paris.

Dieses Buch hat auch davon profitiert, dass ich seit 2013, als Das Kapital im 21. Jahrhundert in Frankreich erschien, das große Glück hatte, an sehr vielen Debatten und Diskussionen teilnehmen zu dürfen. Einen großen Teil der Jahre 2014–2016 habe ich damit verbracht, um die Welt zu reisen und äußerst debattierfreudige Leser, Forscher, Gegner kennenzulernen. Ich habe an Hunderten von Diskussionen über mein Buch und die von ihm aufgeworfenen Fragen teilgenommen. All diese Begegnungen haben mich unendlich viel gelehrt und es mir erlaubt, meine Überlegungen zur historischen Dynamik von Ungleichheiten zu vertiefen.

Unter den vielen Unzulänglichkeiten meines Buchs von 2013 sollten zwei ausdrücklich erwähnt werden. Zum einen konzentriert es sich viel zu sehr auf den Westen. Es räumt den Erfahrungen der sogenannten «westlichen» Länder (Westeuropa, Nordamerika, Japan) einen unverhältnismäßig großen Raum ein. Das liegt unter anderem daran, dass Quellen für andere Länder und Weltregionen schwer zugänglich waren, aber es führt doch zu einer erheblichen Verengung des Blicks und der Reflexion. Zum anderen neigt Das Kapital im 21. Jahrhundert dazu, politisch-ideologische Entwicklungen, die von den beschriebenen Ungleichheiten und Umverteilungen nicht zu trennen sind, als eine Art black box zu behandeln. Natürlich stellt es die eine oder andere Hypothese auf und geht etwa darauf ein, wie sehr die Weltkriege, die Wirtschaftskrisen und die kommunistische Herausforderung im 20. Jahrhundert das Ihre dazu beigetragen haben, die Vorstellung von Ungleichheit und Privateigentum wie die Einstellungen zu ihnen zu verändern. Aber es tut dies, ohne die Frage nach der Entwicklung von Ungleichheitsideologien wirklich als solche zu stellen. Es ist diese Frage, der ich in dieser neuen Arbeit sehr viel ausdrücklicher nachzugehen versuche, indem ich sie in einem zeitlich wie räumlich ungleich weiter gefassten Vergleichshorizont erörtere.

Dank des Erfolgs meines Buchs von 2013 und der Unterstützung Hunderter von Bürgern, Forschern und Journalisten konnten wir in den letzten Jahren Quellen erschließen, zu denen uns die Regierungen der betreffenden Länder keinen Zugang gewährt hatten, etwa in Brasilien und Indien, Südafrika und Tunesien, im Libanon und in der Elfenbeinküste, in Korea und Taiwan, Polen und Ungarn und, leider weniger umfänglich, in China und Russland. Das ermöglicht es mir, in diesem neuen Buch die Beschränkung auf den westlichen Rahmen hinter mir zu lassen und eine dichtere Analyse von Ungleichheitsregimen in ihrer ganzen Vielfalt, aber auch möglicher anderer Wege und Abzweigungen vorzulegen. Vor allem haben diese Jahre der Begegnung, des Austauschs und der Lektüre mir die Gelegenheit geboten, zu lernen und gründlicher über die politisch-ideologische Dynamik von Ungleichheiten nachzudenken, aber auch neue Quellen zu politischen Diskursen und Haltungen auszuwerten, die Stellung zur Frage der Ungleichheit beziehen, um ein Buch zu schreiben, das mir reicher als sein Vorgänger scheint, den es zugleich weiterführt. Das Resultat liegt vor, und jeder mag sich selbst ein Urteil bilden.

Schließlich wäre nichts möglich ohne meine Familie. Sechs glückliche Jahre sind seit der Redaktion und Veröffentlichung von Das Kapital im 21. Jahrhundert vergangen. Meine drei geliebten Töchter sind zu jungen Erwachsenen geworden (oder beinahe: zwei Jahre noch, Hélène, bis Deborah und Juliette dich im Club willkommen heißen!). Ohne ihre Liebe und ihre Energie wäre das Leben nicht, was es ist. Und Julia und ich, wir haben nicht aufgehört zu reisen, uns auszutauschen, Bekanntschaften zu schließen, uns wiederzulesen und wiederzuschreiben, uns in endlosen Gesprächen über die Welt auszutauschen. Sie allein weiß, was dieses Buch ihr alles schuldet, was ich ihr alles schulde. So soll es weitergehen!

