Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Text wurde im Rahmen des Programms »NEUSTART KULTUR« aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.
Für Mum
Der einzige Weg
hier
raus
ist jetzt Ablenkung,
darum habe ich mir
Anna Karenina
von meiner Mutter geliehen und
erlaube mir erst zu weinen,
wenn ich damit durch bin.
Zweimal.
Es war morgens um zehn,
der Tee in meiner Tasse inzwischen kalt.
Ich wollte noch einen Keks.
Ich wollte dir schreiben.
Ich bedauerte unseren Streit.
Sehr.
Helen rief an.
»Hier ist eine Mrs Taylor für dich am Telefon.
Sie sagt, wir haben das Testament ihres Mannes aufgesetzt
und er ist verstorben. Sie klingt okay.«
Ich scrollte durch meine Mails:
Klienten, Anfragen,
Sale bei L. K. Bennett.
»Stell sie durch«, sagte ich.
Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück,
schaltete um auf sanft und hilfsbereit.
»Mrs Taylor, hier ist Ana Kelly.
Zuerst möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen.«
»Sehr nett von Ihnen«, sagte sie.
Auf dem zweiten Bildschirm
suchte ich im System nach Taylor:
zweiundzwanzig Klienten.
»Sagen Sie mir den Vornamen Ihres Mannes?«
»Natürlich, Entschuldigung. Ähm …«
Sie war unsicher,
als wäre der Name unerreichbar,
schon ganz weit oben im Regal verstaut.
Aber dann.
»Connor Mooney.
Ich bin Rebecca Taylor, seine Frau.
Wir haben nicht denselben Nachnamen.«
Die Frau.
Seine Frau.
Deine Frau.
Die Frau.
Sie hatte das mit uns herausgefunden.
Das war ihre Art Kontakt aufzunehmen,
mich zu bestrafen,
denn du warst nicht tot,
wir hatten uns erst vor ein paar Tagen gesprochen.
Ich wollte dir nach dem Mittag eine Nachricht schicken.
Mich entschuldigen. Wieder mit dir versöhnen.
Rebecca rief an, weil sie von uns wusste,
und ich musste das irgendwie erklären.
Schnell. Schnell.
Denk nach. Denk nach.
»Er ist am Dienstag gestorben«, sagte sie.
»Mein Schwager hat mir zu dem Anruf geraten.«
Das ist eine Lüge, du elende Schlampenfotze,
sagte ich nicht.
Das ist eine elende Lüge, du Fotzenschlampe,
sagte ich nicht.
Ich sagte: »Oh nein, das tut mir so leid.
Das ist schrecklich.
Ich sehe mir seinen Vorgang gerade an.
Wir haben das Testament vor ein paar Jahren aufgesetzt.«
Meine Hände hatten sich nicht bewegt.
Ich überflog die Liste der Taylors.
Keith, Leonard, Meaghan-Leah.
In meinem Hals saß ein Schmerz, heiß und schwer.
Meine rechte Hand zuckte, obwohl ich mich
am Schreibtisch festhielt, um sie ruhig zu halten.
Ich glaubte ihr nicht.
»Die Beerdigung ist Freitag in zwei Wochen.«
»Danke für Ihren Anruf.
Sie haben gerade sicher anderes im Kopf.
Und bitte machen Sie sich um das Rechtliche keine Sorgen,
es sei denn, es hakt bei den Kosten für die Beerdigung.«
»Das wird kein Problem sein«, sagte sie abwehrend.
»Gut, ich rufe Sie nach der Beerdigung an.
Vielleicht könnten Sie dann
in die Kanzlei kommen.«
»Ich warte, bis ich von Ihnen höre.«
Sie sprach, als würden wir einen Zahnarzttermin vereinbaren,
mit einer Ruhe, die ich nicht verstand,
aber ähnlich allen Ehepartnern in Trauer, die ich erlebte,
stellte sie ihr Unglück während der rechtlichen Belange kurz zurück.
Ich atmete flach.
»Wissen Sie, wie Sie die Sterbeurkunde beantragen?«
»Darum kümmert sich mein Schwager.«
Sie hustete heftig ins Telefon.
