Gerhard Schurz
4. Auflage
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4., überarbeitete Auflage 2014
© 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
1. Auflage 2006
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Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach
Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach
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ISBN 978-3-534-26448-3
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eBook (PDF): 978-3-534-73861-8
eBook (epub): 978-3-534-73862-5
Vorwort
1. Einleitung
1.1 Aufgaben und Zielsetzungen der Wissenschaftstheorie
1.2 Philosophische Positionen in der Wissenschaftstheorie
1.2.1 Empirismus und Rationalismus
1.2.2 Logischer Empirismus
1.2.3 Kritischer Rationalismus
1.2.4 Historische Wissenschaftstheorie und Relativismus
1.2.5 Weitere Positionen in Kürze
1.3 Zusammenfassung, einführende Literatur und Übungen
2. Gemeinsame Grundlagen der Wissenschaften
2.1 Methode und Voraussetzungen der Wissenschaftstheorie
2.2 Gemeinsame erkenntnistheoretische Annahmen
2.3 Gemeinsame methodologische Merkmale
2.4 Wissenschaftliche Disziplinen und ihre Klassifikation
2.5 Die Frage der Wertneutralität und das Abgrenzungsproblem
2.5.1 Das Webersche Wertfreiheitspostulat
2.5.2 Wertneutralität und Zweck-Mittel-Schlüsse
2.5.3 Das Abgrenzungsproblem
2.5.4 Präzisierung der Wertneutralitätsforderung
2.6 Wissenschaftliches Schließen und Argumentieren
2.6.1 Deduktion und Induktion
2.6.2 Popper und die Bedeutung induktiven Schließens in den Wissenschaften
2.6.3 Abduktion und Schluss auf die beste Erklärung
2.6.4 Monotone und nichtmonotone Schlüsse
2.7 Weiterführende Themen
2.7.1 Konstruktiver Realismus versus radikaler Konstruktivismus
2.7.2 Zur Theorie(un)abhängigkeit von Beobachtungen
2.7.3 Zum Unterschied zwischen Erfahrungssätzen und Werturteilen
2.8 Zusammenfassung, einführende Literatur und Übungen
3. Das analytische Instrumentarium: Sprache, Logik und Wahrscheinlichkeit
3.1 Begriffe und Begriffsarten
3.1.1 Klassifikation von Begriffen nach ihrem logischen Typ
3.1.2 Syntax, Formalisierung und Semantik
3.1.3 Klassifikation von Begriffen nach ihrem Inhaltstyp
3.1.4 Klassifikation von Begriffen nach ihrem Abstufungstyp (Skalentyp)
3.1.4.1 Qualitativ-klassifikatorische Begriffe und Nominalskalen
3.1.4.2 Komparative Begriffe und Ordinalskalen
3.1.4.3 Quantitative Begriffe
3.2 Klassifikation von Sätzen nach dem Inhaltstyp
3.3 Logische Wahrheit und deduktive Logik
3.4 Bedeutungskonventionen und definitorische Wahrheit
3.5 Klassifikation von Sätzen nach ihrem Allgemeinheitsgrad
3.6 Generelle Sätze, Gesetzesartigkeit, Determinismus und Indeterminismus
3.7 Gehalt von Sätzen und Gehaltsarten
3.8 Verifikation, Falsifikation, Bestätigung und Schwächung
3.9 Objektive (statistische) und subjektive (epistemische) Wahrscheinlichkeit
3.10 Weiterführende Themen
3.10.1 Dispositionsbegriffe
3.10.2 Herausforderungen an die logisch-definitorisch-synthetisch-Unterscheidung
3.10.3 Relevanz und Irrelevanz in logischen Schlüssen
3.10.4 Weiterführendes zur Wahrscheinlichkeit
3.10.4.1 Mathematische Gesetze der Wahrscheinlichkeit
3.10.4.2 Probleme des statistischen und des subjektiven Wahrscheinlichkeitsbegriffs
3.10.4.3 Principal principle und engste Referenzklasse
3.11 Zusammenfassung, einführende Literatur und Übungen
4. Gesetzeshypothesen und ihre empirische Überprüfung
4.1 Die Relevanzbedingung
4.1.1 Relevanz von strikten Gesetzen
4.1.2 Relevanz von statistischen Gesetzen
4.2 Die empirische Überprüfung von Gesetzeshypothesen auf Wahrheit und Relevanz
4.2.1 Der strikte Fall: die Methode der Übereinstimmung und des Unterschieds
4.2.2 Methodische Induktion: die Findung von strikten Gesetzeshypothesen
4.2.3 Der statistische Fall: die Methode der Akzeptanz- u. Konfidenzintervalle und der Signifikanztests
4.2.3.1 Überprüfung auf vermutliche Wahrheit – die Methode der Akzeptanzintervalle
4.2.3.2 Auffindung statistischer Hypothesen und Konfindenzintervalle
4.2.3.3 Überprüfung auf vermutliche Relevanz – die Methode der signifikanten Unterschiede
4.2.3.4 Statistische Repräsentativität
4.2.3.5 Teststatistik, Inferenzstatistik und die Likelhood-Intuition
4.2.4 Fehlerquellen in der statistischen Methode
4.3 Korrelation und Kausalität
4.3.1 Versteckte Variablen
4.3.2 Kausalrichtung
4.4 Die Anwendung statistischer Hypothesen auf den Einzelfall
4.5 Weiterführende Themen
4.5.1 Statistische Methoden für quantitative Variablen
4.5.2 Die Rechtfertigung der Likelihood-Intuition innerhalb der subjektiven Wahrscheinlichkeitstheorie
4.6 Zusammenfassung, einführende Literatur und Übungen
5. Theorien und ihre empirische Bewertung
5.1 Theoretische Begriffe und multiple Zuordnungsgesetze
5.2 Das Beispiel der Newtonischen Physik
5.3 Grundlegendes zur Theorienstatik: Struktur wissenschaftlicher Theorien
5.4 Methodische Merkmale (guter) wissenschaftlicher Theorien
5.4.1 Systemcharakter, empirische Kreativität, Globalität und Vereinheitlichung
5.4.2 Holismus der Bedeutung, des empirischen Gehalts, und der Theorienüberprüfung (Duhem-Neurath-Quine-These)
5.4.3 Theoriennetze
5.5 Das Beispiel der Piagetschen kognitionspsychologischen Entwicklungstheorie
5.6 Grundlegendes zur Theoriendynamik
5.6.1 Das Lakatos-Modell der Theorienrevision
5.6.2 Theorienbewertung, Theorienvergleich und Theorienfortschritt
5.7 Das Beispiel der Adorno-Milgramschen Theorie des autoritären Charakters
5.8 Weiterführende Themen
5.8.1 Instrumentalismus und Realismus
5.8.2 (Nicht-)Eliminierbarkeit und (Un-)Definierbarkeit theoretischer Begriffe
5.8.3 Allgemeine Theorien der Bestätigung
5.8.3.1 Hypothetisch-deduktive Bestätigung
5.8.3.2 Subjektiv-probabilistische Bestätigung
5.8.3.3 Die Goodman-Paradoxie
5.9 Zusammenfassung, einführende Literatur und Übungen
