Whispering Fields - Blutige Ernte

Thomas Finn

Whispering Fields -
Blutige Ernte

Knaur eBooks

Inhaltsübersicht

Über Thomas Finn

Thomas Finn, geboren 1967 in Evanston/Chicago, studierte Volkswirtschaft und war nebenbei als Journalist und Autor für diverse deutsche Verlage und Magazine tätig, u. a. als Chefredakteur für das Magazin Nautilus. Seit 2001 arbeitet er als Roman-, Spiele- und Drehbuchautor. Er ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, u. a. mit der Segeberger Feder. Er lebt und arbeitet in Hamburg. www.thomas-finn.de

 

Vom Autor im Knaur Verlag bereits erschienen:

Schwarze Tränen

Dark Wood

Lost Souls

Bermuda

Fußnoten

  1. Wer sind Sie?

  2. Wir sind von der Polizei. Können wir Deutsch sprechen?

  3. Was können wir für Sie tun?

  4. Ich werde erwartet.

  5. Antonin, ich hätte nicht gedacht, dass wir uns so bald wiedersehen.

  6. Unser Besuch hat Gründe.

  7. Diesmal bist du nicht hier, um uns um Hilfe zu bitten?

  8. Vielleicht doch.

  9. Wir sprechen mit deinem Kollegen!

  10. Durchsucht sie!

  11. Ihr habt mich also gefunden?

  12. Greift an!

Für Bernhard.

 

Mit Dank an meine »Habernitzas« Wiebke, Tanja und Philipp, die mir dabei halfen, Kreise im Korn zu zeichnen; Nini für ihre »Berliner Schnauze«, Daniel und Angela für mundartliche Übertragungen ins Sächsische, Tom für jene ins Oberlausitzische und Milan für sachkundige Übersetzungen ins Sorbische.

Ihr seid klasse!

 

Darauf ein Gläschen Korn.

Oder vielleicht auch besser nicht …

Kapitel 1

Saat

Fänger im Roggen

Grillen zirpten, und ein warmer Nachtwind brachte das Getreidefeld zum Rascheln.

Luca musterte scheel die hohen Halme, die sich links des alten Feldweges wie eine hohe Wand erhoben. Sie standen dicht an dicht, und im Mondlicht schälten sich Aberhunderte leicht geneigter Ähren aus der Dunkelheit, satt und prall, als wollten sie verkünden, dass sie längst überreif seien.

Erstaunlicherweise ragten die Feldfrüchte gut einen Meter achtzig aus dem Ackergrund empor und reichten ihm etwa bis zum Stirnansatz. Das konnte unmöglich Weizen sein. Etwa Roggen?

Das war für seine Heimat zwar etwas ungewöhnlich, aber durchaus denkbar. Die Lausitz galt seit jeher als Kornkammer Sachsens. Von der allgegenwärtigen Trockenheit, die die Region auch in diesem Jahr heimsuchte, war hier jedenfalls wenig zu bemerken.

Luca lehnte sein neues Sportrad gegen das wurmstichige Bushäuschen, das einsam an den breiten Feldweg grenzte und hinter dem sich eine weitere, vergleichsweise öde Ackerfläche aufspannte, deren Getreidehalme gerade mal Hüfthöhe erreichten. Dem Areal war anzusehen, dass ihm die diesjährige Sommerdürre sichtlich mehr zugesetzt hatte als dem Kornfeld gegenüber.

Der Anblick ließ in Luca keinen Zweifel aufkommen. Das Feld zu seiner Linken musste es sein.

Einen Moment lang überlegte er, ob er sein Rad mit dem Schloss sichern sollte. Nur war das Blödsinn. Wer sollte ihm hier in dieser Einöde und zu dieser späten Uhrzeit das Fahrrad klauen?

Er verscheuchte eine vorwitzige Heuschrecke, die sich auf seinem T-Shirt niedergelassen hatte, und wollte sich gerade seiner Gepäcktasche widmen, als der laue Nachtwind ein unheimliches Geräusch herantrug: ein leises Wispern und Flüstern.

Luca schreckte hoch.

Doch da war nichts. Nur das beständige Zirpen der Grillen und das leichte Rauschen bewegter Getreidehalme.

Seine überreizte Fantasie hatte ihm offenbar einen Streich gespielt.

Dennoch …

Fahrig wischte er sich eine Strähne seines blonden Haars aus dem Gesicht. Bei dem Gedanken an sein Vorhaben wurde ihm nun doch ein wenig mulmig zumute. Was, wenn er in diesem Kornfeld tatsächlich Zeuge einer Anomalie wurde?

Andererseits hatte er ja nicht vor, allein reinzugehen. Zumindest nicht, wenn Philipp noch kam.

Luca zog sein Handy aus der Jeanstasche und warf einen missbilligenden Blick auf das Display. Keine Nachricht. War sein Kumpel am Ende verhindert? Dabei war Philipp im Gegensatz zu ihm schon längst volljährig und musste niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen, was er nachts trieb.

