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ISBN 978-3-7562-7984-5
Copyright © 2017 Maximilian Tan
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Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
Den Kaiser täuschen und den Ozean überqueren
In der Dunkelheit oder geschützt zu manövrieren, isolierte Plätze
zu belagern oder sich stets zu verstecken wird beim Gegner nur
Misstrauen hervorrufen. Um ihre Ziele erreichen zu können
müssen Sie offen agieren und Ihre wahren Absichten hinter dem
Sichtbaren verstecken.
Es wird erzählt, dass vor mehreren hundert Jahren der Kaiser der Tang, Gao Zong, plante, seinen koreanischen Rivalen Koguryo anzugreifen. Dazu befahl er seinen Untergebenen, ein Heer von 300.000 Soldaten mitsamt Proviant und Kriegsgerät aufzustellen. General Xue Rengui, einer der engsten Berater des Kaisers, machte sich alsbald an die Arbeit. Einige tausend Soldaten konnte er von seinem stehenden Heer entbehren, andere wurden von lokalen Provinzfürsten geschickt. Es waren starke und erfahrene Soldaten, bewaffnet mit Lanzen und Bogen, Schwertern und Speeren. Doch es fehlten immer noch viele einfache Soldaten, um ein kompaktes Auftreten zu garantieren. Daher ließ der General im Tang-Reich ausrufen, dass die Beute für Freiwillige reichlich vorhanden sei und es für die Jungen auch das eine oder andere Abenteuer zu bestehen gäbe. Es dauerte keine fünf Tage, bis genügend Männer bereitstanden. Eines Morgens wurden das Heer neu eingekleidet. Jeder erhielt die ersten Unterweisungen in Verhalten, Disziplin und im Kampf Mann gegen Mann. Als die Soldaten ihre Lektion gelernt hatten, wurden sie General Xue Rengui vorgestellt, welcher sich in einer Parade von den Fähigkeiten der Männer selbst überzeugte. Schon bald war er zufrieden und zog sich mit der Gewissheit, eine schlagkräftige Armee zu führen, in sein Quartier zurück.
Erfreut über die positive Nachricht seines Generals ließ der Kaiser sofort aufbrechen. Er verließ seine Hauptstadt mit dem aufgestellten Heer und folgte dem Weg in Richtung aufgehender Sonne. Nach einigen Wochen des Marsches erreichte der Kaiser das Meer. Erstaunt von den berstenden Wellen und dem tobenden Wind ließ der Kaiser seinem General ausrichten, dass er keineswegs gedenkt, den Ungetümen des Meeres gegenüber stehen zu wollen. Doch wie sollte General Xue Rengui Kaiser Tang Gao Zong zur Schlacht führen, wenn der Landweg durch feindliche Heere verstellt ist?
Es wurde Nacht und der General ließ sich nieder, er erinnerte sich an seine Jugendjahre als Offizier in der Armee. Er war bereits ein angesehener Soldat und befehligte eine kleine Armee. Während eines Feldzuges gegen barbarische Stämme gab es Aufruhr in den eigenen Reihen. Einige seiner Legionäre wollten den anstrengenden Marsch nicht fortsetzen und baten um Anhörung. Nachdem ihrer Bitte jedoch nicht stattgegeben wurde, verließ sie der Kampfesmut. Eines Morgens blieben sie in ihrem Lager liegen, pflegten ihre blutig gelaufenen Füße oder genossen die aufgehende Sonne. Als der junge Xue Rengui davon erfuhr, rief er eine Hundertschaft seiner Männer. Mit dieser begab er sich in das Lager der Deserteure und ließ die Truppe vor der Niederkunft der Deserteure exerzieren. Lachend sahen die Faulenzer zu, kochten sich ein gestohlenes Hühnchen und aßen Reis. Die Sonne wärmte ihre ausgemergelten Körper, doch ihre Augen verbargen sich im Schatten ihrer Strohhüte. Nachdem die exerzierenden Soldaten verschiedenste Übungen durchgeführt hatten und die Reihen nach Wasser japsten, kannte der junge Offizier keine Gnade: Mit unerbittlicher Härte unterrichtete er seinen Rekruten Disziplin, erst beim Einbruch der Nacht gönnte er seinen Mannen eine Rast. Er selbst ließ eine Marterung vorbereiten und rief alsbald seine Truppe zum erneuten Exerzieren. Als die Tageswende bevorstand und die Übungen der Truppe noch immer kein Ende nahmen, begannen sich die Deserteure zu langweilen. Sie bereiteten ihr Nachtmahl vor und amüsierten sich nach wie vor über ihre exerzierenden Kameraden.