6. Erklärung – und was alles dazu gehört
6.1 Das deduktiv-nomologische Modell der Erklärung
6.2 Erklärung versus Voraussage und Begründung
6.2.1 Nicht jeder Glaubensgrund ist ein Realgrund
6.2.2 Kausalität und Gesetzesartigkeit im Erklärungsrahmen
6.2.3 Die Bedingung der prognostischen Funktion
6.2.4 Irrelevanz und Redundanz – die logischen Probleme der DN-Erklärung
6.3 Probabilistische Erklärungsmodelle
6.3.1 Induktiv-Statistische Erklärungen nach Hempel
6.3.2 Die Bedingung der maximalen Bestimmtheit
6.3.3 Bedingungen an den Wahrscheinlichkeitswert: konfligierende Intuitionen
6.4 Normische Erklärungen und die Erklärung menschlicher Handlungen
6.5. Weiterführende Themen
6.5.1 Gesetzesartigkeit
6.5.1.1 Naturgesetze versus Systemgesetze
6.5.1.2 Gesetzesartigkeit i.w.S. und kontrafaktische Konditionalsätze
6.5.1.3 Gesetzesartigkeit i.e. S. und physikalische Notwendigkeit
6.5.2 Kausalität
6.5.2.1 Singuläre und generelle Kausalbeziehung
6.5.2.2 Kausale Präemption und Überdetermination
6.5.2.3 Kausale Prozesse
6.5.2.4 Kausale Graphen und probabilistische Kausalanalyse
6.5.2.5 Interventionistischer Ansatz
6.6 Zusammenfassung, einführende Literatur und Übungen
Literaturverzeichnis
Definitionen, Merksätze und Abbildungen
Autorenregister
Sachregister
Lösungen zu ausgewählten Aufgaben
Dieses Buch hat sich aus meinen Einführungsvorlesungen und dem zugehörigen Einführungsskriptum in die Wissenschaftstheorie entwickelt. Alle Großkapitel enthalten am Ende kompakt dargestellte weiterführende Themen. Auf diese Weise bezweckt dieses Buch nicht nur eine Einführung zu bieten, sondern zugleich einen Überblick über die verschiedenen Teilgebiete der Wissenschaftstheorie in ihrem Zusammenhang zu liefern.
Das Buch wendet sich gleichmaßen an Studierende und Fachleute, gleichermaßen an Philosoph(inn)en und an Einzelwissenschaftler(innen) aller Fachrichtungen. Durch den Brückenschlag zwischen Standardwissenschaftstheorie und Nachbargebieten wie Wertproblematik oder Statistik, und durch ausgesuchte Theorienbeispielen aus Natur- und Sozialwissenschaften versucht dieser Band ein tiefgreifendes Verständnis des komplexen Phänomens ‚Wissenschaft‘ zu ermöglichen. Das Buch ist selfcontained und somit voraussetzungsfrei lesbar.
Einsatz in der Lehre: Lässt man die weiterführenden Themen sowie diverse Details weg, dann entspricht der so beschränkte Stoff einer einsemestrigen zweistündigen Einführungsvorlesung. Nimmt man Details und weiterführende Themen hinzu, so füllt der Stoff zwei aufeinander aufbauende zweistündige Einführungsvorlesungen. Der Kernstoff dieser Einführung wird durch Definitionen und Merksätze besonders hervorgehoben. Am Ende jedes Großkapitels finden sich einer Kurzzusammenfassung, Hinweise zu einführender Literatur sowie Fragen und Aufgaben. Das Gesamtliteraturverzeichnis folgt am Schluss, nebst Verzeichnissen und Registern.
Nummerierungskonventionen: Die Nummerierung von Abbildungen erfolgt nach folgendem Muster: „Abb. KapitelNr-Nr“. Beispiel: „Abb. 2.1–2“ ist die 2. Abbildung von Kap. 2.1. Analog werden Definitionen, Merksätze und Hervorhebungen (eingerückte Textstellen) mit „KapNr-Nr“ nummeriert. Beispiel: „(Def. 4.2–2)“ ist die 2. Definition von Kapitel 4.2. „(3.1–4)“ ist die 4. Hervorhebung von Kap. 3.1.
Für wertvolle Hilfe bedanke ich mich bei Georg Dorn, Axel Bühler, Veronika Linke, Marc Breuer, Eckhart Arnold, Hannes Leitgeb, Wolfgang Spohn und Reinhard Kleinknecht. Bleibt mir nur noch, den geschätzten Leserinnen und Lesern viel Freude und Gewinn bei der Lektüre dieses Buches zu wünschen.
Anmerkung zur 4. Auflage: Wie in der 3. Auflage wurden in der 4. Auflage Literaturaktualisierungen vorgenommen und kleine Fehler berichtigt. Merksatz (Ms. 6.5–1) zu kausalen Graphen wurde wesentlich verbessert.
Düsseldorf 10.10.2013 |
Gerhard Schurz |
Die Wissenschaft bestimmt heutzutage in hohem Maße unser gesellschaftliches Leben. Inwiefern und inwieweit können wir den Resultaten der Wissenschaft vertrauen? Es gibt eine wissenschaftliche Disziplin, welche Fragen wie diese systematisch untersucht: die Wissenschaftstheorie. Sie ist jene Wissenschaftsdisziplin, welche die Funktionsweise wissenschaftlicher Erkenntnis untersucht, ihre Zielsetzungen und ihre Methoden, ihre Leistungen und ihre Grenzen. So wie die Wissenschaften selbst hat sich auch die Wissenschaftstheorie aus der Philosophie heraus entwickelt und wird heute arbeitsteilig sowohl von Wissenschaftsphilosophen wie von Einzelwissenschaftlern betrieben.
Man unterscheidet zwischen allgemeiner und spezieller Wissenschaftstheorie. Spezielle Wissenschaftstheorien sind auf einzelne Disziplingattungen bezogen wie z.B. Physik, Biologie, Psychologie oder Human- und Sozialwissenschaften. Die allgemeine Wissenschaftstheorie fragt nach jenen Erkenntnisbestandteilen, die allen Wissenschaftsdisziplinen mehr oder weniger gemeinsam sind. Ihre Hauptfragen sind die folgenden:
Hauptfragen der allgemeinen Wissenschaftstheorie
(i) wie ist eine wissenschaftliche Sprache aufgebaut?
(ii) was sind die Regeln für die Gültigkeit eines Argumentes?
(iii) was zeichnet eine wissenschaftliche Beobachtung aus?
(iv) worin besteht eine Gesetzeshypothese, und worin eine Theorie?
(v) wie werden Gesetzeshypothesen und Theorien empirisch überprüft?
(vi) was leistet eine wissenschaftliche Voraussage, was eine Kausalerklärung?
Die vorliegende Einführung widmet sich diesen Fragen der allgemeine Wissenschaftstheorie. Zugleich werden aber auch Anwendungen auf Themen spezieller Wissenschaftstheorien behandelt und charakteristische Unterschiede zwischen einzelnen Wissenschaftssparten untersucht. Zu den allgemeinsten Fragen der Wissenschaftstheorie gehören die folgenden:
(vii) gibt es eine objektive Wahrheit bzw. eine objektiv erkennbare Realität?
