Otto Goldmann

Das Gespenst

Kriminalroman
e-artnow, 2022
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EAN 4066338123787

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel

1. Kapitel

»Riskieren Sie's man ruhig, det is ne janz feine Sache!« meinte grinsend der blonde, sonnenverbrannte Matrose zu dem eleganten Herrn im hellgrauen Sommeranzuge, der auf dem Bahnhof Grunewald unschlüssig die steilen eisernen Stufen musterte, die sich an der Rückwand des letzten Wagens emporwanden.

Ja, das war eine »tolle Sache«!

Die Stadtbahn nach Potsdam war überfüllt, wie nur Berliner Stadtbahnzüge es sein können. Die Wagen glichen vollgepackten Konservenbüchsen, aus denen menschliche Gesichter und Arme wie wild durcheinander geratene Heringsköpfe und -Schwänze herausragten.

Der Stationsvorsteher gab das Zeichen zur Abfahrt.

Der Zugführer stemmte sich mit der Schulter gegen eine halboffene Tür. Die fünfzehn, zwanzig Insassen dieses Wagens ließen ihre Lungen zusammenschrumpfen, um sich möglichst schmal und heringshaft zu machen. Und richtig – so ging denn die Tür auch endlich zu. Der Beamte schwang sich in sein Dienstabteil und der Zug begann, sich schnaubend und ächzend in Bewegung zu setzen.

Der Herr in dem grauen Sommeranzuge sah sich mit einem schnellen Blicke um. Zurückbleiben? Auf den nächsten, sicherlich ebenso vollen Zug warten? Nein! Ein schneller Griff, und schon saß er auf einer der steilen, eisernen Stufen des letzten Wagens und zog seine Beine an den Leib.

Sein Blick tauchte in die lachenden Augen des Matrosen.

»Sehen Sie, et jeht allens! Ick stehe ja nu freilich: die Freitreppe war mir ein bisken zu rußig ... Um Jottes willen! Halten Sie sich fest bei die Kurve!« mahnte er väterlich, denn der feine Herr hatte hochschnellen wollen.

Doktor Waldemar Cornelius aus Breslau, etwa fünfunddreißigjähriger Zinsenverzehrer und Privatdetektiv aus Passion, – um dem Leser den eleganten Herrn vorzustellen –, der mit ziemlich unbehaglichem Gesicht sich nunmehr gegen die Wagenrückwand drückte, nahm mit der linken, freien Hand sein Monokel aus dem stahlblauen Auge und steckte es tastend in die Außentasche seines Rockes. Er dachte mit Wehmut an seinen Hosenboden ...

Sprechen konnte er nicht. Es blies tüchtig da hinten am Abschluß des Zuges. Mit stillem Neide sah er nach seinem Reisegefährten, der mit sichtlichem Wohlbehagen sich den sausenden Wind um den braunen Hals spielen ließ.

Bloß mit dem einen Auge brauchte er nicht so herüber zu zwinkern ...!

Hui! machte der Zug und rannte an einigen Villen von Hundekehle vorbei.

Hinten hockt er, hinten hockt er! äfften die Räder im geschäftigen Rattertakt.

Rums! wieder eine Kurve. Aha! da drüben schimmert Wasser durch die Bäume, der Schlachtensee. Sein Spiegel glitzert in der Morgensonne und blendet die Augen.

Gleich sind wir da! machten die Räder in verlangsamtem, aber noch immer hochschnellendem Takt.

Quietsch! sagte die Schlußbremse, und tatsächlich stand der Zug auch schon.

»Station Nikolassee!«

Mit den trotz der nur kurzen Fahrt steif gewordenen Beinen tastete Dr. Cornelius nach dem sicheren Bahnsteig hinüber und zog sein Jackett herunter. Ihn störte seine Rückenansicht. Man wußte doch nicht ...! Denn aus den Wagen, deren Türen mit einem fröhlichen, befreienden Knall aufwuchteten, stieg, sprang und hüpfte eine bunte Menge durcheinander quirlender Menschen heraus. Helle Sommerkleider, niedliche Kinder. Die meisten hatten Pakete mit Plaids, mit Badezeug unter dem Arm.

»He, Kamerad!« sagte da Dr. Cornelius aus Breslau halblaut zu dem Matrosen, der breitbeinig auf dem Bahnsteige neben ihm stand und sich die unvermeidliche Zigarette anbrannte, »wollen Sie nicht so gut sein, mich hinten mal ein bißchen abzuklopfen, ich glaube ...«

»Jerne, nischt wat mir lieber wäre!«

Eine derbe Matrosenhand schwang sich durch die Luft. Ein diskretes Klatschen. Eine kleine, rußige Staubwolke und –

»Wie neu. Allens wieder reene!« schmunzelte der blaue Jünger Neptuns.

Mit einem etwas befangenen »Danke sehr!« mischte sich der Hauptmann der Reserve schnell unter die dem Ausgange zustrebende Menge. Wenn ihn einer seiner früheren Regimentskameraden in dieser peinlichen Situation gesehen hätte! Und er war wieder ganz Typ »Offizier in Zivil«, als er aus dem Dunkel der Bahnüberführung in die helle Morgensonne trat.

Und unternehmungslustig blinkte das Monokel in dem linken Auge. In dem linken, bitte zu beachten! Denn wer trägt es jetzt noch rechts?