Doch am kommenden Morgen erwachten sie mit stockendem Atem: Sie befanden sich gemartert inmitten des Lagers. Um sie herum lagerten ihre Mitkämpfer und schenkten den Deserteuren keinen Augenblick. Mit der Zeit umschlich sie Durst, Hunger und Angst. Nach der ersten Nacht am Pfahl begannen sie zu heulen und murmelten erste Gebete. Darin schworen sie, ihren Fehler zu bereuen und treu dienen zu wollen. Als dies der junge Offizier Xue Rengui erfuhr, nahm er sie beim Wort und erlöste sie von ihren Fesseln.
Plötzlich erwachte Xue Rengui aus seinen Erinnerungen. Jetzt wusste er, wie er seinen Kaiser beeinflussen kann, das Meer zügig zu überqueren: Man müsse den Kaiser unterhalten, er muss sich wohl fühlen, als ob er sich im heimischen Palast befände und die ersten Düfte des Frühling genieße. Gleichzeitig könnten der Kaiser und sein Heer unbemerkt Hunderte von Meilen die See durchkreuzen, um in Korea zu landen. Daher schickte der
General am kommenden Morgen einen Boten zum Kaiser und ließ ausrichten, dass ein wohlhabender Bauer sich erlaubt, ihn - dem vom Himmel Gesandten - in sein Haus einzuladen und zu bewirten. Der Kaiser empfängt die Botschaft mit Wohlwollen und stimmte der Einladung zu.
Währenddessen ließ General Xue Rengui Boote zusammensuchen und ein überdimensionales Schiff bauen. Als dies nach einigen Tagen fertiggestellt war, befestigte man es an einer hölzernen Mole. Ringsum wurde ein Garten angelegt; das Gras wuchs in saftigem Grün und die aufgestellten Blumen dufteten. Als die Vorbereitungen abgeschlossen waren und jeder Bedienstete seine Unterweisung erhalten hatte, wurde der Kaiser aus seiner Unterkunft zum Bauern geleitet.
Angekommen im Haus des Gastgebers wurde er standesgemäß begrüßt. Junge Damen spielten liebliche Musik und tanzten. Der Kaiser labte sich am reichlich gedeckten Tisch und amüsierte sich mit seinen Generälen. Doch plötzlich schlug ein Fenster auf und eine kühle Brise frischer Meeresluft zog durch das Haus. Wellen zerbarsten an den Wänden, als der Kaiser aufstand und nachfragte. „Mein Kaiser, wir befinden uns auf direktem Weg zum Sieg! Das gesamte Heer ihrer Majestät konnte nicht warten und segelt mit uns nach Korea.“, erklärte Xue Rengui. Von so viel Kampfeswillen beeindruckt stimmte der Kaiser der Überfahrt zu und schmunzelte über diese Finte. Wusste er doch genau, dass seine Angst mit einer List durch seinen cleveren General besiegt wurde.
Tang Dynastie
Strategem II
Bekämpfe die Wei, um die Zhao zu retten
Wenn der Feind für einen direkten Angriff zu stark ist, greife
etwas an, was ihm lieb ist und schwach verteidigt wird.
Man kann nicht an jedem Punkt überlegen sein – daher gibt es
stets eine Lücke in der Verteidigung - eine Schwäche, die
attackiert werden sollte.
Es wird erzählt, dass im Jahre 354 v.Chr. einer der bedeutendsten Strategen Chinas, Sun Bin, mit der Verteidigung der Qi beauftragt wurde. Obwohl er schon mehrere Jahre Erfahrung in der Kriegsführung besaß, war es keine leichte Herausforderung für ihm. Alsbald machte er sich an die Arbeit und formte eine schlagkräftige Armee. Neben den rein militärischen Vorbereitungen studierte er auch alte Schriften seines Vorfahren Sun Zi und erweiterte seine Ausführungen.
