Die Geschichte des Eisens

 

Band 7: Das 19. Jahrhundert von 1801 bis 1860, Teil 1

 

DR. LUDWIG BECK

 

 

 

 

 

 

 

Die Geschichte des Eisens, Band 7, Dr. Ludwig Beck

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849661991

 

Quelle: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 4: Das XIX. Jahrhundert von 1801 bis 1860. Braunschweig, 1899. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen04_1899>, abgerufen am 25.03.2022. Der Text wurde lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz CC-BY-SA-4.0. Näheres zur Lizenz und zur Weiterverwendung der darunter lizenzierten Werke unter https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de. Der Originaltext aus o.a. Quelle wurde so weit angepasst, dass wichtige Begriffe und Wörter der Rechtschreibung des Jahres 2022 entsprechen. Etwaige Seitenverweise beziehen sich auf die Originalausgabe und stimmen in aller Regel nicht mit der vorliegenden Edition überein.

 

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INHALT:

VORWORT. 1

ALLGEMEINER TEIL. 3

Einleitung. 3

Die napoleonische Zeit (1801 bis 1815). 6

Literatur 1801 bis 1815. 9

Chemie 1801 bis 1815. 19

Technische Fortschritte. 42

Das Brennmaterial. 46

Verbrennung und Windzuführung 1801 bis 1815. 55

Hochöfen 1801 bis 1815. 67

Eisengießerei 1801 bis 1815. 82

Stabeisenbereitung von 1801 bis 1815. 99

Die Verwendung von Stahl und Eisen. 122

Werkzeugmaschinen 1801 bis 1815. 134

Geschichte des Eisens in den  einzelnen Ländern von 1801 bis 1815. 138

England 1801 bis 1815. 138

Frankreich 1801 bis 1815. 148

Spanien und Portugal 1801 bis 1815. 155

Österreich-Ungarn 1801 bis 1815. 156

Preußen 1801 bis 1815. 159

Schweden 1801 bis 1815. 170

Russland 1801 bis 1815. 173

Die Vereinigten Staaten von Nordamerika 1801 bis 1815. 176

Die Zeit von 1816 bis 1830. 183

Literatur 1816 bis 1830. 186

Lehranstalten. 188

Die Chemie des Eisens 1816 bis 1830. 199

Die Brennmaterialien 1816 bis 1830. 206

Gebläse 1816 bis 1830. 211

Die Eisengießerei 1816 bis 1830. 222

Das Eisenfrischen 1816 bis 1830. 230

Die Eisenverarbeitung 1816 bis 1830. 239

Der Puddelprozess 1816 bis 1830. (Fortsetzung.) 251

Die Drahtfabrikation 1816 bis 1830. 254

Eisenwarenfabrikation 1816 bis 1830. 257

Die Stahlbereitung 1816 bis 1830. 260

Die Eisenbahnen bis 1830. 266

Eiserne Brücken bis 1830. 286

Erfindung der Winderhitzung beim Hochofenbetrieb 1829. 289

Die Fortschritte der Eisenindustrie in den einzelnen Ländern. 295

England 1816 bis 1830. 295

Frankreich 1816 bis 1830. 305

Belgien bis 1830. 314

Deutschland bis 1830. 321

Österreich 1816 bis 1830. 341

Schweden 1816 bis 1830. 344

Russland 1816 bis 1830. 347

Die Vereinigten Staaten 1816 bis 1830. 349

Die Zeit von 1831 bis 1850. 356

Einleitung. 356

Literatur 1831 bis 1850. 357

Ausstellungen 1831 bis 1850. 367

Physik des Eisens 1831 bis 1850. 369

Chemie des Eisens 1831 bis 1850. 375

Die Wärmeerzeugung. 382

Winderhitzung 1831 bis 1850. 382

Die Wirkung des heißen Windes. 404

Die Gichtgase als Brennmaterial. 407

Die chemische Untersuchung der Hochofengase. 410

Der Hochofenprozess. 422

Die Gasfeuerung 1831 bis 1850. 427

Generatorgas 1831 bis 1850. 430

Brennmaterialienlehre 1831 bis 1850. 436

Brennstoff und Hochofen 1831 bis 1850. 440

Winderzeugung und Windführung 1831 bis 1850. 459

Der Hochofenbetrieb 1831 bis 1850. 474

Der Hochofenbau 1831 bis 1850. 477

Hochofenbetrieb. 479

 

 

VORWORT.

 

Die vierte Abteilung der Geschichte des Eisens könnte wie die dritte eines Vorworts entbehren, da in dem zum zweiten Bande bereits alles enthalten ist, was zum Verständnis der Gliederung und Einteilung gehört. Dennoch erscheinen einige kurze Vorbemerkungen angezeigt.

Das neunzehnte Jahrhundert bietet der technisch-geschichtlichen Bearbeitung eine überwältigende Fülle des Stoffes, sowohl durch die mit jedem Jahrzehnt mehr und mehr anschwellende Literatur, als durch die große Zahl der Fortschritte auf allen einschlägigen Gebieten. Es war deshalb auch nicht möglich, die Geschichte des Eisens im neunzehnten Jahrhundert in einem Bande zu erledigen, sie musste auf zwei verteilt werden. Der vorliegende vierte Band behandelt die Zeit bis 1860, während der folgende Schlussband die neueste Zeit seit dem Jahre 1860 schildern wird. Der besseren Übersicht wegen wurde die Zeit bis 1860 wieder in kleinere Zeitabschnitte zerlegt. Der erste von 1801 bis 1815 umfasst die Zeit der Beunruhigung Europas durch Napoleon, der zweite von 1816 bis 1830 die Zeit des Aufschwunges der Eisenindustrie, an deren Ausgang zwei wichtige Neuerungen, die Winderhitzung beim Schmelzbetrieb und die erfolgreiche Einführung der Eisenbahnen stehen. Beide haben die Erzeugung und den Bedarf des Eisens in ungeahntem Masse gesteigert. Dies kommt in der folgenden Periode, die wieder der besseren Übersicht  wegen in die Zeit von 1831 bis 1850 und die von 1851 bis 1860 geteilt ist, zum Ausdruck. Innerhalb der einzelnen Zeitabschnitte herrscht die in den beiden vorhergehenden Bänden schon festgehaltene Zweiteilung in einen allgemeinen Teil, der die Fortschritte und Erfindungen behandelt, und in einen besonderen, der die Lokalgeschichte schildert.