(viii) welcher Zusammenhang besteht zwischen Wissenschaft und Werturteilen?
In Frage (vii) geht Wissenschaftstheorie in Erkenntnistheorie über (s. Kap. 2.2), und in Frage (viii) geht Wissenschaftstheorie in Metaethik über (s. Kap. 2.5).
Neben ihrer grundsätzlichen Bedeutung, welche in der Beantwortung der erläuterten Fragen liegt, besitzt die Wissenschaftstheorie eine Reihe von bedeutenden Anwendungen, innerhalb sowie außerhalb der Wissenschaften.
Anwendungen der Wissenschaftstheorie
Die wissenschaftsinternen Anwendungen der Wissenschaftstheorie liegen unter anderem in der Lieferung von Grundlagen- und Methodenwissen, welches Entscheidungshilfen für kontroverse oder neue einzelwissenschaftliche Fragen zur Hand gibt, weiters in der Herausarbeitung interdisziplinärer Gemeinsamkeiten, ferner in der Vermittlung argumentativer Kompetenz und Kritikfähigkeit, und nicht zuletzt in der Rolle der Wissenschaftstheorie als Wegbereiterin für neue Wissenschaftsdisziplinen.
Unter den wissenschaftsexternen Anwendungen der Wissenschaftstheorie auf gesellschaftliche Problemzusammenhänge seien zwei besonders hervorgehoben:
(a) Das wissenschaftstheoretische Abgrenzungsproblem ist von hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Es besteht in der Frage, welche Teile unseres Ideengutes den Status objektiv-wissenschaftlicher Erkenntnis beanspruchen dürfen, im Gegensatz zu subjektiven Werthaltungen, parteilichen Ideologien oder religiösen Überzeugungen. Nur allgemeinverbindliche Erkennt nisse sollen gemäß dem Grundkonsens demokratisch-säkularer Informati onsgesellschaften in staatlichen Bildungseinrichtungen unterrichtet werden. Brisant wurde diese Frage z.B. in der Auseinandersetzung mit der Bewegung des Kreationismus in den USA: so berief sich die berühmte Entschei dung des Richters W. R. Overton von 1981 auf Abgrenzungskriterien von Wissenschaft gegenüber religiösem Glauben (s. Bird 1998, 2–9).
(b) Ebenso bedeutend ist die Funktion von wissenschaftstheoretischer Aufklärung, um der Gefahr des ideologischen Missbrauchs von Wissen schaft und ihren Resultaten entgegenzuwirken. Politiker, Medien und Wirt schaftsvertreter berufen sich gerne auf Expertenwissen, welches dabei leider nicht selten für vorgefasste Zwecke einseitig oder verfälscht dargestellt wird (s. dazu Kap. 4.2.4–4.4).
Das fallibilistische Erkenntnisprogramm
1.2.1 Empirismus und Rationalismus. Obgleich die Bezeichnung „Wissenschaftstheorie“ erst im 20. Jahrhundert eingeführt wurde, ist die Disziplin der Wissenschaftstheorie so alt wie die Wissenschaften selbst und hat sich mit deren Entwicklung kontinuierlich mitentwickelt (s. Losee 1977). Die Geschichte der Wissenschaftstheorie beginnt mit Aristoteles (384–322 v. Chr.), dem großen Wissenssystematisierer der Antike. Aristoteles war wesentlich erfahrungsorientierter als sein Lehrer Platon. Dennoch war auch Aristoteles, so wie die meisten Philosophen nach ihm, ein Anhänger des sogenannten fundamentalistischen Erkenntnisprogramms. In diesem Erkenntnisprogramm geht man davon aus, dass echtes Wissen nur möglich ist, wenn es auf einem Fundament von sicheren und notwendigen Prinzipien ruht, welche nicht durch unsichere Erfahrung, sondern durch rationale Intuition gewonnen werden (vgl. Albert 1980, 11–18). Aristoteles sprach in diesem Zusammenhang von „intuitiver Induktion“ (s. Losee 1977, 16f.). In der gegenwärtigen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie hat sich dagegen das fallibilistische Erkenntnisprogramm durchgesetzt, welches davon ausgeht, dass unsere Erkenntnis der Realität grundsätzlich fehlbar ist und wissenschaftliches Wissen zwar mehr oder weniger gut bestätigt, aber niemals irrtumssicher sein kann.
Empirismus versus Rationalismus
Gestützt auf die großartigen Erfolge der naturwissenschaftlichen Methode in der Neuzeit – mit Pionieren wie z.B. Galileo Galilei (1564–1642), Isaac Newton (1642–1727) oder Charles Darwin (1809–1882) – hat sich in der Philosophie die einflussreiche Strömung des Empirismus etabliert, von Francis Bacon (1561–1626) und John Locke (1632–1704) bis zu David Hume (1711–1776) und John Stuart Mill (1806–1873). Zum anderen hat sich das fundamentalistische Erkenntnisprogramm in der Strömung des Rationalismus und verwandten Richtungen weiterentwickelt – von René Descartes (1596–1650) über Gottfried W. Leibniz (1646–1716) bis zu Immanuel Kant (1724–1804). Den grundlegenden Unterschied zwischen den empiristischen und den rationalistischen Strömungen kann man so charakterisieren. Für Empiristen sind jene Sätze, welche sich apriori – also allein durch den Verstand und mit rationaler Gewissheit – begründen lassen, eingeschränkt auf die sogenannten analytischen Sätze, deren Wahrheit auf Logik und begrifflichen Konventionen beruht. Solche Sätze besitzen keinen Realgehalt – sie sagen nichts über die wirkliche Welt aus; dies tun nur synthetische Sätze. Für Rationalisten gibt es dagegen auch apriorisch begründbare Sätze mit Realgehalt, sogenannte synthetische Sätze apriori. Doch sowohl Descartes‘ wie Kants Versuche, apriorische Prinzipien der Erfahrungswissenschaft zu begründen, wurden von der weiteren Entwicklung der Naturwissenschaft widerlegt. Die Entwicklung der modernen Wissenschaftsphilosophie ist auf das engste mit der Einsicht in die Uneinlösbarkeit des fundamentalistischen Erkenntnisprogramms verbunden.
Auch die klassischen Systeme des philosophischen Empirismus trugen lange Zeit reduktionistische und fundamentalistische Züge. Die skeptischen und zur epistemischen Bescheidenheit aufrufenden Konsequenzen des Empirismus wurden erst von Hume konsequent ausformuliert (s. dazu Kap. 2.6.1, 6.5.1.3). Hume zeigte, dass die zwei Kernstücke der wissenschaftlichen Methode, das Kausalitätsprinzip und das Induktionsprinzip, weder logisch noch empirisch begründbar sind, und dieses Problem sollte die Philosophie bis in die heutigen Tage beschäftigen. Die anscheinende Begründungsinsuffizienz des Empirismus gab rationalistischen Nachfolgeströmungen wieder Auftrieb, in welchen das fundamentalistische Erkenntnisprogramm jedoch nach und nach aufgegeben bzw. durch pragmatisierte oder historisierte ‚Rationalismen‘ ersetzt wurde (s. Kap. 1.2.5). Im 20. Jahrhundert haben sich post-empiristische und postrationalistische Ansätze einander beträchtlich genähert, und in diesem Spannungsfeld hat sich auch die gegenwärtige Wissenschaftstheorie entwickelt.
