Über das Buch:
PJ McKinley träumt seit Jahren davon, in ihrer Heimatstadt eine eigene Pension mit angeschlossenem Restaurant zu eröffnen. Doch der talentierten Köchin und Konditorin fehlt es am Wesentlichen: Sie verfügt weder über die finanziellen Mittel noch über die geeignete Lokalität, um ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen.
Als die Besitzerin einer wunderschönen historischen Villa im Ort einen Wettbewerb auslobt und dem Gewinner ihr Haus in Aussicht stellt, scheint PJs Traum mit einem Mal zum Greifen nah. Wäre da nur nicht ein Mitbewerber, der ebenfalls unbedingt gewinnen will. Und dessen Pläne so herzergreifend klingen, dass PJ ihm das Haus sogar fast freiwillig überlassen hätte …
Über die Autorin:
Denise Hunter hat bereits über 20 Romane geschrieben, die in den USA mit etlichen Preisen ausgezeichnet wurden. Neben dem Schreiben genießt sie es, mit ihrer Familie zu reisen und Schlagzeug zu spielen. Zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen lebt sie in Indiana.
Kapitel 7
PJ schloss die Tür ihres Wagens und zog ihren Pullover fester um sich. Die Abendluft war kühl. Unter ihren Schuhen knirschte der Schotter und in der Nähe zirpte eine Grille. Während sie um das Bauernhaus ihrer Eltern herumging, atmete sie den Geruch von frisch gemähtem Gras ein. In der Ferne erstreckten sich Maisfelder mit jungen Pflänzchen über die sanften Hügel bis zur untergehenden Sonne.
Zu Hause.
Nach dem heutigen Tag brauchte sie das. Die Unterredung mit Mrs Simmons war genau so verlaufen, wie sie es vermutet hatte. Cole und sie hatten das Haus mit unterschriebenen Exemplaren des Vertrags verlassen, noch immer leicht betrunken von dem Monolog der alten Dame.
Also gut. Sie würde dafür sorgen, dass es funktionierte. Irgendwie würde sie einen Gewinn machen und Mrs Simmons davon überzeugen, dass ihr Restaurant einen Platz in dieser Stadt verdient hatte.
Als sie sich dem Garten näherte, musste sie bei dem Klang von Gelächter, Unterhaltungen und Familie beinahe unwillkürlich lächeln. Der Duft von gegrilltem Hühnchen wurde immer intensiver, bis ihr Magen erwartungsvoll knurrte.
Sie bog um die Ecke und betrat den Garten mit seinen Schatten spendenden Bäumen und der gemütlichen Terrasse. Die Lichterketten waren schon eingeschaltet, obwohl die Sonne noch nicht untergegangen war. Ein Basketballspiel zwei gegen zwei wurde unterbrochen, als die anderen sie sahen.
„PJ ist hier!“, rief ihre Mutter und stand auf, um sie zu umarmen. Dann scharten sich alle um sie. Ihr Vater. Ryan. Jade und Madison mit ihren Männern.
Sie suchte die Gruppe nach ihren sechs Monate alten Nichten ab. Erst dann sah sie das Banner und die Ballons.
„Wartet mal“, sagte PJ. „Was ist hier los?“
Ihre Mutter löste sich aus der Umarmung. „Ich habe Mrs Simmons im Café getroffen. Sie wollte mir nicht direkt von ihrer Entscheidung erzählen, aber ich habe gemerkt … was ist denn?“
„Wo fange ich da am besten an?“
„Was ist passiert?“, schaltete Madison sich ein. „Ich dachte, es wäre nur noch eine Formalität.“
PJ ließ den Blick über ihre Geschwister wandern. Die schlaue Madison mit ihrer erfolgreichen Tierarztpraxis. Jade, frisch verheiratet mit dem Bürgermeister, mit ihrer musikalischen Begabung und ihren süßen Zwillingen. Der zuverlässige Ryan, der bei allem, was er tat, Erfolg zu haben schien. Außer in der Ehe.
„Na ja, es gibt schon irgendwie gute Nachrichten“, sagte PJ.
