Buch
Vor sechs Jahren wurde sie gefunden, dreckig und halb verhungert, versteckt in einer geheimen Kammer. Was ihr Entführer ihr angetan hat, hat sie nie zu enthüllen vermocht, ebenso wenig wie ihren wahren Namen. Mittlerweile ist Evie Cormac zu einer ebenso verstörten wie verstörenden jungen Frau herangewachsen: hochintelligent, aber unberechenbar.
Der forensische Psychologe Cyrus Haven hat selbst mit einer traumatischen Vergangenheit zu kämpfen. Dabei hilft ihm sein Beruf: Er berät die Polizei bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen. Als er mitten in den Ermittlungen zum Mord an der jungen Eiskunstläuferin Jodie Sheehan steckt, trifft er zum ersten Mal auf Evie – und ist fasziniert. Denn Evie verfügt über ein untrügliches Gespür dafür, wenn jemand lügt. Und bei Cyrus‘ Mordermittlungen sagt kaum jemand die Wahrheit …
Weitere Informationen zu Michael Robotham sowie zu lieferbaren Titeln des Autors finden Sie am Ende des Buches.
Michael Robotham
Schweige still
Psychothriller
Aus dem Englischen
von Kristian Lutze
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Good Girl, Bad Girl« bei Sphere, einem Imprint der Little, Brown Book Group, London.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Deutsche Erstveröffentlichung Dezember 2019
Copyright © 2019 by Bookwrite Pty.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019
by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Ann-Catherine Geuder
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: Stadtansicht: © Arcangel/Mark Owen, Frau: © Stephen Mulcahey / Trevillion Images
Th · Herstellung: Han
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN: 978-3-641-23124-8
V004
www.goldmann-verlag.de
Besuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz
Für Jonathan Margolis
Die Wahrheit ist selten rein und niemals einfach.
Oscar Wilde
»Welche ist es?«, frage ich und beuge mich näher zum Observationsfenster.
»Die Blonde mit dem weiten Pullover, die ein wenig abseits sitzt.«
»Und du erzählst mir nicht, warum ich hier bin?«
»Ich möchte deine Entscheidung nicht beeinflussen.«
»Was entscheide ich denn?«
»Beobachte sie einfach.«
Ich betrachte erneut die gemischte Gruppe von Teenagern. Die meisten tragen Jeans und Oberteile mit langen Ärmeln, um sämtliche selbst zugefügten Verletzungen zu verbergen. Einige ritzen oder kratzen sich, andere fügen sich Verbrennungen zu, sind bulimisch, magersüchtig, zwangsgestört oder hyperaktiv, zählen zu den Pyromanen, Soziopathen oder Narzissten. Einige missbrauchen Drogen oder Nahrungsmittel. Andere schlucken Fremdkörper, rennen vorsätzlich gegen Wände oder gehen absurde Risiken ein.
Evie Cormac hat die Knie an den Körper gezogen, beinahe so als würde sie dem Boden nicht trauen. Sie ist hübsch mit einem Schmollmund; sie könnte achtzehn oder vierzehn sein. Noch nicht ganz Frau, aber auch kein Mädchen, das sich von seiner Kindheit verabschiedet, stattdessen hat sie etwas Altersloses und Unveränderliches, als hätte sie das Schlimmste schon gesehen und überlebt. Ihre braunen Augen werden von künstlich dichten Wimpern und einem fransigen blondierten Bob gerahmt. Sie hält die langen Ärmel ihres Pullovers in den geballten Fäusten, reckt den Hals und entblößt ein Muster aus roten Flecken unterhalb ihres Kiefers, Knutschflecken vielleicht oder Fingerabdrücke.
Adam Guthrie steht neben mir und betrachtet Evie wie den jüngsten Neuzugang im Twycross Zoo.
»Warum ist sie hier?«, frage ich.
»Aktuell wegen schwerer Körperverletzung. Sie hat jemandem mit einem halben Ziegelstein den Kiefer gebrochen.«
»Aktuell?«
»Es war nicht ihre erste Straftat.«
»Wie viele?«
»Noch nicht der Rede wert.«
Er versucht, witzig zu sein, oder stellt sich absichtlich dumm. Wir sind in Langford Hall, einer geschlossenen Einrichtung für Minderjährige, wo Guthrie als Sozialpädagoge arbeitet. Er trägt weite Jeans, Armeestiefel und einen Rugby-Pullover und gibt sich alle Mühe, auszusehen wie »einer von ihnen«; jemand, der die Kriminalität und die Konflikte der Jugend versteht, und nicht wie ein kleiner unterbezahlter öffentlicher Angestellter mit Frau, zwei Kindern und einer Hypothek. Wir haben zusammen studiert und im selben College gewohnt. Ich würde ihn nicht als Freund bezeichnen, eher als flüchtigen Bekannten, obwohl ich vor ein paar Jahren bei seiner Hochzeit war und mit einer der Brautjungfern geschlafen habe. Ich wusste nicht, dass es Guthries jüngste Schwester war. Hätte es einen Unterschied gemacht? Ich weiß es nicht. Er hat es mir nicht übel genommen.