Die ganze Zeit des neunzehnten Jahrhunderts bis zum Jahre 1860 stellt sich in ihrem Hauptinhalte als die des siegreichen Kampfes des Steinkohlenbetriebes gegen den Holzkohlenbetrieb dar; bei der Schmiedeeisenbereitung insbesondere als des Sieges des Flammofenbetriebes über den Herdbetrieb, des Puddeleisens über das Frischeisen. Diese Fortschritte erscheinen als glänzende Errungenschaften in der Geschichte der Eisenindustrie. Am Schluss der Periode taucht aber ein neues Licht auf, noch klein und flackernd, das bestimmt war, nicht nur die alten, sondern auch die siegreichen neuen Verfahrungsweisen zu überstrahlen und in den Schatten zu stellen: die Erfindung des Windfrischens durch Henry Bessemer. Der folgende Band wird sich hauptsächlich mit dem Siegeslaufe dieses Verfahrens zu beschäftigen haben.

Die Zeit bis 1860 war die wichtige Vorbereitungszeit für die jetzige großartige Entwicklung der Eisenindustrie, ohne welche diese nicht möglich gewesen und ohne deren Kenntnis sie nicht verständlich wäre. Der vorliegende Band bildet deshalb einen sehr wichtigen Abschnitt der Geschichte des Eisens. Möge seine Darstellung den Beifall der geehrten Leser finden.

Rheinhütte-Biebrich, im Jahre 1899.

Dr. L. Beck.


 

 

ALLGEMEINER TEIL.

 

Einleitung.

 

Mit dem Jahre 1801 treten wir in das 19. Jahrhundert ein, an dessen Schluss wir jetzt stehen und das man mit Recht oft das eiserne genannt hat.

In ihm hat die Kunst der Eisengewinnung und -Verarbeitung eine ungeahnte Höhe, der Eisenverbrauch bei den fortgeschrittenen Kulturvölkern einen Umfang erreicht, den man zu Anfang des Jahrhunderts nicht vermuten konnte. Und doch sprach schon damals der berühmte französische Chemiker und Unterrichtsminister Fourcroy die Worte aus, die für das ganze Jahrhundert charakteristisch geblieben sind: „l’art de fer, dans ses divers degrés de perfectionnement, marque exactement le progrès de toute civilisation.“ In der Tat, die Fortschritte der Eisenbereitung sind mit den Fortschritten der modernen Kultur so innig verknüpft, dass der Eisenverbrauch, im Jahre auf den Kopf der Bevölkerung angeschlagen, den besten Maßstab für die Industrie, den Wohlstand und die Macht der Völker gibt.

Überblicken wir nun das eiserne Jahrhundert, so zerfällt es in zwei Abschnitte: der erste ist charakterisiert durch den Kampf und den Sieg des Steinkohlenbetriebes gegenüber dem Holzkohlenbetrieb, der zweite durch den Kampf und Sieg des Flusseisens gegenüber dem Schweißeisen; im ersten herrscht das Eisen, im zweiten der Stahl. Den Ausgangspunkt des zweiten Abschnittes bildet die glorreiche Erfindung des Windfrischens durch Henry Bessemer, des nach ihm benannten Bessemerprozesses, im Jahre 1856. Von  da an beginnt die neueste Zeit, das Zeitalter des Stahls, in dem wir heute stehen und in dem sich die Eisenindustrie zu staunenerregender Großartigkeit entwickelt hat.

Wenn die geschichtliche Darstellung der Entwicklung der Eisenindustrie im 19. Jahrhundert nur einigermaßen an Gründlichkeit der der früheren Jahrhunderte entsprechen sollte, so erwies es sich bei der Fülle der Tatsachen und der reichen Literatur als unmöglich, dies in einem Bande zu bewältigen. Es war unumgänglich, den Stoff in zwei Teile zu zerlegen, und da wir der Übersichtlichkeit wegen die Einteilung in gewisse kurze Zeitabschnitte zu Grunde gelegt haben, so haben wir auch die Teilung des Jahrhunderts nach demselben chronistischen Grundsatz vorgenommen, und für den ersten Teil die erste Hälfte von 1801 bis 1850, für den zweiten Teil die Zeit von 1851 bis zur Gegenwart gewählt. Ist doch auch die schon vorher zum Einteilungsprinzip genommene Scheidung nach Jahrhunderten keine sachliche, sondern eine willkürlich zeitliche, die aber ebenfalls den Vorzug der Übersichtlichkeit hat. Der Schluss des Jahres 1800, mit dem das 19. Jahrhundert seinen Anfang nahm, zeigt uns weder in der politischen noch in der technischen Entwicklung einen naturgemäßen Abschnitt, vielmehr den innigsten Zusammenhang der Ereignisse vor- und nachher. Die Geschichte des Eisens des 19. Jahrhunderts steht ganz auf den Schultern des 18. Jahrhunderts. In diesem war nach drei Richtungen hin die Grundlage für die weitere Entwicklung gelegt, erstens durch die Verwendung der Steinkohlen sowohl zum Schmelzen des Eisens aus den Erzen, wie zum Frischen des Roheisens, zweitens durch die Erfindung der Dampfmaschine von James Watt und drittens durch die Begründung der metallurgischen Wissenschaft, besonders durch die großen Fortschritte der Chemie. Auf diesem dreifachen Wege ist die moderne Eisenhüttenkunde vorangeschritten. Der Kampf zwischen Steinkohle und Holz zieht sich durch das ganze Jahrhundert durch, obgleich der Sieg der ersteren auch auf dem Kontinent von Europa und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika schon um die Mitte des Jahrhunderts entschieden war. Die Benutzung der Dampfkraft, die Verwendung der Dampfmaschine zu den mannigfaltigsten Arbeiten war für die Fortschritte auf mechanischem Gebiete maßgebend, sie wurde fast der einzige Motor für größere Kraftleistungen, und in dieser Beziehung lässt sich das 19. Jahrhundert auch als das Jahrhundert der Dampfmaschine bezeichnen. Ob diese Bezeichnung für das nächste Jahrhundert noch Geltung behalten wird, erscheint bei den großen Fortschritten der Elektromotoren zweifelhaft.

Das allergrößte Verdienst um die Entwicklung der Eisenindustrie haben sich aber die Naturwissenschaften, insbesondere Physik und Chemie, erworben. Namentlich hat die Chemie durch die wissenschaftliche Erklärung und Begründung der metallurgischen Prozesse die Eisenindustrie in wunderbarer Weise auf der Bahn des Fortschrittes gefördert.

