G.F. Barner
– Staffel 21 –

E-Book 201-210

G.F. Barner

Impressum:

Epub-Version © 2022 Kelter Media GmbH & Co. KG, Averhoffstraße 14, 22085 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © Kelter Media GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74099-502-7

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Mir gehört das Land

Roman von Barner, G.F.

Eines Abends sieht der alte Samuel Brush einen Reiter in die Stadt kommen. Er sieht einen Mann, dessen Hut weit in der Stirn sitzt und der vorgebeugt im Sattel hängt. Er sieht einen Mann, der einen Lederrock trägt, der mit Fransen verziert ist und der einen Hut auf dem Kopf hat, dessen Band von einer Klapperschlange stammt.

Der Mann reitet langsam und kommt auf die Fähre zu. Es ist zu spät für den Fährmann, Leute über den Rat-Rot-River in Minnesota zu setzen.

Der alte Fährmann blickt zu dem Mann, der um den Zaun kommt und unter dessen Pferd der Staub hochsteigt.

Der Fremde ist sehr groß, hat schwarzes Haar und graue Augen. Samuel schätzt ihn auf etwa dreißig Jahre.

Samuel Brush soll ihn für zwanzig Dollar übersetzen, denn soviel ist der Wert eines Doppeladlers. Er glaubt, nicht recht zu verstehen und erkundigt sich hastig, ob es so richtig ist.

»Einen Doppeladler«, sagt der seltsame Fremde ruhig und wirft dem Alten das Goldstück zu. »Es ist schon richtig, Mister. Der Fluss geht hoch, und die Furt wird nicht passierbar sein, denke ich.«

»Hallo!«, sagt Samuel Brush überrascht. »Kennst du dieses Land denn, Fremder? Ich sah dich niemals, und ich kenne alle Leute in hundert Meilen Entfernung. Sie müssen alle bei mir über den Fluss, aber es ist kein leichtes Stück Arbeit, tagaus, tagein den Fluss zu überqueren und die Winde zu bedienen. Mister, diese Arbeit ist hart. Sag, kennst du den Fluss und die Furt?«

»Ich hörte von ihm«, erwidert der Fremde ruhig. »Es ist lange her, dass ich von ihm hörte, aber vergessen habe ich ihn nicht. Was machen die Leute in Fort Frances?«

»Die Stadt ist nicht viel größer geworden«, erwidert der Fährmann und steckt das Geld ein. »Suchst du jemand, mein Freund?«

»Mollie MacClure«, antwortet der Fremde. »Ist sie noch in der Stadt?«

»Die ist längst gestorben«, sagt Brush. »Wenn du etwas auszurichten hast, dann gehe zu ihrer Freundin. Sie wohnt gleich gegenüber. Mrs Lane. Vielleicht triffst du sie aber auch nicht mehr, mein Freund, denn sie soll sehr krank sein, hörte ich. Der Doc meinte neulich, sie mache es nicht mehr lange. Na ja, viel Freude hat sie nicht gehabt in ihrem Leben. Erst lief ihr der Mann weg und dann der Sohn. Waren beide Taugenichtse, die Lanes. Unruhiges Blut, Fremder.

Ich kannte keinen der beiden näher. Den Alten sah ich nie und den Jungen nur einmal. Ist schon lange her, und ich bin darüber alt und krumm geworden. Nun, dann komm, ich setze dich über, obwohl es fast dunkel ist.«

Der Mann im Sattel schweigt und blickt auf den Fluss. Er reitet hinter dem Alten her auf die Fähre, und der Alte macht das Tau los. Dann setzt er den Windenbalken ein und bringt den Fremden sicher an das andere Ufer.

»Mister«, sagt der Mann auf dem großen dunklen Pferd, als die Hufe das Ufer berühren. »Mr Brush, ich würde nicht über andere Leute urteilen, wenn ich sie nicht kenne. Mancher lernt das nie, auch wenn er hundert Jahre alt wird. Vielen Dank für die Überfahrt.«

Der Alte sieht ihm nach und denkt verwundert über die Worte nach.

Taugenichtse, denkt Sharon Lane bitter. Die Meinung der Leute ist schnell gefasst, und ihre Reden sind noch schneller ausgesprochen. Er kennt weder mich noch meinen Vater, und urteilt, als wenn er mit uns zusammen aufgewachsen wäre. So wird das immer sein. Immer und überall dasselbe. Man ist ein Lump, ein Herumtreiber und Tagedieb, nur weil man seine Freiheit mehr liebt als alles andere auf der Welt. Dabei würde mancher Stubenhocker und Klatschmaulmister froh sein, wenn er seine Freiheit hätte.

Vor ihm liegt die Stadt, und sein Pferd geht langsam und gleichmäßig auf die Häuser zu. Vor den Häusern hängen Laternen, und aus einem Saloon tönt das Klimpern eines Klaviers bis auf die Straße. In einigen Stores ist noch Licht. Aber in jenem alten Haus, in dem einmal ein Hutsaloon war, brennt keine Lampe.

Sharon kommt als ein Fremder, und so wird er auch wieder gehen.

Nur der Richter bekommt an diesem Abend Besuch und der alte Doc Grimsby. Diese beiden Männer sehen Sharon und sprechen mit ihm. Der Friedhofswärter sieht ihn nur kommen und vor dem frischen Grab seiner Mutter stehen.

Sharon legt einige Blumen auf den Hügel und spricht ein Gebet. Und dann geht er wieder.

Das Haus ist verkauft, und das Inventar hat seine Mutter dem Frauenverein vermacht. Er sieht sie nicht mehr lebend, aber vielleicht ist es gut so. Vielleicht hätte sie ihn noch mit der letzten Kraft aus dem Haus gewiesen.

Am nächsten Morgen reitet Sharon weiter nach Westen.

Hügel, Berge, Täler, ein Stück im schaukelnden Wagen der Northern-Union-Line. Keine gute Fahrt für einen Mann, der den Sattel mehr liebt als die Schienen und die Wagen auf ihnen.

Das letzte Stück reitet er und kommt von Süden her nach Bowman.

Irgendwo auf dem Weg holt ihn eine Stagecoach ein, rollt an ihm vorbei und verschwindet um die nächste Wegbiegung. Der Staub hüllt ihn ein und lässt ihn den seltsam trockenen Staubgeschmack auf der Zunge spüren.