»Bist du bereit?«
Ich nicke.
Wir betreten den Raum, nehmen zwei Stühle und setzen uns in den Kreis von Teenagern, die uns mit einer Mischung aus Argwohn und Langeweile ansehen.
»Wir haben heute einen Besucher«, sagt Guthrie. »Das ist Cyrus Haven.«
»Wer ist er?«, fragt eins der Mädchen.
»Ich bin Psychologe«, antworte ich.
»Noch einer!«, sagt das Mädchen und verzieht das Gesicht.
»Cyrus ist hier, um zu beobachten.«
»Uns oder dich?«
»Beides.«
Ich achte auf Evies Reaktion. Sie mustert mich ausdruckslos.
Als Guthrie die Beine übereinanderschlägt, rutscht der Saum seines Hosenbeins hoch und entblößt einen blassen, unbehaarten Knöchel. Er ist der Typ munteres Dickerchen, der sich, wenn er etwas anfängt, die Hände reibt in Erwartung des Spaßes, den er haben wird.
»Beginnen wir mit einer Vorstellungsrunde, ja? Ich möchte, dass ihr Cyrus euren Namen sagt, woher ihr kommt und warum ihr hier seid. Wer möchte anfangen?«
Niemand antwortet.
»Wie wär’s mit dir, Alana?«
Sie schüttelt den Kopf. Ich sitze Evie direkt gegenüber. Sie weiß, dass ich sie ansehe.
»Holly?«, fragt Guthrie.
»Nee.«
»Evie?«
Sie reagiert nicht.
»Schön zu sehen, dass du heute mehr anhast«, sagt Guthrie. »Und du auch, Holly.«
Evie schnaubt.
»Das war ein legitimer Protest«, entgegnet Holly und wird lebhafter. »Wir haben gegen überkommene Vorstellungen von Klasse und Gender protestiert, die in diesem von weißen Männern dominierten Gulag herrschen.«
»Danke, Genossin«, sagt Guthrie und wechselt rasch das Thema. »Willst du dann den Anfang machen, Nathan?«
»Nenn mich nicht Nathan«, sagt eine Bohnenstange von einem Jungen mit Pickeln auf der Stirn.
»Wie soll ich dich denn nennen?«
»Nat.«
»Wie ein Insekt?«, fragt Evie.
Er buchstabiert es: »N … A … T.«
Guthrie zieht einen kleinen Strickteddybär aus der Tasche und wirft ihn Nat zu. »Du fängst an. Denkt dran, wer immer den Bär hat, hat das Rederecht. Niemand darf ihn unterbrechen.«
Nat lässt den Teddy auf seinem Oberschenkel wippen.
»Ich bin aus Sheffield, und ich bin hier, weil ich in den VW meines Nachbarn gekackt habe, als er ihn offen gelassen hat.«
Allgemeines Gekicher. Evie stimmt nicht mit ein.
»Warum hast du das getan?«, fragt Guthrie.
Nat zuckt nonchalant die Schultern. »Es war lustig.«
»Auf den Fahrersitz?«, fragt Holly.
»Ja. Klar. Wohin sonst? Der Vollpfosten hat sich bei der Polizei beschwert, da haben meine Kumpel und ich ihm eine Abreibung verpasst.«
»Hast du deswegen ein schlechtes Gewissen?«, fragt Guthrie.
»Eigentlich nicht.«
»Ihm mussten Metallplatten in den Schädel eingesetzt werden.«
»Ja, aber er hatte eine Versicherung und bekam eine Entschädigung. Meine Mum musste eine Strafe zahlen. Meiner Meinung nach hat der Wichser daran noch Geld verdient.«
Guthrie will widersprechen, überlegt es sich dann aber anders, vielleicht weil er die Aussichtslosigkeit erkennt.
Der Teddybär wird weitergegeben an Reebah aus Nottingham, die quälend dünn ist und sich die Lippen zusammengenäht hat, weil ihr Vater sie dazu zwingen wollte, etwas zu essen.
»Was solltest du denn essen?«, fragt eins der anderen Mädchen, das so dick ist, dass ihre Oberschenkel ihre Knie auseinander drücken.
»Essen.«
»Was für Essen?«
»Geburtstagskuchen.«
»Du bist bescheuert.«
Guthrie interveniert. »Bitte keine kritischen Bemerkungen, Cordelia. Du darfst nur sprechen, wenn du den Bären hast.«
»Dann gib her«, sagt sie und reißt ihn aus Reebahs Schoß.
