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G.F. Barner
– Staffel 16 –

E-Book 151-160

G.F. Barner

Impressum:

Epub-Version © 2022 Kelter Media GmbH & Co. KG, Averhoffstraße 14, 22085 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © Kelter Media GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74099-497-6

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Ein stahlharter Junge

… schießt erst, bevor er Fragen stellt

Roman von Barner, G.F.

Alan Tyler wirft einen Blick zu dem kleinen Mann an der Ecke. Der kleine Mann starrt aus dem Fenster, und sein Atem beschlägt die Scheibe.

Die Maschine stößt ein schrilles und heulendes Pfeifsignal aus, der Zug verlangsamt seine Fahrt, und der Schein einer Laterne wirft Licht in das Abteil. Der Schein wandert über die linke Wagenseite und nähert sich, im gleichen Bewegungsrhythmus des anhaltenden Zuges, der rechten Seite.

Rechts sitzt ein junges Mädchen.

Es hat blondes Haar, das zu einem Knoten aufgesteckt ist. Tyler sieht, daß ihre Augen blau wie Kornblumen sind.

Auch sie beobachtet den kleinen Mann, der etwa fünfundfünfzig Jahre alt sein mag.

Dieser kleine Mann hat Angst.

Er hat schon auf der vorigen Station Angst gehabt. Tyler kennt sich in Gesichtern aus.

Die schmale Hand des Mannes wischt hastig über die Scheibe. Er preßt sein Gesicht an die Scheibe und sieht nach rechts und links.

Dann atmet er erleichtert auf. Deutlich ist zu sehen, daß seine Angst verschwindet.

Nun nimmt der Mann ein Taschentuch aus seiner rechten Tasche. Es ist groß und buntkariert.

Dann poltert es auf den hölzernen Bohlen des Abteils.

Der kleine Mann zuckt zusammen. Seine Augen hinter dem Zwicker wandern von Tyler zu dem Mädchen hin.

Niemand ist außer Tyler, dem kleinen Mann und der Lady in diesem Waggon.

Sowohl Tyler als auch das Mädchen sehen einen kurzläufigen Bullcolt, den der kleine Mann aus der Tasche verloren hat.

Der Mann bückt sich rasch und seufzt dabei. Dann hat er sein Schießeisen wieder und steckt es umständlich in die Hosentasche, das Taschentuch wieder hinterher.

Tyler beobachtet die verlegene Geste des Mannes. Der Mann sieht ihn an und lehnt sich schnaufend zurück.

Und Tyler denkt, daß ein Mann, der schon einen Revolver trägt, diesen wenigstens nicht unter sein Taschentuch packen soll.

Die Lady sieht zu Tyler hin.

Alan Tyler trägt eine schwarze Ziegenlederweste mit einer Reihe von Silbernägeln an den beiden Aufschlägen, dazu eine schwarze Cordhose. Die Stiefel sind zwar staubig, man sieht ihnen aber an, daß sie nicht billig gewesen sind.

Er hat einen schwarzen und breiten Gurt um. Zwischen den Schlaufen sind Silbernägel. Der Revolver Tylers aber sieht geradezu alt und häßlich aus. Es ist ein Smith und Wesson mit einem glatten Kolben aus Walnußholz. Der Kolben ist stark abgegriffen und ragt etwas nach außen.

Der kleine Mann ist aus Versehen an Tylers Beine gestoßen und hat sich entschuldigt.

Tyler sagt: »Mister, nehmen Sie einen Rat an?«

Der kleine Mann hebt den Kopf und sieht Tyler an.

»Ein guter Rat ist nie zu verachten«, sagt er leise.

»Nehmen Sie Ihr Taschentuch und stecken Sie es in die andere Hosentasche«, erwidert Tyler sanft. »Man trägt seinen Revolver, wenn man schon einen hat, niemals so, daß man ihn nicht ziehen kann.«

Der Mann sieht ihn an, nickt dann aber mehrmals und zieht sein Taschentuch wieder heraus. Das versenkt er nun in der linken Hosentasche.

»Danke. Ich trage sonst keinen Revolver«, sagt er. »Nur heute…«

»Ich sehe es«, murmelt Tyler.

Dann fängt er den Blick der Lady auf. Es ist ein kühler und durchdringender Blick, in dem irgendwo etwas wie Spott flimmert. Vielleicht aber ist es auch Unwillen.

Er beobachtet ihre Blicke, die sich auf seinen Revolver richten.

Ihre Augenbrauen ziehen sich leicht hoch. Sie hält Tyler für einen Revolvermann.

Alan Tyler deutet den Blick richtig, denn sie wendet sich nun an den kleinen Mann und sagt mit einer klaren Stimme: »Mr. Shannon, ich schätze, Sie hätten Ihren Revolver auch zu Hause lassen können. Oder würden Sie auf jemanden schießen können?«

Aber Shannon dreht sich ihr zu und fährt mit der Hand in den Kragen.

»Miss Susan, ich würde mich nicht fürchten, abzudrücken! Jeder Mann hat das Recht, sich zu schützen!«

»Aber Mr. Shannon, Sie sind doch kein Mann, der auf andere mit einem Revolver losgeht«, murmelt sie. »Wahrscheinlich würden Sie dabei doch nur den kürzeren ziehen. Ich weiß wirklich nicht, ob das sehr klug ist!«

»Niemand kann verlangen, daß ich mich weiter ducke, Miss Susan«, sagt Abel Shannon mit einem Versuch zu protestieren. »Sie haben mir gedroht. Ich drohe nicht, aber ich bin bereit, mich zu verteidigen. Ein Unglück, daß ich kein Revolvermann und dazu noch arm bin, ich würde sonst…«

Er verstummt. Ein kleiner, nervöser Mann, der aus ängstlichen Augen auf die beiden Türen des Waggons sieht.