Wiener Kreis
1.2.2 Logischer Empirismus. Zu den wichtigsten Entstehungsursachen der modernen Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie gehört der logische Empirismus, der insbesondere vom Wiener Kreis (aber auch z.B. vom nahestehenden Berliner Kreis um Hans Reichenbach, u.a.m.) entwickelt wurde. Beim Wiener Kreis handelte es sich um eine Gruppe von Einzelwissenschaftlern und Philosophen in Wien, deren Kern Moritz Schlick (1882–1936), Otto Neurath (1882–1945) und Rudolf Carnap (1891–1970) bildeten. Anknüpfend an Ernst Mach (1838–1916) bemühte sich diese Gruppe um eine Neubegründung des Empirismus und der wissenschaftlichen Philosophie insgesamt (s. Stadler 1997, Schurz 2003). Das Neuartige ihrer Situation war die Entwicklung der modernen Logik, die erst Ende des 19. Jahrhunderts einsetzte. Durch die moderne Logik wurden beliebige sprachliche Erkenntnissysteme mit mathematischer Präzision darstellbar, und so war es die Hoffnung des Wiener Kreises, nun endlich das methodische Rüstzeug für eine wissenschaftlich fortschreitende Philosophie gefunden zu haben (vgl. Schlick 1930/31, 5f.). Mitte der 1930er Jahre musste sich der in politischer Hinsicht linksliberal bis sozialistisch orientierte Wiener Kreis unter dem Druck der Nationalsozialisten auflösen. Die Mehrheit seiner Mitglieder emigrierte teils über Umwege in die USA, wo sich die logisch-empiristische Bewegung in Vereinigung mit verwandten angloamerikanischen Richtungen zur Analytischen Philosophie weiterentwickelte und in der Nachkriegszeit auch in Europa Fuß fasste.
Empirischer Reduktionismus
Was die heutige Wissenschaftstheorie vom logischen Empirismus lernen kann, sind weniger bestimmte Einzelthesen als die hohen Standards begrifflicher und argumentativer Genauigkeit. In ihrer Phase bis 1935 war die Wissenschaftsphilosophie des logischen Empirismus positivistisch und reduktionistisch verengt. In der späteren Phase haben die logischen Empiristen ihre verengten Positionen nach und nach verworfen und durch Thesen ersetzt, auf die die Bezeichnung „Empirismus“ oder „Positivismus“ im üblichen Sinn nicht mehr zutrifft. In einem Punkt hatte sich der logische Empirismus sehr früh von seinen klassischen Vorgängern gelöst: in der Zurückweisung der Infallibilität von Beobachtungssätzen. In der sogenannten Protokollsatzdebatte setzte sich – nicht bei Schlick, wohl aber bei Neurath und Carnap – die Ansicht durch, dass auch Beobachtungssätze wie „dort ist ein Tisch“ prinzipiell fehlbar sind. Der Empirismus besteht in dieser Sicht nur mehr darin, dass Beobachtungssätzen im Gesamtsystem der Erkenntnis eine epistemisch bevorzugte Rolle zukommt (vgl. Carnap 1932/33, Neurath 1934, 113). Am empirischen Reduktionismus wurde dagegen noch lange Zeit festgehalten. Der klassische Empirismus vertrat folgende Reduktionsthese: alle ‚seriösen‘ wissenschaftlichen Begriffe müssen durch Definitionsketten auf Beobachtungsbegriffe zurückführbar sein. Dieses Reduktionsprogramm wurde vom logischen Empirismus in seiner Frühphase übernommen (Carnap 1928). Erst später setzte sich die Ansicht durch, dass theoretische Begriffe wie „Kraft“, „elektrisches Feld“ oder „menschlicher Charakter“ nicht durch Beobachtungsbegriffe definierbar sind, sondern weit über das unmittelbar Beobachtbare hinausgehen (Carnap 1956; Hempel 1951). In der sogenannten Standardwissenschaftstheorie der 1960er Jahre war das klassische empiristische Erkenntnismodell bereits aufgegeben. Übrig blieb ein minimaler Empirismus, der in der Forderung bestand, dass wissenschaftliche Theorien empirische Konsequenzen haben müssen, an denen sie überprüft werden können.
Abgrenzung Wissenschaft – Metaphysik
Damit wurden zwei Abgrenzungslinien durchlässig, an denen der frühe logische Empirismus festzuhalten versuchte. Erstens wurde die Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Metaphysik durchlässig: denn es stellt sich heraus, dass Prinzipien, die isoliert betrachtet empirisch konsequenzenlos sind, im Verein mit anderen theoretischen Sätzen neue empirische Konsequenzen erzeugen können (vgl. Hempel 1951, §4; Stegmüller 1970, 293–295; s. Kap. 5.4). Auf diese Weise gewann die postpositivistische Wissenschaftstheorie neuen Zugang zur Diskussion metaphysischer Prinzipien wie Realismus und Kausalität. Zweitens wurde die Abgrenzung zwischen analytischen und synthetischen Sätzen durchlässig, denn die Bedeutung theoretischer Begriffe wird durch die gesamte jeweilige Hintergrundtheorie bestimmt (Carnap 1956; Quine 1951). Verbunden damit brach auch die Einengung der Analytischen Philosophie auf sprachinterne Fragen zusammen, die Carnap (1950a) vertreten hatte. Quine (1960) entwickelte dagegen eine naturalistische Auffassung, derzufolge es einen kontinuierlichen Übergang gibt zwischen Erfahrungswissenschaft und Wissenschaftsphilosophie.
1.2.3 Kritischer Rationalismus. Assoziiert mit dem Wiener Kreis war auch Karl Popper (1902–1994), der Begründer des sogenannten kritischen Rationalismus. Poppers Wissenschaftstheorie trug von Anbeginn an jene anti-reduktionistischen Züge, zu denen sich der logische Empirismus erst nach Jahren der Wandlung durchgerungen hatte. Wissenschaftliche Theorien können nach Popper beliebig weit über die Erfahrung hinausgehen, wenn sie nur an ihr überprüfbar sind. Überprüfung sollte sich nach Popper in Form von möglichst strengen Falsifikationsversuchen vollziehen. Dabei berief sich Popper auf die logische Asymmetrie von Verifikation und Falsifikation bei strikten (ausnahmslosen) Allsätzen wie z.B. „alle Metalle leiten Strom“. Solche Gesetzeshypothesen können durch keine endliche Menge von Beobachtungen verifiziert werden, aber bereits durch ein einziges Gegenbeispiel falsifiziert werden (Popper 1935/76, Kap. I–IV).
