Bernard Croisile

Alzheimer

Erkennen, verstehen, begleiten

Aus dem Französischen von Jürgen Schröder

Impressum

Französische Originalausgabe: La maladie d’Alzheimer. Identifier, comprendre, accompagner © Larousse, Paris 2010

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.
Redaktion: Kathrin Henne, Pinneberg Layout, Satz und Prepress: schreiberVIS, Seeheim
Einbandabbildung: Helfende Hand © openlens – Fotolia.com
Einbandgestaltung: Peter Lohse, Heppenheim

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-24905-3

Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus Verlag Einbandabbildung: © picture alliance/Photo Alto Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M.

ISBN 978-3-86312-318-5

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Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-86312-802-9 (Buchhandel)
eBook (epub): 978-3-86312-803-6 (Buchhandel)

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

  1 Wie funktioniert das Gehirn?

Neuronen und Informationsübertragung

Die Organisation des Gehirns: Empfindungen und Handlungen

  2 Die Alzheimer-Krankheit verstehen

Was ist Demenz?

Die Definition der Alzheimer-Krankheit

Ein paar Zahlen

Schädigungen des Gehirns

Die verschiedenen Formen der Alzheimer-Krankheit

Risikofaktoren

  3 Symptome und Anzeichen

Die kognitiven Anzeichen der Krankheit

Die psychischen und verhaltensbezogenen Anzeichen

  4 Diagnose und Entwicklung

Wie wird die Diagnose gestellt?

Krankheitsverlauf

  5 Andere Demenzformen

Andere degenerative Demenzerkrankungen

Nicht-degenerative Demenzen

  6 Diagnose der Alzheimer-Krankheit

Warum überhaupt eine Diagnose?

Die Mitteilung der Diagnose

Wen soll man aufsuchen?

  7 Die medikamentöse Behandlung

Spezifische Behandlungsverfahren

Die Behandlung der Verhaltenssymptome

Die Zukunft der medikamentösen Behandlung

Die Behandlung der anderen Demenzerkrankungen

  8 Nicht-medikamentöse Behandlungsverfahren

Kognitive Heilbehandlung und Rehabilitation

Die Rolle der verschiedenen Hilfspersonen

Lässt sich der Alzheimer-Krankheit vorbeugen?

  9 Leben im Alltag

Familienberatung

Welche Maßnahmen sollte man ergreifen?

Die Einrichtung der Wohnung

Wie soll man den Patienten beschäftigen?

Einige besondere Situationen

10 Sozialfürsorge und Betreuungsdienste

Sozialer, Verwaltungs- und gerichtlicher Beistand

Die Versorgung zu Hause

Die punktuelle medizinische Betreuung

Die Teilbetreuung

Die Dauerbetreuung

Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft

 

Anhang

Antworten auf Ihre Fragen

Nützliche Adressen und Hinweise

Glossar

Register

Der Herausgeber dankt Baptiste Thiébaud und Jérémie Wagner für ihre Unterstützung sowie Professor André Delacourte, Forschungsleiter beim INSERM 1 in Lille.

          

 1 Institut national de la santé et de la recherche médicale (Nationales Institut für Gesundheit und medizinische Forschung), A. d. Ü.

Vorwort

Die Alzheimer-Krankheit ist in wenigen Jahren zu einem medizinischen, gesellschaftlichen und menschlichen Problem tragischen Ausmaßes geworden. Es handelt sich um eine häufige, schwere und kostspielige Krankheit. In Deutschland leiden etwa 1,3 Millionen Menschen an ihr. Die fortschreitende Beeinträchtigung von geistigen und Verhaltensfunktionen führt bei anfälligen Patienten zu einem Zustand schwerer Abhängigkeit. Die Familien tragen die vollen Folgen des Autonomieverlusts und der Gebrechlichkeit der Patienten. Die Alzheimer-Krankheit ist sowohl im Hinblick auf die Gesellschaft als auch im Hinblick auf die Familien für steigende Kosten verantwortlich: Die jährlichen Ausgaben der Bundesrepublik Deutschland für Demenzkrankheiten belaufen sich auf etwa 9,4 Milliarden Euro, dennoch tragen die Familien 66 % der anfallenden Kosten für die Pflege eines Demenz-Patienten selbst.

