Buch
Ein reißender Fluss trennt in Albion Nord und Süd und zwei Völker, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Norden Albions ist ein raues, wildes Land. Die Winter im Schwarzen Königreich sind hart, die Wälder und das Volk der Anakim uralt und geheimnisvoll. Die Südmenschen hingegen leben kürzer und trachten daher nach Macht und Reichtum. So gelingt es Aramilla, der ehrgeizigen Königin des Südens, durch eine Intrige, die südlichen Heerscharen zu mobilisieren und den empfindlichen Frieden zu brechen. Der 19-jährige Roper, Sohn des Hauses Silberner Wolf und Thronerbe des Nordens, steht vor seiner ersten Schlacht. Doch es kommt zu einer Tragödie: Sein Vater, der Herrscher über das Schwarze Königreich, fällt. Plötzlich lastet das Schicksal des Nordens allein auf Ropers Schultern. Schon bald sieht er sich von mächtigen Feinden umzingelt. Denn nicht nur will die Königin des Südens sein Volk auslöschen, auch machtvolle Gegner im Inneren greifen nach dem Thron. Ropers einzige Chance ist eine Allianz mit der schönen Keturah, Tochter des einflussreichen Hauses Vidarr. Doch seine Feinde planen bereits den nächsten Schachzug – mit nur einem Ziel: Das Heulen des Silbernen Wolfes soll für immer verklingen …
Autor
Leo Carew studierte in Cambridge Biologische Anthropologie und spezialisiert sich aktuell auf Polarmedizin. Neben dem Schreiben gilt seine Leidenschaft Expeditionen. So verbrachte er ein Jahr in der Arktis, wo er sich zum Polar-Guide ausbilden ließ und begann, sein Debüt »Wolfsthron« zu schreiben. Seine Liebe zu spektakulären Landschaften hat Leo Carew in sein beeindruckendes Fantasy-Epos einfließen lassen.
Mehr zu Leo Carew unter: www.leocarew.com
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Leo Carew
Wolfsthron
Under the Northern Sky
Band 1
Roman
Aus dem Englischen
von Wolfgang Thon
Die englische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »The Wolf«
bei Wildfire, an imprint of Headline Publishing Group, London.
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1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung September 2018
Copyright © der Originalausgabe 2018 Leo Carew
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: Nach einer Covergestaltung von
Patrick Insole für Headline Publishing Group. Wolf image by Lee Gibbons.
Other images © LANBO/Shutterstock, phiseksit/Shutterstock,
photka/Shutterstock
Redaktion: Waltraud Horbas
KS • Herstellung: kw
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN: 978-3-641-21688-7
V003
www.goldmann-verlag.de
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Für Mum, in Liebe
PROLOG
Es regnete, als ginge die Welt unter. Eine dichte Wolkenschicht verbarg Mond und Sterne und verdunkelte die gepflasterte Straße, auf der sich eine menschliche Gestalt, in einen Kapuzenmantel gehüllt, vorankämpfte. Ihr Ziel war die Tür eines Steinhauses. Immer wieder wurde die Gestalt von dem heftigen Wind zurückgeworfen. Sie stemmte sich gegen die stürmische Dunkelheit und hielt den Saum ihrer Kapuze fest, um zu verhindern, dass der Wind sie ihr vom Kopf blies und ihr Gesicht enthüllte. Die Rieddächer der Häuser in der Straße lösten sich allmählich auf, und Halme des Schilfrohrs flogen durch die Luft. Als sie die Tür des Steinhauses erreichte und den Riegel zurückschob, flog diese nach innen auf und krachte gegen die seitliche Steinmauer, so gewaltig war die Kraft, mit der der Wind auf das Haus einstürmte. Im Inneren herrschte tiefste Dunkelheit. Weder Kerzen noch Lampen waren entzündet worden, und auch die stürmische Nacht bot keinerlei natürliches Licht.
Einen Moment lang blieb die Gestalt auf der Schwelle stehen und spähte nach drinnen. Dann tastete sie sich weiter und drückte die Tür hinter sich zu. Das Brausen des Sturmes verklang zu einem Wehklagen, als es aus dem Raum ausgeschlossen wurde, und aus der pechschwarzen Dunkelheit drang das leise Geräusch plätschernden Wassers. Die Gestalt streifte die Kapuze zurück.