Na gut, Philipps Freundin Paula konnte manchmal etwas besitzergreifend sein. Andererseits stand sie den Beiträgen auf seinem grenzwissenschaftlichen YouTube-Kanal XFacts sehr aufgeschlossen gegenüber. Luca und Philipp hatten sich überhaupt erst bei ihr kennengelernt, während eines Drehs zum Thema Pendeln. Die beiden wussten nur zu gut, dass man neue Abonnenten nicht durch Nichtstun bekam. Das Pärchen lebte in einer alternativen Bauwagensiedlung, und obwohl die beiden drei Jahre älter waren als er, war aus der kurzen Begegnung rasch eine Freundschaft entstanden.

Seitdem begleitete Philipp ihn auf manchen seiner Exkursionen. Während Lucas Interesse vorrangig UFOs und EVPs galt, Electronic Voice Phenomenons, also Geisterstimmen auf Tonband, interessierte sich Philipp eher für Landesgeschichte und alte Mythologien. Das war eine durchaus produktive Mischung, denn als Geschichtsfreak wusste er von Dingen, von denen Luca zuvor noch nie gehört hatte. Zum Glück ging er dabei auch nicht so weit wie Paula, die für Lucas Geschmack etwas zu sehr mit der alten heidnischen Wicca-Tradition liebäugelte. Ein bisschen durchgeknallt war sie schon. Aber das würden andere von ihm selbst vielleicht auch behaupten.

Die Frage war bloß, wo Philipp blieb?

Denn sosehr er ihn auch schätzte, er war leider nicht der Zuverlässigste.

Luca wollte gerade Philipps Rufnummer drücken, als in der Ferne das unverkennbare Knattern seines Motorrades ertönte. Sein Kumpel war stolzer Besitzer einer im Erzgebirge erworbenen Simson S 50 B1, die er in liebevoller Kleinarbeit zur Enduro umgebaut hatte. Die alte DDR-Maschine erstrahlte heute in Metallic Blue und war so gut in Schuss, dass ihm Sammler bereits den dreifachen Kaufpreis geboten hatten. Allerdings rückte er sie nicht heraus, was Luca nur zu gut verstand.

Luca stellte sich offen auf den Feldweg und blickte dem tanzenden Scheinwerferlicht der geländegängigen Maschine entgegen, die am Getreidefeld entlang rasch auf das Bushäuschen zubrauste. Er winkte.

Die Simson wurde langsamer, und schließlich war Philipp heran und parkte seinen knatternden Untersatz neben dem Fahrrad. Er stellte den Motor ab, woraufhin auch das Licht erlosch. Dann stieg er ab und öffnete den Reißverschluss seiner Lederjacke, unter der es ohne den Fahrtwind vermutlich viel zu warm war.

»Sorry, hatte die Gardoffl nicht im Blick«, entschuldigte er sich mit Blick auf seine Armbanduhr. Er setzte seinen weißen Oldtimer-Motorradhelm ab, an dem eine stylische Fliegerbrille befestigt war, und schüttelte seine krause Lockenpracht. Zur Begrüßung schlugen die beiden ihre Fäuste gegeneinander.

»Ich dachte schon, du kommst nicht«, maulte Luca. »Bei der Spukhausfolge letzte Woche hast du dich auch verspätet.«

»He, hab dich nicht so«, antwortete der Ältere mit einem Seufzen. »Sobald du ’ne Freundin hast, wirst du schon sehen, dass man dann nicht mehr so frei in seinen Entscheidungen ist. Ehrlich gesagt bin ich überrascht, dass du pünktlich bist. Ich dachte, dein Bruder ist seit gestern wieder aus den Staaten zurück? Wollte deine Omma nicht groß auftischen?«

»Ja, ist er.« Luca zwinkerte. »Tim und ich wurden aber gestern schon gemästet.«

»Schade, dann bin ich wohl einen Tag zu spät. Ihr Sauerbraten ist jedenfalls der Hammer.« Lachend hängte Philipp den Helm an den Lenker. »Hättest ihn eigentlich mal mitbringen können, damit ich ihn kennenlerne. Du und er, ihr seid immerhin die einzigen eineiigen Zwillinge, die ich kenne. Oder …« Sein misstrauischer Blick wanderte zum Bushäuschen. »Oder verarscht ihr beide mich gerade, und du bist in Wahrheit …?«

»Nein!« Luca winkte grinsend ab. Einen Moment lang bereute er es, nicht selbst auf die Idee gekommen zu sein. Tim hätte sicher mitgemacht. »Tim ist Freunde besuchen. Ist ja nicht so, als wären wir siamesische Zwillinge.«

»Und, kennt er deinen Kanal?«

»Klar. Sicher.« Luca trat wieder an die Gepäcktasche seines Fahrrads heran und öffnete sie, um dieser endlich seine Kamera und die restlichen Geräte zu entnehmen. Er hatte sogar ein Mikrofon samt Aufnahmegerät eingepackt, auf dem die Lettern XFacts prangten. »Allerdings ist er eher der Skeptiker von uns beiden. Aber wenn wir heute Erfolg haben, wird sich das garantiert ändern. Dann werden die Views durch die Decke gehen. Jeder wird über uns berichten. Jeder!«

»Ich wünsche es dir.« Philipp zog eine Taschenlampe unter der Lederjacke hervor, mit der er kurz Feldweg und Bushäuschen beleuchtete. Ein Grashüpfer sprang in die Dunkelheit. »Meine Fresse, hier ist wirklich der Hund begraben.«

Er richtete den Lichtstrahl auf das hohe Getreidefeld.