* * *

Schimmernde Wogenkämme tanzten auf dem dunkelgrünen Wasser des Wannsees. Ein scharfer Wind aus Westen trieb rollende Wellenreihen an das flache Ufer, doch heiß lag die Sonne auf dem weichen Sande.

Dr. Cornelius lag dort, durch eine kleine Anhöhe geschützt, auf den einen Ellbogen gestützt, und ließ seinen Körper durch die Sonnenfluten erwärmen. Ihm steckte noch immer die Zugluft von der Fahrt in den Gliedern. Langsam wich sie und machte einer wohligen Wärme Platz.

Von rechts her, dort, wo hunderte von Familien sich in buntem Durcheinander im Freibads tummelten, drang verworrenes Geräusch an sein Ohr. Bunte Wimpel in den verschiedensten Farben flatterten über primitiven, luftigen Zelten und Hütten in der steifen Brise. »Mit Kind und Kegel«, nirgends paßte dieser Ausdruck besser, als auf diese fröhliche Geselligkeit des einfachen Berliners in paradiesischem Naturzustande. Vom Säugling bis zum Greise, der mit behaglichem Schmunzeln seine Knochen in der Sonne streckte, war jedes Alter und Geschlecht vertreten. Halbwüchsige Burschen kugelten mit frühreifen Mädels in dem knappen, manchmal allzuknappen Trikot in dem Sande herum. Bilder, die förmlich nach dem Zeichenstift eines Zille schrien. Zwei frische Dirnchen, ihre Badekostüme glichen sich bis auf die kokette Schleife am Knie wie ein Ei dem andern, strichen auf hochverschnürten Sandalen, sich wohlgefällig in den runden Hüften wiegend, durch dieses Nomadenlager und suchten – Anschluß.

Linker Hand stand die geräumige Badeanstalt, an deren Pforte dräuend die Worte standen: Kein Freibad! Kein Familienbad! Hier badete das »bessere« Publikum, oder wer sich dafür hielt. Der Strand trennte die Geschlechter. Draußen aber, wo die Wogen schamhaft über die Hüften schlugen, »traf« man sich ebenso wie drüben. Bis dahin aber hatte die Frische des Wassers abgekühlt ...

Dr. Cornelius blinzelte schläfrig mit den Augen und bildete sich ein, an der richtigen See zu sein. Diese Illusion war immerhin nötig, denn wenige Kilometer hinter seinem Rücken lag die Großstadt, das schwirrende, schwingende, tosende Berlin mit seinem Hasten und seiner Unruhe. Und dieses Berlin wollte er fliehen, ja möglichst aus seinen Gedanken streichen – wenigstens an diesem einen, schönen Augusttage.

Die Erörterungen in einer Sache, die ihn wochenlang beschäftigt hatten, ein mit Hilfe von Hypnose begangenes schweres Verbrechen, waren abgeschlossen. Der scharfe, rasch und sicher arbeitende Geist des heute in träger Ruhe daliegenden Mannes hatte den Sieg über den Willen des anderen, des Verbrechers, davongetragen. Schon war Dr. Cornelius mit Reisegedanken beschäftigt, um sich endlich der wohlverdienten Erholung hinzugeben, da hatte ihn ein neuer privater Auftrag nach Berlin gerufen. Es galt, einen internationalen Diamantenschwindler, der seine Auftraggeberin, die Gräfin H., geschädigt hatte, zur Strecke zu bringen. Und anstatt in Swinemünde, wie geplant, den Klängen der Kurmusik zu lauschen oder Ostseefluten gegen den Strand rauschen zu sehen, saß er nun schon seit acht Tagen in dem heißen, staubigen Berlin, durchsuchte Spielhöllen nach dem Schwindler, hatte Konferenzen auf dem Polizeipräsidium und dergleichen. Nur gut, daß eine befreundete Familie ihm Quartier in ihrer Villa im Grunewald angeboten hatte. Da war wenigstens Grün und etwas frischere Luft als auf der Friedrichstraße oder in den Nachtkaffees.

Der in so schnöder Weise um seine Sommerfrische Gebrachte schreckte mit einem Male in die Höhe. Er mußte eine Zeitlang geschlafen haben, denn die Sonne war ein erhebliches Stück wettergewandert. Was ihn wohl geweckt hatte? Ein heller, weiblicher Aufschrei dicht vor ihm war es gewesen. Doch kein Ausdruck der Angst, sondern ein mehr fröhliches »Quietschen«, wie der Berliner sagt. Richtig, zwischen ihm und dem Wasser lag ein junges Mädchen im Sande, wohlig auf dem Rücken und wehrte lachend einen langen Schilfkolben ab, mit dem ein junger Mensch im Badeanzuge sie zu kitzeln suchte.

Beides gesunde, frische, kräftige Gestalten, an denen Herz und Auge des Beschauers sich erfreuen konnte.

Ein knappes Dirndelkostüm umschloß kleidsam die knospenhafte Figur des Mädchens. Der tiefe Halsausschnitt zeigte eine gebräunte Rundung und rotbraun waren ebenfalls die nackten, festen Waden, mit denen sie jetzt nach ihrem Bedränger stieß. Das gegen das Licht sich scharf abzeichnende Profil war energisch, edel, doch noch jungmädchenhaft. Rund und weich im engen Mieder schien die Silhouette der kleinen Brust. Den Abschluß bildete ein Mützchen aus grüner Seide, das, über die widerspenstigen blonden Locken gestreift, am Halse deren wirres Gekraus sehen ließ.

