Recipe on Tour
Reisetagebuch 2021
Mit dem Motorboot Recipe durch Mecklenburg, Brandenburg und Berlin
Kleine Müritz – Mecklenburger Kleinseenplatte – Havel – Finow-Kanal – Oder-Havel-Kanal mit Schiffshebewerk – Werbellinkanal mit Werbellinsee – Teltowkanal – Spree –- Havel –- Müritz und Mecklenburger Großseenplatte – Kleine Müritz
Erkundungen auf dem Wasser, entspannt und entschleunigt das Unterwegssein in Natur und ihrer Umgebung genießen. So können wir mittlerweile unsere Zeit gestalten. Grundlage dieses Reisetagebuchs sind unsere Aufzeichnungen aus dem Logbuch, persönliche Notizen zu Begebenheiten und Hintergründen sowie unsere Gedanken, denen wir während der Fahrten so herrlich nachhängen können.
Ihr seid herzlich eingeladen, uns auf dieser Reise zu begleiten.
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2022 Heidi Arnau und Michael Zielke
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783756297825
Minimax@wamotec.de
https://www.youtube.com/c/Minimax581
Übersicht über die gefahrenen Strecken der Recipe on Tour 2021
Die Entscheidung ist gefallen: wir wagen uns an einen Reisebericht der anderen Art. Es soll ein Reisetagebuch werden, das als Kern des Inhalts den Weg unserer größeren Bootstouren in einem Jahr beschreibt und mit Schilderungen unseres Umgangs mit Situationen und Menschen, von Eindrücken, Stimmungen, Erkenntnissen und Erfahrungen ausgeschmückt wird.
Den Stoff dafür finden wir in unserem Logbuch und bei den Stichwörtern, die wir uns notiert haben. Ebenso bemühen wir unser (Halb-)Wissen, das wir uns entweder angelesen oder haben erzählen lassen oder sowieso immer schon hatten.
Die Idee und die nun getroffene Entscheidung ergab sich durchaus nicht einfach so von selbst, so wie einen ein Blitz treffen kann oder so wie man plötzlich erleuchtet wird, sondern hat natürlich ihre Vorgeschichte. Und genau mit dieser beginnen wir:
Im Jahr 2019 gingen wir in den sogenannten Ruhestand. Die neu gewonnene freie Zeit wollten wir nutzen, Europas Binnengewässer mit dem eigenen Schiff zu erkunden. Daran wollten wir unsere Kinder, Verwandte und Freunde teilhaben lassen und beschlossen, dies in Form eines Videotagebuches zu tun. Wir filmten also ab 2020 fleißig und entschieden uns der Einfachheit halber, die fertiggestellten (und von Heidi abgesegneten) Videos über YouTube zu teilen.
Recipe on Tour. Unter diesem Namen veröffentlichen wir unsere Videos auf unserem YouTube-Kanal „Minimax“. Es hat uns mächtig überrascht, auf welch Interesse unsere Videos dann bei uns unbekannten Menschen gestoßen sind.
Da wir in den Videos auch Ausschnitte von Hafenführern zeigen wollten, fragten wir beim Verlag Seenland (Herausgeber u.a. der Hafenführer für unser Revier) nach einer Freigabe dafür an. So wurden sie auf unsere Videos aufmerksam und fragten ihrerseits an, ob wir auch schreiben könnten. Sie hatten Interesse an Reisebeschreibungen für Touren in Mecklenburg und Brandenburg. Da wir durchaus des Schreibens mächtig sind, vereinbarten wir schließlich, einen Reisebericht über die Tour durch den Finowkanal zu liefern. Und wir entschieden, dass ich schreibe. Micha hat mit der Erstellung der Reisevideos zu tun, da ist er technisch begabter, neugieriger und schneller als ich. Natürlich wird er zu Input, Korrekturlesen gefragt und ist somit mit im Boot.
Gesagt, getan. Bei der Fertigstellung des Berichts entstand dann die Idee eines geschriebenen Reiseberichts als eine etwas andere Erinnerung für spätere Zeiten als die durch die Videos. Die Durchfahrt durch den Finowkanal war ja nur ein Teil unserer großen Rundtour. Die bezaubernde Fahrt zum Werbellinsee, die aufregende Fahrt durch das Berliner Regierungsviertel – all diese Erlebnisse wollten wir auch entsprechend würdigen. Und: in einem solchen vollständigen Bericht würde auch eine Auswahl unserer zahlreichen Fotos ihren Platz finden.
