Was, wenn Ihre Arbeit sich zum Lieblingsort für Sie entwickelt, an dem statt Druck, Problemen und Grabenkämpfen Entspannung, Flow und Erfüllung herrschen?
Was, wenn Sie Ihre Ziele mit weniger Stress und mehr Genuss erreichen können?
Was, wenn Konflikte und Spannungen durch wertschätzende Praktiken einfach und schnell gelöst werden und zum gegenseitigen Miteinander und Vertrauen beitragen?
Wie ist Ihr Arbeitsklima, wenn Fehler, Schwächen und Missverständnisse nicht vermieden oder gar vertuscht werden müssen, sondern selbstverständlich dazu genutzt werden, Stärken und Potenziale zu fördern?
Was, wenn auch der Abenteurer in Ihnen zu neuen Ufern aufbrechen kann und dabei etwas entdeckt, wofür es sich für ihn wirklich lohnt, täglich zur Arbeit zu gehen?
Wir behaupten nicht weniger, als dass all die gefragten Qualitäten verfügbar sind – für Sie persönlich und in Ihren Arbeitsteams.
Obwohl die in diesem Buch vermittelten wertschätzenden Praktiken und Impulse auf recht einfache Weise einen Sog in Flow und Erfolg hinein bewirken, ist deren Umsetzung jedoch ein unternehmerischer Schritt, der einem Wendepunkt gleichkommt: kompromisslose Wertschätzung fordert Sie nämlich, mit Ihrer Kraft und Lebendigkeit in Verbindung zu treten, lockt sowohl Sie und Ihre Einzigartigkeit, als auch das beste Potenzial Ihres Teams heraus und transformiert verfahrene und angstbesetzte Situationen. Sie provoziert oft überraschende, immer jedoch stimmige Ergebnisse und entfesselt mit Vorliebe eine erstaunliche Arbeitsfreude.
Ein Aha-Erlebnis der besonderen Art bietet das Wertschätzer Ampelmodell: Sie gewinnen damit eine sichere Einschätzung der betrieblichen Situation und Ihrer eigenen einflussreichen Rolle darin.
Mithilfe geeigneter Perspektivwechsel und Tools können Sie auf dieser Grundlage strategisch gezielt eingreifen.
Gelebte Wertschätzung kann und wird Ihr Leben verändern. Wagen Sie es, sich und Ihrem inneren Wissen zu vertrauen, wie erfüllendes menschliches Zusammenwirken gelingen kann!
Wir wünschen Ihnen viel Entdeckerfreude!
Stephan Josef Dick, Gertraud Wegst und Iris Dick
VIIIP.S. Eine wertvolle Hilfestellung für die konkrete Anwendung der wesentlichen Praktiken bekommen Sie auch durch drei Endlosfaltkarten: Das Wertschätzer Ampelmodell, die Wertschätzer Perspektiven und die Wertschätzer Methode, die Sie unter: www.wertschaetzen.com/faltkarten bestellen können.
Wer das Privileg hat, solch ein Buch schreiben zu dürfen, steht vor der großen Herausforderung, all die Menschen, die daran beteiligt waren, anzuerkennen. Schnell wird klar, dass die Ereignisse und Geschichten und die dabei beteiligten Personen, die zur Entstehung dieses Werkes beigetragen haben, ein weiteres Buch füllen würden. Es ist weit mehr, als die Leistung Einzelner. Ein Gefüge von großartigen Menschen und deren individuellen Handlungen ist Ursache für diese Arbeit. Daher möchten wir als erstes Sie als Leserinnen und Leser anerkennen. Ohne Ihre Offenheit und Bereitschaft, sich von dem, was wir zu sagen haben, berühren zu lassen, würde dieses Werk nicht existieren.
Aus unseren Vorbildern wollen wir zwei bekannte Persönlichkeiten herausstellen, die mit ihrem Lebenswerk einen fundamentalen Beitrag für dieses Buch geleistet haben:
• David L. Cooperrider hat uns mit seinem Ansatz „Appreciative Inquiry“ die Augen für den konsequenten Blick auf das schon vorhandene Gute geöffnet und eine Methode an die Hand gegeben, Veränderungsprozesse anzustoßen und zu begleiten.
• Frédéric Laloux erforschte in 50 Unternehmen die Erfolgsfaktoren für eine sinnstiftende Form der Zusammenarbeit. Die Art und Weise, wie er zwölf davon in seinem Buch „Reinventing Organizations“ beschrieb, ermutigte uns ungemein, unsere eigene Arbeit konsequent weiter zu entwickeln. Erst dadurch wurde die Entstehung des Wertschätzer Ampelmodells möglich.
In diesem Zusammenhang möchten wir auch den Beitrag und die Unterstützung von all den Menschen in der weltweiten Community, die aus der Arbeit von Cooperrider und von Laloux entstanden ist und deren Teil wir sein dürfen, würdigen. In vielen Konferenzen, Arbeitsgruppen und Diskussionen entstanden wertvolle und bereichernde Impulse und Inputs für dieses Buch.
Auch möchten wir allen danken, die mit uns Gespräche über das Ampelmodell führten und damit wesentlich zur Praxistauglichkeit unserer Ideen beitrugen.
Ein großes Dankeschön geht insbesondere an unsere fünf Kollegen Marco Bienlein, Christine Sönning, Marianne Rögner, Dorothee Bornath und Dr. Reto Diezi. Mit ihnen arbeiten wir in unserer Beratungsorganisation seit 2010 sehr intensiv zusammen. Gemeinsam vertieften wir unsere Erfahrungen mit Appreciative Inquiry, den konsentorientierten Ansätzen und dem Wertschätzer Ampelmodell. Auch die Wertschätzer Methode ist auf der Basis unserer kollegialen Arbeit entstanden. Im Rahmen der Fertigstellung dieses Buches möchten wir Dorothee Bornath anerkennen für ihre Vorarbeit der letzten Jahre zu den methodischen Texten in Kapitel 5 sowie unseren Standbehind, Dr. Reto Diezi, für sein unermüdliches, liebevolles und geduldiges da Sein innerhalb der letzten Monate.
XZwei Personen wollen wir danken, ohne deren Impulse dieses Buch nicht entstanden wäre:
• Zum einen Hermann-Josef Kracht. Er hat unseren Impuls zur Implementierung eines Wertschätzungsbeauftragten in Unternehmen1 aufgegriffen. Durch die gemeinsame Erarbeitung von Ausbildungskriterien wurde klar, dass wir ein Buch benötigen, das praktisch umsetzbaren Ansprüchen für die Qualität von Wertschätzung in Unternehmen gerecht wird.
• Als wir im Januar 2016 unsere Buchidee Dennis Brunotte, Lektor für den Vahlen Verlag, vorstellten, lautete eine seiner ersten Fragen: „Was soll der transformative Beitrag Ihres Buches sein?“ Erst die Beschäftigung mit dieser Frage ermutigte uns, die transformative Kraft von Wertschätzung neu zu durchdringen und in Form eines Ampelmodells greifbar zu machen.