»Das da ist es?«

Kurz stellte er sich auf die Zehenspitzen und versuchte, das Kornfeld zu überblicken.

»Ich hoffe, du hast den Kornkreis noch nicht ohne mich inspiziert?«

Luca räusperte sich. »Nein. Bin ja selbst erst seit eben da. Nur glaube ich auch nicht, dass wir schon … fündig würden.«

»Was meinst du damit?« Philipp senkte die Lampe und starrte ihn überrascht an. »Ich denke, wir sind hier, um uns den Kreis anzusehen?«

»Schon. Ich will damit auch eher sagen, dass wir im Augenblick nicht fündig würden.« Verlegen zuckte Luca mit den Schultern. »Ich glaube nämlich, der Kornkreis wird erst heute Nacht entstehen. Wir wären somit die Ersten, die so ein Phänomen live aufnehmen.«

»Willschd misch forhohnebibln?«

Es war kein gutes Zeichen, dass Philipp plötzlich in sächsischen Dialekt verfiel, denn das passierte ihm vor allem dann, wenn er verärgert war.

»Nein, natürlich nicht«, versicherte Luca eilig.

»Du hast mich herbestellt, weil du glaubst, dass hier ein Kornkreis entstehen könnte?«

»Ehrlich, das alles hat seine Gründe.« Luca wand sich. »Erinnerst du dich an die Kleinanzeige von dieser Wohnungsauflösung vor einigen Wochen? Und an die Bücher, die du so gern haben wolltest?«

»Ja. Nur haben die Angehörigen auf meine Mail nicht geantwortet.«

»Ich bin letzten Mittwoch einfach mit dem Bus hingefahren. Für die alten Schinken hat sich zum Glück niemand interessiert. Die Familie wusste gar nicht, auf welchem Schatz sie hockt. Die wollten sie eigentlich schon wegwerfen. Ich hab sie daher für ’nen Zehner bekommen.«

»Und?«

»Da sind tatsächlich Kornkreiszeichnungen drin«, erwiderte Luca begeistert. »Und noch einiges mehr – nur sind die Erklärungen, sagen wir mal, typisch für die Zeit. Aber eines ist mir dadurch klar geworden: Die ganze Gegend hier scheint schon immer so eine Art Hotspot für dieses Phänomen gewesen zu sein.«

Philipp starrte ihn aufmerksam an.

»Wir sind hier«, fuhr Luca fort, »weil ich einer Theorie nachgehen will.«

»Welcher Theorie denn?«

»Der, dass die Kornkreise nicht wahllos entstehen«, erwiderte Luca mit verschwörerischer Stimme. »Dafür gibt es noch weitere Indizien. In einem der UFO-Foren, in denen ich bin, war zu lesen, dass bei dem Kornkreis, der gestern in Brandenburg aufgetaucht ist, angeblich nachts zuvor seltsame Lichtphänomene auszumachen waren.« Luca räusperte sich abermals. »Mit einem der User kam ich ins Gespräch, und der hat mir berichtet, dass Spaziergänger letzte Nacht auch hier so ein seltsames Leuchten gesehen hätten. So ein Glühen. Von dem User habe ich auch die GPS-Daten des Feldes. Ich hoffe also, dass …«

»Euja?!« Sein Kumpel schüttelte ungläubig den Kopf. »Du bestellst mich her, nur weil so ’n Äggsbärdde im Netz Rabadz macht? Kommt es dir nicht selbst etwas närsch vor, dass er dich zu einem Ort bestellt hat, der gerade mal sechs oder sieben Kilometer von eurem Hof entfernt liegt? Ich gehe jede Wette ein, dass der Typ hier irgendwo auf der Lauer liegt und sich über uns kaputtlacht.«

»Ja … ich meine, nein«, presste Luca unsicher hervor. »Das Irre ist, dass sich die Daten mit meinen Berechnungen decken.«

»Berechnungen?« Philipp zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen.

»Ich sag doch, dass ich ’ne Theorie habe. Und das war auch längst nicht alles. Ich weiß, du glaubst da ja nicht so dran. Aber … ich hab heute Nachmittag auch noch ein ziemlich seltsames EVP aufgenommen. Ich spiele dir das nachher gern mal vor. Da geht es auch um das Fel…«

»Ehrlich, Luca«, unterbrach ihn der Ältere. »Wenn du willst, dass die Leute deinen Kanal ernst nehmen, dann solltest du nicht auf jeden Schruz aufspringen. Wir forblämborn hier bloß unsere Zeit.«

»Das ist kein Mist! Ich … ich kann dir auch nicht genau sagen, warum, aber ich bin mir absolut sicher, dass das alles miteinander zusammenhängt. Und gerade dich sollte das doch interessieren. Über dich bin ich doch überhaupt erst auf all das hier aufmerksam geworden. Außerdem …«, Luca sah ihn eindringlich an. »Wir haben doch nichts zu verlieren, jetzt da wir schon mal hier sind.«

Philipp schnaubte und betrachtete grübelnd das hohe Kornfeld, in dem noch immer die Grillen zirpten. Etwas darin erzeugte ein leises Rascheln.