Für uns steht fest: So ein Bericht soll kein Törnführer werden (so etwas gibt es für nahezu alle Reviere), er erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit bei der Schilderung einzelner Strecken, Wegpunkte, Ausflugsziele und Abschweifungen in die Historie. Er gibt persönliche Eindrücke und Erfahrungen, Wahrnehmungen und Bewertungen wieder, die jeweils zu den definierten Zeitpunkten des Unterwegsseins entstanden sind.
Dieser Bericht soll ein Reisetagebuch werden, unser erstes dieser Art, mit unserer Tour im Jahr 2021. Folglich ist das eher eine Mitfahrgelegenheit denn ein Törnführer.
2021 ist ein besonderes Jahr: Es ist das zweite Jahr der Corona-Pandemie und sie prägt zu einem nicht unerheblichen Teil unseren Alltag. Deshalb begleitet auch die jeweilige Corona-Lage die gesamte Tour. (Ich schreibe den Begriff stets getrennt: Corona-Lage. Als ich das Wort Coronalage das erste Mal las, verstand ich Coronal-Age: coronal ist mir aus dem biologischen/medizinischen Kontext geläufig, es verweist entweder auf Herz-Kreislauf oder auf bestimmte Ansichten bildgebender Verfahren. Und damit ich nicht weiter stolpere, schreibe ich es getrennt). Somit ist hier immer mal wieder von Masken, Desinfektionsspray, Kontaktverfolgung oder Abstand halten die Rede.
Natürlich komme ich nicht umhin, uns drei vorzustellen. In alphabetischer Reihenfolge sind es Heidi, Micha, Recipe. Wie sind wir zum Bootfahren gekommen und wie kam das Boot zu uns? Was ist unsere Motivation für das Unterwegssein?
Heidi
Am Rhein aufgewachsen, habe ich als Kind die Rheinschifffahrt beobachten können und dabei ziemlich romantische Vorstellungen über das Leben der Binnenschiffer entwickelt. Zu gemütlich sah es vom Ufer gesehen aus, wenn Frauen an Deck entgegen der Fahrtrichtung des Schiffes herumliefen, um mit Kindern und Hund zu spielen oder die Wäsche aufzuhängen. Es musste doch schön sein, herumzufahren, Strecke zu machen und seinen Alltag mit wenig Drumherum zu gestalten. Von der schweren Arbeit, dem Zeitdruck, der Sorge um Fracht, Pünktlichkeit, Folgeauftrag und dergleichen hatte ich damals noch keine Ahnung.
Ebenso romantisch fand ich die Ansicht einsam über Felder ziehender Trecker. Ein so ruhiges, beschauliches Bild. Trecker und Fahrer fast meditativ Feld für Feld, Furche für Furche abzufahren, jenseits der Hektik, die auf Straßen, Baustellen und anderen Arbeitsfeldern wirkte.
Ich wurde weder Binnenschifferin noch Bäuerin und Ruhe fand ich beim Wandern und beim Laufen. Mit beiden Beinen auf festem Boden oder so ähnlich.
Am Wasser war ich immer gern, im Wasser eher nicht. Meine Erfahrungen auf dem Wasser machte ich bei Paddeltouren mit dem Faltboot auf der Lahn, bei denen es, nicht zuletzt wegen mitfahrender kleiner Kinder, recht beschaulich und gemütlich zuging. Wesentlich wagemutiger war ich Jahre zuvor, als es mit schnittigen Einerkajaks die Ardèche in Frankreich herunterging und Stromschnelle um Stromschnelle todesmutig genommen wurde.
Fahrten zur Wanderregion in Lappland beinhalteten auch die Überfahrt mit der Oslo-Fähre, vor der ich Respekt hatte. Zur Recht, wie sich zeigen sollte: bei einer dieser Überfahrten war so starker Seegang, dass hoch oben auf dem Restaurantdeck alles zu Bruch ging, was zerbrechen konnte und ein gefahrloser Gang über eine Treppe so gut wie unmöglich war. Von seekranken Menschen und Sorge um die eigene Gesundheit ganz zu schweigen.