Ein großes Dankeschön möchten wir unseren Kunden und Geschäftspartnern aussprechen, die uns in unserer Kompetenz als Wertschätzungsexperten genutzt und somit unser Know-how vertieft und weiterentwickelt haben.
Unsere besondere Wertschätzung gebührt unseren Familienangehörigen, insbesondere Rolf K. Wegst und Raphael Dick, die uns in allen Alltagsangelegenheiten umfangreich unterstützt und dauerhaft ermutigt haben. Danke auch den vielen Probelesern für die tolle Ermutigung und das wertvolle Feedback sowie unseren Korrektorinnen Christina Marscheider, Christine Sönning, Ute Tiegs und Michaela Jordi, die mit ganzem Herzen dabei waren und entscheidend zum letzten Schliff beigetragen haben.
1 Siehe www.wertschaetzungsbeauftragte.de.
Wir befinden uns im Kontext eines mittelständischen Unternehmens im deutschsprachigen Raum. Die Führungskraft eines kleinen Teams sitzt am Samstagmorgen am Frühstückstisch und denkt über die gestrige Abschlussbesprechung der Woche nach. Seine Mitarbeiter hatten ihm einen neuen Spitznamen gegeben: „Wertschwätzer“ hatten sie ihn genannt!
Die Geschichte hatte vor einigen Wochen begonnen. Durch eine Mitarbeiterbefragung wollte die Unternehmensführung erkunden, wie es mit der Zufriedenheit der Mitarbeiter stehe und was sie noch verbessern könne. Er war begeistert dabei gewesen und hatte seine Leute eindringlich darum gebeten, die anonyme Umfrage offen und ehrlich auszufüllen.
Das Ergebnis konfrontierte: Es war zwar das meiste wie erwartet ganz in Ordnung – schließlich hatte man sich seit Jahren um Weiterqualifizierung, gerechte Löhne, gute Ausstattung der Arbeitsplätze und flexible Arbeitszeiten bemüht. Doch trotz allen Engagements fiel eine Sache aus dem Rahmen, bei der sich die Beteiligten offensichtlich einig waren: Es fehlte an Wertschätzung und Anerkennung.
Als er dann letzte Woche im Radio von einer Untersuchung des Gallup Institutes hörte, die aussagte, dass Unternehmen, in denen Führungskräfte mehr loben und anerkennen, auch bessere Ergebnisse liefern, war seine Entscheidung schnell getroffen: „Ich werde jeden Tag mindestens drei Leute anerkennen.“
Gestern Mittag war er noch stolz darauf gewesen, dass er seinen Vorsatz eine ganze Woche lang durchgehalten hatte. Doch die Rückmeldung seiner Leute hatte ihm dann den Teppich unter den Füßen weggezogen. Sein kleines Team war besorgt und irritiert gewesen. „Stimmt etwas nicht?“, hatten sie gefragt.
„Ihr wisst, dass ich Offenheit und Ehrlichkeit schätze. Was ist los?“, hatte er vielleicht etwas zu laut verlangt.
„Wertschwätzer!“, rutschte es spontan aus einem der Gegenüber heraus. Als dieser das erschrockene Gesicht seines Chefs sah, bemühte er sich um eine Erklärung: „Wir sind es nicht gewohnt, von Ihnen ein Dankeschön oder Lob zu bekommen. Wir haben uns gefragt, ob Sie das ehrlich meinen oder ob da irgendetwas dahinter steckt. In der gestrigen Kaffeepause ist dann das Wort „Wertschwätzer“ gefallen, weil wir vermuten, dass Sie sich wegen der Mitarbeiterbefragung mehr Mühe geben wollen. Aber ehrlich gesagt, Chef, da müssen Sie noch etwas üben!“
Damit hatten Sie ihn dann stehen lassen …
Ohne Wertschätzung scheint es nicht mehr zu gehen, insbesondere, seitdem Wertschätzung als Produktivitätsfaktor für Unternehmen entdeckt wurde. Organisationen, in denen die Mitarbeiter und insbesondere Führungskräfte öfter einmal Danke sagen und ihre Mitmenschen ehrlich loben und anerkennen, 2genießen eine erhöhte Mitarbeiterbindung und bringen tatsächlich1 bessere Ergebnisse hervor.
Da schon jedes Kind weiß, wie Loben, Anerkennen oder Danke Sagen funktioniert, scheint das Erzeugen von mehr Wertschätzung keine große Sache zu sein.
Wenn es denn so einfach wäre! Auch ein Kuchen wird kein Kuchen, wenn wir nur Zucker, Eier, Hefe, Milch und Mehl zusammenrühren. Zwei wichtige „Zutaten“ fehlen dabei nämlich: Wärme und Zeit.
Es wäre entsprechend viel zu kurz gegriffen, Wertschätzung im Unternehmen darauf zu reduzieren, dass Führungspersonen lediglich ausreichend Lob- und Anerkennungsbonbons verteilen.
Fehlende Wertschätzung hat mehrere Ursachen, allen voran ein mangelndes Bewusstsein für die Prinzipien und die Auswirkungen einer authentisch wertschätzenden Haltung.
Auf der Suche nach wirtschaftlichem Erfolg und dem Optimieren von Leistungsfaktoren übergehen wir oft, häufig sogar Tag für Tag, Bedürfnisse und sinnvolle Anliegen unseres menschlichen Seins, die im Grunde leicht mit einem effektiven Arbeiten vereinbar wären. Damit verzichten wir jedoch unwissentlich auf wertvolle Ressourcen praktizierter Wertschätzung wie Flow, Arbeitsfreude, Leichtigkeit, nachhaltige Wirksamkeit und Wertschöpfung, auf Sinnempfinden und gute synergetische Verbindungen.
Es grenzt an Verschwendung von Lebenszeit, diese Qualitäten beim Arbeiten nicht voll zu nutzen – schließlich verbringen wir einen Großteil unserer Lebenszeit damit!
Wenn Führungskräfte nicht die nötige Zeit dafür verwenden, die häufig vernachlässigten Wertschätzungszutaten zu (re)aktivieren, sie einzumischen und mit Energieaufwand einen Verwandlungsprozess zu initiieren, fällt die gute Absicht von mehr Wertschätzung wie ein Kuchenteig schnell zusammen und das Ergebnis wird klebrig und pampig. Stellen Sie sich zur Veranschaulichung einen kritikfreudigen Chef vor, der plötzlich damit beginnt, sich bei seinen Mitarbeitern zu bedanken. Wie würde dies üblicherweise ankommen? Seine Mitarbeiter würden denken:
• Was will er denn jetzt von mir?
• Stimmt etwas nicht mit mir?
• Das geht schon wieder vorbei, bestimmt war er gerade auf einem Seminar.
• Ist etwas im Busch und er macht auf Schönwetter?
