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G.F. Barner
– Staffel 20 –

E-Book 191-200

G.F. Barner

Impressum:

Epub-Version © 2022 Kelter Media GmbH & Co. KG, Averhoffstraße 14, 22085 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © Kelter Media GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74099-501-0

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Der letzte Morton

Roman von Barner, G.F.

Gantry sah die drei Männer kurz an, ehe er bedächtig einen Schluck nahm. Dann war es drei Sekunden lang still in der Burro Creek Station am Weg von Marfa nach Presidio del Norte, Texas.

»Sam!« wetterte Bates, der Stationer. »Hört auf, ihr verdammten Burschen, reibt euch nicht an Gantry! Ihr habt schon sechzig Männer verprügelt. Keinen Streit in meinem Laden, verstanden?«

Sam Hawkins drehte langsam seinen gewaltigen Kopf und die mächtigen Schultern herum. Er stand mit seinen Brüdern Slim und Jonathan am Tresen des Aufenthaltsraumes.

»Dein Laden?« erkundigte Sam sich höhnisch, während der hagere Slim hohl lachte und der kleine, krummbeinige Jonathan zu Bates äugte. »Hast du deine Station gesagt, du Zwerg? Sie gehört den Mortons, wie alles in diesem Land. Du bist ihr Kuli, und Gantry ist ihr Stiefelputzer. Er ist dasselbe wie sein Vater, dieser Maultierzüchter – er kriecht auch vor den Mortons auf dem Bauch.

»Und er leckt ihnen die Stiefel ab«, sagte Slim grinsend. »Wetten, daß er auf Carrie Longbaugh-Morton wartet? He, Gantry, seid ihr nicht mal dicke Freunde gewesen – du, Jim Morton, Jeff Longbaugh und Carrie?«

Gantry, der Maultierzüchter, hatte Bates ein halbes Dutzend Tiere gebracht, und die Hawkins-Brüder hatten einem Gespräch entnommen, daß Carrie Longbaugh – die Besitzerin der Stage­coach-Line und Tochter des reichsten Mannes in der Gegend James Morton – mit der Mittagskutsche aus Shafter käme und ihn sprechen wolle.

»Sicher waren sie dicke Freunde«, stellte Jonathan mit seiner Plärrstimme fest und warf einen Blick zu dem dunkelgekleideten Mann in der Ecke, der vor wenigen Minuten hereingekommen war. »He, Johnny, du mußt das doch noch wissen? Damals warst du gerade mal wieder zu Hause.«

Johnny Adams sah ihn schläfrig an. Als er sich erhob, tauchte in den Augen der Hawkins Brüder Unruhe auf. Adams war gefährlich. Sein Ruf als Revolvermann reichte über die Grenzen von vier Staaten hinaus.

»Rede mich nicht an, Schieler«, sagte Adams so sanft und leise, daß Bates eine Gänsehaut über den Rücken lief. »Ihr macht einen Fehler, ihr Burschen. Ich will meine Ruhe haben.«

Adams trat ans Fenster und wandte den Hawkins den Rücken zu. Jeder Mann wußte, daß die Adams vor vielen Jahren von Colonel James Morton in die wüstenähnlichen Chinati Mountains gejagt worden waren. Dabei hatte Morton den alten John Adams zum Krüppel schlagen lassen.

»He, Johnny«, knurrte Sam gereizt. Er war ein Riese, ein wandelnder Ochse mit Schmiedehämmerfäusten. »Was fehlt dir denn? Der alte Morton und Bill Gantry hielten immer zusammen, wenn es gegen uns kleine Leute ging. Hast du das vergessen? Da steht der Sohn von Bill Gantry. Der Alte war doch dabei, als sie euch verjagten, oder?«

»Er war nicht dabei«, antwortete Johnny Adams eisig. »Wenn du mich noch mal von hinten anredest, du gehirnloser Ochse, schieße ich dir die Ohren ab. Vielleicht hörst du dann zu, wenn ich sage, daß ich meine Ruhe haben will.«

Sam zuckte zusammen, biß sich auf die Lippen und schwieg.

»Ich wette, sie waren mehr als Freunde«, bemerkte Slim Hawkins bissig. »Carrie Morton und der Stiefellecker da, Sam. Warum ist er sonst sieben Jahre lang in der Fremde gewesen, Jonathan? Ich behaupte, er ist weggerannt, weil Carrie Morton seinen Freund Jeff Longbaugh und nicht ihn nahm. Ist doch klar, Leute, Geld zu Geld, wie? Longbaugh gehörte die San Angelo-El-Paso-Stageline, als der Kerl bei dem Überfall auf eine Kutsche starb, erbte seine schöne Witwe Carrie den ganzen Laden. Vielleicht erinnert sie sich jetzt an Gantry. Was meinst du, Sam? Seitdem er wieder im Lande ist, soll er ihr ja aus dem Weg gegangen sein, aber… Mann, wer läßt denn eine reiche Witwe stehen?«

»Slim, es ist genug!« schrie Bates wütend. »Du treibst es zu weit!«

»Laß ihn doch«, sagte Johnny Adams sanft.

Jube Bates fluchte und sah, daß Gantry sich umdrehte. Gantry war ein großer dunkelhaariger Mann mit breiten Schultern und ruhigen Bewegungen. Er stellte sein Glas auf den Tresen und musterte die drei Hawkins-Brüder.

»Ich bin wiedergekommen, weil mein Vater krank wurde«, sagte Gantry ernst.

»Nun ist er tot, und ich bleibe hier. Und wenn ihr drei Ratten noch mal drei Mavericks von meiner Weide holt und in Tragen zwischen euren Pferden nach Mexiko schafft, mache ich euch fertig. Ihr lebt seit Jahren vom Viehdiebstahl. Euer Vater ist deshalb aus dem Land gejagt worden und in die Chinati geflüchtet. Euch wird’s noch dreckiger ergehen, wenn ihr mir meine ersten Mavericks stehlt. Hätte ich euch auf frischer Tat ertappt, wäre keiner von euch zweibeinigen Wölfen hier.«

Johnny Adams, der Revolvermann, grinste versteckt.

