Der Kampf der Juden gegen Rom
Aus dem Englischen übersetzt
von Thomas Bertram
Die englische Originalausgabe ist 2019 bei Princeton University Press
(41 William Street, Princeton, NJ 08540, USA und 6 Oxford Street,
Woodstock, Oxfordshire OX20 1TR, England) unter dem Titel Masada.
From Jewish Revolt to Modern Myth erschienen.
© 2019 by Princeton University Press
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wbg THEISS ist ein Imprint der wbg.
© der deutschen Ausgabe 2020 by wbg
(Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.
Lektorat: Melanie Kattanek, Hemmingen
Gestaltung und Satz: Anja Harms, Oberursel
Einbandgestaltung: Harald Braun, Helmstedt
Einbandmotiv: Luftbild von Masada mit der
Belagerungsrampe der Römer;
© Duby Tal/Albatross/Alamy Stock Photo
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-8062-4077-1
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): ISBN 978-3-8062-4078-8
eBook (epub): ISBN 978-3-8062-4079-5
Meinen Eltern in Liebe gewidmet
Prolog
Der Fall Masadas
Kapitel 1
Die Belagerung Masadas
Kapitel 2
Die Suche nach Masada
Kapitel 3
Die Umgebung Masadas
Kapitel 4
Masada und weitere Bauprojekte des Herodes
Kapitel 5
Judäa vor Herodes
Kapitel 6
Von Herodes bis zum Jüdischen Krieg
Kapitel 7
Der Jüdische Krieg gegen Rom
Kapitel 8
Die Besetzung Masadas durch die Aufständischen
Kapitel 9
„Masada darf nie wieder fallen“ – Yadin, der Massenselbstmord und der Mythos Masada
Epilog
Masada – ein Rundgang
Anhang
Dank
Anmerkungen
Bibliografie
Bildnachweis
Register
Karte 1: Das Hasmonäerreich
Karte 2: Das Reich Herodes’ des Großen
Vor knapp 2000 Jahren beschlossen 967 jüdische Männer, Frauen und Kinder, so heißt es, sich lieber das Leben zu nehmen, als von der römischen Armee versklavt oder umgebracht zu werden. Sie waren die letzten Aufständischen, die im sogenannten Jüdischen Krieg gegen die Römer gekämpft hatten, einem Krieg, der bereits drei Jahre zuvor, im Jahr 70 n. Chr., offiziell zu Ende gegangen war, nachdem die Römer Jerusalem und den Zweiten Tempel (den Herodianischen) zerstört hatten – für die Juden eine unvorstellbare Katastrophe. Während des Krieges waren diese Familien nach Masada geflüchtet, eine abgelegene Festung auf einem Berg mit Blick auf das Tote Meer. Jetzt wurden sie dort von einer gewaltigen römischen Streitmacht belagert, und es war klar, dass die Festung bald fallen würde. In diesem kritischen Moment versammelte der Anführer der Rebellen, Eleasar ben Ja’ir, die Männer und überzeugte sie davon, dass ein Massenselbstmord die beste Lösung sei. Der antike jüdische Historiker Flavius Josephus, der zur Zeit des Jüdischen Krieges lebte, gibt ben Ja’irs Rede an die versammelten Aufständischen wie folgt wieder:
Vor Zeiten haben wir uns dafür entschieden, wackere Männer, dass wir weder den Römern noch irgend jemand anderem dienen außer Gott; denn dieser allein ist der wahre und gerechte Herr über die Menschen. Jetzt aber ist die Stunde gekommen, die uns befiehlt, diese Gesinnung in Taten zu erweisen. Angesichts dieser Stunde sollten wir uns selbst nicht Schande bereiten. Vormals wollten wir uns nicht einmal unter eine Knechtschaft beugen, die ohne jede Lebensgefahr war. Nun aber sollten wir freiwillig eine Knechtschaft hinnehmen, die von unerbittlicher Rache sein wird, sobald wir lebend in die Gewalt der Römer geraten? Denn so wie wir als Erste von allen uns gegen sie aufgelehnt haben, so kämpfen wir auch als Letzte gegen sie. Ich glaube aber auch, dass uns von Gott diese Gunst geschenkt wurde, eines schönen und freien Todes sterben zu dürfen. Ist doch anderen, die wider Erwarten überwältigt wurden, solches nicht gewährt. Wir haben die für morgen bevorstehende Einnahme der Festung offen vor Augen; frei aber bleibt uns die Wahl eines edlen Todes gemeinsam mit unseren liebsten Menschen. Denn so wenig die Feinde diesen verhindern können, wenngleich sie auch inbrünstig wünschen, uns lebend in die Hände zu bekommen, so wenig können wir jene noch im Kampf besiegen. [...] Denn nicht einmal die Unzerstörbarkeit der Festung hatte zur Rettung beigetragen; ebenso wenig konnte es uns nützen, dass wir einen Überfluss an Nahrungsmitteln, eine Menge von Waffen und die übrige reichlich vorhandene Zurüstung besaßen. Ganz deutlich wurden wir von Gott selbst aller Hoffnungen auf Rettung beraubt. Wandte sich doch das Feuer, das zunächst zu den Feinden getragen wurde, nicht von selbst gegen die von uns errichtete Mauer. Vielmehr ist der Grund Gottes Zorn über alle Untaten, die wir in unserer Raserei sogar gegen die eigenen Stammesgenossen wagten. Die Strafen dafür wollen wir nicht von unseren erbittertsten Feinden, den Römern, erleiden, sondern von Gott, und zwar durch unsere eigene Hand. Sie werden aber erträglicher sein als die der Römer. Denn die Frauen sollen ungeschändet sterben, und die Kinder, ohne die Knechtschaft kennengelernt zu haben. Und nach ihnen wollen wir selbst uns den edlen Dienst erweisen, wobei wir die Freiheit als schönstes Sterbekleid bewahren werden. Doch lasst uns vorher die Schätze und die Festung mit Feuer zerstören, denn ich weiß sicher, dass sich die Römer ärgern werden, wenn sie neben der Tatsache, uns nicht lebend überwältigt zu haben, auch noch um die Beute kommen. Einzig die Lebensmittel wollen wir unversehrt lassen; denn sie sollen uns nach unserem Tod Zeuge dafür sein, dass wir nicht durch Hunger bezwungen wurden, sondern weil wir – so, wie es von Anfang an beschlossen war – den Tod der Knechtschaft vorziehen wollten. (Jüdischer Krieg 7, 323–327, 331–336)1
Luftbild von Masada mit Blick gen Norden
Die Männer ließen sich überzeugen, alle töteten ihre Frauen und Kinder. Dann versammelten sie sich wieder und zogen Lose, um zehn Männer auszuwählen, die alle anderen töten sollten. Die zehn verbleibenden zogen dann wieder Lose, und einer tötete die anderen neun Männer, bevor er sich selbst das Leben nahm. Flavius Josephus schreibt:
So sehr verließen sie sich alle aufeinander, dass sich weder im Handeln noch im Erleiden der eine vom anderen unterscheide, und so hielten sie am Ende die Kehlen bereit. Der einsame Letzte aber überschaute ringsum die Menge der Dahingestreckten, ob womöglich jemand bei dem unendlichen Morden am Leben geblieben war und deshalb noch seiner Hand bedürfe. Als er erkannte, dass alle getötet seien, legte er an vielen Stellen Feuer in den Palast. Dann stieß er mit geballter Kraft das Schwert ganz durch seinen Körper und brach neben den Seinen zusammen. (Jüdischer Krieg 7, 397)
Was für eine Geschichte! Aber wie konnte es so weit kommen, und woher wissen wir überhaupt davon?
