Table of Contents

Hinter den kosmischen Deichen seid ihr sicher

Copyright

Invasion im Weißen Schwan

Problemfall Großer Hundeplanet

Schmidt rettet das Universum

Autoexec.Bat

Goldsteins Gewerbe

Hinter den kosmischen Deichen seid ihr sicher

Science Fiction Erzählungen

von Gerd Maximovic

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 139 Taschenbuchseiten.

 

Die ganze Bandbreite der Science Fiction zeigt sich hier in den skurrilen und phantasievollen Kurzgeschichten. Eine Invasion aus dem Weltall, Reisen durch das Universum, vielfältige Arten Kaugummi zu benutzen, wie auch fehlgeleitete Computerprogramme lassen den Leser mit Staunen und Vergnügen zurück – ebenso wie erstaunliche Erfindungen von Dingen, die die Menschheit unbedingt braucht, ohne es bislang zu wissen.

 

 

Diese Buch enthält folgende Science Fiction Erzählungen:

Gerd Maximovic: Invasion im Weißen Schwan

Gerd Maximovic: Problemfall Großer Hundeplanet

Gerd Maximovic: Schmidt rettet das Universum

Gerd Maximovic: Autoexec.Bat

Gerd Maximovic: Goldsteins Gewerbe

 

 

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© Cover: Nach Motiven von Pixabay mit Steve Mayer, 2019

© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

 

 

 

Invasion im Weißen Schwan

Wahrscheinlich sind nicht alle, die diesen Tatsachenbericht lesen, genügend davon unterrichtet, dass unser Universum ziemlich klein und eng ist. Man denkt ja, richtet man den Blick zum Himmel, dass dort nahezu beliebig viele Sterne prangen, zumal man aus Büchern und aus anderen Medien informiert ist, dass sich hinter den sichtbaren Sternen eine Vielzahl von Welten verbergen, von denen wir nicht einmal den Namen kennen.

Was die Größe einer Sache betrifft, so ist dies aber Anschauungssache. Sagt man zum Beispiel, jemand habe große Füße oder einen schlechten Atem, so kommt es ganz darauf an, welchen Maßstab man anlegt. Auch setzt etwa die Behauptung, dass jemand schlechte Manieren habe, voraus, dass andere über bessere Umgangsformen verfügen. Man sieht also, dass alles relativ ist …

Und so kann es nicht wundern, dass die Hauhynois, die zu einer interessanten Rasse aus dem äußeren Gürtel des Andromedanebels gehören, nachhaltig enttäuscht worden waren. Denn sie befanden sich auf der Suche nach einer intelligenten Rasse ihres Kalibers, mit der sie kommunizieren, an der sie partizipieren und mit der sie sich über die Wunder der Schöpfung, insbesondere die der Gastronomie, austauschen wollten.

Nun muss man weiter wissen, dass sich die großen Entfernungen im Universum nur mit Hilfe des Zwischenraumes überwinden lassen, aber auch nur dann, wenn sich bestimmte Fenster in den interstellaren Strömungen öffnen. Und so kann es geschehen, dass der eine oder andere Forscher für lange Zeit auf einer fremden Welt strandet, bis sich ein Rückschusstor für ihn auftut.

Er muss dann warten, bis die Zeit reif ist, um die Rückreise antreten zu können. Und so lange spielt er mit Vertretern der einheimischen Gattung Karten oder geht ins Kino, um Science-Fiction-Filme zu sehen. Oder er überwintert an südlichen Gestaden, isst Kokosnüsse, spielt mit kaffeebraunen Schönen oder versucht – falls ihn all dies langweilen sollte –, die Sandkörner an den Stränden der irdischen Meere zu zählen, und wartet im Übrigen, bis seine Zeit da ist.