»Die Hölle!« knurrte Sam Hawkins, drehte sich um und schlug mit der Faust auf den Tresen, daß die Flasche Tequila tanzte, die sie sich vom Erlös der Gantry Mavericks geleistet hatten. »Was sagst du da, Morton-Freund?«

»So ein elender Lügner!« giftete Slim. »Sag das noch mal, du Morton-Knecht!«

»Verdammte Ratte!« plärrte Jona­than frech. »Das nimmst du zurück, Morton-Speichellecker!«

Adams lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand. In seinen Augen funkelte es spöttisch, als er zu den Hawkins-Brüdern blickte.

»Gesindel!« stieß Gantry hervor. »Verschwindet lieber, ehe ich wild werde!«

»Wir sollen was?« brummte Sam. »Mensch, noch ein Wort, dann fliegst du hier raus.«

»Oder ihr«, entgegnete Gantry ungerührt. »Ich mag es nicht, wenn man mich einen Lügner nennt und über mich und Mrs. Longbaugh gemeines Zeug redet. Ich warne euch! Mit mir macht ihr das nicht, sonst…«

In diesem Moment formierten sich die Hawkins-Brüder.

Der Revolvermann schien Bates zuzulächeln. Dann wich er blitzschnell von der Wand in die Ecke zurück. Jube Bates wirbelte herum.

»Nicht hier!« schrie er entsetzt. »Nicht in der Station!«

Es war zu spät. Joe Gantry sprang an Sam vorbei und duckte sich. Dann schoß er seine Linke auf Slims Rippen ab. Gantry war den Hawkins-Brüdern um wenige Sekunden zuvorgekommen. Sie hatten sich auf ihn stürzen wollen – alle drei zugleich.

Gantry hatte Slim so hart getroffen, daß der zusammenknickte. Er rang nach Luft, wurde von Gantry gepackt und herumgeschleudert. Slim Hawkins prallte gegen seinen stämmigen Bruder Sam. Der taumelte zurück, an seinem kleinen Bruder Jonathan vorbei und schlug gegen den Tresen. Ehe Jonathan sich zu Boden fallen lassen konnte, packte Gantry ihn mit der Linken am Hemd und schlug ihm die Rechte voll gegen den Kopf. Da sah Jonathan Feuer, riß in verzweifelter Abwehr die Arme vor den Kopf und rief: »Sam, Hilfe, er hat mich! Sam!«

Im gleichen Moment knallte ihm Gantry die Faust ans Kinn. Dieser zweite Schlag ließ den kleinen Haw­kins zusammenbrechen. Er sah nicht mehr, daß sein Gegner das linke Knie hochriß und ihn damit genau vor Sams große Füße beförderte. Sam stolperte, verlor den Halt und wollte seinen Sturz mit beiden Armen auffangen.

»Jetzt du, Viehdieb!« fauchte Gantry. Er war zur Seite gesprungen, so daß Sam ungehindert auf die Dielen fallen konnte, und schlug dem Bullen die Faust mit aller Gewalt in den Nacken.

Sam Hawkins hatte das Gefühl, von einem Vorschlaghammer getroffen worden zu sein. Er schrie nicht mehr, sah plötzlich ein dunkles Loch vor sich und lag dann am Boden. Dort erst begriff er, daß sie Gantry unterschätzt hatten.

Sam Hawkins versuchte auf die Knie zu kommen, aber seine Arme trugen den schweren Körper nicht. Es war, als hätte ihn die Kraft verlassen. Er stöhnte schwer, rollte sich herum und sah entsetzt, daß Gantry wie ein Tiger zum Tresen sprang. Dort hatte Slim sich gerade aufgerafft und zum Colt gegriffen.

Aber ehe er die Waffe anschlagen konnte, schlug ihm Gantry auf den Unterarm und setzte mit einem wuchtigen Kniestoß in die Körpermitte nach. Slim brüllte vor Schmerz lauthals auf, als sein Unterarm über die Tresenkante knallte. Der Colt entglitt ihm, wirbelte über die Platte und fiel vor Bates herunter. Dann riß Gantry den hageren Mann zurück, drehte sich mit ihm und ließ ihn los.

»Narr!« entfuhr es Gantry grimmig. Er wirbelte in derselben Sekunde herum. »Das hast du dir gedacht, Hundesohn.«

Sam blieb gerade noch Zeit, zu begreifen, daß Gantry absichtlich an ihm vorbeigesprungen war, um ihm eine Chance zu geben, ihn anzugreifen. Ehe Sam jedoch die Arme hochreißen konnte, trafen zwei schwere Haken sein Kinn, der dritte Faustschlag seine Rippen. Sam Hawkins brach zusammen.

Am Tresen stöhnte der kleine Schieler Jonathan. Er rollte herum, lag auf dem Rücken und sah die Stiefelsohle drohend vor sich.

»Lieg still, du Ratte!« sagte Gantry gepreßt, während er Jonathan den Fuß auf die Schulter setzte.

Jonathan wurde kreidebleich. Gantry nahm ihm Revolver und Messer, warf beides auf die Tresenplatte und setzte den Fuß dann auf die Dielen. Anschließend packte er Jonathan am Hemd und riß ihn auf die Beine.

»Hör zu, Ratte!«

Gantry hielt Jonathans Hemd fest und schob den kleinen, Mann vor sich her zur offenen Tür. Dort blieb er stehen.

»Wenn du noch einmal ein Maverick oder sonst etwas von meinem Land holst, jage ich dich barfuß durch die Kakteenfelder der Chinati Berge! Aber vorher schleife ich dich zwei Meilen weit an meinem Lasso, klar? Raus mit dir!«

Gantrys Rechte traf Jonathans Kinn und schleuderte den kleinen Viehdieb rücklings aus der Tür.

»Das nächste Mal siehst du in meinen Revolver!« knurrte Joe Gantry und zerrte Sam auf die Beine. »Ich schwöre dir, wenn ich dich noch mal auf meinem Land erwische, bist du ein toter Mann! Raus mit dir!«

Hawkins taumelte rücklings aus der Tür und fiel über seine Brüder. Gantry trat auf den Vorbau und sah die Stagecoach herankommen.

Die Mittagskutsche hielt neben dem Stallgebäude. Das einzige Fenster an der Frontseite stand offen.

Carrie Longbaugh trug einen kleinen Mokelumne-Federhut mit Spitzenschleier. Sie hatte ihr rotblondes Haar hochgesteckt, und in ihren grüngrauen Augen funkelte es belustigt. Boysen und Coleman, die beiden Fahrer, glotzten mit aufgesperrten Mäulern und Augen auf die drei Hawkins-Burschen herab.