In der Tasche seines Rockes knistert eine Urkunde, die nun fast dreißig Jahre alt ist. Vergilbtes Papier, aber wertvoll.

Ich war noch niemals in diesem Land, denkt Sharon Lane. Ich habe genug von den wilden Städten des Mittelwestens. Hier im Norden wird es nicht schlecht sein. Und nach dem, was Vater damals geschrieben hat, ist es ein herrliches Tal mit einer mächtig guten Weide. Ich werde sehen, ob dort noch niemand ist. Dann werde ich mir ein Haus bauen und dort wohnen. Vielleicht gehe ich dann in den Wäldern auf die Jagd und lebe in den Tag hinein. Und wenn dort jemand sitzt? Nun, dann werde ich ein Stück Land beanspruchen, denn es gehört mir. Ich werde sehen.

Er reitet langsam weiter und kommt um die Biegung an den Felsen rechter Hand. Hinter diesem Höhenzug beginnt ein weites und sanft geneigtes Tal, dessen Gras an einigen Stellen trocken ist.

Das Tal wird von dem Weg in zwei Hälften geteilt. Der Weg schlängelt sich weiter bis zur nächsten Erhebung, einem langen Hügelkamm, zwischen dessen Hügeln etwas silbrig schimmert.

Swansee-River, denkt Sharon. Kein schlechtes Land, aber ich bin nicht auf der richtigen Seite. Was ist denn mit der Kutsche los? Warum hält sie hier?

Er blickt schärfer hin und reitet etwas schneller. Und dann ist er nahe genug heran, um den Schlagbaum und die einfache Blockhütte zu sehen, die direkt am Weg stehen.

Ein Schlagbaum auf meinem Land?, denkt Sharon erstaunt. Von dieser Bergkette an bis zu der anderen, zehn Meilen weiter, gehört mir alles Land. Und auf diesem Land hat jemand eine Blockhütte errichtet und einen Schlagbaum gebaut. Weiter rechts sind eine ganze Menge Rinder. Sicher mehr als dreitausend Stück. Aber einen Schlagbaum auf meinem Land?

Er reitet weiter und kommt der Kutsche näher, die noch immer steht. Nun sieht er, dass ein Mann links von der Kutsche steht und die Arme verschränkt hält, während ein anderer rechts von ihr ist, nun auf den Schlag zugeht und sich auf das Trittbrett stellt.

Am Schlagbaum steht ein dritter Mann und stützt sich auf den Doppelpfosten, während ein vierter Bursche auf der Bank vor der Hütte hockt und breit grinst, als sich Sharon nähert.

»He, Bud, da kommt einer, der zu viel Geld hat!«, ruft der Mann auf der Bank seinem Partner zu, der auf dem Trittbrett steht. »Mach schon! Lass das Girl in Ruhe und nimm dem Bruder den Dollar ab.«

Der Kerl am Schlagbaum bewegt sich und mustert Sharon wie einen Mann, der gerade vom Mond gefallen ist. Der Bursche links von der Kutsche stiert Sharon auf dieselbe Art an, und der auf dem Trittbrett reißt auch Mund und Nase auf.

»Hallo, Julie!«, ruft der Bursche in den offenen Schlag hinein. »Ein Jammer, dass mich dieser Mister bei der Betrachtung stört. Du siehst verdammt nicht schlecht aus. Aber Old Timber wird mir die Hölle an den Hals schicken, wenn ich nicht das Geld kassiere.

Wie der alte Fillmore zu einer so prächtigen Tochter kommen kann, ist mir ein Rätsel. Wirst du mit mir tanzen, wenn wir feiern?«

»Mr Stanner, ich bin für Sie nicht zu sprechen, weder jetzt noch später. Für mich sind Sie ein kleiner Kuhtreiber auf Timber Lanstons Ranch, weiter nichts. Und nun scheren Sie sich gefälligst aus meiner Nähe! Es könnte sein, dass mein Vater wütend wird.«

»Hast du gehört, Bud?«, fragt der Mann am Schlagbaum, ein untersetzter und vierschrötiger Bursche grinsend. »Sie denkt, weil sie die Tochter vom alten Clint Fillmore ist, ist sie eine Königin. Mädchen, du bist gar nichts, und dein alter Ziegenbart von Vater wird weder bissig werden noch sonst etwas. Dazu fehlen ihm nämlich die Zähne, verstehst du? Er war einmal ein König, aber er ist es nicht mehr. Du bist verdammt zu hochmütig, Baby!«

»Gimp, Sie können nur trinken, Leute zusammenschlagen und große Worte führen«, sagt die Lady im Kasten wütend. »Timber Lanston hat kein Recht, hier einen Schlagbaum hinzusetzen und Zoll zu kassieren.«

»Hat er!«, sagt der Mann links von der Kutsche kurz und hart. »Ihm gehört dieses Land, und kein Reiter und kein Wagen tritt sein Gras runter. Das ist eine Wahrheit. Auch für Big Fill­more. Wenn sie es noch nicht war, dann ist sie es jetzt.«

»Sonst stand hier nur die Hütte«, antwortet die Lady bissig. »Wenn mein Vater hört, dass ihr einen Schlagbaum gebaut habt, wird er seine Mannschaft nehmen und ihn umreißen lassen.«

»Nicht auf unserem Land«, erwidert der Mann an der Hütte grinsend. »Er kann es versuchen, aber er wird verprügelt werden. Er hat nur alte und zahnlose Reiter, die nicht mehr viel taugen. Hat sie bezahlt, Bud?«

»Sie will nicht«, sagt Bud knapp. »Sie ist so verdammt stolz und hochmütig, dass sie sich weigert, Cliff. Charles, du kannst ohne sie zur Stadt fahren. Wer nicht bezahlt, muss zu Fuß gehen.«

»Macht es nicht zu rau«, sagt der Mann auf dem Bock warnend. »Leute, macht es nur nicht so rau. Lanston ist dazu nicht groß genug. Führt nicht alle Befehle aus, die er oder seine drei Söhne euch geben. Diese Straße war vor zwei Tagen noch frei. Macht es nur nicht zu wild. Ich bezahle schon für sie.«

»Zum Teufel, Charles!«, sagt die Lady wild, dann fliegt die Tür auf und Bud Stanner in die Seite. »Jetzt habe ich genug! Ich bezahle nicht, und du bezahlst auch nicht! Ich denke nicht daran, dieses Spiel mitzumachen.«

Ihre Stimme wird dunkel. Sharon Lane starrt auf ihre kupferroten Haare, die lang und von einem Band gehalten, in den Nacken fallen.