»Arm?« fragt Susan lächelnd. Tyler findet, daß ihr das Lächeln prächtig steht. Nur der Haarknoten müßte weg, dann würde sie noch prächtiger sein. »Sie haben den schönsten Store in Rapid City!«

»Seit dem letzten Herbst nicht mehr. Es ist eine lange Geschichte, und Sie waren lange fort, Miss Susan!«

»Nein, ich habe es trotzdem gehört«, sagt Susan leise. »Immerhin war der Schaden wohl doch nicht so schlimm, den die Rinder verursachten?«

»Nicht schlimm?« fragt Shannon mit Erstaunen. »Es war die Hölle. Ich hatte Rinder und Bullen in meinem Store, man stelle sich das vor… Sie stießen den Tresen um, sie rannten gegen die Regale und stampften alles nieder. Es war die Hölle!«

»Davon hörte ich nichts, nur, daß einige Rinder in Ihren Store gelaufen waren.«

Sie zieht wieder ihre Augenbrauen hoch, während sich Tyler still verhält. Das Mädchen scheint also lange nicht zu Hause gewesen zu sein, und Shannon hatte sicher durch eine Stampede Rinder in seinen Store bekommen.

»Einige?« fragt Shannon krächzend und fährt sich über den Mund, wobei sich sein bleiches Gesicht hektisch rötet. »Es waren mindestens hundert. Sie kamen vorn herein und rannten durch die Glastür und mein Büro hinten wieder hinaus. Ich konnte mich nur noch auf den Boden retten, sonst wäre ich zertrampelt worden. Dieser David Crocker. Ich habe immer gewußt, daß er nichts von Rindern versteht, aber bewiesen hatte er es erst, als er mit seinen verdammten… Entschuldigung, Miss Susan, nun, daß er mit seinen Rindern ausgerechnet durch die Town ziehen mußte. Der Teufel weiß, wer ein paar Feuerwerkskörper zwischen die Rinder warf! Die Rinder haben mich fast ruiniert!«

»So schlimm kann es doch nicht gewesen sein!« erklärt die Lady.

»Ich hatte Geld, aber gerade vorher mußte ich es meinem Bruder schicken, der in Schwierigkeiten war. Nun, ich lieh mir von Campbell Geld. Ich brauchte einen neuen Store mit Inhalt. Mein Bruder wollte mir das Geld im halben Jahr zurückzahlen, konnte es aber nicht. Nun ist die Schuld fällig, bis zwölf Uhr. Wenn ich bis dahin nicht gezahlt habe, dann bin ich meinen Store­ los. Ich konnte das Geld noch eben rechtzeitig besorgen.«

Er greift in seine Westentasche, zieht eine Taschenuhr heraus und klappt den Deckel auf.

»Zehn Uhr, dreißig Minuten«, sagt er heiser. »Um Mitternacht muß ich bezahlt haben. Nun, wir werden…«

Um Mitternacht gibt es einen gewaltigen Ruck, die Wagen beginnen zu schaukeln, der Zug verlangsamt ruckhaft seine Fahrt, dann ertönt das Pfeifsignal anhaltend, und dann gibt es noch einen Ruck, der den kleinen Shannon an die Wand schleudert.

Aus den Stangen über den Köpfen von Tyler und Shannon sausen die Gepäckstücke. Shannon bekommt eine Tasche gegen den Kopf und stößt einen Schrei aus. Tyler verliert seinen Hut. Die Lady ist unter einem Berg von Hutschachteln und kleinen Koffern begraben.

Irgendwo poltert es draußen gewaltig und langanhaltend. Es hört sich an, als wenn der Zug gegen ein Hindernis geprallt ist. Eine Scheibe klirrt irgendwo weiter vorn. Es ist sekundenlang still. Dann aber brüllen Stimmen durcheinander.

Shannon rafft sich vom Boden auf, jammert heiser und tritt ans Fenster. Er reißt es auf, streckt seinen Kopf hinaus und ruft: »Was ist passiert?«

Tyler sieht auch aus dem Fenster und erkennt, daß die Schienen hier einen großen Bogen machen. Überall sehen Leute aus den Fenstern, tauchen neben dem Zug auf und schreien wild durcheinander. Das Licht der Maschine leuchtet auf einen Felsblock, der mitten auf den Schienen liegt.

Shannon sagt verzweifelt: »Ein Felsblock liegt auf den Schienen. Wir können nicht weiter, und ich komme zu spät!«

Tyler dreht sich um und hilft der Lady, die Hutschachteln und zwei kleine Koffer wieder zu verstauen.

»Das ist hier seit Jahren nicht mehr passiert«, sagt das Mädchen verstört. »Danke, Mister. Mr Shannon, nun hören Sie schon auf zu jammern, der Felsblock wird gleich zur Seite geschoben. Dann fahren wir weiter.«

Sie geht nun auf das Fenster zu, sieht hinaus, und auch Tyler blickt nach vorn.

Dann spürt er den Luftzug in seinem Nacken, dreht sich herum und erstarrt.

Sie sind hier im letzten Wagen. Mitten im Gang steht ein Mann mit einer braunen Jacke.

Der Mann hat einen Hut auf, zwei Revolver in den Händen und sagt scharf und schneidend: »Niemand bewegt sich, sonst wird geschossen! Streckt die Hände hoch!«

Hinter ihm erscheinen noch zwei Männer. Jeder hat sein Halstuch bis über die Nase gezogen, nur die Augen sind zu sehen, die Hüte sitzen tief in der Stirn.

Abel Shannon zuckt zusammen, dreht sich dann um und reißt seine Hände in die Höhe.

Er starrt in die beiden Revolver des Mannes im Gang. Die Lady wendet auch den Kopf. Es kommt Tyler vor, als wenn der größere der drei Männer leicht zusammenfährt, als er jetzt ihr Gesicht sieht.

Dann jedoch sagt der Mann auch schon barsch: »Lady, gehen Sie da hinüber und rühren Sie sich nicht. Das ist ein freundlicher Rat, ich werde sonst rücksichtslos schießen!«

Tyler geht kein Risiko ein. Er hebt langsam die Arme hoch und hält die Hände über dem Kopf ruhig. Allerdings sind seine Arme angewinkelt.

»Du da, tritt an die Wand!«

Sein Revolver ruckt herum und zeigt auf Tylers Brust. Die schwache Bewegung lädt Tyler ein, ein Stück nach rechts zu gehen. Und Tyler, weit davon entfernt eine Dummheit zu machen, geht gehorsam an die Wand neben der Tür. Er behält die Hände oben und lächelt.

Nun weiß er, wovor Shannon die ganze Zeit Angst hatte.

Abel Shannon blickt zu seiner Tasche. Tyler braucht nicht zu raten, daß Shannon in der Tasche jenes Geld hat, das er Campbell geben muß.