Doch wohlgemerkt, dies sind nicht die engeren Probleme der Hauhynois. Denn diese waren zum Zeitpunkt dieses Berichtes einen ganzen Schritt weiter als andere Gattungen im Universum, wenn auch nicht weit genug, um der Menschheit wirklich gefährlich werden zu können, wie wir noch sehen werden. Nun aber zum Helden unserer Erzählung …

 

*

 

Im Nachhinein ist nicht zu klären, ob die Uhrzeit schuld war, sein Kater oder die plötzlich hereinbrechende Kälte, die sich auch über Hamburg-Blankenese legte. Jedenfalls hatte sich Ohm Feldmann (seines Zeichens Hamburger Vertreter für elektrische Massagegeräte sowie für vakuumfedernde Bettmatratzen und Ansaugventile, die den Tiefschlaf fördern sollen) gegen Ende eines Jahres kurz vor der Jahrtausendwende genau um 13 Uhr 13 entschlossen, nach Garmisch-Partenkirchen in den Skiurlaub zu fahren.

Unterwegs schon blieb sein Wagen auf der verschneiten Autobahn bei den Kasseler Bergen stehen und geriet ins Rutschen, so dass er mit ihm fast einen Abhang hinuntergestürzt wäre. Vor dem Frankfurter Kreuz hatte er einen Plattfuß, den er mit dem Sparreifen seines neuen Wagens nur notdürftig beheben konnte. Und in der Nähe des Darmstädter Kreuzes war die Kraftstoffpumpe seines Dieselautos eingefroren, und der Motor flockte, so dass der Wagen zu einer Werkstatt geschleppt werden musste, die ihn mittels einer Heizung erst wieder auf Normaltemperatur brachte.

So war der Vertreter also ganz geschockt und geschlagen, als er in Garmisch-Partenkirchen ankam, um festzustellen, dass man sein Zimmer auf einen falschen Namen gebucht hatte. Und so dauerte es wieder nahezu zwei Stunden, bis er seine müden Glieder erst in die Badewanne, dann in sein Bett gesteckt hatte. Aber er konnte nicht schlafen. Denn vor seinem Fenster, von dem aus man den höchsten Berg Deutschlands zum Greifen nahe sehen konnte, brannte ein blaues Feuer, als ob neuerdings die Zugspitze für den Fremdenverkehr mit Scheinwerfern angestrahlt werde.

Ohm Feldmann griff also zum Telefonhörer, um sich beim Nachtportier des Hotels Weißer Schwan zu beschweren. Dieser aber wusste nichts von einem Feuer, das über dem Berggipfel brenne. Und er war auch nicht bereit, bei dieser Kälte aus dem Fenster zu schauen. Und überhaupt, meinte er verdrießlich, wenn der gestrenge Herr mit dem Zimmer unzufrieden wäre – er könne sich ja bei der Konkurrenz bemühen.

Als Ohm Feldmann den Hörer aufgelegt hatte, vernahm er ein Summen, gleich von nebenan, aus dem Wohnzimmer. Und er dachte, dass in dieser Bruchbude nicht einmal die Fernsehgeräte ausgeschaltet waren – denn er wusste ganz sicher, dass er seines jedenfalls nicht hatte laufen lassen …

Er schwang sich also, bei sinkender Laune und sinkenden Temperaturen, aus seiner Koje, die ausgerechnet dem Verhau nachgebildet war, in denen Seeleute zu ruhen pflegten, und tappte verschlafen ins angrenzende Zimmer, aus dem ihm ein Licht, das ebenso blau war wie das vor dem Fenster, entgegenstrahlte.

Nanu, dachte der Vertreter, der sich den Kopf kratzte, das darf doch nicht wahr sein.

Und er ging ein paar Schritte, umrundete misstrauisch den Fernsehempfänger, der aber still und stumm war. Daran konnte es also nicht liegen.

Doch das Brummen, das er gehört hatte, war nicht schwächer, sondern eher stärker geworden. Er überlegte also weiter, ob dies nicht an seinem armen, geplagten Schädel liegen könne, der ja den ganzen Tag über genug hatte mitmachen müssen. Und im Übrigen, wie er sich jetzt klar machte, hatte er den Abend zuvor zwischen zehn und zwanzig Flaschen original obergäriges bayerisches Weizenbier mit der herrlichen Zitronenscheibe (Kraft und Gesundheit verbürgend) getrunken, um sich für die weite Reise in die rechte Stimmung zu bringen (an die genaue Menge konnte er sich beim besten Willen nicht mehr erinnern).