»Ich werde dir was sagen, Stanner, ich werde nicht bezahlen, und ich werde zu Fuß gehen. Und dann werden wir sehen, was Lanston macht. Du kannst raten, was er machen wird. Dies ist weiter nichts, als eine neue Gemeinheit. Ihr habt gewusst, dass ich in Lead war. Deshalb hat dieser schuftige Timber den Schlagbaum hinsetzen lassen. Drei Passagiere in einer Kutsche. Für die Kutsche zwei Dollar, für jedes Pferd einen und für jeden Passagier einen. Ich bezahle nicht, verstanden?«

»Zum Henker!«, erwidert Stanner und erhebt sich fluchend. »Der Boss hat gesagt, wer nicht bezahlt, muss zu Fuß gehen. Das ist ein Befehl. Und an diesen Befehl halte ich mich. Vielleicht wird er sich freuen, wenn er Fillmores Tochter zu Fuß rennen sieht, das wird er sicher. Dein Gepäck kann mitfahren, aber du gehst.«

»Mister«, sagt da Sharon Lane freundlich. »Ich würde nicht eine Sekunde vergessen, dass sie eine Lady ist. Das sollte kein Mann tun, wenn er einer Frau begegnet. Ich schätze, ihr lasst sie doch ohne Bezahlung fahren, wie?«

Der Vierschrötige stößt sich überrascht vom Doppelpfosten ab und kommt an den Pferden vorbei auf Sharon zu. »Mister«, sagt er ruhig, »mischen Sie sich nicht ein. Sie kennen nichts von diesem Land und seiner Geschichte. Ihr Vater ist hier König gewesen. Er will es noch immer sein, obwohl ihm die Stadt nicht mehr gehört und auch das Land nicht mehr. Sie ist hochmütig und verdammt zu stolz. Es kann Big Fillmore nur guttun, wenn er einmal sieht, wie viel Macht er noch besitzt. Mischen Sie sich besser nicht ein. Jeder ist zu seiner Zeit ein Gentleman, aber nicht jederzeit.«

»Vielleicht«, sagt Sharon. »Vielleicht ist das so, aber ich denke, eine Lady bleibt eine Lady. Ob nun in einem freundlichen oder in einem feindlichen Lager, bleibt sich gleich. Ich würde auch keinen Cent bezahlen.«

Nun sehen sich alle vier Männer am Schlagbaum an. Auch die Lady hebt den Kopf. Ihr Blick aus wassergrünen Augen ist zuerst verwirrt. Dann wird er jedoch scharf und unwillig. Sie studiert diesen Fremden, dessen seltsame Kleidung nur noch von wenigen Leuten getragen wird. Er trägt nicht einmal ein Hemd aus Tuch, sondern ein Lederhemd. Und das allein ist seltsam bei einem Mann in diesem Land.

»Mister Irgendwer!«, sagt Julie Fillmore scharf. »Ich wünsche nicht, dass Sie sich meinethalben einmischen und glauben, sich wie ein Held benehmen zu müssen. Sie tragen keine Revolver und wollen sich vor Big Fillmores Tochter größer machen, als Sie in Wirklichkeit sind. Das haben schon viele Männer versucht, Mister.«

Sharon Lanes Gesicht verändert sich nicht. Er sieht, dass sie stolz ist und sicher auch hochmütig. Das sind Dinge, von denen ihm nur eines an einer Frau gefällt. Nur der Stolz. Der Hochmut ist ihm verhasst. Und darum sieht er sie mit ein wenig Spott in den Augen an und sagt ruhig:

»Sie reden ziemlich närrisch, Madam. Worauf bilden Sie sich etwas ein? Vielleicht darauf, dass Sie gut aussehen? Dass sich die Männer vielleicht nach Ihnen umdrehen? Oder darauf, dass Ihr Vater ein König ist oder war? Ich denke, Sie haben keinen Teil an dem, was er einmal geschaffen hat. Und diese Ansicht ist sicher richtig.

Worauf bilden Sie sich also etwas ein? Ich rede immer nur für mich. Ich werde auch nicht mehr für Sie reden. Sie sind wirklich ein wenig zu hochmütig. Wenn ich sage, dass ich nirgends und an niemand Zoll bezahle, dann sage ich es, weil ich es nicht tun werde. Dies ist ein Weg, und auf dem Weg hält mich nur jemand auf, der mir einen Revolver vor den Bauch hält und ein Buschklepper ist. Es fragt sich nur, wie lange man mich aufhält.«

Sharon sagt das ganz ruhig, und seine Stimme klingt träge und gelangweilt bei seinen letzten Worten.

Der Mann auf dem Bock der Stagecoach schiebt den Hut nach hinten. »Hör mal zu, Mister!«, ruft Stanner grimmig. »Du redest auch verdammt zu hochmütig. Du sagst, dich hält nur ein Buschklepper auf. Also sind wir auch welche?«

Sie rücken näher heran und starren ihn abwägend an. Ihre Augen lassen ihn nicht los, und er sieht deutlich den Grimm in ihnen.

»Niemand zieht sich einen Rock an, von dem er weiß, dass er ihm nicht passt«, sagt Sharon Lane sanft. »Auf einem Weg gibt es keine Sperren, Freunde. Seid ihr sicher, dass dies euer Land ist und dieses euer Weg?«

»Du machst uns nicht mit Worten fertig«, ruft nun Gimp Frazer wild. »Wenn du keinen Zoll bezahlen willst, dann steig doch ab und geh mit ihr zu Fuß. Wir werden dein Pferd an die Kutsche binden und es dir nachschicken. Oder willst du dich prügeln, Mister?«

»Prügeln?«, fragt Lane sacht. »Mit dir oder mit allen? Und wenn ihr verliert, was ist dann?«

»Well, prügeln müsstest du dich mit uns allen«, erwidert Stanner hämisch. »Wenn du uns verprügeln kannst, dann darfst du sogar ohne Bezahlung durchreiten.«

Aus der Kutsche steigt nun ein Mann mit einem steifen grauen Kragen.