»Ihr habt genau eine Minute«, sagte Joe Gantry eisig, indem er Sam Haw­kins ansah. »Wenn ihr dann nicht verschwunden seid, jage ich euch zu Fuß in die Berge. Verschwindet!«

Er machte kehrt, kam in den Aufenthaltsraum zurück und warf Bates einen kurzen Blick zu. Gantry schloß die Flurtür hinter sich.

Bates erwachte nun aus seiner Starre. Verstört blickte er auf die Tür, dann sah er den lächelnden John Adams an.

»Was – was war das?« fragte Bates stockend. »John, habe ich geträumt?«

»Nein«, sagte der Revolvermann. Sein Lächeln erlosch, als die Kutsche anfuhr und er sehen konnte, wer im Kasten saß. »Jube, ich möchte mit Joe niemals Ärger bekommen. Diese Narren hätten sich erkundigen sollen, ehe sie sich mit ihm anlegten, was er eigentlich in Neu Mexiko machte, nachdem er unser Land verlassen hatte. Ich sage dir, sie hätten auch mit ihren Revolvern keine Chance gegen ihn gehabt. Nun, jetzt sind sie etwas klüger, aber ich fürchte, immer noch nicht schlau genug. Vielleicht ist Joe das auch nicht, wie?«

Carrie Longbaugh war die schönste Frau auf hundert Meilen in der Runde, wenn man von ihrer Stiefmutter absah. Sie hatte alles, was eine Frau anziehend machte – und sie hatte Geld, sehr viel Geld.

*

Carrie blieb stehen und blickte auf den breiten braungebrannten Rücken des Mannes am Waschtrog. Sie verfolgte das Spiel seiner Muskeln, betrachtete sein gewelltes schwarzes Haar, in dem Wassertropfen glitzerten, und dachte plötzlich an Jeff, der weder breite Schultern noch so kräftige Muskeln besessen hatte. Ihr fiel die Nacht in der großen Feldscheune der Mortons ein. Und sie dachte an das Heu, worin sie anfangs gehockt und mit einem Halm gespielt hatte. Die Erinnerung tat ihr plötzlich weh. In diesem Moment drehte sich der Mann am Waschtrog um.

»Hallo!« sagte Joe Gantry so ruhig, als wäre eine Fremde in den Hof der Station gekommen. »Hallo!«

Er sagte nicht »Missis Longbaugh«, er nannte sie auch nicht »Carrie«, wie er es früher getan hatte. Dieses »Hallo« war wie eine Mauer. Und diese Mauer war Meilen lang und viele Fuß hoch.

»Joe«, flüsterte sie. Sie schloß die Augen, konnte seinen Blick nicht ertragen. Ihr war, als müßte sie fortlaufen. »Joe, sie haben gelästert, sagt ­Bates. Du hast sie meinetwegen verprügelt?«

»Sie haben mir drei Mavericks gestohlen«, sagte Gantry kurz. »Das war der einzige Grund.«

Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Wenn sie nicht gelernt hätte, daß sich eine Morton beherrschen mußte, wäre sie nun ins Haus gegangen, aber sie blieb stehen, schluckte seine Antwort.

»Ich verstehe, Joe. Also drei Mavericks? Das werden sie dir nie vergessen, Joe. Sie sind rachsüchtig, weißt du das?«

»Sicher.«

Einen Moment wurden ihr die Knie weich, ihre Lippen zitterten, ehe sie antwortete.

»Du weißt es, Joe? Warum bist du dann nicht gekommen? Warum nicht?«

»Hätte es Sinn gehabt?« entgegnete er. »Du brauchst einen Mann für die Linie, wie? Eine Frau kann auf die Dauer nicht mit vierzig Männern zurechtkommen, obwohl sie eine ungewöhnliche Frau ist, hart, klug und geschäftstüchtiger als mancher Mann. Neben dir hat kein Mann zu bestimmen. So ist das doch?«

»Du könntest bestimmen, Joe.«

»Ich glaube dir«, sagte er leise. »Carrie, eines Tages wird dein Sohn groß genug sein, um dir zu helfen.«

»Mein Sohn?« flüsterte sie. »Joe, er ist vier Jahre alt. Er wird erst in fünfzehn Jahren so viel Verstand haben, daß er mir helfen kann. Mein Vater ist alt, mein Bruder Jim kümmert sich um nichts. Joe, ich brauche dich.«

»Du bist hart und brauchst niemanden, Carrie!«

»Doch, Joe, doch«, erwiderte sie heftig. »Ich bin allein, liege wach und denke, wie alles anders sein könnte, wenn…«

»Wenn«, gab Gantry zurück. »Das ist es: Wenn! Ich werde es dir jetzt sagen und dann nie mehr davon reden, Carrie: Es ist vorbei! Ich könnte dich nie belügen. Ich habe dir, glaube ich, immer die Wahrheit gesagt. Die Wahrheit ist, daß du einen Sohn hast – seinen Sohn! Immer, wenn ich ihn sehe, werde ich an seinen Vater denken müssen. Ich hatte einen Freund, Carrie, dem ich restlos vertraute. Ich habe ihm nie gesagt, daß ich etwas für dich empfand. Doch er hat es gewußt und hinter meinem Rücken um dich angehalten.«

»So darfst du das nicht sagen. Sein Vater und mein Vater hatten es abgemacht. Er hat nur getan, was sein Vater von ihm verlangte.«

»Mit Freuden, wie? Jeff war ein guter Junge, aber irgendwo in einem Winkel seiner Seele falsch. Immer, wenn ich seinen Sohn sehe, werde ich daran denken müssen, daß er wie sein Vater werden könnte. Ich habe dich immer gemocht Carrie, aber du bist eine Morton. Du hast damals gehorcht. Du würdest immer nur das tun, was für die Mortons gut ist.«

»Ja«, sagte sie gepreßt. »Und doch, mein Sohn wird nicht so werden wie sein Vater, dafür sorge ich. Joe, bitte, kann es nicht wie früher sein?«

»Nein, Carrie, nie mehr!«

Carrie Longbaugh wurde kreidebleich. »Joe, du – du liebst mich nicht mehr?«

Er schwieg, blickte an ihr vorbei.