EINLEITUNG

Jede menschliche Gesellschaft muss ihre Ungleichheiten rechtfertigen. Sie muss gute Gründe für sie finden, da andernfalls das gesamte politische und soziale Gebäude einzustürzen droht. So bringt jedes Zeitalter eine Reihe kontroverser Diskurse und Ideologien hervor, um Ungleichheit in der Gestalt, in der es sie gibt oder geben sollte, zu legitimieren und wirtschaftliche, soziale und politische Regeln aufzustellen, die geeignet sind, das gesellschaftliche Ganze zu organisieren. Dieser zugleich intellektuellen, institutionellen und politischen Auseinandersetzung entspringen im Allgemeinen eine oder mehrere herrschende Erzählungen, auf die sich die bestehenden Ungleichheitsregime stützen.

In den heutigen Gesellschaften übernimmt diese Rolle vor allem die proprietaristische[1] und meritokratische, den Unternehmergeist beschwörende Erzählung: Die moderne Ungleichheit ist gerecht und angemessen, da sie sich aus einem frei gewählten Verfahren ergibt, in dem jeder nicht nur die gleichen Chancen des Marktzugangs und Eigentumserwerbs hat, sondern überdies ohne sein Zutun von dem Wohlstand profitiert, den die Reichsten akkumulieren, die folglich unternehmerischer, verdienstvoller, nützlicher als alle anderen sind. Und dadurch sind wir auch himmelweit entfernt von der Ungleichheit älterer Gesellschaften, die auf starren, willkürlichen und oft repressiven Statusunterschieden beruhte.

Das Problem ist, dass diese große proprietaristische und meritokratische Erzählung, die im 19. Jahrhundert, nach dem Niedergang der Ständegesellschaften des Ancien Régime, ihre erste Sternstunde erlebte und Ende des 20. Jahrhunderts, nach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus und dem Triumph des Hyper-Kapitalismus, eine radikale Reformulierung globalen Zuschnitts erfahren hat, immer weniger tragfähig scheint. Sie führt zu Widersprüchen, die in Europa und den Vereinigten Staaten, in Indien und Brasilien, China und Südafrika, Venezuela und dem Nahen Osten gewiss ganz unterschiedliche Formen annehmen. Gleichwohl sind diese verschiedenen, teilweise auch gekoppelten Wegverläufe, die einer je eigenen Geschichte entspringen, zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts immer enger miteinander verbunden. Nur aus einer transnationalen Perspektive werden wir daher die Schwachstellen dieses Narrativs besser verstehen und die Rekonstruktion einer alternativen Erzählung ins Auge fassen können.

Tatsächlich sind wachsende sozio-ökonomische Ungleichheiten seit den 1980er und 1990er Jahren in fast allen Teilen der Welt zu verzeichnen. In manchen Fällen haben sie so dramatische Ausmaße angenommen, dass es zusehends schwieriger wird, sie im Namen des Allgemeininteresses zu rechtfertigen. Zudem gähnt allenthalben ein Abgrund zwischen den offiziellen meritokratischen Verlautbarungen und den Realitäten, mit denen sich die beim Bildungs- und Reichtumserwerb benachteiligten Klassen konfrontiert sehen. Allzu oft dient der meritokratische, das Unternehmertum preisende Diskurs den Gewinnern des heutigen Wirtschaftssystems offenbar dazu, auf bequeme Weise jedes erdenkliche Ungleichheitsniveau zu rechtfertigen, ohne es überhaupt in Augenschein nehmen zu müssen, und die Verlierer ob ihres Mangels an Verdienst, Fleiß und sonstigen Tugenden zu brandmarken. Diese Schuldigsprechung der Ärmsten hat es in früheren Ungleichheitsregimen, die eher die funktionale Entsprechung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen im Auge hatten, nicht oder zumindest nicht in diesem Ausmaß gegeben.

Die moderne Ungleichheit zeichnet sich denn auch durch eine Reihe von Diskriminierungspraktiken und ethnisch-religiösen oder den Rechtsstatus betreffenden Ungleichheiten aus, deren gewaltsamer Charakter zu den meritokratischen Ammenmärchen so recht nicht passen will und uns vielmehr in die Nähe der brutalsten Formen vergangener Ungleichheiten rückt, mit denen wir doch nichts gemein haben wollen. Man denke an die Diskriminierung, der Obdachlose oder Menschen einer bestimmten Herkunft und aus bestimmten Vierteln ausgesetzt sind. Oder an die Migranten, die im Mittelmeer ertrinken. Angesichts dieser Widersprüche und mangels eines neuen glaubhaften universalistischen Gleichheitshorizontes, den wir bräuchten, um uns den wachsenden Herausforderungen zu stellen, mit denen Ungleichheit, Migration und Klimawandel uns konfrontieren, steht zu befürchten, dass mehr und mehr die identitäre und nationalistische Abschottung als große Ersatzerzählung einspringt, wie es im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachten war und in diesem beginnenden 21. Jahrhundert in den verschiedensten Teilen der Welt abermals zu beobachten ist.