Mit Micha trat das Bootsfahren in mein Leben und mit der Idee, gemeinsam mit einem Charterboot in Elsass-Lothringen Urlaub zu machen, begann eine neue Zeit mit neuen Erfahrungen. Mit Vertrauen in Micha, der „schon länger“ Boot gefahren war, willigte ich ein. Und siehe da, es war gar nicht schlimm. Für mich war die Reise ein Test mit dem Boot, für Micha wohl eher der Test auf meine Tauglichkeit an Bord, für uns beide sicher ein Test, ob und wie wir es auf kleinstem Raum eine Zeitlang miteinander aushalten würden. Unterm Strich wurden alle Tests bestanden.
Mein Spaß am Bootfahren wuchs. Ich machte den Bootsführerschein Binnen und See und den „Funkschein“. Sogar an den Segelschein wagte ich mich, scheiterte jedoch in der praktischen Prüfung, weil einfach zu viel Wind im engen Kanal blies. Hier war eher Intuition als Nachdenken gefordert. Ich war unsicher und ängstlich. Ich gab einfach auf. War schon ein blödes Gefühl, etwas nicht geschafft zu haben. Ich musste wohl damit leben, dass Segeln wohl dann doch nicht so mein Ding war.
Micha
Ich bin in Berlin, damals noch Berlin (West), aufgewachsen. Mit den vielen Gewässern dort hatte ich, abgesehen von einigen Schlauchboot-Paddel-Ausflügen, aber nicht viele Berührungen. Das änderte sich erst, nachdem ich als junger Erwachsener im Dänemark-Urlaub einen Windsurfkurs absolvierte. Erst dann wurde mir bewusst, welch tolles Revier wir mitten in der Stadt hatten. Ein eigenes Surfbrett musste her und ich lernte es in den darauffolgenden Jahren mehr schlecht als recht zu benutzen. Das Surfbrett zog dann 1992 mit mir in den Taunus nach Hessen um. Mangels geeigneter Surfmöglichkeiten stieg ich hier auf das Jollensegeln um.
Meine beiden damals noch sehr kleinen Kinder fanden Segeln auf der Jolle nicht so prickelnd, so dass ich mit meinem Bruder und beiden Kindern die erste Motorbooterfahrung auf einem Chartertörn in Mecklenburg sammelte. Ich dachte zu der Zeit, ich beherrsche das Motorbootfahren ein wenig, hatte ich doch gerade erst den Sportbootführerschein Binnen und See absolviert. Und doch fuhren wir zunächst im Zick-Zack durch die Kanäle und standen bei den ersten Schleusenmanövern irgendwann immer diagonal in der Schleusenkammer. So ein neun Tonnen Stahlboot mit starrer Welle fährt sich dann doch anders als ein Kajütboot mit Außenborder. Bugstrahl gab es damals weder für die Segelyachten noch für unser Chartermotorboot. Nach den zwei Wochen Charterurlaub gelangen die Manöver dann so halbwegs.
Die eigene kleine Jolle hatte zwar viel Spaß gemacht, auch hat mich der Charterurlaub in Mecklenburg angefixt, ich wollte aber auch „richtig“ segeln. Auf einem zweiwöchigen SKS-Ausbildungs-Törn in der Adria hat mich sofort der Fahrtensegelvirus infiziert.
Ab dann ging es mit der Bootsfahrerei für mich richtig los. Die kommenden Jahre begannen stets mit einem Skipper-Training im April in Holland und wurden dann mit je einem Segel- und einem Motorboottörn fortgesetzt.
Nach Heidis und meinem ersten gemeinsamen Bootstörn gestalteten wir unsere Urlaube zusammen sowohl auf Motor- als auch auf Segelbooten. Wir charterten Plattbodenschiffe in Friesland, Segelboote auf dem Ijsselmeer, Motorboote und Segelboote auf der Mecklenburgischen Seenplatte und machten Segeltörns in der Adria. Beim Segeln allerdings unterschied sich unsere Begeisterung. Wenn es mir so richtig Spaß machte, klinkte Heidi sich aus. Zuviel Schräglage, zu viel Wind machten ihr offensichtlich Angst. 2020 verabschiedete ich mich mit einem sehr schönen Helgolandtörn von der Seglerei und wir blieben letztlich beim Motorbootfahren.
