Anton Hofreiter

Fleischfabrik Deutschland

Wie die Massentierhaltung unsere Lebensgrundlagen zerstört und was wir dagegen tun können

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1. Auflage

Originalausgabe

© Verlagsgruppe Random House

Copyright © 2016 Riemann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Lektorat: Johannes Bucej

Redaktionelle Mitarbeit: Jonas Pohlmann, Claudia Reshöft

Umschlaggestaltung: Martina Baldauf, herzblut02, München

Grafiken: Martina Baldauf und Björn Wallbaum

Satz: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-18478-0
V002

www.riemann-verlag.de

Inhalt

Vorwort: Wann, wenn nicht jetzt?

Vom Kükenschreddern, von Güllefluten und dem weltweiten Artensterben

Das Schweinesystem

Schluss mit Bullerbü?

Die Fleischfabrik Deutschland

Was für ein Sauleben

Das Schweinesystem

Das Sauleben der Anderen

Zwischenruf: Ethische Grundsätze statt industrieller Maßstäbe

Töten am Fließband

Ausbeutung im Schlachthof

Zwischenruf: Die V-Frage

Gefahren aus dem Stall

Angst vorm Essen

Auf dem Weg ins postantibiotische Zeitalter

Woher gefährliche Keime kommen

Die Gesundheit von Mensch und Tier zusammendenken

Unser Wasser wird schlecht

Ohne Netz und doppelten Boden

Das sechste Massenaussterben

Das Verstummen der Natur in Deutschland

Wozu braucht die Welt Spatzen und Wildbienen?

»Pflanzenschutz« tötet

Krebsgefahr vom Acker

Unser Klima

Unsere Landwirtschaft vor dem Klimawandel schützen

Vom Winde verweht

Eine Frage der Gerechtigkeit

Über den Tellerrand hinaus

Modernes Raubrittertum

Lebensgefährlicher Widerstand

Gensoja, Glyphosat & Großgrundbesitz – Eindrücke meiner Reise nach Brasilien

Auf dem Rückweg

Zur Flucht gezwungen

Wie werden wir alle satt?

Konzerne als »Entwicklungshelfer«

Das Geschäft mit dem Hunger

Das Saatgut-Monopoly

Globale Spieler – Lokale Verlierer

Die Schuldfrage

Getriebene eines falschen Systems

Aus dem Alltag eines Bauern

Wachse oder weiche

Die Profiteure sitzen woanders

Die Bundesregierung schaut zu

Löchrige Gesetze

Der Agrarminister und die Nebelkerzen

Tierschutz als Staatsziel

Das Kükenschreddern und andere Missstände

Schutz unseres Wassers

Falsches Geld

Ein Blick zurück

Wer hat, dem wird gegeben

Die Legitimität der Milliardensubventionen schwindet

Europas mächtigste Lobby

Ein ungleicher Kampf

Wie Lobbyorganisationen arbeiten

Der lange Arm der Agroindustrie in die Politik

Wen der Bauernverband eigentlich vertritt

TTIP und CETA

Es geht um die Wurst

Landwirtschaft und Verbraucherschutz dürfen keine Verhandlungsmasse sein

Fairer Handel statt Hinterzimmerdeals

Aufbruch in die Agrarwende – hin zu einer grünen Landwirtschaft

Mut zur Veränderung

Der Widerstand wächst

Eine Bewegung für gutes Essen

Es grünt

Die grüne Landwirtschaft sprießt bundesweit

Rückenwind aus der Wissenschaft

Zwischenruf: Nachhaltiger Konsum statt Politik?

Die Grundsteine für eine grüne Agrarwende

Sechs Schritte für eine grüne Agrarwende

Ausstieg aus der Massentierhaltung und Einstieg in eine faire Tierhaltung

Den Bauern die Zukunft

Vom Umweltzerstörer zum Umweltschützer

Transparenz und Verbraucherschutz

Fairer Handel statt TTIP und CETA

Global und sozial gerechte Landwirtschaft

Was wir davon haben

Anhang

Dieses Buch widme ich allen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weltweit in ihrem Kampf gegen die Agroindustrie.

Vorwort: Wann, wenn nicht jetzt?

