Die Bücher
Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist
Hans Rosling hat es so eindringlich gezeigt wie niemand zuvor: Wenn wir Menschen Fragen über den Zustand der Welt beantworten sollen, liegen wir regelmäßig falsch – egal, ob es um das Bevölkerungswachstum, den Anteil der Menschen in extremer Armut oder die allgemeine Schulbildung von Mädchen geht. Selbst Schimpansen, die ihre Aussagen per Zufall treffen, liefern mehr richtige Antworten als Nobelpreisträger, Investmentbanker und andere Entscheidungsträger. Woran liegt das? Roslings Erkenntnis: Unser Gehirn verführt uns zu einer dramatisierenden Weltsicht, die mitnichten der Realität entspricht. Zusammen mit seinen Mitautoren Anna Rosling Rönnlund und Ola Rosling entwirft er ein revolutionäres Programm, mit dem wir endlich zu den Fakten zurückkehren und die Welt so sehen können, wie sie tatsächlich ist – und nicht, wie wir glauben, dass sie ist.
»Dieses Buch ist mein Versuch, Einfluss auf die Welt zu nehmen: die Denkweise der Menschen zu verändern, ihre irrationalen Ängste zu lindern und ihre Energien in konstruktives Handeln umzulenken.« Hans Rosling
Wie ich lernte, die Welt zu verstehen
Mit FACTFULNESS hat Hans Rosling unser grundlegendes Verständnis von der Welt verändert. In seinen Erinnerungen erzählt der geniale Querdenker und Kultautor nun, wie Wissensdrang und Neugierde ihn zu einer fundamental neuen, weil faktenbasierten Sicht der Dinge führten. Aufgewachsen in einer Familie, in der Bildung von Generation zu Generation erkämpft werden musste, konnte er als Erster studieren und die Welt bereisen. Trotz einer schweren Krebserkrankung ging er als junger Arzt nach Mosambik, um dort den Ärmsten der Armen zu helfen. Seine Arbeit im Krankenhaus von Nacala wie auch die Begegnungen mit Bewohnern abgelegener afrikanischer Dörfer initiierten sein späteres Handeln. Vorlesungen vor Studierenden in Stockholm, Vorträge auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, Begegnungen mit Melinda und Bill Gates oder Gespräche mit Fidel Castro bestärkten ihn in seiner Botschaft: Wir müssen unser vermeintliches Wissen über den Zustand der Welt hinterfragen und uns den Fakten zuwenden – denn die Wirklichkeit ist oft viel besser, als wir glauben.
Die Autoren
HANS ROSLING, geboren 1948 in Uppsala, gestorben im Februar 2017, war Professor für Internationale Gesundheit am Karolinska Institutet und Direktor der Gapminder-Stiftung in Stockholm. Er war zudem Gründungsmitglied von Ärzte ohne Grenzen e.V. in Schweden und Mitglied der Internationalen Gruppe der Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Zusammen mit seinem Sohn Ola Rosling und seiner Schwiegertochter Anna Rosling Rönnlund gründete Hans Rosling die Gapminder-Stiftung.
FANNY HÄRGESTAM, geboren 1983, lebt als Journalistin in Paris.
FACTFULNESS
WIE WIR LERNEN, DIE WELT SO ZU SEHEN, WIE SIE WIRKLICH IST
HANS ROSLING
MIT ANNA ROSLING RÖNNLUND UND OLA ROSLING
Aus dem Englischen von Hans Freundl,
Hans-Peter Remmler und Albrecht Schreiber
___________
WIE ICH LERNTE, DIE WELT ZU VERSTEHEN
HANS ROSLING
MIT FANNY HÅRGESTAM
Aus dem Schwedischen von Maike Barth
Ullstein
Besuchen Sie uns im Internet:
www.ullstein.de
Wir wählen unsere Bücher sorgfältig aus, lektorieren sie gründlich mit Autoren und Übersetzern und produzieren sie in bester Qualität.
Hinweis zu Urheberrechten
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.
Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.
Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist
Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Factfulness
bei Flatiron Books, New York.
Die Illustrationen und Charts basieren auf frei zugänglichem Material der Gapminder Foundation, entworfen von Ola Rosling und Anna Rosling Rönnlund.
ISBN: 978-3-8437-1745-8
11. Auflage 2019
© 2018 für die deutsche Ausgabe
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
© 2018 by Factfulness AB
Umschlaggestaltung: semper smile, München
Wie ich lernte, die Welt zu verstehen
Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel Hur jag lärde mig förstå världen bei Natur & Kultur, Stockholm.
Der Verlag dankt dem Swedish Arts Council, der sich an den Übersetzungskosten beteiligt hat, für die freundliche Unterstützung.
© 2017 by Rosling Education AB 2017. All rights reserved.
© der deutschsprachigen Ausgabe
2019 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: semper smile, München
Umschlagmotiv: © Jorgen Hildebrandt / TT / picture alliance
E-Book: LVD GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Der mutigen, barfüßigen Frau, deren Namen ich nicht kenne, aber deren rationale Argumente mich davor bewahrten, von einem Mob wütender, mit Macheten bewaffneter Männer zerstückelt zu werden.
