LYSIAS
Zuerst zweisprachig (in zwei Bänden) erschienen in der Reihe
EDITION ANTIKE
Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen
und Martin Hose
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ISBN 978-3-534-26170-3
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-534-26232-8
eBook (epub): 978-3-534-26233-5
Vorwort
Einleitung
I |
Verteidigungsrede im Mordfall Eratosthenes |
II |
Grabrede für die im Korinthischen Krieg gefallenen Athener |
III |
Verteidigungsrede gegen Simon |
IV |
Verteidigungsrede wegen vorsätzlicher Körperverletzung – Kläger und Beklagter unbekannt |
V |
Verteidigungsrede für Kallias wegen Raubes im Tempel |
VI |
Rede gegen Andokides wegen Religionsfrevels |
VII |
Verteidigungsrede vor dem Areopag wegen Beseitigung eines Ölbaumstumpfes |
VIII |
Anklagerede gegen die Mitglieder einer Vereinigung wegen Verleumdung |
IX |
Rede für den Soldaten |
X |
Erste Anklagerede gegen Theomnestos |
XI |
Zweite Anklagerede gegen Theomnestos |
XII |
Anklagerede gegen Eratosthenes, der Mitglied der Dreißig war – von Lysias selbst gehalten |
XIII |
Rede gegen den Denunzianten Agoratos |
XIV |
Rede gegen Alkibiades wegen Verlassens der Schlachtordnung |
XV |
Rede gegen Alkibiades wegen Verweigerung des Militärdienstes |
XVI |
Verteidigungsrede des Mantitheos bei seiner Überprüfung vor dem Rat |
XVII |
Rede gegen die Finanzbehörde wegen des Vermögens des Eraton |
XVIII |
Schlusswort im Prozess über die Beschlagnahme des Vermögens vom Bruder des Nikias |
XIX |
Rede gegen den Fiskus über das Vermögen des Aristophanes |
XX |
Rede für Polystratos |
XXI |
Verteidigungsrede in einer nicht genauer zu bezeichnenden Anklage wegen Bestechlichkeit |
XXII |
Rede gegen die Getreidehändler |
XXIII |
Rede gegen Pankleon, um zu zeigen, dass er kein Plataier war |
XXIV |
Rede über die Verweigerung der Rente für einen Invaliden |
XXV |
Verteidigungsrede [gegen die Anklage auf Sturz der Demokratie] |
XXVI |
Rede gegen Euandros bei dessen Überprüfung vor Amtsantritt |
XXVII |
Rede gegen Epikrates [und gegen dessen Mitgesandte. Schlusswort nach Theodoros] |
XXVIII |
Schlusswort der Rede gegen Ergokles |
XXIX |
Schlusswort der Rede gegen Philokrates |
XXX |
Rede gegen Nikomachos [den Staatsschreiber – Anklage im Rechenschaftsverfahren] |
XXXI |
Rede gegen Philon bei dessen Überprüfung vor Amtsantritt |
XXXII |
Rede gegen Diogeiton |
XXXIII |
Olympische Rede |
XXXIV |
Rede gegen die beabsichtigte Auflösung der von den Vätern überlieferten Verfassung Athens |
XXXV |
Rede über die Liebe |
Anmerkungen
Bibliographie
Register
Historische Personen
Götter, Heroen, Feste, Sitten, Kalender
Orte, historische Ereignisse
Juristische, politische und wirtschaftliche Begriffe
Das Werk des attischen Redners Lysias blieb, abgesehen von einigen übersetzten Paradestücken, seit Generationen dem Leser vorbehalten, der den Originaltext zu lesen vermochte. Eine deutsche Übersetzung des Gesamtwerks durch Ferdinand Baur, erschienen in der Metzler’schen Buchhandlung, stammt aus dem Jahr 1868. Eine griechisch-deutsche Ausgabe aller Reden gab es erstmals 2004–2005 durch die WBG in der „Edition Antike“. Auf dieser Übersetzung beruht die vorliegende einbändige Ausgabe. Die Texte wurden mit nur kleinen Änderungen übernommen.
Die geringe Beachtung des Lysias in der Vergangenheit erstaunt umso mehr, als die Reden des Lysias mehr von der Lebenswirklichkeit im Athen des ausgehenden 5. Jahrhunderts v. Chr. vermitteln als viele der anderen antiken Texte. Die Reden geben Einblick in die schwierigen politischen Verhältnisse am Ende des Peloponnesischen Krieges und handeln von dem Unrecht, das weiten Kreisen der Bevölkerung während des Krieges zugefügt worden war; sie berichten aber auch von der häuslichen und gesellschaftlichen Situation des attischen Bürgers und umfassen Schilderungen aus allen Ständen der Athener Bevölkerung. Mord am Liebhaber einer Ehefrau, Raufereien wegen einer Dirne, veruntreute Mündelgelder, eine stornierte Invalidenrente, angebliche oder tatsächliche Religionsfrevel, üble Verleumdungen, nicht zurückbezahlte Darlehen: All dies sind Themen einzelner Reden. Die Anschuldigungen eines Klägers, die Reaktionen eines Angeklagten lassen erkennen, wie der Betroffene mit den Mitteln der Übertreibung oder des Herunterspielens versuchte, die Richter zu seinen Gunsten zu beeinflussen.
Die Sprache des Lysias ist einfach, klar und in hohem Maße dem jeweiligen Gegenstand angepasst. Dass die Reden für den mündlichen Vortrag konzipiert waren, erkennt man an zahlreichen Füllwörtern und gelegentlichen Redundanzen. In der Übersetzung wurde versucht, die Sprechweise beizubehalten, die Lysias seinem einzelnen Auftraggeber zugemessen hatte, etwas von dessen Temperament, sozialer Stellung oder Betroffenheit zu vermitteln.
Ich danke meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Hans-Jürgen Horn, der meine Übersetzung mit großer Anteilnahme und förderlichem Rat verfolgt hat. Ihm sei diese Neuübersetzung gewidmet.
April 2013
Ingeborg Huber
Über das Leben des Lysias sind wir nur in groben Zügen unterrichtet. Die bedeutendsten antiken Quellen sind für uns die XII. Lysias-Rede, die er in eigener Sache hielt, eine unter dem Namen des Plutarch erschienene Biographie des attischen Redners (Vitae dec. oratorum) und die Schrift Lysias des Dionysios von Halikarnassos. Auch das Fragment einer Rede „Gegen Hippotherses“ (Papyri Oxyrh. XIII No.1606) liefert einige biographische Angaben.
Lysias entstammte einer Familie von Metöken in Athen. Diese „Mitbewohner“, eingewanderte Fremde, hatten in Athen Wohnrecht, aber keine vollen Bürgerrechte. Sie mussten eine Kopfsteuer zahlen und finanzielle Leistungen bei kultischen Feiern erbringen, außerdem wurden sie zum Kriegsdienst herangezogen. Der Erwerb von Grundbesitz war ihnen versagt. Dementsprechend verlegten sie sich oft auf Handel und Handwerk und erwarben dadurch teilweise beträchtliches Vermögen. So hatte es der Vater des Lysias, Kephalos, der zwischen 475 und 465 v. Chr. aus Syrakus eingewandert war, zu Wohlstand gebracht. Er wird in Platons Staat (328 bff.) als würdevoller und verehrter Greis geschildert.