Falsifizierbarkeit als Abgrenzungskriterium
Für Popper war Falsifizierbarkeit das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen Wissenschaft und Spekulation: Wissenschaftliche Theorien sind nicht verifizierbar, aber sie müssen falsifizierbar sein. Wenn sie nur einmal falsifiziert wurden, dann werden sie als falsch ausgeschieden; haben sie aber viele Falsifikationsversuche erfolgreich bestanden, dann gelten sie als bewährt. Auch Poppers Falsifikationismus war in der Folgediskussion mannigfacher Kritik ausgesetzt. Lakatos (1974) zeigte auf, dass wissenschaftliche Theoriensysteme so gut wie nie aufgrund eines einzigen Gegenbeispiels verworfen werden, sondern zunächst durch ad hoc Modifikationen gegenüber widerspenstigen Erfahrungsdaten immunisiert werden (s. Kap. 5.6.1). Ebenfalls harter Kritik ausgesetzt war Poppers Antiinduktivismus – d.h. seine These, Wissenschaft könne gänzlich ohne Induktion auskommen (s. Kap. 2.6.2).
Poppers kritischer Rationalismus ist von einem klassischen Rationalismus weit entfernt. Nirgendwo wird in Poppers Philosophie behauptet, man könne Realerkenntnis durch erfahrungsunabhängige apriori Intuition begründen; im Gegenteil hatte dies Popper immer abgelehnt. Somit ist Poppers Philosophie ebenso postrationalistisch wie der späte logische Empirismus postpositivistisch ist. Stärker als der späte logische Empirismus hat Popper allerdings betont, dass Beobachtungssätze nicht bloß fehlbar sind, sondern auch theoriebeladen sind, sodass die Grenze zwischen Beobachtungs- und theoretischen Begriffen nicht scharf gezogen werden könne (1935/76, 73–76; Neuer Anhang X 374ff.). Mit dieser Argumentation kam der kritische Rationalismus dem Angriff des Relativismus unwillentlich ein Stück weit entgegen.
Wissenschaftliche Paradigmen
1.2.4 Historische Wissenschafstheorie und Relativismus. Ende der 1950er Jahre wurde vom Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn (1967) ein fundamentaler Angriff auf die Standardwissenschaftstheorie vorgetragen, der diese noch weiter verunsichern sollte. Faktische Wissenschaft, so Kuhn, verhält sich anders als es ihr die Wissenschaftstheoretiker ‚vorschreiben‘ wollen. Das von Kuhn entwickelte alternative Wissenschaftsmodell ist eher historisch-soziologisch als logisch-kognitivangelegt. Kuhn zufolge vollzieht sich Wissenschaftsentwicklung auf der Grundlage sogenannter Paradigmen, wie etwa das Paradigma der klassischen (Newtonschen) Physik oder das der (Darwinschen) Evolutionstheorie. Ein Kuhnsches Paradigma enthält zumindest folgende drei Komponenten: (i) sehr allgemeine theoretische Prinzipien oder Modellvorstellungen, (ii) Musterbeispiele erfolgreicher Anwendungen, und (iiii) methodologisch-normative Annahmen (s. Kuhn 1977, Hoyningen-Huene 1989, Schurz 1998a). Das wissenschaftssoziologische Korrelat des Paradigmas ist die Scientific Community, eine Gemeinschaft von Fachexperten, welche an einem Paradigma festhält und an seiner Weiterentwicklung arbeitet. Kuhn zufolge bestimmt ein Paradigma nicht nur die grundlegenden Prinzipien und Problemstellungen, nicht nur die Interpretation der Beobachtungsdaten – nein, es bestimmt sogar die Beobachtungsdaten selbst, denn alle Beobachtung ist theoriegeladen: es gibt nach Kuhn keine theorie-bzw. paradigmenneutrale Beobachtung. Diese starke These übernimmt Kuhn von Hanson (1958).
Wissenschaftliche Revolutionen
Wissenschaftsentwicklung vollzieht sich Kuhn zufolge in zwei sich ablösenden Phasen, einer normalwissenschaftlichen und einer revolutionären Phase. Die gemeinsame Akzeptanz eines Paradigmas ermöglicht in der normalwissenschaftlichen Phase kontinuierlichen Wissensfortschritt. Wenn sich widerspenstige Daten, sogenannte Anomalien, einer kohärenten Erklärung durch das Paradigma widersetzen, werden diese Konflikte durch mehr oder minder ad hoc vorgenommene Modifikationen der aktuellen Theorieversionen innerhalb des akzeptierten Paradigmas bereinigt. Häufen sich jedoch solche Anomalien, so beginnen jüngere Gelehrte nach einem neuen Paradigma zu suchen. Sobald ein solches gefunden ist, tritt die Wissenschaftsentwicklung für eine gewisse Zeit in eine revolutionäre Phase ein, in der zwei Paradigmen um die Vorherrschaft kämpfen. Als Beispiele führt Kuhn (1967) den Übergang von der ptolemäischen zur kopernikanischen Astronomie oder den von der Newtonschen zur Einsteinschen Physik an. Da während eines Wechsels des Paradigmas jedoch alle gemeinsamen Rationalitätsstandards weggefallen sind und alle bisherigen Erfahrungsdaten neu ‚gesehen‘ werden, sind die zwei konkurrierenden Paradigmen, gemäß Kuhns ‚berüchtigter‘ Inkommensurabilitätsthese, rational unvergleichbar, und der Kampf um die Vorherrschaft findet anstatt in Form eines kognitiven Leistungsvergleichs in der Form eines wissenschaftspolitischen Machtkampfes statt, in dem die Anhänger des alten Paradigmas schließlich aussterben, wodurch sich das neue Paradigma durchsetzt und eine neue normalwissenschaftliche Phase einläutet.
Kuhns alternatives Wissenschaftsmodell war in den folgenden Jahrzehnten einer kontroversen Diskussion ausgesetzt. Neben einer Gegnerschaft bildete sich eine eher gemäßigte und eine eher radikale Richtung von Kuhnianern heraus (vgl. Hoyningen-Huene 1989, 207f.). Die radikalere Richtung gab dem Relativismus starken Auftrieb – am deutlichsten ausgeprägt in Feyerabends ‚Anarchistischer Erkenntnistheorie‘ (1976). Dem Argument der Theorieabhängigkeit wissenschaftlicher Beobachtungen und seinen relativistischen Konsequenzen konnte die Standardwissenschaftstheorie nichts Wirksames entgegensetzen. Denn sie hatte ja alle inhaltlichen Fragen über die Natur dessen, was Beobachtung sei, aus der verengten Perspektive der Wissenschaftslogik verbannt. Für Popper war die Frage, was als Beobachtungssatz zugelassen wird, wissenschaftslogisch eine Sache reiner Konvention (1935/76, 71–74), und nicht viel anders sahen es die logischen Empiristen. In Kap. 2.7.2 wird sich zeigen, dass sich ein anderes Bild ergibt, sobald man eine empirisch-kognitive Perspektive einnimmt. Letztendlich: würde es keinen Unterschied geben zwischen dem, was die Erfahrung zeigt, und dem, was man theoriegelenkt vermutet, so wäre Erfahrungswissenschaft eine permanente Selbsttäuschung. Einer Theorie der Erfahrungswissenschaften, welche diesen zentralen Unterschied nicht erklären kann, haftet etwas äußerst Unbefriedigendes an.