Jade gab eins der quengelnden Babys an Daniel weiter, der daraufhin zum Haus ging, um eine Flasche oder irgendetwas zu holen. „Warum dann das lange Gesicht?“
„Setzen wir uns doch.“ Mom zog sie zu dem Picknicktisch, der mit Tischdecke und Besteck gedeckt war und in dessen Mitte ein Krug mit frisch geschnittenen Pfingstrosen stand. Ihre Geschwister nahmen ihr gegenüber Platz, während ihr Vater, Beckett und Grandpa zum Grill zurückkehrten, der in der Nähe aufgebaut war.
Es war an der Zeit, die Sache positiv zu sehen. Die Situation war, wie sie war, ob es ihr gefiel oder nicht, und die Alternative war inakzeptabel. Außerdem konnte sie es nicht ertragen, den Siehste-Blick ihrer Geschwister zu sehen.
„Unterm Strich werde ich das Restaurant eröffnen, wenn auch nicht die Pension – jedenfalls erst einmal. Das ist ein gutes Ergebnis. Ich werde mein eigenes Restaurant führen, obwohl ich gerade erst mein Studium abgeschlossen habe. Wer bekommt sonst schon eine solche Chance?“
„Aber was machst du dann mit all den Zimmern?“, wollte Ryan wissen.
„Kinder kriegen?“ Jades Ringe klackerten, als sie die Hände faltete.
„Das ist nicht witzig“, sagte ihre Mutter. „Sie soll erst heiraten.“
Jade grinste ironisch. „Danke, Mom.“
Mom tätschelte ihre Schulter. „Komm schon, Liebling, das war kein Seitenhieb. Du weißt, dass ich die Zwillinge unmöglich noch mehr lieben könnte.“
„Aber jetzt mal im Ernst.“ Madison warf sich die langen braunen Haare über die Schultern und genau in diesem Augenblick trat ihr Mann Beckett hinter sie, um ihr die Schultern zu massieren. „Warum nicht die Pension? Ich fand, das war eine gute Idee, wenn auch etwas zu viel auf einmal.“
Zu viel für PJ, meinte sie. „Ich wäre sehr wohl damit klargekommen. Aber Mrs Simmons fand, dass der Plan von Cole Evans auch etwas für sich hat.“ Sie seufzte und erklärte ihnen den Rest des Plans. „Sie konnte sich nicht entscheiden, also will sie sehen, wie unsere Projekte funktionieren. Wir haben ein Jahr, um es auszuprobieren, und dann trifft sie die endgültige Entscheidung.“
„Warte mal“, schaltete Dad sich ein, die riesige Grillzange mit einer Hühnchenbrust in der Hand. „Du musst ein Jahr warten?“
„Das ist doch lächerlich“, sagte Mom.
„Ja.“ PJs Bein wippte unter dem Tisch auf und ab. „Es ist wie ein Probelauf. Wir führen jeder unser eigenständiges Unternehmen.“
„Von wegen eigenständig!“, protestierte Jade. „Immerhin werdet ihr unter einem Dach sein. Was weißt du überhaupt über den Typen?“
„Das gefällt mir nicht, PJ.“ Dad legte das Fleisch auf den Grill und schloss den Deckel.
„Du musst dir das gut überlegen, Liebling.“ Mom legte eine Hand auf PJs Bein. „Ein Restaurant zu eröffnen, kostet schließlich viel Geld.“
„Die meisten Selbständigen machen in den ersten Jahren nicht einmal Gewinn“, gab Madison zu bedenken.
„Meint ihr, ich hätte nicht darüber nachgedacht? Ich muss keine Miete zahlen, also werden meine Ausgaben gering sein. Sollte ich verlieren, was Gott verhüten möge, kann ich die Einrichtung einlagern und mein Restaurant später eröffnen. Was die laufenden Kosten betrifft, kann ich mir einen Teilzeitjob suchen, wenn es sein muss.“ Und das Personal würde nicht viel kosten, aber darüber sprach sie lieber nicht. Zumal sie sich nicht vorstellen konnte, dass das funktionieren würde.
„Aber du musst den Kredit für den Umbau abbezahlen“, sagte Beckett, während er Madisons Massage zwei Sekunden lang unterbrach.