HINWEIS DES AUTORS
Aus Factfulness spricht meine Stimme, so als hätte ich es alleine verfasst, und es erzählt viele Geschichten aus meinem Leben. Aber lassen Sie sich nicht täuschen. Genau wie die TED Talks und die Vorträge, die ich in den letzten zehn Jahren überall auf der Welt gehalten habe, ist dieses Buch das Werk nicht eines Menschen allein, sondern von deren drei.
Ich bin in der Regel der Frontmann. Ich stehe auf der Bühne und halte die Vorträge. Ich bekomme den Applaus. Aber alles, was Sie in meinen Vorträgen hören, und alles, was Sie in diesem Buch lesen, ist das Ergebnis von 18 Jahren intensiver Zusammenarbeit zwischen mir, meinem Sohn Ola Rosling und meiner Schwiegertochter Anna Rosling Rönnlund.
2005 gründeten wir die Gapminder Foundation mit der Mission, verheerender Unwissenheit eine auf Fakten gestützte Weltsicht entgegenzusetzen. Ich steuerte meine Energie, Neugierde und ein Leben voller Erfahrung als Arzt, Forscher und Vortragsreisender zum Thema Weltgesundheit bei. Ola und Anna waren zuständig für die Datenanalyse, originelle visuelle Erläuterungen, Datenstorys und einfaches Präsentationsdesign. Ola und Anna hatten die Idee, Unwissenheit systematisch zu messen, sie entwarfen und programmierten unsere animierten Blasendiagramme. Dollar Street, eine Form der Nutzung von Fotos als Daten, um damit die Welt zu erklären, war Annas Idee. Während ich mich immer mehr über die Unwissenheit der Menschen aufregte, betrieben Ola und Anna ganz unaufgeregt ihre Datenanalysen und kristallisierten daraus die Demut und Ruhe ausstrahlende Idee der Factfulness. Gemeinsam definierten wir die praktischen Denkwerkzeuge, die wir in diesem Buch vorstellen.
Was Sie hier lesen werden, habe ich mir also nicht dem Stereotyp des »einsamen Genies« entsprechend ausgedacht. Es ist vielmehr das Ergebnis kontinuierlicher Diskussion, Auseinandersetzung und Zusammenarbeit zwischen drei Menschen mit unterschiedlichen Begabungen, Kenntnissen und Perspektiven. Diese unkonventionelle, manchmal wütend machende, aber zutiefst produktive Arbeitsweise hat eine Art der Darstellung unserer Welt und des Denkens über diese Welt hervorgebracht, die ich allein niemals hätte schaffen können.
EINLEITUNG
WARUM ICH DEN ZIRKUS LIEBE
Ich liebe den Zirkus. Ich liebe es, dem Jongleur zuzusehen, wie er aufheulende Kettensägen durch die Luft wirbeln lässt, oder dem Hochseilartisten, der zehn Saltos am Stück schafft. Ich liebe das Spektakel und das Gefühl von Erstaunen und Begeisterung angesichts des scheinbar Unmöglichen.
Als Kind träumte ich davon, Zirkusartist zu werden. Meine Eltern hatten einen ganz anderen Traum: Ich sollte eine gute Ausbildung bekommen, die sie nie hatten. Also studierte ich Medizin.
Eines Nachmittags an der Uni, in einer ansonsten drögen Vorlesung über die Speiseröhre, erklärte der Professor: »Wenn etwas darin stecken bleibt, kann die Passage durch Vorstrecken des Unterkiefers gerade gerichtet werden.« Zur Veranschaulichung zeigte er eine Röntgenaufnahme eines Schwertschluckers in Aktion.
Ich hatte eine augenblickliche Inspiration. Mein Traum war noch nicht vorbei! Einige Wochen zuvor, beim Studium von Reflexen, hatte ich bemerkt, dass ich mir von allen Kursteilnehmern die Finger am tiefsten in den Rachen schieben konnte, ohne zu würgen. Damals war ich darauf nur mäßig stolz: Ich sah darin keine besonders bedeutende Fähigkeit. Plötzlich jedoch verstand ich ihren Wert, und mein Kindheitstraum lebte wieder auf: Ich beschloss, Schwertschlucker zu werden.
Die ersten Versuche waren allerdings nicht sehr ermutigend. Ich besaß kein Schwert, also übte ich mit einer Angelrute vor dem Badezimmerspiegel. Aber sooft ich es auch versuchte, schon nach wenigen Zentimetern ging es nicht mehr weiter. Ich musste meinen Traum wohl ein weiteres Mal aufgeben.
Drei Jahre später war ich als Arzt in der Ausbildung auf einer echten Krankenstation. Einer meiner ersten Patienten war ein alter Mann mit chronischem Husten, und ich fragte ihn, was er beruflich machte, das könnte ja mit der Krankheit zusammenhängen. Ob Sie es glauben oder nicht: Er war früher Schwertschlucker gewesen. Und als ich ihm dann von meinen Versuchen mit der Angelrute erzählte, meinte er: »Mein lieber junger Herr Doktor, wissen Sie etwa nicht, dass die Speiseröhre nicht rund ist, sondern flach? Da passen nur flache Gegenstände rein. Deshalb nehmen wir doch ein Schwert.«
Nach Feierabend fand ich eine Suppenkelle mit geradem, flachem Stiel und nahm meine Übungen unverzüglich wieder auf. Schon bald konnte ich den Griff komplett in meinem Rachen verschwinden lassen. Ich war ziemlich aufgeregt. Aber mein Traum war es ja nicht, Suppenkellenstielschlucker zu werden. Am nächsten Tag setzte ich eine Anzeige in die Lokalzeitung, und schon bald hatte ich alles, was ich brauchte: ein schwedisches Armeebajonett von anno 1809. Ich ließ es mit Erfolg in meinen Rachen gleiten und war mächtig stolz – zum einen, weil ich es zum ersten Mal wirklich geschafft hatte, ein Schwert zu schlucken, und zum anderen, weil mir eine solch clevere Art des Waffenrecyclings in den Sinn gekommen war.