»Gentlemen, mein Name ist Mel­ville«, stellt sich der dürre Mister im Gehrock und Zylinder vor. »Ich komme aus dem alten Land jenseits des Ozeans und mache eine kleine Reise. Will Indianer sehen und so. Höre viel von Schießeisen und Prügeleien. Heiße Sir Thomas Avery Melville und bin aus London. Wette jede Summe, dieser Mister schlägt euch alle vier.«

Er streckt seine dürre Hand aus, an der ein riesiger Ring sitzt, und lüftet gravitätisch seinen Zylinder.

Die vier Mann starren ihn verstört an, und Stanner sagt schließlich: »Vor einem Jahr kam auch ein verrückter Engländer her. Nannte sich Bayard. Der wettete auch jede Summe. Schließlich verlor er hundert Dollar und fuhr weiter. Sir, ich halte die Wette mit einem Dollar gegen einen. Fangt an, ihr Burschen.«

»Er ist auch verrückt«, sagt Gimp Frazer ächzend. »Bud, kennst du hier jemand, der mich schlagen kann?«

»Keinen«, erwidert Stanner. »Sir, ich setze zwei Dollar. Wie viel Sie?«

»Zwanzig«, erwiderte der Sir seelenruhig. »Jede Summe. Es gibt eine herrliche Prügelei.«

»Und wenn ich zehn Dollar …«

»Hundert«, erklärt die Bohnenstange ruhig. »Fangt an, ihr Burschen! Munter, ich will eine richtige Prügelei sehen. Verrückte Sache. Kassieren Zoll an einem Weg. Ich will sehen, ob ihr was könnt.«

»Nun ja«, sagt Frazer zu Sharon. »Mister, steig ab. Ich werde dich ungespitzt in den Boden schlagen und meinen Stiefel auf deinen seltsamen Hut setzen. Hast du verstanden?«

»Sicher«, erwidert Sharon sanft. »Wenn du auf den Hut trittst, dann denk an meine Haare, Freund. Ich komme gleich.«

Er schlingt vom Sattel aus den Zügel um den hinteren Kutschenholm und steigt ab. Stanner macht ein langes Gesicht, denn Sharon ist größer als er und die anderen.

Auch Frazer starrt besorgt zu Sharon, grinst dann aber und sagt: »Du wirst gleich ganz klein sein, mein Freund.«

»Vielleicht«, erwidert Sharon ruhig und geht drei Schritte zur Seite. »Dann kommt nur her, aber von vorn, wenn es geht.«

Die vier Kerle gehen auf Sharon zu. Der aber springt plötzlich vorwärts. Seine langen Arme packen zu, krallen sich in die beiden Schultern des vierschrötigen Gimp Frazer und reißen den Mann nach vorn. Gleichzeitig setzt Sharon sein linkes Bein in den Unterleib des bulligen Gegners und wirft sich nach hinten zu Boden. Kraftvoll stößt er nun das linke Bein nach oben, und Gimp Frazer segelt über ihn hinweg, kracht wuchtig auf und bleibt besinnungslos liegen.

Das geht alles so rasch, dass die drei Kumpane Gimps nichts begreifen. Ehe sie erfassen, was gespielt wird, liegen auch Cliff Surance und Bud Stanner, von Kinnhaken getroffen, ohnmächtig im Gras.

Mike Smith, der vierte Mann, reißt entsetzt die Arme vors Gesicht, als der Fremde auf ihn zuspringt. Aber es hilft ihm nichts. Sharons mächtige Faust schlägt glatt durch die Deckung auf Mikes Kinnspitze, und dann ist alles vorbei.

»Wundervoll«, erklärt der spleenige Engländer. »Mister, hundert Pfund in einem Monat! Ich nehme Sie mit nach England, bilde Sie als Boxer aus. Wir werden viel Geld verdienen.«

»Danke, mein Freund«, sagt Sharon sanft. »Ich schätze, ich bleibe lieber hier. Sie haben Ihre Wette gewonnen, Sir. Woher wussten Sie …«

»Ich wusste es nicht, ich kenne nur Männer«, sagt der Weltenbummler lächelnd. »Ich war gar nicht sicher, ob man nicht Sie verprügeln würde.«

»Und dann haben Sie gewettet?«, fragt Sharon ungläubig.

»Sonst macht es keinen Spaß«, entgegnet der Engländer grinsend. »Wenn ich weiß, dass ich gewinnen werde, ist doch kein Spaß mehr dabei. Mister, überlegen Sie es sich. Hundert Pfund die Woche, das ist ein Angebot.«

»Nein, ich sagte es schon«, erwidert Sharon. »Sehen Sie zu, dass Sie Ihre zehn Dollar bekommen, Sir.«

Sharon sieht die an der Kutsche lehnende und ihn aus großen Augen anstarrende Julie Fillmore und lächelt unergründlich. Langsam macht er sein Pferd los, zieht sich in den Sattel und steckt sich lächelnd eine seiner Zigarren an. Dann lüftet er seinen Hut mit der Klapperschlangenhaut.

»Madam«, sagt er sanft, und sein Lächeln trifft sie so plötzlich, dass sie unsicher wird. »Ich würde mich jetzt in den Wagen setzen und nicht zu Fuß gehen. Man soll niemals zu stolz sein, eine Arbeit ganz zu tun. Sie sind auf die verkehrte Art stolz. Vielleicht ist das der Unterschied.«

Er setzt den Hut nachlässig wieder auf und will anreiten, als sein Blick auf Gimp Frazer fällt. Frazer kauert am Boden, und seine rechte Hand greift zum Colt. Der Mann ist noch benommen, aber in seinen Augen glimmt eine so brennende Wut, dass er sicher nicht klar zu denken vermag.

»Lass das sein«, sagt Sharon sanft. Frazer wischt sich mit der anderen Hand über die aufgebissene Lippe. »Ich werde dir schon noch …«

Er hat den Colt, und Julie Fillmore sieht entsetzt, dass er tatsächlich schießen will. Der verrückte Engländer macht einen Satz in den offenen Schlag und ruft irgendetwas.

In der gleichen Sekunde sieht Julie Fillmore, wie die linke Hand des Fremden blitzartig unter dem Rock verschwindet und im selben Augenblick wieder mit einem langläufigen und sehr alten Colt zum Vorschein kommt. Dieser Colt ist vom längst nicht mehr gebräuchlichen Muster 52. Er kracht auch schon.