Es bestehen noch immer viele Vorurteile, darunter die Verwechslung mit der „Senilität“. Tatsächlich ist die Alzheimer-Krankheit jedoch eine echte Krankheit, die sich deutlich vom natürlichen Alterungsprozess geistiger Funktionen unterscheidet. Auch wenn letzterer gewiss beschwerlich ist, bringt er doch keine größere Behinderung mit sich. Im Gegensatz dazu entsteht die Alzheimer-Krankheit durch spezifische Schädigungen des Gehirns, die dieses immer stärker beeinträchtigen; zu Beginn ist sie durch Gedächtnisstörungen charakterisiert, die mit der gewöhnlichen Vergesslichkeit, die mit dem Alter verknüpft ist, nicht zu vergleichen sind.

Auch andere neurologische Krankheiten beeinflussen die kognitiven und Verhaltensfunktionen. Sie sind zwar der Öffentlichkeit nicht immer bekannt, aber dennoch häufig (15 – 20 % der Fälle von Demenzerkrankungen), und führen mehr oder minder schnell zu einem Verlust der Autonomie unter Umständen, die sich manchmal von denen der Alzheimer-Krankheit unterscheiden. Es ist wichtig, diese beiden Krankheitsformen auseinander zu halten, denn die therapeutischen Ratschläge und Maßnahmen sind nicht dieselben. Am häufigsten sind frontotemporale Demenzerkrankungen und die Demenz mit Lewy-Körpern.

Die Häufigkeit der Alzheimer-Krankheit und verwandter Krankheiten hat die Ärzteschaft und die öffentliche Hand in Alarmbereitschaft versetzt, wobei sie in ihrer Tätigkeit durch die Deutsche Alzheimer Gesellschaft unterstützt werden. In den letzten Jahren waren die erzielten Fortschritte unbestreitbar: Es lässt sich schon frühzeitiger eine Diagnose stellen, die soziale Unterstützung zur Entlastung der Familien und zur Erleichterung der Betreuung zu Hause entwickelt sich, einige Behandlungsmethoden gestatten zwar nicht die Heilung der Patienten, aber verschaffen ihnen eine wichtige Atempause und eine annehmbarere Entwicklung der Krankheit. Weitere Hoffnungen werden sich vielleicht schon in naher Zukunft erfüllen: eine noch frühzeitigere Diagnose und Behandlungsmethoden, die auf die inneren Mechanismen der Krankheit einwirken. Unterdessen brauchen Patienten und Familien die Unterstützung der Gesellschaft, die die Pflicht hat, sich um ihre Ältesten zu kümmern, die diese Gesellschaft aufgebaut haben.

Dieses Buch gibt Hinweise und Ratschläge. Es ist die Frucht zahlreicher Begegnungen mit Patienten und ihren Familien in den letzten fünfundzwanzig Jahren. Ich bin ihnen dankbar für das, was sie mir gegeben haben. Möge dieses Buch ihnen ein bisschen helfen.

 

Bernard Croisile
Klinischer Neurologe Doktor der Neuropsychologie Beauftragter des Centre Mémoire de Ressources et de Recherche des Hospices Civiles in Lyon

1 Wie funktioniert das Gehirn?

NEURONEN UND INFORMATIONSÜBERTRAGUNG

Das Nervensystem besteht aus mehreren Dutzend Milliarden Zellen, die verschiedenen Funktionen zugrundeliegen. Bestimmte dieser Zellen, die Neuronen genannt werden, analysieren die eingegangenen Informationen, übertragen sie an andere Neuronen, speichern sie im Gedächtnis und leiten Reaktionen ein, die an die Situation oder an die Wünsche der Person angepasst sind. Die sensorischen Neuronen übertragen die sensorischen Informationen des Tast-, des Seh-, des Gehör-, des Geschmack- und des Geruchssinns an das Gehirn. Die motorischen Neuronen übertragen die vom Gehirn ausgegebenen Befehle an die Muskeln. Im Innern des Gehirns integrieren zahlreiche Systeme sensorische Informationen und entscheiden über die Motorik. Außerdem gibt es Netze von Neuronen, die mit sehr hoch entwickelten Funktionen befasst sind: Gedächtnis, Sprache, Konzentration, Organisation komplexer Bewegungen (Zeichnen, einen Krawattenknoten binden), hoch entwickelte Erkennung verschiedener Gegenstände (Gesichter, Töne …), Denken, Problemlösen, Stimmungen, Verhalten etc. Diese Netze entsprechen den kognitiven und Verhaltensfunktionen, die auf spezifische Weise von der Alzheimer-Krankheit betroffen sind, während die motorischen und sensorischen Neuronen von ihr verschont bleiben.