Das Schwertschlucken zeigt seit jeher, dass das scheinbar Unmögliche möglich ist, und es inspiriert Menschen, über das Offensichtliche hinauszudenken. Gelegentlich demonstriere ich diese antike indische Kunst am Ende meiner Vorträge über globale Entwicklung. Ich steige auf einen Tisch und zerreiße mein kariertes Hemd, unter welchem ein schwarzes, mit einem Blitz aus goldenen Pailletten verziertes Oberteil zum Vorschein kommt. Ich bitte um absolute Ruhe, und mit gehörigem Trommelwirbel schiebe ich mir langsam das antike Armeebajonett in den Rachen. Ich strecke die Arme zur Seite. Die Menge jubelt.
TESTEN SIE SICH SELBST
In diesem Buch geht es um die Welt und darum, sie zu verstehen. Also, warum habe ich mit dem Zirkus angefangen? Und warum beendete ich manchmal Vorlesungen mit einem angeberischen Auftritt in glitzerndem Outfit? Ich werde es gleich erklären. Aber zuerst bitte ich Sie, Ihr Wissen über die Welt zu testen. Bitte nehmen Sie einen Stift und ein Blatt Papier und beantworten Sie die 13 folgenden Fragen.
1. Wie viele Mädchen absolvieren heute eine fünfjährige Grundschulbildung in den Ländern mit niedrigem Einkommen?
2. Wo lebt die Mehrheit der heutigen Weltbevölkerung?
3. In den letzten 20 Jahren hat sich der Anteil der in extremer Armut lebenden Weltbevölkerung …
4. Wie hoch ist die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt heute weltweit?
5. Heute leben 2 Milliarden Kinder im Alter von 0 bis 15 Jahren auf der Welt. Wie viele Kinder werden es laut Angaben der Vereinten Nationen im Jahr 2100 sein?
6. Nach einer Prognose der UN wird die Weltbevölkerung bis 2100 um weitere 4 Milliarden Menschen gewachsen sein. Was ist die Hauptursache dafür?
7. Wie hat sich die Zahl der Todesfälle pro Jahr durch Naturkatastrophen über die letzten 100 Jahre entwickelt?
8. Heute leben circa 7 Milliarden Menschen auf der Erde. Welche Karte zeigt die realistischste geografische Verteilung? (Jede Figur steht für eine Milliarde Menschen.)
9. Wie viele der einjährigen Kinder auf der Welt sind gegen irgendwelche Krankheiten geimpft?
10. Weltweit haben 30-jährige Männer durchschnittlich 10 Jahre lang eine Schule besucht. Wie viele Jahre haben gleichaltrige Frauen die Schule besucht?
11. 1996 wurden der Tiger, der Riesenpanda und das Spitzmaulnashorn in die Liste der gefährdeten Tierarten aufgenommen. Wie viele dieser drei Spezies sind heute stärker vom Aussterben bedroht als 1996?
12. Wie viele Menschen auf der Welt haben ein gewisses Maß an Zugang zu Elektrizität?
13. Weltklimaexperten nehmen an, über die nächsten 100 Jahre wird die durchschnittliche Temperatur …
Hier die richtigen Antworten:
1: C, 2: B, 3: C, 4: C, 5: C, 6: B, 7: C, 8: A, 9: C, 10: A, 11: C, 12: C, 13: A
Geben Sie sich einen Punkt für jede richtige Antwort und notieren Sie Ihr Gesamtergebnis bitte auf einem Blatt Papier.
WISSENSCHAFTLER, SCHIMPANSEN
UND SIE
Wie haben Sie abgeschnitten? Viele falsche Antworten? Hatten Sie das Gefühl, bei vielen Fragen einfach nur zu raten? Sollte dem so sein, kann ich Ihnen zum Trost zumindest zwei Dinge mitteilen.
Erstens: Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie bei derartigen Tests deutlich besser abschneiden. Nicht, weil ich Sie dazu gebracht hätte, alle möglichen Statistiken auswendig zu lernen – ich bin Professor für Internationale Gesundheit, aber ich bin nicht verrückt. Sie werden besser abschneiden, weil ich Ihnen eine Reihe einfacher Denkhilfen an die Hand gegeben habe. Damit werden Sie in der Lage sein, sich ein realistisches Gesamtbild vom Zustand der Welt zu machen, ohne dass Sie jedes Detail kennen müssen.
Und zweitens: Wenn Sie bei dem Test schlecht abgeschnitten haben, sind Sie in bester Gesellschaft.