Heute zieht die UNESCO-Weltkulturerbestätte Masada mehr Touristen an als jede andere archäologische Stätte in Israel, ausgenommen vielleicht Caesarea Maritima, das – an der Küste in der Nähe von Tel Aviv gelegen – besser zu erreichen ist. Die meisten Besucher nehmen aus Jerusalem kommend die Schnellstraße, die am Westufer des Toten Meeres entlang an die Ostseite des Berges führt. Andere reisen von Westen über die Stadt Arad an. In den Sommermonaten erklimmen noch vor Sonnenaufgang Tausende ausländische Jugendliche über den sogenannten Schlangenpfad im Gänsemarsch den Berg. Am Vormittag kommen dann Scharen von Touristen, die allerdings in der Regel die Seilbahn nehmen. All diese Besucher haben ein Ziel: Sie wollen genau dort stehen, wo eine kleine Gruppe jüdischer Aufständischer einst dem mächtigen Römischen Reich die Stirn bot.
Flavius Josephus beschreibt den Massenselbstmord in Masada so eindrucksvoll, dass die Losung „Masada darf nie wieder fallen“ nach 1948 zu einer Art Motto des neu gegründeten Staates Israel wurde. Das Exempel von Juden, die heldenhaften Widerstand bis zum Tod leisteten, statt sich demütig ihren Schlächtern auszuliefern, übte wenige Jahre nach dem Holocaust, zu einer Zeit, als die Israelis sich auf allen Seiten von Feinden umgeben sahen, eine große Anziehungskraft aus. Viele Jahre lang hielten die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte ihre feierliche Vereidigung auf dem Plateau von Masada ab.
Doch die Zeiten haben sich geändert, und so blickt man heute ein wenig anders auf Masada. Zum einen müssen sich alle, die den damaligen Massenselbstmord zum Symbol des modernen Israel stilisieren, damit auseinandersetzen, dass Selbstmord nach jüdischem Glauben verboten ist (auch wenn nach Flavius Josephus’ Bericht strenggenommen nur der letzte Überlebende durch eigene Hand starb). Vor allem aber sehen in der heutigen nachzionistischen Zeit viele Israelis das, was damals in Masada geschah, nicht mehr als Heldentat an. Und auch die Wissenschaft geht inzwischen kritischer mit Masada um. Wir werden beispielsweise sehen, dass viele Forscher heute der Ansicht sind, Flavius Josephus’ Schilderung des Massenselbstmords (der einzige antike Bericht über dieses Ereignis) sei frei erfunden – in Wirklichkeit habe er nie stattgefunden.
In diesem Buch geht es um die Geschichte Masadas. Auf der Folie dieser Geschichte erkunden wir die Geschichte Judäas gegen Ende der Zeit des Zweiten Tempels (Mitte des 2. Jh.s v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.). Es ist der Zeitraum, den in etwa auch Flavius Josephus’ Werk Der Jüdische Krieg abdeckt. Diese turbulente Epoche umfasst die Regierungszeit von Herodes dem Großen sowie das Leben und den Tod Jesu, und sie endet mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels. Die Geschichte Masadas stößt uns auf die damals wichtigsten jüdischen Sekten: Pharisäer, Sadduzäer und Essener. Möglicherweise schlossen sich einige Essener (sie waren es auch, die die berühmten Schriftrollen in den Höhlen bei Qumran am Toten Meer deponierten) den jüdischen Aufständischen in Masada an.
Ausgehend von der zur Festung ausgebauten Palastanlage von Herodes in Masada lernen wir Herodes’ weitere bedeutende Bauprojekte, wie Caesarea Maritima und den Tempel in Jerusalem, kennen. Für die Geschichte dieser Epoche sind wir hauptsächlich auf Flavius Josephus angewiesen, eine umstrittene Figur – in der jüdischen Überlieferung gilt er als Verräter. Wir werden uns aber auch der modernen Geschichte Masadas widmen sowie insbesondere den Ausgrabungen unter Yigael Yadin; er diente als Generalstabschef in der israelischen Armee und avancierte später zum wohl berühmtesten Archäologen Israels. Seine Grabungskampagnen waren mit ein Grund, weshalb sich Masadas Status als Symbol des modernen Staates Israel festigte.
Im Jahr 72 oder 73 n. Chr. mussten 967 jüdische Flüchtlinge, die auf dem Plateau von Masada ausharrten, hilflos mit ansehen, wie Tausende römische Soldaten den Fuß des Berges umzingelten sie von jedem Kontakt zur Außenwelt abschnitten. Unsere Geschichte Masadas beginnt mit diesem kritischen Moment: der Belagerung der Festung, drei Jahre nach dem Fall Jerusalems. In diesem Kapitel werfen wir einen genaueren Blick auf die römischen Belagerungswerke, und wir lernen Flavius Josephus kennen, den einzigen antiken Autor, der die Belagerung von Masada schildert.
