ISBN: 978-3-96586-519-8
1. Auflage 2022, Bremen (Germany)
Klarant Verlag. © 2022 Klarant GmbH, 28355 Bremen, www.klarant.de
Titelbild: Unter Verwendung von shutterstock Bildern.
Sämtliche Figuren, Firmen und Ereignisse dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.
Ostfriesland, Juli
Nach einem innigen Kuss huschte sie auf den Flur hinaus. Dort blieb sie stehen und drehte sich ein letztes Mal zu ihm um. Er lächelte und legte den Finger an die Lippen. Sie zwinkerte ihm zu und eilte zum Aufzug, dessen Türen sich mit einem leisen Pling öffneten, um sich kurz darauf hinter ihr zu schließen.
Er wartete, bis der Fahrstuhl mit einem surrenden Geräusch angefahren war. Dann drückte er die Tür hinter sich zu und drehte den im Schloss steckenden Schlüssel rum. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht schlurfte er ins Schlafzimmer, in dem die beiden auf dem Nachtschränkchen stehenden Champagnerkelche und ein zerknittertes Laken von den leidenschaftlichen Stunden dieses Abends zeugten.
Die blöde Kuh schien sich tatsächlich in ihn verliebt zu haben. Dabei sollte eine Frau in ihrem Alter längst nicht mehr auf diese alberne Gefühlsduselei hereinfallen. Aber gegen die Liebe war nun einmal kein Kraut gewachsen.
Er griff nach einem der beiden Kelche und leerte das noch viertelvolle Glas mit einem Schluck. Angewidert verzog er das Gesicht, denn die ehemals prickelnde Luxusbrause war nun schal geworden – wie seine Begeisterung für die neue Gespielin. Wenn sie sich ihm erst einmal hingegeben hatten, war jeder Reiz verloren.
Sein Kick bestand in der Eroberung, bei der er stets alle Register zog. Beim ersten Kuss waren sie ihm in der Regel längst verfallen, die meisten von ihnen hatte er bereits mit einer Berührung so elektrisiert, dass sie zu keinem klaren Gedanken mehr fähig waren.
Die Verführung verheirateter Frauen bereitete ihm stets ein besonderes Vergnügen. Er liebte es, wenn seine Auserwählten unsicher auf dem dünnen Seil der Heimlichkeiten über der Schlucht ihrer Untreue balancierten. Zu sehen, wie sie behutsam einen Schritt vor den anderen setzten und jedes Schäferstündchen akribisch vorbereiteten, nur um irgendwann doch abzustürzen. Wenn sie zu aufdringlich wurden oder sogar von einer gemeinsamen Zukunft träumten, ließ er sie zunächst auffliegen und servierte sie danach ab.
Er stellte das Glas zurück und ging zur Kommode, die gegenüber dem Bett stand. Dort schob er die weiße Vase mit den roten Rosen darin zur Seite und griff nach der Kamera, die er hinter dem Blumenstrauß positioniert hatte. Er stoppte die Aufnahme, spulte das Video zurück und betrachtete die im Zeitraffer laufenden Bilder in dem ausklappbaren Display. Als sie sich in seinen Armen nackt auf dem Laken räkelte, stoppte er den Rücklauf und betrachtete das Standbild.
Wenn er etwas mehr Zeit hatte, musste er sich auch diese Aufnahme in Ruhe ansehen. Zunächst einmal würde sie einen Platz in seiner digitalen Trophäensammlung bekommen. Mit der Kamera in der Hand marschierte er in sein Arbeitszimmer und schloss das Gerät an den dort stehenden Laptop an. Kurz darauf hatte er das Video vom Speicherchip auf eine externe Festplatte überspielt und in den Ordner zu den Aufnahmen geschoben, die er von ihren Vorgängerinnen gemacht hatte. Er steckte die Festplatte aus und hatte sie gerade in seine Schreibtischschublade gelegt, als sein Mobiltelefon klingelte.
»Wo bleibst du?«, fragte eine weibliche Stimme. Im Hintergrund hörte er Musikfetzen, Lachen und das Klirren von Gläsern. Verdammt, das Date mit der Frau des Inhabers der Modekette Friesenfummel, die an der Nordseeküste und auf den Ostfriesischen Inseln inzwischen siebzehn Niederlassungen besaß, hatte er vollkommen vergessen.