Schritte ertönten in der Finsternis.
Regungslos blieb die Gestalt stehen, als in einer Ecke ein Lichtschein aufglomm und langsam größer wurde. Dann tauchte ein großer dunkelhaariger Mann in dem Lichtkreis auf. Die Kerze in dem Zinnhalter, den er mit einer Hand umfasste, erhellte seine edlen Gesichtszüge und die silbernen Strähnen an seinen Schläfen. Beim Anblick des Eindringlings an der Tür blieb er abrupt stehen. Seine Hand schnellte zum Griff eines langen Dolchs an seinem Gürtel.
»Wer seid Ihr?«
Die Gestalt trat in den Kerzenschein, und es wurde klar, dass es sich um eine Frau handelte. Ihr goldblondes Haar war zurückgebunden und schimmerte feucht vom Regen. Sie lächelte, und der Mann starrte sie einen Augenblick verblüfft an.
»Seid Ihr allein hierhergelaufen?«
»Bei so einem Wetter sind die Straßen menschenleer«, entgegnete die Frau.
Der Mann trat ein paar Schritte auf sie zu, um ihr Gesicht im Kerzenschein genauer zu betrachten. Ihre Kleidung war durchweicht, aber offensichtlich teuer und verriet ihre hohe Herkunft. Doch damit endete auch schon ihre Ähnlichkeit mit den anderen adligen Frauen des Landes. Sie war ganz und gar nicht wie sie – blass, geschminkt, mit Schmuck behangen, zart und zierlich. Ihre Schönheit war herber, zeigte sich in ihren ausgeprägten Wangenknochen, den Fältchen an ihren Augenwinkeln und ihrer selbstsicheren Haltung. Sie trug weder Gold- noch Silberschmuck, und ihre Haut war nicht weiß wie Kreide, sondern von der Sonne gebräunt.
»Wo ist Seine Majestät?«, erkundigte sich der Mann.
»Schläft. Sein Leibarzt hat ihm einen Trank verabreicht, er wird nicht aufwachen. Er fürchtet die Blitze.« Die Frau mit den schimmernden goldblonden Haaren verdrehte die Augen.
Er betrachtete sie einen Moment, während der Wind durch die Ritzen und Spalten in der Tür pfiff und die Kerzenflamme flackern ließ. »Ihr seid verrückt.«
Sie lächelte, und ihre Brauen hoben sich leicht, während sie ihn aus schmalen Augen ansah. »Genau das sagt man am Hof über Euch. ›Hütet Euch vor Bellamus von Safinim, Euer Majestät. Dieser Emporkömmling ist nicht ganz richtig im Kopf.‹«
Bellamus von Safinim streckte die Hand nach ihr aus, und sie trat zu ihm. Sie schlang ihren Arm um seine Taille und schmiegte sich an ihn. Bellamus blickte auf ihr Gesicht herab. Noch immer lächelte sie ihn an, die Lider leicht gesenkt. Er küsste sie, dann lockerte er den Griff und musterte seine Finger, die feucht von ihrem Mantel waren. »Du brauchst dringend ein wärmendes Feuer.«
Sie wandten sich um und verschwanden in der Dunkelheit. Die Kerze kämpfte gegen die abgrundtiefe Finsternis an und erleuchtete kurz das Becken in der Mitte der Halle, in das das Wasser durch eine Öffnung im Dach herabstürzte. Verblasste Fresken an den Wänden tauchten im Schein des Kerzenlichts auf, als die beiden einen Korridor entlanggingen. Die Königin wandte den Kopf und betrachtete im Vorübergehen die Wandgemälde. Eines zeigte einen Bären, der von einem Speer durchbohrt wurde. Das nächste stellte einen stiernackigen Mann im Profil dar, umringt von Blättern und tanzenden Gestalten. Der Putz, auf den das Fresko gemalt worden war, wies durch Alter und Trockenheit Risse auf, und die Königin konnte den Staub riechen, der davon aufstieg, während er stumm verfiel.
Am Ende des Ganges schimmerte ein ruhiges Licht, und sie betraten eine Kammer mit blanken Steinmauern. In eine der Wände war ein Kamin eingelassen worden, und ein hölzerner Stuhl stand vor dem Feuer, das darin brannte. Ein zweiter Holzstuhl befand sich vor einem glaslosen Fenster auf der anderen Seite des Raums.