Das ganze Mädel war bildhübsch in seiner lässigen Anmut – netter Käfer! bildeten die Lippen des Herrn aus Breslau, – der Junge keck, verwegen und kraftstrotzend.

Am Ufer schaukelte ein Boot im Wasser. In dem mochten die beiden gekommen sein ...

Bei einer schnellen Kopfbewegung erkannte das Mädchen, daß der einzelne Herr hinter der Düne sie interessiert beobachtete.

»Kieck mal, Fritze, der da drüben hat sich ein Jlas ins Ooge jetreten!« hörte Dr. Cornelius halblaut lachen.

Mit einer ärgerlichen Bewegung steckte er das verspottete Monokel in seine Tasche. Der Berliner Dialekt paßte wenig zu dem hübschen Bilde, das sich seinen Augen bot. Er war verstimmt. Gab es denn keine Illusion mehr auf dieser Welt? Von Ansehen eine entzückende Strandnixe – in Wahrheit eine freche Berliner Jöre. Seine Mundwinkel senkten sich herab, als ob er einen unangenehmen Geschmack im Munde verspürte.

Trotzdem kroch eine eifersüchtige Regung zu seinem Herzen empor, als wenige Minuten später der junge Mensch die »Berliner Jöre« kurz entschlossen um den schlanken Leib faßte und so nach dem Kahne hinübertrug. Er neidete dem andern das Gefühl, zwei weiche Arme am Halse zu spüren, einen sonnendurchglühten, jungen Leib an sich zu pressen ...

Dr. Cornelius aus Breslau, hat es dir die Sonne des Wannsees angetan?

Mit etwas benommenem Kopfe klopfte er sich sorgfältig den feinen Staub aus seinem Anzuge.

* * *

Am Abend saß Cornelius auf der breiten Veranda seiner Wohnung. Seine Bekannten hatten sich zurückgezogen. Nachdenklich sah er in den dunklen Nachthimmel, an dem unzählige Sterne glitzerten. Die Silhouetten der Grunewaldkiefern hoben sich von dem Himmel ab wie feine Zeichnungen, gestickt von japanischer Künstlerhand auf seidenem Untergrund.

Von fernher berührte ein leises, schwingendes Geräusch sein Ohr: das Rauschen der Großstadt da hinten, über der ein nebliger, roter Schleier lag. Da wurde sein Auge von einem kleinen, wie glühenden Punkt gestochen. Ein winziger Lichtblitz war durch das Blättergewirr getastet. In weiter Ferne, wohl auf dem Balkon einer anderen Villa, mußte eine Lampe stehen, deren Licht wie das eines einsamen Leuchtturms durch die Nacht grüßte. Und eine menschliche Gestalt bewegte sich davor hin und her. Cornelius strengte unwillkürlich seine scharfen Augen an.

Richtig, eine weibliche Gestalt war es. Trug sie nicht – ein grünes seidenes Mützchen?

Als er sich hastig erhob, um sein Fernglas zu holen, tat er dies kaum mit Ueberlegung, sondern er folgte einem unbestimmten Gefühle, über das er sich in diesem Augenblick keine Rechenschaft ablegen konnte. Das wäre für ihn auch schwer gewesen, denn er, der Nüchterne und Kritische, hätte sich wohl selbst nicht verstanden. So etwas machen doch höchstens Primaner! Mit einer schnellen Bewegung setzte er das Glas an die Augen – da schrillte der Ton der Nachtklingel durch das schweigende Haus. Das brachte ihn zur Besinnung. Er ließ das Glas sinken, strich sich über die Stirn und errötete im Dunkeln, wenigstens hatte er das Gefühl davon.

»Hallo! Wer ist unten?«

»Ein Telegramm!« kam zwischen den Bäumen eine Stimme herauf, »wohnt hier ein Doktor Cornelius?«

Der Genannte war verstimmt, als er die Bejahung zurückgab. Nächtliche Telegramme bedeuteten für ihn stets Unruhe, Jagd und geistige Anregung. Die pflegte ihm sonst hochwillkommen zu sein. Heute abend aber waren seine Gedanken etwas aus ihrer normalen Bahn geraten. Wodurch, wußte er selbst nicht recht. Jedenfalls hatte das Telegramm hinter eine ihm fremde Gedankenreihe einen gewaltsamen Schlußpunkt gesetzt. Ein Schlußpunkt, dem ein kleiner, verzichtender Seufzer folgte.

Und dann holte er die Depesche.

»Erwarte dich umgehend. Es spukt bei uns. Eilbrief folgt. Hintze.« –

»Armer Kerl! Also doch noch nicht geheilt!« sagte Cornelius mitleidig vor sich hin und ließ das Blatt sinken.

Eine alte Geschichte flog ihm durch den Sinn.