Ich fragte mich, ob sie Schwarz trug.
»Als Testamentsvollstrecker Ihres Mannes
sind wir Ihnen gern bei den Formalitäten behilflich, sprechen Sie uns einfach an.«
Rebecca hustete wieder.
Ich überlegte nachzufragen, ob sie sicher war.
So ganz und gar.
Ohne jeden Zweifel.
Vielleicht war es jemand anders.
»Kann ich noch irgendetwas für Sie tun, Mrs Taylor?«
Sie zögerte.
Würde sie gleich loslachen?
Das war doch alles nicht wahr. Oder?
Du würdest mich in ein paar Minuten anrufen,
panisch und ertappt.
»Nein. Aber danke«, sagte sie.
»Eine Frage noch. Wie ist er gestorben?«
Rebecca sagte es mir flüchtig.
Und ich sagte ihr brüchig, wie entsetzlich das klang
und wie unvorstellbar es war, ohne ihn zu sein.
»Ja«, sagte sie.
Ich beendete das Telefonat
und kaufte im Online-Sale ein Paar Schuhe.
Lila Nubuk. Vorne spitz.
Unpraktisch.
Überteuert.
Dann tat ich etwas
Schlimmes.
Ich arbeitete weiter.
Sag schon.
Was hättest du getan?
Es ist eisig kalt.
Ich trage einen Cardigan aus Kaschmir
über einem langen grauen Kleid,
darunter ein Hemd.
Es ist der Marks-and-Spencer-Look:
stinknormaler Kaufhauskram,
schlicht bis zur Unkenntlichkeit.
Ich habe heute auf dem Weg nach draußen
einen Blick in den Spiegel erhascht,
die Frau gehasst,
die du sehen würdest,
würdest du dich aufsetzen und umschauen.
Sähe dir das nicht ähnlich?
Herauszuspähen
und später die Trauerfeier
in einer Post-mortem-Performance nachzuspielen –
das Zappeln der Kinder,
den Gesichtsausdruck deiner Mutter,
Gedanken zu meinem Verhalten,
das volle Programm:
Deine Haare so hochgesteckt fand ich schön.
Du solltest immer Lippenstift tragen.
Konntest du von dahinten was sehen?
Seit fünfzehn Tagen habe ich nichts gegessen.
Seit zwanzig habe ich dich nicht gesehen.
Ich weiß nicht, wann mein Appetit zurückkommt.
Ich werde dich nie wiedersehen.
Ich bin so dünn wie am Anfang,
als mir meine Falschheit
auf den Magen schlug.
Du würdest sagen, ich sehe gut aus.
Aber das stimmt nicht.
Es wurde schon bemerkt.
Die Partner wirken besorgt,
als könnte ich durch das Wirrwarr meiner Klienten draufgehen.
Nora hat mir eine Flasche Floradix gekauft.
Tanya hat gefragt, ob ich schwanger sei.
Die Sonne kämpft sich durch die Wolken
und dürfte sie besiegen,
schließlich haben wir Juli.
Ich halte mich an einem Strauß weißer Nelken fest.
Du hast nie erwähnt, ob du Blumen magst,
aber bald wirst du bedeckt sein
von leuchtend blühender
sterbender Farbe
als Zeichen der Liebe.
Wie riechst du jetzt?
Hast du lange Nägel?
Der Parkplatz der St Mary’s ist voll.
Ich kann deinen Sarg nicht sehen.
Aber ich sehe Rebecca,
deine Jungs,
alle starren ins Leere.
Wir machen Pläne für den Tod,
fällen vernünftige Entscheidungen,
während wir uns am Leben laben.
Aber niemand hat die Absicht zu sterben.
Als du vor drei Jahren
in mein Büro spaziert kamst,
hättest du nie gedacht,
ich müsste mich der Trauer deiner Familie stellen
oder meiner eigenen.
Du dachtest, du hättest ewig, um Fehler zu machen
und wiedergutzumachen.
Deine Söhne tragen Anzüge,
stehen wie schwarze Orgelpfeifen in einer Reihe.
Ich drehe ihnen den Rücken zu.
Ich bin nicht für ihre Traurigkeit verantwortlich,
obwohl ich es wollte.