Während ich dieses Buch schreibe, kommen in Deutschland über eine Million Geflüchtete an. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, aus Eritrea, aus dem Irak. Man spricht von der Flüchtlingskrise, doch in Wahrheit ist es eine Krise Europas. Unser Kontinent droht seine ureigenen Werte Freiheit, Menschlichkeit und Solidarität aus Angst zu opfern. Deutschland hat im Jahr 2015 viel geleistet, viele Menschen aufgenommen und viel Engagement gezeigt. Doch gegen Ende des Jahres wird die Stimmung in einem Teil unserer Bevölkerung sehr hässlich. Während im Mittelmeer immer mehr Kinder und Frauen ertrinken, streiten sich die Populisten von CDU/CSU, SPD und AfD darüber, wer die inhumaneren Abschottungsvorschläge hat.

Es scheint fast kein anderes politisches Thema mehr zu geben. Müssen wir in solchen Zeiten über Landwirtschaft reden? Ist das der richtige Zeitpunkt, um über die Art und Weise, wie wir unsere Lebensmittel produzieren, zu reden? Der richtige Zeitpunkt eine Agrarwende zu fordern?

Die Frage, wie wir heute und in Zukunft Landwirtschaft betreiben, ist eine der zentralen Menschheitsfragen. Denn es geht darum, unsere elementaren Lebensgrundlagen zu erhalten: Unser Klima, unsere Tier- und Pflanzenarten, unsere fruchtbaren Böden, unser Trinkwasser. Wenn wir so weitermachen wie bisher, zerstören wir diese Lebensgrundlagen. Wasser wird immer knapper, Böden werden unfruchtbar, immer mehr Regionen leiden unter Dürre. Auch als Folge der industriellen Landwirtschaft von heute. Das wird in Zukunft noch viel mehr Menschen dazu bringen, ihre Heimat zu verlassen.

Es geht auch um grundlegende ethische Fragen: Wir halten Tiere millionenfach unter unzumutbaren Bedingungen lebenslangen Leids. Wollen wir das wirklich weiterhin so machen? Es geht um Fragen von Gerechtigkeit: Welche internationalen Auswirkungen unserer Produktion und unseres Konsums sind wir bereit in Kauf zu nehmen? Und wie werden wir in Zukunft alle satt, 8, 9 oder 10 Milliarden Menschen? Das sind die Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Und Fragen, die wir nicht aufschieben dürfen.

Manch einer denkt, Landwirtschaft, Nahrung und gutes Essen seien Luxusprobleme für gutsituierte Ökobürger. In schwierigen Zeiten müsse man sich in der Politik um Wichtigeres kümmern. Aber bei der Agrarwende geht es nicht um Gourmet-Food und Lifestyle-Fragen. Es geht um die nachhaltige Nutzung der Ressourcen unseres Planeten. »Feed the World«, darum geht es, um die Zukunft der Nahrung, der Lebens-Mittel – im buchstäblichen Sinne.

Krisen entstehen nicht von selbst. Krisen entstehen, weil man Warnungen ignoriert, kurzsichtig handelt und Probleme aussitzt. Meistens ist das Wissen um die Probleme da. Das gilt auch für die Probleme der industriellen Landwirtschaft. Wir kennen sie, wir können handeln und eine Agrarwende einleiten. Wann, wenn nicht jetzt?

Es gibt in Deutschland viele Leute, die meinen, ökologisch seien wir schon auf einem guten Weg. Und ja, es stimmt, es wurde Wichtiges erreicht. Wir haben das große Waldsterben aufgehalten. Und wir steigen aus der Atomkraft aus. Dieses Thema hat mich und viele andere Grüne stark politisiert, gegen viel Widerstand der Atomlobby haben wir das durchgekämpft. Die Klimaverhandlungen von Paris am Ende des Jahres 2015 waren ein Erfolg, auch wenn vieles davon nun erst noch umgesetzt werden muss. Heute zweifelt in Deutschland kaum jemand mehr daran, dass der Atomausstieg richtig war, dass wir Klimaschutz betreiben müssen und dass die Energiewende richtig und wichtig ist. Zumindest traut sich kaum mehr jemand laut daran zu zweifeln.

Aber von einer ökologisch nachhaltigen und gerechten Entwicklung sind wir weit entfernt – auch in Deutschland. Wir Menschen verursachen zurzeit die größte Aussterbekatastrophe seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Bei uns in Deutschland – hier vor unserer eigenen Haustür – ist jede dritte Art gefährdet. Hauptursache für das Artensterben ist die industrielle Landwirtschaft mit ihren Pestiziden, Monokulturen und ihrer Überdüngung.