Thomas Gordon, ein Pionier der humanistischen Psychologie, schrieb in seinem Weltbestseller „Die Familienkonferenz“2 unter dem Stichwort „Die typischen 3Zwölf“3, dass die meistverbreitetsten Arten, Menschen zu führen wie Anordnen, Belehren, Überzeugen oder Loben, Andere misstrauisch werden und mit innerer Abwehr reagieren lässt. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Wertschätzung ist keine Technik, die man wie eine Formel anwenden kann. Sie ist auch kein Trick, Mitarbeiter zum besseren Arbeiten zu motivieren. Wertschätzung beginnt bei einer Haltung, einer Art zu sein, die Würdigung, Einfühlungsvermögen, Vertrauen, Mitmenschlichkeit und Achtsamkeit zum Ausdruck bringt und dazu noch nicht einmal unbedingt Worte benötigt.
„Wer du bist ist lauter als was du sagst.“
Unbekannter Autor
Bei Wertschätzung geht es also in erster Linie um unser Sein, aus dem heraus wir dann handeln, nicht umgekehrt.
Diese Reihenfolge finden Sie auch im Aufbau dieses Buches wieder: Basierend auf dem Wertschätzer Ampelmodell, das verschiedene Stufen unseres Bewusstseins und die daraus resultierenden Handlungsoptionen im Arbeitsleben unterscheidet, gewinnen Sie auf einfache Weise eine neue Perspektive über Ihre ganz persönliche Art zu sein. Gleichzeitig wird ersichtlich, in welchen unterschiedlichen „Bewusstseins-“ oder auch unbewussten Seins-Zuständen ein System, ein Unternehmen, oder eine Organisation lebt. Dieses Verständnis gibt Ihnen eine sichere Basis für nächste angemessene Handlungsschritte und konkrete Praktiken.
Im darauf folgendem Kapitel finden Sie sieben zentral wichtige Bereiche oder Handlungsfelder. Hier stehen Ihnen jeweils „Durchbrüche“ in Aussicht. Die Bezeichnung „Durchbruch“ beschreibt einen Wechsel in ein neues Paradigma, hinein in ein neues Erleben Ihres Arbeitsalltags, in dem andere Gesetzmäßigkeiten wirken und sich frische unternehmerische Möglichkeiten eröffnen.
Ob es der Durchbruch der Mobilität war zu einer Zeit, als Autofahren noch mit Pferdestärken (PS) verglichen wurde, die vielfältigen Möglichkeiten des Internets, die unsere Art der Verbundenheit auf diesem Planeten auf eine völlig neue Ebene gebracht haben oder auch nur die für uns heute so selbstverständlichen Dinge wie etwa fließendes Wasser oder Strom aus der Steckdose …
… eine neue Idee, deren Zeit gekommen ist, bringt so umfassende Veränderungen, dass sie unsere bisherigen Vorstellungen weit übertreffen.
Wundern Sie sich daher bitte nicht, wenn die in Aussicht gestellten Durchbrüche Ihnen vielleicht zunächst seltsam oder sogar weltfremd erscheinen. Diese nicht für möglich zu halten oder die Vorreiter gar für verrückt zu erklären, ist völlig normal und Teil eines jeden umfassenden Veränderungsprozesses. Wenn ein Durchbruch schließlich geschehen ist, erscheint er uns jedoch logisch, 4verständlich und leicht nachvollziehbar. Vor oder während eines Durchbruchs haben wir dagegen mit einigen Widrigkeiten oder Widerständen zu rechnen4.
Ein Beispiel aus der Schweiz macht deutlich, wie schwer es uns fällt, Altes loszulassen und uns für vielleicht längst überfälliges Neues zu öffnen: Bis in die 1970er Jahre waren die Schweizer Weltmarktführer in der Uhrenherstellung. Mehr als jede zweite Uhr stammte damals aus diesem kleinen Land. Ein Schweizer Hersteller war es auch, der die erste digitale Uhr mit Quarztaktung entwickelte. Was waren die Reaktionen auf diese Innovation? Richtig, Widerstände:
• „Eine Uhr ohne mechanisches Uhrwerk ist doch keine richtige Uhr.“
• „Elektronisch, ganz ohne unser traditionelles Know-how? Damit wollen wir nichts zu tun haben.“
• „Moderner Quatsch, den wir nicht brauchen.“
Während die Schweizer Hersteller also weiterhin an ihrer handwerklichen Tradition festhielten, übernahmen japanische Unternehmen diese Idee und überschwemmten wenige Jahre später den Weltmarkt mit billigen Quarzuhren – zum Leidwesen der Schweizer Uhrmacher.
Wir Autoren sind der Meinung, dass wir heute in der Art und Weise, wie wir Menschen miteinander umgehen, vor einem gesellschaftlichen Durchbruch stehen. Dieser Umgestaltungsprozess wird weit größere Auswirkungen haben als der Wechsel von der mechanischen Uhr zum Quarzwerk oder der Einzug des Computers in unsere Unternehmenswelt. Wir sind uns sicher, dass nach den großen Meilensteinen in den letzten 100 Jahren, wie etwa der Gleichstellung von Mann und Frau, dem Siegeszug der Demokratie oder dem Bewusstsein für frühkindliche Prägungen, nun ein Paradigmenwechsel in der Art, wie wir Menschen zusammen arbeiten und leben, bevorsteht.
Wir glauben, dass die in naher Zukunft gelebten Antworten unsere bisherigen Vorstellungen von Miteinander und Zusammenarbeit bei weitem übertreffen werden. Die daraus resultierenden positiven Auswirkungen auf uns Menschen, unsere Organisationen, unsere Kultur, auf die Natur und deren Ökosysteme sind heute noch unvorstellbar.
In Gesprächen über die absehbare Endlichkeit der jetzt vorherrschenden Führungspraktiken und den Wunsch nach Vereinbarkeit von persönlicher Wertewelt und Arbeitsrealität ist aktuell jedoch noch ein großer Spannungsbogen spürbar. Dieser zeigt sich auch in einer Studie5 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Führungskräfte haben demnach sowohl einen klaren Blick 5auf ihre Werte6 und Wünsche, als auch auf die Erfordernisse der Wirtschafts- und Arbeitswelt von morgen. Wie genau der Weg dorthin geht, mit welchen Widrigkeiten zu rechnen ist und welches Handwerkszeug, welche Prozesse und Strukturen bei der Erreichung dieser Zukunft wirksam unterstützen können, darüber gibt es noch jede Menge offener Fragen.
Konkrete Antworten und Hinweise, wie Sie einen konstruktiven Paradigmawechsel einleiten und durchführen können, finden Sie im 3. Kapitel. Jeder hier erzielbare Durchbruch wird dabei an mindestens einem Unternehmensbeispiel illustriert. Dabei handelt es sich nicht um Vorzeigeunternehmen, sondern um ganz normale Firmen wie ein Einrichtungshaus, ein Büro für Datenverarbeitung, eine Versicherung oder ein Werk zur Bearbeitung von Aluminiumdraht.