Daher auch der Revolver, der gar nicht zu dem kleinen und mageren Burschen paßt.

Tyler steht still und grinst amüsiert. Sein Grinsen regt den Großen wohl auf, denn er sagt grimmig: »Du kannst nachher grinsen, Mister. Shannon, nun bist du dran… stell dich neben die Lady. Und wenn du was versuchst, könnte es die Lady treffen. Geh schon, Shannon!«

In dieser Sekunde weiß jeder, daß die ganze Sache nur Shannon und niemandem sonst gelten kann.

Das Mädchen blickt den großen Mann furchtlos an, bewegt leicht die Hand, die sie vor der Brust hat, und sagt kalt und schneidend: »Mister, mein Onkel ist der Sheriff von Rapid City! Wir sind keine fünfundzwanzig Meilen mehr von der Town entfernt. Versuchen Sie hier etwas, dann wird er Sie finden und aufhängen, haben Sie das jetzt verstanden?«

»So, der Onkel ist Sheriff«, brummt der Mann. »Nun, er kann ja versuchen, uns zu erwischen, aber mehr als die Zunge sich herausrennen wird er nicht. Shannon, bist du bald da?«

Shannon wirft noch einen Blick auf seine Tasche und ist kreidebleich.

»Das könnt ihr nicht machen«, sagt er schrill. »Ich werde den Sheriff auf euch hetzen, ich werde…«

Er verstummt mit einem krächzenden Schlucker und sieht mitten in die Revolvermündung.

Dann tritt er schweigend und leicht zitternd neben die Lady.

»Ist was draußen?« fragt der Große kühl.

Der eine Mann hinter ihm sieht hinaus.

»Alle sind vorn, sie denken nicht daran, daß hier was sein könnte!«

Tyler mustert die drei Burschen ohne Furcht. Er hat in seiner Tasche dreieinhalbtausend Dollar, aber er ahnt, daß sich die Männer nur für Shannon interessieren.

»Geh nach vorn!« befiehlt der große Bursche heiser. Seine Stimme klingt rauh und durch das Tuch auch noch verzerrt.

Der zweite Mann setzt sich in Bewegung. Er kann noch nichts von Tylers Revolver sehen, denn der ist durch die Sitzbank verdeckt.

Dann aber kommt der Moment, in dem der Mann den Colt in Tylers tiefhängendem Halfter sieht.

Sofort bleibt er stehen, richtet seinen Revolver auf Tyler und sagt hastig: »Boß, er hat einen Colt. Verdammt tief. Linkshänder!«

Der Große befiehlt knapp und rauh: »Geh weiter, und nimm ihm den Revolver weg!«

Der Mann macht einen Schritt nach rechts, so daß der Große nun Tyler vor beiden Revolvern hat.

Dann kommt er langsam und vorsichtig auf Tyler zu. Er kennt anscheinend etwas von seinem Geschäft, denn er sagt scharf: »Dreh dich um, behalt aber die Flossen oben, Mann!«

»Ich bin kein Säugling, daß ich schreien werde oder zu strampeln versuche«, erwidert Tyler schleppend. »Nimm den Revolver, ich versuche schon nichts. Dies ist nicht meine Sache!«

»Klug bist du«, gibt der andere zu. »Hast eine verdammt prächtige Weste, Mister. Woher?«

»Ich komme aus New Mexico, da gibt es die!«

»Ich würde dich mehr für einen Texaner halten. Schlag nicht wie ein Gaul aus, ich bin auf jeden Trick eingestellt!«

»Und ich nicht wild, wegen dieses kleinen und jammernden Burschen meine Haare zu riskieren«, erwidert Tyler trocken. »Nimm ihn schon, mein Freund!«

»Hör mal, du bist aber ziemlich hartgesotten«, erwidert der Bandit und zieht den Colt heraus. »Dreh dich wieder um!«

Er ist zwei Schritte zurückgetreten, und Tyler dreht sich grinsend um.

»Leg ihn vorsichtig auf die nächste Bank«, empfiehlt er dem Banditen grinsend. »Er ist ziemlich wertvoll für mich! Shannon, du hast doch nicht etwa Angst? Sie tun dir ganz bestimmt nichts!«

»Trägt einen Revolver und kneift«, sagt da die Lady mit funkelnden Augen. »Mister, Sie sind ein verdammt großer Held!«

»Tatsächlich?« fragt Alan Tyler grinsend und schüttelt verweisend den Kopf. »Nicht doch, Lady, diese lieben Burschen hier sind aus meiner Berufssparte, sozusagen Kollegen von mir. Nur, daß ich weiter im Süden ein einträgliches Geschäft unterhielt. Nun los, Freunde, ihr versteht es prächtig! Bringt schon die Sache zu Ende!«

»Darum ist er so ruhig«, sagt der Große zufrieden. »Suchst du einen Job?«

»Kommt drauf an!«

»Bleib ein paar Tage in Rapid City, wenn du dorthin willst!«

»Da will ich hin!«

Der Große nickt und grinst nun auch.

»Nimm dir nun Shannon vor«, befiehlt er seinem Mann.

Der Bandit langt zuerst in seine Taschen, findet den Bullcolt und steckt ihn grinsend ein.

»Und hier ist seine Brieftasche«, stellt er dann fest. »Geldbeutel ist hier. Wollen doch mal sehen, was er so hat…«

Er öffnet den Beutel.

»Nur ein paar Dollar«, sagt er zufrieden. »Und nun die Brieftasche…«

Er klappt sie auf und zuckt zusammen, dann nimmt er ein Papier hoch und sagt heiser: »Ich dachte schon, er wäre umsonst nach Cheyenne gefahren, Boß. Er hat sich Geld geborgt, hier ist ein Schuldschein. Wir wußten, daß du bis Mitternacht mit dem Geld in Rapid City sein mußtest, Shannon.«

Er steckt den Wisch ein und wirft die Brieftasche achtlos vor Shannons Füße.

Dann sieht er zu Tyler und grinst. »Dein Gesicht habe ich schon einmal gesehen!«

»Sicher auf einem Steckbrief«, gibt Tyler zu. »Ich sage euch, ich mache mich immer besonders gut auf Steckbriefen! Er wird sein Geld in der Tasche haben!«

»Du verfluchter Hundesohn!« keucht Shannon leichenblaß und erregt. »Du bist ja ein noch schlimmerer Schuft…«

Der Bandit dreht sich um, packt ihn und stößt ihn an die Wand, daß Shannon fast zusammensinkt.