Interne versus externe Pragmatik
1.2.5.1 Pragmatische Wissenschaftstheorie. In den 1980er Jahren sprachen mehrere Autoren von einer pragmatischen Wende der Wissenschaftstheorie (Stegmüller 1983, Kap. XI). Leider aber zerfällt die pragmatische Philosophie und die Begriffsverwendung von „Pragmatik“ insgesamt in zwei entgegengesetzte Lager. Während das eine Lager (z.B. Ch. S. Peirce, Rescher 1998, van Fraassen 1980, Schurz 1983) Pragmatik im erkenntnisinternen Sinne versteht, fasst das andere Lager (z.B. W. James, Rorty 1982, Stich 1990, evtl. Putnam 1995) Pragmatik in einem erkenntnisexternen Sinn auf. Für das erkenntnisexterne Lager haben die pragmatischen Komponenten von Erkenntnis nichts mit ihrer Wahrheit zu tun. Für das erkenntnisinterne Lager sind es dagegen gerade diese pragmatischen Komponenten, welche den Begriff der Wahrheit in einem nicht-zirkulären Sinn etablieren sollen. Während das erkenntnisexterne Lager Erkenntnis in Abhängigkeit von beliebigen Interessen setzt und darin ein zwingendes Argument für die subjektive Relativität von Erkenntnis erblickt, liefert für das interne Lager der Bezug auf erkenntnisinterne Zwecke erst die Möglichkeit eines zirkelfreien Erkenntnisaufbaus. Die beiden Lager sind derart verschieden in ihrem Pragmatikverständnis, dass man sie nicht unter einen Begriff subsumieren sollte. Aus diesem Grund vermeide ich heutzutage, im Gegensatz zu früheren Arbeiten, die Bezeichnung „pragmatisch“.
Theorieabhängigkeit der Bedeutung und Referenz
1.2.5.2 Metaphysischer Realismus. Als Reaktion auf die Probleme des logischempiristischen Wissenschaftsmodells haben etliche Wissenschaftsphilosophen vorgeschlagen, wieder zu jenen metaphysischen Ansätzen des Realismus und der Notwendigkeit zurückzukehren, von denen sich die Wissenschaftstheorie des frühen 20. Jahrhunderts eigentlich befreien wollte. Beispielsweise ist es eine Konsequenz der postpositivistischen Wissenschaftstheorie, dass der Begriff „Masse“ in der Newtonschen und in der Einsteinschen Physik etwas verschiedenes bedeutet. Diese Theorieabhängigkeit war auch eine Hauptstütze für Kuhns Inkommensurabilitätsthese. Gegen diese Konsequenz hat der frühere Putnam (z.B. 1979, 27ff., 55f.), zusammen mit Kripke (1972, 55–59), folgende Argumentation entwickelt: Wissenschaftsfortschritt im Sinn einer realistischen Wahrheitsannäherung sei überhaupt nur möglich, wenn die Referenz wissenschaftlicher Begriffe, d.h. ihr Bezug zur Realität, starr fixiert sei, so dass diese Referenz in allen möglichen Theorien bzw. möglichen Welten mit metaphysischer Notwendigkeit immer dieselbe bleibt. Wie aber eine Reihe von Argumenten zeigt, reicht das erfahrungsbezogene Wissen oft nicht aus, um eine Fixierung der Referenz theoretischer Begriffe zu garantieren (vgl. Bird 1998, 108–120; Ladyman et al. 2007). Klassifikationssysteme für wissenschaftliche (z.B. chemische oder biologische) Arten sind vom wissenschaftlichen Hintergrundwissen abhängig. Die Vorstellung, eine notwendige Beziehung zwischen Sprache und Realität könne erfahrungsunabhängig etabliert werden, ist letztlich ein Rückfall in ein fundamentalistisches Erkenntnismodell. Der spätere Putnam (1977, 1990) hat übrigens seine frühere metaphysischrealistische Position wieder aufgegeben.
1.2.5.3 Strukturalistische Wissenschaftstheorie. In der Hoffnung, der Kuhnschen Herausforderung besser begegnen zu können, hat Stegmüller (1973a) vorgeschlagen, den bisherigen „statement view“ der Standardwis senschaftstheorie durch einen sogenannten „non statement view“ zu erset zen. Dahinter verbirgt sich die auf Suppes (1957, 246ff.) und Sneed (1971) zurückgehende Idee, wissenschaftliche Theorien besser als mengentheoreti sche Modellsysteme anstatt als Aussagensysteme einer formalen Sprache zu rekonstruieren. Solche Modellsysteme werden auch Strukturen genannt: daher die Bezeichnung „strukturalistische“ Wissenschaftstheorie. Während Stegmüller in (1973a, z.B. 119, 134) darin eine radikale Umwälzung erblickt, sieht er später im Übergang von logischen zu mengentheoretischen Formalisierungsmethoden nur mehr einen „pragmatisch-psychologischen Grund“ (1986, 25). Denn auch mengentheoretische Modelle werden durch Aussagen einer mengentheoretischen Sprache dargestellt, weshalb zwischen dem ‚statement view‘ und dem ‚non statement view‘ einfache Übersetzungsmöglichkeiten bestehen (s. French 2008; Schurz 2013b). In der Detailrekonstruktion einzelwissenschaftlicher Theorien hat die strukturalistische Wissenschaftstheorie eindrucksvolle Leistungen erbracht.
Kognitive Wende
1.2.5.4 Naturalismus und kognitive Wende. Für Quine wird naturalisierte Erkenntnistheorie zu einer empirischen Disziplin, die „wissenschaftlich untersucht, wie der Mensch zur Wissenschaft kommt“ (Quine 1976, 17). Von einer Reihe jüngerer Erkenntnis- und Wissenschaftstheoretiker wurde das naturalistische Programm emphatisch aufgegriffen (vgl. Papineau 1993; Kornblith 1994). Eine erste Konkretisierung des Naturalismus ist die evolutionäre Erkenntnistheorie (z.B. Campbell 1984): eine Reihe von Aspekten unserer Erkenntnis konnten durch evolutionäre Betrachtungen aufgeklärt werden. Kritisch ist anzumerken, dass naturalistische Ansätze selbst gewisse begründungsbedürftige erkenntnistheoretische Voraussetzungen machen, z.B. bzgl. Realismus und Induktion, und daher die klassische Erkenntnistheorie nicht zur Gänze ersetzen können. Eine zweite Konkretisierung des Naturalismus ist die sogenannte kognitive Wende. Sie war Ausdruck davon, dass sich mittlerweile die Kognitionswissenschaften (Cognitive Sciences) als eigenes interdisziplinäres Fachgebiet herausgebildet hatten, in welchem die Grundlagen des menschlichen Erkenntnisvermögens nicht nur logisch-philosophisch, sondern auch empirisch-psychologisch im Rahmen der Kognitionspsychologie (z.B. Anderson 2001), und algorithmisch-computermodelliert im Rahmen der Künstlichen Intelligenzforschung untersucht wurden (z.B. Thagard 1999). In der Folge begannen eine Reihe von Philosophen vermehrt, kognitionswissenschaftliche Fragestellungen und Ansätze in die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie einzubringen.