„Das ist mir klar. Ich werde den Umbau auf ein Minimum reduzieren.“
„Und was ist, wenn er gefährlich ist?“ Nach dem, was Jade in Chicago durchgemacht hatte, war es eine legitime Frage. Sie war bei einer Verabredung vergewaltigt worden und anschließend schwanger gewesen. Erst als sie nach Hause gekommen war, hatte sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen – und dabei hatte Daniel eine große Rolle gespielt.
„Die Überprüfung hat nichts ergeben“, erklärte Ryan.
PJ warf ihm einen dankbaren Blick zu.
„Ist es nicht ein merkwürdiger Zufall, dass er bei PJ auf der Matte stand und dasselbe Haus gemietet hatte?“, sagte Mom.
„Wie es aussieht, lag das an der Scheidung der Tacketts“, sagte PJ. „Deb hat das Haus an mich vermietet und Herb an Cole.“
„Es gefällt mir trotzdem nicht“, beharrte Mom.
„Ich kann den Sheriff bitten, noch einmal gründlicher nachzuforschen, wenn dich das beruhigt, Mama Jo.“ Daniel war niemand, der mit seinem Bürgermeistertitel angab, deshalb konnte man ihm das Angebot nicht übel nehmen.
„Danke, Daniel.“
„Vielleicht hat er das für Mrs Simmons sogar schon erledigt“, sagte Ryan.
Der Sheriff war Mrs Simmons’ Neffe. Es konnte durchaus sein, dass sie Cole hatte überprüfen lassen, bevor sie ihn einziehen ließ.
„Cole hat ein gutes Herz“, sagte PJ. „Er will Pflegekindern helfen und sein Geschäftsplan ist vernünftig. Er hat sogar schon die Finanzierung geklärt.“ Warum verteidigte sie ihn eigentlich? „Ich behaupte ja nicht, dass es keine Probleme geben wird, aber ein Jahr lang komme ich damit klar.“
„Für ein Mädchen, das kurz davor ist, mit einem gut aussehenden dunkelhaarigen großen Mann zusammenzuziehen, guckst du aber nicht gerade glücklich“, sagte Madison.
„Ach? Du hast gar nicht erzählt, dass er gut aussieht“, hakte Jade nach.
Daniel drückte ihre Schulter. „Hey, lass sie in Ruhe.“
Jade drückte einen Kuss auf seine Hand. „Aber unterschreib nichts, bevor du über seinen Hintergrund Bescheid weißt – ganz egal, wie das aussieht.“
„Und lass einen Anwalt über die Verträge gucken“, riet Ryan.
Zu spät. Für beides.
Dad verschränkte die Arme. „Mir gefällt die Sache trotzdem nicht. Ich werde mit Mrs Simmons reden.“
PJ widerstand nur mit Mühe dem Drang, die Augen zu verdrehen. „Nein, Dad. Ich bin erwachsen. Ich mache das schon.“
Mom tätschelte ihr den Rücken. „Sie ist erwachsen. Ich bin mir sicher, dass sich alles findet. Und wir helfen mit, nicht wahr, Kinder?“
„Klar.“
„Natürlich.“
PJ entgingen die skeptischen Mienen der anderen nicht. Sie biss die Zähne zusammen. Sie würde dieses Haus bekommen, und wenn es sie umbrachte.
* * *
Es war schon spät, als PJ das Haus ihrer Eltern verließ, ganz erschöpft von den vielen Fragen. Warum musste sie sich eigentlich rechtfertigen? Niemand hatte Madison verhört, als sie Tierärztin hatte werden wollen. Kein Mensch hatte etwas gesagt, als Jade Gitarrenunterricht hatte geben oder Ryan zur Freiwilligen Feuerwehr gehen wollen. Und der riskierte dabei immerhin sein Leben.
Okay, auch bei den anderen hatten sie etwas zu sagen gehabt. Ihre Familie hatte immer viel zu sagen. Aber es war offensichtlich, dass sie PJ nicht zutrauten, wichtige Entscheidungen zu treffen. Sie hielten sie einfach nicht für fähig, es allein zu schaffen.