»Hey, ich war noch nicht fertig!«
Die Mädchen ringen um den Teddy, bis Guthrie dazwischengeht, aber Reebah hat vergessen, was sie sagen wollte.
Der Bär ist auf einem neuen Schoß. »Ich heiße Cordelia, ich bin aus Leeds, und wenn jemand mir blöd kommt, gibt’s Krieg, verstehst du. Dann muss er bezahlen.«
»Du wirst wütend?«, fragt Guthrie.
»Ja.«
»Was macht dich denn zum Beispiel wütend?«
»Wenn Leute sagen, ich wär fett.«
»Du bist fett«, sagt Evie.
»Halt dein verdammtes Maul!«, brüllt Cordelia und springt auf. »Wenn du das noch mal sagst, kriegst du auf die Fresse.«
Guthrie hat sich zwischen die beiden gestellt. »Entschuldige dich, Evie.«
Evie lächelt süß. »Es tut mir leid, dass ich dich fett genannt habe, Cordelia. Ich bin sicher, du hast abgenommen. Du siehst regelrecht grazil aus.«
»Was heißt das?«, fragt sie.
»Dünn.«
»Leck mich.«
»Okay, wir sollten uns alle wieder beruhigen«, sagt Guthrie. »Cordelia, warum bist du hier?«
»Ich bin zu früh erwachsen geworden«, antwortet sie. »Ich hab meine Unschuld mit, was, elf verloren. Ich hab mit Typen geschlafen und mit Mädchen geschlafen und eine Menge Gras geraucht. Mit zwölf hab ich Heroin probiert und mit dreizehn Crystal Meth.«
Evie verdreht die Augen.
Cordelia starrt sie wütend an. »Meine Mom hat mir die Polizei auf den Hals gehetzt, deshalb hab ich versucht, sie mit Putzmittel zu vergiften.«
»Um sie zu bestrafen?«, fragt Guthrie.
»Kann sein«, sagt Cordelia. »Es war mehr wie ein Experiment. Ich wollte irgendwie sehen, was passiert.«
»Hat es geklappt?«, fragt Nat.
»Nee«, erwidert Cordelia. »Sie hat gesagt, die Suppe schmeckt komisch, und hat ihren Teller nicht leer gegessen. Sie musste bloß kotzen.«
»Du hättest Eisenhut nehmen sollen«, sagt Nat.
»Was ist das?«
»Eine Pflanze. Ich hab von einem Gärtner gehört, der gestorben ist, nur weil er die Blätter berührt hat.«
»Meine Mum mag keine Gartenarbeit«, sagt Cordelia, ohne zu begreifen, dass es darum überhaupt nicht geht.
Guthrie gibt Evie den Teddybär. »Du bist dran.«
»Nee.«
»Warum nicht?«
»Die Details meines Lebens sind irrelevant.«
»Das ist nicht wahr.«
Evie beugt sich seufzend vor, stützt die Unterarme auf die Knie und drückt den Bär mit beiden Händen. Ihr Akzent verändert sich.
»Mein Vater ist ein von Ehrgeiz zerfressener Zuckerbäcker aus Belgien gewesen. Er litt unter minderschwerer Narkolepsie und hatte eine Schwäche für kleine Jungen. Meine Mutter war eine fünfzehnjährige Prostituierte namens Chloe mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen …«
Ich lache laut los. Alle sehen mich an.
»Das ist aus Austin Powers«, erkläre ich.
Weitere leere Blicke.
»Der Film … Mike Myers … Dr. Evil.«
Nach wie vor nichts.
Evie setzt einen barschen schottischen Akzent auf. »Ich bin todessexy! Sieh dir mal diesen Adoniskörper an!«
»Fieser Fettsack«, sage ich.
Evie lächelt. Guthrie sieht mich ärgerlich an, als würde ich zu Ungehorsam aufstacheln.
Er ruft einen anderen Teenager auf, ein Mädchen mit blauer Strähne im Haar und Piercings in Ohren, Brauen und Nase.
»Was führt dich hierher, Serena?«
»Tja, das ist eine lange Geschichte.«
Allgemeines Stöhnen.
Serena erzählt eine Episode aus ihrem Leben, in der sie mit sechzehn als Austauschschülerin nach Amerika kam und bei einer Familie in Ohio lebte, deren Sohn wegen Mordes im Gefängnis saß. Sie zwangen Serena, ihn alle vierzehn Tage möglichst aufreizend gekleidet zu besuchen. Kurze Röcke, tief ausgeschnittene Oberteile.