An ein eigenes Schiff dachten wir erstmalig nach zwei Segeltörns mit einer Vollenhovense Bol, einem friesischen urigen 9 Meter Plattbodensegler (Bild 1). Allein die Entfernung zu den geeigneten Gewässern für solch ein Schiff hielt uns ab. Deshalb blieben wir erst einmal beim Chartern, denn Bootsurlaub musste sein.
Wir und Recipe
Zwei Jahre hintereinander (2016 und 2017) charterten wir an der Dahme das Boot „Anna Blume“, eine Kent 28 (Bild 2). Mit ihr fuhren wir durch die Berliner Gewässer, bis hinauf zur Müritz. Und wir überlegten, dass wir ungefähr so ein Boot haben wollten, wenn wir einmal eins kaufen würden. Das „einmal“ war wohl der Zeitpunkt, zu dem wir in der Nähe von Wasser wohnen würden, denn seinerzeit – im Taunus, später auf der Schwäbischen Alb – waren sowohl der Arbeits- als auch Wohnort nicht wirklich geeignet, sich ein Boot zu kaufen, das dann meilenweit weg von uns seinen Liegeplatz finden würde und wir wirklich nur zu Urlauben Zeit darauf verbringen könnten.
Doch dann kam alles ganz anders und ganz schnell: nach dem zweiten Urlaub auf und mit der Anna Blume ergab eine Recherche, dass in der Nähe von Regensburg an der Donau eine Kent 28, namens Recipe, zum Verkauf anstand. Micha hatte seinen Arbeitsplatz in Ingolstadt – an der Donau. Er konnte ja mal gucken! Und wie es mit dem Gucken so ist: Er war begeistert, hatte doch diese Launch-Variante der Kent 28 mit ihrem Aufbau und der Raumaufteilung genau die Verbesserungen, die wir uns auf der Anna Blume schon überlegt hatten: Fahrer- und Beifahrersitz nebeneinander auf gleicher Höhe, der gesamte Bereich ab Fahrerstand offen (mit Persenning überspannt), ein riesengroßes Raumgefühl.
Das Vorbesitzer-Ehepaar wollte ihre Recipe in gute Hände und in ein gutes Revier geben. Wir bewarben uns in gemeinsamen Gesprächen um das Boot und konnten es schließlich im Sommer 2017 erwerben.
Der Rumpf der Kent 28 stammt aus England, dort wurden diese Bootstypen als Lotsenschiffe im Hafen eingesetzt. Sie sind also sehr robust, mit hohem Bug, stabiler Reling und zweifachem Rundumfender aus dicker Gummileiste. Zum Sportboot ausgebaut wurden sie in den Niederlanden. Dort hatte ein Apotheker sich die Recipe bauen lassen und ihr diesen Namen gegeben, da er die Erfahrung gemacht hatte, dass es Menschen, die mit einem „Rezept“ (=Verordnung) in seine Apotheke kamen, hinterher einfach nur gut und besser ging. Sein Boot, die Recipe, war sein Rezept für ein gutes Lebensgefühl. Doch es stellte sich heraus, dass die Gattin des Apothekers auf dem Boot nicht schlafen konnte. Damit war der Traum von und mit dem eigenen Boot ausgeträumt. Der Apotheker verkaufte das Boot an das Ehepaar aus Regensburg.
Und so lag die Recipe an der Donau neben den hochmotorisierten Motoryachten mit Klimaanlage & Co. Bei unseren ersten Ausflügen auf der Donau bestätigte sich, dass dieses Gewässer für die Recipe nicht optimal war. Dennoch stand eine Tour nach Schlögen in Österreich an: Der Vorbesitzer der Recipe hatte dort im Vorjahr eine neue Persenning (das ist sozusagen das Zeltdach über dem offenen Cockpit) für den hinteren Teil des Bootes beauftragt. Wir mussten sie nur noch abholen. Wir beschlossen, die Gelegenheit zu nutzen und die gesamte Persenning neu zu gestalten. Der Termin wurde ausgemacht. Unsere Reise auf der Donau zu Tal lief gut, wir erreichten pünktlich den Hafen in Schlögen.