1.2.5.5 Radikaler Konstruktivismus. Der ‚radikale‘ Konstruktivismus wurde von Entwicklungspsychologen wie Glasersfeld (1985) und Biologen wie Maturana und Varela (1984) entwickelt. Seine zentrale Argumentation besteht darin, vom Konstruktcharakter unserer Wahrnehmungen und Vorstellungen von der Wirklichkeit darauf zu schließen, dass es keine erkennbare Wirklichkeit gibt, die an sich gegeben wäre. In Kap. 2.7.1 wird zu zeigen versucht, dass diese Argumentation auf einem Fehlschluss beruht.
Philosophie der Geisteswissenschaften
1.2.5.6 Hermeneutik und Kritische Theorie: Die im 19. Jahrhundert entstandene Philosophie der Geisteswissenschaften geht auf Friedrich Schleiermacher (1768–1834), Wilhelm Dilthey (1833–1911) und Wilhelm Windelband (1848–1915) zurück. Sie entstand als methodische Abgrenzungsbewegung der Geisteswissenschaften gegenüber den expandierenden Naturwissenschaften. Im Zentrum dieser Philosophie steht der Versuch, die Hermeneutik als Lehre des zwischenmenschlichen Verstehens für den Zweck einer solchen methodischen Abgrenzung heranzuziehen. Der Methodendualismus der Philosophen der Geisteswissenschaften wurde zu folgender These zugespitzt: in den Naturwissenschaften erklären wir, in den Geisteswissenschaften verstehen wir.
Methodendualismus
Während naturwissenschaftliche Erklärungen auf allgemeinen Gesetzeshypothesen beruhen, würde geisteswissenschaftliches Verstehen ohne Rekurs auf Gesetzeshypothesen vor sich gehen, denn Geistig-Seelisches unterliegt keinen strengen Gesetzesmechanismen, und Verstehen hat direkten Zugang zum menschlichen Geist.
Die Hermeneutik hat eine weit vor Schleiermacher zurückreichende Tradition, in der von einer rigiden Abgrenzung zu Logik und Naturwissenschaft nicht die Rede ist (s. Scholz 2001, Teil I.B). Der Methodendualismus des 19. Jahrhunderts hat auch die Methodendebatte im 20. Jahrhundert stark beeinflusst (vgl. Apel 1979 versus Haussmann 1991). Die human- und sozialwissenschaftliche Kontroverse über quantitative versus qualitative Methoden ist teilweise eine Wiederauflage dieses alten Methodenstreites (vgl. Lamnek 1988). Seitens der analytischen Wissenschaftstheorie wurden demgegenüber eine Reihe von Ansätzen entwickelt, in denen die Einheit von Hermeneutik und erfahrungswissenschaftlicher Methode herausgearbeitet wird (Bühler 2003; sowie Kap. 6.4). Die von Horkheimer, Adorno, Marcuse, Habermas entwickelte kritische Theorie kombiniert die methodendualistische Variante der Hermeneutik mit ihrer Lehre von der unvermeidlichen Interessensgebundenheit aller Erkenntnis (z.B. Habermas 1968, Apel 1979). Diese Lehre befindet sich im Widerspruch zur Forderung der Wertneutralität von Wissenschaft, die in Kap. 2.5 behandelt wird.
1.3.1 Zusammenfassung (Auswahl). Die Wissenschaftstheorie untersucht die Funktionsweise, die Ziele und Methoden, sowie die Leistungen und Grenzen der Wissenschaften. Neben ihrer wissenschaftsinternen Bedeutung besitzt sie auch gesellschaftliche Anwendungen, wie z.B. das Abgrenzungsproblem von Wissenschaft gegenüber bloßem Glaube, und das Aufklärungsproblem gegenüber ideologischem Missbrauch von Wissenschaft.
1.3.2 Einführende Literatur. Eine ausgezeichnete Einführung in die Geschichte der Wissenschaftstheorie bietet Losee (1977). Umfassend über die Geschichte des logischen Empirismus informiert Stadler (1997). Zur Wissenschaftstheorie Poppers siehe Keuth (1998, Hg.). Zur Philosophie Kuhns s. Hoyningen-Huene (1989). Weiterführendes zum Paradigmenbegriff in Schurz/Weingartner (1998, Hg.). Zum wissenschaftstheoretischen Realismus s. Leplin (1984).
Zu Kap. 1.1: Was sind die sechs Hauptfragen der allgemeinen Wissenschaftstheorie?
Zu Kap. 1.2: 1) Worin besteht der Hauptunterschied zwischen empiristischen und rationalistischen Denkrichtungen?
2) Was versteht man unter empirischem Reduktionismus?
3) Was besagt das Abgrenzungskriterium des kritischen Rationalismus?
4) Diskutieren Sie Kuhns Inkommensurabilitätsthese!
Prima facie lassen sich zwei gegensätzliche Auffassungen zur Aufgabenstellung und Methode der Wissenschaftstheorie unterscheiden:
Normative vs. deskriptive Wissenschaftstheorie
1.) Der normativen Auffassung zufolge hat Wissenschaftstheorie die Aufgabe, zu sagen, was Wissenschaft sein sollte, und wie sie betrieben werden sollte. Zu diesem Zweck muss Wissenschaftstheorie angeben, worin wissenschaftliche Rationalität besteht, und aufgrund welcher Kriterien sich eine wissenschaftliche Hypothese rational rechtfertigen lässt.
2.) Der deskriptiven Auffassung zufolge hat Wissenschaftstheorie dagegen die Aufgabe, zu sagen, was Wissenschaft de fakto ist und wie sie betrieben wird. Zu diesem Zweck muss Wissenschaftstheorie die faktischen Wissenschaften in ihrer historischen Entwicklung und gegenwärtigen Struktur so gut wie möglich beschreiben und erklären.
Die normative Auffassung ist historisch älter und gegenwärtig immer noch weit verbreitet. Sowohl die logischen Empiristen wie die kritischen Rationalisten vertraten diese Auffassung. Die deskriptive Gegenposition wurde dagegen erst mit der durch Kuhn (1967) ausgelösten historischen Wende der Wissenschaftstheorie aktuell; wir finden sie z.B. bei Strukturalisten (z.B. Stegmüller 1973a, 297ff.; Balzer 1982, 1–5) oder bei Naturalisten (z.B. Bird 1998, 266f.; Giere 1999, 157–163). Welche Position ist nun die richtige?
Die Position der Normativisten gründete sich auf die bekannte, auf Hans Reichenbach (1938, 6f.) zurückgehende Unterscheidung zwischen dem Entdeckungs- bzw. Entstehungszusammenhang von wissenschaftlicher Erkenntnis (context of discovery), und ihrem Begründungs- bzw. Rechtfertigungszusammenhang (context of justification). Die prima facie plausible Argumentation der Normativisten lässt sich wie folgt aufschlüsseln (s. z.B. Popper 1935/76, Kap. I.2):
(2.1–1) Argumentation der Normativisten:
Prämisse 1: Für die Beurteilung des Erkenntniswertes einer Hypothese ist nur die Frage der rationalen Rechtfertigbarkeit ihres Wahrheitsanspruches maßgeblich.