Vom Boden jagt eine Staubfontäne hoch, und dann springt Frazer kreischend auf. Er schlenkert wild seine Hand, umklammert sein Handgelenk und sieht auf den Fleck, an dem sein Colt in das Gras segelte.

»Steh nur still, Bruder«, sagt Sharon Lane kalt. »Ich kann alles vertragen, aber nicht das. Schieße niemals wieder auf mich, oder dein Boss wird dir eine Grube machen lassen müssen. Steh still, bis jetzt war es noch ein Spaß.«

Gimp Frazer zuckt zusammen und starrt auf die leere Hand des Fremden. Nichts ist zu sehen, kein Colt, kein Gurt, kein Halfter. Und doch hat er deutlich die große Mündung gesehen. Er hat sich nicht geirrt, da ist er sicher. Er steht still und presst nur sein Handgelenk, in dem der wilde Schmerz wütet.

»Ich habe nur den Colt getroffen, mein Freund«, fährt Sharon Lane ruhig fort, und in seiner Stimme ist nichts mehr von Kälte. Sie klingt wieder völlig sanft und gleichmütig. »Ich hätte auch deinen Kopf oder dein Handgelenk treffen können, Mister. Du bist ein Narr, mein Freund.«

»Verdammt, verdammt«, sagt Frazer schnaufend. »Ich muss verrückt gewesen sein. Du verdammter Halunke hast uns alle geblufft. Sage nur, du hast keinen Schlag eingesteckt.«

Er sieht sich um, und in seinem Gesicht breitet sich völlige Fassungslosigkeit aus. Er starrt auf Stanner, der sich ächzend vom Boden aufrichtet und fragt: »Wer hat hier mit einer Kanone geschossen?«

Am Wagen kommt Cliff Surance hoch und schüttelt den Kopf. Am Wegrand steht Mike schließlich taumelnd auf und hält sich am Schlagbaum fest. Sie alle starren auf Sharon und fluchen wild.

»Nun?«, fragt Lane sanft. »Ich glaube, diese Sache ist vorbei. Bestellt eurem Boss einen Gruß, Freunde. Und wenn er diesen Schlagbaum nicht jedes Mal, wenn ich komme, hoch machen lässt, dann werde ich ihn mir holen und ihn selber den Baum vor mir hoch machen lassen. Das ist ein Versprechen, Freunde, und kein Spaß. Auf diesem Land dulde ich keinen Schlagbaum. Heute nicht und morgen nicht. Das ist alles.«

Er sieht sie ruhig an und raucht so gleichmäßig, als wenn er gar nichts erlebt hätte.

»Ich vergaß etwas«, sagt er plötzlich schneidend. »Man soll hier bezahlen, wenn man durchreitet? Nun gut, dann bezahle ich auf meine Art.«

Urplötzlich liegt ein Goldstück in seiner Hand. Die Hand bewegt sich, und das Gold fliegt hoch. Es überschlägt sich in der Luft, blinkt und glänzt. Dann kracht es, und das Goldstück bekommt einen Schlag, fliegt noch höher und fällt zehn Yard weiter auf den Weg. Eine kleine Staubwolke wächst hoch und sinkt wieder zusammen.

»Schenkt es eurem Boss. Er soll es sich an die Wand hängen«, sagt Sharon trocken.

Und dann reitet er los.

*

Die Männer starren ihm nach, und der Engländer steigt schließlich wieder aus. Doch da hebt Bud Stanner schon das Goldstück auf und starrt es verstört an.

»Allmächtiger«, sagt er ächzend. »Wer war das? War das ein Mensch oder ein zweibeiniger Teufel, der nur Menschengestalt angenommen hat? Er hat es genau in der Mitte durchlöchert. Seht euch das an.«

Seine Partner blicken auf das Goldstück und das Loch in der Mitte. Sie kennen niemanden, der so schießen kann. Sie haben auch kaum gesehen, wie er zog und wo er das Eisen ließ.

»Wenn das der Boss hört«, sagt Cliff Surance verstört. »Wenn Old Timber das hört, wird er ihn zu jedem Preis kaufen. Ich wette, dass er Matt, Mark und Manner losschickt, damit sie mit ihm reden. Ob er wohl in der Stadt bleibt?«

Sie vergessen die Kutsche völlig, in die Julie nach kurzem Überlegen einsteigt, und starren auf das Goldstück, als die Kutsche schon anrollt.

»Verdammt!«, sagt Gimp Frazer keuchend. »Jetzt ist sie doch gefahren! Und wir sollten sie laufen lassen! Wer reitet zur Ranch?«

»Ich«, erwidert Bud Stanner grimmig. »Ich werde ihm erzählen, was es hier gab. Old Timber wird es sich keine fünf Minuten überlegen. Das war ein zweibeiniger Tiger, Freunde.«

Er steckt das Goldstück ein und holt hinter der Hütte seinen Braunen hervor. Dann sitzt er im Sattel und reitet an. Er reitet scharf nach rechts auf den Wolf Butte zu, und sein Pferd klettert in die Berge.

Nach einer halben Stunde ist er auf der Ranch der Lanstons und sieht forschend zum Corral. Dort fehlen die Pferde der drei Brüder Matt, Mark und Manner Lanston. Auch ihre Sättel sind nicht da. Stanner jagt bis zum Vorbau, auf dem der Boss Old Timber Lanston in einem Lehnstuhl sitzt und mit zwei Männern an einem wackligen Tisch Karten spielt.

Die beiden Männer haben ausdruckslose und kühle Gesichter. Sie tragen beide dieselbe Kleidung und sind beide rothaarig. Sie sehen hoch, als der Braune zurückgerissen wird und der rote Sand hochspritzt.