»Er war auf der anderen Seite der Scheibe, und sein Vater hat ständig gesagt, ich solle mich noch näher ran beugen und seinem Sohn meine Titten zeigen.«
Evie niest in ihre Armbeuge, ein kurzes, heftiges Ausatmen, das fast klingt wie »Schwachsinn!«.
Serena starrt sie wütend an, fährt jedoch mit ihrer Geschichte fort. »In dieser Nacht ist der Vater in mein Zimmer gekommen, als ich geschlafen habe, und hat mich vergewaltigt. Ich hatte zu viel Angst, es meinen Eltern zu erzählen oder die Polizei anzurufen. Ich war allein in einem fremden Land, Tausende von Meilen von zu Hause entfernt.« Sie blickt in die Runde und hofft auf Mitleid.
Evie niest erneut und macht wieder das gleiche Geräusch.
Serena versucht, sie zu ignorieren.
»Zurück zu Hause bekam ich Probleme – Alkohol und Ritzen. Meine Eltern haben mich zu einem Therapeuten geschickt, der anfangs auch einen echt netten Eindruck machte. Bis er versucht hat, mich zu vergewaltigen.«
»Oh, verdammte Scheiße!«, sagt Evie und seufzt angewidert.
»Wir sind nicht hier, um zu beurteilen«, warnt Guthrie sie.
»Aber sie denkt sich den Scheiß bloß aus. Welchen Sinn hat diese Gesprächsrunde, wenn die Leute Lügen erzählen?«
»Du kannst mich mal!«, brüllt Serena und zeigt Evie den Stinkefinger.
»Leck mich!«, sagt Evie.
Serena springt auf. »Du bist ein Freak! Das weiß jeder!«
»Bitte setz dich«, sagt Guthrie und versucht, die beiden Mädchen voneinander getrennt zu halten.
»Sie hat mich eine verdammte Lügnerin genannt.«
»Nein, habe ich nicht«, erwidert Evie. »Ich hab dich eine verdammte irre Lügnerin genannt.«
Serena duckt sich unter Guthries Arm, stürzt sich auf Evie und reißt sie vom Stuhl. Die beiden ringen auf dem Boden, aber Evie scheint die Schläge beinahe lachend abzuwehren.
Ein Alarm ist ausgelöst worden, und eine Truppe von Sicherheitsleuten platzt in den Raum und zerrt Serena weg. Die anderen Teenager werden zurück auf ihre Zimmer geschickt, alle bis auf Evie. Sie klopft sich Schmutz von den Kleidern, berührt ihren Mundwinkel und verreibt eine Blutspur zwischen Daumen und Zeigefinger.
Ich gebe ihr ein Taschentuch. »Alles in Ordnung?«
»Mir geht es gut. Die schlägt wie ein Mädchen.«
»Was ist mit deinem Hals passiert?«
»Jemand hat versucht, mich zu erwürgen.«
»Warum?«
»Ich hab so ein Gesicht.«
Ich ziehe einen Stuhl heran und mache Evie ein Zeichen, Platz zu nehmen. Sie gehorcht, schlägt die Beine übereinander und entblößt eine elektronische Fußfessel um ihren Knöchel.
»Warum trägst du die?«
»Die denken, ich will abhauen.«
»Und willst du das?«
Evie legt den Zeigefinger auf die Lippen.
»Psst. Bei der ersten Gelegenheit.«
Ich bin mit Guthrie in einem Pub verabredet, das nach den Stanton Ironworks in der Nähe benannt ist, die schon vor Jahren dichtgemacht haben. Er sitzt auf einem Hocker, ein leeres Pintglas zwischen seinen auf den Tresen gestützten Ellbogen, und beobachtet, wie sein frisches Bier gezapft wird.
»Bist du öfters hier?«, frage ich und nehme neben ihm Platz.
»Mein Zufluchtsort«, antwortet er. Er hat pummelige blasse Finger, verziert mit einem Dreifach-Ehering.
Der Barkeeper fragt, ob ich etwas möchte. Ich schüttele den Kopf. Guthrie wirkt enttäuscht, allein trinken zu müssen. Über seine Schulter hinweg sehe ich einen Bereich mit einem Billardtisch und Spielautomaten, die blinken und klingeln wie ein Karussell.
»Du siehst gut aus«, lüge ich. »Wie ist das Leben als verheirateter Mann?«
»Toll. Super. Es macht dick.« Er tätschelt seine Plauze. »Solltest du auch mal versuchen.«
»Dick werden?«
»Heiraten.«
»Wie geht es den Kindern?«
»Die wachsen wie Unkraut. Wir haben jetzt zwei, ein Junge und ein Mädchen, acht und fünf.«
Ich weiß den Namen seiner Frau nicht mehr, kann mich aber erinnern, dass sie aus Osteuropa stammt, mit breitem Akzent spricht und ein Hochzeitskleid getragen hat, das aussah wie ein furchtbar verunglücktes Handarbeitsprojekt. Guthrie hatte sie kennengelernt, als er in Teilzeit Englisch an einer Sprachenschule in London unterrichtete.