»Beleidige keine Partner von uns, Krämerseele«, sagt der Bandit heiser. »Ich wußte auch so, daß es in der Tasche ist. Nun, dann wollen wir mal!«

Er ist trotzdem vorsichtig, als er an Tyler vorbeigeht. Dann nimmt er die Tasche.

»Sie ist voll Geld, tatsächlich! Nun, für neuneinhalbtausend Dollar ganz schön schwer! Viel Hartgeld.«

»Red nicht soviel, komm lieber«, sagt sein Boß im Gang. »Eh, sieh doch mal nach draußen!«

Der Mann in der Tür verschwindet, der andere steht nun dicht neben Tyler und hat die Tasche in der Linken, während seine Rechte den Colt auf Tyler, Shannon und die Lady gerichtet hält.

Er geht nun los, und er ist vor Tyler, als Shannon sich leicht bewegt.

Sofort ruckt sein Revolver herum und zeigt auf den kleinen Mann.

»Ihr Wölfe, ihr Aasgeier!« sagt Shannon kreischend. »Man sollte euch… ich werde…«

»Ruhig, Narr, sonst lassen wir dich als Leiche zurück«, bellt der Bandit heiser. »Du hältst deine Klappe, oder…«

Es ist sein Fehler, daß er nur auf Shannon achtet.

Und Shannons verzweifelte Worte lassen Tyler wütend werden. Er ist es schon die ganze Zeit, jedoch wartet er seine Sekunde ab.

Die Sekunde ist da.

Tyler hat zwar die Hände über dem Kopf, aber die Arme angewinkelt.

Und als der Mann haargenau auf der Höhe seines rechten Armes ist, da schlägt Tyler mit einem kurzen und harten Ruck seinen angewinkelten Arm nach links.

Der Kopf des Banditen ist genau in der Höhe des Ellbogens.

Der Mann stößt einen Schrei aus und torkelt in die Schußlinie des Großen.

Der Bandit schreit vor Schmerz noch einmal, aber er hat noch nicht zu Ende gebrüllt, als Tyler ihm den Revolver schon abgenommen hat.

Der Colt zeigt auf den Großen, der sich mit einem Satz nach hinten wirft.

Der Große sieht, daß Tyler durch seinen Partner verdeckt ist. Er müßte zuerst seinen Partner erschießen, ehe er Tyler erwischen kann. Das ist Tylers eiskalte Rechnung.

»Boß!« ruft jemand auf der Plattform. »Was ist los?«

Der Mann taucht in der Sekunde auf, in der Tyler schießen will.

Der Große, der rückwärts auf die Plattform springt, stößt mit seinem Partner zusammen und stößt einen heiseren Schrei aus.

Jedoch reißt er seinen linken Colt hoch.

Tyler schleudert den Banditen nach links. Zugleich taucht er dabei weg.

Der Große schießt zu überhastet. Die Kugel erwischt nicht Tyler, sondern trifft den fallenden Banditen, der einen spitzen Schrei ausstößt und auf die Bank fällt.

»Runter!« brüllt Tyler heiser und feuert einen Schnappschuß auf den Großen ab. »Lady, runter!«

Er schießt noch einmal, aber da ist die Plattform schon leer. Ihm ist, als wenn der Große stöhnt, dann hört er Schritte draußen, die Männer laufen weg. Und er ist sicher, daß er den Großen wenigstens mit einem Streifschuß getroffen haben muß.

»Bleibt unten!« sagt Tyler scharf und duckt sich, während er die Tasche ergreift und sie Shannon zuwirft.

Er macht einen langen Satz, nimmt seinen Revolver von der Bank und schleudert Shannon den anderen Colt zu.

Mit einem kurzen Blick nach hinten stellt er fest, daß die Lady sich duckt und Shannon den Colt aufhebt.

Schon saust Tyler auf die offene Waggontür zu.

Er kommt bis zur Tür, streckt seinen Arm hinaus und reißt ihn hastig zurück.

Von rechts blitzt es in der Dunkelheit auf. Zwei, drei Schüsse bellen in die Nacht hinein, eine Kugel schlägt an die Eisenwand des Waggons, eine jault von den Stangen der Plattform ab.

Dann kommt Shannons gellender Schrei hinter ihm auf. Alan wirbelt jäh herum und sieht den Banditen mit einem Satz von der Bank durch das Fenster springen. Shannon feuert erst, als das Fenster frei ist und läßt danach den Colt fallen. Er hat den Mann nicht getroffen und seine Kugel in die Luft gejagt.

Der Große hatte seinen Partner an der Schulter erwischt. Der Mann muß allerdings zäh wie eine Katze sein, daß er noch genug Kraft hat, aus dem Fenster zu springen.

Als Tyler aus der Tür will, bellt es wieder hinter den Büschen rechts auf. Er flucht heiser, duckt sich und rast zum offenen Fenster, aber es ist niemand mehr zu sehen.

»Shannon, du verdammter Narr!« sagt er wild. »Der Bursche ist weg, das ist deine Schuld!«

Er hört die gellenden Rufe in der Nacht, aber schon kommt trommelnder Hufschlag auf, einige Pferde jagen weiter hinten über die Gleise auf die linke Seite hinüber. Irgendwo schreit nun eine Stimme gellend: »Hierher, Boß…!«

»Da haben wir es«, schimpft Tyler bitter. »Sie werden ihn auflesen und sind weg. In diesem Strauchland findet man keine Spur mehr. Shannon, du hättest ihn treffen müssen! Ja, nun ist es zu spät, sie sind über alle Berge!«

Er beugt sich aus dem Fenster. Männer rennen herbei und fragen aufgeregt, was losgewesen sei.

»Nichts von dem Geld sagen«, erklärt Shannon. »Nichts sagen, Mister!«

»Es waren drei maskierte Männer«, erklärt Tyler. »Sie kamen herein und wollten uns ausrauben. Ich konnte sie vertreiben. Es ist schon in Ordnung.«

Die Männer unter ihm sehen sich erschrocken an, dann sagt einer: »Vielleicht sind noch mehr hier! Vorsicht! In die Wagen zurück!« Männer springen auf die Plattformen und stürzen in die Waggons. Fenster fliegen auf, Revolvermündungen sind zu sehen.