Aha, das also war des Rätsels Lösung! Und mit dieser Erkenntnis schlüpfte er in seine Pantoffeln, zog sich das weiße Nachthemd, das er anzulegen pflegte, stramm über den Körper, befestigte die gelbe Zipfelmütze unter seinen Ohren, um in der Nacht, die kalt und klar zu werden versprach, nicht zu erfrieren. Und da er noch auf war, genehmigte er sich, obwohl hundemüde, ein Schlückchen aus dem Kühlschrank, der – als einziger Lichtblick – mit Flaschen und Fläschchen, alkoholisch und für Abstinenzler, gut gefüllt war.

Da belebten sich seine Geister. Und er tappte, bevor er endgültig ins Bett ging, noch einmal zum Fenster, vor dem aber ein so atemberaubend tiefblaues Licht erglühte, als ob alle Bergfeen, Elfen, Schneejungfrauen und Kobolde jeder Couleur von dort heruntergestiegen wären, entsprechende Laternen in den Händen …

Na, so was, musste der geplagte Tourist denken. Das habe ich zu Hause noch nirgends gesehen, obwohl man dort doch näher am Polarkreis wäre.

Und er beschloss, nochmals beim Portier anzurufen.

Er musste aber ungebührlich lange warten – der Gute war bestimmt betrunken. Er machte schon vorhin einen nicht ganz geheuren Eindruck. Und wahrscheinlich lag er mit dem Stubenmädchen hinten in einer Koje, um sie mit unanständigen Witzen und schmutzigen Zoten zu erheitern … Da erklang endlich dessen Stimme, die sich aber so sehr verändert hatte, dass Feldmann sie kaum wiedererkannte.

„Ja, was ist denn?“, wollte der Portier, der, wie der Vertreter sich jetzt entsann, auf den Namen Wolpertinger lautete, von ihm wissen.

„Das blaue Leuchten …“, sagte er darum und fühlte währenddessen einen Lufthauch wie eine kalte, feuchte Hand auf der Schulter, als ob ein Gespenst ins Zimmer eingedrungen wäre, das sich seiner bemächtigen wollte.

„Ach, geh’n Sie“, sagte der Herr Wolpertinger, „hören Sie auf mit diesem Schmarren. Schlafen Sie in der guten Luft, über die wir hier verfügen. Morgen ist auch noch ein Tag. Wenn das Leuchten morgen nicht weg ist, sehe ich einmal nach dem Rechten.“

Darauf klickte es in der Leitung, aus der es tief atmete, gurgelte und knurrte, etwa so, als ob ein Mannwolf zuletzt am anderen Ende gewesen wäre, der Mühe hatte, sein seelisches Gleichgewicht zu halten, oder ein Mensch jedenfalls, der weit gerannt war. Aber wahrscheinlich hatte Feldmann mit seiner Vermutung über diverse Aktivitäten des Herrn Wolpertinger richtig gelegen. Und da er nun schon wieder fast betrunken war, hatte er den Lufthauch auf seiner Schulter ganz vergessen.

Als er sich aber umdrehte, bewegte sich die Gardine. Und es war, als schlüpfe ein Schatten dort rasch hinaus ins Freie. Aber das war – wenn er bedachte, dass man bei minus fünfzehn Grad alle Fenster und Türen gut verschlossen und selbst den offenen Kamin verrammelt hatte – doch nicht möglich. Er lachte ein wenig irre. Doch musste er zugleich frösteln. Denn vom Fenster her, das zu einem schönen spanischen Balkon führte, wehte ein Luftzug, und dieser war eisig.