Eines Tages ernannte König Hui, Herrscher der befeindeten Wei, Pang Juan zum Kommandeur seiner Streitkräfte und schickte ihn aus, Han-Dan, die Hauptstadt der benachbarten Zhao, anzugreifen. Zu dieser Zeit waren die Zhao schwach, ihre Armee war schlecht ausgerüstet und am Hofe gab es seit Jahren Intrigen und Streit. Daher zogen sich die Verteidiger in ihre befestigten Städte zurück und warteten auf das vom Himmel vorher bestimmte Schicksal. Doch der Herrscher der Zhao verlor nicht den Mut und schickte einen Boten an den Hof der Qi. Der Bote kannte den Ernst der Lage und ritt beflügelt auf seinem Pferde über die weite Steppe. In der Hauptstadt der Nachbarn angekommen bat er um sofortige Audienz beim Herrscher. Dieser war überrascht, einen lebenden Zhao zu sehen, erwartete er doch den völligen Untergang seines Verbündeten. Der Bote trug die Bitte seines Herrn vor und erlaubte sich, tief verbeugt, sich vom Hofe zurückzuziehen. Nachdem der verdutzte Herrscher der Qi den Gesandten empfangen hatte, befragte er seine Berater. Eine heftige Diskussion brach aus: Die einen wollten abwarten, die anderen mit dem Wei verhandeln, doch die meisten sprachen sich für ein sofortiges Eingreifen gegen die angreifenden Wei aus. Nur einer war still und nachdenklich, analysierte die Lage und überdachte die Worte des Boten wieder und wieder – Sun Bin. Vom Herrscher nach seinem Rat befragt sprach er sich gegen einen sofortigen Angriff aus und erklärte: „Zwischen zwei sich bekriegenden Armeen einzugreifen ist wie der törichte Versuch, eine Flutwelle umzuleiten, indem man sich in deren natürlichen Lauf stellt. Es wäre besser, zu warten bis beide Armeen erschöpft sind. Dann können wir die Hauptstadt der Aggressoren angreifen. Sie wird eine leichte Beute sein, denn alle Soldaten sind beim Angriff auf Han-Dan im Einsatz. So können wir sowohl die Zhao retten, als auch das Gleichgewicht unter den Staaten wieder herstellen.“ Der Herrscher lauschte den Worten seines Generals, dachte eine Weile nach und stimmte schließlich schweigend zu.
Mittlerweile belagerten die Einheiten der Wei die Hauptstadt der Zhao bereits länger als ein Jahr, doch die Eingeschlossenen kämpften mit erbittertem Widerstand. Die Berater der Qi wurden misstrauisch und strebten eine baldige Lösung der angespannten Situation an. Daher sprachen sie beim Herrscher vor und baten ihn, seine Meinung zu überdenken. Dieser war jedoch von den Fähigkeiten Sun Bins überzeugt, stimmte einer baldigen Lösung der angespannten Situation jedoch zu und ließ seinen Beschluss Sun Bin mitteilen.
Nach einer Weile erfuhr Sun Bin von seinen Spähern, dass die Truppen der Wei von der langen Belagerung der Hauptstadt Zhaos zermürbt und müde waren. Nun wusste er, dass die Zeit reif ist, um zum entscheidenden Schlag gegen die Wei auszuholen und die Zhao zu retten. Er sprach beim Herrscher vor und empfahl unverzügliche Vorbereitung für einen Militärschlag zu treffen. Qis Herrscher wählte Prinz Tian Ji als General und Sun Bin als seinen militärischen Berater. Nachdem jeder Soldat ausreichend verpflegt war, überprüfte Tian Ji der Soldaten Rüstung und Waffen. Die Truppen wurden gegliedert und kleinere Manöver durchgeführt. Jeder Soldat musste für ein schnelles Eingreifen und wendige Manöver gut vorbereitet sein.
Nachdem die Armee aufgebrochen war, wollte Tian Ji die Truppen der Wei sofort attackieren. Dadurch sollte die Belagerung um die Hauptstadt der Zhao aufgebrochen und ein schneller Sieg herbeigeführt werden. Sein Berater wiedersprach ihm allerdings und sagte: „Da die meisten Truppen der Wei fern der Heimat sind, müssen deren restliche Einheiten schwach besetzt sein. Durch einen Angriff auf deren schlecht bewachte Hauptstadt zwingen wir die Armee der Wei zurückzueilen, da sie ihre eigene Hauptstadt verteidigen müssen. Auf deren Rückmarsch werden wir die Truppen der Wei bekämpfen, wodurch die Belagerung der Zhao aufgebrochen wird.“ Der junge Tian Ji stimmte dem Plan seines Beraters zu und teilte seine Armee in zwei Einheiten.