Wenden wir uns nun zu der Geschichte des Eisens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, welche in dem vorliegenden Bande behandelt werden soll, so tritt uns auch hier die Entwicklung der Eisenindustrie in der dreifachen, oben bezeichneten Richtung als maßgebend entgegen.

In England war der Sieg der Steinkohle über die Holzkohle zu Anfang des Jahrhunderts bereits endgültig entschieden, und England eroberte sich durch seine Steinkohlenindustrie den Weltmarkt. In allen anderen Ländern herrschte noch die Holzkohlenindustrie und nur in der Provinz Ober-Schlesien in Preußen war es durch die Intelligenz hervorragender Männer, ganz besonders des Ministers Graf von Reden, gelungen, der Roheisenerzeugung mit Koks zu dauerndem Sieg zu verhelfen. Die mannigfaltigen sonstigen Versuche, namentlich auch die zu Creusot (le Creuzot) in Frankreich, hatten einen durchschlagenden Erfolg nicht gehabt. Die Kriegsunruhen, in welche Europa durch den Ehrgeiz Napoleons I. gestürzt wurde, hinderten den natürlichen Fortschritt und erst mehrere Jahre nach dem Wiener Frieden fing man in Frankreich und Belgien an, Versuche zur Eisenbereitung mit Steinkohlen nach englischem Muster zu machen. Erfolgreich erwiesen diese sich zuerst bei dem Steinkohlenfrischen, dem Puddelprozess, der dann auch allmählich in Belgien, Frankreich und in Deutschland am Rhein und in Saarbrücken Boden fasste und sich ausbreitete. Hand in Hand damit ging die Einführung des Walzwerkbetriebes mit Dampfmaschinen. Den großartigsten Anstoß gab der durch Kenntnisse, Tatkraft und kühnen Unternehmungsgeist ausgezeichnete John Cockerill, ein Schotte von Geburt, der mit Unterstützung des Königs von Holland und später von Belgien das berühmte Eisenwerk Seraing gründete, den englischen Puddel- und Walzprozess und dann den Hochofenbetrieb mit Koks einführte und dadurch der belgischen Industrie eine Bedeutung und ein Übergewicht verschaffte, welches bis zu Ende der Periode, ja bis 1860 für Westdeutschland und Nordfrankreich fühlbar war. Nach dem Muster von Seraing und der belgischen Eisenhüttenwerke entwickelte sich die Eisenindustrie mit Steinkohlenbetrieb in diesen Gebieten vielfach noch in einer gewissen Abhängigkeit von ihren Lehrmeistern. Im ganzen breitete sich das Steinkohlenfrischen, der Puddelprozess, rascher aus als das Steinkohlenschmelzen oder der Koksbetrieb, weil die Hütten, meist im Erzgebiet gelegen, zu große Schwierigkeiten mit dem Bezug von Steinkohlen oder Koks hatten. Aber selbst in den Kohlengebieten, wie z. B. an der Ruhr, hielt man an dem gewohnten Betrieb mit Holzkohlen fest unter dem Vorwand, dass deutscher Koks ein schlechtes Roheisen gebe, und so wurde an der Ruhr erst im Jahre 1849 der erste Kokshochofen angeblasen. Rascher verbreitete sich die Verwendung der mit Dampfmaschinen bewegten englischen Zylindergebläse und eine der wichtigsten Entdeckungen dieser Periode, die von dem Engländer Neilson 1829 erfundene Wind-Erhitzung beim Hochofenbetrieb.

Die folgenreichste Erfindung für die Eisenindustrie, die ebenfalls in England gemacht wurde, die den Eisenbedarf außerordentlich steigerte und zum Massenbetrieb und zur Gründung großer Eisenwalzwerke Veranlassung gab, war die der Eisenbahnen und der Dampflokomotive von Stevenson im Jahre 1830. Die Eisenbahnen breiteten sich erst in England, dann in Amerika und hierauf auch auf dem Kontinent aus. Anfangs bezog man den Bedarf für Lokomotiven und Eisenbahnschienen ausschließlich aus England. Das Streben, die ungeheuren Geldsummen, welche dafür dorthin flossen, dem eigenen Lande zu erhalten, veranlasste in allen hervorragenden eisenerzeugenden Ländern die Anlage von Schienenwalzwerken und von Maschinenfabriken zum Bau von Lokomotiven. Dadurch wurde die Anlage viel größerer Eisenwerke, die Einführung des Massenbetriebes, der immer größeren Umfang gewann, vorgeschrieben. Eine hervorragende Erfindung für die Verarbeitung des Eisens war die des Dampfhammers von James Napier 1845.

Nicht minder wichtig als diese technischen Erfindungen waren die Fortschritte der Chemie, welche von Männern wie Gay-Lussac, Davy, Faraday, Berthier, Berzelius, Liebig und Wöhler ausgingen und die von hervorragenden Metallurgen, besonders von Dr. C. J. B. Karsten, für die Metallurgie des Eisens nutzbar gemacht wurden. Hierdurch wurde diesem Zweig der Technik eine Grundlage gegeben, auf welcher dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die segensreichsten Wirkungen und die glänzendsten Erfolge erwuchsen.

 

Die napoleonische Zeit (1801 bis 1815).

 

Das Jahrhundert begann unter dem siegreichen Stern Napoleon Bonapartes, damals erster Konsul, nachmals Kaiser der Franzosen. „Geld und Eisen sind notwendig, um den Frieden zu befehlen.“ Diese Worte rief er in seiner Proklamation vom 8. März 1800 den Franzosen zu. Sie sind in gewisser Hinsicht die Devise des Jahrhunderts geworden.

Napoleon und andere nach ihm wollten mit dem Eisen in der Hand den Frieden befehlen; Ströme von Blut sind geflossen, aber der Völkerfriede ist noch nicht gekommen. Wird ihn das folgende Jahrhundert bringen?