Jedes Neuron besteht aus einem Zellkörper und aus Fortsätzen, den so genannten Dendriten oder Axonen. Das Axon ist ein einzelner Fortsatz, der aus dem Zellkörper hervorgeht und mit den Dendriten anderer Neuronen verbunden ist. Die Verbindung zwischen den Fortsätzen findet an einer kleinen Verdickung statt, der sogenannten Synapse. Auf diese Weise sind die Neuronen miteinander durch Tausende synaptischer Verbindungen vereint. Die Regionen des Gehirns, in denen die Zellkörper konzentriert sind, stellen die graue Substanz dar und diejenigen, in denen sich die Axone befinden, machen die weiße Substanz aus.

Die Neuronen erzeugen, empfangen und übertragen ein elektrisches Signal, das so genannte Aktionspotential. Auf der Ebene der Synapsen geschieht die Informationsübertragung von einem Neuron zu einem anderen mittels der Freisetzung eines chemischen Moleküls, dem so genannten Neurotransmitter. Mehr als 100 Neurotransmitter wurden im Gehirn identifiziert. Im Hinblick auf die Gedächtnissysteme sind die am häufigsten verwendeten Neurotransmitter Glutamat, GABA und vor allem Azetylcholin, das insbesondere bei der Alzheimer-Krankheit fehlt.

DIE ORGANISATION DES GEHIRNS: EMPFINDUNGEN UND HANDLUNGEN

Die Hemisphären

Das Gehirn ist in zwei Gehirnhemisphären unterteilt, eine rechte und eine linke. Jede Hemisphäre empfängt Tastempfindungen und steuert die Bewegungen der gegenüberliegenden Körperhälfte. Außerdem spielt jede eine Rolle bei bestimmten, sehr spezialisierten Verhaltensweisen: Die linke Hemisphäre ist zum Beispiel ausschlaggebend für die Sprache, während die rechte Hemisphäre bei der Analyse des Raumes stärker zum Einsatz kommt. Die Hirnrinde entspricht einer dünnen Schicht grauer Substanz auf der Oberfläche des Gehirns. In der Tiefe der Hemisphären befinden sich auch Gruppen von Neuronenzellkörpern, die graue Kerne genannt werden. Die graue Substanz ist der Ort, an dem elementare sensorische Prozesse (Sehen, Hören, Tasten, Schmecken, Riechen) und motorische (sich bewegen) gesteuert werden, sowie höher entwickelte geistige Prozesse, die sogenannten kognitiven Funktionen (wiedererkennen, sich erinnern, denken, schöpferisch tätig sein, sprechen …).

Die Gehirnlappen

Die Oberfläche jeder Gehirnhemisphäre ist von zahlreichen Windungen ausgebeult, die durch Furchen voneinander getrennt sind (Abb. 1). Die Windungen gruppieren sich in fünf Hauptregionen oder Lappen: Okzipital-, Parietal-, Temporal-, Frontallappen und die Insula. Die Okzipital-, Parietal- und Temporallappen bilden den hinteren Teil der Gehirnhemisphären. Jeder dieser drei Lappen ist auf eine oder mehrere sensorische Funktionen spezialisiert: der Okzipitallappen auf das Sehen, der Parietallappen auf das Tasten und schließlich der Temporallappen auf das Hören, Schmecken und Riechen. Der linke Temporallappen spielt eine wichtige Rolle bei der Sprache. Der linke Parietallappen spielt eine bedeutende Rolle beim Schreiben und der Organisation von Bewegungen. Der rechte Parietallappen ist für die Bewegung im Raum wichtig.