Hauptmann Hintze war ein lieber Regimentskamerad, mit dem er mehrere Jahre im Felde gestanden hatte. Gemeinsam hatten sie Leid und Freud geteilt durch alle Wechselfälle des großen Krieges. Dies hatte sie auch innerlich zusammengeführt und einander näher gebracht. In einer stillen Nacht hatte ihm da der Kamerad und Freund ein Ereignis berichtet, das er kurz vor Ausbruch des Krieges erlebt hatte. Ein Verbrecher stellte ihm aus persönlichen Gründen nach. Eifersucht auf die damalige Braut des Offiziers war der Beweggrund. Das Besondere war, daß jener Mensch es verstanden hatte, so unglaublich es klingt, sich durch eine märchenhaft anmutende Technik für seine Mitmenschen fast unsichtbar zu machen. Und so hatte er den Nebenbuhler unmittelbar vor seiner Hochzeit tödlich erschreckt. Eine schwere langwierige Nervenkrise war die Folge. Erst im Jahre 1915 war der unglückliche Offizier wieder so weit hergestellt, daß er seiner Pflicht gegenüber dem Vaterlande nachkommen konnte.

An dies alles dachte der Detektiv. Und wenn er nicht genau wüßte, daß jener unheimliche Mensch als Spion in flandrischer Erde verscharrt ruhte, hätte er nur annehmen können, daß er von neuem wieder aufgetaucht wäre, um seinen Widersacher zu ängstigen. Da dies ausgeschlossen war, so mußte sich die frühere Gemütsdepression des Freundes wieder geltend gemacht haben. Denn Gespenster – gab es eben nicht, wenigstens für ein gesundes Hirn nicht. Es galt daher, dem Freunde in seinen Angstzuständen beruhigend beizustehen. Seine jetzige Auftraggeberin, die Gräfin H., mußte ihn für einige Tage frei geben. Seine Nachforschungen nach dem verschwundenen Halsbande waren sowieso gerade auf einem toten Punkte angelangt. Schnell brachte er einige Zeilen der Entschuldigung zu Papier. Dann begab er sich nachdenklich zur Ruhe.

* * *

Als er aber am nächsten Morgen im Eilzuge den Brief Hintzes überflog, der ihn kurz vor der Abreise noch erreicht hatte, zog er die Augenbrauen hoch und pfiff leise vor sich hin.

Das Schreiben lautete:

Auf Schloß Unzingen,
22. August.
»Lieber, alter Kampfgenosse!
Mein Telegramm wirst Du erhalten haben. Ich kann mir lebhaft Dein Gesicht vorstellen, das Du dabei gemacht haben wirst. Beruhige Dich, ich bin geistig ganz in Form. Nur mein armer Schädel brummt tüchtig. Doch dies hat seine besondere Ursache: es spukt bei uns. Mehr noch: der ›Schloßgeist‹ ist sehr schlagfertig und hat mir tüchtig eins vor die Stirn versetzt. Also kein bloßes Blendwerk der Sinne, sondern Fleisch und Blut, anscheinend mit kräftigen, derben Fäusten bewaffnet. Auch nicht etwa ein ›Herr des Aethers‹, wie wir seiner Zeit jenen Dieb und Spion tauften, denn ich habe heute Nacht den Angreifer gesehen, Auge in Auge. Und trotzdem bezeichne ich sein Erdenwandeln als ›spuken‹. Doch näheres hierüber mündlich – vielleicht sieht mir unser ›Geist‹ über die Schulter, während ich diese Zeilen in Eile aufs Papier werfe. Gisela weiß nichts davon, daß ich Dich in Deiner Eigenschaft als Kriminalist und ›Spürhund‹ hierher zitiert habe. Du bist lediglich mein alter Freund, der, einer früheren Einladung Folge leistend, zufällig zur Jagd kommt. Mein Schwiegervater ist natürlich orientiert und mit im Bunde. Er ist der ›Zahlmeister‹ bei der Chose. Verzeih, wenn ich diese Selbstverständlichkeit, die ich aber nicht auslassen möchte, berühre. Also packe Deine Zahnbürste und Dein unwiderstehliches Monokel. Je eher Du hier erscheinst, desto schneller wirst Du uns von dem unheimlichen Drucke befreien, der seit gestern auf uns lastet!
Stets
Dein Hintze.«

2. Kapitel

Drückend lag die pralle Mittagssonne auf der kleinen Bahnstation, als Dr. Cornelius den Berliner Zug verließ. Am liebsten wäre er sofort wieder in das immerhin schattige Abteil zurückgestiegen, so unerbittlich stachen jetzt die Strahlen auf ihn herab. Doch es half nichts, er mußte hinaus in die tropisch durchglühte Landschaft.

Hoffentlich ist der Wagen zur rechten Zeit gekommen! dachte er und sah sich seufzend um.

»Herr Doktor Cornelius?« klang da hinter ihm eine Stimme. Die Gestalt eines glattrasierten herrschaftlichen Dieners löste sich aus dem Schatten des Schutzdaches.

Der Angeredete ließ einen schnellen Blick über die Erscheinung des anderen gleiten. Guter Eindruck. Dunkelbraune Livré, wie angegossen. Stramme militärische Haltung. Den runden, lackierten Hut mit schwarz-weiß-roter Kokarde in der Hand.

»Karl – Sie heißen doch sicher Karl? Na also. Hier mein Gepäckschein, wenn Sie die Güte haben wollen – großer, grauer Koffer mit hellrotem Streifen.«

Die beiden Füchse griffen aus, als ob ihnen der Teufel im Nacken säße. Einen solchen Trab hatte der Fahrgast schon lange nicht mehr erlebt. Und wie der Kutscher die Kurven nahm! Der verstand etwas vom Fahren.