Das Geburtsdatum des Lysias lässt sich nur indirekt erschließen, es lag in der Zeit um 450 v. Chr.1 In jugendlichem Alter wanderte er, womöglich nach dem Tode seines Vaters, mit seinem älteren Bruder Polemarchos in die unteritalische Kolonie Thurioi aus. Nach der antiken Überlieferung erwarb er dort die Grundlagen seiner rhetorischen Ausbildung. Um 412/411 v. Chr. kehrten die Brüder nach Athen zurück, da in Thurioi eine gegenüber Athenern feindliche Stimmung entstanden war. Lysias betrieb mit seinen Brüdern Polemarchos und Euthydemos eine einträgliche große Werkstatt zur Herstellung von Schilden. Es scheint, dass den Brüdern die Isotelie verliehen wurde. Dieses Privileg bedeutete eine rechtliche Besserstellung der Metöken und ermöglichte beispielsweise, Grundbesitz in Athen zu erwerben oder als Ankläger vor Gericht aufzutreten. Das volle Bürgerrecht erhielt Lysias jedoch nie. Von einem öffentlichem Auftreten des Lysias in dieser Zeit ist nichts bekannt, doch scheint er seine Fähigkeiten als Redner und Redenschreiber (Logograph) weiter ausgebaut zu haben.
Im Jahr 404 v. Chr. gerieten Lysias und sein Bruder Polemarchos in die Wirren der Athener Politik. Als in diesem Jahr der Peloponnesische Krieg mit der völligen militärischen Niederlage Athens endete und die Stadt auch wirtschaftlich am Boden lag, gelang es einer Gruppe von Oligarchen, die politische Macht an sich zu reißen. Diese Dreißig genannte Gruppe errichtete in kürzester Zeit eine Schreckensherrschaft in der Stadt. Zur Opposition neigende oder unbequem erscheinende Bewohner wurden von bestellten Denunzianten angeklagt und dann getötet oder ins Exil getrieben; mehr als 1500 athenische Bürger wurden hingerichtet. Im Rahmen einer Strafaktion gegen reiche Metöken wurde das Vermögen der Lysias-Familie konfisziert. Lysias selbst konnte nach Megara fliehen, sein Bruder Polemarchos wurde umgebracht.
Von Megara aus unterstützte Lysias die Rückkehr der Demokraten mit Geld und Waffen und nahm auch selbst vom Piräus aus an der Befreiung Athens teil. Die Übernahme politischer Ämter blieb ihm, dem Metöken, jedoch versagt. Die Verleihung des attischen Bürgerrechts, die als Dank für seine Unterstützung beantragt worden war, scheiterte an einem Formfehler. Vom Jahr 403 v. Chr. bis zu seinem Tode nach 380 v. Chr. lebte Lysias als Verfasser von Anklage- und Verteidigungsreden und als Rhetor in der Stadt. Möglicherweise musste er sich nach dem Verlust des großen Familienvermögens dadurch seinen Lebensunterhalt verdienen. Alle erhaltenen und sicher datierbaren Reden stammen aus dieser Zeit.
Das Strafrecht Athens erlaubte jedem Kläger oder Beklagten, sich eine Rede von einem Fachmann verfassen zu lassen, wenn er sich dazu nicht selbst für befähigt hielt. Diese Rede musste dann allerdings vom Auftraggeber vor Gericht mündlich vorgetragen werden. An den Gerichtsreden des Lysias wurde bereits in der Antike lobend hervorgehoben, dass sie sich durch besonderes Einfühlungsvermögen des Verfassers auszeichnen. Beweisführung und Sprachduktus der jeweiligen Rede sind in hervorragender Weise der Lebenslage, dem Bildungsstand und dem Charakter des Auftraggebers angepasst. Man schätzte den schlichten Stil des Logographen Lysias, die Natürlichkeit seines Ausdrucks und die Deutlichkeit seiner Darstellungen, die zumeist ohne pathetische Redewendungen auskommen.
Wie sehr Lysias als Redenschreiber geschätzt wurde, lässt sich daraus ersehen, dass in der Antike unter seinem Namen 425 Reden umliefen, während bereits die antike Literaturkritik nur etwa 230 Reden als echt anerkannte. Von mehr als 170 Reden sind uns Titel und teilweise auch Fragmente überliefert. Im modernen Corpus Lysiacum werden nur 35 mehr oder weniger vollständige Reden erfasst, und auch von diesen werden noch einige in ihrer Authentizität angezweifelt. Die meisten dieser 35 Reden sind Gerichtsreden. Sie geben uns, über den jeweiligen Gegenstand des Prozesses hinaus, unmittelbaren Einblick in die politische Geschichte und die wirtschaftlichen Verhältnisse der damaligen Zeit. Daneben spiegeln viele dieser Reden die bunte Lebenswirklichkeit in Athen wider. Bei Rede II handelt es sich um eine offizielle Grabrede für die Athener Gefallenen (Epitaphios Logos). Rede XXXIII ist das Fragment einer agitatorischen Rede bei der olympischen Festversammlung, Rede XXXIV Teil einer beratenden politischen Rede. Einen Text erotischen Inhalts zitiert Platon als von Lysias stammend im Phaidros (230 e–234 c), er erscheint im Gesamtwerk des Lysias als Rede XXXV.
Im Verlauf des Peloponnesischen Krieges (431–404 v. Chr.)2 zeichnete sich das Ende der attischen Demokratie bereits nach dem unrühmlichen Ausgang der Sizilischen Expedition ab, als die athenische Flotte vor Syrakus vernichtet und 413 v. Chr. das Heer Athens geschlagen wurde. Umstürzlerische geheime Klubs und Gesellschaften, die bereits vorher agitiert hatten, wagten sich nun an die Öffentlichkeit. Sie erhielten regen Zulauf von kriegsmüden Bürgern, die, erbittert wegen fortwährender hoher Leistungen für den Staat, wegen teilweise schlechter Staatsführung und durch das ausufernde Denunziantentum, sich von einer veränderten Regierungsform eine Verbesserung ihrer Lage erhofften.
So wurde 412 v. Chr. eine Behörde der Probouleuten eingesetzt, die aus älteren, erfahrenen Männern bestand und beratende Funktion hatte. Mit deren Hilfe wurde 411 v. Chr. eine förmliche Oligarchie von vierhundert Männern etabliert. Dieser Rat der Vierhundert trat an die Stelle des früheren Rats der Fünfhundert. Die Rechte in der Volksversammlung sollten an fünftausend wohlhabende Bürger übergehen. Die Vierhundert regierten jedoch nur etwa vier Monate; der Widerstand der vor Samos stationierten Flotte, die demokratisch gesinnt war, und Zwistigkeiten unter den Oligarchen beendeten ihre Herrschaft. Die meisten der Oligarchen flohen aus Athen. Es folgte eine Zeit, in der die Demokratie zwar formal wiederhergestellt war, die innenpolitische Lage Athens jedoch wegen der fortgesetzten Machtkämpfe der führenden Politiker labil blieb.