»Joe?« fragte sie zitternd. »Joe, was muß ich tun? Was verlangst du von mir? Soll ich mich von meinem Sohn trennen? Das kannst du nicht verlangen, Joe.«

Plötzlich kam der Zorn in ihr hoch. Sie war gekommen, nicht er zu ihr.

»Joe, weißt du überhaupt, was ich alles kann, wenn ich will?« zischte sie noch wütender. »Wenn ich will, dann – dann lasse ich dich aus dem Land jagen, dann…«

»Carrie!«

»Geh zur Hölle!« Sie drehte sich abrupt um, lief ins Haus.

»Boysen, Coleman, wir fahren los! Auf den Bock mit euch!«

»Mrs. Longbaugh…«, stammelte ­Bates verwirrt.

»Halten Sie den Mund, Bates!« schrie sie. »Coleman, wir fahren sofort, habe ich gesagt, verstanden?«

Mein Gott, dachte Joe Gantry und lehnte sich an den Zaun, sie ist manchmal genau wie ihr Vater, der Colonel. Hinterher wird es ihr leid tun, ich kenne sie.

*

Er hob den Kopf, als der Wagen ankam. »Bates«, sagte Gantry grimmig. »Jube Bates, wenn sie das ist, dann schick sie weg, sonst lege ich sie über mein Knie und versohle ihr derartig den Hintern, daß sie drei Tage nicht sitzen kann. Schick das Weib weg!«

Der Wagen kam von Süden, also konnte es gar nicht Carrie sein. Dann sah Bates den Mann im Buggy. Es war Colonel James Morton. Er saß wie ein König in seinem leichten Buggy. Seine buschigen Brauen hoben sich, als er zum Haus sah und am Stall das Pferd ausmachte. Einen Moment schien der alte, große Mann verharren zu wollen. Dann gab er dem Fuchswallach die Leinen frei, und der Buggy stob in einer Staubwolke davon.

»Sie soll sich zum Teufel scheren«, wiederholte Joe Gantry lallend. Er stand auf und schwankte wie ein Schilfrohr im Wind. »Zum Teufel mit Carrie Morton! Wo ist sie?«

»Sie war es nicht«, sagte Bates besänftigend. Er fürchtete sich vor Gantry, seitdem er wußte, warum der damals fortgegangen war. »Es war der Colonel mit seinem Buggy.«

Gantry schwankte zum Fenster, starrte hinaus und fluchte. Dann taumelte er an der Wand entlang zum Haken und nahm seinen Hut. »Ich werde dem verdammten Kerl die Meinung sagen!«

»Joe, er hört dich gar nicht an, dazu ist er viel zu groß«, versuchte ihn Bates zurückzuhalten. »Sei vernünftig, Joe, du kannst den Colonel niemals überzeugen! Das schafft niemand, Joe.«

»Ich doch«, knurrte Gantry. »Ich werde ihm sagen, daß er alles falsch gemacht hat. Wie alt ist er, he? Uralt ist er, verstehst du, Jube? Ein alter Mann und eine junge Frau! Mußte er denn noch mal heiraten? Dafür hat er seinen einzigen Sohn weggejagt wie einen Hund. Jim war ein feiner Bursche. Der Alte hat ihn auf dem Gewissen.«

»Joe, mach keinen Unsinn!«

»Laß mich!« sagte Gantry. Er ging zur Tür und fiel über die Schwelle. Dann raffte er sich auf, purzelte vom Vorbau und lag dort, wo die Hawkins-Geier gelegen hatten. »Ich sage ihm die Meinung. Mein Vater hat ihm auch gesagt, daß er ein alter Narr sei. Wollen doch sehen, ob er nicht auf mich hört. Eine Frau kann man ersetzen, aber einen Sohn niemals. Er hat Jim kaputtgemacht, verdammt.«

»Joe, bleib hier, es wird gleich dunkel!« schrie Bates. Seine Frau kam aus der Küche. Sie blickten Joe Gantry nach. Der wiederholte stur, wie es Art von Betrunkenen ist – immer wieder. »Ich sage ihm die Meinung, ja, das werde ich.«

Gantry stieg auf sein Pferd und fiel an der anderen Seite hinunter. Er lachte verzerrt, als er es wieder versuchte und diesmal im Sattel blieb. Dann sprang das Pferd an. Joe Gantry verließ die Station.

*

James Morton sah auf den Einschnitt des Saucita Creek, als er die Höhe erreicht hatte.

So weit er auch blicken konnte und der Mondschein das Land erhellte – es war sein Land.

Einen Moment, während der Buggy in schneller Fahrt dem Einschnitt zurollte, dachte er an Jim, seinen Sohn. Der Zorn kam in ihm hoch, er fluchte leise.

»Er wird kriechen«, sagte der Alte grimmig. »Eines Tages wird er auf dem Bauch angekrochen kommen. Ich drohe nicht nur, ich mache die Drohung auch wahr, das weiß er. Kein Erbe, keinen Cent – das bringt ihn zur Vernunft, wette ich.«

Dann fiel ihm seine Tochter ein. Sie war wie er starrköpfig, gab nie nach und setzte immer ihren Willen durch. Im Grunde war er damit einverstanden, wenn er es auch nicht zugab. Es hatte ihn getroffen, als sie von Joe Gantry gesprochen hatte.

»Diese Närrin«, sagte der Alte mürrisch. »Sie wird ihn nicht bekommen, er ist zu stolz, darin gleicht er seinem Vater. Der war auch zu stolz, sich von mir ein Stück Land schenken zu lassen, nachdem er mich aus dem Feuer der Yankees getragen hatte. Joe vergißt nichts, ich habe es ihr gesagt. Ich wette, er wäre mit ihr nach Marfa gefahren, wenn sie ihn beredet hätte.«

James Morton nahm die Peitsche und trieb den Fuchswallach an.

Der Buggy wurde schneller, sauste den Weg herab.

Er nimmt sie nicht, dachte James Morton, ich wette, er will keine Frau, die schon ein anderer Mann gehabt hat. Und was macht sie dann?

Der Alte hatte sich vorgebeugt, als der Knall die Stille in der Senke zerriß.

Die Kugel zischte dicht an Mortons Rücken vorbei, dann schlug sie in die Büsche rechts des Weges.