Dr. Cornelius beschloß, mit einigen anerkennenden Worten eine Unterhaltung anzuknüpfen. Er pflegte jedes Mittel zu benützen, um einem »Fall« zuleibe zu gehen. Dienstboten sind verschlossen und für gewöhnlich äußerst zurückhaltend gegenüber recherchierenden Personen, die in amtlicher Eigenschaft auftreten. Die Scheu vor dem Gericht spielt eine Rolle, die die Polizei und andere Untersuchungsführer sehr oft nicht genügend würdigen. Kutscher, Kammerdiener, Zimmermädchen, die von dem gestrengen Blicke eines nervösen, brillenbewaffneten Herrn durchbohrt, sich hinter ein »ich weiß gar nichts« oder »ich kann mich wirklich nicht entsinnen« zu verschanzen pflegen, können oft ganz reizend plaudern, wenn man sich auf ihre Stufe stellt, als Privatperson mit ihnen ein Schwätzchen anknüpft, ihnen irgendwie schmeichelt. Jeder Sterbliche hat einen Punkt, wo er zu fassen, eine Achillesferse, an der er zu verwunden ist ...

Dies waren so die Gedanken des Fahrgastes, den seine Freunde – post festum, wenn auch widerwillig, seine Feinde – als einen »mit allen Hunden Gehetzten« bezeichneten.

»Famose Gäule, die Ihr da habt,« sagte er zu dem kerzengerade vor ihm aufgerichteten Rücken. Nicht etwa: die Ihre Herrschaft hat, sondern »Ihr«. Das klang persönlicher, bezeichnete einen gewissen Anteil an dem Gespann, seiner Wartung und Führung.

Ein Schmunzeln war die erwartete Quittung. Der hochherrschaftliche Karl drehte sich sogar halb nach hinten, was vielleicht nur einmal im Jahre sich ereignen mochte.

»Fünfjährige aus Graditz, der Herr Hauptmann hat sie vor 3 Wochen selbst geholt.«

Auf Gäule hat Hintze sich immer verstanden, dachte der andere, hat auch einen Schwiegervater, der's kann! Der alte Puttlitz wurde auf mehrere Millionen geschätzt. Trotzdem konnte man seinem Schwiegersohne nicht den Vorwurf machen, daß er mit Vorbedacht und nüchterner Berechnung seine Frau gesucht hätte. Gisela von Puttlitz war damals ein reizendes, taufrisches Geschöpf. Die Photos, die der glückliche junge Ehemann dem Freunde im Unterstand beim Flackerscheine der Kerze strahlend gezeigt, bestätigten dies. Jedenfalls hat er das Angenehme mit dem Nützlichen vereint, meinten die Regimentskameraden.

»Da drüben beginnen unsere Felder!« Die ausgestreckte Peitsche wies auf eine goldgelb schimmernde Fläche Sommerweizen zur Linken, in die der sanft aufkommende Nachmittagswind weiche, wiegende Wellen hineinstreichelte. »Unsere« Felder, konstatierte Dr. Cornelius mit innerer Befriedigung; das Echo der vorhin von ihm angeschlagenen Saite kam zurück.

»Wie steht's denn mit der Ernte?«

»Raps, Ernte Ia. Winterweizen könnte besser sein, meint der gnädige Herr.«

»Sagen Sie mal, wie geht es denn jetzt dem Herrn Hauptmann? Ich hörte, er habe einen Unfall erlitten ...«

»Danke gehorsamst, es macht sich schon wieder.«

»Nanu! Doch noch nicht ganz in Ordnung? Da wird wohl nicht viel aus unserem Rehbock werden?« sagte Cornelius und beugte sich leicht vor.

»Ich glaube, der Herr Doktor werden insoweit zufrieden sein. Der Herr Hauptmann hat mich gestern abend schon wieder mit auf den Anstand genommen.«

»Sehr erfreulich!«

»Zu Befehl. Der Herr Hauptmann sagte, die Luft im Schlosse bekäme ihm nicht gut. Wir haben bis früh draußen gesessen.«

Da hat er recht, dachte der Fahrgast, einem so gewalttätigen »Schloßgespenst« weicht man am liebsten aus. »Wie ist das mit dem Unfalle eigentlich gewesen? Der Herr Hauptmann hat mir gar nichts darüber geschrieben.«

Der Kutscher zog die Zügel an. Es ging sowieso gerade bergan. Wieder drehte er sich herum. Diesmal aber nahm sein Gesicht einen wichtigen Ausdruck an, wie man ihn bei einfachen Leuten findet, die über besondere, außergewöhnliche Vorfälle zu berichten haben. Bevor er sprach, sah er sich aber mit einem scheuen Blicke um, wie um sich zu vergewissern, ob auch kein unberufener Lauscher in der Nähe sei.

»Herr Doktor müssen wissen: es spukt bei uns!«

Der andere lehnte sich zurück und brach in ein herzhaftes Gelächter aus.

»Was Sie nicht sagen! Es spukt, das ist ja köstlich!«

»So wahr ich hier sitze,« beteuerte Karl, »der Geist hat ihm sogar tüchtig vor den Kopf gehauen.«

»Und an solchen Unsinn glauben Sie?« Cornelius brannte sich eine Zigarette an.