PJ holte tief Luft und atmete dann seufzend aus. Es war ein langer Tag im Süßigkeitenladen gewesen, dann das unangenehme Gespräch mit Mrs Simmons und Cole und anschließend das Essen mit der Familie … jetzt wollte sie nur noch in ihr bequemes Bett sinken und sich in ihre vertraute Bettdecke und das Federkissen kuscheln.
Oder noch besser, sich in die Küche stellen und irgendetwas Leckeres kreieren – einen Himbeerkäsekuchen … Crème brûlée … eine Schokoladentrüffeltorte? Mmm, das klang gut. Sie bastelte schon seit einer Weile an einem neuen Rezept. Aber dafür brauchte sie Zartbitterschokolade und Crème double.
An der Main Street bog PJ nach links ab. Der Supermarkt befand sich am anderen Ende der Stadt und er schloss um elf. Trotz ihrer Eile fuhr sie langsam durch die Stadt. Sheriff Simmons saß gerne in der Acorn Street und erwischte Leute dabei, wie sie in einer Fünfzig-Zone fünfundfünfzig fuhren.
Die Bürgersteige waren schon seit Stunden hochgeklappt und die einzigen Bewegungen, die zu sehen waren, kamen von der Leuchtreklame des Rialto-Theaters mit den im Rechteck laufenden Lichtern und von den wehenden Fahnen vor dem Gerichtsgebäude.
Am Ortsausgang beschleunigte PJ und bog beim Jachthafen um die Ecke. Lichter glitzerten auf dem Ohio River. Über ihr erleuchtete ein beinahe voller Mond den Himmel.
Auf der anderen Straßenseite lag der Parkplatz still und leer da, abgesehen von einem Pick-up am hinteren Ende des Platzes. Sie blinzelte und nahm den Fuß etwas vom Gas. War das Coles Wagen? Er hatte zwei Tage lang in ihrer Auffahrt gestanden, ein älterer blauer Ford.
Die Farbe des Fahrzeugs konnte sie im Dunkeln nicht erkennen, aber es musste sein Wagen sein. Niemand im Ort fuhr so ein Modell und zu dieser Nachtzeit war es wohl kaum ein Tourist.
Was machte Cole hier? Einen mitternächtlichen Spaziergang? PJ sah, dass sich auf dem Fahrersitz etwas bewegte, und gab wieder Gas. Warum saß er um diese Uhrzeit im Auto, anstatt es sich in seinem Hotelzimmer gemütlich zu machen?
Es sei denn …
An dem Abend, als er aufgetaucht war, hatte er gesagt – nachdem er das Bewusstsein wiedererlang hatte –, er wüsste nicht, wohin. Und sie hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er in ihrem Schuppen nicht länger erwünscht war. PJ fuhr weiter, warf aber einen Blick in den Rückspiegel, während Schuldgefühle in ihr aufstiegen.
Kapitel 8
PJ stieg aus ihrem Wagen und blickte zum Wishing-Haus hinauf. Es gehörte ihr. Na gut, nicht komplett. Ihr gehörte nur das Erdgeschoss und das auch nur für ein Jahr. Aber daraus würde ihr ganz eigenes edles Restaurant werden. Entschlossen ging sie auf das Haus zu. Sie würde es schaffen.
Als sie die Hälfte der Stufen, die zum Rasen hinaufführten, hochgestiegen war, blieb sie stehen und stellte sich das Schild vor, das sie in Auftrag geben wollte. Es sollte gleich neben der Auffahrt stehen, vor dem schönen Blumengarten. Sie hatte vorgehabt, die Pension Haus Wishing zu nennen und das Restaurant PJs Steakhaus. Da die Pension jedoch erst einmal auf Eis lag, hatte sie sich inzwischen dazu entschieden, dem Restaurant den Namen Das Wishing Steakhaus zu geben. Das hatte Klasse, klang aber nicht zu hochnäsig. Das Schild für die Pension würde sie hinzufügen, sobald sie sich das ganze Haus verdient hatte.
Süßer Fliederduft wehte zu PJ herüber und mischte sich mit dem Geruch von frisch gemähtem Gras. Auf einem Ast über ihr ließ eine Trauertaube ihren leisen klagenden Ruf ertönen.