»Sie sind weg«, sagt Tyler nicht ohne Spott. »Die kommen auch nicht wieder. Spielt nur nicht verrückt, Leute!«

Selbst der Maschinist und der Heizer sind auf ihre Maschine gesprungen.

»Hundert Dollar, wenn sie mich beschützen. Ich bin kein Held, vielleicht versuchen es die Burschen wieder«, sagt Shannon.

»Red keinen Unsinn, Shannon«, erwidert Tyler knapp. »Zwei sind verwundet. Sie kommen nicht wieder. Es wäre Selbstmord für sie.«

Alan Tyler geht nach vorn zur Maschine.

Er sieht einige Frauen mit ängstlichen Gesichtern aus den Fenstern blicken. Männer versammeln sich vorn und stehen vor dem Felsblock, der mitten auf den Schienen liegt.

Mürrisch und fluchend stehen der Maschinist und der Heizer vor dem Block und versuchen mit einer Eisenstange, den Fänger der Maschine zu richten.

Die Unterseite des dreieckigen Fängers ist beim Anprall unter den Block geraten und das Gußeisen gerissen. Es ist an der linken Seite nach unten gebogen worden.

»Schlagt es doch ab«, sagt Tyler nach einem Blick auf den verbogenen Fänger. »Ihr könnt es ohne einen schweren Hammer doch nicht zurückbiegen. Schlagt es ab!«

»Wir haben nur einen kleinen Hammer, Mister«, brummt der Maschinist, ein Rotschopf, grimmig. »Versucht haben wir es, aber es geht nicht!«

Tyler sieht auf den Hammer, der bei den wuchtigen Schlägen abgebrochen ist, und dann sieht er zum Felsblock.

»Der Block müßte doch unten wieder an den Fängen fassen. Und wenn die Maschine…«

»He, Mister, setz die Maschine etwas zurück, dann fährst du noch einmal gegen den Block, der Fänger wird sicher abreißen!«

»Was? Und wenn er sich nur weiter verbiegt?«

»Gußeisen verbiegt sich nur wenig. Also, versuch es wenigstens!«

»Ich kann den Block aber nicht wegschieben«, erklärt der Maschinist. »Er ist zu schwer. Ein Wunder, daß er nicht die Schienen zermalmt hat mit seinem Gewicht! Was nützt es, wenn ich den Fängersteg abbrechen kann, den Block aber nicht herunterbekomme!«

Tyler klettert auf den Felsblock, läßt sich die Stange geben und starrt einige Sekunden auf die mit Gras und Moos bedeckte Seite des Blocks.

»Hier ist doch Gras drin, also muß auch ein Riß in ihm sein«, sagt Alan Tyler nachdenklich und bohrt die Schürstange in einen Riß, der breit und tief genug ist. »Hat jemand ein Gewehr hier?«

»Ich«, meldet sich ein Mann. »Brauchst du Patronen? Ist der Riß tief genug?«

»Du willst doch nicht etwa sprengen?« fragt der Maschinist erschrocken. »He, Mister…«

»Tate, wir haben doch im Gepäckwagen Dynamit für die Minenverwaltung«, ruft von hinten der Zugbegleiter und drängt sich durch die Leute. »Zwar dürfen wir nicht an die Ladung gehen, aber in diesem Fall…«

»Und wenn der Stein nicht zu sprengen ist, was dann? Wenn er die Schienen bei der Sprengung vielleicht zerstört? Dann sind wir dran, Jube!«

Die Männer sehen sich unsicher an, aber Tyler mischt sich nun ein und sagt trocken: »Ich verstehe schon etwas davon, Leute. Holt ein paar Patronen her, aber brecht erst die Stange des Fängers ab!«

Der Maschinist steigt auf die Maschine, der Heizer und der Zugbegleiter auf einen Waggon. Sie fahren einen Schritt zurück, dann drehen Heizer und Zugbegleiter die Kurbelbremsen an den Wagen fest und kuppeln die Maschine ab.

Schon beim ersten langsamen Anfahren an den Block knackt die untere Stange des Fängers durch. Zwar hängen die Fängerteile immer noch verbogen nach unten wie Haifischzähne, aber sie werden nicht auf die Schwellen kommen können.

Nun setzt man den Zug ungefähr dreißig Yards zurück. Tyler steigt auf den Block, stößt die Stange so tief wie möglich in den Spalt hinein und steckt die fünf Sprengpatronen nacheinander hinein.

Dann keilt er das Loch mit einigen kleinen Felsstücken zu und treibt die neugierigen Leute zurück.

Schwarz und dünn sieht die Zündschnur aus dem verkeilten Loch heraus.

»Geht zurück, Leute«, sagt Tyler scharf, als einige Neugierige nicht weit genug weg sind. »Ich stecke die Lunte an!«

Er reißt ein Schwefelholz an seiner Hose an und berührt mit ihm die Schnur.

Zischend und fauchend brennt die Schnur. Tyler dreht sich um und rennt mit langen Sätzen auf die Maschine zu.

Er hat sie kaum erreicht, als es hinter ihm einen schmetternden Schlag gibt.

Donnernd wächst eine Staubwolke hoch, fährt ein Feuerblitz in den Nachthimmel.

Der Stein auf den Schienen wackelt einmal, dann verziehen sich Rauch und Staub.

Und als sie alle hinhasten, ist der Stein in zwei fast gleiche Hälften zerborsten.

»Das schaffe ich«, sagt der Maschinist zuversichtlich. »Ich fahre langsam dagegen, dann kann ich sie herunterdrücken. Steigt ein, Leute, ich versuche es!«

Alles klettert hastig in die Waggons zurück, wenig später ruckt der Zug an, die Maschine stößt gegen den Felsen, und langsam werden die beiden Teile zu den Seiten geschoben und rollen den Bahndamm hinunter.

Tyler steht auf der Maschine, und sein dunkel gebräuntes und kantiges Gesicht verzieht sich zu einem sparsamen Lächeln.