Als im Jahr 66 der Jüdische Krieg ausbrach, übernahmen Gruppen jüdischer Aufständischer einige der befestigten Palastanlagen Herodes’ des Großen, die seit dem Tod dieses Königs 70 Jahre zuvor von Garnisonen besetzt und unterhalten worden waren. Drei waren nach dem offiziellen Ende des Krieges im Jahr 70 noch in jüdischer Hand: Herodium (bei Bethlehem), Machaerus (östlich des Toten Meeres) und Masada. Der römische Statthalter (legatus Augusti pro praetore) in der kurz zuvor eingerichteten Provinz Judäa, Sextus Lucilius Bassus, machte sich daran, diese letzten Widerstandsnester zu bezwingen. Die wenigen Informationen bei Flavius Josephus sowie archäologische Zeugnisse deuten darauf hin, dass Herodium rasch erobert wurde. Die Aufständischen in Machaerus kapitulierten, bevor die Römer ihren Angriff starteten, wenngleich Flavius Josephus über Scharmützel zwischen den beiden Seiten berichtet. Die römische Umwallung oder Belagerungsmauer sowie zehn oder elf Kastelle rings um den Sockel der Anhöhe von Machaerus sind heute noch zu sehen, ebenso eine gewaltige steinerne Belagerungsrampe, die allerdings nie fertiggestellt wurde.1
Im Jahr 72 oder 73 trafen die römischen Truppen am Fuß der Anhöhe von Masada ein. Es war die letzte Festung, die von den jüdischen Aufständischen gehalten wurde. Bassus war mittlerweile gestorben und als Legat durch Lucius Flavius Silva Nonius Bassus ersetzt worden:
Inzwischen war Bassus in Judäa gestorben und Flavius Silva hatte die Befehlsgewalt übernommen. Als er sah, dass das ganze Land durch den Krieg unterworfen worden war und nur eine einzige Festung noch im Abfall beharrte, sammelte er die an den verschiedenen Plätzen gelegene Streitmacht und zog gegen diese Festung. Ihr Name war Masada. (Jüdischer Krieg 7, 252)
Silva stammte aus Urbs Salvia in Italien (Urbisaglia nahe Ancona); dort wurden zwei Inschriften gefunden, denen zufolge Silva im Jahr 81 oder später, nachdem er seine Amtszeit als Legat in Judäa beendet hatte, dort ein Amphitheater errichten ließ.2
Der römische Feldzug nach Masada fand im Winter und Frühjahr 72/73 oder 73/74 statt.3 Viele heutige Besucher Masadas glauben, die Festung habe sich nach dem Jahr 70 noch drei Jahre gegen die Römer gehalten, aber tatsächlich dauerte die Belagerung nicht länger als sechs Monate, höchstwahrscheinlich sogar noch sehr viel kürzer – von Anfang bis Ende vielleicht gerade einmal sieben Wochen.4
Die Effektivität der römischen Armee verdankte sich dem Umstand, dass sie sich aus bestens ausgebildeten Berufssoldaten rekrutierte – größtenteils Legionäre und Auxiliarsoldaten (Hilfstruppen), die sich auf Lebenszeit verpflichteten.5 Die Legionäre waren römische Bürger und dienten vornehmlich als schwere Infanterie. Zur Zeit der Belagerung von Masada gab es in der römischen Armee ungefähr 30 Legionen, die aus jeweils etwa 5000 Soldaten bestanden.6 Die Auxiliarsoldaten wurden unter nichtrömischen Bürgern eingezogen; am Ende ihrer Dienstzeit wurde ihnen das römische Bürgerrecht gewährt. Die Hilfstruppen operierten gewöhnlich als leichte Infanterie und Reiterei sowie als Bogenschützen. Mit ihrer größeren Beweglichkeit schützten sie im Gefecht die Flanken der schweren Infanterie. Die Einheiten der Hilfstruppen waren in Regimenter gegliedert, die jeweils 500 oder 1000 Soldaten zählten.
An der Belagerung von Masada waren etwa 8000 römische Soldaten beteiligt: neben der 10. Legion (Legio X Fretensis) eine Reihe von Hilfskohorten.7 Die nun unter Silvas Kommando stehende 10. Legion hatte zuvor an den Belagerungen bei Gamla (auf den Golanhöhen), Jerusalem und Machaerus teilgenommen. Nach dem Fall Masadas war die 10. Legion in Jerusalem stationiert, bis Kaiser Diokletian sie um 300 nach Aila (das heutige Akaba) am Roten Meer verlegte. Diener und Sklaven (darunter auch Juden), Packtiere und Händler lagerten gemeinsam mit den römischen Truppen vor Masada.
Als die Römer vor Masada eingetroffen waren, errichteten sie eine etwa drei Meter hohe und schätzungsweise 4500 Meter lange Steinmauer rund um den Fuß des Berges. Diese Umwallung riegelte die Festung ab und machte einen Ausbruch der Belagerten unmöglich. Zugleich hinderte sie andere daran, zu den Eingeschlossenen vorzustoßen. Gwyn Davies sieht im Bau der Belagerungswerke eine „eindeutige symbolische Botschaft“ sowohl gegenüber den Aufständischen, die in Masada ausharrten, als auch gegenüber anderen Völkern unter römischer Herrschaft.8 Auf Türmen entlang der Mauer wurden Wachen postiert, die sicherstellen sollten, dass niemand die Mauer erklomm. Zusätzlich zu der Umwallung errichteten die Römer für ihre Truppen acht Kastelle, die Archäologen mit den Buchstaben A bis H (siehe Lageplan auf S. 22) bezeichnet haben. Diese Kastelle liegen rings um den Berg und bewachen potenzielle Fluchtrouten. Flavius Josephus’ Beschreibung der Umwallung und der Kastelle passt recht genau zu den archäologischen Überresten.
Gegen Eleasar also und die Sikarier, die gemeinsam mit ihm Masada besetzt hielten, zog der römische Feldherr mit seiner Streitmacht. Rasch hatte er das gesamte Land in seiner Gewalt; in die am günstigsten gelegenen Orte legte er Besatzungen. Die ganze Festung hingegen umgab er mit einer Ringmauer, damit es niemandem unter den Belagerten so leicht wäre, zu entfliehen; dazu teilte er Männer zur Bewachung ein. (Jüdischer Krieg 7, 275)
Die Reihe der Kastelle beginnt mit Kastell A am unteren Ende des Schlangenpfades und setzt sich gegen den Uhrzeigersinn fort: Die Kastelle A bis C befinden sich auf der östlichen Seite des Berges; D liegt an der nördlichen Schmalseite; auf der nordwestlichen Seite folgen E und F; G liegt im Südwesten, und H hoch oben auf dem Berg Eleasar, südlich von Masada. Die Kastelle sind durch die Wallmauer miteinander verbunden sowie durch einen Weg, den sogenannten Läuferpfad, auf dem man noch heute wandern kann. In einer Zeit vor Feldtelefonen und Walkie-Talkies diente ein solcher Weg als Kommunikationslinie: Läufer überbrachten Silvas Befehle von Kastell zu Kastell.
Der Aufbau der Kastelle bei Masada folgt dem effizienten Standard in der römischen Armee. Alle haben einen quadratischen oder mehr oder weniger quadratischen Grundriss, und die Seiten sind nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet. In der Mitte jeder Seitenmauer befindet sich ein Tor, und an diesen Toren starteten bzw. endeten die zwei Hauptstraßen: Die eine verlief in Nord-Süd-Richtung, die andere in Ost-West-Richtung, und sie kreuzten sich in der Mitte des Kastells. Innerhalb jedes Kastells waren die Einheiten um diese Straßen herum angelegt, wobei die wichtigsten Einheiten (wie etwa das Quartier des Befehlshabers und das Stabsgebäude) in der Mitte lagen und andere weiter entfernt. Kastell B im Osten und Kastell F im Nordwesten sind deutlich größer als die anderen Kastelle, da in ihnen die Legionstruppen untergebracht waren, während die anderen Kastelle für die Auxiliarsoldaten vorgesehen waren.9 Kastell B war zugleich ein Verteilungspunkt für den Nachschub, der mit Booten aus Gebieten rund um das Tote Meer herangeschafft wurde. Die Ladungen wurden an einem Steg am Ufer östlich von Masada gelöscht. Kastell F lag so, dass Silva von ihm aus den Bau der Belagerungsrampe beaufsichtigen konnte:
Die römischen Belagerungswerke in Masada
Er selbst wählte einen zur Belagerung möglichst geeigneten Platz aus und schlug ein Lager auf. Es war die Stelle, wo die Felsen der Festung dicht an den nahe gelegenen Berg reichten. Allerdings lag dieser Platz für die Beschaffung eines reichlichen Vorrats an Lebensmitteln ungünstig. (Jüdischer Krieg 7, 277)
Ein quadratischer ummauerter Bereich in der Südwestecke von Kastell F, den man auch als F2 bezeichnet, datiert aus der Zeit nach dem Fall Masadas. Dieses Kastell F2 beherbergte nach dem Ende der Belagerung eine kleine Garnison, die noch für kurze Zeit vor Ort blieb, bis sichergestellt war, dass das gesamte Gebiet vollständig unterworfen war.