Napoleon war der echte Sohn der Revolution. Er hatte es selbst mit erlebt, dass es das Eisen war, das die glorreiche Republik Frankreich gegen die Koalition der europäischen Fürsten verteidigt hatte, das Eisen, welches in Frankreich gegraben, in Frankreich geschmolzen, in Frankreich zu Waffen verarbeitet worden war. Gelehrte waren es gewesen, Mathematiker, Naturforscher, welche dieses ermöglicht und dadurch den Erfolg herbeigeführt hatten. Besonders hatte sich die junge Wissenschaft der Chemie glänzend bewährt. Sie hatte sich als nützlich und als patriotisch erwiesen; dadurch war sie populär geworden. Napoleon erkannte dies, wie alle einsichtigen Franzosen jener Zeit; selbst ein Freund der Mathematik, fühlte er sich zu den Gelehrten dieser Wissenschaft, wie zu den Männern der praktischen Naturwissenschaften hingezogen und räumte ihnen einflussreiche Ehrenstellen ein. Die Mathematiker La Place, Monge, Carnot, die Chemiker Berthollet, Chaptal, Guyton de Morveau wirkten als Minister oder in anderen wichtigen Vertrauensstellungen. Die Mathematik sollte das wichtigste Erziehungsmittel, chemische und physikalische Kenntnisse Gemeingut aller Gebildeten werden. Deshalb berief Napoleon 1801 den Chemiker Fourcroy an die Spitze des öffentlichen Unterrichtswesens, der das Schulwesen in diesem Sinne umgestaltete und organisierte. Auch die Metallurgie sollte populär werden, besonders die Metallurgie des Eisens, deshalb beauftragte der Kaiser Hassenfratz, eine Siderotechnik, ein Lehrbuch der Eisenhüttenkunde zu schreiben.

Dass Napoleon es sich angelegen sein ließ, die Eisenindustrie Frankreichs selbst zu fördern, bedarf kaum besonderer Erwähnung, waren doch das Eisen und die eisernen Waffen für seinen Ruhm und seinen Ehrgeiz unentbehrlich. Deshalb suchte er auch in den eroberten Ländern die bestehende Eisenindustrie zu schützen und zu fördern. Nachdem durch den Frieden von Luneville 1801 das linke deutsche Rheinufer mit Frankreich vereinigt worden war, wendete er den Eisenwerken der Eifel und des Saargebietes große Aufmerksamkeit zu und bemühte sich, die Solinger und Remscheider Industrie in das Saargebiet zu verpflanzen. Was Napoleons Klugheit aber gründete, das zerstörte wieder sein Ehrgeiz. So nützlich für die Eisenindustrie seine tatkräftige Hilfe war, so schädlich waren für dieselbe seine fortwährenden Kriege. Darunter litten besonders die Grenzländer, namentlich die deutschen, die unmittelbar durch den Krieg getroffen wurden, dann aber auch die französische Industrie selbst, welcher durch die unaufhörlichen Truppenaushebungen die Arbeitskräfte in einer Weise entzogen wurden, dass sie gar nicht mehr imstande war, die übernommenen Lieferungen auszuführen. Am verderblichsten wirkte sein Cäsarenwahn durch eine Maßregel, welche die ganze zivilisierte Welt in Mitleidenschaft zog, die Kontinentalsperre. Den Zweck dieses törichten Einfuhrverbots, Englands Handel und Industrie zu Grunde zu richten, erreichte er nicht; wohl aber bereitete er sich dadurch das eigene Verderben, denn das Vexatorische dieses widersinnigen Zwanges veranlasste schließlich 1810 Russland, dieselbe zu brechen und sich mit England zu verbünden, was Napoleons Feldzug nach Russland veranlasste, welcher der Anfang seines Endes wurde. Durch diese Handelssperre wurden außerdem die Länder des europäischen Kontinents weit mehr geschädigt als England, denn dieses hatte bereits einen so gewaltigen Vorsprung in seiner industriellen Entwicklung und eine so gesicherte Macht zur See, dass es viel eher wie der Kontinent die Folgen derselben überwinden konnte. Auf sich selbst angewiesen, entwickelte England seine reichen Hilfsquellen und sein großartiges Maschinenwesen mit doppelter Energie und es machte sich nicht nur unabhängig, sondern gewann noch einen viel größeren Vorsprung auf technischem Gebiet. Die Staaten des Kontinents hatten nicht nur den materiellen Schaden, welchen die Kontinentalsperre mit sich brachte, sondern auch den noch viel größeren Nachteil, dass sie, von England abgesperrt, an den großen technischen Fortschritten dieses Landes nicht teilnahmen und infolgedessen zurückblieben. Am Ende des 18. Jahrhunderts hatte die kontinentale Industrie, namentlich in Deutschland, einen hoffnungsvollen Aufschwung dadurch genommen, dass man die englische Betriebsweise einzuführen begann. Durch die unnatürliche Blockade wurden diese Bestrebungen unterbrochen. Am meisten hatte die französische Industrie selbst darunter zu leiden, die grundsätzlich die englischen Errungenschaften auf technischem Gebiet in verblendeter Selbsttäuschung verachtete. So kam es, dass, obgleich der erste Kokshochofen nach englischem Muster zu Creusot bereits vor 1788 erbaut worden war, dieser Betrieb in der napoleonischen Zeit aufhörte und man erst im Jahre 1818 mit der Einführung des Steinkohlenbetriebes wieder anfing. In dem kurzen Zeitraume, in dem Frankreich nach dem Frieden von Amiens (1802) einmal nicht mit England im Krieg begriffen war, hatte die französische Regierung den jungen, talentvollen Ingenieur Bonnard nach England geschickt, um besonders den Puddelprozess zu studieren, aber er musste auf halbem Wege umkehren, weil neue Feindseligkeiten zwischen England und Frankreich ausgebrochen waren. Bonnards trefflicher Bericht hatte für die französische Eisenindustrie keine praktischen Folgen. Die Feindschaft gegen England und die Selbstüberschätzung bewirkten, dass man sich in Frankreich keine Mühe gab, die wichtigen neueren Erfindungen der Engländer einzuführen, zum großen Nachteil der französischen Industrie. Dass auch in Deutschland in dieser Beziehung damals nur wenig geschah, lag an den außerordentlich traurigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Europa war in zwei getrennte Teile zerrissen, auf der einen Seite England, das mit Energie die Bahn des Fortschrittes seiner Industrie verfolgte, auf der anderen Seite die von Frankreich in Abhängigkeit oder Schrecken gehaltenen Kontinentalstaaten, welche kaum imstande waren, ihre Industrie aufrecht zu erhalten. England hatte beides, Geld und Eisen, und damit errang es auch den Sieg und erzwang den Frieden, sehr gegen die Erwartungen Napoleons.


 

 

Literatur 1801 bis 1815.