Und auch bei der Klimakrise sind wir national ebenso wie international meilenweit davon entfernt, diese riesige Bedrohung für uns Menschen wirklich abzuwenden. Die Landwirtschaft spielt beim Kampf gegen den Klimawandel eine Schlüsselrolle. Fast ein Drittel der weltweiten Treibhausgase stammen aus diesem Sektor. Besonders klimaschädlich ist die industrielle Massentierhaltung. Der ökologische Fußabdruck von industriell produziertem Fleisch ist um ein Vielfaches größer als der von anderen Lebensmitteln.

Anders als zum Beispiel bei der Energiepolitik gibt es bei der Landwirtschaft im Gros keinen Trend zum Besseren. Unsere Landwirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Besonders die Tierhaltung. In Deutschland werden immer mehr Tiere in immer größeren Ställen gehalten. Und ständig werden neue Megaställe gebaut. Dabei wird die industrielle Massentierhaltung von den allermeisten Menschen abgelehnt. Die Fleischfabrik Deutschland verursacht millionenfaches Tierleid. Das ist nicht anständig. Und es ist nicht zukunftsfähig.

Die Fleischfabrik Deutschland führt auch international zu Verwerfungen. Als Student Anfang 20 hatte ich das Privileg, Regionen auf unserem Planeten zu besuchen, in denen die Natur noch völlig unberührt war. Ich bin damals unter anderem durch die Regenwälder und Savannen Brasiliens gereist, auch in den südlichen Bundesstaat Mato Grosso. Mato Grosso, das bedeutet übersetzt dichter Wald (eigentlich dichter Busch). Doch davon ist heute nicht mehr viel übrig. Als ich letztes Jahr noch einmal dort war, war vom ursprünglichen Regenwald nichts mehr zu sehen. Stattdessen Agrarwüsten und Sojaplantagen, soweit das Auge reicht. Wo einst dichte Wälder standen, werden heute Futtermittel für die Massentierhaltung angebaut. Exportiert wird auch nach Deutschland. Die wachsende Fleischproduktion der Tierfabrik Deutschland hängt am Tropf der Sojaimporte aus Südamerika.

Die hochsubventionierte und durchindustrialisierte Fleischproduktion führt dazu, dass Menschen ihre Lebensgrundlagen verlieren. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern werden von ihrem Land vertrieben. Dumpingfleischexporte aus der Fleischfabrik Deutschland zerstören die Märkte des globalen Südens und nehmen vielen Menschen Job und Einkommen.

Das System versagt. Und es kann nur politisch verändert werden. Wir brauchen eine Agrarwende. Leider ist das bei der derzeitigen Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD noch nicht angekommen. Sie unternimmt nichts gegen die Missstände. Seit die CSU das Landwirtschaftsministerium besetzt, treten unfähige Politiker und Lobbyisten der Agroindustrie bei drängenden Fragen immer wieder auf die Bremse und verhindern Verbesserungen. Stattdessen setzen sie auf ein weiteres Wachsen der Fleischfabrik Deutschland. Gleichzeitig opfern sie über die internationalen Handelsabkommen TTIP und CETA den Verbraucherschutz und bäuerliche Existenzen auf dem Freihandelsaltar.

Ist dieses Systemversagen alternativlos? Nein. Eine Agrarwende hin zu einer grünen Landwirtschaft ist nötig und möglich. Wir brauchen einen neuen Wertekompass für unsere Lebensmittelproduktion. Ich stelle in diesem Buch sechs pragmatische Schritte für eine Agrarwende vor, von der Verbraucherinnen und Verbraucher ebenso wie Bäuerinnen und Bauern profitieren. Sie sind nötig, damit es den Tieren besser geht, damit unsere Landwirtschaft ökologischer und gerechter wird und Lebensmittel dabei bezahlbar bleiben.

Eines ist mir besonders wichtig, denn es wird oft missverstanden: Dieses Buch richtet sich nicht gegen unsere Bäuerinnen und Bauern! Ich komme selbst vom Land, aus einem kleinen Dorf in Oberbayern, und kenne das Landleben. Ich habe in den letzten Jahren viele Bäuerinnen und Bauern auf ihren Höfen besucht. Viele stehen wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand. Immer mehr kleine und mittelständische Betriebe müssen aufgeben. Ich will die Bäuerinnen und Bauern zu Partnern der Agrarwende machen. Denn nicht sie sind die Profiteure der zunehmenden Fleischproduktion. Davon profitieren nur die großen Fleischkonzerne.

Ich will einen Aufbruch zu einer zukunftsfähigen und gerechten, einer grünen Landwirtschaft. Hier in Deutschland können wir zeigen, wie es geht.

Anton Hofreiter

Vom Kükenschreddern, von Güllefluten und dem weltweiten Artensterben