Diese Machtkämpfe kulminierten 406 v. Chr. im Arginusen-Prozess, in dem die verantwortlichen Feldherrn – trotz ihres Sieges – wegen unterlassener Bergung der schiffbrüchigen Seeleute zum Tode verurteilt wurden. Ein Überraschungsangriff des spartanischen Admirals Lysander 405 v. Chr. bei Aigospotamoi vernichtete den Rest der athenischen Flotte. Im Frühjahr 404 v. Chr. kapitulierte das ausgehungerte Athen nach der Belagerung durch die Flotte Spartas. Athens Mauern wurden geschleift, die letzten Kriegsschiffe mussten ausgeliefert, auswärtige Besitzungen geräumt werden.
Unter dem Druck Spartas wurde eine Kommission von dreißig Bürgern eingesetzt, von denen die meisten dem ehemaligen Rat der Vierhundert angehört hatten. Wortführer dieser Dreißig waren Theramenes und Kritias, der Oheim Platons. Anstatt jedoch eine Verfassung auszuarbeiten, errichteten die Dreißig, gestützt durch die Spartaner, eine Schreckensherrschaft.
Die Wende kam von einer kleinen Schar athenischer Verbannter und Emigranten unter der Führung von Thrasybul. Sie besetzten im Handstreich die Grenzfestung Phyle, nahmen anschließend Munichia, den befestigten Hügel im Piräus, ein und konnten so den Hafen kontrollieren. Es kam zu Straßenkämpfen zwischen der Partei im Piräus und der aus der Stadt, die Herrschaft der Dreißig brach zusammen. Die meisten von ihnen flohen nach Eleusis, wo sie vorher auch schon ihre Schreckensherrschaft eingerichtet hatten.
In Athen wurde ein Zehnmännerkollegium gemäßigter Richtung eingesetzt. Da diese Zehn jedoch die Erwartungen der Bürger enttäuschten, kam es zu erneuten Auseinandersetzungen. Die Zehn wurden abgesetzt, und man wählte andere zehn Männer, die einen Ausgleich zwischen der Partei im Piräus und der in der Stadt Athen zustande brachten. Es wurde eine allgemeine Amnestie erlassen, von der nur die Dreißig selbst und ihre Helfershelfer ausgenommen waren. Andere Beamte konnten von der Amnestie profitieren, wenn sie sich einem Rechenschaftsverfahren unterzogen.
Im September 403 v. Chr. zogen die Demokraten vom Piräus in die Stadt ein. Der Rat der Fünfhundert trat wieder in Funktion.
Das übliche Gerichtsverfahren, wie es sich um die Zeit von ca. 400 v. Chr. darstellt, steht am Ende einer langen Entwicklung in der Behandlung von Recht und Gesetz.
In der Frühzeit der griechischen Geschichte hatte der Vorstand einer Familie nahezu unbeschränkte Verfügungsgewalt über Leib und Leben seiner Familien- und Hausangehörigen. Vergehen gegen Person und Eigentum des Einzelnen blieben der privaten Rache überlassen, nur für strittige Fragen, die das Allgemeinwohl betrafen, bestanden Schiedsgerichte. Erst im Laufe der Zeit wurden die Gesetze festgeschrieben (Drakon, Solon, Kleisthenes) und die Einhaltung der Gesetze wurde von staatlichen Funktionsträgern mit genau abgestimmten Kompetenzen überwacht.
Die Organisation des attischen Gerichtswesens ist mit dem der Neuzeit nicht vergleichbar, weil man keine Gewaltenteilung im modernen Sinn kannte. Das Gesetzbuch der Athener war nach den jeweiligen Behörden des Stadtstaates geordnet. Die obersten Beamten einer Behörde (Archonten), die jeweils für die Dauer eines Jahres die politische Führung besorgten, trugen auch die Verantwortung für die Beachtung der Gesetze, die Jurisdiktion der Gesetzesübertreter und die Überwachung des Prozessablaufs. Sie waren aber keine Richter, sondern nur Vorsitzende des jeweiligen Gremiums. Sie hatten jeweils zwei Beisitzer, die sie selbst bestimmen und von denen sie sich auch vertreten lassen konnten. Recht gesprochen wurde von Laienrichtern (Heliasten), die in etwa den heutigen Geschworenen entsprechen. Als Heliast zugelassen war jeder attische Bürger, der das 30. Lebensjahr vollendet hatte und im Besitz seiner bürgerlichen Ehrenrechte war. Frauen waren ausgeschlossen. Besondere Kenntnisse waren nicht verlangt; eine juristische Ausbildung war unbekannt. Auch eine staatliche Anklagebehörde, der modernen Staatsanwaltschaft entsprechend, gab es nicht; eine Klage musste stets von einer Privatperson eingereicht werden. Den Verteidiger kannte man ebenfalls nicht, ein Angeklagter musste sich selbst vertreten. Sogenannte Synegoroi (Mitredner) konnten zwar als Fürsprecher einer Partei auftreten und eventuell eine eigene Rede halten, sie hatten jedoch eher die Funktion von Beauftragten oder Beiständen. Der Logograph, der dem Kläger oder Angeklagten gegebenenfalls eine Rede verfertigte, hatte nicht die Funktion eines Rechtsanwalts, er war lediglich der Verfasser einer Rede.
Ein Gerichtsverfahren lief in der fraglichen Zeit nach dem folgenden Schema ab:
1. Einreichung einer Klage mit Begründung durch den Kläger, einen vollberechtigten Athener Bürger, bei der zuständigen Behörde. Auch Klagen wegen Vergehen gegen die staatliche Ordnung mussten von einem Athener Bürger eingebracht werden. Notfalls beauftragte eine an der Strafverfolgung interessierte Behörde einen Bürger mit dieser Aufgabe. Für Nichtbürger und Sklaven gab es nur die Möglichkeit der Denunziation.
2. Mündliche Ladung des oder der Beklagten und der Zeugen durch den Kläger vor den zuständigen Beamten. Nur Nichtbürger durften gewaltsam vorgeführt werden.
3. Vorverfahren vor dem zuständigen Amtsträger (genannt: Anakrisis, vor dem Areopag: Prodikasiai). Dieser prüfte seine Zuständigkeit, überprüfte die Rechtmäßigkeit und die Richtigkeit der Anklage. Beide Parteien machten in Wechselrede ihre Standpunkte klar, Beweismittel wurden vorgelegt. Zeugen konnten beigebracht werden, dabei war die Folterung von Sklaven erlaubt. Eine Beschwörung per Eid konnte verlangt werden. Bei Ablehnung der Klage musste der Kläger eine Geldstrafe zahlen. Bei Nichtzuständigkeit wurde das Verfahren an eine andere Behörde überwiesen (Ephesis). Nahm der Amtsträger die Klage an, so bestimmte er einen Termin für das Hauptverfahren. Klage und Erwiderung wurden protokolliert und auf der Agora, dem Markt, öffentlich ausgehängt.