Der auf dem Bocke zuckte beleidigt die breiten Schultern. »Glauben oder nicht glauben. Mein gnädiger Herr hat gestern gesagt: es gibt mehr Dinge, als ich mir auf der Schule an Weisheit geträumt habe.«

Wiederum lachte der andere. »Da, nehmen Sie! – Sie rauchen doch?«

»Zu Befehl. Danke gehorsamst!« Der Rücken des Kutschers straffte sich für einen Augenblick beängstigend, dann verschwand die dargebotene Zigarette unter dem lackierten Hut, dem Aufbewahrungsorte aller Rauchwaren, deren sofortige Vertilgung die Befangenheit oder Ehrfurcht verbietet – wenigstens bei Kutschern und Soldaten.

»Im Felde gewesen?« fragte Cornelius bei dieser Gedankenverbindung unvermittelt.

»Bis November.« Es klang wie ein halber Seufzer.

»Truppenteil?«

»Leichte Munitionskolonne. Zuletzt bei Reims.«

»Na, da haben Sie wohl fahren gelernt?!«

»Nich zu knapp,« grinste Karl geschmeichelt.

Wieder hörte der andere eine angeschlagene Saite klingen. Nun konnte er den Kreis um das Ziel enger ziehen. »Und wenn schon Geist oder Gespenst – wie war die Sache eigentlich?«

Der Kutscher setzte sich behaglich zurecht. Die Gäule lagen schwer in den Strängen und bedurften für die nächsten Minuten keiner besonderen Aufmerksamkeit.

»Viel is es ja nicht, was ich erzählen kann. War ja auch nicht dabei. Jedenfalls hörten wir vorgestern Nacht einen furchtbaren Schrei aus dem linken Flügel, wo der alte Turm draufgebaut ist. Geschrien aber hatte der Herr Hauptmann. Er blutete tüchtig am Kopfe, sah am nächsten Tage noch kreidebleich aus und sagte, der Schloßgeist habe ihn im Turmzimmer überfallen.«

»Sagte er, womit er geschlagen worden sei?«

Karl sann einen Augenblick nach. »Das weiß ich nicht mehr. Er meinte bloß, ich sei ein altes Kamel und solle ihn nicht so anglotzen. Nachher tat ihm »das alte Kamel« wohl leid, denn er gab mir eine Zigarre, klopfte mich auf die Schulter und sagte, wenn ich den Geist zu fassen kriegte, gäbe es mehr als einen bloßen Taler ...«

»Und Sie wollen sich die zwei Taler verdienen?«

Bestürzung mischte sich mit abergläubischer Furcht in dem glattrasierten Gesicht. »Ich? Nee, davon laß ich die Hände; mit Geistern is nicht gut Kirschen essen.«

»Wenn es aber gar kein Geist wäre?«

»Wieso?« Die grauen, runden Augen hingen erstaunt an dem Munde des anderen.

»Ich meine, richtige Geister können doch bloß flüstern oder winseln,« versetzte Cornelius ernsthaft; »wenn einer aber so wild um sich schlägt ...«

»Sagen Sie das nicht, Herr Doktor. Im Dorfe erzählen sie noch ganz andere Dinge. Und was meiner Großmutter einmal passiert ist ...«

»Lebt die alte Dame noch?«

»Die is schon lange tot.«

»Schade. Ich hätte sie gerne selbst gesprochen.«

Der Kutscher wurde unsicher. Foppte der Herr ihn etwa? Das Handpferd gab ihm willkommenen Anlaß, seine Aufmerksamkeit wieder nach vorn zu richten.

Die Anhöhe war erreicht. Auf wenige Kilometer Entfernung tauchte Unzingen, das Reiseziel, auf. Das Schloß liegt am Ende eines langgestreckten Höhenrückens der Thüringer Berge. Von dort oben schweift der Blick des Beschauers über Felder und Waldparzellen wohl bis hinüber nach dem Kyffhäuser. Keine pfeifende, fauchende Eisenbahn durchschneidet das liebliche, fernab von der großen Heerstraße gelegene Tal. Nur der Silberstreifen eines schmalen Baches glitzert in der Sonne.

Eine halbe Stunde später zogen die Füchse schnaubend den Wagen den steilen Schloßberg hinan. Von Zeit zu Zeit warfen sie die zierlichen Köpfe hoch und ließen ein unterdrücktes Wiehern hören: der Stall war nahe!

Schwer mit Obst beladene Zweige hingen auf den schmalen Weg herab. Der Birnbaum da drüben bog sich förmlich unter der Last leicht getönter Früchte. Im Schatten des breiten Torweges, wo leise quakend eine Schar Enten um einen Tümpel herum paddelte, stand der lange Hintze. Er hob die Hand und lächelte dem Freunde entgegen, wobei sich sein schmales, ernstes Gesicht belebte.

»Willkommen auf Unzingen! Nun aber schnell ins Kühle!«

Die Pferde zogen ein letztes Mal kräftig an. Die Enten schrien gellend auf, ließen sich in den Tümpel plumpsen, und der Wagen donnerte in den gepflasterten Hof, dessen Wände ein schallendes Echo zurückwarfen.

Als die beiden Freunde Arm in Arm die Freitreppe hinaufschritten, kletterte Karl, der Kutscher, von seinem hohen Sitze. Betrachtete nachdenklich die Fesseln der ihm anvertrauten Vierhufer. Wollte sich hinter dem Ohre kratzen. Da schien ihm etwas einzufallen. Mit bedächtiger Miene nahm er den Schwarzlackierten von den kurzen Haaren und besah kritischen Auges etwas weißes, längliches, leicht durchschwitztes.