Die eine attackierte die schwach verteidigte Hauptstadt der Wei. Die andere marschierte zu einer überschaubaren Anhöhe, welche die zurückeilenden Truppen der Wei passieren müssen, um deren Hauptstadt verteidigen zu können. Dort angekommen bereiteten sie einen Hinterhalt vor. Bogenschützen versteckten sich in Büschen und hinter Hügeln, die berittenen Streitkräfte sammelten sich in den Wäldern.
Als Pang Juan - General der Wei - erfuhr, dass die Hauptstadt seines Herrschers angegriffen wurde, erteilte er sofortigen Befehl zum Rückzug. Die Soldaten seiner Armee eilten in Richtung Heimat, um sie vor den angreifenden Qi zu verteidigen. Von der langen Belagerung geschwächt und vom anstrengenden Marsch erschöpft wurden die Truppen der Wei im Hinterhalt erwartet. Die vom plötzlichen Angriff überraschten Wei kämpften erbittert. Pfeile schwirrten durch die Lüfte und Reiterstaffeln beider Seiten attackierten die schwachen Punkte des Gegners. Die Einheiten der Wei schmolzen zusehends. Bald erkannte Pang Juang seine Niederlage und rief seine Berater zu einer letzten Konsultation. Diese rieten ihm, die verbleibenden Truppen zu sammeln und selbst zu fliehen. Kurz darauf brachen die Qi durch die Reihen der hilflosen Verteidiger und stießen in deren Befehlszentrum vor. Dabei erlitten die Truppen der Wei schwerste Verluste und wurden endgültig aufgerieben. Pang Juan entkam den Einheiten der Qi und stellte später mit anderen geflohenen Soldaten eine neue Armee auf.
Durch den plötzlichen Aufbruch von Pang Juans Truppen wurde die Belagerung der Hauptstadt der Zhao aufgebrochen, wodurch die Verbündeten gerettet waren. Der Herrscher der Qi hatte somit sein Versprechen gehalten.
Streitende Reiche
Strategem III
Töte mit dem Schwert eines Anderen
Wenn nicht die Mittel vorhanden sind, um einen Feind direkt
anzugreifen, nutze die Stärke eines Anderen. Überrede einen
Verbündeten, den Feind anzugreifen, besteche einen Beamten, so
dass er zum Verräter wird, oder nutze des Feindes Stärke
gegen ihn selbst.
Es wird erzählt, dass das große Reich der Zhou in zwei Staaten - den Westlichen und den Östlichen - geteilt war. Seit langem galten beide Seiten als erbitterte Feinde, Kriege wurden geführt, man provozierte sich gegenseitig und die Staatsgeheimnisse wurden strengstens gehütet.
Eines Tages lief der hohe Beamte Chang Tuo von den Westlichen Zhou zu den Östlichen Zhou über. Nachdem er unbemerkt die Grenze passieren konnte, gelangte er ungehindert in die feindliche Hauptstadt. Dort angekommen, bat er um unverzügliche Audienz beim Herrscher. Die überraschten Wachen ließen ihn passieren und stellten dem Herrscher den Flüchtling vor. Dieser war sehr entzückt und empfang ihn aufs Herzlichste. Auf die Frage, warum er geflohen sei, wollte Chang Tuo keine Auskunft geben. Doch nach dem Genuss des besten Weines gab er detailliert Staatsgeheimnisse der Westlichen Zhou preis und berichtete von den Problemen des Landes. Er erzählte über strategische Planungen der Heeresführung, den Problemen am Hofe – selbst die Vorlieben und Reize des Herrschers Konkubinen konnten seine Gastgeber erfahren. Die Östlichen Zhou waren hoch erfreut über die Auskunftsbereitschaft von Chang Tuo. Er erhielt eine fürstliche Unterkunft und wurde reichlich bewirtet. Am Hofe war man sich allerdings nicht einig, wie mit ihm zukünftig verfahren werden sollte. Einerseits war er ein in der Staatsführung und Militärplanung erfahrener Mann und hatte viele Informationen bereitwillig gegeben. Andererseits war er keine vertrauenswürdige Person. Insbesondere die Loyalität zu seinem neuen Herrscher hatte er noch nicht bekundet bzw. unter Beweis gestellt. Somit fragten sich viele am Hofe wie verhindert werden kann, dass Chang Tuo eines Tages flieht, um einem weiteren Herrscher von der Lage der Ost-Zhou zu berichten?