»Du warst wach?«, fragte die Königin und warf einen Blick auf das Feuer.
»Ich habe dem Gewitter zugesehen.« Bellamus führte sie zu dem Stuhl am Kamin und löschte die Kerzenflamme zwischen Zeigefinger und Daumen. Dann schritt er durch den Raum und trug den Stuhl vom Fenster herbei sowie eine Decke, die daneben auf dem Boden gelegen hatte. Er reichte der Frau die Decke, schob den Stuhl neben ihren und setzte sich zu ihr.
»Was hat der König gesagt?«, fragte er.
»Er sagte: ›Ihr werdet in den Krieg ziehen.‹«
Bellamus atmete langsam aus. »Wir marschieren ein?«
Bekräftigend hob sie die Brauen und starrte in die Flammen.
Bellamus lachte, zunächst nur leise, doch dann steigerte es sich, bis er vor Lachen brüllte. Triumphierend sprang er auf, wandte sich der Königin zu und verbeugte sich. »Gut gemacht, Euer Majestät.« Er lehnte sich vor und küsste sie erneut, während sich seine Finger in ihre Schultern gruben. »Wie hast du das nur geschafft?«, fragte er, nachdem er sich von ihr gelöst hatte.
Doch sein Lob verfing nicht bei ihr. »Wir beide haben es bewerkstelligt. Du hast ihn fast verrückt gemacht, ihm Angst eingejagt. Die Feuerschlangen und die Fluten haben ihn regelrecht in Panik versetzt, und ich habe seine Angst dann benutzt und in die richtigen Bahnen gelenkt.«
Die Feuerschlangen. In der Nacht zuvor – es war kühl gewesen und der Himmel klar – hatten Schreie und lautes Wehklagen Königin Aramilla zu ihrem Fenster gelockt. Als sie hinausblickte, erstrahlte der Himmel in unirdischem Grün. Als wäre ein Schleier von den Sternen herabgesunken. Der grüne Schleier flatterte und tanzte in einer Brise, die einzig diese Erscheinung zu bewegen schien. Sie leuchtete immer stärker, und schließlich sah es aus, als wäre ein gigantischer Topf smaragdgrüner Farbe zwischen den Sternen ausgeschüttet worden, die sich in gewaltigen Strömen von einem Horizont zum anderen schlängelte. Fasziniert und voller Ehrfurcht hatte Aramilla zugesehen, als die Stadt unter ihr zu schreien begann. Die Straßen leerten sich, die Menschen flüchteten in ihre Häuser. Einige suchten Schutz in der Kirche, um Erlösung vor dem zu erflehen, was dieses Zeichen auch immer bedeuten mochte. Es hatte die ganze Nacht angedauert, bis die Wolken, die den gegenwärtigen Sturm ankündigten, aufgezogen waren und den Anblick verborgen hatten.
»Sie waren wunderschön«, sagte Bellamus und ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken. »Auf mich haben sie nicht wie ein böses Vorzeichen gewirkt, aber ich bin trotzdem froh, dass der König es anders gedeutet hat.«
»Nun, für dich waren sie ja auch kein schlechtes Omen«, erwiderte die Königin. »Aber vielleicht werden sie sich als ein schlechtes Omen für den König herausstellen. Jedenfalls habe ich dafür gesorgt, dass er es so deutet. Die Fluten, die Seuchen … und jetzt die Schlangen am Himmel. Er glaubt, Gottes Zorn sei entbrannt.«
»Ich bin beeindruckt. Bereitet es ihm keine Sorge, so spät im Jahr noch einen Feldzug zu beginnen?«
»Die Vorstellung, einen ganzen Winter lang den unversöhnlichen Zorn Gottes ertragen zu müssen, fand er deutlich beängstigender.« Sie legte ihm eine Hand an die Wange. »Ich habe dich in den Krieg geschickt, mein Soldat. Sorge dafür, dass ich es nicht bereue.« Sie klang vergnügt, aber er ergriff trotzdem ihre Hand.
»Das wirst du nicht«, sagte er. »Ich komme immer zurück.«
»Bringst du mir etwas mit aus dem Land jenseits des Abus?« Ihre Pupillen waren geweitet, und sie nahm seinen Anblick ganz in sich auf.