In Kapitel 4 begegnen Sie dabei der auf dem Ampelmodell fundierenden „Wertschätzer Methode“, einem schnell wirksamen „Destillat“ aus der Erfahrung Hunderter wertschätzender Coachings und Trainings in Unternehmen. Mit dessen Hilfe können Sie unmittelbar befähigende Schritte in einem angespannten Thema gehen.
Einen abschließenden Überblick über die von uns am häufigsten genutzten empfehlenswerten Kernmethoden wie Coaching, Appreciative Inquiry, konsentorientierte Ansätze, Wertschätzende Kommunikation, Open Space und World Café finden Sie in Kapitel 5.
Eine „Toolbar“ in Kapitel 6, in der Sie alle erwähnten Werkzeuge wohlgeordnet wiederentdecken, ermöglicht Ihnen schließlich, nach Wunsch und Bedarf Ihren eigenen „Toolmix“ zusammenzustellen. Die von uns angeführten Fußnoten verweisen häufig auf vertiefende, lesenswerte Inhalte im Internet. Damit Sie sich nicht die Mühe machen müssen, die vorhandenen Links abzutippen, finden Sie unter www.wertschaetzen.com die entsprechenden Webadressen, sortiert nach den Kapiteln.
Dieses Buch ist ein Buch für die Praxis. Es will Sie immer wieder anregen, in den für Sie aktuellen Themenbereichen zu stöbern. Außer den wesentlichen Grundlagen bietet es Ihnen viele unterschiedliche Beispiele, Anregungen und praxiserprobte Tipps. Die angebotenen Übungen, Methoden, Experimente, Prozesse und Modelle laden ein, sofort mit der Umsetzung zu beginnen. So können Sie nach und nach Ihre Arbeitswelt damit zunehmend aus dem häufig vorhandenen Stress in den Bereich von Wertschätzung rücken.
Unsere Gesellschaft befindet sich bereits mitten in diesem Veränderungsprozess! Was wird erst möglich sein, wenn das hier vermittelte Wissen, das Bewusstsein und die praktischen Anwendungen so selbstverständlich Einzug in unser (Arbeits-)Leben genommen haben wie Tablets oder Smartphones?
Wir werden es erleben!
1 Siehe den Engagement-Index von Gallup Deutschland. Hier wurden die volkswirtschaftlichen Kosten allein aufgrund von innerer Kündigung für 2015 auf zwischen 75,6 und 99,2 Mrd. Euro beziffert (www.gallup.de/183104/engagement-index-deutschland.aspx, abgerufen am 25.02.2017).
2 Erste deutsche Ausgabe: „Die Familienkonferenz“, Hoffmann u Campe Verlag GmbH (Dezember 1988).
3 Siehe Toolbar „Die typischen Zwölf“ nach Thomas Gordon (Kommunikationssperren), https://de.wikipedia.org/wiki/Kommunikationssperre_(Psychologie), abgerufen am 25.02.2017.
4 In einem Klassiker der Systemischen Arbeit namens „Zärtliches Tempo“ beschreibt Harriet Lerner schon 1991, dass sich Systeme gegen Veränderung sträuben. Man solle darauf vorbereitet sein, denn mit erhöhtem Aufwand versuchten sie, das alte Gleichgewicht wiederherzustellen. Wenn das nicht gelänge, würden sich die Systeme jedoch nach einiger Zeit auf das Neue einstellen.
5 BWAS Studie „Wertewelten Arbeiten 4.0“. https://www.arbeitenviernull.de/fileadmin/Downloads/BMAS_Halbzeitkonferenzl.pdf, siehe auch die Initiative „Neue Qualität der Arbeit“ (www.inqa.de), abgerufen am 25.02.2017.
6 Das Barret Values Centre LLC. (US) bietet jedem ein freies Assessment (auch in Deutsch) der eigenen Werte an, ein interessantes Tool. Die persönliche Auswertung wird per E-Mail verschickt. https://www.valuescentre.com/our-products/products-individuals/personal-values-assessment-pva abgerufen am 25.02.2017.
2.1 Stopp: Rote Ampel!
2.1.1 Unser Roter Bewusstseinszustand
2.1.2 Ampelfarbe Rot als Modell menschlichen Zusammenlebens
2.1.3 Vom Ich zum Wir
2.1.4 Eine gut verankerte Regel hilft!
2.1.5 Sofortmaßnahmen im akuten Fall von Roter Ampel
2.1.6 Übersicht über das Leben im Roten Ampellicht
2.2 Gelbes Blinklicht – Achtung Störung!
2.2.1 Unsere Gelbe Bewusstseinsstufe
2.2.2 Der Verstand wird zum Chef befördert
2.2.3 Es besser machen – vom Ich zum Wir
2.2.4 Die Falle von Gelb
2.2.5 Typische Charakteristik und Auswirkungen von Angst und Stress bei Gelber Ampel
2.2.6 Die wenig beachtete Parallelwelt unserer Gedanken
2.2.7 Wo ist der Weg aus Gelb?
2.2.8 Übersicht über das Leben im gelben Ampellicht
2.3 Grünes Licht – freie Fahrt!
2.3.1 Unsere dritte Bewusstseinsstufe – die Ampel ist Grün
2.3.2 Grün – Der Sprung in eine neue Qualität
2.3.3 Das Ich-Grün und dessen Anderssein – der Ich-Wertschätzer
2.3.4 Der Schritt vom Ich-Grün zum Wir-Grün
2.3.5 Was kann dieses Ampelmodell über mich aussagen?
2.3.6 Übersicht über das Leben im Grünen Ampellicht
2.4 Das Wertschätzer Ampelmodell – Grundlage für gelebte Wertschätzung
2.4.1 Kurzübersicht der drei Ampelfarben
2.4.2 Hat Denken eine Farbe?
2.5 Zusammenfassung des Ampelmodells
8„Offensichtlich bin ich noch nicht wirklich eine gute Führungskraft, sonst hätten sie mich nicht Wertschwätzer genannt“, sagte er zu seiner Frau, die gerade am Frühstückstisch erschienen war.
„Sieh das doch nicht so eng“, meinte sie, „ich halte mit meinen Bekannten auch so manches Schwätzchen. Das ist doch nicht nur negativ.“
„Vielleicht hast du ja recht“, überlegte er, „aber wenn ich ehrlich bin, dann müssen meine Mitarbeiter schon einiges von mir einstecken. Gerade durch mein Vorhaben, täglich drei Leute zu loben, ist mir aufgefallen, wie unzufrieden ich sonst meistens herumlaufe, und dass ich als Erstes immer die Mängel und Fehler sehe und die Leute sofort darauf hinweise. Ich scheine ein ständiges Alarmlicht von „Hier stimmt doch was nicht!“ auszustrahlen – kein Wunder, dass sie mich jetzt Wertschwätzer getauft haben. Meine Leute haben wohl recht: Ich sollte mir mal meine Art, zu denken und zu bewerten, genauer anschauen.“
Dieses zweite Kapitel lüftet das Geheimnis, wie es kommt, dass sich eigentlich jeder mehr Wertschätzung im Privat- oder Arbeitsleben wünscht, es aber an der Umsetzung hapert. Vielleicht wurden auch Sie bei Ihren ernsthaften Versuchen, Ihre Mitarbeiter, Kollegen oder Chefs öfter mal anzuerkennen, belächelt oder haben abwehrende Reaktionen erlebt wie „Das war doch selbstverständlich!“ oder „Nicht der Rede wert“. Wenn es mit der Wertschätzung so einfach wäre, dann würde die Welt heute anders aussehen, weil es so viele Menschen gibt, die im Grunde nichts anderes wollen als ein aufbauendes Arbeitsklima, bei dem jeder gesehen wird und sein bestes Potenzial entfalten kann.