Es war der Erste Weltkrieg, der einen Prozess zunächst des Abbruchs, dann der Neubestimmung jener Globalisierung der Geschäfts- und Finanzwelt in Gang setzte, die zu stark wachsender Ungleichheit in der «Belle Époque» (1880–1914) geführt hatte – in einer Epoche, die belle allenfalls im Vergleich mit der Entfesselung von Gewalt heißen kann, die auf sie folgen sollte. Schön war sie in Wahrheit bloß für die Besitzenden, und namentlich für den weißen besitzenden Mann. Wenn das heutige Wirtschaftssystem nicht zutiefst verwandelt wird, um es in den einzelnen Ländern, aber auch zwischen ihnen egalitärer, gerechter und nachhaltiger zu machen, dann könnte es sein, dass der fremdenfeindliche «Populismus» und seine möglichen Wahlerfolge es sind, die sehr bald die hyper-kapitalistische und digitale Globalisierung der Jahre 1990–2020 in einen Zerfallsprozess eintreten lassen.

Um diese Gefahr zu bannen, bleiben unsere größten Trümpfe das Wissen und die Geschichte. Jede menschliche Gesellschaft muss ihre Ungleichheiten rechtfertigen, und in solchen Rechtfertigungen steckt immer beides: Wahrheit und Übertreibung, Einbildungskraft und Niedertracht, Idealismus und Egoismus. Ungleichheitsregime, wie sie in dieser Untersuchung definiert werden, zeichnen sich durch ein Zusammenspiel von Diskursen und institutionellen Einrichtungen aus, die der Rechtfertigung und Organisation wirtschaftlicher, sozialer und politischer Ungleichheit in den jeweiligen Gesellschaften dienen. Jedes Regime hat seine Schwächen, und keines kann überleben, ohne sich ständig neu zu definieren, oft in gewaltsamen Auseinandersetzungen, oft aber auch im Rückgriff auf geteilte Erfahrungen und Erkenntnisse. Dieses Buch befasst sich mit der Geschichte und Zukunft von Ungleichheitsregimen. Indem ich historisches Material aus weit auseinanderliegenden Gesellschaften zusammentrage, die meist nichts voneinander wissen oder es ablehnen, miteinander verglichen zu werden, hoffe ich aus einer globalen und transnationalen Perspektive zu einem besseren Verständnis der derzeitigen Veränderungen beizutragen.

Eine wichtige Schlussfolgerung aus dieser historischen Analyse wird lauten, dass es der Kampf für Gleichheit und Bildung war, der die Wirtschaftsentwicklung und den menschlichen Fortschritt möglich gemacht hat, nicht die Heiligsprechung von Eigentum, Stabilität und Ungleichheit. An der neuen ultra-inegalitären Erzählung, die sich seit den 1980er Jahren durchgesetzt hat, sind die Geschichte und das Desaster des Kommunismus nicht unschuldig. Aber sie ist auch die Frucht der Unkenntnis wie der Zerstückelung des Wissens und hat erheblich dazu beigetragen, den Fatalismus und die identitären Auswüchse zu nähren, mit denen wir es heute zu tun haben. Nimmt man aus einer interdisziplinären Perspektive den Faden der Geschichte wieder auf, so wird es möglich, zu einer ausgewogeneren Erzählung zu kommen, um die Umrisse eines neuen partizipativen Sozialismus für das 21. Jahrhundert zu zeichnen und den universalistischen Horizont einer neuen Ideologie der Gleichheit, des gesellschaftlichen Eigentums, der Bildung, der Wissens- und Machtverteilung zu erschließen. Diese Erzählung ist optimistischer, sie setzt größeres Vertrauen in die menschliche Natur. Aber sie ist auch genauer und plausibler als die überkommenen Erzählungen, weil sie die Lehren beherzigt, die wir aus einer globalen Geschichte ziehen können. Natürlich bleibt es jedem selbst überlassen, sich ein Urteil zu bilden und sich diese ebenso anfechtbaren wie vorläufigen Schlüsse anzuverwandeln, sie zu verändern und weiterzuführen.

Bevor ich die Anlage dieses Buches und die verschiedenen Etappen meiner historischen Darstellung vorstelle, von den dreigliedrigen Gesellschaften und Sklavenhaltergesellschaften bis zu den modernen postkolonialen und hyper-kapitalistischen Gesellschaften, will ich erläutern, auf welche Hauptquellen ich mich stütze und in welchem Sinne mein vorheriges Buch, Das Kapital im 21. Jahrhundert, durch diese Arbeit fortgesetzt wird. Zunächst möchte ich aber kurz den Ideologiebegriff vorstellen, den diese Untersuchung verwendet.