Im ersten Moment begriff er nicht, daß es jemand geben sollte, der verrückt genug war, auf ihn zu feuern, denn er hatte keine Feinde mehr. Und alle, die es einmal waren, hatte er längst zum Teufel gejagt.

»Jüaah!« schrie er los. »Lauf, jüaaah, lauf!«

Im selben Moment peitschte der zweite Schuß. Das Geschoß fauchte heran, schlug in den Sitz über ihm ein und zerfetzte das Polster. Da erst begriff der Alte, daß der Mann ihn töten wollte.

Runter vom Wagen, dachte James Morton. Er wollte sich abstemmen, nach rechts springen. In derselben Sekunde krachte der dritte Schuß. Die Kugel bohrte sich in das Stirnbrett vor ihm. Die vierte Kugel würde ihn treffen. Er ahnte es und stieß sich ab. Dann fiel er, streifte noch den Eisenbügel am Sitz und wurde herumgeschleudert. Die vierte Kugel jagte zwischen Fußbrett und Sitz durch.

Mein Gott, dachte der Alte, der knallt mich ab! Wer ist das verdammte Schwein?

Die Büsche standen dicht bei dicht, das war Mortons Glück. Er kroch hastig weiter, bis er gegen einige Zweige stieß.

Der Fremde schoß nicht mehr. Es wurde totenstill. Er kommt, dachte der Alte, und erledigt mich. Er weiß sicher, daß ich kein Gewehr habe und nur den leichten Zweiunddreißiger bei mir trage. Wer ist er, und warum versucht er, mich zu töten? Meine Feinde habe ich vertrieben, aber sie sind nicht alle tot. Doch einer der alten Feinde?

Der Alte hörte das Rascheln, und zwar rechts und dort, wo die Lichtung begann. James Morton konnte längst nicht mehr so gut wie früher sehen. Und doch machte er den dunklen Schatten aus, der zwischen den Büschen dahinglitt.

Habe ich dich, dachte der Alte und nahm den Colt hoch, habe ich dich, Hundesohn? So leicht erwischt man einen alten Krieger nicht. Da hast du was!

Er schoß zweimal und sah deutlich, wie die Kugeln den dunklen Fleck trafen. Die Gestalt zuckte heftig unter dem Einschlag der Geschosse, dann lag sie still.

Alles war nun ruhig – kein Rascheln mehr, kein Laut zwischen den Büschen.

Langsam schob sich der alte Morton zurück. Er mußte im Bogen um die Lichtung kriechen und den Kerl von der Seite erwischen.

Plötzlich klickte es hinter Morton. »Laß fallen!« sagte der Mann eiskalt.

James Morton hatte das Gefühl, einen ganzen Eisblock im Genick zu haben.

»Die Waffe weg!«

Es war aus, er wußte es. Der Zweiunddreißiger fiel ins Gras.

»Aufstehen, Morton!«

James Morton zog die Beine an, aber er konnte nicht hochkommen. Er kam nur bis auf die Knie, weil ihn sein linker Fuß nicht trug. Dann rutschte er herum und sah auf den Mann.

»Lipton!« entfuhr es Morton. »Larry Lipton, der Revolvermann! Du bist das, du Ratte?«

»Ich«, sagte Lipton gepreßt. Er hob das Gewehr an und zielte auf Mortons Brust. »Du bist gar nicht so schlau, wie man immer sagt, Morton, sondern ein alter Narr. Der Trick mit der Jacke, die man voll Gras stopft und zwischen den Büschen her zieht, hätte dir doch bekannt sein müssen, oder? Ich wollte dich hereinlegen, und das ist mir geglückt, alter Trottel.«

»Warum?« schrie der Alte. »Lipton, warum? Ich habe deinen Onkel verjagen müssen, aber das ist so viele Jahre her…«

»Du hast Angst«, unterbrach ihn Lipton. »Dann fahr zur Hölle, Feigling!«

James Morton sah, wie Lipton den Finger krümmte.

Dann dröhnte der Knall.

Irgend etwas strich um Zollbreite an Mortons Kopf vorbei.

Lipton stand still. Er sah den alten Morton groß und verwirrt an. Plötzlich gaben seine Knie nach, und er drehte sich nach rechts, fiel in die Büsche.

»Colonel?« fragte jemand, als das Echo sich verloren hatte. »Colonel, alles okay?«

Der Mann kam langsam den Hang herunter. Er hielt sein Gewehr unter dem Arm und blieb neben Lipton stehen.

»Er ist tot«, stellte er fest. »Ich habe ihn in die Schulter schießen wollen, aber dabei wohl etwas zuviel…«

Gantry verschluckte den Rest. Er wußte, daß er doch nicht so nüchtern war, wie er gedacht hatte.

»Joe?«

Der Alte blieb auf den Knien hocken. Es ist verrückt, dachte er, immer muß es ein Gantry sein, was? Damals Bill, heute sein Junge.

»Er sollte nicht sterben«, sagte Joe Gantry. Er kam heran und blieb vor dem Alten stehen. »Ich wollte ihn nur verwunden. Tut mir leid!«

»Junge, du hast mir das Leben gerettet«, keuchte der Alte. »Dieser Strolch, hast du gehört, was er gesagt hat? Warum wollte er mich abknallen? Ah, verdammt, jetzt verstehe ich.«

Plötzlich fiel James Morton ein, daß er die beiden Männer in Shafter gesehen hatte. Lipton war mit Johnny Adams, seinem Vetter, zusammen gewesen. Zwei Killer, die sich noch am Vormittag getroffen hatten.

»Was ist?« fragte Joe Gantry. »Colonel, was haben Sie?«

»Diese Killer!« stieß der Alte hervor. »Ich habe sie in Shafter gesehen, ihn und Johnny Adams. Fängt das wieder an? Habe ich den alten John Adams nicht rauh genug behandelt, als er mein Vieh stehlen wollte? Jetzt verstehe ich alles. Johnny ist nach Hause gekommen, aber er hat es nicht selbst machen wollen, was? Lipton sollte es übernehmen. Späte Rache für eine niedergerissene Hundehütte, die sich Ranch genannt hat. Späte Rache für ein steifes Bein und einen lahmen Arm von John Adams, dem Alten, he?«

»John Adams?« murmelte Joe Gantry. »Colonel, das ist nicht die Art von John Adams.«

»Was? Das ist die gemeine Art, sage ich.«

Er wollte hoch, knickte um und stöhnte.