»Stell dir nur vor«, beschwor Luca ihn, »wir beide könnten die Ersten sein, die herausfinden, was es mit alledem auf sich hat.«

»Du hast mitgekriegt«, brummte Philipp nach einer Weile, »dass die bei dem Kornkreis gestern am Erikasee ’nen Toten gefunden haben?«

»Ernsthaft? Nee.«

»Hab ich von Paula. Die … hat mich gewarnt.«

»Gewarnt? Wovor?«

»Sich weiter mit dem ganzen Thema zu beschäftigen.«

Luca folgte dem Blick seines Freundes etwas überrumpelt, der den Lichtstrahl seiner Taschenlampe über die Wand aus Getreidehalmen wandern ließ. Im Spiel aus Licht und Schatten war zu sehen, dass sich einige Ähren gelegentlich im Wind bewegten.

»Wieso das denn?«

»Du kennst sie doch. Angeblich eine Warnung aus der Zwischenwelt.«

Wollte ihm sein Kumpel Angst einjagen?

Nicht mit ihm. Und schon gar nicht, wo er schon mal hier war.

Luca wusste selbst nicht so recht, warum, aber er spürte tief in seinem Innern, dass irgendetwas an diesem Feld anders war. Er musste es unbedingt heute noch betreten. Nötigenfalls alleine.

Wenn er Erfolg hatte, dann würde das die Abonnentenzahlen von XFacts explodieren lassen und seinen Kanal vielleicht auch international bekannt machen.

»Wenn schon«, murrte er. »Von so was lass ich mir keine Angst machen.«

»Na gut«, seufzte Philipp. »Ich geb uns eine halbe Stunde. Wenn wir bis dahin nichts gefunden haben, mache ich mich wieder vom Acker. Und zwar buchstäblich.«

»Alles klar!«

Aufgeregt reichte ihm Luca das Mikro mitsamt Aufnahmegerät, während er sich die lederne Trageschlaufe seiner Digitalkamera ums Handgelenk schob. Endlich konnte er auch seine neue Stirnlampe ausprobieren. Er stellte das Licht an und packte sein EMF-Messgerät aus, das ein wenig einer Fernbedienung mit Anzeigeskala ähnelte, deren Spektrum von Grün bis Rot reichte.

»Sieh an«, frotzelte Philipp. »Deinen Geisterdetektor hast du also auch am Start.«

»Das ist kein ›Geisterdetektor‹. Das Gerät zeigt elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder an«, korrigierte Luca ihn ernst. »Du hast doch selbst behauptet, dass manche in der Szene Erdstrahlen für die Entstehung von Kornkreisen verantwortlich machen.«

»Na ja … wen oder was hältst du denn dafür verantwortlich? Außerirdische?«

»Ich hab dazu noch keine klare Theorie«, wich Luca der Frage aus.

Sein Kumpel seufzte. »Na gut. Legen wir einfach los. Ich darf doch, oder?«

Philipp trat ans Fahrrad heran und löste die Luftpumpe unter der Querstange. Er verstaute Mikro und Aufnahmegerät am Gürtel seiner Lederhose und marschierte unerschrocken auf das Roggenfeld zu. Er suchte einen geeigneten Einstieg und teilte die Wand aus Halmen, indem er mit der Luftpumpe einige heftige Schläge nach links und rechts austeilte. »Wir hätten Stöcke mitnehmen sollen«, fluchte er, während er tiefer ins Feld vordrang. »Oder gleich ’ne Machete.«

»Besser, wir sind etwas vorsichtiger«, mahnte Luca. »Nicht, dass uns der Bauer noch für Schäden haftbar macht.«

»Das hättest du dir früher überlegen müssen.«

Luca seufzte und betrat die Bresche, die Philipp ins Feld schlug und trampelte. Im nächsten Moment tauchte er ein in ein Meer aus hohen Halmen, die im Lichtschein seiner Stirnlampe wie dürre Finger wirkten, die nach ihm griffen. Schlagartig umfing ihn ein schwerer Strohgeruch. Ähnlich wie an einem heißen Sommertag, wenn die Bauern die Ernte einholten. In dieser Intensität hatte Luca ihn schon seit Jahren nicht mehr wahrgenommen.

Eigenartig.

Mühsam stapfte er hinter Philipp her, der unentwegt weiter auf die Getreidehalme eindrosch. Gemeinsam kämpften sie sich tiefer aufs Feld vor. Das Licht ihrer Lampen verlor sich im struppigen Gewirr zahlloser Halme. Wo immer der Ältere sie umtrampelte, richteten sie sich hartnäckig wieder auf. Überrascht bemerkte Luca, wie Dutzende Heuschrecken von den geknickten Schäften sprangen. Darunter grüne Heupferde, von denen einige gute fünf oder sechs Zentimeter lang waren. Und obwohl er sich mühte, die Hindernisse beiseitezuschieben, strichen ihm beständig Ähren übers Gesicht. Es war ein Gefühl wie aus seiner Kindheit, wenn sie in den Feldern Verstecken gespielt hatten. Doch diesmal kam es ihm vor, als würden dürre Finger nach ihm tasten.