 

Die Französische Revolution hatte, wie wir wissen, den Bestrebungen auf dem Gebiete der praktischen Naturwissenschaften, besonders auch auf dem Gebiet der Metallurgie, einen kräftigen Impuls gegeben, dessen Wirkung eine dauernde war und der auch in der napoleonischen Periode trotz des unaufhörlichen Kriegsgetümmels fortwirkte.

Mathematik, Physik und besonders die Chemie machten großartige Fortschritte; die der letzteren, soweit sie sich auf die Eisenhüttenkunde beziehen, werden wir in der Folge noch näher betrachten. Ihren Ausdruck fanden dieselben in der naturwissenschaftlichen und metallurgischen Literatur, welche einen außerordentlichen Umfang annahm. Seit der französischen Revolution hatte die periodische Literatur besonders an Inhalt und Bedeutung zugenommen. Wir können nur die wichtigsten Zeitschriften aufzählen.

In Frankreich erschienen: Annales de chimie, 96 Bände, von 1795 bis 1815; Journal de physique, de chimie et d’histoire naturelle par J. O. de Lamettrie, 53 Bände, von 1799 bis 1823; Annales des arts et manufactures pures et appliqués par R. O’Reilly; vor allem aber die vorzügliche Fachzeitschrift über Berg- undHüttenwesen, Journal des mines, 38 Bände, von an III (1795) bis 1815.

In Deutschland enthalten Crells Annalen der Chemie, welche bis 1804 erschienen, viele wertvolle Beiträge zur Hüttenkunde; ferner Gilberts Annalen der Physik, 76 Bände, von 1798 bis 1824; Allgemeines Journal der Chemie, herausgegeben von A. N. Scherer, 10 Bände, 1798 bis 1803; Neues allgemeines Journal der Chemie von A. F. Gehlen, 6 Bände, 1803 bis 1805 und Journal für Chemie und Physik von Gehlen, 9 Bände, 1801 bis 1810; ferner Journal für Chemie und Physik von Schweigger etc., 69 Bände, 1811 bis 1833. Mancherlei findet sich in dem Journal für Fabriken, Manufakturen, Handlung, Kunst und Mode, 1796 bis 1812; am wichtigsten sind aber die Fachzeitschriften von C. E. Freiherr von Moll, Jahrbücher der Berg- und Hüttenkunde, 6 Bände, 1797 bis 1801; Annalen der Berg- undHüttenkunde, 3 Bände, 1802 bis 1805; Ephemeriden der Berg- und Hüttenkunde, 5 Bände, 1805 bis 1809 und endlich Neue Jahrbücher der Berg- und Hüttenkunde, 6 Bände, 1809 bis 1825; ferner A. W. Köhler und C. A. S. Hoffmann, Neues bergmännisches Journal, 4 Bände, 1795 bis 1816. Von dem Magazin für Eisen-, Berg- undHüttenkunde ist leider nur ein Band, 1808, erschienen.

In England sind in dem Philosophical Magazine, 42 Bände, von 1798 bis 1813, viele wichtige Beiträge zur Eisenhüttenkunde, namentlich von Mushet, enthalten, ferner sind die englischen Patentbeschreibungen (Spezifications) wichtige Quellen für die Industriegeschichte.

Ebenso erschienen in dieser Periode eine ganze Anzahl Hand- und Lehrbücher, sowie spezielle Fachschriften über einzelne Teile der Eisenhüttenkunde: so in Deutschland 1801 Tiemanns Eisenhüttenkunde, welche wir bereits früher besprochen haben; in demselben Jahre T. L. Hasse, Grundlinien der Eisenhüttenkunde, und 1806 J. J. F. Waehler’s Grundriss der Eisenhüttenkunde. Im Jahre 1810 erschien das ausführliche Handbuch der allgemeinen Hüttenkunde von Lampadius, ein umfassendes Werk von reichem Inhalt. Es zerfällt in einen ersten präparativen Teil und in einen zweiten applikativen Teil, welcher in 4 Bände zerlegt ist. Der letzte derselben behandelt die Eisenhüttenkunde und liefert mancherlei interessante Beiträge zu derselben. Von großem geschichtlichem Werte ist die 1812 in Paris erschienene Siderotechnik, 4 Bände, von Jean Henri Hassenfratz. Der Verfasser, der unter dem Kaiserreich als erste Autorität im Eisenhüttenwesen galt, hatte ein wechselvolles Leben hinter sich. 1755 in Paris geboren, wurde er schon in frühester Jugend Schiffsjunge auf einem nach Martinique segelnden französischen Kriegsschiffe. Seine Vorliebe für mechanische Künste veranlassten ihn, nach seiner Rückkehr das Zimmerhandwerk zu erlernen, und er bewies solche Geschicklichkeit, dass er schon im 22. Jahre Meister wurde. Dies genügte aber seinem Ehrgeiz nicht; er studierte Bauwissenschaft, dann unter Monge Mathematik und wurde Ingenieur-Geograph. Hierauf wendete er sich dem Bergfach zu, wurde Bergwerkseleve, als welcher er 1782 eine Reise nach Österreich unternahm. Von da zurückgekehrt, wurde er Chemiker und sehr bald Amanuensis von Lavoisier. 1789 stürzte er sich in den Strudel der Revolution und spielte bald eine hervorragende Rolle. Er erhielt vielerlei politische Stellungen. Als Mitglied der Nationalverteidigung hatte er die Fabrikation der Gewehre und Kanonen zu beaufsichtigen. 1795 floh er, um einem Haftbefehl zu entgehen, nach Sedan, kehrte aber bald wieder zurück und wurde Professor der Mineralogie an der neu gegründeten Bergakademie (École des Mines) in Paris, ferner wurde ihm die Professur der Technologie an dem Lycée des Arts und 1797 die der Physik an der École polytechnique übertragen, die er bis 1814 bekleidete. Er war Mitglied der Kommission der Künste und Gewerbe und reorganisierte als solcher und als Inspecteur supérieur des Mines das Bergwerkswesen und dann 1804 auch die Militärschule, an der er gleichfalls Lehrer war. Ferner war er auch eine Zeitlang Professor und Direktor der neu gegründeten Bergschule von Moustiers (École-pratique, dép. du Mont-Blanc). Unter seinen Aufsätzen nennen wir die auf das Eisenhüttenwesen Bezug habenden über die Spateisensteine (1807, Journal de physique LXIII) und über die Eisenoxide (ebenda LXVII, LXIX und LXXIX). Er erhielt von der napoleonischen Regierung den Auftrag, ein Handbuch der Eisenhüttenkunde zu verfassen, welches, wie erwähnt, 1812 erschien. 1814 wurde Hassenfratz als eifriger Anhänger Napoleons pensioniert und 1815 wurden ihm sämtliche Pensionen entzogen. Er starb am 26. Februar 1827 zu Paris.