Mit einem Satz war der Vertreter bei dem Fenster, dessen Gardinen er aufriss, als ob er jemanden, der dort fensterln hatte wollen, auf frischer Tat und in falschem, anrüchigem Gelände erwischt hätte. Doch da war niemand. Aber die Balkontüre stand offen. Und von draußen herein trieb es jetzt kleine, nadelscharfe Eiskristalle, die hell im Licht der Straßenlampen glänzten.

Ohm Feldmann, der kühn genug war, auf den Balkon hinauszutreten, fröstelte wieder. Er schaute links. Er schaute rechts. Und da der Schnee auf dem Balkon so dicht lag, dass er selbst in seine Pantoffeln eindrang, so waren zu beiden Seiten des Simses Fußspuren wie von Kindern oder von kleinen Männern zu erkennen …

Von den Bergen in der Ferne erscholl ein langgezogenes Heulen. Und als der Vertreter, dessen Lippen eben dabei waren, blau anzulaufen, zum Himmel aufschaute – über den, da er momentan aufriss, zerfetzte Wolken unter einem gigantischen hellen Mond dahinjagten – erblickte er glitzernde Sterne, die zu schwanken schienen und die in der klaren Nacht fast zum Greifen nahe waren, während Sternschnuppen in ungewöhnlicher Pracht hernieder fielen.

Dann hörte er ein Schmatzen. Und dieses war direkt über seinem Kopfe und schien vom Dache her zu kommen. Und tatsächlich, jetzt stürzte eine ganze Ladung Schnee in den Garten und dort auf einen großen Schneemann herunter, der ganz verschüttet wurde. Und etwas fiel auch auf die Veranda und senkte sich aufstiebend auf Ohm Feldmanns Schultern. Und es war ihm, als ob er ein fernes, hohles Lachen höre. Und er vernahm, während er fast einfror, kichernde Stimmen, wie wenn alberne Gespenster sich einen Silvesterscherz mit ihm erlauben würden …

Als er sich, nachdem er das Fenster dicht hinter sich verschlossen hatte, endlich in die warme Stube zurückzog, musste er einen Moment an den Herrn Wolpertinger denken. Aber dann überlegte er, dass er sich überschätzte – warum nur sollte sich ein geplagter Portier, der nur Frauen und die Titelbilder des STERN in seinem Kopfe hatte, sich solche Mühe mit einem Gast aus dem hohen Norden geben?

Er grummelte dann doch ein wenig, trank zur Entschädigung dieses Schlückchen und jenes. Und so verklärten sich seine Sinne. Und jetzt hatte er auch eine ganz andere Deutung für das blaue Leuchten – da klopfte es an der Tür zu seinem Apartment. Nun wollte er aber nichts mehr hören. Er lachte. Aber es klopfte wieder.

Und dann vernahm er eine feine, ferne Stimme, die ängstlich schien, die aber zweifellos einem weiblichen Wesen angehörte, was den Vertreter unmittelbar elektrisierte: „Hallo, können Sie mir helfen?“

Immer, dachte der Vertreter, auch er kein Kostverächter, der nur noch nicht die Richtige gefunden hatte und der auch immer ein wenig auf seinen Reisen hoffte, dass ihm ein Kurschatten oder dergleichen – hübsch, von der richtigen Größe und ordentlich mit Geld versehen – über den Weg lief …

„Hallo!“ Wieder dieses feine, zerbrechliche Stimmchen.

„Ja!“

Der Reisende in Sachen Luftmatratzen erwachte förmlich. Und das Cognacglas, das er zuletzt benutzt hatte, um daraus einen Pernod zu trinken, fiel fast zu Boden. Mit einem lautlosen Satz (er begann, sich anzupassen) war er bei der Türe, durch dessen Schlüsselloch er mühelos spähte. Dort stand, gehüllt in einen Mantel, der ein feines rosa Nachtgewand nur notdürftig überdeckte, ein weibliches Wesen, das von einem Bein aufs andre hüpfte. Den Kopf konnte er nicht erkennen, wohl aber die feinen, kleinen Hände, die den Mantel um den Körper zusammenrafften.