Um eine gute Antwort zu finden, haben wir Autoren uns intensiv mit unserem Gehirn befasst, um manch unverständliches Verhalten im (Berufs)Alltag zu ergründen. Gehirnwissenschaftliche Erkenntnisse haben wir mit bestehenden Businessmodellen abgeglichen und dabei herausgefunden, warum Wertschätzung nicht einfach verordnet werden kann, warum sie in bestimmten Phasen gar nicht funktioniert und was es braucht, um einen Raum von Wertschätzung zu schaffen. Auf Basis neurobiologischer Erkenntnisse ist so ein einfaches, höchst alltagswirksames Diagnosetool entstanden, das Wertschätzer Ampelmodell.
Mit dessen Hilfe können Sie blitzschnell erkennen, in welchem der drei Betriebsmodi von Rot, Gelb oder Grün Sie sich gerade befinden. In jedem sind unterschiedliche Regionen unseres Gehirns vorherrschend aktiv. Diese verursachen durch ihre jeweils spezifische neuronale Aktivität und Hormonausschüttung unterschiedliche Seinsarten, bzw. psychische und körperliche Befindlichkeiten. Das heißt auch, dass jeweils gravierend andere Lebensqualitäten und Handlungsfähigkeiten ausgelöst werden. Jeder dieser Zustände braucht einen anderen Zugang und andere Vorgehensweisen, um sie wandeln bzw. nutzen zu können.
Als wirksame Grundlage für eine Veränderung lassen sich die verschiedenen Reaktionen unseres Gehirns nach dem Wertschätzer Ampelmodell nicht nur mit menschlichen Verhaltensmustern, sondern auch mit den integralen Ansätzen der Organisationsentwicklung nach Frédéric Laloux und deren Vorreiter wie Ken Wilber, Don Beck, Chris Cowan, Clare Graves1 verbinden.
9Indem wir die drei Ampelfarben menschlichen Bewusstseins auf Gruppen und Organisationen übertragen, ergeben sich Einsichten darüber, an welchem Punkt ein Unternehmen steht und welcher nächste Entwicklungsschritt möglich ist. Mit diesem Überblick bekommen Sie in Ihrer jeweiligen Situation einen neuen Zugang, um Ihre persönlichen Handlungsoptionen im Arbeits- oder Privatleben klarer zu erkennen und gezielt mit entsprechenden wertschätzenden Maßnahmen zu intervenieren.
Sie dürfen gespannt sein, wir versprechen viele neue Einsichten und Aha-Erlebnisse!
Wichtig: Wie jedes Modell so ist auch das Wertschätzer Ampelmodell ein vereinfachtes Betrachtungsschema. Es ist nicht nach allgemeingültigen wissenschaftlichen Standards erforscht, sondern aus unserem Fundus an methodischem Wissen und den daraus resultierenden Erlebnissen und Erfahrungen entwickelt. In vielen Gesprächen haben wir die beglückende Erfahrung gemacht, dass wir dabei eine Sprache gefunden haben, die jeder sofort mit dem eigenen Erfahrungsschatz vergleichen und so selbst die Gültigkeit des hier vorgestellten praxisnahen Modells überprüfen kann. Es geht dabei nicht um die einzig gültige Wahrheit. Es geht um eine leicht nachvollziehbare und klare Darstellung, die uns hilft, komplexe Vorgänge im sozialen Miteinander zu verstehen und einzuordnen. Auf dieser Grundlage können wir gezielte Handlungsschritte für eine gewünschte Richtung ergreifen.
Ein Hilferuf
Nachdem sich unser Wertschwätzer, angestoßen durch die Abfuhr seines Teams, intensiv mit seinem Denken und seinen ständigen inneren Bewertungen auseinandergesetzt hatte, kam er plötzlich sehr in Bedrängnis. Um sich über seinen Gedankenwirrwarr klarer zu werden, verfasste er einen Beschwerdebrief, von dem wir hier eine Kopie veröffentlichen. Er wird ihn schnellstmöglich an den Hersteller senden – er muss nur noch die Zustelladresse herausfinden …
Mein Hirn – ein Beschwerdebrief an den Hersteller 2
„Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich zugeben: Ich kenne mich einfach nicht mehr aus mit dem Teil da oben, dem Gehirn, meine ich. Ich muss mal eine Beschwerde beim Hersteller einreichen! Da hat man mir so ein gigantisches Teil mitgegeben und erst nach mehr als 50 Jahren unterschiedlichster Lebens- und Nutzungsphasen komme ich dahinter: Mir fehlt offensichtlich eine Gebrauchsanleitung!
10Es sagt mir häufig: „Dies oder jenes musst du unbedingt haben“, obwohl die wenigsten seiner Empfehlungen mich glücklicher, lebensfroher oder lebendiger gemacht haben. Und man stelle sich vor: Vor dem, was mich wirklich weitergebracht hat, da hat es mich sogar gewarnt!
Als ich das entdeckt hatte, bin ich fuchsig geworden und dachte: „Das mit dem Hirn, das musst du dir doch mal näher anschauen.“ Und siehe da, ich bin fündig geworden:
• Es präsentiert mir Sorgen um meine Mitarbeiter, meine Partnerschaft, die Familie, das Geld, und ich habe festgestellt, die allermeisten dieser Prognosen treten gar nicht ein.
• Wenn ich jemanden treffe, dann sagt es mir nach wenigen Augenblicken, ob mir dieser Typ sympathisch ist oder nicht und ob ich mehr Aufmerksamkeit für die Person haben darf oder nicht. Und weil ich in letzter Zeit nicht immer sofort tue, was mein Kopf meint, habe ich bemerkt, dass das wirklich völliger Quatsch ist und sogar die scheinbar schlimmsten Typen meist ganz okay sind und vielleicht ja sogar echte Freunde werden könnten.
• Zu Situationen und Vorgängen bietet mir mein Gehirn – und stell dir das mal vor – sogar ungefragt Meinungen. Und das auch dann mit großer Selbstsicherheit, wenn ich wirklich wenig Ahnung davon habe. Und dann erwische ich mich auch noch dabei, darüber zu reden, als wüsste ich’s – wie peinlich ist das denn!