Die Sattlerin kam mit ihrer mobilen Werkstatt an den Hafen, nahm Maß, schnitt zu, nähte, passte an und stand uns bei unseren Vorstellungen von Ausschnitten für Fenster mit ihren Ideen zur praktischen Umsetzung und zur späteren Handhabung hilfreich zur Seite. Es war spannend, ihr bei dem Handwerk zuzusehen: eine relativ kleine Person, die mit so viel gespanntem Stoff und den Arbeitsbedingungen auf einem Boot und in einer mobilen Werkstatt so professionell, schnell und sauber zu Werke ging. Sie bekam unseren absoluten Respekt und Dank. Wir erhielten im Gegenzug eine neue Persenning nach unseren Wünschen: Fenster, die hochgerollt und mit Schlaufen über Druckknöpfe befestigt werden. Das große Heckfenster, die großen Flächen an Steuerund Backbord sowie das Fenster über dem Niedergang können wir so öffnen und haben das Gefühl, ganz im Freien zu stehen. Neben unseren Sitzplätzen können wir kleinere Fenster spaltbreit öffnen, so dass Frischluft durchziehen kann und die Kommunikation zwischen innen und außen funktioniert. Rein theoretisch könnten wir die gesamte Persenningfront über dem Steuerstand öffnen, jedoch bieten die Teile rechts und links neben dem Fenster über dem Niedergang angenehmen Sonnenschutz. Ach ja, um uns vor zu starker Sonneneinstrahlung oder zu neugieriger Nachbarschaft zu schützen, hat die Sattlerin ein Persenningtuch genäht, dass wir per Klettverschlüssen über das große Heckfenster spannen können – einfach genial!
Die Rückfahrt auf der Donau zu Berg dauerte 4 Tage, also einen Tag länger als die Hinfahrt und brachte so manchen Schweißtropfen auf unsere Stirne, da wir an Einmündungen von Isar und Inn kaum gegen die Strömung anfahren konnten. Mütter mit Kinderwagen überholten uns an Land und so manche grüne Tonne wollte einfach nicht näherkommen.
Im Gegensatz zu uns kann die Recipe mit technischen Daten aufweisen, die auch zeigen, warum sie als typischer Verdränger kein Boot für stark strömende Gewässer wie Donau oder auch Rhein ist.
Bootstyp | Kent 28 Launch | |
Baujahr | 2004 | |
Länge - Breite – Tiefgang Durchfahrtshöhe mit/ohne Funkantenne |
8,43m – 3,43m - 0,90m 3,90m /3,40m |
|
Motorisierung | Volvo Penta D2, 55 PS | |
Ausrüstung | Bugstrahl, elektrische Ankerwinsch, Kartenplotter | |
Rumpfgeschwindigkeit | 13 km/h |
Die technischen Daten der Recipe
Ein Jahr später (2018) stand eine andere Entscheidung an: Der nahende Ausstieg aus dem Berufsleben und die damit verbundene Überlegung, wo wir denn so wohnen wollten. Zeit unseres Berufslebens sind wir der Arbeit hinterher gezogen. Nun wollten wir da wohnen, wo es schön ist. Und dass die große Region der Mecklenburgischen Seenplatte wunderschön ist, hatten wir in vielen Urlauben erfahren. Es bieten sich nicht nur unzählige Möglichkeiten für Erkundungen der Region, sondern sie ist auch idealer Startpunkt für Bootstouren in weit darüber hinaus reichende Reviere. Und ganz wesentlich: diese Region ist ein ideales Revier für die Recipe.
Somit zog die Recipe im Sommer 2018 nach Waren an der Müritz. Wir erwarteten im Warener Hafen den Schwertransporter, der unsere Recipe von der Donau ans Mecklenburger Wasser bringen sollte. Pünktlich kam sie an und gelang sicher ins Wasser (Bild 3).
Wir machten Urlaub mit der Recipe auf der Mecklenburgischen Seenplatte (Bild 4). Der Schriftzug am Heck „Regensburg“, der den Heimathafen angibt, sorgte für regen Gesprächsbedarf. Wissbegierige Bootsfahrende wollten wissen, wie genau wir mit dem Boot von der Donau in die Mecklenburgischen Gewässer gekommen sind. Über welche Kanäle, welche Flüsse, über den Rhein? Die Wahrheit enttäuschte sie ein wenig, jedoch verstanden sie, dass dieses Boot mit Gewässern wie zum Beispiel dem Rhein nicht wirklich klarkommt. Nachvollziehen konnten sie auch, dass uns die Zeit, die eine Überführung auf dem Wasserweg beansprucht hätte, einfach fehlte. Nach diesem Urlaub ging die Recipe direkt ins Winterlager in Waren. Während dieser Zeit wurde die Angabe des Heimathafens auf Malchow geändert.