In den vergangenen Jahrzehnten habe ich vielen Tausend Menschen in aller Welt Hunderte solcher Fragen über Fakten gestellt, über Armut und Reichtum, Bevölkerungswachstum, Geburten und Todesfälle, Bildung, Gesundheit, Geschlecht, Gewalt, Energie und Umwelt – grundlegende globale Muster und Trends. Die Tests sind unkompliziert, es gibt keine Fangfragen. Ich achte streng darauf, nur sauber dokumentierte, unwiderlegbare Fakten abzufragen. Und dennoch schneiden die allermeisten extrem schlecht dabei ab.
Nehmen wir zum Beispiel Frage 3 über den Trend in Sachen extremer Armut. In den vergangenen 20 Jahren hat sich der Anteil der in extremer Armut lebenden Weltbevölkerung mehr als halbiert. Das ist absolut revolutionär. Ich sehe darin die wichtigste Veränderung, die sich während meines Lebens auf der Welt vollzogen hat. Und es ist ein sehr grundlegender Fakt über die Welt, den man kennen sollte. Aber die Leute wissen es nicht. Nur durchschnittlich sieben Prozent der Teilnehmer nannten die richtige Antwort – nicht einmal jeder Zehnte!
(Ja, ich habe in den schwedischen Medien viel über den Rückgang der weltweiten Armut berichtet.)
In den USA behaupten Demokraten wie Republikaner, ihre jeweiligen Gegenüber würden die Fakten nicht kennen. Würden sie ihr eigenes Wissen ermitteln, anstatt mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, wären alle vielleicht ein wenig bescheidener. Bei dieser Frage wählten in den USA nur fünf Prozent die richtige Antwort. Die große Mehrheit, gleich ob Republikaner oder Demokraten, glaubte, die extreme Armut hätte sich in den letzten 20 Jahren entweder nicht verändert oder, noch schlimmer, sie hätte sich verdoppelt – also exakt das Gegenteil dessen, was tatsächlich geschehen ist.
Ein weiteres Beispiel, Frage 9 zum Thema Impfung: Fast alle Kinder auf der Welt sind heute geimpft. Das ist faszinierend. Es bedeutet, dass fast alle Menschen, die heute leben, zumindest einen gewissen Zugang zu einfacher moderner Gesundheitsvorsorge haben. Aber die meisten Menschen wissen das nicht. Im Durchschnitt lagen hier gerade einmal 13 Prozent der Teilnehmer richtig.
86 Prozent der Befragten beantworten die abschließende Frage zum Klimawandel korrekt. In allen reichen Ländern, in denen ich das Wissen der Öffentlichkeit in Online-Befragungen getestet habe, wissen die Menschen, dass die Klimaexperten wärmeres Wetter prognostizieren. Innerhalb nur weniger Jahrzehnte sind wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Forschungslaboren an die Öffentlichkeit gelangt. Das ist eine große Erfolgsstory im Hinblick auf öffentliche Bewusstseinsbildung.
Aber abgesehen vom Klimawandel stellen wir bei allen anderen zwölf Fragen immer wieder diese enorme Unwissenheit fest. (Das hat übrigens nichts mit Dummheit oder Vorsatz zu tun, es fehlt schlicht an Wissen.) 2017 haben wir fast 12 000 Menschen in 14 Ländern unsere Fragen vorgelegt. Sie schafften im Schnitt nur zwei von zwölf korrekten Antworten. Niemand holte die volle Punktzahl, und nur ein einziger Teilnehmer (in Schweden) brachte es auf elf von zwölf. Unglaubliche 15 Prozent hatten null Richtige.
Vielleicht denken Sie, Menschen mit höherem Bildungsniveau schneiden besser ab. Oder Menschen, die sich für die jeweiligen Themen einfach mehr interessieren. Das dachte ich zunächst auch, aber ich hatte mich geirrt. Ich habe Leute in aller Welt und aus allen Gesellschaftsschichten befragt: Medizinstudenten, Lehrer, Universitätsprofessoren, bedeutende Wissenschaftler, Investmentbanker, Manager von Weltkonzernen, Journalisten, Aktivisten und sogar führende politische Entscheidungsträger. Alles hochgebildete Personen, die sich dafür interessieren, was in der Welt vor sich geht. Aber die Mehrheit von ihnen – eine wirklich erstaunliche Mehrheit – liegt mit den meisten Antworten falsch. Einige dieser Gruppen schneiden sogar schlechter ab als der Durchschnitt der Bevölkerung, einige der schlechtesten Ergebnisse überhaupt kamen von einer Gruppe von Nobelpreisträgern. Das ist keine Frage der Intelligenz. Alle scheinen ein vollkommen falsches Bild von der Welt zu haben.
Und nicht nur vollkommen falsch, sondern systematisch falsch. Damit meine ich: Diese Testergebnisse sind sogar schlechter als bei einer rein zufälligen Auswahl. Sie sind schlechter als die Resultate, die ich von Menschen bekäme, die über keinerlei Wissen verfügen.
Stellen Sie sich vor, ich entscheide mich, in den Zoo zu gehen und meine Testfragen den Schimpansen dort vorzulegen. Stellen Sie sich vor, ich nehme einen Haufen Bananen mit und schreibe mit dem Filzstift einen Buchstaben auf jede Banane, A, B oder C, und werfe dann die Bananen über den Zaun ins Affengehege. Dann stelle ich mich vor das Gehege und lese laut und deutlich jede einzelne Frage vor, und als »Antwort« nehme ich den Buchstaben der Banane, die sich der »befragte« Schimpanse als Nächstes schnappt.