Wäre es nicht besser gewesen als das jetzt?
Wäre es nicht besser gewesen, wenn es nach mir gegangen wäre?
»Lässt auch Mrs Mooney ein Testament bei uns aufsetzen?«, fragte ich.
Du trugst Turnschuhe bei diesem ersten Termin,
einen Mantel, der gespendet gehörte, nicht angezogen.
»Meine Frau hat ihren Namen behalten und
für ihren Tod
sicher sorgfältig vorgesorgt.
Für meinen wahrscheinlich auch.«
Dein Lachen füllte den ganzen Raum
bis in die staubigen Ecken.
Wir gingen alles durch:
Angaben,
Anlagen,
Altersvorsorge.
Fünfzehn Minuten später wusste ich alles über dein Leben,
doch du wusstest nichts von mir,
außer wo ich studiert hatte:
Ich sah, wie dein Blick zur Wand glitt –
Urkunden und Zeugnisse,
Lorbeeren für ein Mädchen,
an das ich mich kaum erinnerte.
Sie war ehrgeizig,
mochte die Manic Street Preachers,
blies ihrem Dozenten für Rechtstheorie zum Einstieg einen.
Dummes Ding.
Am Ende ließt du dir Zeit,
maltest
mit dem Daumen
Kreise auf den Tisch
und sagtest leicht grinsend:
»Das nächste Mal komme ich dann wohl wegen der Scheidung.«
Ich steckte die Kappe auf den Stift,
gab dir Zeit, um etwas zu sagen.
Schließlich war Januar,
ein geschäftiger Monat für Trennungen und
Schnüffeleien
nach dem infernalen weihnachtlichen Zusammensein.
»Was immer Sie brauchen, wir sind für Sie da«, sagte ich.
Ich war nicht provokant.
Ich war professionell,
mit Urkunden an der Wand, die das bewiesen.
Eine Bristol-Absolventin.
»Meine Kollegin Tanya Kushner
ist eine erfahrene Anwältin für Familienrecht.
Ich kann unsere Mitarbeiterin am Empfang bitten, einen Termin für Sie zu vereinbaren.«
»Oh, Rebecca lässt mich niemals gehen.
Wie käme dann das Benzin in ihren Wagen?«
Du standst auf. »Sobald das Testament fertig ist, kommen Sie
zum Unterschreiben einfach noch mal kurz vorbei«, sagte ich.
»Für die Zeugen sorgen wir.«
»Wie großzügig! Ich kann es kaum erwarten.«
Du zogst den schäbigen Mantel wieder an.
Aus einer der Taschen ragte eine Flasche Ribena.
»Sind Sie Irin? Immerhin heißen Sie Kelly.
Oder haben Sie eine besonders gute Partie gemacht?«
»Dasselbe wollte ich Sie auch schon fragen.«
»Meine Eltern kommen aus Meath. Und Ihre?«
»Meine Mum kommt aus Cork.
Mein Dad aus Cavan.
Wo da genau, weiß kein Mensch,
aber vor irgendwas ist er wohl weggelaufen.«
»Sind wir das nicht alle?«, sagtest du zwinkernd, ehe du
einen Rückzieher vor deiner eigenen Courage machtest
und die Hand auf den Türgriff legtest.
»Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.«
Ich aß allein zu Mittag, bei Subway ein paar Häuser weiter.
Eine Scheibe Gurke fiel mir in den Schoß und
ich entdeckte in meiner Strumpfhose ein Loch,
war froh, dass ich den Großteil unseres Gesprächs gesessen hatte,
war besorgt, du könntest mich bei Subway sehen.
Wie du merkst,
hast du dich schon an diesem ersten Tag
herumgeschlichen
innen drin,
alles aufgemischt.
Aber.
Eigentlich.
Habe ich nicht mehr weiter an dich gedacht, bis wir uns
zwei Wochen später
über den Weg gelaufen sind.
Rebecca war bei dir.
Und, wow,
sie hatte alles.
Woher sollen wir wissen, welche Tage
später einmal Wendepunkte sind?
So lange wir leben,
spielen wir.
Rot.
Schwarz.
Alles auf die Elf.