Wir fuhren hunderte Kilometer von ihr fort nach Hause. Im Folgejahr 2019 im Spätfrühling fand schließlich unser Umzug in den hohen Norden und in den sogenannten Ruhestand statt. Wir hatten uns nach einigen Erkundungstouren für Neustrelitz entschieden und fühlen uns hier richtig wohl und zu Hause angekommen.
Die Recipe fand ihren Sommerliegeplatz in Malchow. Der Stadthafen in Neustrelitz vergibt keine festen Liegeplätze und letztlich hatten wir wegen des niedrigen Wasserstandes Bedenken, uns um einen Liegeplatz in den anderen kleineren Bootsanlegern zu kümmern. Der Zierker See ist sehr flach, einzig die ausgetonnte Zufahrt zum Neustrelitzer Hafen sowie der Hafen selbst bietet genügend Wasser unter dem Kiel. Neustrelitz am Zierker See liegt am Ende der Oberen Havel-Wasserstraße und bildet für Motorboote eine Sackgasse. Zu jeder Tour hat man also eine längere Anfahrt über den Zierker See, den Kammerkanal mit zwei Schleusen, bevor man bei Priepert den Zugang zu den Kleinseen und die Havel hat. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund entschieden wir uns für den Liegeplatz am Alten Fischerhof in Malchow am Recken, der Verbindung zwischen dem Malchower See und dem Petersdorfer See; eine gute Dreiviertelstunde Autofahrt von unserer Wohnung in Neustrelitz entfernt.
Der Traum, im Ruhestand mit dem Boot lange Zeit unterwegs sein zu können, ohne Termine, ohne Zwang von a nach b und c und zurück war zunächst nicht so wirklich umzusetzen. Es blieb bis heute bei zwei- bis maximal vierwöchigen Touren und vielen Kurztrips. Es gab mehrere Gründe dafür:
Im Juni 2019 waren wir nach Neustrelitz umgezogen. Zuerst wollte die neue Wohnung fertig eingerichtet und alle Kisten wollten ausgepackt werden. Die defekte Schleuse in Zaaren, eine defekte Hubbrücke im Störkanal und fehlendes Wasser in Elde und Elbe hinderten uns zudem daran, die Seenplatte zu verlassen. In vielen Kurztrips konnten wir dafür ausgiebig unser neues Heimatrevier erkunden.
Zu Beginn des Jahres 2020 verbreitete sich das Corona-Virus und sorgte für Aufmerksamkeit der ganz besonderen Art. Auch wir hatten Sorgen und waren mit der Umsetzung von Aktivitäten und Reisen sehr zurückhaltend. Zur Hochzeit einer unserer Töchter konnten wir anreisen und erst danach starteten wir im Juni zu einer 3-wöchigen Tour nach Brandenburg an der Havel. Den Rest des Sommers verbrachten wir dann wieder mit der Erkundung des heimischen Reviers. Für den Winter brachten wir die Recipe nach Lärz in ihren Winterschlaf und ergatterten auch einen festen Liegeplatz im Yachthafen Rechlin als Sommerlager. Der Yachthafen hat gegenüber dem Liegeplatz in Malchow einen unschlagbaren Vorteil, denn es findet tatsächlich Hafenleben mit vorhandener Infrastruktur statt: Zwei Restaurants liegen am Hafengelände, Sanitärgebäude und Tankstelle gehören auch dazu. Wir können ein- und auslaufende Boote beobachten, haben Austausch mit Stegnachbarn, die an ihren Booten arbeiten oder nur ein Wochenende auf ihnen verbringen. Das alles gab es am Anleger in Malchow nicht. Ein weiterer kleinerer Vorteil besteht auch darin, dass wir eine kürzere Anfahrtszeit von unserer Wohnung aus nach Rechlin als nach Malchow haben.
Die Bezeichnung für den Heimathafen Malchow änderten wir nicht wieder, da so eine Änderung mit einigem formalen Aufwand verbunden ist. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie möchte in einem solchen Fall das Flaggenzertifikat erneuert wissen. Ordentlich ausgefüllte Formulare, neue Fotos vom Schiff müssten versendet und eine entsprechende Bearbeitungsgebühr entrichtet werden.