Obwohl Yigael Yadin Experte für antike Kriegführung war und selbst als Generalstabschef der israelischen Streitkräfte gedient hatte, konzentrierte er sich bei seinen Ausgrabungen auf die Überreste auf dem Gipfel des Tafelberges von Masada und ließ die römischen Belagerungswerke beinahe gänzlich außen vor. Bis ich im Sommer 1995 zusammen mit drei israelischen Kollegen – Professor Gideon Foerster von der Hebräischen Universität Jerusalem, Professor Haim Goldfus (heute an der Ben-Gurion-Universität des Negev) und Benny Arubas (ebenfalls von der Hebräischen Universität) – Ausgrabungen in den Belagerungswerken leitete, waren diese praktisch unberührt. Wir konzentrierten uns zunächst auf Kastell F, weil es das besser erhaltene der beiden Legionskastelle ist (siehe Abb. unten). Unsere Ausgrabungen erbrachten wertvolle Informationen über römische Belagerungstechniken im Allgemeinen und den Fall Masadas im Speziellen.10
Die Überreste bei Masada sind das wohl besterhaltene Beispiel für Belagerungswerke in der gesamten römischen Welt. Für den guten Erhaltungszustand gibt es zwei Gründe: Erstens sind sie aus Stein gebaut, während in anderen Teilen der römischen Welt Belagerungswerke oft aus vergänglichen Materialien, wie etwa Holz und Grassoden, bestanden; und zweitens wurden die Belagerungswerke bei Masada aufgrund ihrer abgeschiedenen Lage in der Wüste niemals zerstört oder überbaut.11 An den Steinhaufen, die man vom Plateau des Berges aus sehen kann, sind die Umwallung und die Kastelle noch heute deutlich zu erkennen. Von außen betrachtet, wirken die Kastellüberreste öde und wenig ergiebig, aber im Kastellinneren fanden wir viel zerbrochene Keramik und weitere Gegenstände.
Kastell F von Osten her
Bemalter Amphoriskos aus dem Praetorium in Kastell F
Die Umwallung und die Mauern der Kastelle wurden ohne Lehm oder Mörtel als Bindemittel aus trockenen Feldsteinen errichtet, das heißt aus unbehauenen Steinen, die man dem felsigen Untergrund abgewann. Die Außenmauern jedes Kastells waren ursprünglich etwa drei Meter hoch, die der Einheiten im Inneren nur etwa einen Meter. Bei Letzteren handelte es sich nicht um Gebäudemauern, sondern eher um Sockel oder Fundamente für Lederzelte, wie sie die römische Armee bei ihren Feldzügen im Gelände aufschlug. Im Inneren von Kastell F haben wir mehrere Einheiten freigelegt: Sie bestehen jeweils aus einem oder mehreren „Räumen“, deren Innenwände meist eine niedrige Bank aus Erde und Steinen säumt. Diese Bänke dienten sowohl als Schlafstellen wie auch als Speisesofas.
Das Praetorium – die Unterkunft des Befehlshabers Silva – befindet sich in der Mitte von Kastell F, an der Kreuzung der beiden Hauptstraßen. Zwar wurden die meisten Steine des Praetoriums zum Zweck einer Wiederverwendung entfernt, als man Kastell F2 baute, aber die Funde belegen, dass wir es hier tatsächlich mit dem Quartier des Befehlshabers zu tun haben: Luxuswaren wie aus Italien importierte Glasgefäße und eierschalendünne, bemalte nabatäische Tonschalen. Zu meinen persönlichen Lieblingsfunden gehört ein mit Efeublättern bemaltes Tischgefäß mit stumpfem Fuß, ein sogenannter Amphoriskos (siehe Abb. auf S. 25). Mir gefällt die Vorstellung, dass Silvas Diener ihm daraus Wein einschenkte.
Neben dem Praetorium befindet sich eine steinerne Plattform, das Tribunal – ein erhöhtes Podium, von dem aus Silva seine Truppen, die auf dem offenen Platz davor zum Appell antraten, inspizieren und zu ihnen sprechen konnte. In der Nähe liegt eine rechteckige, π-förmige Struktur, die mit ihrer schmalen offenen Seite nach Masada hin ausgerichtet ist. Dieser Bau wurde bis auf das Fundament abgerissen, als darüber die Mauer des Kastells F2 errichtet wurde. Nach Anlage und Standort könnte es sich um das Triclinium gehandelt haben, also den Speiseraum der römischen Offiziere. Als „Kline“ (altgriechisch κλίνη) bezeichnen Archäologen eine Liege. Ein Triclinium war ein Speisesaal, in dem an drei Seiten Klinen aufgestellt waren. Wenn die Offiziere hier speisten, blickten sie hinaus auf den Berg von Masada.
Unmittelbar innerhalb der Mauer von Kastell F2 und teils von ihr verdeckt liegt die Principia – das Stabsgebäude. Hier waren zwar kaum Funde zu verzeichnen, aber es handelt sich um die einzige von uns ausgegrabene Einheit, deren Wände innen verputzt und deren Böden gepflastert waren.
In der Nähe und ebenfalls innerhalb der Mauern von F2 haben wir eine Reihe identischer Ein-Raum-Einheiten ausgegraben, sogenannte Contubernia (siehe Abb. oben). Ein contubernium („Zeltgemeinschaft“) war die kleinste Unterabteilung einer Legion. Sie bestand aus acht Mann, die während eines Feldzugs gemeinsam marschierten und lagerten. Jede dieser Ein-Raum-Einheiten beherbergte also eine Gruppe von acht Männern. Das Innere eines solchen Raums säumte eine Bank aus Steinen und Erde, auf der die Soldaten schliefen und aßen. Diese Räume sind klein, weil die Männer gewissermaßen Schichtarbeit leisteten; man kann sie mit dem „Wohnbereich“ in einem heutigen U-Boot vergleichen. Vor jedem solchen Raum befindet sich ein kleiner, offener, von einer Mauer umgebener Vorbau oder Vorplatz mit einem kleinen Herd in der Ecke, auf dem die Männer ihr Essen zubereiteten. Ein römischer Soldat hatte in seinem Marschgepäck Kochgeschirr, das er auf dem Feldzug benutzte. Schön zu sehen ist dies an der Trajanssäule in Rom: Reliefs zeigen Soldaten, wie sie mit ihrem Kochgeschirr losziehen, das an einer über die Schulter geworfenen Stange baumelt (siehe Abb. auf S. 28).