»Boss!«, ruft Stanner voller schlimmer Ahnungen. »Boss, wo sind Ihre Söhne?«

»Der Teufel soll dich holen, mein Spiel zu stören!«, brüllt ihn der Rancher an. »Wo sollen sie schon sein? Sie sind in die Stadt geritten. Mark will seinen Geburtstag feiern. Die halbe Mannschaft ist dabei. Verdammt, das solltest du doch wissen. Was, zum Teufel, ist los?«

»Nichts«, sagt Bud Stanner, ungerührt von der poltrigen und wütenden Art des Alten. »Ich soll dir etwas geben, und du sollst es dir an die Wand hängen. Hier ist es. Ein Fremder kam zugleich mit der Stagecoach an den Schlagbaum.«

»Verdammt, na und?«, brüllt der Alte. »Hat sie bezahlt, oder ist sie gegangen?«

»Sie hat nicht bezahlt, und gegangen ist sie auch nicht«, erwidert Stanner. »Der Fremde kam dazwischen. Er wollte auch nicht bezahlen, und da hat ihn Gimp ein wenig aufgefordert, sich den Weg mit seinen Fäusten frei zu machen.«

»Das ist gut«, erklärt der Alte zufrieden. »Dann werden sie in der Stadt gleich sehen, dass ich niemanden mehr durchlasse. Wie lange habt ihr gebraucht, um ihn auf die Nase zu legen? Zwei Minuten, drei? Na, höchstens doch vier, was?«

»Es dauerte nicht mal eine Minute«, erwidert Stanner und fasst an sein geschwollenes Kinn. »Boss, es dauerte wahrhaftig nur eine Minute, dann wusste keiner von uns mehr, wann die Minute zu Ende war.«

Der Alte steht langsam auf und klatscht seine Karten auf den Tisch. Er wird erst blass und dann rot. Aus seinem Mund dringt ein wütendes Grollen, und seine Faust fällt krachend auf die Tischplatte. »Du willst doch wohl nicht sagen, dass er Gimp und dich umgeschlagen hat? Und Cliff und Mike vielleicht auch noch? Du bist wohl wahnsinnig, Stanner, wie? Ich feure euch raus, wenn das so ist.«

»Dann gib mir meinen Restlohn. Es war so«, stellt Stanner fest. »Wir wussten gar nicht, wie es so schnell passieren konnte, Boss. Gimp hat dann später gezogen, aber dieser Bursche zog erst, als Gimp den Hammer schon hoch hatte. Er hat ihm den Colt glatt aus der Hand geschossen, ohne einen Finger anzukratzen. Und dann nahm er diesen Goldfuchs, warf ihn in die Luft und schoss mittendurch. Er sagt, du solltest den Schlagbaum jedes Mal aufmachen, wenn er kommt, oder er schleift dich an den Baum, und du sollst ihn öffnen. Das hat er gesagt, wirklich!«

Timber Lanston fragt: »Wie heißt der Halunke? Wo ist er hin?«

»Zur Stadt«, erwidert Stanner ungerührt. »Und wenn deine Söhne auch da sind, werden sie sicher Krach suchen. Er sieht nämlich verdammt selten aus. Muss irgendwo aus dem Mittelwesten oder den Rockys kommen. Er trägt Leder und hat …«

Einer der beiden Männer sieht kurz seinen Partner an. Sie wechseln einen Blick, und dann richtet sich der ältere der beiden langsam auf. Er schiebt den Stuhl zurück, und der Stuhl schurrt über die Bohlen des Vorbaues.

»Leder? Und man kann keinen Revolver sehen? Er reitet eine schwarze Stute, hat einen Hut mit Klapperschlangenband und sieht sehr freundlich aus, wie?«

»Was soll das, Greenfield?«, fragt der Rancher. »Kennst du ihn, und kennt ihn dein Bruder?«

»Ist es so, wie Ward sagt?«, erkundigt sich Salem Greenfield heiser und steht nun auch auf. »Stanner, ist es so?«

»So sieht er aus, und so einen Gaul reitet er«, erwidert Stanner heiser. »Kennt ihr ihn?«

»Wir haben ihn nur einmal gesehen – in Dodge City«, sagt Ward Greenfield. »Damals war er Hilfssheriff, für drei Tage. Er erschoss Billy Hales und verwundete drei Mann aus der Bande, als sie die Bank überfallen wollten. Das ist sein Trick: er zerschießt einen Doppeladler. Zeig her – yeah, er ist es. Boss, ich würde versuchen, ihn zu kaufen. Dieser Kerl ersetzt eine ganze Mannschaft, wenn er auch verdammt wählerisch ist. Vielleicht wird er dir die Bedingung stellen, dass wir hier verschwinden. Ich möchte keinen Krach mit ihm haben und werde dann mit meinem Bruder freiwillig gehen.«

Der alte Rancher starrt seine beiden Revolvermänner an und zieht fragend die rechte Augenbraue hoch. Sein Gesicht erhält durch diese Bewegung etwas faunisch Lauerndes. Nun sieht er durchaus nicht mehr so alt und würdig aus. »Von wem redet ihr, verdammt?«, fragt er scharf. »Wer ist dieser Bursche? Na los, ich sehe, ihr habt beide Angst.«

»Wir haben keine Angst«, erklärt Ward Greenfield grimmig. »Wir wissen beide, dass wir keine Chance gegen ihn haben, das ist es. Und ich will niemals unfair kämpfen. Müsste ich es gegen ihn, würde mir nichts anderes übrig bleiben.

Dieser Mann ist Sharon Lane – Smoky-Lane, wie man ihn auch nennt, denn er raucht fast immer. Und er schießt auch, ohne die Zigarre aus dem Mund zu nehmen. Boss, wenn du Sharon Lane bekommen kannst, dann wirst du diesen alten Ziegenbart bezwingen und endlich die ganze Uferweide haben.«

»Was ist mit diesem Mann? Ich habe noch niemals etwas von ihm gehört.«

»Er kommt irgendwo aus dem Mittelwesten. Niemand weiß genau, wo er herstammt. Einige sagen, er sei der Sohn von Jordan Lane, der vor dreißig Jahren spurlos verschwand.