Wir sind ein eingespieltes Team (nicht nur auf dem Boot) und haben die Rollen Skipper und Crew nach dem Motto „jeder das, was er wie am besten kann“ schon recht früh verteilt. Micha ist am Steuer, ich löse ihn ab und zu ab, wenn er mit der Kamera etwas aufnehmen will oder mal kurz im Bad verschwinden muss. Anlegen, egal wo, ist sein Ding. Da bin ich sicher, dass mit dem Boot nichts passiert und wir tatsächlich dort landen, wo wir landen wollen. Vor allem hat er ein gutes Gefühl für das Boot, er weiß, was die Recipe kann und was nicht, wie sich Recipe bei Rückwärtsfahren verhält und hat großen Ehrgeiz beim Manövrieren mit der Maschine. Wo immer es stressfrei geht, ohne Einsatz des Bugstrahlruders. Ich bewundere seine große Ruhe bei komplizierteren Anlegemanövern in engen Räumen, auch wenn ich bei so manchem Anlegemanöver durchaus Geduld haben muss. Die Leinenarbeit an Deck ist mein Ding; dafür habe ich mich seit Plattbodenzeiten erwärmt. Mir ist es wichtig, dass die Leinen griffbereit sind, ein Wuling nicht erst entwirrt werden müssen. Daher hänge ich sie an der Reling auf. Sie liegen dann nicht auf Deck, ich gerate nicht in die Situation, auf ihnen auszurutschen und besonders wichtig: Sie bieten den Spinnen keine Nestmöglichkeiten! Ich mag Spinnen gar nicht, sie sind mir ein Graus. Auch die Heckleinen, die während der Fahrt auf den Sitzen liegen, haben ihre Ordnung. Sie werden außen um die Persenning herumgeführt und liegen in wohl geordneten Buchten auf dem Polster. Sie müssen dann nur noch hochgenommen werden und sind einsatzbereit.
Als Profis würde ich uns nicht bezeichnen. Wir haben zwar schon etliche Erfahrungen mit Bootfahren gemacht, lernen aber auch noch immer dazu. Eingespielt sind wir, das stimmt. Micha weiß, was ich mir zutraue und was nicht und bringt mich nicht in Situationen, in denen ich mich unwohl fühlen würde. Das wirkt sich auf viele Abläufe aus. Ich weiß, welche Arbeiten Micha nicht so gerne macht, bzw. er nicht so macht, wie ich denke, dass sie gemacht werden sollten. Und so ergänzen wir uns prima, mein allzu großes Appellohr ist dabei auch hilfreich. Wenn der Skipper feststellt: „Einer von uns muss jetzt mal Kaffee kochen“, na, wer kocht ihn? Des Rätsels Lösung ist einfach.
Als sich die Corona Situation über den Winter 2020/2021 kritisch entwickelte, schnitt sich ganz Mecklenburg-Vorpommern von der Außenwelt ab. Niemand von außerhalb des Bundeslandes durfte einreisen und wir ordneten das als gut und richtig ein. Die Zahlen der Infektionen, Inzidenzen & Co. verfolgten wir täglich und die Lage in Mecklenburg-Vorpommern schienen den Erfolg der Maßnahmen zu beweisen.
Wir gingen freiwillig in die Isolation zu Hause. Einzige Kontakte entstanden beim Einkaufen im Supermarkt, den Micha im Wesentlichen vornahm. Er ist dabei schneller als ich. Ich gucke gern noch herum und lasse mich von Angeboten gerade am Obst- und Gemüsestand inspirieren, bleibe also ausgerechnet dort länger stehen, wo sich die meisten Einkaufenden drängeln, ihre Einkäufe einsammeln, verpacken, wiegen. Micha hat einen Zettel, den er akribisch abarbeitet und ist damit ganz schnell wieder aus dem Supermarkt.
Im April 2021 konnten wir uns bei einem Sonderimpftermin mit dem seinerzeit umstrittenen Impfstoff AstraZeneca die erste Dosis abholen und einen Termin für die zweite Impfung Anfang Juli fest ausmachen. Diesem Termin fieberten wir natürlich entgegen, so dass für uns feststand, erst danach zu einer längeren Bootstour aufzubrechen. Vorher würden wir kleinere Ausflüge in „unserem Revier“ unternehmen.