Da erwachten zahlreiche gute Instinkte, die so lange verschüttet gewesen waren und die nun wie eine Schneelawine von fast bloßen Füßen freigetreten wurden, in dem Vertreter. Und er bedauerte nur, dass er schon so viel getrunken hatte. Denn wenn er nun etwas Wichtiges beginnen sollte, so wäre er lieber nüchtern gewesen.

Aber jeder Zustand, musste er denken, in dem man sich befindet, hat auch sein Gutes. Wenn er nur nicht zu albern werden würde …

Da starrte er plötzlich in ein großes, blaues Auge, und die Besitzerin dieses Auges war nicht weniger als er erschrocken.

„Jessas“, erklang von der anderen Seite die weibliche Stimme.

Ohm Feldmann sprang hoch und riss die Tür auf. Und das blonde Fräulein, das auch ihn durch das Schlüsselloch betrachtet hatte, schnellte im selben Augenblick in die Höhe. Ah, sie war wirklich berückend. Sie war einfach bezaubernd. Man konnte ihre ganze Grazie auch daran erkennen, wie sie aus der ungewohnten Hocklage hochkam. Und trotzdem, obwohl er den Kavalier, vielleicht sogar den Helden, spielen wollte, konnte er nicht verhindern, dass er rot anlief.

Sie fragte, sein Stottern unterbrechend: „Können Sie mir helfen, Herr …? Denn der Portier …“, war sie fortgefahren.

Sie schien den Tränen nahe: „Kommen Sie einmal in mein Zimmer. Ich möchte aber nicht, dass Sie sich etwas Falsches dabei denken.“

„Oh nein!“ Der Vertreter kicherte albern.

„Ich höre nämlich Geräusche in den Wänden. Und es klopft unter dem Boden. Und im Kamin brennt ein Feuer, das ich nicht entzündet habe und das auch nicht brannte, als ich hereinkam.“

Ohm Feldmann hatte sich die Ärmel aufgekrempelt. Und sein Gesicht, das entschlossen wirken sollte, lief rot an. Und die bläulichen Adern auf seiner Nase, die er dem überaus häufigen Zuspruch des Alkohols zu verdanken hatte, leuchteten gerade jetzt auf, als ob sie ihnen den Weg zum Apartment des Fräuleins weisen wollten …

„Puh“, sagte das Fräulein Weber, das sich ihm endlich vorgestellt hatte, als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel – und sie schien sich in Anwesenheit des starken Mannes schon um einiges sicherer zu fühlen.

Der Vertreter kniete nieder und presste das Ohr auf den weichen Teppichboden, ohne aber etwas zu hören. Er war zum Kamin gegangen, in dem die Reste von Holzscheiten schwelten. Er trat ans Fenster, das schief gekippt war. Den Schnee, wie er mit nunmehr schon fachkundigem Blick bemerkte, zierten winzige Fußabdrücke.

Dann war er zusammen mit dem Fräulein herumgefahren, denn das große Bild an der Wand, das eine Gebirgslandschaft mit pflügenden Bergbauern zeigte, fiel herunter. Und die Wände, der Boden, ja, das ganz Zimmer schwankten. Selbst der Kronleuchter an der Decke war in Bewegung, als hätte ein Erdbeben – sehr unwahrscheinlich in diesen Breiten – die Berge erschüttert. Und eine Vase, die auf dem Fernseher stand, zerschellte am Boden. Und im nächsten Moment erwachte der Fernsehapparat zum Leben. Aber die Kanäle in ihm schienen verrutscht zu sein, so dass nur wirbelnde Schlieren über die Mattscheibe huschten.

Das Fräulein Weber flüchtete spontan in die Arme des Vertreters, was diesen vorübergehend mit der Spuk- und Geisterwelt des Weißen Schwans versöhnte. Aber natürlich – während er das warme, zitternde, gut riechende Fräulein, das rasch atmete, in den Armen hielt – war die Sache damit nicht erledigt. Und er streifte, ehe sie sich ihm so rasch, wie sie zu ihm gekommen war, wieder entwunden hatte, ihre Haare. Und obwohl Weihnachten schon vorbei war, hatte er selbst zur Bescherung nichts Besseres gerochen.