»Der Fuß?« fragte Gantry. »Ich werde Sie stützen, Sir. Kommen Sie!«

Er half ihm auf und schleppte ihn zu Lipton.

»Joe, sieh nach, was er in den Taschen hat!«

»Ja, Sir.«

Er fand die Scheine – fünf Hunderter und einen Haufen kleinerer Scheine und Münzen. Es mußten einmal sechshundert Dollar gewesen sein.

»Kein schlechter Kopfpreis für mich, wenn auch zu wenig«, knurrte der Alte. »Jetzt bezahlt sich das Gesindel schon gegenseitig.«

»Colonel, John Adams hat kein Geld, nicht so viel.«

»Natürlich, er steckt dahinter. Das ganze Gesindel rottet sich wieder zusammen, um mich zu töten, weil ich keinen Erben habe. Weißt du denn, was vor Jahren gewesen ist, wie ich mich gewehrt habe, wohin ich diese Viehdiebe jagen mußte? Da sind sie wieder: die Hawkins, die Davis-Burschen, die Liptons, alle! Jetzt wollen sie sich rächen, ich habe es immer geahnt. Die Kinder der alten Viehdiebe sind groß geworden. Nun wollen sie sich für ihre Väter rächen.«

»Johnny Adams würde Sie von vorn erledigen«, wandte Gantry ein. »Colonel, ich hole mein Pferd und das von Lipton.«

Er ging davon, ließ den Alten bei Lipton zurück.

Mist, verdammter, dachte Joe, immerhin ist Lipton Johnny Adams Vetter gewesen. Er wird sich vielleicht ärgern, daß ich seinen Vetter erschossen habe. Schöner Mist!

*

Es war wie immer, wenn James Morton etwas wollte – er bestimmte einfach über die Zeit anderer Männer. Er hatte auch über Bill Gantrys Zeit verfügt, als er Viehdiebe verjagte. Jetzt gab er Joe Befehle, als stünde Joe auf seiner Lohnliste.

Joe Gantry hatte Lipton hinter dem Sattel quer über dem Pferd. Der Tote lag unter einer Decke, während der Alte Liptons Pferd ritt und das Zaumzeug und die Sielen des Buggypferdes mitgenommen hatte.

»Halt!« knurrte der Alte. »He, Joe, warte!«

Gantry hielt an der Wasserstelle. Er stieg schweigend ab, holte Wasser und goß es über den umwickelten Fuß des Alten.

»Danke, Joe«, brummelte James Morton. »Ich glaube, es wird schon besser. Bist du sicher, daß der Fuß nur verstaucht ist?«

»Ja«, sagte Gantry einsilbig. »Nur verstaucht.«

Er hob den Kopf und sah nach Norden. Ihm war, als hätte er einen Moment Hufschlag gehört.

»Was ist, Joe?«

»Hufschlag«, murmelte er. »Schon wieder verstummt, Sir.«

»Gesprächig bist du gerade nicht«, stellte der Alte fest. »Du hast etwas gegen mich, wie? Oder bin ich es nicht – ist es Carrie?«

»Ich habe nichts gegen Carrie, Colonel.«

»So?«

Der Alte wartete, bis Joe wieder aufsaß und anritt, dann hielt er sich neben ihm.

»Sie hat mit dir gesprochen? Ich habe das damals nicht gewußt, Joe.«

»Hätte es etwas geändert, Sir?«

Verflucht, dachte der Alte, der Bursche ist scharfzüngig wie kaum jemand.

Bill war immer mächtig stolz auf ihn, er hat ihn sogar auf die gute Schule geschickt. Man merkt es, er ist anders als andere, der kriecht nicht vor mir.

»Ich glaube nicht, Joe. Was wird mit dir und Carrie? Sie kann selbst entscheiden, sie ist alt genug.«

»Nichts wird, Colonel.«

»War sie wütend?« erkundigte sich Morton nach einer Pause. »Sie war sicher wütend, he?«

»Sie wird sich auch wieder beruhigen, Sir.«

»Dann hast du also etwas gegen mich? Rede ruhig, ich habe die Wahrheit lieber als Schweigsamkeit, Joe.«

»Jeder Mann muß wissen, welche Dinge seines Lebens wichtig sind«, wich Joe aus. »Sie haben das immer gewußt, hoffe ich.«

Einen Moment saß der Alte wie erstarrt im Sattel. Dann nahm er den Kopf herum.

»So ist das – Jim, was?«

»Vielleicht?«

Der Zorn meldete sich in James Morton.

Er erinnerte sich, daß Jim und Joe Freunde gewesen waren – und Jeff Long­baugh hatte dazugehört.

»Du hast recht«, knurrte er. »Ein Mann muß wissen, was gut für ihn ist. Jim hat es gewußt und sich frei entscheiden können. Zum Teufel, ich habe ihn nicht davongejagt, wenngleich man das sagt. Er ist gegangen!«

»Das ist dasselbe«, sagte Gantry kühl. »Konnte er denn wählen, Colonel?«

»Ja, das konnte er!« fuhr ihn der Alte an. »Er konnte bleiben und sich damit abfinden, daß sein Vater noch etwas vom Leben haben wollte. Er hat mir nichts gegönnt, der Bursche, er ist gegen meine Frau gewesen – vom ersten Tag an, weißt du das?«

»Haben Sie nichts vom Leben gehabt, Colonel – vorher, meine ich?«

Morton biß sich auf die Lippen. Er hatte Freundinnen genug gehabt, aber er war wie von Sinnen gewesen, als er Elisha, seine zweite Frau, kennengelernt hatte. Er hatte sie niemand sonst gegönnt und sie heiraten wollen.