»Und, was hältst du von Evie?«, fragt er.
»Sie ist ein richtiger Sonnenschein.«
»Sie ist eine von ihnen.«
»Eine von wem?«
»Den Lügendetektoren.«
Ich unterdrücke ein Lachen. Er wirkt gekränkt.
»Du hast sie gesehen. Sie wusste, wann sie gelogen haben. Sie ist ein Truth-Wizard – genau der Typ, den du beschrieben hast.«
»Du hast meine Doktorarbeit wirklich gelesen?«
»Jedes Wort.«
Ich verziehe das Gesicht. »Das ist acht Jahre her.«
»Sie wurde veröffentlicht.«
»Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es keine Truth-Wizards gibt.«
»Nein, du hast gesagt, dass sie einen winzigen Teil der Bevölkerung ausmachen – vielleicht einer von fünfhundert – und dass die Besten in achtzig Prozent der Fälle richtiggelegen haben. Du hast weiter geschrieben, dass jemand auch noch größere Fähigkeiten entwickeln könnte; jemand, der nicht durch Gefühle oder mangelnde Vertrautheit mit dem Thema beeinträchtigt ist. Jemand, der auf einem höheren Level funktioniert.«
Mein Gott, er hat sie wirklich gelesen!
Ich will das Gespräch abwürgen und Guthrie erzählen, dass er sich irrt. Ich habe zwei Jahre lang an meiner Doktorarbeit über Truth-Wizards geschrieben, die Fachliteratur gelesen, ihre Geschichte erforscht und Tests an mehr als dreitausend Freiwilligen durchgeführt. Evie Cormac ist zu jung, um ein Truth-Wizard zu sein. In der Regel sind sie mittleren Alters oder älter und können auf Erfahrungen in bestimmten Berufen wie Ermittler, Richter, Anwalt, Psychologe oder Geheimagent zurückgreifen. Teenager sind zu beschäftigt damit, in den Spiegel oder auf ihr Handy zu schauen, um die feinen, fast unmerklichen Veränderungen im Gesichtsausdruck eines Menschen zu deuten, die Nuancen seiner Körpersprache oder den Klang seiner Stimme.
Guthrie wartet auf meine Antwort.
»Ich glaube, du irrst dich«, sage ich noch einmal.
»Aber du hast gesehen, wie sie es gemacht hat.«
»Sie ist ein sehr intelligenter, manipulativer Teenager.«
Der Sozialarbeiter seufzt und blickt in sein halbleeres Glas. »Sie hat mich hierzu getrieben.«
»Was?«
»Zum Trinken. Laut meiner Ärzte habe ich den Körper eines Sechzigjährigen; ich habe zu hohen Blutdruck, Fettgewebe ums Herz und Leberwerte an der Grenze zur Zirrhose.«
»Inwiefern ist das Evies Schuld?«
»Jedes Mal wenn ich mit ihr rede, will ich mich zusammenrollen und heulen. Ich war Anfang des Jahres für zwei Monate krankgeschrieben – wegen Überlastung, aber es hat nicht geholfen. Jetzt droht meine Frau, mich zu verlassen, wenn ich nicht einer Paartherapie zustimme. Das habe ich keiner Menschenseele erzählt, aber Evie wusste es trotzdem irgendwie.«
»Wie?«
»Was glaubst du denn?« Guthrie wartet meine Antwort nicht ab. »Glaub mir, Cyrus. Sie erkennt, wenn Menschen lügen.«
»Selbst wenn das wahr wäre, verstehe ich nicht, warum ich hier bin.«
»Du könntest ihr helfen.«
»Wie?«
»Evie hat bei Gericht einen Antrag auf Entlassung gestellt, aber sie ist noch nicht so weit, Langford Hall verlassen zu können. Sie ist Legasthenikerin. Asozial. Aggressiv. Sie hat keine Freunde. Niemand kommt sie besuchen. Sie ist eine Gefahr für sich und andere.«
»Wenn sie achtzehn ist, hat sie das Recht, weiterzuziehen.«
Guthrie zögert und zupft an seinem Hemdkragen.
»Niemand kennt ihr wahres Alter.«
»Was soll das heißen?«
»Es gibt keine Unterlagen über ihre Geburt.«
Ich blinzele ihn an. »Es muss doch irgendwas geben – eine Krankenhausakte, einen Hebammenbericht, Schulanmeldungen …«
»Es gibt keine Unterlagen.«
»Das ist unmöglich.«
Guthrie leert sein Bier und macht dem Barkeeper ein Zeichen, ihm ein neues zu zapfen. Er senkt die Stimme zu einem Flüstern. »Was ich dir jetzt erzähle, ist streng vertraulich. Und ich meine, unter Verschluss! Du darfst kein Sterbenswörtchen davon zu irgendjemandem sagen.«
Ich möchte lachen. Guthrie ist nicht direkt die Idealbesetzung für einen Geheimagenten.