• Ja, und seine Meinung über mich – die ist ein echter Hammer! Es sagt mir ständig, was ich alles nicht geschafft habe, was wieder alles falsch gelaufen ist und warum ich immer noch nicht gut genug bin. Da läuft ein ständiges „hättest du, wärst du doch …“ in meinem Kopf. Und ich gestehe, ich habe mal die anderen um mich herum gefragt, die sehen das wirklich komplett anders. Und ich habe mich jetzt entschieden, denen mehr zu glauben als meinem Kopf.
• Und dann gibt es immer mal wieder Situationen, in denen mich mein Gehirn „Rot sehen“ lässt und ich sofort draufhauen oder abhauen soll. Offensichtlich ist das ein Teil meines Hirns aus der Steinzeit, der mir suggeriert, dass es hier richtig gefährlich ist – und ich sag’s dir, in den ganzen 50 Jahren hat mich noch keiner (außer mein Bruder) verprügelt oder mein Leben ernsthaft bedroht.
Und das Schlimmste, dieses Hirn da in meinem Kopf, es ist sogar echt fies und gemein. Es nutzt doch tatsächlich meine schwächsten Situationen aus.
Wenn ich mal wirklich nicht weiter weiß und von einem Ereignis so richtig kalt erwischt wurde, dann wird es obendrauf noch richtig kreativ. Es erinnert mich an andere Erlebnisse, schnappt Worte, kleine Handlungen oder Gedankenfetzen auf, kombiniert diese und erfindet ein echtes Horrorszenario, wie schlimm es „in Wahrheit“ ist. Das Ganze macht es so realistisch, dass ich doch tatsächlich glaube, „erst jetzt“ die wirklich „wahren“ Zusammenhänge zu erkennen und mit meinem Blickwinkel unfehlbar richtig zu liegen.
Als Krönung dieser großartigen Hirnleistung fordert es mich dann noch dazu auf, mich entweder abzuschotten und mich stundenlang, ja manchmal sogar viele Tage im Selbstmitleid zu baden und mit keinem mehr ein Wort zu reden oder die Sache jetzt auf der Stelle zu beenden und alles kaputt zu hauen.
Und tatsächlich, egal welcher der beiden scheinbar einzigen Möglichkeiten ich folge, dieses Unglück nimmt dann gar kein Ende und ist insbesondere für mein Umfeld mehr als eine Zumutung. Und da ich ja jetzt misstrauisch geworden bin, habe ich mich in letzter Zeit getraut, meine Horrorgeschichten mit den Beteiligten abzugleichen und kann daher mit Bestimmtheit sagen: Das Allermeiste, was mir mein Hirn da zusammenbraut, ist schlichtweg erfunden, erstunken und erlogen – und wie oft bin ich da drauf reingefallen!
Was soll ich also mit solch einem mächtigen Werkzeug wie meinem Gehirn machen, wenn ich keine Gebrauchsanleitung dafür habe?
Und ich habe viele gefragt und keiner konnte mir eine geben!
„Dann schreib ich halt selber eine“, habe ich mir gedacht. Sie mag noch unausgereift sein, aber besser eine unfertige und unvollständige Gebrauchsanleitung als gar keine!“
Lieben Sie Actionfilme? Unser Wertschwätzer steht auf Thriller, besonders in 3D. Wenn er – identifiziert mit dem edlen Filmhelden – nach atemberaubenden Verfolgungsjagden und harten Kämpfen mehrfach dem Tod knapp von der Schippe gesprungen ist, fühlt er sich äußerst angeturnt und könnte Bäume ausreißen. Abends vor dem Ins-Bett-Gehen muss er allerdings alleine fernsehen, denn seine Frau sagt, sie könne dann nicht einschlafen, weil ihr sonst noch so lange die Nerven flattern würden.
Wenn unser Wertschwätzer nach der Rettung der Welt dann tatendurstig ins Bett geht, kriegt er dort meist einen Dämpfer von seinem holden Eheweib – sie murmelt dann öfters solch unfreundliche Dinge wie „gib’ endlich Ruhe“ oder „schlaf’ erst mal deinen Adrenalinrausch aus!“
Im Arbeitsalltag hat der Wertschwätzer oft einen sehr ähnlichen Thrill, manchmal sieht er dort nur noch rot – doch macht dieser Nervenkitzel leider viel weniger Spaß als im Film.
Was es damit auf sich hat, wollte er wissen, und vor allem, wie er aus solchen heftigen Zuständen schnell wieder herauskommen kann …
Wenn es um das Überleben, eine Jagd, eine brenzlige Verkehrssituation oder eine Sportmedaille geht, ist es eine wunderbare, vielleicht lebensentscheidende Tatsache, dass das sogenannte Reptiliengehirn die Regie übernimmt. Der Körper wird dabei mit Stresshormonen überflutet. Der Mensch ist auf einen Schlag hellwach, denn eine solch herausfordernde Situation bewirkt sofort eine Erhöhung von Blutdruck und Puls. Energie (Blutzucker) wird bereitgestellt, um für Kampf oder Flucht eine gesteigerte Muskeltätigkeit zu ermöglichen. Nicht überlebensnotwendige Funktionen wie die Darmtätigkeit werden gehemmt. In diesem Zustand wird das Reptiliengehirn schlagartig aktiv, entscheidet blitzschnell und hat dabei genau drei Alternativen:
• Angriff – sich der Gefahr stellen,
• Flucht – vor der Gefahr weglaufen oder
• Totstellen – warten, bis die Gefahr vorbei ist.
Doch diese Mechanismen laufen nicht nur bei tatsächlicher Gefahr ab. Dieselbe biologisch bedingte Reaktion wird auch ausgelöst durch psychologischen Druck oder Stress im (Berufs-)Alltag. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein uns wichtiges Anliegen in Bedrängnis gerät oder wenn eine Erfahrung in uns angetriggert wird, die für uns beispielsweise als Kind bedrohlich war.
Man könnte sagen, wir sind im Alltag immer dann in diesem Modus, wenn jemand unsere „Knöpfe drückt“ und wir unüberlegt und heftig reagieren. Das passiert uns, z. B. in Teamsitzungen oder in gemeinsamer Projektarbeit, wenn jemand uns oder etwas in Frage stellt, was wir uns hart erkämpft hatten oder was uns außerordentlich wichtig ist.
Hinterher bedauern wir unser spontanes, unreflektiertes Handeln. Wir hatten mal wieder „Rot“ gesehen.
Das Überleben der Gattung Mensch hing im Lauf der Geschichte vor allem von der Fähigkeit ab, auf Bedrohung schnell reagieren zu können. Bei Gefahr schaltet unser Gehirn blitzschnell um, vom Großhirn (dem Ort des logischen, komplexen Denkens) auf das „Angstzentrum“, die sogenannte Amygdala (Mandelkern, Sitz oberhalb des Stammhirns). Dieses aktiviert sofort die zur Gefahrenabwehr notwendigen Körperreaktionen. Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet. Der Teil unseres Nervensystems, der für Aktion und Reaktion zuständig ist – der Sympathikus – läuft zu Höchstleistungen auf. Die Aufmerksamkeit wird komplett auf die potentielle Gefahr ausgerichtet. Das ist sehr sinnvoll und stellt sicher, dass ein Mensch, ohne darüber nachdenken zu müssen, blitzschnell reagieren und sich in Gefahrensituationen in Sicherheit bringen kann. Differenzierte Überlegungen und Handlungen haben dabei keinen Platz.