Die Häfen in unserem Bundesland öffneten erst in den ersten Juni-Tagen. Hatte man einen festen Liegeplatz in einem Hafen, war es möglich, einzelne Tage auf dem Schiff zu verbringen, um Sonne, Wind und Wasser zu genießen, Arbeiten am Schiff zu verrichten oder einfach nur nach dem Rechten zu sehen. Übernachtungen waren nicht erlaubt. Die gesamte Infrastruktur in den Häfen, z. B. Toiletten, Waschräume, Tankservice, war geschlossen.
Im Nachbarland Brandenburg entschied man sich für eine frühere Öffnungszeit der Häfen. Ein Vercharterer aus Mecklenburg-Vorpommern verlegte einen Teil seiner Flotte daraufhin in Brandenburger Gewässer, um das Geschäft trotz Einschränkungen zu sichern.
Wir starten spät in unsere Bootssaison.
Mittlerweile doppelt geimpft, fühlen wir uns auf dem Boot und dem Unterwegssein zu zweit sicher in Bezug auf mögliche Ansteckungsgefahr. Masken gehören nun zur Ausstattung auf dem Boot, wir sind diesbezüglich gerüstet. FFP2-Masken baumeln in der Plicht an Karabinerhaken, so können sie nach kurzzeitigem Gebrauch auch gut auslüften.
Unsere Erfahrung bei Begegnungen mit anderen Menschen im Hafen und am Liegeplatz ist, dass bezüglich Corona offen kommuniziert wird. Die Frage nach „geimpft“ wird gestellt. Wir wissen, dass das gesamte Team des Hafens geimpft ist, wir kennen den Impfstatus unserer direkten Stegnachbarn. Und bei Treffen mit Bootsfreunden ist auch das immer das erste Thema. Gut so, denn dann wissen alle, woran sie sind, worauf sie sich einlassen können und worauf nicht. Entspannung ist gegeben, wenn man in der Runde in der Plicht zusammen Zeit verbringt.
Es ist der 7. Juni. Wir ziehen auf der Recipe ein, ich beziehe die Betten, Micha legt Landstrom. Ein Geruch macht sich breit, für mich riecht es nach verbrennendem Kerzenwachs. Ich frage Micha, ob auch er das riecht – und schon entdecken wir einen sich schnell entwickelnden Rauch, der aus dem Sicherungskasten in unserer Kajüte quillt. Eilig dreht Micha die Bordsicherungen in der Backskiste raus, zieht den Stecker zum Landstrom. Zu mehr kommt er nicht, da der Rauch offensichtlich durch den Kabelschacht auf Backbord bis zur Sicherungsanlage in der Kajüte kam und dort aus der Verkleidung drang. Micha ruft zum Nachbarschiff, sie sollen die Feuerwehr rufen; ich schnappe mir meinen Rucksack und wir verlassen schnell das Boot. Vom Steg aus sehen wir Qualm aus allen Fugen der Recipe aufsteigen. Es dauert keine 12 Minuten und die Helfer sind mit einem kompletten Löschzug vor Ort. Micha muss ihnen nicht zeigen, wo das Schiff liegt. Sie sehen die Qualmwolke bereits vom Eingang zum Hauptsteg aus. An unserem Steg verlegen sie unbewohnte Nachbarschiffe und weisen Anwesende an, ihr Schiff wegzufahren, um im Falle eines Brandes ein Übergreifen auf andere Schiffe zu verhindern. Feuerwehrmänner mit Atemschutzausrüstung räumten die Backskiste aus, einzelne Stücke wurden auf den Steg gebracht. Sie finden die Ursache des Qualms: der Inverter auf der Backbordseite in der hinteren Backskiste qualmt und ist heiß. Sie klemmen alle Batterien ab, mit CO2 wird der Inverter schließlich gekühlt. Auf dem Steg in einiger Entfernung stehen sehr junge Feuerwehrmänner mit ziemlich großen Feuerlöschern. Ich beruhige mich, dass diese nicht zum Einsatz kommen müssen. Andere junge Feuerwehrleute sind enttäuscht, dass sie das Alu-Feuerlöschboot nicht zum Einsatz bringen müssen, dass fest in unserem Hafen stationiert ist. Die Polizei erscheint, was über Walkie-Talkies der Feuerwehrleute angekündigt wird verbunden mit der Aufforderung zum Aufsetzen der Masken aller am Steg Anwesenden. Die Polizeibeamten nehmen den Sachverhalt auf.