Ihn schauderte.

Luca wischte die Halme fahrig beiseite, glaubte einmal, im Licht seiner Stirnlampe eine Bewegung am Boden auszumachen – eine Feldmaus? –, und kollidierte unvermittelt mit Philipp, der plötzlich stehen geblieben war.

»Was?«, wollte Philipp wissen.

Luca sah zu ihm auf. »Ich hab nichts gesagt.«

»Doch, du hast doch eben gerade …?« Verwirrt starrte er ihn an. »Egal.«

Sein Kumpel verscheuchte ein Heupferd aus seinem lockigen Haar und stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die Ähren hinweg auf das vom Mond beschienene Feld zu blicken. Nur schien er damit wenig Erfolg zu haben. Das Getreide war hier noch höher als am Feldrand.

»Also, wohin?«, fragte er. »Wenn wir hier weiter ziellos herumirren, sind wir am Ende selbst für die Kornkreise verantwortlich.«

»Warte.« Luca schaltete sein EMF an, das leise summte, und beobachtete den Zeiger, während die Grillen ringsum weiter aufgeregt ihre Nachtmelodie zirpten. Der Zeiger zitterte leicht und erreichte überraschenderweise den gelben Bereich der Skala. »Der Ausschlag ist stärker als eigentlich zu erwarten ist.«

»Und?«

Luca zögerte. »Lass uns weiter in Richtung Feldmitte gehen.«

Philipp nickte und sprang diesmal sogar hoch, um besser über die Ähren hinwegblicken zu können. »Mann, dieses Feld ist wirklich nicht ohne«, beklagte er sich. »Fast wie in der Serengeti.«

»Ich weiß.«

»Und irgendwas ist mit den Halmen.« Im Licht seiner Taschenlampe betrachtete Philipp seine Hand mit der Luftpumpe. »Meine Haut juckt bis zum Unterarm rauf.«

»Eine Allergie?«

»Nein.« Philipp schüttelte unwillig den Kopf. »Eher so wie bei einem Marsch mit nacktem Oberkörper durch ein Maisfeld. Schon mal gemacht? Da bleiben gern so kleine Mikroschnitte durch die scharfen Blätter zurück. Spürst du nichts?«

»Nee.« Luca grinste böse. »Vielleicht mag dich das Feld einfach nicht.«

»Sehr lustig. Also weiter.« Philipp leuchtete durch die Halme vor sich. »Versuchen wir es in dieser Richtung. Das sollte in etwa hinkommen.«

Erneut hieb er auf die Getreidehalme ein, trampelte eine strohige Schneise ins Feld, und im unruhigen Licht ihrer Lampen drangen sie unermüdlich weiter in die Dunkelheit vor – bis das EMF unvermittelt lauter wurde und der Zeiger sprunghaft in den roten Bereich ausschlug.

»Warte, hier passiert gerade etwas!«, sagte Luca. »Guck dir das an.«

Aufgeregt zeigte er Philipp das Gerät, und sein Freund runzelte die Stirn. »Abgefahren. Und das ist erst seit eben so?«

»Ja, sag ich doch. Eine elektromagnetische Anomalie.« Luca drehte sich mit dem EMF-Messgerät leicht im Kreis und gewann den Eindruck, dass der Ausschlag in Richtung Feldmitte stärker war. Beherzt drängte er sich an seinem Kumpel vorbei, um die Führung zu übernehmen.

Philipp hüpfte hinter ihm wieder einige Male empor, um besser über die Ähren spähen zu können, und schließlich folgte er ihm. »Findest du es nicht seltsam, wie hoch das Getreide ist? Selbst wenn ich hochspringe, kann ich das Feld kaum noch überblicken.«

Luca, der sich bereits einige Meter durch das Dickicht vorangekämpft hatte, wandte seinen Blick vom EMF ab und folgte Philipps Fingerzeig. Tatsächlich, das Meer der Getreidehalme ringsum überragte ihn inzwischen um mehr als einen Kopf. Abrupt blieb er stehen, als er noch etwas anderes bemerkte. »Pssst! Sei mal still.«

Philipp lauschte und sah ihn überrascht an.

Das ewige Grillenzirpen war verstummt.

Stattdessen erfüllte jetzt ein leises Knistern die Nacht. Und das überall um sie herum.

»Was ist das?«, wisperte Philipp.

»Keine Ahnung.« Luca starrte überrascht auf das summende EMF, dessen Zeiger inzwischen auf Anschlag in der roten Skala stand. Dann fiel sein Blick auf das niedergetrampelte Korn zu seinen Füßen.

Konnte das sein?

Die geknickten Halme um sie herum richteten sich ganz allmählich wieder auf.

Er bückte sich, leuchtete mit der Stirnlampe den Ackergrund ab, und seine Augen weiteten sich. Denn das war nicht alles. Tatsächlich schienen die Halme auch kaum wahrnehmbar zu wachsen.

Millimeter für Millimeter.