Seine Siderotechnik ist eine umfassende Eisenhüttenkunde (4 Bände in Quart mit zahlreichen Figurentafeln), die zwar ganz besonderen Wert für Frankreich hat, aber in ihrem wissenschaftlichen Teil von allgemeiner Bedeutung ist. Jedenfalls hätte sie eine bessere Übersetzung als die höchst mangelhafte von T. L. Hasse, der den Text zum Teil durch zahlreiche eigene Bemerkungen ersetzt und verschlechtert hat, verdient. Diese deutsche Übersetzung erschien unter dem Titel: „Das Wichtigste aus der Eisenhüttenkunde“, 1820 und 1821 in 2 Bänden.

Übertroffen wurde das Werk von Hassenfratz an Gründlichkeit noch durch das Handbuch der Eisenhüttenkunde von Dr. C. J. B. Karsten, ein Werk, welches an Bedeutung Rinmans Geschichte des Eisens zur Seite gestellt werden kann und das in seiner zweiten — und namentlich in seiner dritten Auflage in immer umfassenderer Weise das ganze Gebiet der Eisenhüttenkunde behandelt. Karl Johann Bernhard Karsten wurde am 26. November 1782 zu Bützow als zweiter Sohn des Professors Franz Ch. L. Karsten geboren. Er entstammte einer Familie, welche in kurzer Aufeinanderfolge Preußen und der wissenschaftlichen Welt eine Reihe hervorragender Männer geschenkt hatte. Unseres Karstens Großvater war der berühmte Mathematiker Wenzeslaus Johann Gustav Karsten, Professor erst auf der damals neu gegründeten mecklenburgischen Universität zu Bützow und dann zu Halle, wo er 1787 starb. Sein Neffe war der ausgezeichnete Mineraloge Dietrich Ludwig Gustav Karsten, geboren 1768 zu Bützow, welcher in Freiberg Bergwissenschaften studierte, 1783 von dem Staatsminister von Heinitz unter die Zahl der preußischen Bergeleven aufgenommen und dann von diesem in den preußischen Staatsdienst berufen wurde. Er wurde 1789 Assessor am Oberbergamt zu Berlin, 1792, erst 24 Jahre alt, Bergrat, 1797 Oberbergrat und 1803 Geheimer Oberbergrat und Mitglied des Ministeriums für Bergwerksangelegenheiten. Im Jahre 1810 wurde er Staatsrat und General-Bergbau-Direktor, wodurch ihm die Leitung des ganzen preußischen Bergwesens übertragen wurde. Wenige Wochen, nachdem er dieses Amt angetreten hatte, raffte ihn der Tod hinweg.

Dieser hochbegabte, vortreffliche Mann wirkte bestimmend auf die Laufbahn unseres Karl Johann Bernhard Karsten, dessen Vater, Franz Christian Lorenz, Universitätsprofessor erst zu Bützow, dann zu Rostock war und zu den Begründern einer wissenschaftlichen Landwirtschaft gehörte, und der auch das erste landwirtschaftliche Institut zu Neuenwerder bei Rostock geschaffen hatte. Da ihm 15 Kinder geboren wurden, von denen 11 heranwuchsen, und er in keinen glänzenden Verhältnissen lebte, waren die Söhne früh darauf angewiesen, für sich selbst zu sorgen. Karl Johann Bernhard bezog, 17 Jahre alt, die Universität Rostock, wo er Naturwissenschaften studierte, mit der Absicht, Mediziner zu werden. Bereits in seinem 18. Jahre begann er literarisch tätig zu sein, indem er ein „Vollständiges Register über Grens neues Journal der Physik“ herausgab. Durch diese Arbeit wurde Scherer in Berlin veranlasst, Karsten die Stelle eines Assistenten mit einem Gehalt von 250 Tlrn. zu übertragen, um ihm bei der Herausgabe seines Journals der Chemie behilflich zu sein. Die Stellung, die er zu Johannis 1801 übernahm, brachte Karsten zwar viele Unannehmlichkeiten, trug aber dazu bei, seine hervorragenden chemischen Kenntnisse noch mehr auszubreiten und in zahlreichen literarischen Beiträgen zu verwerten. In Berlin schloss er sich eng an seinen ausgezeichneten Vetter, Dr. L. G. Karsten, an, der ihm lebhaftes Interesse für Mineralogie und Bergwesen einflößte. Nachdem er durch seine Dissertation de affinitate chemica, welche er im folgenden Jahre 1803 unter dem Titel: „Revision der Lehre von der chemischen Affinität“ veröffentlichte, in Rostock den Doktorgrad erworben hatte, trennte er sich im Herbste 1802 von Scherer und machte sich nun mit dem Eisenhüttenwesen auf den brandenburgischen Hüttenwerken praktisch bekannt. Die Resultate seiner Beobachtungen legte er in einer Abhandlung über den Unterschied des Stabeisens, des Roheisens und des Stahls, und über die Erzeugung des Roheisens in den Hochöfen nieder. Diese Arbeit nebst einem curriculum vitae und der Bitte, die schlesischen Eisenhütten besuchen zu dürfen, überreichte der Oberbergrat Dr. L. G. Karsten dem Minister von Reden, dessen scharfes Auge bereits die hervorragenden Fähigkeiten des jungen Dr. Karsten erkannt hatte. Die Erlaubnis wurde in entgegenkommendster Weise erteilt, wobei der Minister die Erwartung aussprach, dann und wann Ausarbeitungen über die beobachteten Gegenstände von ihm zu erhalten.