4. Das Hauptverfahren begann mit der Auslosung der zuständigen Richter. In umfassenden, zusammenhängenden Plädoyers stellten dann Kläger und Beklagter ihre Standpunkte dar. Ihre Redezeit war begrenzt und wurde mit Hilfe einer Wasseruhr (Klepshydra) gemessen. Die Laienrichter äußerten sich nicht, sie stimmten nur über Schuld oder Nichtschuld ab und setzten das Strafmaß fest. Die Abstimmung musste am selben Tag erfolgen und war endgültig.
Die wichtigsten Gerichte in Athen waren:
• Der Areopag (Blutgerichtshof), zuständig für Mord an einem Athener Bürger, für versuchten Umsturz, Brandstiftung und für Religionsfrevel (Asebie). Als Religionsfrevel zählte beispielsweise auch die Vernichtung oder Beschädigung der „Heiligen Ölbäume“ (s. Rede VII). Der Areopag tagte auf dem Areshügel bei der Akropolis unter freiem Himmel. Vorsitzender des Areopag war der Archon Basileus, einer der neun Archonten. Er war einer der obersten Staatsbeamten und zugleich religiöses Oberhaupt. Abweichend von den Satzungen an anderen Gerichtshöfen war der Archon Basileus auch an der Urteilsfindung beteiligt, und ebenfalls abweichend waren die Mitglieder des Areopag nicht gewählt, sondern auf Lebenszeit bestellt. Sie waren ehemalige Archonten.
• Weitere Blutgerichtshöfe (am Delphinion, am Palladion, im Piräus) lagen am Rande der Stadt. Sie befassten sich mit Klagen wegen unvorsätzlicher oder gesetzlich gerechtfertigter Tötung (s. Rede I), Tötung von Metöken, Sklaven und Fremden. Im Gegensatz zum Areopag waren die Mitglieder dieser Blutgerichtshöfe keine ehemaligen Archonten, sondern, wie bei den anderen Gerichten, gewählte Heliasten. Alle Blutgerichtshöfe befanden sich aus sakralen Gründen unter freiem Himmel, um eine Befleckung durch den Angeklagten zu vermeiden.
• Für die Heliaiai, die Geschworenengerichte, wurden jährlich 6000 Athener als Heliasten durch das Los zum Richteramt berufen, aus jeder Phyle 600, so dass das Volk ausgewogen vertreten war. Die Geschworenen hatten einen Eid abzulegen, dass sie entsprechend den Gesetzen urteilen und sich nicht bestechen lassen würden. Die Heliasten wurden dann wieder durch Los in mehrere Gerichtshöfe (Dikasterien) eingeteilt. Durchschnittlich war ein Gerichtshof mit 501 Geschworenen besetzt, ein einfacher Privatprozess verlangte bereits ein Gremium von 201 Geschworenen, je nach Streitsache konnten erheblich mehr Heliasten eingesetzt werden. Die ungerade Zahl der Heliasten wurde festgesetzt, um bei der Abstimmung ein Patt zu vermeiden, denn in diesem Fall schrieb das Gesetz einen Freispruch des Angeklagten vor. Jeder Geschworene erhielt zur Legitimation ein Täfelchen, das seinen Namen und den Namen seines Demos enthielt, außerdem den Namen der jeweiligen Gerichtssektion. Abgestimmt wurde mit Stimmsteinen, die in eine Urne gelegt werden mussten. Dazu wurden zwei Urnen aufgestellt, eine für die verurteilenden, die andere für die freisprechenden Stimmen. Die Geschworenen mussten normalerweise keine besondere Kompetenz aufweisen. Bei militärischen Vergehen allerdings durften nur Heliasten tätig werden, die den entsprechenden Feldzug mitgemacht hatten, und bei Vergehen gegen die Mysterien durften nur Eingeweihte als Richter agieren. Tagungsort war ein Gebäude auf der Agora. Die Heliaia war für viele Verfahren der Gerichtshof der ersten Instanz, diente aber auch als Berufungsgericht.
Vorsitzende eines Heliastengerichts waren:
Der Archon Eponymos, nach dem auch das jeweilige Jahr benannt wurde, vertrat Familien- und Erbrecht. Ihm oblag die Fürsorge für Erbtöchter, Witwen und Waisen.
Der Polemarchos, der im politischen Bereich das militärische Kommando innehatte, war zuständig für Prozesse, an denen Nichtbürger (zum Beispiel Metöken) beteiligt waren.
Die sechs Thesmotheten (Rechtssetzer) waren stets nur als Kollegium tätig. Sie hatten die Aufgabe, die Gesetze aufzeichnen und aufbewahren zu lassen. In der Rechtsprechung war ihre wichtigste Aufgabe, alle gegen den Staat gerichteten Verbrechen zu ahnden. Sie hatten außerdem Anklagen gegen Staatsbeamte zu verfolgen, die in Zusammenhang mit der Überprüfung vor Amtsantritt (Dokimasie) oder nach Ableistung des Amtes (Euthyne) eingegangen waren (s.u.). Im formalen Prozessablauf bestimmten sie die Gerichtstage und überwachten die Auslosung der Geschworenen für die einzelnen Gerichtshöfe. Ferner hatten sie die Verträge Athens mit auswärtigen Staaten zu ratifizieren.
• Die Ekklesia (Volksversammlung) war kein Gerichtshof im eigentlichen Sinne, jedoch die wichtigste politische Körperschaft, auch für Entscheidungen des Seebundes. Außerdem gehörten zu ihren Aufgaben die Wahl der Beamten, Entscheidungen über die Verwendung öffentlicher Gelder, die Erteilung des Bürgerrechts und die Freilassung von Sklaven. Sie wurde nur ausnahmsweise in Strafverfahren tätig, wenn zum Beispiel durch ein Vergehen das Wohl des Staates gefährdet schien. Tagungsort war zumeist die Pnyx, die Felskuppe westlich der Akropolis. Das Recht zur Teilnahme an der Volksversammlung hatte jeder freie Bürger Athens.
• Die Boulé (Rat der Fünfhundert) hatte in der fraglichen Zeit nur noch Kontrollfunktionen und die Aufgabe, gegebenenfalls einen Strafantrag zu stellen. Die Boulé führte die Aufsicht über die Verwaltung, beaufsichtigte die Finanzen und diente zur Kontrolle der Beamten. Diese wurden vor Amtsantritt auf ihren Status als vollberechtigte und unbescholtene Bürger überprüft (Dokimasie) und mussten sich nach Ende ihrer Amtszeit einem Rechenschaftsverfahren unterziehen (Euthyne); bei Beanstandungen wurden sie zur Verantwortung gezogen (Eisangelie). Außerdem bereitete die Boulé Anträge für die Ekklesia vor. Die Boulé setzte sich zusammen aus je 50 Mitgliedern der zehn attischen Phylen, vertrat also die attische Bevölkerung ausgewogen. Kurzfristig (411–410 v. Chr.) bestand auch ein „Rat der Vierhundert“. Abgestimmt wurde durch Erheben der Hand.