Mit einem überraschten Laut erhob er sich und leuchtete zurück zu der Bresche, die sie ins Feld geschlagen hatten. Sie war inzwischen fast wieder zugewachsen.

Philipp, der das Phänomen ebenfalls bemerkte, stellte sich direkt neben ihn.

»Fuck, hier stimmt doch was nicht.«

»Hab ich dir doch gesagt!« Aufgeregt sah Luca seinen Begleiter an. »Los, mach den Rekorder an!« Er selbst aktivierte die Kamera. »Wir schreiben heute Geschichte.«

»Und was ist damit?« Philipp leuchtete nach vorn.

Luca, der gerade mit der Schärfeeinstellung der Kamera kämpfte, folgte dem gebündelten Lichtstrahl mit seinen Blicken und sah es nun ebenfalls.

Überall um sie herum, zwischen den Halmen und am Boden, war Bewegung auszumachen: ein hektisches Hüpfen, Springen und Schwirren.

Das waren Heuschrecken.

Dutzende. Hunderte.

Und sie alle schienen sich auf ein unbekanntes Ziel zuzubewegen.

»Alter, das gefällt mir gar nicht«, brummte Philipp. »Packen wir unser Gelummbe und dann raus hier.«

»Spinnst du?« Luca sah ihn entgeistert an. »Ausgerechnet jetzt, wo hier was passiert? Genau deswegen sind wir doch hier. Jetzt komm schon.«

Die Insekten im Auge behaltend, bahnte sich Luca weiter einen Weg durch die hohen Halme. Immer wieder verirrte sich eine der Heuschrecken auf seine Kleidung, bevor sie mit einem kräftigen Satz in die Dunkelheit sprang. Das Knistern um sie herum wurde lauter, steigerte sich allmählich zu einem Prasseln.

»Luca, ich halte das für eine total beschissene Idee!«, ertönte hinter ihm Philipps besorgte Stimme. »Lass uns hier raus, bevor …«

Luca erfuhr nicht, wovor er ihn warnen wollte, da sie unvermittelt das zähe Dickicht aus Halmen durchstießen und in ein knapp anderthalb Meter breites Areal stolperten, in dem sich die Getreidehalme vor ihren Augen zu Boden neigten. Deutlich war im Mondlicht zu sehen, wie sich hier eine Art Gang im Getreidefeld bildete, der sich links und rechts von ihnen in einem Halbrund fortsetzte.

»Fuck! Ich glaub’s nicht«, ächzte Philipp ungläubig.

Tatsächlich wirkte es fast so, als neigten die Halme vor einer unbekannten Macht die Ährenköpfe, bis sie endgültig die Waagerechte erreicht hatten und wie Matten aus Stroh zur Ruhe kamen.

Aufgewühlt sah sich Luca um und lachte. »Ich hab’s dir doch gesagt. Hier entsteht gerade ein Kornkreis. Vor unseren Augen. Und wir sind live dabei.«

Rasch hob er seine Digitalkamera, um das seltsame Phänomen aufzunehmen. Doch das Bild auf dem Display warf Schlieren und wirkte merkwürdig verzerrt. Sogar das Licht seiner Stirnlampe flackerte inzwischen leicht.

»Scheiße!« Er schüttelte die Kamera. »Endlich sind wir am Ziel, und ausgerechnet jetzt versagt die Technik.«

»Ich glaube nicht, dass das hier das Ziel ist«, widersprach ihm sein Kumpel beunruhigt. »Fragst du dich gar nicht, wo die zum Deif’l alle hinwollen?«

Mit einem leicht angeekeltem Gesichtsausdruck deutete er zu den unzähligen Heuschrecken, die auf den geknickten Halmen des seltsamen Gangs im Kornfeld einen wilden Tanz aufzuführen schienen. Angesichts all des Springens und Hüpfens vor ihnen konnte man leicht den Eindruck gewinnen, dass der Untergrund regelrecht brodelte. Und noch immer wirkten die Bewegungen der Insekten zielgerichtet, denn sie hielten sich nicht an den mysteriösen Gang im Feld, sondern überquerten ihn und sprangen in Schwärmen in das hohe Dickicht aus Halmen schräg gegenüber.

»Du hast recht«, flüsterte Luca fasziniert. »Lass uns herausfinden, wo die hinwollen.«

»Luca, ehrlich, wir sollten …«

Philipps Protest verhallte, denn sein Freund beachtete ihn nicht weiter, sondern eilte rechter Hand die breite Schneise aus geknickten Halmen entlang, während er nach wie vor versuchte, seine Digicam zum Laufen zu bringen. Erfolglos. Auch seine Stirnlampe flackerte immer unruhiger.

Eine elektromagnetische Anomalie. Ganz eindeutig.