Als hinter ihr eine Autotür zuschlug, drehte PJ sich um. Cole kam die Treppe herauf. Sie dachte daran, wie sein Pick-up auf dem Parkplatz gestanden hatte, und wusste, dass er noch ungeduldiger als sie war, heute das Haus in Besitz zu nehmen.
Er trug ein schwarzes T-Shirt und verwaschene Jeans. Seine kurzen Haare waren zerzaust und sein Kinn zierte ein Dreitagebart. Beides tat seinem guten Aussehen keinerlei Abbruch.
„Morgen“, sagte er.
PJ erwiderte seinen Gruß und riss den Blick von ihm los, um erneut den Garten zu betrachten. „Ich habe gerade überlegt, wo das Schild stehen sollte. Ich glaube, hier. Diese Beete sind schön, aber sie machen viel Arbeit.“ Sie sah sich um. „Und es gibt viel Rasen, der zu mähen ist. Das wären doch vielleicht gute Aufgaben für Ihre Jugendlichen, oder?“
Cole presste die Lippen aufeinander. „Meine Kinder werden hier nicht die Dienstboten spielen, falls Sie das denken.“
PJ verschränkte die Arme. „Sie sind es doch, der ihnen Verantwortungsbewusstsein und Arbeitsmoral beibringen wollte.“
„Das bedeutet aber nicht, dass Sie sie als kostenlose Arbeitskräfte ausbeuten können. Und wo wir schon mal dabei sind: Sie werden auch nicht als Ihre persönlichen Untertanen in der Küche fungieren.“
„Als würde ich eine Horde ungebildeter Teenager in meiner Küche wollen.“
Sie starrten einander feindselig an.
Du liebe Güte. Dies war gerade mal der erste Tag. Die ersten zwei Minuten. PJ atmete tief die nach Flieder duftende Luft ein und dann langsam wieder aus. „Ich finde, wir sollten die Dinge so weit wie möglich trennen. Getrennte Jobs, getrennte Eingänge, getrennte Stockwerke.“
„Gut.“
Da waren sie sich doch tatsächlich einmal einig. Jetzt musste sie nur noch einen Weg finden, wie sie diese Beziehung nach und nach verbessern konnte. Ihr Start war alles andere als glücklich gewesen, aber dabei musste es ja nicht bleiben. Sie war ein Profi in Sachen Freundschaftschließen. Sie musste sich nur etwas mehr Mühe geben.
„Die Architektin kommt um halb zehn. Sie hat die Tierarztpraxis meiner Schwester umgebaut. Sie ist gut und, was genauso wichtig ist, nicht zu teuer.“
„Ich brauche keine Architektin.“
PJ runzelte die Stirn. „Wie meinen Sie das? Müssen Sie nicht Wände einreißen und Dinge versetzen? Ein, zwei Badezimmer und eine Küche einbauen?“
„Das mache ich selbst.“
„Aber was ist, wenn Sie dabei eine tragende Wand einreißen? Oder ein Wasserrohr beschädigen?“
„Ich weiß, was ich tue“, sagte er und ging ins Haus.
Vielleicht würde er nicht viel ändern. Umso weniger Arbeit würde sie haben, wenn sie ihre Pension einrichtete.
* * *
Er würde auf Distanz bleiben müssen, überlegte sich Cole. Das würde nicht einfach, da sie immerhin im selben Haus arbeiteten, aber wenn jeder in seinem Stockwerk blieb, müsste es gehen.
Das Obergeschoss sah sogar noch besser aus als auf den Bildern im Internet. Vier Schlafzimmer, die meisten von ihnen groß genug für zwei Personen, zwei komplette Bäder und ein kleines Zimmer unter dem Dach. Das Dachbodenzimmer konnte er selbst nehmen, aus einem der Schlafzimmer würde er das Wohnzimmer machen und aus einem anderen die Küche. Denn die würde Susi Sonnenschein garantiert nicht mit ihm teilen. Blieben zwei Räume übrig – genug für vier Jugendliche. Bei dem Gedanken wurden Coles Schritte federnder. Er hatte zwar nur die Finanzierung für drei Kinder geregelt, aber vielleicht, wenn er sparsam war … Immerhin hatte er die Nebenkosten für das komplette Haus einkalkuliert und jetzt musste er davon nur die Hälfte zahlen. Außerdem würde Lizzy erst im April kommen.