Das würde ich natürlich niemals wirklich machen. Stellen Sie es sich einfach nur vor. Wenn ich es aber täte, würden diese Affen nach dem Zufallsprinzip dauerhaft bessere Ergebnisse erzielen als die hochgebildeten, aber fehlgeleiteten Menschen, die ich getestet habe. Durch pures Glück würde die Affenbande bei jeder Frage zu 33 Prozent richtigliegen beziehungsweise im Gesamttest vier von zwölf richtige Antworten produzieren. Denken Sie daran, dass die menschlichen Teilnehmer im Schnitt nur zwei Richtige hatten.
Und auch die falschen Antworten der Affen wären gleichmäßig verteilt, während die menschlichen Fehler alle eine bestimmte Tendenz offenbaren. Jede Gruppe, die ich befrage, glaubt, die Welt sei weitaus bedrohlicher, gewalttätiger und hoffnungsloser – in einem Wort: dramatischer –, als sie in Wirklichkeit ist.
WARUM BESIEGEN WIR NICHT EINMAL SCHIMPANSEN?
Wie können so viele Menschen bei so vielen Dingen derart falschliegen? Wie kann es sein, dass die meisten Leute schlechter abschneiden als Schimpansen? Schlechter als bei völlig zufälliger Auswahl?
Als ich Mitte der 90er-Jahre erstmals diese massive Unwissenheit feststellte, war ich sehr angetan. Ich hatte gerade mit einem Kurs über Internationale Gesundheit am Karolinska Institutet in Schweden begonnen und war ein wenig nervös. Diese Studenten waren sehr klug. Vielleicht würden sie ja schon alles wissen, was ich ihnen zu sagen hatte. Welche Erleichterung, als ich feststellte, dass meine Studenten weniger über die Welt wussten als Schimpansen.
Doch je länger ich hinsah, desto mehr Unwissenheit stellte ich fest, nicht nur bei meinen Studenten, sondern überall. Allmählich wurde es frustrierend und besorgniserregend, dass die Menschen so wenig über die Welt wussten. Wenn Sie sich auf das Navi in Ihrem Auto verlassen, kommt es darauf an, dass es die richtigen Informationen verwendet. Sie würden ihm nicht trauen, wenn es Sie anscheinend durch eine ganz andere Stadt lotst, weil Sie wüssten, dass Sie am Ende am falschen Ort landen werden. Wie sollen also Politiker und andere Entscheidungsträger Probleme im globalen Maßstab lösen, wenn ihre Entscheidungen auf falschen Fakten beruhen? Wie sollen Geschäftsleute vernünftige Entscheidungen für ihre Unternehmen treffen, wenn ihre Weltsicht auf dem Kopf steht? Und wie kann jeder Einzelne von uns im alltäglichen Leben wissen, worauf es wirklich ankommt und worüber er sich Sorgen machen muss?
Also beschloss ich, mehr als nur Wissen zu testen und Unwissenheit offenzulegen. Ich wollte das Warum dahinter verstehen. Warum war diese Unwissenheit über die Welt so verbreitet und so hartnäckig? Wir irren uns doch alle ab und zu – auch ich, wie ich gerne zugebe –, aber wie kann es sein, dass so viele Menschen bei so vielen Themen danebenlagen? Warum schnitten so viele Menschen schlechter ab als ein paar Schimpansen?
Eines Abends saß ich noch spät in meinem Büro an der Universität, und da ging mir ein Licht auf. Es konnte nicht einfach nur am mangelnden Wissen der Menschen liegen. Dann hätten sich die falschen Antworten zufällig verteilt – genau wie bei den Schimpansen. Dann wären es keine systematisch falschen Antworten, also noch schlechtere als zufällig falsche gewesen. Nur aktives fehlerhaftes Wissen kam als Grund für ein derart schlechtes Ergebnis infrage.
Aha! Das war die Lösung! Das Ganze – so dachte ich jedenfalls jahrelang – war ein schlichtes Upgrade-Problem: Meine Studenten im Fach Weltgesundheit und alle anderen Probanden wussten sehr wohl etwas, aber ihr Wissen war überholt, häufig mehrere Jahrzehnte alt. Die Menschen hatten eine Weltsicht aus der Zeit, als ihre Lehrer gerade die Schule abgeschlossen hatten.
Um die Unwissenheit auszurotten, musste ich folglich das Wissen der Menschen auf den aktuellen Stand bringen – dachte ich jedenfalls. Und dafür musste ich besseres Lehrmaterial entwickeln, das die Daten klarer vermittelte. Nachdem ich bei einem Abendessen mit der Familie von meinen Nöten berichtet hatte, beteiligten sich Anna und Ola und begannen, animierte Diagramme zu entwerfen. Ich reiste mit diesen eleganten Lernhilfen kreuz und quer durch die Welt. Sie führten mich zu den TED Talks in Monterey, Berlin und Cannes, in die Vorstandsetagen von Weltkonzernen wie Coca-Cola und IKEA, zu weltweit operierenden Banken und Hedgefonds, ins US-Außenministerium. Begeistert nutzte ich unsere animierten Grafiken, um allen zu zeigen, wie die Welt sich verändert hatte. Es bereitete mir großes Vergnügen, allen und jedem zu erzählen, dass sie als Kaiser ohne Kleider dastanden und keine Ahnung von der Welt hatten. Ich wollte bei allen unser Upgrade installieren.