Die Westlichen Zhou bemerkten das Verschwinden Chang Tuo‘s nicht sofort. Erst nachdem eine gewisse Weile vergangen war und seine Bediensteten Sorgen über das Fernbleiben äußerten, wurde man nervös. Kurz darauf war es Gewissheit: Ein Spion berichtete vom befeindeten Hof, dass der Berater zu den westlichen Rivalen geflohen war. Es schallten wütende Worte durch des Herrschers Gemach, die Damen flohen verängstigt. Der Herrscher ahnte Schlimmes; als er von der offenen Art des Geflohenen erfuhr, wurde sein Gemüt noch wütender. Unfassbar saß der Herrscher auf seinem Thron und fragte seine Berater was er tun solle. Die Berater diskutierten, erwogen einen Angriff und den Einsatz von Spionen. Doch all diese Vorschläge waren zu gewagt und bedurften zu großer Vorbereitungen. Nachdem sich die Berater zurückgezogen hatten, trat Minister Feng Chu an den Herrscher der West-Zhou heran. „Wenn meine Hoheit mir 30 Pfund goldenen Schmuck gibt, kann ich auf diesen Mann ein Attentat ausüben lassen!“ sprach er mit leiser Stimme. Der Herrscher blickte seinen Minister verwundert an, dachte kurz nach und stimmte in seiner Verzweiflung zu. Am darauffolgenden Tag befahl Feng Chu einen alten Boten zu sich. Er wurde zum Hofe der Östlichen Zhou geschickt, um die Barren Gold und einen Brief mit folgendem Inhalt zu übergeben:
’Chang Tuo, das Gold soll dich ermahnen, dass deine Mission so schnell wie möglich vollendet werden muss. Je länger du sie hinauszögerst, umso wahrscheinlicher wirst du bemerkt werden.’
Bevor jedoch der Alte abends zu Fuß aufbrach, sandte Feng Chu einen weiteren Boten zu Pferde an die Grenzpatrouille der Östlichen Zhou. Dieser hatte den Befehl, die Soldaten des Nachbarn über einen möglichen Grenzübertritt eines Spions zu informieren, der in der folgenden Nacht stattfinden würde. Dieser Spitzel sei sehr gefährlich und clever, daher sei er für beide Staaten eine große Gefahr. Um beider Seiten Frieden zu wahren, bat der berittene Bote um erhöhte Wachsamkeit.
Daraufhin verstärkten die Ost-Zhou ihre Posten. Soldaten versteckten sich hinter Büschen und Bäumen. Auf den Anhöhen wurden Beobachtungsposten eingerichtet, um den Spion rechtzeitig zu finden. Kaum war die Nacht hereingebrochen, schickte der Befehlshaber der Grenzposten Soldaten auf Patrouille. Leise wie eine Schlange durchkämmten sie das Grenzgebiet und beobachteten die langen Schatten. Die lange, kalte Nacht ließ die Grenzposten frösteln, Wolken verdeckten Mond und Sterne, Nebel zog langsam aus den Tälern herauf, sodass sie kaum einander erkennen konnten.
Der alte Gesandte wusste nichts von all den Machenschaften hinter seinem Rücken. Er befolgte des Ministers Befehl und begab sich am frühen Abend auf den Weg. Gutgelaunt kam er mit kräftigem Schritt der Grenze nahe, als er plötzlich graue Gestalten am Horizont erblickte. Kaum näherte er sich diesen, wurde er auch schon von Soldaten der Östlichen Zhou überwältigt. Zu seinem Entsetzen wurde er festgenommen, verhört und durchsucht. Er erklärte seine wichtige Mission an den Hof des Herrschers der Östlichen Zhou; doch ihm wurde kein Glauben geschenkt und er über Nacht eingekerkert. Bei der genaueren Durchsuchung seiner Taschen fanden die Grenzposten das Gold und den Brief, welcher an Chang Tuo adressiert war.