Contubernium in Kastell F; das Buch (etwa in der Bildmitte) soll eine Einschätzung der Größenordnung ermöglichen.
Die Böden der Einheiten, die wir in Kastell F freigelegt haben, waren bedeckt mit Schichten von Keramikscherben, die größtenteils von Vorratsgefäßen stammten. Dass sich kaum Kochtöpfe und Speisegeschirr, wie etwa Schüsseln, Schalen und Becher, fanden, liegt augenscheinlich daran, dass die Mannschaften ihr eigenes Kochgeschirr benutzten; Silva und seine Offiziere hatten feines Tafelgeschirr aus Ton und Glas. Mit ihrer bauchigen, beutelartigen Form waren die Vorratsgefäße typisch für Judäa im 1. Jahrhundert n. Chr.; wahrscheinlich wurden sie von jüdischen Töpfern für die römische Armee gefertigt.
Römische Soldaten mit ihrem Marschgepäck: Relief auf der Trajanssäule (Abguss im Victoria and Albert Museum, London)
Aufgrund der Lebensmittel- und Wasserknappheit in der unmittelbaren Umgebung war die Belagerung von Masada eine logistische Herausforderung. Tagtäglich mussten ausreichend Vorräte herangeschafft werden, um ungefähr 8000 Soldaten samt Lasttieren, Dienern und Sklaven zu versorgen. Lebensmittel und Wasser wurden von weit her über Land auf Lasttieren befördert oder auf Booten transportiert, die Orte rund um das Tote Meer anfuhren.12 Flavius Josephus beschreibt die Versorgung der Truppen bei Masada:
Denn nicht allein musste der Speisevorrat von fern und unter großen Schwierigkeiten durch die dazu beorderten Juden herbeigeschafft werden, auch das Trinkwasser musste eigens ins Lager gebracht werden, da der Platz selbst keine nahe Quelle heraustreten ließ. (Jüdischer Krieg 7, 278)
Flavius Josephus zufolge waren es jüdische Sklaven, die Lebensmittel und Wasser schleppten. Die Vorräte wurden in Körben und Tierhäuten transportiert, die einfacher zu tragen sind als Tongefäße und zudem nicht so leicht kaputt gehen. Bei der Ankunft vor Masada wurde der Inhalt aus diesen Behältnissen zur Lagerung in Tongefäße umgefüllt. Und nach dem Ende der Belagerung wurden diese Vorratsgefäße dann ausgeleert und zurückgelassen.
Wie nicht anders zu erwarten, haben wir bei unseren Ausgrabungen in Kastell F nur wenige Überreste militärischer Ausrüstungsgegenstände gefunden, denn die Soldaten nahmen ihre Waffen mit, als die Belagerung beendet war. Doch in und um die Zelteinheiten lagen Haufen großer, eiförmiger Kieselsteine, die in den umliegenden Wadis (trockenen Flussbetten bzw. Trockentälern) gesammelt worden waren. Solche Kiesel wurden als Geschosse für Schleudern verwendet – und dann zurückgelassen, weil sie ansonsten wertlos waren.
Auf dem Plateau von Masada dagegen wurde bei Yadins Ausgrabungen eine große Menge unterschiedlicher militärischer Ausrüstungsgegenstände gefunden.13 Darunter waren Hunderte eiserner Pfeilspitzen, die fast ausnahmslos dem in der Römischen Kaiserzeit üblichen Typ entsprechen: eine dreiflügelige Pfeilspitze mit Widerhaken, damit der Pfeil im Fleisch stecken blieb, und einem langen Dorn, wie er in einen Schaft aus Holz oder Schilfrohr gesteckt wurde (siehe Abb. auf S. 30 links). Die Pfeile wurden von Bogenschützen in Salven abgeschossen. Drei gebogene Hornleisten aus Yadins Ausgrabungen gehörten zu den verstärkten Enden von Kompositbögen.14 Yadin hat zudem Hunderte kleiner, überwiegend schmaler und länglicher Bronzeschuppen ausgegraben, jede mit vier Löchern oben und einem erhabenen Grat, der mitten hindurch verläuft (siehe Abb. auf S. 30 rechts). Solche Schuppen waren so auf ein Futter aus Stoff oder Leder genäht, dass sie sich überlappten. Im ersten nachchristlichen Jahrhundert wurde der Schuppenpanzer normalerweise von Auxiliarsoldaten getragen. Viele der Schuppen waren rot, gold- und möglicherweise silberfarben und gehörten anscheinend zu einer Paraderüstung.
Legionssoldaten trugen einen Schienenpanzer (Lorica Segmentata), der aus sich überlappenden Eisenstreifen bestand; ein paar Fragmente solcher Streifen traten ebenfalls bei Yadins Ausgrabungen zutage. Der Panzer bedeckte nur den Oberkörper und wurde über einer kurzen Tunika getragen, die unmittelbar über dem Knie endete. Auf dem Kopf trugen Legionäre einen Bronzehelm mit an den Seiten befestigten großen Wangenstücken; ein solches Wangenstück haben wir in Kastell F gefunden. Das typische Schuhwerk, wie es von römischen Soldaten getragen wurde, bestand aus schweren, genagelten Ledersandalen, den sogenannten Caligae. Dank des trockenen Wüstenklimas haben sich bei Masada einige Exemplare erhalten. Der römische Kaiser Gaius Caesar Augustus Germanicus wurde mit Spitznamen Caligula gerufen – „kleine Stiefel“ bzw. „Stiefelchen“ –, nach den genagelten Sandalen, wie sie die Soldaten trugen, mit denen er sich als Kind angefreundet hatte. Die untere Körperpartie eines Legionärs blieb zugunsten einer größeren Bewegungsfreiheit ungepanzert – und damit ungeschützt.
Eiserne Pfeilspitze aus Yadins Ausgrabungen in Masada
Bronzene Panzerschuppen aus Yadins Ausgrabungen in Masada
Ortband aus Yadins Ausgrabungen in Masada
Um die Taille trugen Legionäre einen Ledergürtel, an dem mehrere Gegenstände befestigt waren. Vorne am Gürtel baumelte ein Schurz aus schmalen Lederstreifen mit Bronzebeschlägen zum Schutz der Genitalien (da unter einer Tunika nichts getragen wurde). Ein solcher Schurz verursachte ein rasselndes Geräusch, das im Kampf den Feind in Schrecken versetzen sollte. Eine lederne Scheide, in der ein Dolch (Pugio) steckte, war an der rechten Seite des Gürtels befestigt, und an der linken hing eine Lederscheide mit dem Gladius, dem von Legionären verwendeten zweischneidigen Kurzschwert. Die Spitze der Schwertscheide war mit einem bronzenen Beschlag verstärkt, dem sogenannten Ortband. Yadin hat ein vollständiges Ortband mit feinen ausgestochenen Mustern zutage gefördert – durch die Löcher war einst die dunkle Lederscheide zu sehen (siehe Abb. auf S. 31). Zu diesem Ortband, das einem Legionsoffizier gehört haben dürfte, finden sich Parallelen in Italien, aus der Mitte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. In der linken Hand hielten Legionäre einen großen rechteckigen Schild, um die ungepanzerte untere Körperpartie zu schützen. In der Rechten trugen sie einen langen, dünnen Wurfspeer, das Pilum. Es war die charakteristische Offensivwaffe der Legionäre: Der Soldat stieß mit dem Pilum oder warf es, um den Gegner festzunageln und ihn anschließend im Kampf Mann gegen Mann mit dem Schwert zu töten.