Aber nach und nach mussten wir erkennen, dass Ignoranz nicht bloß eine Frage der Aktualisierung ist. Sie ließ sich nicht einfach mit klareren Animationen von Daten oder besseren Lernwerkzeugen beheben. Denn ich musste betrübt feststellen, dass selbst die Leute, denen meine Vorträge gefielen, gar nicht richtig zuhörten. Vielleicht waren sie für den Moment inspiriert, aber nach dem Vortrag waren sie noch immer tief in ihrer alten, negativen Weltsicht gefangen. Die neuen Ideen schlugen einfach nicht an. Selbst unmittelbar nach meinen Präsentationen hörte ich, wie Leute Ansichten über Armut und Bevölkerungswachstum äußerten, die ich soeben mit Fakten widerlegt hatte. Ich war kurz davor, alles hinzuschmeißen.
Warum hielt sich diese dramatische Sicht der Welt so hartnäckig? Waren die Medien schuld? Natürlich dachte ich auch daran. Aber das war nicht die Antwort. Gewiss spielen die Medien eine Rolle, und darauf komme ich später noch ausführlich zu sprechen, aber für den Moment sei festgehalten, dass sie nicht als Oberschurke taugen. Alles auf die bösen Medien zu schieben wird nicht funktionieren.
Ein Schlüsselerlebnis hatte ich im Januar 2015 beim Weltwirtschaftsforum im schicken Schweizer Städtchen Davos. Eintausend der mächtigsten und einflussreichsten Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, Vorstände, Unternehmer, Forscher, Aktivisten, Journalisten, sogar einige hochrangige UN-Vertreter hatten vor dem Eingang Schlange gestanden, um bei der Hauptsitzung des Forums über sozioökonomische und nachhaltige Entwicklung einen Sitzplatz zu ergattern. Auftreten sollten dort: ich, Bill und Melinda Gates. Als ich die Bühne betrat und den Blick übers Publikum schweifen ließ, sah ich diverse Staatenlenker und einen ehemaligen UN-Generalsekretär. Ich sah Leiter von UN-Organisationen, Führungspersönlichkeiten wichtiger multinationaler Unternehmen und Journalisten, die ich vom Fernsehen kannte.
Ich wollte dem Publikum drei Fragen stellen – über Armut, Bevölkerungswachstum und Impfraten – und war ziemlich nervös. Wenn meine Zuhörer die Antworten auf die Fragen wussten, würde der Rest meiner Folien, die mit feierlichem Tusch offenbaren sollten, wie falsch sie lagen und was sie hätten antworten sollen, ins Leere gehen.
Meine Sorge war unbegründet. Dieses erlesene internationale Publikum, das die nächsten Tage damit verbringen würde, einander gegenseitig die Welt zu erklären, wusste zwar tatsächlich mehr über Armut als der Durchschnitt der Bevölkerung. Beachtliche 61 Prozent beantworteten diese Frage richtig. Aber bei den beiden anderen Fragen, über das künftige Bevölkerungswachstum und die Verfügbarkeit primärer Gesundheitsvorsorge, lagen auch sie weiter daneben als die Schimpansen. Hier saßen Menschen, die Zugang zu sämtlichen aktuellen Daten hatten und zu Beratern, die sie kontinuierlich auf dem neuesten Stand halten konnten. Hier kam eine veraltete Weltsicht als Grund für die Unwissenheit nicht infrage. Und doch wussten sie nichts über grundlegende Fakten in der Welt.
Nach Davos wurde vieles klarer.
DRAMATISCHE INSTINKTE UND
DIE ÜBERDRAMATISIERTE WELTSICHT
Nun also dieses Buch. Es beruht auf all meiner Erfahrung beim Versuch, eine faktengestützte Weltsicht zu vermitteln, und auf der Wahrnehmung, wie Menschen Fakten fehlinterpretieren, selbst wenn sie direkt vor ihnen auf dem Tisch liegen. Das Buch verschreibt sich dem Ziel, Ihnen meine Schlussfolgerungen mitzuteilen: Wie konnten so viele Menschen, von ganz normalen Leuten bis hin zu gebildeten und hochintelligenten Experten, bei Fragen zu den wichtigsten Fakten über die Welt schlechter als Schimpansen abschneiden? (Und ich werde Ihnen auch verraten, was Sie dagegen tun können.) In aller Kürze:
Denken Sie über die Welt nach. Kriege, Gewaltverbrechen, Naturkatastrophen, menschengemachte Katastrophen, Korruption. Schreckliche Dinge passieren, und es fühlt sich an, als ob alles immer nur noch schlimmer wird, richtig? Die Reichen werden reicher, und die Armen werden ärmer. Und die Zahl der Armen nimmt immer weiter zu. Und bald werden uns die Ressourcen ausgehen, es sei denn, wir unternehmen etwas dagegen, und zwar sofort. Das ist zumindest das Bild, das die meisten Menschen im Westen in den Medien sehen und in ihren Köpfen mit sich herumtragen. Ich nenne das die überdramatisierte Weltsicht. Sie ist belastend und irreführend.