Prämisse 2: Ihre faktische Entstehungsgeschichte, die Gründe ihrer Entdeckung oder Erfindung usw., sind hierfür dagegen völlig irrelevant.
Konklusion: Daher sollte sich die Wissenschaftstheorie nur mit der rationalen Rechtfertigung von Wissenschaft beschäftigen und sich nicht um ihren Entstehungszusammenhang kümmern – letzteres ist die Sache von Wissenschaftsgeschichte, -soziologie oder -psychologie, aber nicht Sache von Wissenschaftstheorie.
Normativistischer Fehlschluss
Da seit Kuhn (1967) die normativistische Argumentation sehr pauschal kritisiert wurde, wollen wir uns klarmachen, worin die Berechtigung und worin der Fehler dieser Argumentation liegt. Zunächst ist die Argumentation logisch korrekt – wenn man als analytisch wahr unterstellt, dass es der Wissenschaftstheorie um die Beurteilung des Erkenntniswertes von Hypothesen geht. D.h., wären die Prämissen des Argumentes wirklich wahr, dann wäre auch die Konklusion wahr. Der Fehler liegt auch nicht in Prämisse (1) – auch diese These scheint analytisch wahr zu sein, insofern es Erkenntnis um Wahrheit geht und um nichts sonst. Dagegen ist Prämisse (2) vom ‚Bazillus‘ des normativistischen Fehlschlusses infiziert. Denn die historische Genese einer wissenschaftlichen Hypothese umfasst ja nicht nur erkenntnisexterne Momente, die erkenntnisirrelevant sind, sondern auch erkenntnisintern relevante Momente, z.B. die experimentellen Methoden, die Wissenschaftler de fakto verwenden, und die rationalen Hypothesenbewertungen, die sie de fakto vornehmen. Beispielsweise beschreibt der organische Chemiker Kekulé, dass er seine bahnbrechende Hypothese des ringförmigen Benzolringes zum ersten Mal im Traum gewonnen habe (s. Hempel 1974, 28). Für die empirische Rechtfertigung dieser Hypothese hat dies natürlich keine Rolle gespielt. Andererseits wurde das Boyle-Mariottesche Gasgesetz durch systematische induktive Datenextrapolation gewonnen (Langley et al. 1987, 81) – und dies spielt für die empirische Rechtfertigung dieses Gesetzes eine entscheidende Rolle. Von den erfolgreichen de-fakto Methoden und Argumentationen der Wissenschaften sollten die Wissenschaftsphilosophen lernen; aber das können sie nur, wenn sie sich diese ansehen. Was die Normativisten statt Prämisse 2 zumeist nur sagen wollen, oder zumindest nur sagen sollten, ist folgende nahezu triviale Abschwächung.
(2.1–2) Prämisse 2∗: Der erkenntnisexterne Anteil der Entwicklungsgeschichte einer Hypothese ist für die Beurteilung ihres Erkenntniswertes irrelevant.
Bedeutung der Wissenschaftsgeschichte
Die Konklusion des Argumentes (2.1–1) folgt natürlich nicht mehr, wenn man Prämisse 2 durch die schwächere Prämisse 2∗ ersetzt. Und in dieser Konklusion wird der Fehler der normativistischen Argumentation gravierend. Um dies zu erkennen, muss man sich nur folgende Frage vorlegen: wie gelangen denn die Wissenschaftstheoretiker zu den von ihnen aufgestellten Regeln und Kriterien der wissenschaftlichen Methode? Es wäre naiv, anzunehmen, dass sich diese Regeln und Kriterien durch reine Logik oder bloße Intuition gewinnen lassen könnten; dazu ist Wissenschaft viel zu komplex. Das wäre ebenso, als wenn jemand ein Lehrbuch über Methoden des Brückenbauens schreiben möchte, ohne sich die de-fakto Geschichte des Brückenbauens oder zumindest Brücken-Musterbeispiele genau anzusehen. Die Wissenschaftstheorie kann und soll also aus den Musterbeispielen der Wissenschaftsgeschichte lernen. Wir gelangen damit zu folgendem Resultat: obwohl die Aufgabe der Wissenschaftstheorie primär darin besteht, die Methoden und Kriterien rationaler Wissenschaft herauszufinden, so ist es hierzu dennoch unumgänglich, auch die faktischen Wissenschaften in ihrer historischen Entwicklung zu studieren.
Aufgrund der Kuhnschen Kritik kristallisierte sich die Einsicht heraus, dass die Wissenschaftsmodelle des logischen Empirismus und kritischen Rationalismus in vielen Hinsichten zu simpel waren, um reale Wissenschaft zu erfassen (vgl. Stegmüller 1986, 20). Als Reaktion darauf proklamierten jüngere Wissenschaftstheoretiker, Wissenschaftstheorie solle sich überhaupt auf die deskriptive Analyse der Wissenschaften beschränken. Aber auch diese Position ist weit übertrieben. Die Frage nach der Definition und den Kriterien wissenschaftlicher Rationalität muss natürlich im Zentrum der Wissenschaftstheorie bleiben, denn diese Frage ist es ja, was die Wissenschaftstheorie als Disziplin zusammenhält und von Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftssoziologie unterscheidet. Zusammengefasst ist Wissenschaftstheorie somit eine Disziplin, die sowohl deskriptive wie normative Bestandteile enthält (s. auch Stegmüller 1973b, 9ff.).
Deskriptives und normatives Korrektiv
Die Methode der Wissenschaftstheorie lässt sich am besten als rationale Rekonstruktion bezeichnen. Diese Methode bewegt sich zwischen zwei Polen: einem (sogenannten) deskriptivem Korrektiv, welches adäquat rekonstruiert werden soll, und einem normativen Korrektiv, welches Rationalitätsnormen beinhaltet. Das deskriptive Korrektiv enthält Musterbeispiele erfolgreicher wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie aber auch Mustergegenbeispiele von widerlegten wissenschaftlichen Hypothesen. Über diese Muster(gegen)beispiele besteht rationaler Konsens, auf den sich Wissenschaftstheorie zumindest vorläufig stützen darf.
Das normative Korrektiv beinhaltet zunächst eine oberste erkenntnisinterne Zielvorgabe (oder Norm), welche folgendes besagt (s. auch Weingartner 1978, § 3.2):
(2.1–3) Das oberste Erkenntnisziel (Z) der Wissenschaft besteht in der Findung von möglichst wahren und gehaltvollen Aussagen, Gesetzen oder Theorien, über einen bestimmten Gegenstandsbereich.
Gehaltvolle Wahrheit als Zielvorgabe der Wissenschaft
Dabei ist ein Satz umso gehaltvoller, je mehr Konsequenzen er besitzt (s. Kap. 3.7). Die Einschränkung auf gehaltvolle wahre Aussagen ist bedeutsam, denn Wahrscheinlichkeit und Gehalt von Hypothesen sind oft gegenläufig.als auch