Die Römer gingen die Belagerung Masadas mit ihren üblichen Mitteln an: Sie bauten Kastelle und errichteten eine sogenannte circumvallatio, eine Umwallung. Auf diese Weise konnten sie den Berg abriegeln und von jeglicher Zufuhr abschneiden. Bei manchen Belagerungen waren weitere Maßnahmen gar nicht notwendig, um einen Feind durch Aushungern zur Kapitulation zu zwingen. Doch nicht so im Fall Masada, wo die Belagerten mit großen Mengen Nahrungsmitteln und Wasser versorgt waren, die in Herodes’ Palästen lagerten, während die römischen Streitkräfte ihren Nachschub über große Entfernungen heranschaffen mussten. Daher waren die Römer bei Masada bestrebt, die Belagerung zu einem raschen Ende zu bringen. Zu diesem Zweck mussten sie ihre Truppen und Belagerungsmaschinen die steilen, felsigen Hänge des Berges hinaufschaffen und Herodes’ Befestigungsmauer oben auf dem Plateau überwinden.
Es gab zwei Wege, um auf die Anhöhe zu gelangen: den Schlangenpfad im Osten und einen weiteren (heute unter der römischen Rampe verschütteten) Pfad im Westen (siehe Kapitel 4). Hätten die Soldaten diese Pfade nutzen wollen, wären sie gezwungen gewesen, im Gänsemarsch bergan zu steigen. Und dabei hätten sie nicht nur ihre persönliche Ausrüstung, sondern auch den Rammbock tragen müssen, den sie, oben angekommen, hätten aufrichten müssen, um die herodianische Kasemattenmauer zu durchbrechen. Die ganze Zeit über wären die Soldaten Steinen, Felsbrocken und anderen von den Verteidigern über ihnen geworfenen oder geschleuderten Geschossen schutzlos ausgesetzt gewesen. Also ließ Silva seine Männer aus Erde und Steinen eine Belagerungsrampe aufschütten. Sie sollte von einer niedrigen „weißen Anhöhe“ (Flavius Josephus nennt sie „Leuke“) am Fuß der Westflanke des Berges zum Gipfel ansteigen:
Wie zuvor gesagt, hatte der römische Feldherr alsdann bereits den ganzen Platz von außen her mit einem Wall umgeben und peinlichste Sorgfalt darauf verwandt, dass niemand mehr entfliehen konnte. Jetzt erst begann er mit der eigentlichen Belagerung. Nur eine einzige Stelle fand er, die das Aufwerfen von Erdwällen zuließ. Hinter jenem Turm nämlich, der den Weg versperrte, welcher vom Westen herauf zunächst zum Palast und dann zur Bergspitze führte, war ein Felsenvorsprung, recht breit und auch weit hervorragend. Er lag indes noch 300 Ellen unterhalb der Höhe von Masada und trug den Namen „Leuke“ [der „Weiße“]. Zu diesem Felsen stieg Silva also hinaus, besetzte ihn und befahl dem Heer, Schutterde herbeizuschaffen.
(Jüdischer Krieg 7, 304f.)
Über die fertige Rampe, eine leichte Schräge, konnten die Soldaten dann zu mehreren nebeneinander problemlos bergan steigen. Am höchsten Punkt der Rampe errichteten sie eine steinerne Plattform für den Rammbock:15
Da mit großer Bereitschaft und unter allem Kräfteeinsatz gearbeitet wurde, war der massive Wall bald zu 200 Ellen erhöht. Doch schien selbst dieses Maß weder fest noch tragfähig genug zu sein, um den Belagerungsmaschinen als Plattform zu dienen. Folglich wurde auf den Wall noch eine Schicht von großen, gut zusammengesetzten Steinen gebaut, sowohl 50 Ellen breit wie hoch. (Jüdischer Krieg 7, 306f.)
Während der Belagerungsoperation gaben die Hilfstruppen mit einem Trommelfeuer aus Pfeilen und Ballistasteinen – großen, runden Steinen, die von Torsionsmaschinen abgeschossen wurden – Feuerschutz:
Im Allgemeinen ähnelten die Kriegsmaschinen in ihrer Ausstattung jenen, die zunächst von Vespasian, danach auch von Titus für die Belagerungen ersonnen worden waren. Dazu war ein 60 Ellen hoher Turm errichtet worden und ganz und gar mit Eisen beschlagen. Von diesem Turm aus schossen die Römer mit Katapulten und Steinwerfern; so drängten sie die von der Mauer aus Kämpfenden rasch ab, ja hinderten sie sogar, sich vorzubeugen. (Jüdischer Krieg 7, 308f.)
Rings um den Bereich am oberen Ende der Rampe hat Yadin eiserne Pfeilspitzen und Ballistasteine gefunden, was Flavius Josephus’ Schilderung eines konzentrierten Deckungsfeuers bestätigt.16 Andrew Holley zufolge, der die Ballistasteine publiziert hat, legt ihr relativ geringes Gewicht (fast alle wiegen weniger als vier Kilogramm, die meisten sogar weniger als ein Kilogramm) nahe, dass sie mit kleinkalibrigen Maschinen verschossen wurden. Sie waren also offenbar gegen menschliche Ziele gerichtet und sollten nicht etwa eine Bresche in die Kasemattenmauer schlagen.17 Die meisten Ballistasteine wurden entlang der nordwestlichen Abbruchkante des Tafelberges entdeckt, gegenüber der Belagerungsrampe. In zwei Kasemattenräumen (L1039 und L1045) kamen sogar größere Depots zutage. Gegen Ehud Netzers These, diese Steine hätten zu Maschinen gehört, die von den jüdischen Aufständischen benutzt wurden, hat Holley überzeugend eingewendet, dass die Römer ihre Kastelle E und F niemals in Geschoss-Reichweite errichtet hätten. Vielmehr seien die Ballistasteine in L1039 (der „Schriftrollenkasematte“ – siehe Kapitel 8) und L1045 von den Römern aus dem Turm auf der Belagerungsrampe in die Festung geschleudert und nach dem Ende der Belagerung eingesammelt und in diesen Räumen gestapelt worden.18 In der sogenannten Schriftrollenkasematte wurden zudem Fragmente römischer Schilde gefunden, wie sie sich nur selten erhalten haben. Diese Schilde waren aus drei Schichten Holz gefertigt, die dann mit leimgetränktem Stoff überzogen und mit Leder bespannt wurden. Die Funde wiesen noch Spuren roter Farbe auf.19
Flavius Josephus schildert, wie die Römer mit „Katapulten und Steinwerfern“ schossen, um der Belagerungsoperation Feuerschutz zu geben. Und tatsächlich kamen bei Yadins Ausgrabungen in Masada neben den zahlreichen Ballistasteinen auch eiserne Pfeilspitzen des charakteristischen römischen Typs zutage: dreiflügelig, mit Widerhaken und einem Dorn (der einst in einem Schaft aus Holz oder Schilfrohr steckte). Rätselhafterweise fand sich jedoch keine einzige eindeutig identifizierbare eiserne Geschossspitze (Katapultbolzen). Katapultbolzen sind schwerer als Pfeilspitzen (die von Handbogen abgeschossen wurden) und unterscheiden sich von ihnen insoweit, als sie einen massiven Geschosskopf und einen Sockel statt eines Dorns haben. In Gamla hingegen wurden zahlreiche eiserne Geschossspitzen in Fundkontexten gefunden, die mit der römischen Belagerung des Jahres 67 in Verbindung zu bringen sind, bei der die Römer Flavius Josephus zufolge Katapulte einsetzten (siehe Kapitel 7).