In Wirklichkeit lebt die große Mehrheit der Weltbevölkerung irgendwo in der Mitte der Einkommensskala. Vielleicht ist es nicht ganz das, was wir uns unter Mittelschicht vorstellen, aber in extremer Armut leben sie nicht. Die Mädchen gehen zur Schule, die Kinder werden geimpft, sie leben in Familien mit zwei Kindern, und sie wollen als Touristen in die Ferne reisen und nicht als Flüchtlinge. Schritt für Schritt, Jahr um Jahr wird die Welt besser. Nicht nach jedem einzelnen Maßstab in jedem einzelnen Jahr, aber in der Regel trifft es zu. Auch wenn wir vor riesigen Herausforderungen stehen: Wir haben enorme Fortschritte gemacht. Das ist die faktengestützte Weltsicht.
Es ist die überdramatisierte Weltsicht, die die Menschen zu den dramatischsten und negativen Antworten auf meine Faktenfragen verleitet. Die Menschen greifen konstant und intuitiv auf ihre Weltsicht zurück, wenn sie über die Welt nachdenken, Fakten der Welt zu erraten versuchen oder neu lernen. Wenn also Ihre Weltsicht falsch ist, werden Sie systematisch falsch raten. Aber diese überdramatisierte Weltsicht ist nicht einfach nur auf einen überholten Wissensstand zurückzuführen, wie ich einst glaubte. Auch Menschen mit Zugang zu den neuesten Informationen sehen die Welt falsch. Und ich bin überzeugt, es liegt nicht an den böswilligen Medien, an Propaganda, an Fake News, noch nicht einmal an falschen oder »alternativen« Fakten.
Meine jahrzehntelange Erfahrung aus Vorlesungen und Tests und die Wahrnehmung, wie Menschen Fakten fehlinterpretieren, selbst wenn sie direkt vor ihnen auf dem Tisch liegen, brachten mich zu der Erkenntnis, dass die überdramatisierte Weltsicht so schwer zu überwinden ist, weil sie unmittelbar mit der Funktionsweise unseres Gehirns zusammenhängt.
Optische Illusionen und globale Illusionen
Betrachten Sie die zwei horizontalen Linien. Welche ist länger?
Das haben Sie vielleicht schon mal gesehen. Die Linie unten scheint länger zu sein als die Linie oben. Sie wissen, dass dem nicht so ist, aber obwohl Sie es bereits wissen, selbst wenn Sie mit dem Lineal nachmessen, sehen Sie immer noch unterschiedliche Längen.
Meine Brille besitzt individuell geschliffene Gläser, die meinen persönlichen Sehfehler korrigieren. Aber wenn ich mir diese optische Illusion ansehe, interpretiere ich dennoch falsch, was ich sehe, so wie jeder andere auch. Der Grund: Illusionen entstehen nicht im Auge, sie entstehen im Gehirn. Es sind systematische Fehlinterpretationen, die mit individuellen Sehfehlern nichts zu tun haben. Im Wissen, dass die meisten Menschen derart fehlgeleitet werden, brauchen Sie nicht peinlich berührt zu sein. Seien Sie lieber neugierig: Wie funktioniert diese Illusion?
Entsprechend können Sie sich auch die Ergebnisse der öffentlichen Befragungen ansehen, ohne dass es Ihnen peinlich sein muss. Seien Sie neugierig. Wie funktioniert diese »globale Illusion«? Wie kommt es, dass die Gehirne so vieler Menschen den Zustand der Welt systematisch falsch interpretieren?
Das menschliche Gehirn ist das Produkt von Millionen Jahren Evolution, und wir sind mit Instinkten fest verdrahtet, die unseren Vorfahren halfen, in kleinen Gruppen als Jäger und Sammler zu überleben. Unsere Hirne kommen sehr oft zu raschen Entschlüssen, ohne großes Nachdenken. Einstmals half das, um unmittelbaren Gefahren aus dem Weg zu gehen. Wir interessieren uns für Klatsch und dramatische Geschichten, die einst die einzige Quelle von Nachrichten und nützlichen Informationen waren. Unser Körper verlangt nach Zucker und Fett, denn das waren einst lebenswichtige Quellen von Energie, als Nahrung generell knapp war. Wir Menschen haben viele Instinkte, die einstmals, vor ein paar Tausend Jahren, sehr hilfreich waren. Aber wir leben heute in einer völlig anderen Welt.
Unser Verlangen nach Zucker und Fett macht heute die Fettleibigkeit zu einem der größten gesundheitlichen Probleme weltweit. Wir müssen unseren Kindern und uns selbst beibringen, die Finger von Süßigkeiten und Chips zu lassen. In gleicher Weise bewirken unsere schnell arbeitenden Gehirne und unser Verlangen nach Drama – unsere dramatischen Instinkte – falsche Vorstellungen und eine überdramatisierte Weltsicht.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Wir brauchen diese dramatischen Instinkte nach wie vor, um unserer Welt Bedeutung zu verleihen und uns über den Tag zu bringen. Würden wir jeden Input erst einmal filtern und jede Entscheidung rational analysieren, wäre ein normales Leben schlicht nicht möglich. Wir sollten nicht komplett auf Zucker und Fett verzichten, und wir sollten keinen Chirurgen bitten, uns die Gehirnhälfte herauszuoperieren, die für emotionale Prozesse zuständig ist. Aber wir müssen lernen, unseren Dramenkonsum in den Griff zu kriegen. Ohne derartige Kontrolle geht unser Appetit fürs Dramatische zu weit und hindert uns, die Welt so zu sehen, wie sie ist, und führt uns damit fürchterlich in die Irre.