»Ich meine es ernst, Cyrus.«
»Okay, okay.«
Sein Bier wird serviert. Er positioniert es genau in der Mitte des Bierdeckels und wartet, bis der Barkeeper wieder außer Hörweite ist. Ein Sonnenstrahl fällt durch das Fenster und verleiht dem Pub die Atmosphäre eines Kirchenschiffs; es fühlt sich an, als wären wir in einer Kirche und ich nähme Guthrie die Beichte ab.
»Evie ist das Mädchen aus der Kammer.«
»Wer?«
»Angel Face?«
Ich begreife sofort, wen er meint, will jedoch widersprechen. »Das kann nicht sein.«
»Sie ist es.«
»Aber das war …«
»Vor sechs Jahren.«
Ich erinnere mich an die Geschichte. Ein Mädchen, das in einem Geheimzimmer eines Hauses im Norden von London gefunden worden war, geschätzt elf oder zwölf Jahre alt, obwohl sie weniger wog als ein halb so altes Kind. Eine Kreatur mit wilder Mähne und wirrem Blick, mehr Tier als Mensch, die auch unter Wölfen groß geworden sein könnte.
Ihr Versteck war nur wenige Meter von der Stelle entfernt, wo die Polizei die verwesende Leiche eines Mannes gefunden hatte, der aufrecht auf einem Stuhl sitzend zu Tode gefoltert worden war. Das Mädchen hatte Monate lang mit der Leiche gelebt und sich nur aus dem Haus geschlichen, um Nahrung zu stehlen. Die teilte sie sich dann mit den beiden Hunden, die in einem Zwinger im Garten lebten.
Erste Bilder gingen um die Welt. Sie zeigten eine Special Constable außer Dienst, die ein kleines Kind durch die Tür eines Krankenhauses trug. Das Mädchen ließ sich von niemand anderem anfassen und sprach nur, um nach Nahrung und dem Wohlbefinden der Hunde zu fragen.
Die Krankenschwestern tauften sie Angel Face, weil sie sie irgendwie nennen mussten. Die Details ihrer Gefangenschaft beherrschten wochenlang die Nachrichten. Wer war sie? Woher war sie gekommen? Wie hatte sie überlebt?
Guthrie hat gewartet, bis ich mir den Fall in Erinnerung gerufen habe.
»Ihre Identität konnte nie festgestellt werden«, erklärt er. »Die Polizei hat alles versucht – Vermisstenakten, DNA, Röntgenuntersuchung der Knochen, stabile Isotopenanalyse … Ihr Foto ist um die ganze Welt gegangen, doch es gab keine Rückmeldung.«
Wie kann ein Kind aus dem Nichts auftauchen – ohne Unterlagen zu seiner Geburt und seinem weiteren Lebensweg?
»Sie wurde unter gerichtliche Vormundschaft gestellt und bekam einen neuen Namen – Evie Cormac. Der Innenminister hat eine Section 39 Order erlassen, die es verbietet, ihre Identität oder ihren Aufenthaltsort zu enthüllen und Fotos oder Filmaufnahmen von ihr zu machen.«
»Wer weiß es?«, frage ich.
»In Langford Hall – nur ich.«
»Warum ist sie hier?«
»Es gibt nichts anderes.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Sie wurde in einem Dutzend verschiedener Pflegefamilien untergebracht und ist jedes Mal entweder weggelaufen oder zurückgeschickt worden. Außerdem hatte sie vier Individualfürsorgerinnen, drei Psychologen und weiß der Himmel wie viele Sozialarbeiter. Jetzt bin nur noch ich übrig.«
»Wurde ihr Geisteszustand untersucht?«
»Sie hat jeden Psychotest von Balthazar bis Winslow bestanden.«
»Ich verstehe immer noch nicht, warum ich hier bin.«
»Evie ist wie gesagt Mündel des Gerichts, was bedeutet, dass der Hohe Gerichtshof alle wichtigen Entscheidungen bezüglich ihrer Wohlfahrt trifft, während die lokale Behörde ihre tägliche Pflege regelt. Vor zwei Monaten hat sie beantragt, für volljährig erklärt zu werden.«
»Wenn man zu der Auffassung kommt, dass sie achtzehn ist, ist das ihr gutes Recht.«
Guthrie sieht mich flehend an. »Sie ist eine Gefahr für sich und andere. Wenn sie Erfolg hat …« Ihn schaudert sichtlich, und er bringt den Satz nicht zu Ende. »Stell dir vor, man hat ihre Fähigkeit.«
»Das klingt, als verfüge sie über irgendwelche Superkräfte.«
»Das tut sie auch«, sagt er ernst.