Während er den schmalen Flur entlangging, fuhr er mit den Händen über die unebenen Wände. Die brauchten einen neuen Putz. Die Holzdielen knarrten unter seinen Füßen und gaben damit ein vertrautes Geräusch von sich, das ihn an sein Zuhause erinnerte, sein richtiges Zuhause. Das er vor dem Unfall gehabt hatte.
Als Nächstes begutachtete er die Bäder. Die Rohre waren uralt, aber in recht gutem Zustand. In den Schlafzimmern mussten zusätzliche Steckdosen eingebaut werden und das ganze Obergeschoss brauchte dringend eine gescheite Beleuchtung. Die teuren Vorhänge würden auch irgendwann dran glauben müssen, aber das hatte Zeit.
Cole war mit seiner Liste für den Baumarkt schon gut vorangekommen, als Lizzy anrief. Sie hatte nicht viele Freunde, aber bei all der Aufmerksamkeit, die sie von Jungen erhielt, war eine Katastrophe fast vorprogrammiert. Cole würde alles in seiner Macht Stehende tun, um zu verhindern, dass jemand sie ausnutzte.
Er erkundigte sich nach ihren Pflegeeltern und sie plauderten miteinander, bis Lizzy Schluss machen musste. Bevor sie auflegte, sagte er ihr noch, dass er sie liebhatte. Obwohl Becky und Greg ihr das ebenfalls oft sagten, wusste Cole doch, dass Lizzy diese Worte so häufig wie möglich hören musste. Ihr Vater hatte sie bereits vor ihrer Geburt im Stich gelassen und ihre Mutter war drogenabhängig und sah sie nur gelegentlich. Cole steckte sein Handy ein und betätigte den Lichtschalter im Flur, doch nichts geschah.
Hinter ihm knarrten die Stufen. PJ stand mitten auf der breiten Treppe, die Hand auf dem Mahagonihandlauf.
„Tut mir leid. Ich wollte nicht lauschen.“
Cole zuckte mit den Schultern und betätigte noch einmal den Schalter. „Wie lief es mit der Architektin?“
„Gut. Ich bin ganz gespannt, was sie für Ideen hat.“ PJ stieg die restlichen Stufen hinauf, wobei ihr Pferdeschwanz wie ein Pendel hin und her schwang. „Wie sieht es hier oben aus?“
„Alles ganz ordentlich.“ Je weniger Einzelheiten sie wusste, desto weniger konnte sie sich darüber aufregen.
„Abgesehen vom Licht in der Diele?“ Ihr Blick wanderte nach oben und dann wieder zu ihm und Cole ertappte sich dabei, dass er einen Moment lang auf ihr Lächeln starrte.
„Stimmt.“ Er ging in das nächste Zimmer und versuchte, das Fenster zu öffnen. Schließlich musste er die Räume lüften, wenn er die Wände strich. Nach etwas Ruckeln ging das Fenster auf. Der alte hölzerne Schieberahmen, der mit einem Gewicht versehen war, schien von der Farbe fast vollständig verklebt zu sein.
„Die Fenster unten sind neu.“ PJ war ihm ins Zimmer gefolgt und hatte ihren süßen Blumenduft mitgebracht. „Schade, dass sie die hier nicht ersetzt hat. Die sehen ja uralt aus.“
„Solange man sie öffnen kann, geht es erst mal.“ Cole schob sich an ihr vorbei und betrat das nächste Zimmer, wo er wieder zum Fenster ging. Diesmal hatte er mehr zu kämpfen.
„Unsere Heizkostenabrechnung wird grauenvoll sein.“ PJ trat neben ihn und fuhr mit einem Fingernagel über die abblätternde weiße Farbe.
Sie hatte schöne Hände. Lange, schmale Finger, die in kurzen, aber gut manikürten Nägeln endeten. Ihre Haut sah weicher aus als alles, was er in der letzten Zeit berührt hatte.