»Ich war bis vor wenigen Minuten in einer Besprechung. Diese Meetings dauern oft ewig«, log er und stöhnte theatralisch. Dabei fuhr er sich durch die gelockten blonden Haare, die ihm bis auf die Schulter fielen und für einen verwegenen Look sorgten. »Sorry, bin schon unterwegs.«
Er beendete das Telefonat und sprang unter die Dusche. Wenige Minuten später schlüpfte er in ein weißes Baumwollhemd, zu dem er eine enge Jeans und helle Sneakers trug. In der Diele nahm er den Wagenschlüssel seines schwarzen Alfa Romeo aus der Keramikschale und hastete in den Flur. Der Fahrstuhl, in dem er noch einen leichten Hauch ihres Parfums wahrnahm, brachte ihn in die Tiefgarage. Kurz darauf bretterte er durch die ostfriesische Landschaft, die an diesem späten Abend vom silberfarbenen Mondlicht überflutet wurde. Die Natur spielte ihm in die Karten, denn Frauen liebten das romantische Ambiente einer lauen Sommernacht. Er war sicher, dass sein Date einem funkelnden Sternenhimmel über einem weichen Dünenbett nicht widerstehen konnte.
Borkum, ein Jahr später
Die gesichtslose Gestalt trat aus dem Schatten eines Strandzeltes und sah sich um. Die Wirte hatten ihre letzten Gäste längst vor die Tür gesetzt, die Musik ausgeschaltet und das Licht gelöscht. Auf der Strandpromenade waren um drei Uhr in der Früh nur noch vereinzelte Nachtschwärmer unterwegs, einige Zecher würden ihren Rausch auf einer der Bänke oder in einem Strandkorb ausschlafen, wenn sie es nicht mehr bis zu ihrer Unterkunft schafften. Obwohl sie keine Gefahr darstellten, konnte er sie nicht aus den Augen lassen, schließlich durfte er bei seiner Aktion keinesfalls gesehen werden.
Der Unbekannte zog die Kapuze seines schwarzen Hoodies tiefer ins Gesicht, auch wenn er sich dabei ziemlich bescheuert vorkam, denn bei den dichten Wolkenfeldern, die sich immer wieder vor den Mond schoben und die Sterne ausknipsten, konnte man ohnehin nur Schemen erkennen. Aber Vorsicht war nun einmal die Mutter der Porzellankiste.
Er drückte den Benzinkanister an seine Brust und rannte zu einem Strandzelt am östlichen Teil des Nordstrandes, der sich unterhalb der Galerie befand. Schwer atmend ließ er sich auf die bequeme Bank darin fallen und verschnaufte einen Moment. Seine Pumpe schlug wie verrückt. Auch wenn ein Teil des Herzrasens sicherlich seiner Aufregung geschuldet war, musste er dringend wieder etwas für seine Fitness tun. Aber die körperliche Verfassung war momentan sein kleinstes Problem. Wenn er dem Mistkerl nicht endlich eine Lektion erteilte, war sein Bankrott nur noch eine Frage der Zeit.
Er atmete tief ein und zählte bis zehn. Dann lugte er um die Ecke, konnte aber niemanden erkennen. »Jetzt oder nie«, flüsterte er sich selber Mut zu, öffnete den Kanister und tränkte den gestreiften Stoff von allen Seiten mit Benzin. Nachdem er diese Prozedur bei zwei benachbarten Strandzelten wiederholt hatte, drehte er aus einer alten Zeitung eine provisorische Fackel, die er am Ende anzündete. Dabei achtete er darauf, dass sein Gesicht im Lichtschein nicht zu sehen war. Als die drei Strandzelte lichterloh brannten, klaubte er den leeren Kanister auf und lief Haken schlagend bis zur Wasserlinie, der er bis zum Südstrand folgte. Von dort aus schlich die Gestalt zur Strandpromenade zurück und folgte dann einem schmalen Pfad durch die Dünen. Auch wenn sein Weg durch die menschenleeren Straßen keine zehn Minuten gedauert hatte, kam es ihm wie eine Ewigkeit vor.
Atemlos drückte er die durch einen Zaun uneinsehbare Hintertür seines Hauses auf und lehnte sich an die Wand im Flur. Obwohl er vollkommen fertig war, verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. Sollte der Drecksack die Botschaft nicht verstehen, würde er etwas deutlicher werden müssen.
Mit dem Gefühl, einem scheinbar übermächtigen Gegner endlich die Stirn geboten zu haben, verstaute er den Benzinkanister wieder in seiner Garage, stopfte die nach Benzin und Rauch stinkende Kleidung in die Waschmaschine und ging ins Bett. Vorsichtig zog er die Bettdecke über seinen Körper und schloss die Augen. Wenige Minuten später war er eingeschlafen.