»Ich glaube, du übertreibst.«
»Sie hat dich sofort durchschaut.«
»Nur weil jemand aufmerksam und einfühlsam ist, macht ihn das noch nicht zu einem Truth-Wizard.«
Er zieht die Brauen hoch, als hätte er mehr von mir erwartet.
»Ich glaube, du versuchst, sie loszuwerden«, sage ich.
»Mit Vergnügen«, erwidert er. »Aber das ist nicht der Grund. Ich habe ehrlich gedacht, du könntest ihr helfen. Alle anderen sind gescheitert.«
»Hat sie je darüber gesprochen, was ihr passiert ist – in dem Haus, meine ich?«
»Nein. Laut Evie hat sie keine Vergangenheit, keine Familie und keine Erinnerungen.«
»Sie hat sie verdrängt.«
»Kann sein. Gleichzeitig lügt sie, vernebelt und verdunkelt und führt einen in die Irre. Sie ist ein Albtraum.«
»Ich glaube nicht, dass sie ein Truth-Wizard ist«, sage ich.
»Okay.«
»Welche Akten kannst du mir zeigen?«
»Ich schick sie dir zu. Einige der frühen Details sind geschwärzt, um ihre neue Identität zu schützen.«
»Du hast gesagt, Evie hätte jemandem den Kiefer gebrochen. Wem denn?«
»Einem Mitarbeiter der Einrichtung, der zweitausend Pfund in ihrem Zimmer gefunden hat. Er war überzeugt, Evie müsse das Geld gestohlen haben, und hat es ihr abgenommen, angeblich um es der Polizei zu übergeben.«
»Was ist passiert?«
»Evie wusste, dass er lügt.«
»Woher hatte sie das Geld?«
»Sie hat gesagt, sie hätte es beim Pokern gewonnen.«
»Ist das möglich?«
»Ich würde jedenfalls nicht gegen sie spielen.«
Ich genieße die Mathematik des Rauchens. Laut einem Poster, das ich in einer Arztpraxis gelesen habe, verkürzt jede Zigarette mein Leben um vierzehn Minuten. Zusammen mit den sechs Minuten, die ich brauche, um sie zu rauchen, macht das zwanzig Minuten. Eine Stunde für drei Zigaretten. Ich mag diese Zahlen.
Erlaubt sind nur vier am Tag, die ich draußen auf dem Hof rauchen muss, beobachtet von einem der Mitarbeiter, der bereitsteht, um das Feuerzeug wieder einzukassieren, damit ich nicht versuche, den Laden abzufackeln.
Ich ziehe hart an dem Filter, halte den Rauch in der Brust und stelle mir vor, wie die toxischen Chemikalien und der schwarze Teer meine Lungen verstopfen, Krebs oder Emphyseme verursachen und meine Zähne verfaulen lassen. Ein langsamer Tod, ich weiß, aber das ist das Leben, oder nicht – ein langer, sich hinschleppender Selbstmord.
Ich sitze auf einer Bank, auf der ich die Kälte des Betons durch meine zerrissene indigofarbene Levis (die ich bei Supré geklaut habe) spüren kann. Ich schiebe einen Zeigefinger durch eins der ausgefransten Löcher und erweitere den Riss bis zur Naht. Ich drücke mit dem Daumen auf meine Haut und beobachte, wie das Blut in den blassen Fleck zurückströmt. Obwohl ich barfuß bin, spüre ich die Kälte nicht. Ich war schon an kälteren Orten. Ich hatte schon weniger Kleidung.
Ich ziehe einen Fuß auf den Schoß und fange an, meinen Nagellack abzuknibbeln, weil mir die Farbe nicht mehr gefällt. Sie ist zu mädchenhaft. Dumm. Ich sollte keine Pastellfarben tragen – keine Rosa- und Violetttöne. Einmal habe ich Schwarz ausprobiert, aber damit sahen meine Zehen irgendwie krank aus.
Ich denke an die Gruppensitzung. Guthrie hat einen Gast mitgebracht – einen Psychologen mit einem komischen Namen: Cyrus. Für einen Typen seines Alters – mindestens dreißig – sah er gut aus, mit dichtem schwarzem Haar und grünen Augen, die traurig wirkten, als hätte er Heimweh oder würde jemanden vermissen. Er hat nicht viel gesagt. Er hat nur beobachtet und zugehört. Die meisten Männer reden zu viel und hören fast nie zu. Sie reden über sich, geben Befehle oder treffen Entscheidungen. Sie haben grausame oder hungrige Augen, aber selten traurige.