Lucas Herz hämmerte aufgeregt. Er brauchte kein künstliches Licht, denn obwohl der Mond hin und wieder von Wolken verdunkelt wurde, die unbemerkt aufgezogen waren, reichte sein fahles Licht aus, um den eigentümlichen Gang aus umgeknickten Halmen deutlich aus der Düsternis zu schälen. Standhaft das unentwegte Springen und Hüpfen zu seinen Füßen ignorierend, folgte er der Schneise und fand wenige Meter entfernt einen Quergang, der links abzweigte und sich ebenfalls weiter hinten verlor, in einer Art Halbrund zwischen Wänden aus hohen Kornähren. Kurz fragte sich Luca, welche Umrisse der Kornkreis genau aufwies, allerdings würde man das wohl erst aus der Luft erkennen. Wichtiger schien ihm die Entdeckung, dass die vielen springenden und hüpfenden Insekten dem Gang nun doch folgten.

Dem vermeintlichen Zentrum des Kornkreises entgegen?

»Luca!«, tönte hinter ihm die alarmierte Stimme Philipps, der ihm widerwillig folgte.

»Memm nicht so rum!«, kam Luca seinem Einwand zuvor. »Willst du jetzt wissen, was hier abgeht, oder nicht?«

Erregt stürmte er die Abzweigung entlang, und wann immer seine Füße den wie ausgepolstert wirkenden Boden berührten, war es, als würden die geknickten Halme in einem Regen aus springenden Insekten explodieren. Überhaupt war die Nacht inzwischen von einem lauten Schwirren und Brummen erfüllt, das selbst die Knisterlaute im Feld übertönte.

Wenn nur die verdammte Digicam endlich …

Ansatzlos hielt Luca im Laufen inne und spürte, wie Philipp mit ihm kollidierte und schockiert aufächzte.

Denn unmittelbar vor ihnen endeten die Wände aus hohem Getreide. Der seltsame Gang im Kornfeld mündete in einem kreisförmigen Areal aus geknickten Halmen, das im Mondlicht wie mit einem riesigen Zirkel gezogen wirkte. Doch nicht der Zirkel zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, sondern das unwirkliche Gebilde in seinem Zentrum.

Vor ihren Augen türmte sich ein schwankender und immer höher werdender Kegel aus schwirrenden und brummenden Heuschrecken auf, die sich wie irre gebärdeten und deren heftiger Flügelschlag an den Klang reißenden Papiers erinnerte.

Das monströse … Ding wuchs rasch zu einer Höhe von über zwei Metern an und wurde immerzu durch weitere Heuschrecken genährt, die von allen Seiten aus den Getreidehalmen sprangen. Dabei veränderte sich die Form des unwirklichen Gebildes aus lebenden Insekten zunehmend zu einem brausenden grün-schwarzen Schlauch, der – einer bizarren Windhose nicht unähnlich – immer weiter zum Nachthimmel emporwuchs. Und auch dieser hatte sich verändert, denn unmittelbar über ihnen ballten sich jetzt die Wolken, und Luca glaubte sogar, von dort oben ein leises Grummeln zu hören. Doch all das verblasste angesichts des überlauten Schwirrens, Brummens und Flatterns vor ihnen. Denn die himmelwärts strebende Säule aus Insekten entwickelte zunehmend ein bizarres Eigenleben. Immer wieder peitschte das obere Ende des flatternden Schwarmgebildes hin und her, gabelte sich, wuchs wie ein monströser Finger wieder zusammen – und neigte sich plötzlich in ihre Richtung, als wollte es nach ihnen greifen.

»Gott, was ist das?«, keuchte Luca, der das unheimliche Phänomen anstarrte. Zugleich setzte ein fast unmerklicher warmer Nieselregen ein, der von sanften Böen über das Feld getrieben wurde und ihre Haut benetzte.

»Weg hier!«, rief Philipp.

Erst als ihn sein Kumpel grob an der Schulter packte und mit sich zog, überwand Luca seine Schockstarre, und sie rannten beide los.

Längst waren ihre Lampen endgültig erloschen, dennoch hetzten sie panisch durch den eigentümlichen Gang inmitten des Getreidefelds, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren, als das Brausen und Flattern hinter ihnen auf unwirkliche Weise zu einem geisterhaften Raunen und Wispern anschwoll.

Luuuucaaaa …

Erschrocken blickte Luca über die Schulter. Obgleich das Feld längst von dichten Regenwolken verschattet wurde, sah er, wie der schwankende Insektenturm jenseits der Getreidehalme jäh in einer dunklen Wolke zerplatzte. Im nächsten Augenblick war die Luft von einem lauten Schwirren und Flattern erfüllt, und ein gewaltiger Schwarm aus Heuschrecken brauste dicht über sie hinweg, verfing sich in ihren Haaren, setzte sich auf ihre Kleidung und verfinsterte die Nacht.

»Verfluchte Scheiße!« Philipp geriet vor Luca ins Straucheln und fuchtelte mit den Händen hektisch vor seinem Kopf herum, um all die brummenden und flatternden Insekten zu vertreiben, die sich auf Haaren, Mund, Nase und Augen niederließen. Auch Luca wehrte sich verzweifelt gegen den Ansturm. Dann – von einem Moment zum anderen – entfernte sich das Flattern, Schwirren und Brausen, und sie sahen entgeistert dabei zu, wie der düstere Heuschreckenschwarm in den Nachthimmel aufstieg. Er bildete unter der Wolkendecke ein bizarres geometrisches Muster, bevor er wie schwarzes Wasser jäh wieder auf den Acker herabstürzte.