Auf „soziale Bedrohung“ wie auftretende oder schwelende Konflikte, Streit, schlechte Nachrichten, Überforderung, Mobbing, drohenden Jobverlust etc. reagiert unser Gehirn auf exakt dieselbe Weise wie auf faktische existenzielle Bedrohung.
Bei jeglicher Empfindung von Bedrohung, auf welche Weise auch immer diese sich darstellt, werden auch die kreativsten Menschen einfallslos und können nicht mehr angemessen auf komplexe Zusammenhänge reagieren. Diese Reduzierung der Handlungsfähigkeit und deren negative Auswirkungen auf Gesundheit, Produktivität und Wertschöpfung sind erheblich.
Wie bei einer roten Ampel der Verkehr stoppt, so kommt hier vernünftiges Denken, soziales Handeln und Arbeitsfähigkeit zu einem Stopp.
In unserer Art menschlichen Zusammenlebens gibt es zwei Organisationsmodelle, die wir aufgrund ihrer Erscheinungsform und Kultur der hier beschriebenen Ampelfarbe Rot zuordnen. Wir betrachten diese hier näher, denn sie geben uns ein neues Verständnis für uns selbst und andere, deren „rote Knöpfe“ gerade gedrückt werden. Außerdem zeigen wir Ihnen, welche wertschätzenden Handlungsoptionen hier möglich sind.
Wir bezeichnen diese zwei Organisationsmodelle als das „Ich-Macht-System“ und das „Wir-Macht-System“, im Laufe des Buches auch Ich-Rot und Wir-Rot genannt.
Ich-Macht-Systeme kennen viele von uns aus ihrer Kindheit. Vielleicht waren Sie in einer Gruppe von Kindern oder Jugendlichen, in der das Recht des Stärkeren galt, oder Sie kommen aus einer Familie, in der Vater oder Mutter noch mittels körperlicher oder psychischer Gewalt regierten. Das besondere Merkmal ist die Willkür des Machthabers, der Handlungen nach seiner persönlichen Befindlichkeit ausführt und damit für die Beteiligten schwer einzuschätzen ist.
13Hier gilt das Recht des Stärkeren und dessen aktuelle Laune. Die Gruppe ordnet sich ohne Möglichkeit der Einflussnahme unter. Der Ich-Machthaber dominiert und bestimmt so lange, bis ein anderes Ich stärker ist und den vorherigen Führer ablöst. Seine Art zu herrschen hängt von seiner aktuellen Stimmung und seinem Gutdünken ab. Es gibt keine klaren Regeln, sondern nur Wahrscheinlichkeiten, nach denen man sich richten kann.
Aufgrund ihrer zerstörerischen Eigendynamik sind solche Systeme nicht stabil und können leicht auseinanderbrechen. Sie umfassen in der Regel nicht mehr als ein paar Hundert Menschen.
Manche Unternehmen werden auch heute von Menschen geleitet, deren Führungsverhalten zumindest zeitweise auf Ich-Macht basiert, nämlich genau dann, wenn die roten Knöpfe der Geschäftsführung gedrückt wurden. Die Folgen sind Einschüchterung und Schmerz oder ein Klima von Entwürdigung und Angst. Gerade wenn es eine Führungskraft ist, die „austickt“, bleiben Angst und Vorsicht im System noch lange erhalten, selbst wenn diese sich selbst wieder beruhigt hat und sich an ihren Ausbruch kaum noch erinnert.
In der Geschichte der Menschheit gab es einen bahnbrechenden Wachstumsschritt, der es möglich machte, aus kleinen Ich-Macht-Systemen zu größeren Einheiten wie beispielsweise Fürstentümern, Ländern ja sogar zu länderübergreifenden Reichen zusammen zu wachsen, z. B. das Römische Reich, das mit seiner Pax Romana ein damals unvorstellbar riesiges Gebiet beherrschte. Im Wir-Macht-System dominiert die Regel, das Gesetz, das mit Macht (Strafe bei Nichteinhaltung der Regel) seine Gültigkeit einfordert. Dadurch können große Menschengruppen, wie etwa Konzerne, Länder, ja ganze Staaten als Gruppe oder Menschengemeinschaft miteinander leben und große, manchmal Jahrhundertprojekte (wie den Kölner Dom mit einer Bauzeit von 1248 bis 1880) umsetzen.
Der Durchbruch von der Ich-Macht zur Wir-Macht ist das Aufstellen, Akzeptieren und Einhalten von Regeln. Man hat gelernt, sich auf sie zu berufen, vor allem wenn der Disput allzu heiß, der Stress allzu groß wird. Dies war auch historisch gesehen der große Durchbruch im Machtgefüge, als die Herrschenden und Regierenden anfingen, sich an Regeln und Vorgaben zu halten, statt allein nach Dominanz, Willkür und Hormonzustand zu handeln.3
Solche Systeme begrenzen die Machtimpulsivität des Einzelnen und sind uns heute noch sehr bekannt. Ihre Kennzeichen sind neben den Regeln die unantastbaren Hierarchien. Oben bestimmt, Unten muss folgen. Wir finden diese beispielsweise in konservativen, meist patriarchalisch geführten Unternehmen, 14beim Militär, in vielen religiösen Gruppierungen, im Schulsystem, in Universitäten, ja unser gesamtes Rechtssystem ist ein solches Wir-Macht-System.
Hier bestimmt der Chef über die Mitarbeiter auch dann, wenn diese bessere Ideen haben. Der begabteste Student bekommt keinen Titel, weil er in einem bestimmten Bereich zum zweiten Mal durch die Prüfung gefallen ist. Oder der Richter urteilt nach dem gültigen Recht, auch wenn er die Strafe für den Betroffenen nicht wirklich hilfreich findet.
Da feststehende und von „Untergebenen“ nicht beeinflussbare Regeln (Gesetze) der Maßstab aller Dinge sind, bietet dieses Anpassungssystem für diejenigen, die es in Frage stellen oder nicht vollständig erfüllen wollen, jede Menge Anlass für:
• schlechtes Gewissen,
• Widerstand,
• innere Kündigung,
• Heimlichtuerei, Vertuschung,
• Missbrauch und Lügen,
• Rivalität und Konkurrenz,
• Ausgrenzung und Mobbing,
• Rache, gegenseitige Behinderung,
• Radfahrer-Mentalität (nach oben buckeln, nach unten treten).