• Die Elfmänner waren eine Exekutivbehörde. Sie hatten die Aufsicht über die Gefängnisse und waren zuständig für Inhaftierung und Vollziehung der Todesstrafe. Wurde auf Todesstrafe erkannt, so konnte diese ausgeführt werden durch: Trinken des Giftbechers (Schierlingsbechers), Sturz in das Barathron (einen Abgrund im Westen Athens) oder Erschlagen mit der Keule. Außerdem hatten die Elfmänner die Aufgabe, dem Staat geschuldete Beträge einzutreiben.
Wenn ein auf frischer Tat ertappter Verbrecher seine Tat leugnete oder zu rechtfertigen suchte, konnten ihn die Elfmänner vor ein Gericht bringen, dessen Vorsitz sie dann übernahmen.
• Die Vierzigmänner setzten sich zusammen aus je vier gelosten Mitgliedern der zehn Phylen. Sie bearbeiteten Bagatellsachen in Privatprozessen.
• Die Demenrichter waren zuständig für Rechtshändel in den Landgemeinden.
Weiter bestanden Sonderabteilungen, wie zum Beispiel:
• Das Handelsgericht, das zuständig war für Prozesse gegen fremde Kaufleute, die den attischen Bereich besuchten.
• Rechenschaftsbehörden (Logisten), die die von Beamten eingereichten Rechnungen zu prüfen hatten. Dies musste für alle Beamten, die staatliche Gelder in Händen gehabt hatten, geschehen. Bei Verdacht auf Unterschlagung oder Amtsmissbrauch musste ein Strafantrag gestellt werden. Weiter gab es die Möglichkeit, auch bei bestandener Überprüfung durch die Logisten eine Klage gegen einen ehemaligen Beamten vorzubringen, wenn er öffentliches oder privates Interesse verletzt habe. Fand der Überprüfer die Klage berechtigt, so wurde sie, entsprechend ihrem Inhalt, an die Thesmotheten oder an die Vierzigmänner abgegeben.
• Die Strategen (Feldherren), deren Oberbefehlshaber der Polemarchos war, hatten das Recht, direkte Anträge an Rat und Volk zu stellen. Als Heerführer waren sie Gerichtsvorstände für alle Verbrechen, die mit der Ableistung der Kriegspflicht zusammenhingen (Feigheit, Dienstverweigerung, Verlassen der Schlachtordnung). Außerdem setzten sie die Höhe der außerordentlichen Vermögenssteuern fest und überwachten die Einschreibung in die Steuerlisten.
• Eine Polizei im Sinne der modernen Einrichtung gab es in Athen nicht, jedoch Ämter, die für Ordnung auf Straßen, Märkten und in Häfen zu sorgen hatten, die Wasserversorgung überwachten und auf die Einhaltung der richtigen Maße und Gewichte achteten. Bei geringfügigen Delikten konnten diese Ämter auch selbst eine Geldstrafe auferlegen oder Sklaven züchtigen lassen. Der Getreidehandel wurde von einer eigenen Behörde überwacht (s. Rede XXII).
Um die ökonomische Bedeutung einer Geldstrafe einigermaßen zu verdeutlichen, sollen einige Beispiele für Geldwert und Kaufkraft zitiert werden. Es darf jedoch dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich immer nur um grobe Richtwerte handeln kann, weil der Münzfuß je nach Ort und Zeit variierte und die Kaufkraft auch bereits in kurzen Zeitspannen starken Schwankungen unterlag.
Für das Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. gelten in Athen folgende Normierungen:
1 Talent entspricht einem Gewicht von ca. 26 kg Silber.
Die Unterteilungen sind: 1 Talent = 60 Minen = 6000 Drachmen. Eine Drachme wurde nochmals unterteilt in 6 Obolen. Daneben bestanden noch andere Unterteilungen, diese spielen jedoch im Rahmen der Lysias-Reden keine Rolle. Gold hatte den zehn- bis zwölffachen Wert von Silber. Neben attischen waren auch persische Goldmünzen in Umlauf.
In der genannten Zeit betrug in Athen das Durchschnittseinkommen eines Handwerkers 6 bis 9 Obolen täglich, der Soldatensold 4 Obolen, der Lohn eines Tagelöhners etwa 4 Obolen.4 Dies reichte für den Unterhalt einer Kleinfamilie. Die Heliasten, für die Perikles ein Tagegeld eingeführt hatte, erhielten 3 Obolen, Mitglieder der Boulé ein Tagegeld zwischen 3 und 5 Obolen. Künstlerische Arbeit, beispielsweise der Bildhauer am Erechtheion, wurde nicht höher bewertet als handwerkliche Tätigkeit. Alle am Bau Beteiligten, auch der Architekt, erhielten 1 Drachme pro Tag.5
Ein kleines Haus konnte man in Athen in dieser Zeit für 300–400 Drachmen erwerben.6 Sokrates taxierte sein ganzes Hab und Gut einschließlich Häuschen auf etwa 500 Drachmen.7 Ein ansehnliches Stadthaus kostete 700 Drachmen.8 Der höchste Preis, der für ein Privathaus genannt wird, waren 5000 Drachmen (Rede XIX § 29).
Die Gerichtsreden waren nach einem einheitlichen Schema aufgebaut. Da sie nur einmal mündlich vorgetragen wurden und die Richter also nach einmaligem Hören zu einem Urteilsspruch kommen mussten, war die festgelegte Form der Reden erleichternd für das Erfassen und Verstehen der geschilderten Vorgänge.
Im Eingangsteil (Prooimion) ging es vorrangig darum, die Aufmerksamkeit des Gerichts zu wecken und die Richter schon von Anfang an wohlwollend zu stimmen. – Auf diese Eröffnung folgte gewöhnlich eine kurze Angabe dessen, was der Redner beweisen wollte, Prothesis genannt. – Darauf wurde im Hauptteil die Erzählung (Dihegesis), der eigentliche Vorgang, ausgebreitet. Dabei ging es nicht einfach um eine sachliche Darstellung der zur Verhandlung stehenden Ereignisse, sondern durchaus um eine subjektive Schilderung des Erlebten. – In der Beweisführung (Apodeixis oder Pisteis) legte der Sprechende die Argumente dar, die nach seiner Meinung zum Tathergang geführt hatten. In diesen Teil der Rede gehörte, dass der Sprecher seinen eigenen Charakter und den seines Gegners klar als gegensätzlich herausstrich und bei den Richtern Zorn über den Gegner oder Mitleid für sich selbst zu erregen versuchte. Zu den Beweismitteln gehörte auch das Vorbringen von Zeugen sowie das Verlesen von Gesetzestexten und Urkunden. – Der Schluss der Reden (Epilogos) war meist kurz und endete mit der Aufforderung an die Richtenden, ihres Amtes zu walten.
I. Verteidigungsrede im Mordfall Eratosthenes
Nach attischem Recht konnte ein Ehemann, der einen Mann beim Ehebruch mit seiner Frau antraf, diesen ungestraft umbringen. Voraussetzung für die Straffreiheit war, dass der Ehebrecher auf frischer Tat ertappt wurde. Hatte der Ehemann dagegen dem Ehebrecher eine Falle gestellt oder ihn mit Gewalt in sein Haus schaffen lassen, so wurde die Tötung des Ehebrechers als Mord geahndet, selbst dann, wenn der Ehebruch erwiesen war.