»Mann, das hast du großartig gemacht«, sagt der Maschinist heiser. »Die Schienen sind kaum verbogen. Sie werden gleich von Rapid City einen Bautrupp herschicken, der nachsieht. Willst du hierbleiben? Du kannst ruhig auf der Maschine fahren!«

»Ich gehe wieder nach hinten«, erwidert Alan. »Die Sache wär nicht der Rede wert. Nun, schaffst du es, bis Mitternacht in der Stadt zu sein? Wir haben glatte zwanzig Minuten verloren!«

»Die hole ich schon wieder auf!« erwidert der Maschinist trocken. »Ich brauche nur bergrunter schneller zu fahren. Vielen Dank, mein Freund!«

Alan Tyler nickt und steigt von der Maschine herunter. Er läuft nach hinten, lächelt ein wenig, als ihm die Leute danken, und steigt hastig in den letzten Waggon.

Dort sitzt die Lady in der Ecke, während Shannon mit seiner Tasche auf seinem alten Platz hockt und Tyler groß ansieht.

»Vielen Dank, Mister… Ich weiß nicht einmal Ihren Namen.«

»Ich heiße Alan Tyler«, erwidert Alan ruhig.

»Sie haben eine Menge riskiert, Mr. Tyler. Hoffentlich schaffen wir es noch bis Mitternacht! Ich habe den Store nun sechzehn Jahre, Mr. Tyler. Damals war Rapid City keine Town, nur eine Handelsstation für die Sioux und Cheyennes.«

»Schon gut«, erwidert Alan Tyler.

Die Lady hat bisher geschwiegen. Nun aber wendet sie sich Tyler zu und sagt langsam: »Ich habe einen Augenblick geglaubt, Sie wären feige. Sind Sie ein Bandit?«

Er lächelt und schüttelt den Kopf. »Ich habe in New Mexico eine Pferderanch, Lady. Ein Pferdefänger muß schon einige Schliche kennen, sonst fängt man nie ein Pferd. Shannon, vielleicht sind Sie ein guter Storebesitzer«, sagt Tyler, »ein harter Mann aber nicht. Sie kennen sich in Rapid City aus?«

»Sicher«, erwidert Shannon sofort eifrig. »Ich kenne jeden Mann, der in der Town wohnt. Wollen Sie in die Stadt, Tyler, dann wohnen Sie am besten im Dakota-Star, Saloon und Hotel, ein sehr guter Platz!«

»Vor drei Monaten muß in der Stadt jemand gewesen sein, der auch Tyler hieß. Adam Tyler. Kennst du ihn?«

»Ein Verwandter von dir, Tyler?«

Shannon beugt sich etwas vor und sieht Alan seltsam an.

»Ja«, murmelt Alan. »Adam Tyler ist mein Bruder. Kennen Sie Adam?«

Shannon nestelt unruhig an seiner Uhrkette. Er sieht an Alan vorbei, und Tyler fühlt, wie Shannons merkwürdiges Gebaren ihn mit Unruhe erfüllt.

Je länger Shannon schweigt, desto schwerer und bedrückender legt sich ein dumpfes Gefühl auf Alan Tylers Brust.

Er denkt an die dreieinhalbtausend Dollar, an seinen Bruder, den es nicht zu Hause hielt, der wegreiten mußte und lieber mit Rindern zu tun hatte als mit Pferden.

»Ich – kannte ihn«, sagt Shannon spröde.

Und Alan ist es, als wenn das Gewicht ihn erdrücken soll.

Adam Tyler war immer lustig und wußte, was er wollte. Zwei Jahre jünger als Alan, zog es ihn in die Fremde. Und seine letzten Worte waren: »Ich werde einst wiederkommen, Bruder, wenn ich einen so großen Sack Geld habe, daß mein Gaul ihn nicht allein tragen kann.«

»Was heißt das?« fragt Alan.

Er weiß die Antwort im voraus. Shannon sagt: »Er ist tot!«

Tyler schließt die Augen.

Adam ist tot!

Er wird nie mehr lachen.

Er wird mit keinem Pferd kommen, das den Sack mit Geld nicht mehr tragen kann!

*

Susan blickt Alan Tyler an. Sie sieht sein starres und kantiges Gesicht, das die Sonne bräunte und in dem ein paar scharfe Falten dem Mund einen harten Ausdruck verleihen.

Aber sie fühlt zugleich, daß es nun wie eine Maske ist, die nicht erkennen läßt, was er wirklich denkt.

»So«, sagt Alan leise und macht die Augen wieder auf. »Er ist also tot. Mr. Shannon, dann wissen Sie sicher auch, wie und warum er gestorben ist?«

»Ja«, erwidert Shannon mit seiner krächzenden Stimme. »Ich weiß es, aber… Tyler, diese Sache ist bis heute unklar!«

Tyler sieht ihn durchbohrend an, seine Wangenmuskeln spielen. Er denkt an die dreieinhalbtausend Dollar in seiner Tasche, die für Adam bestimmt gewesen sind.

Adam braucht kein Geld mehr. Adam braucht nichts mehr.

»Warum unklar?« fragt Tyler ganz ruhig. »Was ist mit ihm passiert?«

Shannon nimmt seinen Kneifer ab, dessen Gläser beschlagen sind. Es ist eine verlegene und unsichere Bewegung. Seine Augen sind so kurzsichtig, daß er Tyler auf die geringe Entfernung kaum noch erkennen kann.

»Er – er suchte in den Bergen wie viele andere nach Gold und Silber«, sagt Shannon. Er putzt hastig seinen Kneifer und setzt ihn wieder auf. »Es suchen so viele nach den Schätzen der Berge, viele, aber kaum einer findet etwas. Er hatte einen Partner, einen gewissen Fergus Lanthrop. Ich erinnere mich genau, wie sie zu mir kamen und einkauften… Es sah aus, als wenn sie sich beide nicht gerade gut vertrugen an dem Tag. Irgendein Mädel aus Rapid City!«

»Was für ein Mädel, Shannon?«

Shannon zuckt bei der heftigen Frage zusammen und nestelt umständlich an seiner Tasche.

»Mabel Yeager«, sagt er dann heiser. »Ihr Vater hat die Sattlerei! Nun ja, sie machten ihr wohl beide den Hof. Dann zogen sie wieder in die Berge, wie schon so oft vorher. Sie hatten sich eine Hütte am Oberlauf des Elk ­Creeks gebaut.