»Die Marke is jut!« murmelte er anerkennend.

Dann flammte ein Streichhölzchen auf.

Karl Engelke war mit sich und der Welt zufrieden ...

3. Kapitel

Ein lauwarmes Bad schwemmte den Reisestaub des »Jagdgastes« ab. Frische Wäsche knisterte um die neugestärkten Glieder. Noch einmal fuhr die Hand prüfend über das Kinn. Eine leichte Wolke Puder stäubte vor dem geschlissenen Spiegel des in weiß und gold gehaltenen Gastzimmers auf.

Zierliche, bequeme Korbstühle standen in dem Frühstückszimmer, in dem kurz darauf die beiden Freunde sich gegenübersaßen, den Rücken an bunt gestickte Kissen gelehnt. Halbseits von ihnen ein Teewagen mit blinkendem Silbergeschirr. Auf dem Boden ein weicher Teppich in hellen, freudigen Farben. Die Wände zierten künstlerische Aquarelle in weißen Rahmen. Holztäfeleien an den Fenstern verliehen der Meterdicke der Mauern Zierlichkeit. Der ganze Raum atmete Behagen. Man merkte, daß Frauenhände hier eine gewisse Rolle spielten.

»Zunächst: wie geht es der hochverehrten Gnädigen?« leitete Dr. Cornelius die Unterhaltung ein und nahm dankend die vom Freunde gebotene Zigarette.

»Danke, es macht sich,« erwiderte der ehemalige Offizier und fuhr sich mit einer nervösen Handbewegung über die Stirn, die ein schmaler Verband deckte. »Du wirst sie zum Tee begrüßen können. Sie pflegt sich nach Tisch immer hinzulegen, zumal bei dieser tropischen Hitze.«

Die Jalousien waren zum Schutze gegen die noch immer sengenden Sonnenstrahlen herabgelassen. Auf den zartgestickten Vorhängen zeichneten sich schmale, hell glänzende Streifen ab. Sie erschienen dem Auge wie wagrechte, stehende Blitze und blendeten bei längerem Hinsehen.

»Und die Schwiegereltern?«

»Hm ja, das ist nicht mit einem Worte zu sagen. Der alte Herr ist seit jenem Novembertage, an dem sie aus dem Dorfe hier heraufgezogen kamen, innerlich gebrochen. Will sich's allerdings nicht merken lassen. Ist wohl zu stolz dazu. Aber einen Knacks hat's doch gegeben. Ich kam im Februar gerade noch zur rechten Zeit, um einigermaßen erträgliche Beziehungen wieder herzustellen. Wir brauchten doch Arme zur Frühjahrsbestellung. So spielte ich denn den Parlamentär und vermittelte.«

Er lachte etwas gezwungen und griff nach einer Likörflasche, die auf dem Teetischchen stand.

»Danke, ich nicht,« lehnte Cornelius ab, »wenn ich aber um ein Glas Wasser bitten dürfte.«

»Na, na!« machte der andere gähnend und schenkte sich ein Gläschen ein.

»Sag mal, hast du nicht auch eine Schwägerin? Mir ist doch so ...«

»Das Gör ist abgeschoben zu Verwandten. Uebrigens: Prost!«

»Alkohol bei deiner schweren Verwundung?« Cornelius hob sein Glas Wasser mit spöttischem Lächeln.

»Ach, die Schramme! Das ist das wenigste. Der alte, dumme Kopf hält noch mehr aus. Aber die Nerven, die Nerven! Das ist die Chose.«

Seine Hand zitterte leicht, als er sich ein zweites Glas einschenkte.

»Da wollen wir das Gift lieber einmal ein bißchen beiseite stellen,« sagte der Freund, ernst geworden, und nahm die Flasche weg, »du bist doch nicht etwa böse?«

Hintzes Gesicht, das sich einen Augenblick betroffen verzogen, hellte sich sofort wieder auf. Er lachte, doch etwas erzwungen. »Böse, i keine Spur. Ich war nur verblüfft, mein Lieber, daß mein Herr Gast mir in der ersten halben Stunde den Sorgenbecher aus der Hand zu winden beliebte. Na ja, wenn ich dich nicht so gut kennen würde. Das hat nicht einmal meine Gisa fertig gebracht ...«

»Verzeih' einen Augenblick: wer im Hause weiß von meiner Mission?«

»Nur mein Schwiegervater und ich ...«

»Deine Frau nicht?«

»Es ist besser so. Frauen halten doch nicht dicht.«

»Nicht sehr ehrerbietig!«

»Erfahrung, mein Lieber! Sei erst einmal geheuratet ...«

»Das liegt noch im weiten Felde, spreche ich mit Fontane. Uebrigens: noch nichts in Sicht bei euch? Ich meine: Erbe und so?«

»Das liegt noch im weiten Felde, paßt auch auf dieses Kapitel.«

»Schade!«

»Schade!«

Beide schwiegen einen Augenblick. Der Offizier stäubte nachdenklich die Asche seiner Zigarette an dem Rande der schweren, dunkelgrünen Malachitschale ab. Cornelius beschloß, ihn von anscheinend trüben Gedanken abzubringen.