„Ich glaube nicht, dass sie oft hier oben war“, sagte PJ. „Ihr Schlafzimmer war unten.“
„Unten ist ein Schlafzimmer?“ Vielleicht könnte er noch zwei weitere Jugendliche unterbringen. Er müsste dann mehr Geld beschaffen, aber –
„Denken Sie nicht mal dran! Das ist mein Schlafzimmer.“
„Ich dachte, Sie hätten schon ein Haus.“
„Das ist gemietet, das wissen Sie doch. Und auch nur bis Ende Juli. Sobald die Renovierung abgeschlossen ist, ziehe ich hier ein.“
Cole fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er war davon ausgegangen, dass nur er und die Kinder hier wohnen würden.
„Keine Angst, das Haus ist groß genug für uns beide – und für eine Handvoll Teenager.“ Sie folgte ihm ins nächste Zimmer. „Hoffentlich hat Ihre Freundin Verständnis dafür.“
Cole runzelte die Stirn, doch dann wurde ihm klar, dass sie seine letzten Worte an Lizzy gehört haben musste und augenscheinlich die falschen Schlüsse daraus gezogen hatte. Aber er würde sie nicht korrigieren. Es war besser, wenn sie glaubte, er wäre vergeben.
Abgesehen davon hatte sie bestimmt selbst einen Freund. Cole hoffte, dass der Typ angesichts ihrer Wohnumstände nicht ausrasten würde. Schließlich würden sie hier nicht allein leben. Sobald die Renovierung abgeschlossen war, würde das Haus voller Jugendlicher sein.
„Und wann ziehen Sie ein?“, fragte sie.
„Heute.“ Nachdem er eine Woche lang im Auto geschlafen hatte, konnte er es kaum erwarten, sich auf dem Fußboden auszustrecken.
„Welches Zimmer nehmen Sie?“
Hatte sie nichts Besseres zu tun, als hinter ihm herzulaufen? „Erst mal dies hier. Anschließend den Dachboden, wenn ich ihn ausgeräumt habe.“
„Ach, wie schön. Ich wollte immer ein Dachzimmer haben. Bevor ich das Haus gemietet habe, in dem ich momentan wohne, hatte ich noch nie ein eigenes Zimmer.“ Sie warf einen Blick in den Wandschrank.
Da sie anderweitig beschäftigt war, nutzte Cole die Gelegenheit, sie zu mustern. Ihre langen braunen Haare waren zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden, sodass ihr Nacken zu sehen war, und dessen Krümmung war so attraktiv, dass er den Drang verspürte, einen Kuss auf die Stelle zu drücken, an der ihr Hals in ihre Schultern überging.
Wie kam er nur auf solche Gedanken?
Sein Blick fiel auf ihre Schultern und wanderte dann zu der schmalen Taille und den langen Beinen hinunter.
„Ach du Schreck!“ PJ blickte über ihre Schulter.
Schnell widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Fenster.
„Hier würden ja nicht mal meine Jeans reinpassen.“
Cole war sich sicher, dass seine Jugendlichen dieses Problem nicht haben würden.
„Woher kommen Sie eigentlich? Ich glaube, das haben Sie gar nicht gesagt.“
„Aus dem Norden. Fort Wayne.“
„Verglichen mit Chapel Springs ist das doch eine richtige Großstadt.“
„Mhm.“
Sie folgte ihm in den nächsten Raum. Dort bewegte sich das Fenster keinen Millimeter.
„Woher wussten Sie eigentlich von der Ausschreibung?“
„Bin im Internet drauf gestoßen.“
„Ich konnte kaum glauben, dass sie das Haus einfach weggibt. Aber wenn man mehr Geld hat als Bill Gates … Brauchen Sie Hilfe?“
„Geht schon.“ Er stemmte sich gegen das Fenster, die Armmuskeln angespannt.
„Haben Sie eigentlich auch Geschwister?“
Die ganze Wahrheit war zu schmerzlich und würde nur zu weiteren Fragen führen. Bei Susi Sonnenschein ganz sicher. „Nein.“
„Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich habe einen Bruder – den haben Sie ja bereits kennengelernt – und zwei Schwestern. Ich hatte noch einen Bruder, Michael, aber er ist mit siebzehn gestorben.“
Sie hatten also doch etwas gemeinsam. Cole warf einen Blick über die Schulter und sah einen Anflug von Traurigkeit auf PJs Gesicht. Beinahe hätte er Noelle erwähnt. Beinahe. Aber dann lächelte PJ wieder und er wandte sich erneut dem Fenster zu.