Im vorliegenden Fall hatte der angeklagte Euphiletos den Liebhaber seiner Frau, Eratosthenes, erschlagen. Die Verwandten des Eratosthenes erhoben Anklage gegen den Ehemann mit der Begründung, Eratosthenes sei auf der Straße ergriffen und mit Gewalt in das Haus des Euphiletos geschleppt worden.
II. Grabrede für die im Korinthischen Krieg gefallenen Athener
Am Ende eines Kriegsjahres wurde jeweils zu Ehren der im Kampf gefallenen Athener ein Staatsbegräbnis veranstaltet, bei dem ein namhafter und verdienter Athener Bürger die Grabrede hielt. In dieser Rede wurde der Gefallenen gedacht, vor allem aber wurden Größe, Ruhm und glorreiche Vergangenheit der Stadt Athen gepriesen. Die vorliegende Grabrede wurde vermutlich von Lysias verfasst, es ist aber unwahrscheinlich, dass sie auch von ihm wirklich vorgetragen wurde, denn Lysias besaß als Metöke nicht die vollen Bürgerrechte. Im Korinthischen Krieg (394–387 v. Chr.) kämpften die verbündeten Truppen von Korinth, Athen, Böotien und Argos gegen Sparta. Angeblich gilt die Rede den Gefallenen des Jahres 394/393 v. Chr., ein Hinweis auf den Antalkidischen Frieden spricht jedoch für eine spätere Abfassung. Wir haben es wohl mit einem rhetorischen Muster- oder Übungsstück zu tun, das nach 387 v. Chr. geschrieben wurde.
III. Verteidigungsrede gegen Simon
Vor dem Areopag, dem Blutgerichtshof, musste sich ein Bürger gegen den Vorwurf vorsätzlicher Körperverletzung mit beabsichtigter Todesfolge verteidigen. Die Strafe dafür war Verbannung aus Athen und Einziehung des Vermögens. Der Angeklagte versuchte nachzuweisen, dass es sich nur um eine – allerdings ernsthafte – Rauferei gehandelt hatte, wobei es um die Gunst eines Knaben ging.
IV. Verteidigungsrede wegen vorsätzlicher Körperverletzung – Kläger und Beklagter unbekannt
Auch in dieser nur fragmentarisch erhaltenen Rede vor dem Areopag geht es um vorsätzliche Körperverletzung mit beabsichtigter Todesfolge. Bevor es zu dieser Eskalation kam, hatten die beiden Kontrahenten einen Streit über Vermögenstausch ausgetragen. Zum Vermögenstausch konnte es kommen, wenn ein wohlhabender Athener Bürger es ablehnte, ihm auferlegte Ausgaben für öffentliche Dienste (zum Beispiel Theateraufführungen, Ausstattung von Kriegsschiffen) zu entrichten, weil er nach seiner Meinung bereits über Gebühr bezahlt hatte. Er konnte dann einen anderen Bürger benennen, der seiner Meinung nach eher verpflichtet war, diese Beiträge zu entrichten. Dann jedoch konnte er von diesem Gegner vor Gericht zum Vermögenstausch aufgefordert werden.
Kläger und Beklagter waren zu einem Vergleich gekommen, und jeder musste das Eigentum des anderen wieder zurückgeben. Strittig blieb jedoch der Besitz einer Sklavin, die sie einst gemeinsam gekauft hatten, und die jeder für sich allein behalten wollte.
V. Verteidigungsrede für Kallias wegen Raubes im Tempel
Tempelraub wurde mit der Todesstrafe geahndet. Die nur zu einem kleinen Teil erhaltene Rede wurde von einem Freund des angeklagten Kallias gehalten.
VI. Rede gegen Andokides wegen Religionsfrevels
Die Vorgänge, die hier behandelt werden, gingen unter dem Begriff „Hermenfrevel“ und „Mysterienprozess“ in die Geschichte ein. Im Jahr 415 v. Chr., schon während der Vorbereitungen zur dann so unglücklich verlaufenden „Sizilischen Expedition“, wurden eines Nachts in Athen die steinernen Hermen – pfeilerartige Denkmäler des Gottes Hermes – beschädigt und umgestürzt. Außerdem hatten offenbar einige Leute die Eleusinischen Mysterien, ein hoch geheiligtes Ritual, in travestierender Weise in Privathäusern abgehalten. Beide Vorgänge wurden als schwere Vergehen gegen die Götter angesehen und gerichtlich verfolgt. Alkibiades, der Flottenführer der Sizilischen Expedition, war in die Vorgänge verwickelt, befand sich aber bereits mit der Flotte auf dem Weg nach Sizilien. Andokides gehörte zu den Bürgern, die verhaftet wurden. In seinem Prozess klagte er andere Bürger als Schuldige an und kam mit einer mäßigen Strafe davon. Ihm wurde die Teilnahme an religiösen Festen und die Ausübung eines religiösen Amtes untersagt. Er verließ Athen und lebte mit Unterbrechungen dreizehn Jahre im Ausland.
Im Jahr 399 v. Chr., drei Jahre nach seiner Rückkehr nach Athen, wurde Andokides erneut wegen Religionsfrevels angeklagt, weil er unterdessen ein religiöses Amt ausgeübt hatte. Für diesen Prozess wurde wohl die Anklagerede verfasst. Sie beginnt allerdings mit einem Bericht über die Bestrafung eines anderen, unbekannten Religionsfrevlers. Der Anfang des Textes ist verloren.
Aus anderem Zusammenhang ist bekannt, dass Andokides in diesem Prozess freigesprochen wurde. – Nach allgemeiner Auffassung stammt die Rede nicht von Lysias selbst.
VII. Verteidigungsrede vor dem Areopag wegen Beseitigung eines Ölbaumstumpfes
Ölbäume waren in Attika eine wichtige wirtschaftliche Grundlage; der Staat war auf Erhalt der Bäume bedacht. Darüber hinaus wurde unterschieden zwischen privaten und heiligen Ölbäumen. Die heiligen Ölbäume, die an den von der Göttin Athena selbst gepflanzten Ölbaum erinnern sollten, waren staatliches Eigentum, auch wenn sie auf privatem Land wuchsen. Ihr Erhalt wurde von einer eigenen Kommission überwacht. Das Fällen oder Ausgraben eines heiligen Ölbaums oder auch des Stumpfes eines heiligen Ölbaums galten als Asebie, als Frevel gegen die Götter. Eine solche Tat wurde vor dem obersten Gericht, dem Areopag, verhandelt. Im Falle eines Schuldspruches drohte dem Täter die Todesstrafe.