Was ist eine Ideologie?

Ich werde im Rahmen dieses Buchs versuchen, einen positiven und konstruktiven Ideologiebegriff zu verwenden, der Ideologie als Gefüge von Ideen und Diskursen versteht, die auf grundsätzlich plausible Weise beschreiben wollen, wie die Gesellschaft zu organisieren sei. Dabei soll die jeweilige Ideologie in ihren zugleich sozialen, ökonomischen und politischen Dimensionen betrachtet werden. Ideologien sind mehr oder weniger schlüssige Versuche, Antworten auf eine Reihe extrem weit gefasster Fragen zu geben, die um die erstrebenswerte oder ideale Organisation der Gesellschaft kreisen. Bedenkt man die Komplexität dieser Fragen, so versteht es sich von selbst, dass keine Ideologie je eine angemessene und erschöpfende Antwort auf sie alle bereithalten wird und Konflikte und Meinungsverschiedenheiten daher etwas sind, das der Ideologie selber innewohnt. Dennoch muss jede Gesellschaft um Antworten auf solche Fragen ringen, oft auf der Grundlage eigener historischer Erfahrungen, aber manchmal auch im Rückgriff auf Erfahrungen anderer Gesellschaften. Und grundsätzlich fühlt sich auch jeder Einzelne aufgefordert, sich eine Meinung zu diesen fundamentalen und existenziellen Fragen zu bilden, wie unbestimmt und unzulänglich sie auch sein mag.

Dabei steht insbesondere das politische Regime infrage, also die Gesamtheit der Regeln, die eine Gemeinschaft definieren und ihr Hoheitsgebiet abstecken, die Mechanismen kollektiver Beschlussfassung und die politischen Rechte ihrer Mitglieder. Darunter fallen die unterschiedlichen Formen politischer Teilhabe und Mitbestimmung ebenso wie die Rolle von Einwohnern und Ausländern, Präsidenten und Versammlungen, Ministern und Königen, Parteien und Wahlen, Kolonialreichen und Kolonien.

Es geht aber auch um die Frage des Eigentumsregimes, das heißt der Gesamtheit der Regeln, die über mögliche Eigentumsformen entscheiden, sowie der Rechtsmittel und Praktiken, die die Eigentumsverhältnisse zwischen den jeweiligen Gesellschaftsgruppen regeln und über die Einhaltung dieser Regeln wachen. Die Rolle des privaten und öffentlichen Eigentums, des Eigentums an Immobilien und Finanzwerten, Sklaven, Agrarland und Bodenschätzen, an geistigen und immateriellen Gegenständen steht hier ebenso auf dem Spiel wie die Beziehung zwischen Eigentümern und Mietern, Adligen und Bauern, Herren und Sklaven, Aktionären und Lohnempfängern.

Jede Gesellschaft, also jedes Ungleichheitsregime gibt mehr oder weniger schlüssige Antworten auf die Frage des politischen Regimes und des Eigentumsregimes. Diese zwei Reihen von Antworten und Diskursen sind häufig eng miteinander verknüpft, entspringen sie doch beide nicht zuletzt einer Theorie der sozialen Ungleichheit und der (realen oder angenommenen, legitimen oder verwerflichen) Ungleichgewichte zwischen den jeweiligen sozialen Gruppen. Sie schließen im Allgemeinen zahlreiche andere intellektuelle und institutionelle Einrichtungen ein, namentlich ein Bildungssystem (das heißt Regeln und Institutionen, die geistige und kognitive Übertragung erlauben: Familien und Kirchen, Väter und Mütter, Schulen und Universitäten) und ein Steuersystem (das heißt Einrichtungen, die es erlauben, Staaten und Regionen, Kommunen und Kolonialreiche ebenso mit Mitteln zu versorgen wie soziale, religiöse und kollektive Organisationen ganz unterschiedlicher Art). Die Antworten im Hinblick auf diese verschiedenen Problemdimensionen können indessen erheblich voneinander abweichen. Man mag sich über die Frage der politischen Ordnung, aber nicht über die der Eigentumsordnung einig sein, oder über diesen, aber nicht jenen Aspekt der Fragen zum Steuer- oder Bildungssystem. Der ideologische Konflikt ist fast immer mehrdimensional, auch wenn eine Achse in den Vordergrund treten mag, zumindest eine Zeit lang, was die Illusion eines umfassenden Konsensus erzeugen und mitunter zur Mobilisierung weiter Teile der Bevölkerung und zu großen historischen Umwälzungen führen kann.

Die Grenze und das Eigentum