Ballistasteine aus Masada
Angesichts dieses Fehlens eiserner Geschossspitzen in Masada haben Guy Stiebel und ich ursprünglich die These zur Diskussion gestellt, dass der Winkel von der Rampe zur Befestigungsmauer womöglich zu steil war, als dass man während der Belagerung Katapulte hätte einsetzen können.20 Dies würde Flavius Josephus allerdings widersprechen und ihm gewissermaßen eine pauschale Schilderung für diese Belagerung unterstellen. Heute bin ich der Ansicht, dass man die archäologische Befundlage durchaus mit Flavius Josephus’ Zeugnis in Einklang bringen kann. Wie Gwyn Davies angemerkt hat, ist es „unvorstellbar, dass die Römer bei der Belagerung [Masadas] keine Bolzen-Abschussvorrichtungen einsetzten. Die Bolzen-Abschussvorrichtungen dürften sogar mit ziemlicher Sicherheit im Belagerungsturm in Stellung gebracht worden sein, damit man den Wall beschießen konnte – selbst wenn die Vorrichtungen nicht die Rampe hoch vorverlegt wurden, als man den Turm hochwand, oder wenn sie nicht am Fuß der Rampe positioniert wurden.“21 Davies zufolge seien die Bolzen bei Aufräumaktionen nach der Belagerung von den Römern aufgesammelt und wiederverwendet worden, wie auch die Ballistasteine zusammengesucht und eingelagert wurden.
Einerseits mag es schwer zu glauben sein, dass die Römer derart gründlich waren, dass sie bei ihren Aufräumaktionen jede eiserne Bolzenspitze bargen, andererseits spricht das Ergebnis einer Untersuchung zur Verteilung eiserner Pfeilspitzen in Masada für diese Möglichkeit. Die allermeisten Pfeilspitzen wurden auf der unteren Terrasse des Nordpalastes und in der Werkstatt im Westpalast gefunden (zu Letzterer siehe Kapitel 8). Diese Orte wurden durch den feuerbedingten Einsturz verschüttet – vermutlich verblieben die Pfeilspitzen deshalb dort, weil sie von den Römern nicht geborgen werden konnten. Kleinere Mengen von Pfeilspitzen wurden an Stellen an der Westflanke des Berges gefunden, in einem Bereich, der offenbar vom Deckungsfeuer aus der Richtung der Rampe betroffen war. Abgesehen von den Pfeilspitzen im Nord- und im Westpalast, die beim Einsturz verschüttet wurden, scheinen die Römer jedoch die meisten Pfeilspitzen wie auch sämtliche eisernen Bolzenspitzen geborgen zu haben. Die kleinen Ansammlungen verbliebener Pfeilspitzen scheinen zurückgelassen worden zu sein, weil sie aufgrund ihres schlechten Zustands nicht mehr zu gebrauchen waren. Anders als Masada, besetzten die Römer Gamla nach der Belagerung nicht. Vermutlich bargen sie bei Gamla einige der eisernen Bolzenspitzen, aber weil keine Garnison zurückgelassen wurde, um den Ort zu besetzen und aufzuräumen, blieben die übrigen Bolzen inmitten der Trümmer liegen.22
In der entsprechend benannten Kasematte wurden Schriftrollen biblischen und außerbiblischen Inhalts gefunden sowie die einzigen lateinischen Papyri, die man in Masada entdeckt hat. Diese lateinischen Papyri stammen entweder ungefähr aus der Zeit der Belagerung oder aus der Phase, als eine Abteilung Legionäre nach dem Ende der Belagerung noch mehrere Jahrzehnte auf dem Plateau stationiert war.23 Einer der lateinischen Papyri ist mit einem Hexameter aus Vergils Epos Aeneis (4, 9) beschrieben. Bei einem anderen lateinischen Papyrus – mit dem längsten in Masada entdeckten lateinischen Text – handelt es sich um eine Quittung: Dieses Dokument verzeichnet Zahlungen, die ein Legionär namens Gaius Messius aus Beirut geleistet hat. Sie wurden ihm für Güter wie Gerste und Kleidung von seinem Sold abgezogen. Ein dritter, allerdings schlecht erhaltener Papyrus listet Sanitätsartikel für Verwundete oder kranke römische Soldaten auf; explizit erwähnt werden Bandagen und „Speiseöl“.24 Neben den Papyri wurden in der Nähe des großen Badehauses im Nordpalast-Komplex (siehe Kapitel 4) 22 Ostraka (beschriebene Tonscherben) gefunden: Auf ihnen stehen auf Lateinisch die Namen römischer Soldaten, darunter Aemilius, Fabius und Terentius – sie waren wohl Legionäre. Die Beschriftungen sind insofern ungewöhnlich, als sie auf den Innen-, nicht auf den Außenseiten der Tonscherben zu finden sind.25
Als wir 1995 die Belagerungswerke untersuchten, unternahmen wir etwas oberhalb der halben Höhe der Rampe eine Schnittgrabung, um ein Schichtprofil zu erhalten und festzustellen, wie sie konstruiert war. Wer sich die Rampe heute ansieht – man kann noch immer auf ihr gehen –, sieht einen feinen weißen, kalkhaltigen, mit kleinen bis mittelgroßen Steinen vermischten Staub, der unter den Füßen in Wolken aufwirbelt. Unsere Ausgrabungen erbrachten Informationen zur Konstruktionsweise: Die Römer nahmen Holzstücke – überwiegend Tamariske und Dattelpalme – und verlegten einige davon flach, andere verwendeten sie als senkrechte Pflöcke, um eine Holzverstrebung zu errichten; diese verfüllten sie anschließend mit Steinen, Schutt und Erde.26 Am unteren Ende der Rampe sieht man einige Spitzen von Balken hervorragen. Geologische Analysen deuten darauf hin, dass die Rampe auf einem natürlichen Bergsporn aufgeschüttet wurde, der von der Leuke über die Westflanke des Berges ansteigt – allerdings sind wir bei unseren Ausgrabungen nicht bis auf diesen Geländesporn vorgedrungen.27 Als die Rampe fertig war, bauten die Römer eine steinerne Plattform für den Rammbock und begannen, Herodes’ Befestigungsmauer zu durchbrechen. Noch heute ist an der höchsten Stelle der Rampe eine große Bresche in der Kasemattenmauer zu sehen.