Ohne eine bestimmte Anstellung erhielt Karsten die Erlaubnis, sich auf allen königlichen Hütten nach eigenem Ermessen zu beschäftigen und selbst Verbesserungsvorschläge und Versuche zu machen. Es wurde ihm vom 1. Juli 1803 ab ein Tagegeld von 20 Silbergroschen bewilligt. Der vortreffliche Reden hatte seinen Mann richtig beurteilt, indem er ihn in eine so freie Schule der Praxis sandte. Karsten arbeitete sich mit dem Eifer jugendlicher Begeisterung in die Technik des Eisenhüttenwesens ein und keine Arbeit war ihm zu gering und zu beschwerlich. Seine Berichte fanden den Beifall des Ministers und am 26. Dezember 1804 wurde er zum Referendarius bei dem schlesischen Oberbergamte ernannt. Damit beginnt die segensreiche Amtstätigkeit Karstens in Schlesien. In der Tat hat ihm diese Provinz viel zu danken, zunächst als dem Begründer der schlesischen Zinkindustrie, welche eine reiche Quelle des Wohlstandes für die Bevölkerung wurde; sodann war es die Eisenindustrie, der er allezeit das größte Interesse zuwendete und die er in den schweren Kriegszeiten ruhmvoll leitete. Schon 1805 war er zum Assessor vorgerückt und im Jahre 1808 räumte man ihm weit über seine Stellung gehende Befugnisse ein. Die Notlage des Staates gestattete aber der Regierung noch nicht, ihn zum Bergrat zu machen. Als der schlesische Oberberghauptmann Steinbeck endlich im Februar 1810 diese Beförderung bei dem König beantragte, schrieb er: „Karsten hat den Hüttenbetrieb, wie Ew. Königl. Majestät zur Genüge bekannt ist, selbst in der drückenden Periode des Krieges mit der größten Umsicht geleitet. Er hat, nach dem Kriege, besonders bei dem Geschützguss und der Gewehrfabrikation, große Dienste geleistet. Denn ohne seine tätige Mitwirkung möchten wir wohl darin nicht so weit vorgerückt sein, als wirklich geschehen ist. Er hat endlich sehr wesentlich zur Realisierung der Zinkfabrikation mitgewirkt, und besonders diese Mitwirkung an Ort und Stelle ausgeübt, ohne hierbei seine geschwächte Gesundheit im geringsten zu berücksichtigen.“ Am 17. März wurde Karsten vom Könige zum Bergrat ernannt. Die Freude über diese Beförderung wurde aber gedämpft durch den am 17. April erfolgten Tod seines edlen Vetters, den der König fast gleichzeitig an die Spitze des preußischen Berg- und Hüttenwesens berufen hatte. Am 9. Dezember 1811 avancierte er zum Ober-Hüttenrat und Ober-Hüttenverwalter für Ober- und Nieder-Schlesien. Seiner persönlichen Tätigkeit war hauptsächlich das für die Befreiung des Vaterlandes so wichtige Werk zu danken, die Ausrüstung der Armee mit Gewehren, Waffen und Geschützen aus schlesischem Eisen. Im Jahre 1809 begann man auf der Hütte zu Malapane, ohne die nötigen Einrichtungen und geübte Arbeiter,  die ersten Gewehre für die Armee zu machen, und wenige Jahre danach lieferten Malapane und Gleiwitz die ganze Ausrüstung für das schlesische Heer. Am 17. Januar 1816 verlieh ihm der König das Eiserne Kreuz am weißen Bande „Zur Anerkenntnis Ihrer Verdienstlichkeit“, eine Auszeichnung, welche den sonst für Ehrenbezeugungen wenig empfänglichen Mann hoch erfreute. Bei dieser anstrengenden praktischen Tätigkeit hatte das literarische Schaffen Karstens lange Zeit geruht. Aber bereits 1814 erschien seine vortreffliche Bearbeitung von Rinmans Geschichte des Eisens, welche er mit sachgemäßen Anmerkungen versah, in deren einer er bereits klar seine geniale Begründung der Unterschiede der verschiedenen Eisenarten zum Ausdruck brachte. 1816 erschien dann sein berühmtes Handbuch der Eisenhüttenkunde. Bevor wir auf dieses Werk näher eingehen, wollen wir kurz die weiteren Lebensschicksale Karstens schildern. Im Jahre 1815 wurde Karsten zur Abfassung eines Gutachtens über die künftigen Landesgrenzen zwischen Preußen und Nassau, wobei der Bergwerksbesitz ganz besonders in Betracht kam, nach den westlichen Provinzen geschickt. Seine begeisterten Schilderungen über den Erzreichtum Nassau-Oraniens waren ausschlaggebend für das Festhalten Preußens an der Erwerbung des Siegerlandes. Karsten beklagte es sehr, dass nicht auch das eisenreiche Dillenburgische Land schon damals mit Preußen vereinigt wurde; er, der noch wenig außer Schlesien und Brandenburg gesehen hatte, kam aus dem Entzücken über den Erzreichtum und die landschaftlichen Schönheiten des Oranischen und Saynischen Landes nicht heraus. „Von solchem Reichtum habe ich keinen Begriff gehabt“, schreibt Karsten, nachdem er den Stahlberg bei Müsen gesehen. Und als er die Gruben bei Dillenburg befahren hatte, sagte er: „Von diesen Schätzen hat der an Armut gewöhnte Schlesier gar keinen Begriff. Was man hier als Zuschlag verwendet und nicht achtet, würden wir in Schlesien als die reichsten Erzschätze verehren. Ein Hüttenmann kann daher hier wenig lernen, sondern nur über die verschwenderische Natur staunen und sich mit der Überzeugung schmeicheln, dass er diese Schätze, wenn er sie zu verwalten hätte, besser benutzen würde.“ Nach Beendigung der Grenzregulierung ging er in glücklichster Stimmung erst nach Hamm, dann nach Neuwied und der Sayner Hütte. Hier traf ihn die Trauernachricht von Redens Tod. „Die Nachricht vom Tode des Grafen Reden“, schreibt er, „hat meine Freude sehr getrübt. Du wirst es nicht unmännlich finden, wenn ich Dir sage, dass ich mich nicht der Tränen erwehren konnte und dass ich noch jetzt, indem ich schreibe, mit Gewalt Empfindungen unterdrücken muss, welche mir die Augen füllen wollen. Ich schreibe Dir kein Wort weiter, Du weißt, dass ich alle Ursache hatte, diesen wahrhaft verehrungswürdigen Mann aufs höchste zu verehren. Noch heute reise ich zum Minister vom Stein und werde dort Anlass genug haben, eine Saite zu berühren, die mich mit inniger Wehmut erfüllt.“

Diese schönen Worte gewähren uns Einblick in das edle Herz Karstens.