Seine Gedanken wollten sich schier überschlagen, als ein helles, singendes Geräusch auftrat, dem zwei, drei dumpfe Schläge folgten. Dann war Stille. Und dann pochte es wieder. Und plötzlich schien aus dem Fußboden ein Licht zu strahlen, das so hell war, als ob dort unten tausend Kerzen brennen würden.

„In diesem Kasten bleibe ich nicht länger“, sagte Elvira, deren Vornamen er ihrer ersten Umarmung verdankte.

„Ich brauche auch etwas Ruhe“, murmelte der Vertreter mit gerunzelter Stirne.

Und dann wurde sein Gesicht finster: „Ich möchte aber auch wissen, was hier los ist! Ich glaube, das beste wäre, einmal die Polizei anzurufen.“

Aus Sicherheitsgründen nahm er den Hörer in beide Hände, ließ ihn aber gleich wieder fallen und hüpfte auf einem Bein, als ob er eine glühende Herdplatte angefasst hätte. Schon vorsichtiger, berührte sie ebenfalls den Hörer, und „Autsch!“ schrie sie, denn dieser war heiß. Ja, wirklich, er glühte, als ob man ein geheimnisvolles Feuer in ihm entzündet hätte.

„Haben Sie hier etwas zu trinken?“, fragte darum Ohm Feldmann und erklärte, dass er mit etwas Warmem im Magen gleich viel besser denken könne.

Er brauchte nur dem Blick ihrer Augen zu folgen, um untrüglich eine dicke Flasche Cognac in einem Eckschrank aufzuspüren. Und, die Flüssigkeit in sich, wuchs sein Mut an. Und ihm schien auch, dass er selbst größer würde. Und er lachte schon wieder in seinem Inneren: Dieses Rätsel würden sie schon lösen!

Sie waren die einzigen Gäste an diesem Abend, wie sie feststellten, nachdem sie an alle Apartments, die von einer einzigen Galerie abzweigten, geklopft hatten. Auf dem Korridor war es dunkel. Und ein altmodisches Gaslicht in der Ecke flackerte, während sie den Flur vorsichtig hinuntergingen. Das Hotel zitterte ein wenig. Und unaufhörlich erscholl nun ein Summen ganz von unten.

Behutsam stiegen sie die Treppe hinunter. Und einmal musste Ohm Feldmann seine Hand auf Elviras Mund pressen, als sie dabei war, aufzuschreien – dabei war es nur ein Garderobenständer, an dem mehr als zwei Dutzend Mäntel, Umhänge und ganze Anzuggarnituren hingen sowie rote, gelbe und blaue Kleider, die aber allesamt nicht so recht zur bevorstehenden Silvesterfeier passen wollten … Sie wunderten sich auch, als sie in die Portiersloge traten – denn die Fächer, in denen Post für die Hotelgäste aufbewahrt wurde, quollen förmlich über, als ob in dem menschenleeren Haus ein ungeheurer Trubel und ein ebensolches Wühlen herrsche.

„Psst“, sagte der Vertreter, der Elvira in den Arm gekniffen hatte.

Sie sah ihn groß und erstaunt an, während das Hotel ein wenig wackelte. Und Staub fiel von den Wänden. Und der Kronleuchter in der Eingangshalle schwankte, als ob sich ein Affe über ihn schwingen würde.

Ohm Feldmann hatte ein Bündel Briefe aus einem der Fächer gegriffen und las die Anschriften von Gästen, die in der Tat im Hotel Weißer Schwan absteigen wollten oder abgestiegen waren. Die Absender verrieten, dass die Gäste von weither kamen. Adressen aus ganz Europa, aus Afrika, aus Amerika, ja, selbst aus Burma waren vertreten. Da er allein aus einem einzigen Fach an die zwanzig Briefe gegriffen hatte und es in den anderen Fächern auch nicht anders aussah, schätzte er, dass wohl tausend Schreiben aus aller Herren Länder hier lagern mussten.