Als die Römer die Mauer durchbrochen hatten, mussten sie feststellen, dass die Aufständischen aus Holzbalken eine zweite, mit Erde aufgefüllte Mauer errichtet hatten – so lesen wir bei Flavius Josephus. Diese Mauer widerstand dem Rammbock nicht nur, sie wurde durch dessen Stöße sogar noch verdichtet:
Inzwischen hatten aber die Sikarier von innen schnell eine zweite Mauer bauen können, die nun nicht mehr durch die Belagerungsmaschinen ein ähnliches Schicksal erleiden sollte. Damit sie nachgiebig war und so selbst den heftigsten Ansturm aushalten könnte, hatten die Sikarier sie folgendermaßen ausgebaut: Sie schichteten große Balken der Länge nach aufeinander und fügten sie an den Schnittenden zusammen. Und zwar bauten sie zwei einander parallele Reihen in einem der Breite der Mauer entsprechenden Abstand. Den Zwischenraum füllten sie durch Schutterde auf. Damit aber die Erde nicht durch weiteres Schuttaufwerfen nach unten nachgab, waren die Längsbalken ihrerseits noch mit Querbalken verbunden. Den Römern nun erschien das Werk einem Hausbau vergleichbar, aber die gewaltigen Schläge der Kriegsmaschinen gegen die nachgebende Masse blieben völlig wirkungslos; im Gegenteil, da sich die Erde durch die Erschütterung noch setzte, machten die Angriffe die Mauer noch widerstandsfähiger. (Jüdischer Krieg 7, 311–314)
Bei der Arbeit an der abschließenden Veröffentlichung zur Architektur von Masada stellte Ehud Netzer fest, dass nur etwa zehn Prozent der Bauten auf dem Berg Zeichen einer Zerstörung durch Feuer aufwiesen, und sie grenzten nicht aneinander. Netzer schlussfolgerte, dass die Gebäude, wären sie in Brand gesetzt worden, allesamt hätten abbrennen müssen. Seine Hypothese: Das Fehlen von Brandspuren an den meisten Gebäuden bedeutet, dass ihre hölzernen Deckenbalken herausgerissen worden waren, vermutlich weil sie, wie bei Flavius Josephus beschrieben, für den Bau der zweiten Mauer verwendet werden sollten.28 Sollte Netzers Deutung zutreffen, dann würde sie diesen Teil von Flavius Josephus’ Bericht über den Fall Masadas bestätigen.
Als die Römer merkten, dass die Aufständischen eine zweite Mauer aus Holz und Erde errichtet hatten, befahl Silva seinen Soldaten, diese Struktur anzuzünden. Anfangs blies ein starker Wind die Flammen in Richtung der Römer, und ihr Rammbock drohte ein Opfer des Feuers zu werden. Doch plötzlich drehte der Wind und blies nun gegen die Mauer, sodass sie in Flammen aufging. In diesem Moment, so Flavius Josephus, versammelte Eleasar ben Ja’ir die Männer und überzeugte sie davon, dass es am besten sei, sich das Leben zu nehmen, um der Gefangennahme zu entgehen und auf diese Weise die Römer um ihren Sieg zu bringen:
Denn die Frauen sollen ungeschändet sterben, und die Kinder, ohne die Knechtschaft kennengelernt zu haben. Und nach ihnen wollen wir selbst uns den edlen Dienst erweisen, wobei wir die Freiheit als schönstes Sterbekleid bewahren werden. Doch lasst uns vorher die Schätze und die Festung mit Feuer zerstören […]. Einzig die Lebensmittel wollen wir unversehrt lassen; denn sie sollen uns nach unserem Tod Zeuge dafür sein, dass wir nicht durch Hunger bezwungen wurden, sondern weil wir – so, wie es von Anfang an beschlossen war – den Tod der Knechtschaft vorziehen wollten.
(Jüdischer Krieg 7, 334–336)
Flavius Josephus schloss seinen Bericht über den Jüdischen Krieg nicht mit dem Fall Jerusalems und der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70, sondern mit der Belagerung von Masada und dem Massenselbstmord drei Jahre später – einer Begebenheit, von der kein anderer antiker Autor berichtet. Tatsächlich stammt ein Großteil unserer Informationen über die Geschichte Judäas in der Spätzeit des Zweiten Tempels und insbesondere über den Jüdischen Krieg aus seinen Schriften.29 Flavius Josephus war Augenzeuge einiger der Ereignisse, die er beschreibt, wie etwa der Belagerung Jerusalems, in anderen Fällen stützte er sich auf literarische Quellen, die seitdem verloren sind.30 Zu den großen Ironien der Geschichte gehört, dass sein Zeugnis für Christen von überragender Bedeutung ist, während man sich seiner in der jüdischen Überlieferung als Verräter erinnert. War Flavius Josephus ein Schurke, der die Juden verraten hat, oder ein Held, dessen Werke bis heute eine Fundgrube für Informationen über Judäa in der Spätzeit des Zweiten Tempels sind?
Geboren wurde Flavius Josephus als Josef ben Mathitjahu, „Josephus, Sohn des Matthias“, im Jahr 37 n. Chr. in Jerusalem, in demselben Jahr, in dem Gaius Caesar Augustus Germanicus, genannt Caligula, Kaiser wurde. Er stammte aus einer priesterlichen Familie und behauptete, mütterlicherseits mit den Hasmonäern (siehe Kapitel 5) verwandt zu sein. Als Quellen über ihn und sein Leben haben wir nichts weiter als seine eigenen Werke, darunter seine Autobiographie (Vita), die er als Anhang zu den Jüdischen Altertümern (Antiquitates Judaicae) verfasste.31
Josephus tritt uns als ein frühreifer junger Mann entgegen.32 Im Alter von 16 Jahren schickte er sich an, die drei bedeutenden Sekten des Judentums – Sadduzäer, Pharisäer und Essener – aus erster Hand kennenzulernen, und verbrachte als Schüler eines Asketen namens Bannus drei Jahre in der Wildnis. Mit 19 wurde er Pharisäer (Vita 9–12).33 Flavius Josephus ist der einzige der antiken Autoren, die über die Essener geschrieben haben, der behauptet, sie aus erster Hand zu kennen (siehe Kapitel 5). Außerdem ist er einer von nur zwei Juden des Altertums, die sich selbst als Pharisäer bezeichnen; der andere ist Paulus von Tarsos.34Vita35