Davina klopft an das Fenster und schüttelt ihre Dreadlocks. »Mit wem redest du, Evie?«
»Mit niemandem.«
»Komm jetzt rein.«
»Ich bin noch nicht fertig.«
Davina ist eine der »Hausmütter«, ein Titel, der sich anhört, als wäre Langford Hall ein Internat und keine »gesicherte Einrichtung für Kinder und Jugendliche«, was so viel bedeutet wie ein Gefängnis. An den Türen sind Schlösser, die Flure werden von Sicherheitskameras überwacht, und wenn ich jetzt losrennen würde, würde mich ein dreiköpfiges »Kontroll- und Disziplinierungsteam« zu Boden ringen und verschnüren wie eine Weihnachtsgans.
Davina klopft noch einmal an die Scheibe und bewegt pantomimisch ihre Hand zum Mund. Das Mittagessen ist fertig.
»Ich hab keinen Hunger.«
»Du musst essen.«
»Ich fühle mich nicht gut.«
»Willst du noch eine rote Karte kriegen?«
Rote Karten bekommt man für Fehlverhalten oder Beschimpfungen des Personals. Ich kann mir keine weitere leisten, sonst verpasse ich unseren Sonntagsausflug. Diese Woche gucken wir uns einen Film im Cineworld an. Mein Leben kommt mir immer besser vor, wenn ich mit einem warmen Eimer Popcorn zwischen den Schenkeln im Dunkeln sitze und das beschissene Leben von jemand anderem vor meinen Augen vorbeiziehen lasse.
Eine grüne Karte bekommt nie jemand. Dafür müsste man Krebs heilen, den Weltfrieden herstellen oder sich von Mrs Porter nackt in der Dusche begaffen lassen – nur Mädchen natürlich, Jungs guckt sie nicht auf dieselbe Weise an.
Ich drücke meine Zigarette an der Mauer aus und beobachte, wie die Funken fliegen und verlöschen, bevor ich die Kippe in den schlammigen Garten schnippe. Davina klopft ans Fenster. Ich verdrehe die Augen. Sie zeigt mit dem Finger. Ich sammele die Kippe wieder ein, halte sie hoch und sage stumm: »Zufrieden?«, bevor ich sie in den Mund stecke, kaue und herunterschlucke. Ich mache den Mund auf. Alles weg.
Davina schüttelt angewidert den Kopf.
In meinem Zimmer putze ich die Zähne und trage frische Mascara und Grundierung auf, um meine Sommersprossen zu überdecken. Ich werde keine weiteren Minuspunkte ernten, es sei denn, ich komme eine Viertelstunde zu spät zum Essen. Im Speiseraum beenden die meisten anderen gerade ihr Essen, weil die Langeweile sie hungrig macht. Es riecht nach überbackenem Käse und zu weich gekochtem Rosenkohl. Ich hole ein Tablett, gehe an den warmen Speisen vorbei und nehme zwei Becher Joghurt, eine Banane und eine Packung Müsli.
»Die sind fürs Frühstück«, sagt eine der Frauen an der Essensausgabe.
»Ich hatte kein Frühstück.«
»Und wessen Schuld ist das?« Sie nimmt mir das Müsli wieder ab.
Ich halte Ausschau nach einem Platz, aber jedes Mal wenn ich einen freien Stuhl entdecke, rutscht schnell jemand darauf. Alle machen bei dem Spiel mit. Irgendwann reagiert eins der Mädchen nicht schnell genug, und ich erreiche den Stuhl zuerst.
»Freak!«, murmelt sie.
»Danke.«
»Lesbe!«
»Zu freundlich von dir.«
»Spasti.«
»Gern geschehen.«
Ich ziehe die Folie von einem der Becher und esse den Joghurt mit dem Löffel, den ich im Mund umdrehe, um mit der Zunge in die Wölbung zu stoßen. Ich spüre, dass sich in meinem Rücken Menschen bewegen, deshalb lege ich einen Arm über mein Tablett, damit es niemand umkippen kann.
Ich kann sie nicht daran hindern, in mein Essen zu spucken oder Popel hineinzumischen, aber das ist in letzter Zeit nicht mehr so oft passiert, weil die meisten inzwischen Angst vor mir haben. Das Gleiche gilt für die Angestellten, vor allem für Mrs Porter, die mich »Teufelskind« nennt.
Die Beschimpfungen sind mir egal, weil ich härter gegen mich selbst bin als alle, die hier arbeiten. Niemand kann hassen wie ich. Ich hasse meinen Körper. Ich hasse meine Gedanken. Ich bin hässlich, dumm und schmutzig. Niemand wird mich je wollen.
Der Tyrann bellt. Der Tyrann lacht. Der Tyrann gewinnt.