Keiner weiß, wie schnell er wirklich ist. Er kennt den ganzen Mittelwesten, selbst in Oregon und Kalifornien war er. Man sagt, er soll reich sein und ruhelos reiten. Weshalb und warum, das weiß keiner. Er war ein halbes Dutzend Mal Hilfssheriff, mehr wollte er niemals werden. Immer nur Deputy. Aber er hat ganze Städte zahm gemacht. Golden City, das heute verfallen ist, in Kalifornien. Meekers Town in Arizona. Und viele andere mehr. Dieser Mann ist zwanzig Männer wert. Boss, sieh zu, dass du ihn bekommst, ehe Big Fillmore ihn einstellt.«

»Pass gut auf!«, sagt der alte Rancher eisig, und seine Stimme klirrt wie Glas. »Es gibt für mich keinen Big Fillmore, verstanden? Ich habe zu Anfang gespürt, wie groß er war. Er war ein Riese, und ich war ein Anfänger, obwohl ich gleichzeitig mit ihm herkam. Er hat damals geteilt, nicht ich. Er nahm sich die beste Weide, und ich bekam den schlechteren Teil. Ich musste ihn nehmen, denn ich war viel zu schwach. Er hatte Rinder, und ich hatte Rinder. Keiner von uns aber hatte genügend Geld, um alles Land kaufen zu können. Mir gehört ein Stück am linken Flussufer, ihm ein Stück rechts. Aber keinem von uns gehört der ganze Fluss in seiner Länge.

Ich habe es fressen müssen, bis ich fast erstickte. Er hat sich einen Palast gebaut, ein Riesenhaus mit Glasvorbau und einem Park. Er konnte da Feste feiern, Leute einladen, den Gentleman spielen. Und ich war der arme Hund, der tun musste, was er befahl.«

Der Alte war krebsrot im Gesicht, so sehr erregte ihn die Erinnerung. Seine Hände zittern, und sein grauer Bart zittert vor Wut, die in ihm frisst. Sie hat nun sechsundzwanzig Jahre in ihm gefressen. Und sie hat ihn ausgebrannt.

»Well«, sagt Ward Greenfield ruhig. »Ich kenne die Geschichte gut genug, um Bescheid zu wissen. Du kamst eine Woche nach ihm hierher. Und er hatte eine Mannschaft von vierzig Boys im Sattel. Du hattest fünfzehn, und er war der König. Well, nun schickst du deine Leute in die Stadt und lässt sie Krach suchen. Du hast sechs Revolverschützen außer uns beiden. Er hat keinen, denn die Alten zählen nicht mehr. Du willst jetzt deine Rechnung präsentieren. Wie dem auch sei: er ist anders als du, Boss.«

»Anders?«, fragt der Alte zornig. »Anders – besser – freundlicher – glatter und lächelnder. Der gute, alte Onkel von jenseits des Rivers. Ihr seht ihn nur außen. Von innen müsst ihr ihn sehen. Ich habe meine Söhne so erzogen, dass sie ihn hassen. Ich ersticke an seiner Großherrlichkeit noch eines Tages.«

»Das ist deine Sache«, erklärt Salem Greenfield. »Wir werden bezahlt, und du gibst deine Befehle. Das ist alles. Hol dir Sharon Lane, und du bekommst vielleicht keinen Krieg. Allein ein oder zwei Kämpfe Lanes, und Fillmore gibt nach.«

»Das schafft kein Mann«, knurrt der Alte und sieht unter gefurchten Augenbrauen auf sein Land. »Nun gut, ich werde ihn mir ansehen.

Stanner, was stehst du hier herum? Lass den Wagen anspannen! Verdammt, die Jungs haben zehn Männer bei sich. Los, dann spanne ihn selber an, wenn kein anderer da ist. Ich fahre in die Stadt.«

*

In der Stadt sind Lanstons drei Söhne: Manner, der Älteste, Mark, der zweite und Matt, der Jüngste. Die Mutter starb, als Matt geboren wurde.

Der alte Mann hat sie so erzogen, wie er es wollte. Sie lieben Fillmore so wenig wie ihr Vater. Vielleicht ist es bei Matt anders, dem jüngsten und fröhlichsten Sohn. Aber keiner wird jemals etwas anderes tun, als der Alte will. Er bestimmt, und sie folgen ihm aufs Wort. Die drei Söhne sind harte, entschlossene Kämpfer.

Nun sind sie in der Stadt und feiern. Mark, der Zweitgeborene, hat Geburtstag. Am Morgen hat die Mannschaft Whisky bekommen. Und dann sind einige Burschen zur Stadt geritten und feiern dort weiter. Es sind die engsten Freunde Mark Lanstons, alles harte und raue Männer, wie es sich für Mark gehört.

Sie sitzen im Dry-Saloon. Zehn Reiter, die mit den Brüdern geritten sind. Sie haben schon einige Flaschen geleert.

Nur Matt Lanston hält sich etwas zurück. Er trinkt wenig, und er ist anders als seine Brüder. Sie wissen das, aber es stört sie nicht mehr.

»Well, worauf trinken wir?«, fragt Manner Lanston heiser. »Trinken wir auf Matt. He, Matt, nimm dein Glas, Bruder. Wir wollen auf deine Gesundheit trinken.«

»Ich habe genug«, erwidert Matt ruhig und sieht seinen breitgebauten und schwergewichtigen Bruder an. »Manner, es ist genug für mich. Vielen Dank, aber mir reicht es.«

»Will der Kleine Milch?«, fragt Mark Lanston grinsend und torkelt auf seinen Bruder zu. »Du kannst auch Milch haben, Kleiner. Du brauchst es nur zu sagen.«

»Lass ihn in Ruhe, Bruder«, sagt der finstere Manner heiser. »Wenn er nicht will, dann will er nicht mehr. Lass ihn zufrieden, den Kleinen.«

»Schon gut«, erwidert Mark Lanston mürrisch und bleibt stehen. »Er ist nun mal ein Spielverderber. Dann trinken wir auf diesen Hundesohn Clint Fillmore, Brüder. Er soll auf dem Bauch vor uns kriechen und uns die Stiefel lecken.«

»Das ist richtig!«, schreit Manner Lanston. »Partner, darauf, dass er uns die Stiefel blank lecken wird!«

Hinter dem Tresen steht James Webster und zieht einen Augenblick seine Augenbrauen zusammen. Sein Gesicht wird jedoch sogleich wieder glatt und höflich. Dieser Saloon sah sonst nur Reiter Big Clint Fillmores. Nun ist es anders. Der Saloon ist dreimal in Trümmer geflogen, und in den Trümmern lagen stets Big Fillmores Männer. Seit dieser Zeit regiert die Mannschaft Timber Lanstons hier, und niemand will mit ihnen mehr als nur einige flüchtige Worte wechseln.