Nachdem er von seiner Reise, die er durch die Eifel, Rheinland und Westfalen bis nach Lüttich ausgedehnt hatte, nach Breslau zurückgekehrt war, wurde er bald darauf zu wichtigen Konferenzen nach Berlin berufen und 1819 wurde er als Geheimer Bergrat dauernd dorthin versetzt, 1821 wurde er zum Geheimen Ober-Bergrat und vortragendem Rat im Ministerium ernannt. Es wurde ihm das ganze Hütten- und Salinenwesen im preußischen Staate übertragen. In diesem erweiterten Berufskreise wirkte er segensreich und mit Auszeichnung bis zum Jahre 1850. In diesem traurigen Jahre der hereinbrechenden Reaktion begann der liberal gesinnte, aufgeklärte Mann, der so treu seinem Lande gedient hatte, sich unbehaglich in seiner Stellung zu fühlen und erbat seinen Abschied, der ihm ohne ein Wort der Anerkennung seines Königs bewilligt wurde. Er blieb literarisch tätig bis zu seinem Tode, der ihn am 22. August 1853 abrief.

Es würde zu weit führen, Karstens Tätigkeit im Einzelnen zu schildern. Er hat in Theorie und Praxis der Hüttenkunde eine wirklich wissenschaftliche Grundlage gegeben. In der Einführung der Wissenschaft in die Praxis besteht sein ganz besonderes Verdienst. Er ist ein bedeutender Erzieher gewesen nicht nur durch seine Schriften, sondern auch durch seine mündliche Belehrung und sein Beispiel. Dadurch hat er besonders in seiner schlesischen Zeit eine Schule vortrefflicher Hüttenmänner herangebildet, die namentlich für die Entwicklung der schlesischen Privat-Eisenwerke Großes geleistet haben. Unsterblich aber ist er durch seine klassischen hüttenmännischen Schriften geworden, durch die er noch heute fortwirkt und die seinen Namen auch im Auslande berühmt gemacht haben.

Bei Karsten war Gelehrsamkeit und technisches Geschick, Theorie und Praxis in der schönsten und glücklichsten Weise vereinigt. Dabei war er der erste hervorragende Schriftsteller der modernen Eisenindustrie. Er hatte alle Schlacken der alten Phlogistonlehre, die den übrigen metallurgischen Schriftstellern zu Anfang des  19. Jahrhunderts noch anhaftete, von sich abgestreift. Die antiphlogistische Chemie war bei ihm in Fleisch und Blut übergegangen und er stieß auf keinen hüttenmännischen Vorgang, ohne ihn chemisch zu erfassen und zu begründen. Dabei hatte er eine große praktische Erfahrung. Seine metallurgischen Lehrbücher behandeln deshalb vielfach Selbsterlebtes. Es geschieht dies in klarer, anschaulicher Weise, und die nüchterne Wirklichkeit wird fesselnd durch die Darstellung und noch mehr durch die naturwissenschaftliche Behandlung, welche die einzelne Erscheinung im Zusammenhang mit den Naturgesetzen interessant erscheinen lässt.

Karsten war ein sehr fruchtbarer Schriftsteller und müssen wir uns begnügen, die für die Eisenhüttenkunde wichtigsten Schriften aufzuzählen. Bereits im Jahre 1803 veröffentlichte er „Einige Bemerkungen über die Gewinnung des Eisens im großen aus seinen Erzen, besonders in chemischer Hinsicht“. Die deutsche Bearbeitung von Rinmans Geschichte des Eisens erschien in 2 Bänden in den Jahren 1814 und 1815. 1816 folgte sein Handbuch der Eisenhüttenkunde, ebenfalls in 2 Bänden. Von diesem grundlegenden Werk erschien bald danach eine französische Übersetzung von Culman.

1818 wurde zu Breslau der Grundriss der Metallurgie und der metallurgischen Hüttenkunde herausgegeben. In demselben Jahre begann Karsten das „Archiv für Bergbau und Hüttenwesen“, welches von 1818 bis 1829 in Breslau und Berlin erschien, und wirklich das war, was sein Titel versprach, das Archiv der wichtigsten hüttenmännischen Erscheinungen jener Zeit. 1829 wurde es erweitert zum „Archiv für Mineralogie, Geognosie, Bergbau und Hüttenkunde“, welches nach Karstens Tode mit dem Jahre 1854 aufhörte. Vom XI. Bande an nahm von Dechen an der Redaktion mit teil. In diesem Archiv wurde eine große Reihe vortrefflicher Abhandlungen Karstens veröffentlicht.

1821 gab er die Beschreibung einer metallurgischen Reise durch einen Teil von Bayern und durch die süddeutschen Provinzen Österreichs, worin namentlich die in Steiermark und Kärnten betriebenen Frischmethoden eingehend geschildert sind, heraus.

1827 erschien die zweite Auflage des Handbuches der Eisenhüttenkunde in 4 Bänden, wie schon aus der doppelten Bändezahl hervorgeht, sehr erweitert und geradezu als ein neues Werk. Auch diese Auflage wurde wenige Jahre nach ihrem Erscheinen, 1830, von Culman ins Französische übersetzt. 1828 folgte Karstens Grundriss der deutschen Bergrechtslehre mit Rücksicht auf die französische Bergwerksverfassung. 1831 erschien das große Werk „System der Metallurgie“, geschichtlich, statistisch, theoretisch und technisch, in 5 Bänden mit einem Atlas von 51 Kupfertafeln.

Im Jahre 1841 gab Karsten die dritte Auflage seines Handbuches der Eisenhüttenkunde in 5 Bänden mit einem Atlas von 63 Kupfertafeln heraus. Auch diese Ausgabe ist, trotzdem die alte Einteilung beibehalten ist, ein neues Werk und das für den Techniker der Jetztzeit wichtigste.

Nicht unerwähnt wollen wir noch Karstens vorzügliches Lehrbuch der Salinenkunde lassen, welches 1841 in 2 Bänden erschien.

Die zahlreichen Abhandlungen, welche Karsten besonders im Archiv und in den Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften veröffentlicht hat, können wir nicht alle aufzählen. Von historischer Bedeutung sind die Aufsätze über die verschiedenen Zustände des Eisens und eine neue Theorie derselben in Gilberts Annalen LII, 428; über die Verbindung des Eisens mit Kohle in den Abhandlungen der Akademie von 1822 und „über die Karburete des Eisens“, ebendaselbst 1846. Sehr beachtenswert sind die Abhandlungen „über die Bereitung und Behandlung des Gussstahls“, im Archiv von 1825 (IX, 397); „über den Damaststahl“ (ebenda. 451) und seine letzte Arbeit, „über die Bereitung des Gussstahls“, in den Monatsberichten der Berliner Akademie von 1853.