FACTFULNESS UND DIE FAKTENGESTÜTZTE WELTSICHT
Dieses Buch ist die definitiv letzte Schlacht in meiner lebenslangen Mission, die verheerende Unwissenheit in der Welt zu bekämpfen. Es ist mein letzter Versuch, Einfluss auf die Welt zu nehmen: die Denkweise der Menschen zu verändern, ihre irrationalen Ängste zu lindern und ihre Energien in konstruktives Handeln umzulenken. In meinen früheren Schlachten bewaffnete ich mich stets mit Bergen von Daten, eindrucksvoller Software, einem energischen Vortragsstil und einem schwedischen Bajonett. Das hat nicht genügt. Möge dieses Buch genügen.
Hier finden Sie Daten, wie Sie sie bisher nicht kannten: Es sind Daten als Therapie. Es ist das Verstehen als Quelle inneren Friedens. Denn die Welt ist gar nicht so dramatisch, wie es scheint.
Factfulness kann und sollte, ebenso wie gesunde Ernährung und regelmäßige sportliche Betätigung, Teil Ihres alltäglichen Lebens werden. Lassen Sie sich darauf ein, und Sie werden in der Lage sein, Ihre überdramatisierte Weltsicht durch eine faktengestützte Weltsicht zu ersetzen. Sie werden in der Lage sein, die Welt richtig zu erfassen, ohne Einzelheiten auswendig lernen zu müssen. Sie werden bessere Entscheidungen treffen, aufmerksam für reale Gefahren und Chancen bleiben und vermeiden, ständig wegen der falschen Dinge unter Stress zu stehen.
Ich werde Ihnen zeigen, wie Sie überdramatisierte Geschichten erkennen können, und ich werde Ihnen einige Denkhilfen an die Hand geben, damit Sie Ihre dramatischen Instinkte besser unter Kontrolle bekommen. Dann werden Sie in der Lage sein, Ihre Trugschlüsse loszuwerden, eine faktengestützte Weltsicht zu entwickeln und die Schimpansen locker hinter sich zu lassen.
ZURÜCK IN DEN ZIRKUS
Gelegentlich betätige ich mich am Ende meiner Vorträge als Schwertschlucker, um ganz praktisch zu zeigen, dass das scheinbar Unmögliche möglich ist. Vor dieser Zirkusnummer habe ich regelmäßig das Faktenwissen meines Publikums über die Welt getestet. Ich werde den Leuten gezeigt haben, dass die Welt ganz anders ist, als sie geglaubt hatten. Ich werde ihnen bewiesen haben, dass viele der Veränderungen, von denen sie glaubten, dass sie nie geschehen würden, längst geschehen sind. Ich werde mich bemüht haben, ihre Neugier auf das zu wecken, was möglich ist, was etwas ganz anderes ist als das, was sie für möglich halten und was sie Tag für Tag in den Nachrichten sehen.
Ich schlucke das Schwert, weil ich möchte, dass die Leute erkennen, wie falsch ihre Intuition sein kann. Ich möchte, dass die Leute erkennen, dass das, was ich ihnen gezeigt habe – das Schwertschlucken ebenso wie das seriöse Material über die Welt, das ich davor präsentiert habe –, wahr ist, sosehr es ihren vorgefassten Ansichten widersprechen, so unmöglich es ihnen erscheinen mag.
Ich möchte nicht, dass die Menschen, wenn sie erkennen, dass sie mit ihrer Sicht der Welt falschlagen, beschämt sind. Ich möchte, dass sie dieses kindliche Gefühl von Verwunderung, Inspiration und Neugier verspüren, das ich aus der Erinnerung an den Zirkus kenne und das mich immer noch jedes Mal erfasst, wenn ich erkenne, dass ich mich mit meiner Sicht der Welt geirrt habe: »Wow, wie kann das denn sein?«
Dies ist ein Buch über die Welt, wie sie wirklich ist. Es ist auch ein Buch über Sie und darüber, warum Sie (und fast alle Menschen, denen ich jemals begegnet bin) die Welt nicht so sehen, wie sie ist. Und darüber, was Sie dagegen tun können und wie Sie sich dadurch positiver, weniger gestresst und hoffnungsvoller fühlen werden, wenn Sie aus dem Zirkuszelt wieder in die reale Welt zurückkehren.
Wenn Sie also mehr Interesse daran haben richtigzuliegen, als weiter in Ihrer irrealen Luftblase zu leben, wenn Sie willens sind, Ihre Weltsicht zu ändern, wenn Sie bereit sind, instinktive Reaktionen durch kritisches Denken zu ersetzen, und wenn Sie die Demut, die Neugierde und die Bereitschaft zu staunen empfinden, dann bitte ich Sie herzlich, weiterzulesen.