Falls Sie in solch einem Unternehmen oder Team arbeiten und sich für Wertschätzung engagieren wollen, können Sie das natürlich in gewissem Grad in Ihrem direkten Umfeld bzw. in einer Nische des Systems ungehindert tun und dort die in diesem Buch weiter aufgeführten Ansätze erproben. Wollen Sie jedoch umfassendere Wirkungen hervorbringen, dann haben Sie nur eine Chance, wenn Sie den Regelgeber, den Vorstand, die Geschäftsleitung für die Implementierung von wertschätzenden Praktiken (Wertschätzung als Regel) gewinnen.
Sie werden damit mit Sicherheit viel Gutes erreichen, auch wenn das System selbst durch seine Machtstrukturen einer wirklichen Ausbreitung von Wertschätzung letztendlich im Wege steht. Am Beispiel der katholischen Kirche, einem 2.000 Jahre alten Wir-Macht-System, können Sie das einfach nachvollziehen. Durch den Impuls der Nächstenliebe haben viele Menschen innerhalb der Kirche im Laufe der Geschichte viel Gutes hervorgebracht4. Die immer noch vorherrschenden Wir-Macht-Strukturen begünstigen jedoch durch oben beschriebene Begleiterscheinungen bis zum heutigen Tage eine Vielzahl unschöner Begebenheiten, wie beispielsweise die Inquisition oder den sexuellen Missbrauch von Kindern.
Dennoch ist es uns wichtig, diese Organisations- und Gesellschaftsformen nicht zu verurteilen. Sie dienen als wesentliche Pfeiler von Gesellschaft und Staat und entsprechen damit dem aktuellen gesellschaftlichen Bewusstsein, das sich diesem System anvertraut.
15Der Übergang vom Ich-Macht-System zum Wir-Macht-System zeigt uns einen wertvollen Entwicklungsschritt, der uns gerade in unseren persönlichen „Rotphasen“ einen wichtigen Beitrag leistet.
Unser Wertschwätzer soll wieder einmal seine Frau zum Zug bringen. „Wenn sie doch endlich fertig wäre – so werden wir nie rechtzeitig zum Bahnhof kommen“, denkt er und sitzt schon ungeduldig wartend im Auto. Endlich ist sie da. „Schatz, ich hab’ doch glatt meinen Lippenstift liegen lassen, bin gleich wieder da.“
„Frauen“, denkt er und wird jetzt richtig unruhig. „Hoffentlich klappt das noch, sonst ist mein schönes freies Wochenende hin.“
Sie: „Kannst du nicht schneller fahren, es wird knapp.“ Er verliert langsam die Ruhe: „Ich bin doch nicht schuld daran“, erwidert er erbost.
Da passiert es! Diese unnütze Ampel schaltet gerade jetzt auf Rot.
Trotz heftiger Emotionen bremst unser Wertschwätzer und zählt die Sekunden, die sie wahrscheinlich zu spät am Bahnhof sein werden.
Eines ist jedoch erstaunlich: Wenn eine Regel, wie die einer roten Ampel, stark verankert ist, dann stellen wir diese auch bei heftigen Emotionen und trotz freier und übersichtlicher Kreuzung nicht in Frage. Entwicklungspsychologisch gesehen ist dies eine starke Leistung. Die Regel geht vor Emotion und Impuls.
Gute Regeln sind wesentlich, insbesondere bei Rot! Damit unser Überlebensmodus nicht die Alleinherrschaft übernimmt, unterstützen uns (zwei oder drei) wenige Basisregeln. Diese müssen wir so gut verankern, wie die bekannte Verkehrsregel: Rote Ampel – Stopp!
Eine gut verankerte Regel übertrifft die automatischen Handlungsmuster von Angriff, Rückzug oder Schockstarre.
Benjamin Zander, ehemaliger Dirigent des Bostoner Philharmonie Orchesters, empfiehlt Regel Nr. 6 und erzählt dazu eine Geschichte5, die wir hier sinngemäß wiedergeben:
„Regel Nr. 6“
Es findet eine wichtige Sitzung statt – der Leiter moderiert mit seiner ganzen Aufmerksamkeit durch die brisanten Themen – da kommt ein Mann zur Tür herein. Er ist sehr aufgeregt und ruft zum Sitzungsleiter: „Sie müssen unbedingt kommen, es ist etwas wirklich Schlimmes passiert – ich brauche Ihre Hilfe.“ Die Antwort lautet: „Jim – erinnere dich, Regel Nr. 6.“ Jim besinnt sich und wird ruhig und sagt: „Ah – ja, danke“, dreht sich um und geht aus dem Raum.
Kurze Zeit später taucht eine hübsche junge Frau auf. Sie ist ganz verwirrt und sucht offensichtlich Orientierung. Wieder spricht der Moderator: „Betty, erinnere 16dich, Regel Nr. 6.“ Die Dame wird sichtlich ruhig, entspannt sich, entschuldigt sich und verlässt den Sitzungssaal.
Gegen Ende der Sitzung passiert genau das Gleiche nochmals. Eine offensichtlich gestresste Person betritt den Raum – „Regel Nr. 6“, die Person entspannt sich und zieht sich zurück.
Die Sitzungsteilnehmer sind erstaunt und fragen: „Wie machen Sie das? Und was genau bedeutet Regel Nr. 6?“
Der Leiter der Sitzung erläutert:
„Regel Nr. 6 heißt: Nimm dich selbst nicht so verdammt wichtig!“
„Und wenn diese Regel so bemerkenswert wirkt, wie lauten die Regeln 1–5?“
„Die gibt es nicht!“
Wenn etwas oder jemand unsere Knöpfe drückt, ist es empfehlenswert, in Erwägung zu ziehen, dass unsere aktuellen Gefühle, Gedanken und Handlungsimpulse – so richtig und dringend sie uns bei Rot auch erscheinen – wenig zielführend sind. Es ist hilfreich zu erkennen, dass sie in dem Moment im wahrsten Sinne des Wortes „nicht so verdammt wichtig“ genommen werden sollten. Wir alle kennen es, dass wir später unsere voreiligen Reaktionen bereuen oder gerne ungeschehen machen würden.
Stattdessen empfehlen wir, sich bei Ampelfarbe Rot folgende „Regeln“ durch regelmäßige Anwendung anzutrainieren:
Wie Sie Ihr Gehirn vom Reptilienmodus „umschalten“ und sich wieder in einen denkenden Menschen verwandeln können:
Toolbar: Regelvorschlag Nr. 1
Die biologischen Automatismen erkennen und sich davon unterscheiden
Sinnbildlich bedeutet das:
Bremsen, Anhalten, Unterbrechen, Pause machen!
Umschauen und die Illusion entlarven: Keine akute Lebensgefahr!
Oder nach Benjamin Zander, Regel Nr. 6:
„Nimm deine Sichtweise und die damit zusammenhängenden Gefühle, Emotionen und Handlungsimpulse nicht so verdammt wichtig!“
Erkennen Sie den Unterschied? Sie sind nicht Ihre Gefühle und Gedanken, Sie haben welche. Ihre subjektive Realität wird nur durch biologische Vorgänge erzeugt, mehr nicht!
17Toolbar: Regelvorschlag Nr. 2