Abbildung 1: Organisation des Gehirns

Natürlich gestatten Verbindungen zwischen diesen verschiedenen Lappen den Austausch, den Vergleich und die Modifikation ihrer jeweiligen Informationen. Im vorderen Teil der Gehirnhemisphären befasst sich der Frontallappen, der 40 % des gesamten Gehirns ausmacht, mit allen möglichen Formen des Handelns. Tatsächlich sind diese Frontalregionen Gebiete, die besonders auf hoch entwickelte Verhaltensweisen ausgerichtet sind: Sie steuern die Persönlichkeit, den Charakter, die Kreativität und die hoch entwickelten kognitiven Operationen wie zum Beispiel Planung, Strategie, Organisation und Antizipation. In jedem Temporallappen befindet sich ein Gebiet, das Hippocampus genannt wird und dem Input des Gedächtnisschaltkreises für neue Informationen entspricht. Bei fortschreitender Alzheimer-Krankheit sind die Hippocampi zuerst betroffen. Anschließend breitet sich die Krankheit in andere kognitive und verhaltensbezogene Regionen des Gehirns aus.

2 Die Alzheimer-Krankheit verstehen

WAS IST DEMENZ?

Der Ausdruck „Demenz“ hat zwar unglücklicherweise die Nebenbedeutung von „Wahnsinn“, doch wird dieser medizinische Begriff verwendet, um bei einer erwachsenen Person die Gesamtheit neurologischer Krankheiten zu bezeichnen, durch deren Schädigungen sich die verschiedenen Gehirnregionen, die am Verhalten, der Persönlichkeit und den kognitiven Funktionen (Gedächtnis, Sprache, Aufmerksamkeit, Denken …) beteiligt sind, allmählich verändern. Selbst wenn sie mit steigendem Alter zunehmen, sind die Demenzkrankheiten kein unabwendbares Schicksal des Alterungsprozesses, sondern echte Krankheiten, die auf Schädigungen des Gehirns zurückgehen. Diese Veränderungen wirken sich zunehmend auf das berufliche, gesellschaftliche und familiäre Leben des Patienten aus. Der Begriff „Demenz“ ist mehrdeutig, weil er sowohl das klinische Stadium des Autonomieverlusts als auch die Gruppe neurologischer Krankheiten bezeichnet, die diesen Autonomieverlust in ihrem Endstadium beinhaltet (Abb. 2). Eine Demenz ist also durch die Veränderung mehrerer kognitiver oder verhaltensbezogener Funktionen charakterisiert, die sich wenigstens sechs Monate lang immer deutlicher entwickelt: Gedächtnis, Sprache, Aufmerksamkeit, Rechnen, Gesten, Wiedererkennen, Urteil, schlussfolgerndes Denken, abstraktes Denken, Ideenbildung, Stimmung, Persönlichkeit.

Abbildung 2: Eine Demenz ergibt sich aus der Verringerung und schließlich aus dem Verlust der Autonomie eines Patienten infolge der fortschreitenden Veränderung seiner kognitiven Funktionen und des Auftretens von Verhaltensstörungen.

Diese Defizite sind weder an eine Verwirrung noch an eine Beeinträchtigung im psychiatrischen Sinne gebunden. Der Einfluss der geistigen und verhaltensbezogenen Veränderungen genügt, um die Aktivität des Patienten im Vergleich mit seiner vorherigen Aktivität einzuschränken und seine Tätigkeiten im Alltagsleben erheblich zu behindern. Diese Verringerung der Autonomie führt immer mehr zu einem Zustand der vollkommenen und irreversiblen Abhängigkeit von seiner Umgebung.

Demenzsyndrome

Entsprechend der Natur und der Lage der Gehirnschädigungen gibt es vielerlei Ursachen für Demenzerkrankungen. Es gibt also nicht „eine“ Demenz, sondern „mehrere“ Demenzsyndrome. Man unterscheidet zwei große Typen von Demenzerkrankungen, die degenerativen Demenzen und die nicht-degenerativen Demenzen. Die degenerativen Demenzen sind am häufigsten (90 % aller Demenzerkrankungen), sie ergeben sich aus dem fortschreitenden und irreversiblen Verlust von Neuronen infolge ihrer Degeneration. Die bekannteste degenerative Demenzerkrankung ist die Alzheimer-Krankheit. Die nicht-degenerativen Demenzen sind seltener und gehen auf vaskuläre, infektiöse, entzündliche Prozesse und auf Alkoholmissbrauch und Mangelernährung zurück.