Luca und Philipp keuchten entsetzt, dann rannten sie weiter.

»Wo ist der Feldweg?«, wimmerte Luca, während um sie herum noch immer der seltsame Nieselregen fiel.

»Ich weiß es nicht«, keuchte Philipp, der nun einige Male emporsprang und versuchte, über die Ähren hinwegzublicken.

»Diese Richtung!« Er deutete schräg vor sie. »Ich glaube, da hinten ist das Bushäuschen.«

Panisch stürzte er sich in die hohen Halme, und mühsam kämpften sie sich durch das endlos scheinende Roggengewirr auf den Feldrand zu, bis Philipp unvermittelt stolperte und zu Boden ging. Als Luca ihm verzweifelt wieder auf die Beine half, wurde ihm bewusst, dass das unentwegte Schwirren und Brummen hinter ihnen verstummt war. Nicht einmal mehr das Säuseln des feuchten Nachtwindes war zu hören.

Stattdessen herrschte im Feld ringsum eine fast bleierne Stille.

Wie die Ruhe vor dem Sturm.

»Weiter!« Wütend drosch Philipp mit der Luftpumpe auf die feuchten Halme ein und bahnte sich mühsam einen Weg durch das Korn. Abermals verhedderten sie sich und halfen sich gegenseitig wieder auf, als dicht vor ihnen ein Rascheln zwischen den Halmen ertönte.

Jäh huschte ein schwarzer Schatten von rechts nach links vor ihnen vorbei, und ein intensiver Strohgeruch wurde herangeweht.

Luuuucaaaa …

Diesmal war die geisterhafte Flüsterstimme nicht zu überhören.

Erschrocken hielt Luca inne, und auch Philipp, der die Luftpumpe schlagbereit hielt, blickte sich ängstlich um. »Scheiße! Was war das?«

»Hast du das auch gehört?«, flüsterte Luca verzagt.

Abermals war im Getreidefeld ein Rascheln zu hören, und in unmittelbarer Nähe jagte ein flinker Schatten durch die Halme. Diesmal von links nach rechts.

Beide fuhren herum, konnten jedoch im hohen Getreide nichts erkennen.

»Egal! Lauf!« Philipp stürmte wieder los. »Bleib dicht bei …«

Der flinke Schatten huschte ein weiteres Mal durchs Feld, und diesmal glaubte Luca im Zwielicht eine wirbelnde Bewegung auf Höhe der Ähren auszumachen. Ein dumpfer Schlag war zu hören, dem ein triumphierendes Fauchen folgte. Dann war der Schatten wieder verschwunden.

Philipp hingegen torkelte und sackte ansatzlos vor Luca in sich zusammen.

»Philipp?«

Kurz brach das Mondlicht zwischen den Regenwolken hervor, und als Luca sich besorgt über seinen Freund beugte, weiteten sich seine Augen vor schierem Entsetzen.

Philipp fehlte der Kopf.

Er war … fort!

Stattdessen spritzte und quoll unentwegt Blut aus dem offenen Halsstumpf.

Mit einem hysterischen Aufschrei wich Luca zurück, kippte selbst hintenüber ins Kornfeld und kroch hektisch von dem Toten weg.

Dann siegte sein Überlebensinstinkt.

Japsend vor Furcht und mit Tränen in den Augen kam er wieder auf die Beine. Jedwede Blicke auf den schrecklich zugerichteten Leichnam vermeidend, schob er die hohen Roggenhalme beiseite und rannte. Rannte.

Und endlich, endlich lichtete sich das scheinbar undurchdringliche Gewirr aus Halmen und Ähren.

Der Feldweg. Da hinten war er.

Luca fegte das Getreide beiseite und wollte gerade aus dem Feld stürmen, als ihn unvermittelt etwas am Bein packte. Mit einem Aufschrei stürzte er bäuchlings auf den durchfeuchteten Untergrund, wirbelte um die eigene Achse und sah im Zwielicht, dass sich einige Halme um seinen Fußknöchel geschlungen hatten.

Verzweifelt mühte er sich damit ab, die seltsame Fessel abzureißen, als der merkwürdige Strohgeruch plötzlich so intensiv wurde, dass er um Atem rang. Abermals schlug ihm die bedrohliche Flüsterstimme entgegen:

Luuuucaaaa …

Drängend. Fordernd.

Und diesmal war sie ganz nah.

Wimmernd vor Furcht sah Luca auf. Das unwirkliche Wolkengebilde über dem Feld wurde von einem fahlgelben Wetterleuchten erhellt, und dank des Lichts erblickte er erstmals die Gestalt.

Groß. Dunkel. Unheilvoll.

Wie aus seinen Albträumen geboren.

Knisternd teilten sich die Ähren vor ihr, während sie majestätisch durch die Halme auf ihn zuschritt. Und mit jeder Bewegung kam ein warmer Wind auf, der feinste Regenschleier herantrug.

Japsend versuchte Luca, sich loszureißen. Doch es war zu spät. Unerbittlich beugte sich die monströse Gestalt über ihn, packte ihn und schleifte ihn mit einem brutalen Ruck zurück aufs Feld.

Luca schrie.