VIII. Anklagerede gegen die Mitglieder einer Vereinigung wegen Verleumdung
Es handelt sich bei diesem Text nicht um eine formale Gerichtsrede, sondern nur um den Teil einer gerichtlichen Erklärung. Der Sprecher wandte sich gegen die Mitglieder einer nicht genau zu bezeichnenden Vereinigung, seine ehemaligen Freunde, von denen er sich betrogen fühlte. Anlass des Streites war ein Pferd, das der Sprecher als Pfand für eine verliehene Geldsumme erhalten hatte. Nachdem das Pferd verendet war, weigerte sich der Darlehensempfänger, das ausgeliehene Geld zurückzuzahlen. Der Sprecher musste entdecken, dass seine angeblichen Freunde sich auf die Seite des unredlichen Geldempfängers geschlagen hatten und ihn selbst als streitsüchtig verleumdeten. Die Rede wird für unecht gehalten.
IX. Rede für den Soldaten
In dieser Rede, die wohl zur Zeit des Korinthischen Krieges 394 bis 387 v. Chr. spielt, war dem Soldaten Polyainos – nach seiner Meinung zu Unrecht – eine Geldstrafe auferlegt worden. Der Betrag wurde dann auch nicht von ihm eingefordert, sondern von der Schatzmeisterei als unrechtmäßig auferlegt annulliert. Dennoch wurde Polyainos in der Folgezeit von einem persönlichen Feind als Staatsschuldner angeklagt.
X. Erste Anklagerede gegen Theomnestos
Der Sprecher verteidigte sich in einer Privatklage gegen die Verleumdung des Theomnestos, er habe seinen eigenen Vater umgebracht oder sei wenigstens schuldig an dessen Tod. Theomnestos wird als Mann von feigem Charakter geschildert, der schon öfter in Prozesse verwickelt gewesen war und in der Schlacht seinen Schild weggeworfen hatte. Das Wegwerfen der Waffen auf der Flucht vor dem Feind wurde mit Desertieren gleichgesetzt und schwer bestraft. Der Betreffende verlor unter anderem seine bürgerlichen Rechte.
Theomnestos bestritt zwar nicht die ihm vorgeworfene Schmähung, führte aber an, die von ihm benutzten Ausdrücke seien nicht strafbar. Diese Ausflüchte entkräftete der Sprecher, indem er darlegte, dass nicht um die Wahl der Worte, sondern um ihren Sinn gestritten werde. Die Verhandlung fand vor einem Geschworenengericht unter Vorsitz der Thesmotheten statt.
XI. Zweite Anklagerede gegen Theomnestos
Die zweite Rede gegen Theomnestos ist eine Kurzfassung der vorigen Rede aus späterer Zeit.
XII. Anklagerede gegen Eratosthenes, der Mitglied der Dreißig war – von Lysias selbst gehalten
Dies ist die einzige erhaltene Rede, in der Lysias in eigener Sache spricht. – Gegen Ende des Peloponnesischen Krieges, im Jahr 404 v. Chr., gelang es einer Gruppe von Oligarchen, die Macht in Athen an sich zu reißen. Das Regiment dieser Dreißig Tyrannen artete in eine Schreckensherrschaft aus. Lysias verlor unter ihrer Herrschaft sein Vermögen, sein Bruder wurde umgebracht. Beim Friedensschluss des Peloponnesischen Krieges im Jahr 403 v. Chr. wurden die Dreißig von der allgemeinen Amnestie ausgenommen, sofern sie sich nicht rechtfertigen konnten. Eratosthenes, ein Mitglied der Dreißig, unterzog sich im Vertrauen auf seine Zugehörigkeit zur gemäßigten Gruppe der Tyrannen einem Rechenschaftsprozess vor dem Geschworenengericht. Lysias erhob bei diesem Prozess Klage wegen Tötung seines Bruders. Darüber hinaus schildert er anschaulich die politischen Zustände in Athen am Ende des Peloponnesischen Krieges.
XIII. Rede gegen den Denunzianten Agoratos
Agoratos, ein Mann ohne volle Athener Bürgerrechte, hatte etliche Jahre vor der Verhandlung den Dreißig offenbar willig als Denunziant gedient. Aufgrund seiner Verleumdungen waren viele Athener Bürger verhaftet und hingerichtet worden, unter ihnen Dionysodoros. Nach Wiederherstellung der Demokratie erhoben die Verwandten des Dionysodoros Anklage. Agoratos wurde verhaftet und musste sich vor einem Geschworenengericht verantworten. Die Rede wurde um 398 v. Chr. gehalten.
XIV. Rede gegen Alkibiades wegen Verlassens der Schlachtordnung
Der hier angeklagte Alkibiades war der Sohn des berühmten gleichnamigen Athenischen Politikers und Feldherrn. Nach der antiken Überlieferung war er der Prototyp eines jungen Mannes der „jeunesse dorée“, der keine eigenen Verdienste aufzuweisen hatte, sondern sich vorwiegend auf seinen glanzvollen Namen berief. Er hatte sich nicht in die Waffengattung der Hopliten eingereiht, in die er eingeteilt worden war, sondern war eigenmächtig zur Reiterei gewechselt, ohne die dafür vorgeschriebene Prüfung durchlaufen zu haben. So wurde er angeklagt wegen unrechtmäßigen Dienstes in der Reiterei und wegen Desertion. Diese Vergehen wurden mit Verlust der bürgerlichen Rechte und Vermögenseinzug geahndet. Die Verhandlung fand um 395 v. Chr. vor einem Militärtribunal statt.
XV. Rede gegen Alkibiades wegen Verweigerung des Militärdienstes
Die Rede trägt zwar eine andere Überschrift als Rede XIV, wurde jedoch gegen denselben Angeklagten und für dieselbe Gerichtsverhandlung geschrieben. – Ihre Echtheit ist umstritten.
XVI. Verteidigungsrede des Mantitheos bei seiner Überprüfung vor dem Rat
Athener, die durch das Los zu Mitgliedern des Rats gewählt worden waren, wurden vor ihrer Ernennung überprüft, ob sie des Amtes würdig waren, d.h., ob sie die gesetzlichen Qualifikationen erfüllten und ihren bürgerlichen und sakralen Pflichten stets nachgekommen waren. Das Verfahren wurde Dokimasie genannt. Dem neu berufenen Ratsmitglied Mantitheos warf man vor, dass er während der Herrschaft der Dreißig, die zur Zeit der Ernennung mindestens elf Jahre zurücklag, Anhänger dieser Tyrannen gewesen sei: Er solle in der Reiterei gedient haben, die sich den Dreißig gegenüber sehr ergeben gezeigt hatte. Mantitheos verteidigte sich gegen diese Vorwürfe.
XVII. Rede gegen die Finanzbehörde wegen des Vermögens des Eraton
Diese Rede handelt von einer Summe verliehenen Geldes, die von den Erben des Schuldners nicht zurückbezahlt wurde. Aus hier nicht genannten Gründen konfiszierte der Staat das Vermögen der Erben, sodass der Redner versucht, das von ihm beanspruchte Geld wenigstens teilweise von der Staatskasse zurückzuerhalten. Die Rede wurde um 397 v. Chr. gehalten.