Auch wenn häufig die Gedächtnisstörungen der Alzheimer-Krankheit hervorgehoben werden, muss man doch wissen, dass das Gedächtnis bei anderen Demenzerkrankungen manchmal verhältnismäßig intakt ist.

Die Demenzerkrankungen stellen eine demographische, medizinische und gesellschaftliche Herausforderung dar. Sie bilden die wichtigste Ursache für eine schwere Abhängigkeit alter Menschen: Sie sind der häufigste Grund für die Verlegung in ein Pflegeheim [siehe S. 144f.], 57 % der in Pflegeheimen lebenden Menschen sind dement, und schließlich haben 30 % aller Personen, die häusliche Pflegeleistungen beantragt haben [siehe S. 165], dies aufgrund einer Demenzerkrankung getan.

DIE DEFINITION DER ALZHEIMERKRANKHEIT

Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Demenzerkrankung. Sie ist eine degenerative Erkrankung des Gehirns, bei der die Veränderung und das Verschwinden von Neuronen zunehmend die Gesamtheit der Gehirnregionen betreffen, die an geistigen und verhaltensbezogenen Funktionen beteiligt sind. Die ersten betroffenen Regionen sind diejenigen, die für das Behalten neuer Informationen zuständig sind, was erklärt, warum die Krankheit mit Klagen über Gedächtnisausfälle und mit Gedächtnisstörungen beginnt. Die Ausweitung der Gehirnschädigungen bringt weitere Störungen zum Vorschein, die die Autonomie des Patienten immer stärker behindern.

Senile und präsenile Demenz

Die Alzheimer-Krankheit hat nichts mit Senilität zu tun, sondern es handelt sich um eine echte Krankheit. Unglücklicherweise wird der Begriff der senilen Demenz immer noch in der medizinischen, juristischen oder Verwaltungsterminologie verwendet, obwohl die Wissenschaftler ihn seit etwa 25 Jahren aufgegeben haben!

Lange Zeit bezeichnete man die Alzheimer-Krankheit mit „präsenile Demenz“ und begrenzte sie auf Patienten unter 65 Jahren, während der Begriff „senile Demenz“ den Demenzerkrankungen vorbehalten war, die nach dem Alter von 65 Jahren auftreten. In den 1980er Jahren stellte man jedoch fest, dass die Patienten, die von der „senilen Alzheimer-Krankheit“ betroffen waren, dieselben Symptome und dieselben Gehirnschädigungen wie diejenigen mit „präseniler Demenz“ aufwiesen. Es hatte keinen Sinn mehr, diese beiden Erkrankungen zu trennen, die folglich unter dem einheitlichen Begriff der Alzheimer-Krankheit vereint wurden.

Eine echte Krankheit

Diese folgerichtige Entscheidung, dieselbe Bezeichnung „Alzheimer-Krankheit“ zu verwenden, was auch immer das Alter des Patienten sei, hatte die Erhöhung der Anzahl von Fällen zur unmittelbaren Folge, da die senilen Demenzerkrankungen nach 65 zehn Mal häufiger sind als die Alzheimer-Krankheit vor 65.

Während die senile Demenz der Altersschwäche zugeordnet wurde, hat die Tatsache, sie mit der Alzheimer-Krankheit zu vereinigen, außerdem die negative Sicht des Lebensendes beseitigt, indem den alten Menschen, die von einer echten Krankheit betroffen sind, ihre Würde zurückgegeben wurde. Im Übrigen sollte man betonen, dass die Alzheimer-Krankheit nicht die Folge einer Beschleunigung der Alterung des Gehirns ist: Sie ist eine echte Krankheit, deren wichtigster Risikofaktor nicht im Alterungsprozess (im Abbau von Gehirnstrukturen), sondern im Alter (im Zustand der chronologischen Fortgeschrittenheit) besteht. Für Ärzte und Forscher ist es durchaus möglich, die Alzheimer-Krankheit vom natürlichen Alterungsprozess der geistigen Funktionen zu unterscheiden.

Häufig, schwer und kostspielig

Die Alzheimer-Krankheit ist eine häufige Krankheit, die mit der Verlängerung der Lebensdauer zunimmt. Diese schwere und tödliche Krankheit hat schwerwiegende Folgen für die Umgebung des Patienten, der gezwungen ist, die Betreuung des zunehmenden Autonomieverlusts übernehmen zu lassen.