Er betrachtete sie. »Was würde dir denn gefallen? Die Anakim besitzen keine Schätze. Dinge, die keinen Zweck erfüllen, achten sie nicht.«
»Was besitzen sie dann?«
»Waffen«, antwortete Bellamus. »Größere und bessere Waffen als die, die es im Süden gibt. Ich könnte dir eine prächtige Axt mitbringen, wie wäre das?«
»Lass dir etwas Besseres einfallen«, erwiderte sie amüsiert. »Ich würde mich zum Beispiel mit dem Geweih eines gigantischen Elchs zufriedengeben.«
»Nichts leichter als das«, erwiderte Bellamus. »Allerdings habe ich vor, dem König eine ganz besondere Trophäe zu überreichen. Und ich denke, du wirst nicht zufrieden sein, wenn du nicht etwas ebenso Prachtvolles bekommst.«
»Was willst du ihm mitbringen?«, fragte sie.
Bellamus nickte nachdenklich, wie zu sich selbst, bevor er leise sagte: »Den Kopf des Schwarzen Lords.«
Sie warf ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu und lehnte sich dann gegen seine Brust. »Mein Emporkömmling. Ich beneide die Anakim nicht darum, dass sie dich zum Feind haben.«
Sie schwiegen eine Weile. Plötzlich erhellte ein greller Blitz die Kammer und erlaubte der Königin, den Raum für den Bruchteil einer Sekunde so zu sehen, wie er im Tageslicht wirken musste. Dann wurde er wieder von der Dunkelheit verschlungen. Die Königin zählte zehn Herzschläge, bevor Donner über den Himmel rollte, und erschauerte behaglich. »Ich wünschte, ich könnte dich in den Norden begleiten und die Anakim sehen, bevor du sie auslöschst.«
Bellamus war in nachdenkliches Schweigen versunken. Er starrte in die Flammen und spielte gedankenverloren mit ihrem Haar.
»Hast du jemals einen von ihnen getötet?«, fragte sie. »Einen der Anakim, meine ich?«
»Ein paar«, sagte er. »Jedoch nie einen bewaffneten und gepanzerten Krieger. Die überlasse ich größeren Helden, als ich einer bin. Aber wie wir alle sind sie weitaus weniger beeindruckend, wenn sie überrumpelt werden.«
»Ist es wahr, was man sich über ihre Knochenpanzer erzählt? Oder war das nur ein weiterer Versuch, den König in Angst und Schrecken zu versetzen?«
Bellamus grinste. »Wenn wir dieses Spiel überleben wollen, müssen wir uns an Lügen halten, die niemals als solche entlarvt werden können. Diese Schilderungen allerdings sind wahr. Ihre Knochenpanzer reichen von den Lenden bis zum Hals und sind nur äußerst schwer zu durchbohren.«
»Mein Vater hat sich darüber lustig gemacht. Er sagte, das wären nur Gerüchte, wie sie der Krieg hervorbringt.«
»Earl Seaton kann sich glücklich schätzen, dass er niemals einem leibhaftigen Anakim begegnet ist. Unsere Grenzen sind mittlerweile schon so lange sicher, dass die Menschen vergessen haben, wie ernst die Bedrohung ist. Und das ist kein Gerücht, meine Königin.«
Sie drehte sich leicht in seinen Armen. »Warum willst du sie dann angreifen?«, setzte sie nach. »Ich dachte, sie faszinieren dich. Und wie brüchig der Frieden auch sein mag, immerhin hält er nun schon seit Jahren. Warum setzen wir alles aufs Spiel, um sie für immer auszulöschen?«
Bellamus schwieg einen Moment, und ihr war klar, dass er überlegte, wie viel er ihr verraten sollte.
»Man muss sich für eine Seite entscheiden«, sagte er schließlich, »und dann alles in seiner Macht Stehende tun, um diese Seite voranzubringen, oder nicht? Die andere Seite wird ganz sicher dasselbe tun. Und nur wenn man härter und entschlossener vorgeht als die anderen, wird die eigene Seite triumphieren.«
Darüber dachte sie einen Augenblick nach. »Ich habe mich für eine Seite entschieden.«
»Ich weiß, für wen du kämpfst«, sagte er anzüglich.
»Für dieselbe Person, für die du auch kämpfst.« Sie lächelte zu ihm hoch. »Für mich.«
Teil I