»Geht dich das etwas an, Joe?«

»Sie haben gefragt, Sir!«

»Verdammt noch mal, Joe, wie redest du mit mir?«

»Ich war Jims Freund – ich bin es noch, Sir.«

»Das merkt man. Hol’s der Teufel, man merkt es! Daß ich dein Patenonkel bin, zählt wohl nicht, he? Etwas Respekt könntest du schon haben, Joe.«

»Den habe ich, Sir«, erwiderte Gantry ruhig. »Sie haben eine Menge geleistet und viel für dieses Land getan, aber oft mit rauhen Methoden. Sie hätten Jim das ersparen sollen.«

»Meinst du? Junge, was weißt du denn von meinem Leben?«

»Eine ganze Menge«, sagte Gantry sanft. »Sie haben immer befohlen. Eines Tages werden Söhne erwachsen. Manchmal nehmen sie dann keine Befehle mehr an. Colonel, es ist nicht meine Sache – ich glaube aber, Sie sollten sich etwas um Jim kümmern.«

»Fällt mir nicht ein!« fauchte James Morton. »Ich habe Zeit, ich kann warten, bis er angekrochen kommt.«

»Er wird nicht kriechen, Colonel.«

»Dann – dann kann ich es nicht ändern. Er hat meine Frau und mich beleidigt, er hat sich nicht mal entschuldigen wollen. Jetzt muß er sehen, wie er mit seinem Kopf durch die Wand kommt. Ich fürchte nur, daß die Wand stärker sein wird, Joe. Du weißt, daß sich die Viehdiebe wieder regen, daß man Kutschen überfällt, wie? Weißt du, was ein guter Sohn dann tun muß?«

Joe blickte auf den Sattelknauf hinab. Er wußte, daß der Colonel gleich explodieren würde und suchte nach Worten, um ihm das, was er zu sagen hatte, auf möglichst verständliche Weise beizubringen.

»Ich kann mich noch gut an Ihre erste Frau erinnern, an Jims und Carries Mutter«, sagte er vorsichtig. »Sie hat die Ranch mit Ihnen aufgebaut, sie hat immer mitgearbeitet. Manchmal hat sie ein Gewehr nehmen und die Ranch verteidigen müssen. Wenn Sie nun gestorben wären, Sir – ob Ihre Frau Jim und Carrie einen anderen Vater gegeben hätte?«

»Das wäre ihre Sache gewesen, Joe«, murrte der Alte. »Nun gut, mag sein, daß sie es nicht getan hätte.«

»Warum nicht, Sir?«

»Weil… weiß ich? Ich glaube, sie hätte es nicht getan!«

»Sicher nicht«, antwortete Joe leise. »Sie hätte immer daran gedacht, daß Sie, Sir, den ganzen Morton-Besitz für Carrie und Jim erarbeitet haben. Wenn sie einen anderen Mann genommen hätte, hätte er sich in ein gemachtes Bett legen können.«

»Ein Mann und eine Frau – das ist doch ein Unterschied«, grollte der alte Morton. »Ich habe noch etwas von meinem Leben haben wollen, aber Jim hat gefürchtet, ihm könnte nun etwas von seinem Erbe fehlen. Darum ist er gegen Elisha gewesen. Jetzt fehlt ihm wirklich alles – er erbt gar nichts, fertig!«

»Hat er wirklich nur an sein Erbteil gedacht?« erkundigte sich Joe. »Sir, er hat an seiner Mutter gehangen. Manchmal ist es für einen Sohn unerträglich, daß seine Mutter eine Nachfolgerin bekommen soll, die keinen Vergleich mit ihr aushält – wenigstens nicht in den Augen des Sohnes. Colonel, Sie haben Jim befohlen, sich mit seiner neuen Mutter abzufinden – konnte er das?«

»Er hat zu tun, was ich verlange, sonst nichts, Joe!« stieß der Alte hervor. »Noch bestimme ich! Was weiß Jim denn schon von Elisha? Glaubt er, sie hielte keinen Vergleich mit seiner Mutter aus? Wenn er sich da nur nicht irrt.«

»Ich kenne Ihre Frau nicht, Sir«, sagte Joe Gantry knapp. »Mir steht auch kein Urteil zu, aber ich meine, Sie sollten versuchen, Jim zu begreifen. Soviel ich weiß, hat er immer seine Arbeit getan und nie gegen seinen Vater geredet, ehe er von seiner Stiefmutter erfuhr.«

»Mag sein«, gab der Alte kalt zurück.

»Aber dann hat er sich gegen mich gestellt und meine Frau beleidigt. Entweder er gibt nach, oder er geht vor die Hunde.«

Joe Gantry sah James Morton verstört an. Er hatte seine eisigen Worte nicht erwartet, und er fragte sich, ob der alte Morton es wirklich so meinte.

»Wie Sie wollen, Sir«, sagte er gepreßt. »Wir sind da. Sir – dort vorn liegt die Ranch. Denken Sie daran, was ich über Adams gesagt habe, er würde nie jemand anwerben. Er mag ein Revolvermann sein, aber er ist kein Heckenschütze. Sie werden das herausfinden, wenn Sie mit ihm gesprochen haben und…«

Joe Gantry zog sein Pferd herum und blickte starr auf den Corralzaun. Der Schatten war nur ein Fleck neben dem Eckpfosten, aber er bewegte sich schwach.

»Colonel, dort!«

Gantry dachte jäh an die beiden Wachposten, die jede Nacht ihre Runde um die Ranch machten.

Gantrys Pferd sprang an, daß der Tote aus dem Sattel zur Seite rutschte. James Morton zuckte zusammen, als Gantry hart anritt und aus dem Sattel sprang.

Morton sah nur wenig, seine Augen waren zu schlecht.

»Verdammt, Joe, was ist?«

»Hier liegt jemand, Sir!«

Gantry war mit einem Satz am Zaun.

Der Mann lag zwischen zwei Pfosten. Er war so gebunden, daß er nicht von den Pfosten fortrollen konnte. In seinem Mund steckte ein Knebel.

»Die Pest, wer…, Joyce!« stieß der Alte heraus. Er blieb im Sattel, sah, wie Joe Joyce den Knebel aus dem Mund zerrte. »Joyce, zum Teufel, was ist passiert, Mann?«

Joyce rang nach Luft, er sah den Alten mit einem Ausdruck steigender Furcht an. James Morton war unberechenbar, wenn ihn der Grimm packte.

»Mein Kopf!« keuchte Joyce. Joe durchschnitt die Fesseln, und Joyce setzte sich auf, preßte die Hände an den Kopf. Blut glänzte über seiner linken Schläfe in Höhe des Ohres. »Mein Kopf! Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich bin wie immer meine Runde gegangen, Sir. Als ich von drüben gekommen bin und den Corral erreicht hatte, hörte ich ein Geräusch hinter mir. Ich habe mich noch umdrehen wollen. Dann hat mich ein Hieb getroffen. Wo – wo ist Shelley?«

Er stöhnte, sah sich um.