Sie ist eine kostspielige Krankheit, die einen bedeutenden medizinischen, familiären und gesellschaftlichen Aufwand erfordert. Die jährlichen, mit Demenzerkrankungen verbundenen Ausgaben belaufen sich auf etwa 9,4 Milliarden Euro, dennoch tragen die Familien 66 % der anfallenden Kosten für die Pflege eines Demenz-Patienten selbst.

Schließlich ist sie eine Krankheit, die oft nicht erkannt wird und medizinisch unterversorgt ist, vor allem bei einem Alter von mehr als 85 Jahren, wo sie als Senilität etikettiert wird, aber auch in den Anfangsstadien, in denen nur einer von drei Patienten identifiziert wird. Während es sich um eine Erkrankung handelt, auf die man mit passenden Maßnahmen einwirken kann, führt die Alzheimer-Krankheit insgesamt zu einer wesentlichen Ungleichheit im Zugang zu elementaren Betreuungsangeboten, ob es sich nun um die Anwendung spezifischer Therapien handelt, über die wir gegenwärtig verfügen, um unverzichtbare soziale Unterstützungsmaßnahmen oder um die passende Betreuung von Begleitpathologien, die die Entwicklung der Krankheit verschlechtern.

EIN PAAR ZAHLEN

Die Demenzerkrankungen und darunter die Alzheimer-Krankheit sind sehr häufige Krankheiten, deren Zunahme zu einem großen Teil mit der Verlängerung der Lebenserwartung der Bevölkerung verknüpft ist. Man nimmt an, dass die Mehrheit von Personen mit Demenzerkrankungen länger als 65 – 70 Jahre lebt. Das Statistische Bundesamt schätzt die Zahl der Patienten in Deutschland, die älter als 65 Jahre alt und von einer Demenz betroffen sind, auf 1,2 Millionen. Von den Erkrankten sind 70 % Frauen, 68 % älter als 80 Jahre. Zu diesen 1,2 Millionen muss man die 20.000 Fälle von Demenzerkrankungen hinzuzählen, die vor dem Alter von 65 Jahren auftreten.

Zum Vergleich sind 120000 Patienten in Deutschland von multipler Sklerose betroffen und weitere 100000 von der Parkinson’schen Krankheit. Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft hatte 2010 1 % der 60-Jährigen eine Alzheimer-Krankheit oder eine Demenzerkrankung, wobei die Rate danach ansteigt, bis sie 33 % bei den Personen erreicht, die älter als 90 Jahre sind. Man veranschlagt die jährliche Zahl aller neuen Demenzerkrankungen in Deutschland auf fast 300.000. Die Bevölkerungsvorausschätzungen deuten darauf hin, dass es 2020 in Deutschland 1,5 Millionen Fälle von Demenzerkrankungen geben wird; für 2040 liegt die Schätzung bei 2,2 Millionen.

DER ALTERUNGSPROZESS DER BEVÖLKERUNG

1975 betrug die Lebenserwartung für Männer 69 und für Frauen 77 Jahre. 2007 lag die Lebenserwartung von Männern bei 77 und die von Frauen bei 84 Jahren. 2050 ist es möglich, dass die Lebenserwartung von Männern 82 und die von Frauen 91 Jahre beträgt.

Im Jahr 2000 waren 23,6 % der deutschen Bevölkerung älter als 60 Jahre, 2005 waren es 25 % und 2010 liegt die Zahl wahrscheinlich bei über 26 %.

Insgesamt gibt es etwa 25 Millionen Patienten auf der Welt, die an einer Demenzerkrankung leiden.

Zwischen 2007 und 2050 wird sich in Deutschland die Zahl Demenzkranker von ca. 1,1 auf 2,2 Mio. verdoppeln, wobei der Anteil an der Gesamtbevölkerung von 1,3 auf 3,2 % steigen wird, da diese auf ca. 69 Mio. geschrumpft sein dürfte.