Eines Tages kam ein Prospektor in die Stadt, der in der Nacht in den Bergen Schüsse gehört hatte und am Morgen nachsah, was sie zu bedeuten hatten. Er hatte sie gefunden, in der Nähe ihrer Hütte, etwa drei Meilen den Bach abwärts. Dort lagen ihre Schürfpfannen und Geräte, ein Feuer war dort niedergebrannt. Ihr Bruder hatte eine Kugel aus Lanthrops Gewehr bekommen und lag halb im Bach, Lanthrop hinter einem Busch nahe dem Feuer. Der Sheriff ritt hin und sah sich die Sache an. Wahrscheinlich haben sie sich gegenseitig umgebracht!«

Shannon schweigt mit einem Seufzer, das Mädel sieht Tyler aufmerksam an und sagt leise: »Tut mir leid für Sie, Mr. Tyler, das mit Ihrem Bruder. In den Bergen herrschen die schlimmsten Zustände. Niemand ist dort seines Lebens sicher. Und die wilden Burschen kommen auch noch in die Stadt. Nicht leicht für meinen Onkel, die Ruhe aufrechtzuerhalten. Er wird sich um die Sache gekümmert haben.«

Shannon nickt heftig.

»Sie hatten bestimmt nichts gefunden«, sagt er heiser. »So was spricht sich schnell herum bei uns. Die Leute haben sich mit der Zeit ja beruhigt, seitdem die großen Minen hier sind und die Digger kaum noch eigene Claims haben. Die Minenleute kaufen alles auf. Tyler, was Sam Whitman tun konnte, das hat er getan. Wollten Sie Ihren Bruder besuchen, Tyler?«

Tyler nickt nur. Er denkt an Adams letzten Brief. Kurz danach ist er umgebracht worden.

Adam schrieb, daß er in Kürze dreieinhalbtausend Dollar benötigte. Vielleicht könnte ihm Alan das Geld schicken. Er sei sicher, daß er es in wenigen Wochen zurückzahlen könnte. Er müßte etwas kaufen und brauchte das Geld dringend.

Adam schrieb, die Sache sei verdammt wichtig und zum Vorteil für sie alle. Mehr könne er nicht darüber sagen, aber wenn er ganz sicher sei, dann würde er noch einmal schreiben, und Alan sollte ihm dann gleich das Geld schicken.

Was hat Adam mit dem Geld gewollt?

Tyler steht auf und nickt dem kleinen Mann und der Lady zu. Dann geht er nach draußen auf die Plattform.

Der Zug rast nun durch die Nacht auf Rapid City zu.

Alans Rappe ist vorn im Viehwaggon, sein Sattel im Abteil. In dieses Land war Adam geritten. Nun ist er tot.

Tyler raucht und dreht sich um, als die Tür aufgeht und Susan herauskommt.

Sie lehnt sich neben der Tür an die Wand, und der Wind zerrt an ihrem Haar.

Das Mädchen sagt nach einiger Zeit: »Sie haben Ihren Bruder gemocht?«

»Ja«, erwidert er ruhig. »Er konnte niemandem etwas tun, ich kenne ihn ganz genau. Er war ein guter Reiter und ein prächtiger Partner. Irgendwie war sein Blut zu unruhig, darum ging er weg. Ich werde es meinem Vater schreiben müssen!«

»Ihr Vater, lebt er auf Ihrer Ranch?«

»Ja. Meine Mutter starb vor ein paar Jahren. Wir hatten lange Zeit kein Glück. In Texas, woher wir kamen, starben uns die Rinder an den Zecken. Darum gingen wir nach New Mexico und fingen wieder von vorn an. Ich ritt mit Adam einige Zeit für verschiedene Trailbosse, dann entdeckte ich auf der Juames Mesa östlich von Albuquerque Wildpferde. Damit fing es an. Und nun hätte die Ranch Platz für uns alle gehabt, für meinen Vater, mich und Adam. Es sollte wohl nicht sein!«

»Meine Eltern starben am Fieber, wir wohnten in Nebraska. Mein Onkel hat mich zu sich genommen, ich führe ihm den Haushalt, er hat keine Frau mehr. Es ist bitter, wenn man alles verliert, ich weiß das, weil es mir nicht anders erging!«

»Ich wollte Adam besuchen und mitnehmen«, murmelt Tyler bitter. »Nun kann ich nur ein paar Blumen auf sein Grab legen.«

Sie sieht ihn an, und er spürt, daß ihr Verhalten nun anders geworden ist. Dieses Mädchen ist nur nach außen kühl und abweisend. Sie blickt ihn an und lächelt zaghaft.

»Ich mag die Black Hills nicht«, sagt sie leise. »Ich war in Denver, dort wohnen Bekannte aus Nebraska. Von dort ist es nicht mehr weit bis New Mexico.«

»Nicht sehr weit, aber New Mexico ist anders als Colorado«, gibt er zurück.

»Onkel Sam ist sicher am Zug, er weiß, daß ich komme«, sagt Susan. »Mr. Tyler, vielleicht können Sie gleich mit ihm reden.«

Die Pfeife schrillt grell durch die Nacht, und Abel Shannon erscheint.

»Wir sind da«, sagt er aufgeregt.

Sie sehen bald Lichter.

Der Zug hält unter einigen Laternen.

Und dann sieht Tyler den Mann mit dem Orden eines Sheriffs unter einer der Laternen auftauchen.

»Ich schätze, dort ist Ihr Onkel, Miss«, sagt Tyler über die Schulter zurück. »Soll ich ihn heranholen?«

»Wenn Sie so freundlich sein wollen?«

Er ruft den Mann an, der hastig auf ihn zukommt und dann Shannon sieht.

Der Sheriff starrt Shannon einen Augenblick an. Er ist ein mittelgroßer und älterer Mann mit schütteren Haaren.

»Nanu, Abel, wo kommst du her?« fragt er erstaunt. »Hallo, Mädel, hast du eine gute Reise gehabt?«

Er sieht an Tyler vorbei auf seine Nichte und streckt die Hand aus, um ihr die Koffer abzunehmen.

In diesem Augenblick sagt Tyler kühl: »Mr. Whitman, mein Name ist Tyler, Alan Tyler. Ich komme aus New Mexico und wollte meinen Bruder besuchen. Von Shannon hörte ich, daß er tot ist. Ich suche Sie morgen auf und rede mit Ihnen darüber!«

Der Sheriff sieht Alan an.

»Adam Tyler war Ihr Bruder? Nun gut, kommen Sie morgen bei mir vorbei, da sind noch einige Sachen, die ihm gehörten, ich habe sie aufgehoben!«

Er starrt Tyler aus schmalen Augen an und stellt dann die Koffer auf den Bahnsteig.