James Webster ist ein Mann aus der alten Zeit. Er kennt den Streit zwischen Big Fillmore und Timber Lanston, und er war neutral. Er will es auch bleiben, denn er weiß genau, wie es ausgehen wird.

»Eine Runde für alles, was in diesem Lokal Beine hat!«, brüllt der finstere Manner Lanston, dessen Haar so dunkel ist wie seine Gesichtsfarbe. »Eine Runde, Freunde! Mark hat Geburtstag, das muss gefeiert werden!«

*

Webster schenkt schweigend die Gläser voll und sieht besorgt auf Manner Lanston, der vorwärtstaumelt und sich dann bückt.

Er zieht Websters Hund an den Ohren unter dem großen Ecktisch am Tresen hervor. Der Hund jault etwas, beginnt aber gierig zu saufen, als Manner Lanston ihm ein volles Bierglas hinhält.

»Keinen Whisky dazwischen«, sagt Webster warnend, als Manner zwei Gläser Whisky in das Bier schüttet. »Er wird betrunken, und dann wird er bissig. Manner, lass das sein.«

»Soll das ein Befehl sein, James?«, fragt Manner und sieht Webster schief an. »Der Hund hat Durst, das siehst du doch. Ich sagte, eine Runde für alles, was Beine hat. Er hat vier Beine, also muss er auch die doppelte Menge trinken. Lass den Hund saufen.«

»Lass den Hund saufen, James«, wiederholt nun auch Mark heiser.

»Das Vieh ist fast verdurstet. Lass ihn saufen.«

»Zum Teufel, ist das mein Hund oder eurer?«, fragt Webster scharf. »Er wird beißen, das sage ich euch. Manner, nimm ihm das Glas weg.«

»Halte deinen Mund, James!«, fährt ihn Manner scharf an. »Wenn er saufen will, dann soll er saufen! Trink, Köter, sauf dich voll! Du hast heute Feiertag! Na los, willst du wohl?«

Er packt den Hund bei den Ohren, als der den Kopf hebt, und drückt kräftig dessen Schnauze nach unten. Der Hund stemmt die Hinterbeine an, macht einen Buckel und dreht sich dann blitzschnell.

Er schnappt zu und beißt Manner in das linke Wadenbein.

Manner stößt ein fürchterliches Gebrüll aus. Dann greift er nach einem Stuhl, hebt ihn hoch und schleudert ihn nach dem davonrasenden Hund, der unter der Tür durchflitzt und schrecklich heult.

Der Stuhl fliegt gegen den linken Flügel der Tür, der krachend zurückschwingt und draußen irgendjemanden trifft. Die Männer sehen nur die Beine eines Mannes, der lang auf den Vorbau fliegt, und hören ihn fluchen.

Manner Lanston zieht sein Hosenbein hoch, betrachtet sich den Schaden und kippt auf die Bissstelle, die kaum zu sehen ist, weil die Hose aus schwerem Cord ist, ein Glas Whisky.

»Ich sage dir, James«, ruft er grimmig, »wenn ich den verfluchten Hund noch einmal sehe, schieße ich ihn tot! Beißt das verdammte Vieh einfach …«

Er schweigt, denn die Tür geht auf, und jemand betritt mit dem zerbrochenen Stuhl den Saloon. Manner, der gerade ein Glas zum Mund führt, trinkt es hastig aus und starrt den Mann an, der durch die Tür kommt.

Der Mann trägt eine Lederschürze, hat ein blaugestreiftes Hemd an und ist klein und sehr dürr.

»Wer kommt denn da?«, fragt Mark grinsend und stößt sich vom Tresen ab. »Ist das nicht der windige Storehalter, der dauernd gesalzene Marmelade verkauft? Sicher, er ist es!«

Er taumelt, denn er ist schon stark betrunken. Staunend sperrt er den Mund auf, und seine Partner grinsen blöde. Auch sie haben genug und können kaum noch geradestehen. Alles starrt auf den kleinen Mann, der wutentbrannt den Stuhl auf den Boden fallen lässt und die magere Brust herausstreckt.

»Jetzt habe ich genug!«, ruft der dürre Palmer. »Vor drei Tagen erst habt ihr euch vor meinen Store gesetzt und niemanden hereingelassen. Vor zwei Wochen kippte mir Mark das Fach mit Pfeffer in den Zucker und sagte, er wäre nichts als ein Versehen gewesen. Und nun schmeißt man mit Stühlen nach mir.«

»Mit Stühlen?«, fragt Manner und kichert albern. »Du lügst ja, du alter Zuckerpanscher. Du bist dem Stuhl in den Weg gelaufen.«

»Ich werde euch zeigen, wer hier lügt!«, ruft Don Palmer scharf. »Ich werde zum Sheriff gehen und mich beschweren!«

Er kommt auf Manner zu und fuchtelt dem mit der Hand vor der Nase herum. Ein kleiner Mann, der keine Angst zu kennen scheint.

Aber man weiß bei den Lanstons niemals, was sie gerade tun werden. So sieht er auch nicht den schnellen Blick, den Manner mit seinen Brüdern wechselt.

Manner kichert und stößt ihn gegen die Brust.

Der kleine Palmer fliegt zur Seite und Mark in die Arme, der ihn entrüstet von sich stößt. Palmer saust quer durch den Raum auf eine Gruppe der Lanston-Reiter zu und wird von denen festgehalten.

Manner Lanston sagt grinsend: »Ich erinnere mich, dass ich ein Fass Marmelade mitbringen soll. Es stimmt doch, Bruder Mark, wie?«

»Ganz sicher«, erwidert Mark, genauso schief grinsend. »Wir sollten Marmelade mitbringen. Schreib auf, was wir getrunken haben, James. Old Timber bezahlt den Spaß. Wir reiten jetzt nach Hause, aber vorher müssen wir noch die Marmelade holen, oder war es Sirup?«

»Sirup«, sagt Matt Lanston. »Ich weiß es ganz genau, es war Sirup. Ein ganzes Fass voll Sirup. Und er muss es uns jetzt gleich verkaufen.«

»Ich verkaufe euch nichts!«, brüllt Palmer heulend los. »Ihr kommt in meinen Store nicht hinein. Zum Sheriff gehe ich und werde mich beschweren. Ich bin doch kein Ball, mit dem ihr herumwerfen könnt. Verdammt, lasst mich los!«