Im Zentrum der Demenzerkrankungen ist die Alzheimer-Krankheit ab einem Alter von 75 Jahren am häufigsten: Im Alter von 65 – 69 Jahren macht sie nur etwa 25 % der Demenzerkrankungen aus, während im Alter von 90 – 94 Jahren 86 % der Demenz der Patienten auf die Alzheimer-Krankheit zurückzuführen ist. Ein junger Mensch, der von einer Demenzerkrankung betroffen ist, hat also tatsächlich seltener die Alzheimer-Krankheit als ein älterer.

Die Alzheimer-Krankheit beschränkt sich nicht auf die reichen Länder. Die Entwicklungsländer sind ebenfalls mit dem wachsenden Problem von Demenzerkrankungen konfrontiert. So zählt Indien 2,5 Millionen Fälle von Demenz und China 5 Millionen. Der Alterungsprozess und seine medizinisch-sozialen Folgen gehören zu den Prioritäten des 10. Fünfjahresplans Chinas.

SCHÄDIGUNGEN DES GEHIRNS

Die Alzheimer-Krankheit ist eine Folge von Anomalien bestimmter Proteine im Gehirn. Wie Dr. Alois Alzheimer 1906 bei seiner ersten Patientin beschrieben hatte, kann man bei der Untersuchung des Gehirns eines verstorbenen Patienten mit dem Mikroskop zwei Arten von spezifischen Schädigungen der Gehirnrinde erkennen.

Zwischen den Neuronen sitzen senile Plaques (oder amyloide Plaques), die aus Ablagerungen von Beta-Amyloid-Protein bestehen und von Neuronentrümmern umgeben sind. Diese amyloide Substanz ist für die Neuronen giftig. Die zweite Art von Schädigung besteht in einer Degeneration der Nervenfasern: Die betroffenen Neuronen werden von anomalen Mengen verdrillter Fibrillen befallen, deren Hauptbestandteil ein hyperphosphoryliertes Tau-Protein ist. Diese Anomalie verändert die Funktion und die Architektur der Neuronen genauso wie Stahlträger schlechter Qualität zum Zusammenbruch eines Lagerschuppens oder zur schlechten Funktion einer Eisenbahnstrecke führen.

Das Gedächtnis

Die senilen Plaques und die degenerierten Nervenfasern befinden sich vor allem in den Gehirnregionen, die für die Gedächtnisspeicherung zuständig sind (Hippocampi), was dazu führt, dass das erste Symptom der Alzheimer-Krankheit ein schnelles Vergessen von Informationen aus jüngerer Zeit ist. Anschließend verbreiten sie sich zunehmend im Gehirn, und zwar vor allem in denjenigen Regionen, die geistige Leistungen und das Verhalten steuern. Diese Schädigungen werden außerdem von der Reduktion des Neurotransmitters Azetylcholin begleitet. Dieses chemische Molekül spielt eine wichtige Rolle bei der Kommunikation zwischen den Gedächtnisneuronen. Die Feststellung dieses Mangels stand am Ursprung der Erfindung der ersten Behandlungsmethoden der Krankheit.

Andere Demenzerkrankungen

Manchmal geschieht es, dass die senilen Plaques und die degenerierten Nervenfasern beginnen, sich in anderen Regionen als denen festzusetzen, die für das Gedächtnis zuständig sind, was dazu führt, dass bestimmte nicht-amnestische Demenzerkrankungen durch denselben Mechanismus verursacht werden wie die amnestische Alzheimer-Krankheit. Am häufigsten sind die mit der Alzheimer-Krankheit verwandten Krankheiten die Folge anderer Arten von Schädigungen des Gehirns.

DIE VERSCHIEDENEN FORMEN DER ALZHEIMER-KRANKHEIT

Die familiären Formen

Die erblichen Formen der Alzheimer-Krankheit sind in Deutschland sehr selten und für weniger als 5 % der Fälle verantwortlich. Es handelt sich um eine autosomal-dominante Erblichkeit, das heißt, dass 50 % der Familienmitglieder Träger einer Mutation eines Gens sind, das sich auf den Chromosomen 21, 14 oder 1 befindet.

Alle diejenigen, die Träger der Mutation sind, entwickeln unweigerlich die Krankheit und geben sie an die Hälfte ihrer Nachkommen weiter. Diejenigen, die die Mutation nicht besitzen, erkranken nicht und geben die Krankheit auch nicht an ihre Kinder weiter.