»Wo ist sein Grab?« fragt Alan ruhig.

»Er liegt ganz hinten am Zaun auf der Südseite des Friedhofs«, erklärt der Sheriff. »Du findest es leicht, mein Freund, ganz in der Ecke links.«

»Danke«, sagt Tyler. »Ich hole mein Pferd von vorn. Auf Wiedersehen, Miss Susan!«

Er nickt ihr leicht zu und geht los. Whitman sieht ihm nach und zuckt zusammen, als seine Nichte sagt: »Onkel Sam, wir sind unterwegs überfallen worden. Drei Banditen wollten Mr. Shannons Tasche nehmen. Aber Mr. Tyler hat sie in die Flucht gejagt.«

»Was? Ein Überfall?« schnauft der Sheriff. »Ich werde…«

Das andere hört Tyler nicht mehr. Alan geht am Zug entlang, sieht einen Mann in seinem Alter nach hinten hasten und hört ihn schon von weitem rufen: »Hallo, Miss Susan! Es war eine schreckliche Zeit ohne Sie!«

Rechts von ihm sagt eine Männerstimme brummend und unterdrückt: »Dieser Narr Campbell wird sich so lange Hoffnungen auf das Girl machen, bis sie ihm eine Abfuhr erteilt!«

Tyler bleibt stehen, sieht sich um und erkennt hinten Shannon, der gerade auf Campbell zurennt.

Campbell bleibt bei Shannons Erscheinen stehen und sagt irgend etwas, was in dem zischenden Geräusch der Dampf ablassenden Maschine untergeht.

»Das war also Campbell«, brummt Tyler vor sich hin. »Er sieht wie ein Stadtfrack aus, der zuviel Whisky trinkt!«

Er kümmert sich nicht mehr um Shannon oder Campbell. Er holt sein Pferd aus dem Viehwaggon, sattelt es und reitet an der Station vorbei. Alan hält neben einem Mann, der auf die Häuser zugeht und fragt ihn nach dem Dakota-Star.

»Immer geradeaus, Mister«, erwidert der Mann. »Sie kommen genau auf die Main Street. Es ist das Haus gegenüber dem Sheriff-Office, Mister!«

Tyler bedankt sich kurz und reitet weiter. Die Main Street ist stark bevölkert. Alan sieht einige Saloons und zwei Stores. Dann erkennt er schon von weitem den Dakota-Star, hält auf ihn zu und reitet in den Hof.

Es dauert nicht lange, dann hat er sein Pferd im Stall, dem Stallmann drei Dollar gegeben und geht mit seinem Sattel wieder nach vorn.

Aus dem Saloon brandet der Lärm bis auf die Straße. Dort hämmert ein Klavier. Männer lehnen auf dem Vorbau und lassen ihn vorbei. Rechts geht es zum Hotel. An einem Pult sitzt ein verschlafen wirkender Mann.

»Ich möchte ein Zimmer«, sagt Tyler freundlich.

Der Mann sagt gähnend: »Mister, Sie haben Glück, eins ist noch frei.«

Alan trägt sich ein. Der Clerk zieht das Buch herum und greift nach einem Schlüssel am Brett neben dem Pult.

»Die Treppe hoch, ganz hinten, das letzte Zimmer links, Mr. Tyler«, sagt er und sieht vom Buch hoch. »Tyler? Wir hatten doch schon mal einen Tyler hier!«

»Ich bin der Bruder«, murmelt Alan. »So, Adam hat hier gewohnt? Lange?«

»Ein paar Tage. Er kam mit Lanthrop hier an, nahm sich mit ihm zusammen ein Zimmer. Er kam nur manchmal her und besuchte den Sa­loon. Bist du gekommen, weil er…«

»Ich wußte es nicht, ich erfuhr es erst im Zug«, erwidert Tyler kurz. »Wo wohnt Yeager, mein Freund?«

»Meinst du Mabel Yeager? Tyler, was immer die Leute reden, aber ich glaube nicht, daß es wegen des Mädels war!«

Der Mann beugt sich geheimnisvoll vor und dämpft seine Stimme.

»Sie waren die besten Freunde, Lanthrop und dein Bruder, Tyler. Einen Tag vor der Geschichte waren sie mit Mabel Yeager noch hier. Nein, es gab sicher keinen Ärger deshalb. Lanthrop blieb im Saal, und dein Bruder kam heraus. Es war warm, verdammt warm drüben. Und er redete draußen mit deinem Bruder.«

»Worüber?« fragt Tyler. »Du hast es doch sicher gehört, wie?«

»Sie redeten über ein Stück Land, glaube ich«, antwortet der Clerk. »Ganz genau weiß ich es nicht, aber dein Bruder sagte etwas von einem Landvermesser und Geld, das er erst haben müßte, um es zu kaufen.

Lanthrop meinte, Ritchie hätte sie beobachtet, sie sollten erst einige Zeit warten. Sie stritten sich ein wenig. Ich kümmerte mich nicht weiter darum, denn ich hatte noch zu tun.«

»Wer ist Ritchie?« fragt Alan.

»Ted Ritchie ist… nun, manche sagen, daß er davon lebt, die Leute auszurauben. Er soll ein Bandit sein, aber wirklich niemand kann ihm etwas beweisen. Und außerdem ist er so schnell mit seinen beiden Revolvern, daß sich auch keiner an ihn heran traut!«

»Hast du mit jemandem über das gesprochen, was du hörtest?« fragt Tyler hastig.

»Nur mit dem Sheriff, als der nach der Sache herkam«, brummt der Clerk. »Er meinte, ich sollte meinen Mund halten, es könnte ungesund sein, wenn man Ritchies Namen erwähnt.«

»Warum streicht Ritchie in den Bergen umher?«

»Er ist überall, Tyler«, sagt der Mann leise. »Kann sein, daß er deinen Bruder beobachtet hat, als der mit Lanthrop in den Bergen war. Ich dachte, Ritchie hätte sie vielleicht gesehen, als sie etwas fanden. Zwei Tage darauf waren sie beide tot. – Aber ich habe nichts gesagt!«

Der Mann hebt beschwörend beide Hände. Ritchie scheint ein ziemlich schlimmer Bursche zu sein.