»Doch nun zu heiteren Bildern. Euer Gespenst ...?«

»Heiter is jut. Bei der Beule ... Immerhin höre:« Er rückte seinen Stuhl näher zu dem Freunde heran und erzählte mit halblauter Stimme die Vorgänge, die sich zwei Tage zuvor in diesen Mauern abgespielt hatten.

Danach hatte er die Gewohnheit, vor dem Schlafengehen noch ein Stündchen frische Luft auf dem Turme, der sich über dem linken Flügel in die Luft reckte, zu schöpfen. »So stieg ich denn stets gegen Mitternacht auf das alte Ding, an dem der berühmte Zahn der Zeit feste geknabbert hat. Der ganze Bau soll in das 16. Jahrhundert zurückreichen. Doch das nur nebenbei. Nach der Plattform führt natürlich eine Treppe. Weißt du, so eine hübsche alte, mit morschen, quietschenden Stufen. Weiß der Himmel, weshalb mein verehrter Schwiegerpapa nicht schon längst ein paar Mark hineingesteckt hat, um den Aufgang zurecht zu möblieren. Sonst ist er wirklich nicht knauserig. Na, also wo war ich denn gleich stehen geblieben? Richtig: quietschende Treppe. Nach ein paar Stufen kommt zur linken Hand eine kleine Tür ...«

»Die in das Spukzimmer führt.« Der Zuhörer brannte sich eine neue Zigarette an.

»Sehr richtig geraten. Wer woher weißt du?«

»In Turmzimmern spukt es immer. Ich habe doch die Tante Marlitt noch im Kopfe. Und was enthält dieses Zimmer? Wird es irgendwie benutzt?«

»Nie. Ich habe mich genau danach erkundigt. Eine uralte Einrichtung. Stets verschlossen. Der große, verschnörkelte Schlüssel hängt im Arbeitszimmer meines Schwiegervaters. Hing auch vorgestern dort. C'est tout!«

»Gut, genügt vorläufig. Weiter!«

»Ja, nun kommt der Punkt, der schwierige, schmerzhafte. Am Dienstag wollte ich auch wieder diese Treppe hinaufklettern. Es war schon ziemlich spät ...«

»Kannst du nicht die Zeit genauer angeben?«

»Diesmal war es etwas später geworden als sonst. Wohl gegen ein Uhr. Wir hatten unten noch eine Pfirsichbowle getrunken, waren riesig vergnügt. Lächle nicht so infam, Spötter! Du weißt, ich kann eine ganze Menge vertragen. Der alte Herr hatte irgend eine gute Nachricht erhalten und war äußerst aufgeräumt. Solche Stunden sind selten, und so faßte ich die Gelegenheit denn beim Schopfe. Nachher hatte ich mit Gisela noch ein Weilchen in ihrem Schlafzimmer geplaudert und dann, ja dann passierte die Geschichte.«

Er warf einen schnellen Blick nach der Likörflasche. Cornelius sah aber an ihm vorbei.

»Hm ja. Als ich die erste Stufe betrat, machte diese vorschriftsmäßig: »Quietsch!« In demselben Augenblick vernahm ich in dem Turmzimmer ein Geräusch ...«

»Welcher Art?«

»Eben irgend ein Geräusch. Sagen wir einmal, wie wenn jemand an ein Möbelstück stößt. Nanu! dachte ich bei mir, wer hat denn hier oben noch so spät herumzukrauchen? Tatsächlich, als ich die nächste Biegung passiert hatte, sah ich, daß ein Lichtstrahl auf die Treppe fiel. Die Tür stand auf. Ein Lichtstrahl, sage ich. Nicht sehr hell, aber doch so, daß man die Stufen erkennen konnte. Es war ein grünliches Licht, so daß ich zuerst an Mondschein dachte. Stimmte aber nach dem Kalender nicht. Ein alter Jäger weiß das aus dem Kopfe. Also doch ein Mensch! Und ich sah ihn auch ...«

Er hielt mit einem Male inne. Seine Stimme war bei den letzten Worten heiser geworden.

»Also ein Mensch und kein »Geist«.« Cornelius lehnte sich lächelnd zurück.

»Spotte nicht! Mir war wirklich nicht lächerlich zumute. Du weißt, ich habe im Felde manches erlebt, warst ja auch meist dabei. Wenn wir so in den Gräben und Trichtern lagen und der Tod uns in mancherlei Gestalt umtanzte, – ich habe nie gezittert. Auch damals nicht, als wir seiner Zeit am Kemmel zwischen stöhnenden Verwundeten, zwischen Leichen kampierten, und der Mond die verzerrten Gesichter grün erscheinen ließ. Man war doch immerhin unter Menschen, wenn auch die meisten ausgelitten hatten, und man freute sich, daß das eigene Herz noch ganz munter klopfte.

Aber so zu Hause, im sicheren Heim, wo man gerade in der sonstigen Ruhe aus Gegensätzlichkeit bei jedem unerwarteten Geräuschs zusammenschrickt, vielleicht ist es die berühmte Reaktion nach den verdammten vier Jahren draußen, na kurz und gut, wenn man da in einer friedlichen Nacht auf einmal auf ein Wesen stößt, von dem man nicht weiß, ob Fleisch und Blut oder nicht doch ein Wesen aus einer anderen Region ...«

»Nanu, nanu!« beruhigte der Zuhörer den Aufgeregten und holte die Kognakflasche herüber, »da! Vielleicht hilft das.«