XVIII. Schlusswort im Prozess über die Beschlagnahme des Vermögens vom Bruder des Nikias
Nikias, der verdiente und so unglücklich endende Feldherr Athens – er wurde 413 v. Chr. für den missglückten sizilischen Feldzug verantwortlich gemacht und in Syrakus hingerichtet – hatte zwei Brüder, Eukrates und Diognetos. Eukrates wurde 404 v. Chr. von den Dreißig umgebracht. Die Söhne des Eukrates mussten sich einige Jahre später gegen die Konfiskation ihres väterlichen Erbes wehren. Erhalten ist nur das Schlusswort der Rede, die von einem Sohn des Eukrates vorgetragen wird.
XIX. Rede gegen den Fiskus über das Vermögen des Aristophanes
Der Athener Bürger Aristophanes, ein politisch engagierter Mann, hatte im Jahr 390 v. Chr. im Auftrag seines Vaters Nikophemos, der auf Zypern lebte, eine Hilfsexpedition nach Zypern organisiert, um dem dortigen Herrscher Euagoras gegen die Perser beizustehen. Die Expedition wurde ein Fehlschlag. Aristophanes und Nikophemos wurden nach ihrer Rückkehr nach Athen für die Niederlage verantwortlich gemacht. Man bezichtigte sie der Täuschung des Volkes durch falsche Versprechungen. Sie wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet, ihr Athener Vermögen wurde eingezogen. Das konfiszierte Vermögen war kleiner als erwartet, man verdächtigte deshalb den Schwiegervater des Aristophanes, Gelder auf die Seite geschafft zu haben. Um diesen Vorwurf zu entkräften, sprach dessen Sohn, der Schwager des Aristophanes.
XX. Rede für Polystratos
Polystratos, ein älterer Athener Bürger, war 411 v. Chr. für wenige Tage Mitglied der oligarchischen Regierung der Vierhundert. Danach ging er zur Flotte. Er hatte versucht, mäßigend auf die Oligarchen einzuwirken. Nach dem Sturz der Oligarchie wurde er angeklagt, weil er versucht habe, die Demokratie zu stürzen. In einem ersten Prozess wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt, was ihn und seine Familie finanziell ruinierte. In einem zweiten Prozess, dem wohl eine Überprüfung wegen Zulassung zu einem öffentlichen Amt zugrunde lag, wurde er – ca. 410 v. Chr. – erneut angeklagt. Die Verteidigungsrede wird vom Sohn des Polystratos vorgetragen. Ob sie tatsächlich von Lysias verfasst wurde, wird angezweifelt.
XXI. Verteidigungsrede in einer nicht genauer zu bezeichnenden Anklage wegen Bestechlichkeit
Erhalten ist von dieser Rede nur das Schlusswort, der genaue Grund der Anklage lässt sich daraus nicht entnehmen. Der Sprecher beschränkte sich im wesentlichen auf die Aufzählung seiner Verdienste um den Staat und auf die Bitte an die Geschworenen, für ihn günstig abzustimmen. Die Rede, die wohl um das Jahr 402 v. Chr. gehalten wurde, gibt einen guten Überblick über die öffentlichen Leistungen, zu denen ein vermögender Athener herangezogen werden konnte.
XXII. Rede gegen die Getreidehändler
Athen war stets auf die Einfuhr von Getreide angewiesen. Große Lieferungen kamen vom Schwarzmeergebiet, der Thrakischen Chersones und aus Zypern. Um das Jahr 387–386 v. Chr., als diese Rede gehalten wurde, war die Getreideversorgung der Stadt Athen nicht mehr gesichert. In der östlichen Ägäis bestimmten die Perser, der Hellespont war zeitweise für die Schifffahrt gesperrt, die großen Lieferungen übers Meer trafen nur noch unregelmäßig ein. In Athen wurden deshalb Gesetze erlassen, die die Gewinnspanne der Getreidehändler begrenzten und die Anhäufung eines großen Vorrats bei den Händlern unter Strafe stellten. Diese Gesetze wurden oftmals übertreten; ihre Einhaltung wurde deshalb von einer Behörde der Getreideaufseher überwacht. Die Getreidehändler waren zumeist Metöken, also Eingewanderte.
Der Sprecher der Rede berichtete zunächst von einem Zwischenfall in der Ratsversammlung, wo etliche empörte Mitglieder eine sofortige Bestrafung der das Getreide hortenden Händler verlangt hatten. Bei der folgenden gesetzlichen Voruntersuchung trat dann der Sprecher selbst als Ankläger auf, um den Verdacht einer Begünstigung der Getreidehändler von sich abzuwenden. Seine Anklagerede hielt er schließlich vor dem Geschworenengericht.
XXIII. Rede gegen Pankleon, um zu zeigen, dass er kein Plataier war
Diese kurze Rede gehörte zu einem Vorverfahren, bei dem die Zulässigkeit der Klage und die Zuständigkeit des Gerichts überprüft wurden. Der Sprecher versuchte zu beweisen, dass Pankleon kein Bürger, sondern womöglich ein entlaufener Sklave war. Pankleon dagegen behauptete zunächst, in Plataiai, später dann, in Dekeleia/Attika geboren zu sein; in beiden Fällen hätte er die Rechte eines attischen Bürgers.
XXIV. Rede über die Verweigerung der Rente für einen Invaliden
Hilfsbedürftige Bürger Athens, die nicht in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, konnten vom Staat eine kleine Rente einfordern. Die Höhe dieser Rente betrug in der fraglichen Zeit – wohl 403 v. Chr. – einen Obolos pro Tag. Die Rechtmäßigkeit des Anspruchs wegen Bedürftigkeit wurde regelmäßig vom Rat der Stadt überprüft.
XXV. Verteidigungsrede [gegen die Anklage auf Sturz der Demokratie]
Obwohl der Titel anderes vermuten lässt, handelte es sich bei dieser Rede wohl nur um eine Verteidigung im Dokimasie-Verfahren, also einer Anklage wegen Zweifeln an der Eignung für ein Amt im Staat. Um welches Amt es sich dabei handelte, geht aus dem Text nicht hervor. Aus den Anreden ist zu erkennen, dass die Verhandlung vor einem Geschworenengericht stattfand. Dies kann entweder bedeuten, dass man sich in der zweiten Instanz des Dokimasie-Verfahrens befand; in diesem Fall hätte der Rat bereits seine Entscheidung getroffen, der Sprecher hätte also einen Sitz im Rat erlost oder wäre Kandidat für das Amt eines der Archonten. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass der Sprecher für ein anderes Amt gewählt worden war; in diesem Fall fand die Dokimasie nur vor dem Gericht statt.
Der Sprecher bezog sich nicht nur auf seine persönliche Situation, sondern schilderte die Lage Athens nach dem Ende der Herrschaft der Dreißig. Er betonte die Notwendigkeit der Versöhnung und des Ausgleichs und legte dar, dass die Rachegelüste der Demokraten genau so schädlich seien wie die Willkür der Oligarchen. Die Rede wird auf ca. 400 v. Chr. datiert, ihr Schluss fehlt.
XXVI. Rede gegen Euandros bei dessen Überprüfung vor Amtsantritt