Am kommenden Morgen überbrachte der Befehlshaber der Grenztruppen den Gefangenen mitsamt dem gefundenen Gold und der Nachricht seinem Herrscher. Jetzt verstand das Staatsoberhaupt, warum Chang Tuo solch wichtige Informationen preisgab und freimütig mit seinem Wissen prahlte. Unverzüglich ließ der Herrscher den Überläufer zu sich bringen. Mit ernsten Worten fragte der Herrscher nach den wahren Absichten des Überläufers. Doch Chang Tuo verstand die Situation nicht. Er schwor, kein Spion zu sein und dass er keine Absichten pflege, den Herrscher der Östlichen Zhou zu schädigen. Obwohl er auch unter Folter und im Verließ seine Meinung nicht änderte, wurde der Überläufer kurz darauf hingerichtet.
So hatten die Westlichen Zhou zwar viel Gold verloren, konnten aber sicher sein, dass Chang Tuo künftig den Nachbarn keine Geheimnisse mehr offenbarte.
Streitende Reiche
Strategem IV
Entspannt den erschöpften Feind erwarten
Es ist ein großer Vorteil, Zeitpunkt und Ort eines Kampfes zu
kennen oder zu diktieren. Ermutige den Feind, Kraft für die Suche
nach dem Ort und dem Termin des Zusammenstoßes
aufzuwenden, während Sie ihre Kräfte bewahren. Wenn er nach
langer Suche erschöpft und verunsichert ist, greifen Sie mit aller
Entschlossenheit an.
Es wird erzählt, dass sich im Jahre 341 v.Chr. die Armee der Wei zu einem Feldzug gegen die benachbarten Han rüstete. Dazu ließ der Herrscher verschiedene Strategien erarbeiten, um jedwede Situation gewinnbringend nutzen zu können. Nachdem die Theorie erarbeitet war schritt er zur Praxis: „Lasst uns Manöver einstudieren! Jeder Soldat muss seinen Platz beim Angriff, der Belagerung und beim Rückzug kennen!“ stieß er hervor und zog sich in seine Privatgemächer zurück. Die Generäle folgten den Anweisungen und zogen mit ihren Einheiten hinaus in die Steppe. Kaum angekommen, übten sie das Aufstellen von Lagern, manövrierten und übten verschiedene Angriffs- und Verteidigungssituationen. Mit der Zeit waren alle Soldaten in den verschiedenen Situationen erfahren und verlangten nach Taten anstelle von Übungen. Diesen Wunsch trug Pang Juang, Befehlshaber der Wei, zu seinem Herrscher. Hoch erfreut rief er seine Berater und gab Befehl zum Angriff auf die Han, die bisher alle Attacken und Anfeindungen zurückschlagen konnten.
In langen Kolonnen zogen die Soldaten gen Süden und überschritten die Grenzen des Reiches der Han. Der schnelle Vormarsch beunruhigte die Han. Die eiligst zusammen gerufene Armee war den Angreifern in jeder Hinsicht unterlegen, sie waren weder gut trainiert noch ausreichend ausgerüstet. Daher schickte der Herrscher der Han einen Boten an den Hof der Qi. Dieser ritt in Windeseile zu den Nachbarn und bat um unverzügliche Korrespondenz beim Herrscher der Han.
Als er vorgelassen wurde, verlas er mit stockenden Worten ein Schreiben seines Herrschers:
’Geehrte Nachbarn! In Zeiten der Dunkelheit und des Schwierigkeiten haben die Han und Qi stets zusammengehalten und das Gleichgewicht der Staaten erhalten. Nur dadurch konnten sich unsere Völker entwickeln und Reichtümer anhäufen. In diesen Stunden werden die Han von unserem gemeinsamen Nachbarn, den Wei angegriffen. Da das Volk der Han friedlich mit seinen Nachbarn leben möchte, sind wir außerstande, die Eindringlinge zurückzuschlagen. Daher bitten wir euch - unsere Verbündeten - um Hilfe. Gemeinsam werden wir die Übermacht der Wei besiegen und das Gleichgewicht der Staaten wieder herstellen.’