Shelley, der Partner von Joyce, hätte im Westen sein müssen. Sie gingen immer so, daß sie sich hinter dem Haupthaus im Garten trafen.

Stille lag über der Ranch, nirgendwo brannte Licht.

Irgend etwas ließ James Morton fröstelnd die Schultern hochziehen. Er wußte nicht, was ihn beunruhigte, aber er ahnte, daß etwas auf ihn wartete, irgendeine schlechte Nachricht, schlimmer als der Anblick von Joyce.

»Joe, sieh nach, wo Shelley steckt, Schnell!«

Joe Gantry zog das Pferd herum, trieb es am Corral vorbei und hinter den Ställen her. Im nächsten Augenblick sah er die Fenz und das offene Tor, den schmalen Weg zur Tränke am Bach unten, Hufeindrücke im Mondlicht!

Jemand ist am Stall gewesen, dachte Gantry bestürzt. Da sind frische Spuren von mindestens fünf Pferden. Verdammt, sie haben Joyce bis an den Corral kommen lassen. Jemand muß hinter dem Eckpfosten gekauert und Joyce vorbeigelassen haben. Und Shelley, wo ist…

An der Stallecke war der kleine Holzschuppen. Brennholz lag aufgeschichtet unter dem Dach. Die Scheite leuchteten hell – die Stiefel waren dunkelbraun und hatten die Farbe des Bodens. Die Stiefel bewegten sich nicht, es gab auch keinen Strick, der sie zusammenhielt – es gab nur diese nach oben zeigenden Stiefelspitzen, graue Hosen und einen ganz ruhig neben dem Holz liegenden Mann.

Shelley hatte die Augen weit offen. Er lag auf dem Rücken, die Hände herabgesunken, den Kopf zur Seite gewendet. Shelley trug ein helles Hemd, das von Blut durchtränkt war.

»Sir«, sagte Joe Gantry knapp. Er nahm das Pferd zurück und sah zum Corral, wo der Alte immer noch neben Joyce hielt. »Shelley ist tot!«

*

Jetzt war überall Licht. Die Ranch hatte sechsundzwanzig Mann auf der Lohnliste. Vierzehn waren hier und aus den Bunkhäusern gestürzt.

»Raus!« schrie James Morton. »Alles hinaus – raus mit euch!«

Seine barsche, schroffe Stimme scholl über den Hof und brach sich am Vorbau seines Hauses. Es war Zufall, daß Jake Correy, der alte Vormann, an diesem Abend nicht auf der Weide, sondern auf der Ranch war.

»James«, sagte er stockend. Er war der einzige Mann, der James Morton beim Vornamen nannte – und er war auch der einzige, der jemals Mortons volles Vertrauen und seine Freundschaft besessen hatte. »James, nur ruhig, wir werden herausfinden, was gewesen ist.«

»Herausfinden, du Narr?« schrie ihn James Morton an. »Das nennt ihr Wache halten, Posten gehen, he? Zur Hölle, sie schlafen alle, sie merken nichts, diese Tölpel. Ich sollte euch alle in die Wüste jagen! Joe, was ist?«

Die Männer standen bei Gantrys Pferd und dem toten Lipton. Sie wußten noch nicht, was es gegeben hatte, aber sie sahen Lipton und den umwickelten Fuß des Colonels. Sie blickten scheu zu Taylor und Hobson, ihren Partnern, die nun mit Shelley um die Ecke kamen. Joe Gantry folgte ihnen.

»Drei Männer«, sagte Gantry knapp. Er blieb vor James Morton stehen. »Die Hintertür des Stalles war offen. Sie haben fünf Pferde herausgeholt. Der Hufschlag, Sir, den ich hörte – das müssen sie gewesen sein.«

»Flint!« brüllte James Morton. Er war gerade noch rot vor Zorn gewesen, jetzt wurde er blaß. »Flint, sieh nach, welche Pferde fehlen, schnell, du Narr!«

Ed Flint, der Zureiter, rannte wie von Furien gehetzt davon. Gleichzeitig klappte die Haustür. Das Licht schoß in breiter Bahn über den Vorbau, und Joe Gantry sah die Frau. Er war ihr nie begegnet, er hatte auch keine Neugierde verspürt, sie zu sehen. Nun sah er sie. Elisha Morton hielt eine Laterne in der Hand. Ihr aufgelöstes blondes Haar schimmerte wie Gold im Laternenschein.

Gantry hatte Zeit, sie zu betrachten, denn James Morton fluchte, tobte, nannte seine Männer Schlafkranke und Tagediebe. Die Frau war blaß, aber sie hatte sicher gelernt, sich zu beherrschen. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, sie sagte nichts, sie blickte aus großen blauen Augen verstört zu James Morton. Auf Gantry wirkte sie kühl, wenngleich sie erschrocken war und ihren Mann bestürzt ansah. Endlich schien sie zu bemerken, daß sein Fuß umwickelt war.

»James, James!«

Elisha Mortons heller Schrei ließ das Fluchen James Mortons ersterben.

»James, um Gottes willen, was ist geschehen?«

Ihre Stimme klang dunkel, sie war tief und rauchig. Dann lief sie los, aber nur drei Schritt, bis sie zum Vorbau auf den Sand des Hofes geriet. Gantry sah, daß sie in der Hast keine Schuhe angezogen hatte. Sie war barfuß und blieb stehen.

»Mein Gott, James, bist du verletzt?«

»Nein«, knurrte James Morton finster.

Er ritt an den Vorbau, winkte Joe und glitt aus dem Sattel. »Lipton hat versucht, mich zu erschießen – Joe kam dazu, ehe mich Lipton töten konnte. Joe, hilf mir ins Haus! Ich muß irgendwo meine alten Kurzschaftstiefel haben, die werde ich wohl anziehen können, was? Jake, satteln, Munition ausgeben, verstanden? Nun, Flint, welche Pferde?«

Der Zureiter rannte zum Vorbau. »Sir, die beiden Junghengste, der Schecke und zwei Stuten!«

»Ausgerechnet die Junghengste?« knirschte James Morton. »Um den Schecken wäre es nicht schade, aber die Hengste und die Stuten – hol’s der Teufel!«

»James, ist das so schlimm?«

Elisha Morton fragte es wie ein Kind, das nichts vom Wert von Zuchtpferden wußte.