„Es war für uns alle schwer, aber besonders für Madison. Sie war seine Zwillingsschwester und es hat lange gedauert, bis sie wieder richtig leben konnte. Michael ist für sein Leben gern gesegelt. Als er sechzehn wurde, hat er sich kein Auto gekauft, sondern ein Boot. Sein Traum war es, der jüngste Gewinner unserer jährlichen Regatta zu werden, aber er hatte nicht mehr die Gelegenheit, es zu versuchen. Die Teilnehmer müssen achtzehn sein.“
„Das tut mir leid.“
PJ zuckte mit den Schultern. „Danke. Jedenfalls hat Madison sich vor zwei Jahren in den Kopf gesetzt, das Rennen für ihn zu gewinnen. Am Ende hat sie Segelunterricht bei Beckett genommen – jetzt sind sie verheiratet, aber am Anfang konnten sie einander nicht ausstehen! Egal. Sie und Beckett haben dann die Regatta gewonnen und sich gleichzeitig verliebt. Es war wunderbar. Sie ist Tierärztin. Haben Sie Haustiere?“
Cole fasste den Fensterflügel an der oberen Kante an und versuchte es noch einmal. „Äh, nein.“
„Ich auch nicht. Im Studium hatte ich mal einen Goldfisch, doch er hat nicht überlebt. Aber ich wollte immer einen Hund haben. Auf dem Hof hatten wir zwar Tiere, weil Madison ständig irgendwelche Streuner angeschleppt hat, aber ein richtiges Haustier hatten wir nicht. Mein Bruder hatte eine Katzenallergie und Mom sagte immer, sie hätte schon genug zu tun. Bei fünf Kindern stimmte das wohl. Und dazu noch Daniel.“
„Wer ist Daniel?“ Und warum wollte er das wissen?
„Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“ Sie zwängte sich zwischen Cole und die Wand und packte das Fenster an der Unterkante. Nachdem sie ein paarmal gemeinsam daran gerüttelt hatten, zog Cole sein Taschenmesser heraus und fing an, die festgetrocknete Farbe einzuschneiden.
PJ lehnte sich viel zu dicht neben ihm an die Wand. Der Geruch von Parfüm oder Haar oder was auch immer kitzelte ihn in der Nase.
„Daniel ist mein Schwager und außerdem der Bürgermeister. Aber bevor er das alles wurde, war er so eine Art Bruder ehrenhalber. Eigentlich war er immer da. Er gehörte quasi zur Familie. Seine Eltern leben in Washington DC, weil sein Dad Senator ist, also ist Daniel hier bei seiner Oma aufgewachsen. Und Sie? Haben Sie irgendwelche Verwandten?“
„Eigentlich nicht.“
„Das muss hart sein. Wie in aller Welt haben Sie das Geld für Ihr Projekt zusammenbekommen, wenn Sie keine Beziehungen haben?“
„Hauptsächlich von der Kirche.“
„Oh, wir haben hier eine tolle Kirche. Eigentlich sogar zwei. Vielleicht können Sie dort noch mehr Spenden sammeln, wenn es nötig wird.“
Sie versuchte ihm zu helfen? Was führte sie im Schilde?
Er steckte sein Messer ein und packte den Fensterflügel.
PJ drehte sich um und half. „Wie alt sind Sie eigentlich?“
„Sechsundzwanzig.“
„Ich bin zweiundzwanzig.“
Diesmal ließ sich das Fenster hochschieben. Eine Brise wehte herein und ließ die losen Haarsträhnen um ihr Gesicht tanzen.
„Und wofür steht PJ?“
„Penelope Jane – nach meinen Großmüttern. Aber das sagt niemand, außer wenn ich etwas angestellt habe, und dann auch nur meine Mom.“
„Der Name passt auch nicht zu Ihnen.“
„Ich weiß. Hey.“ Sie sah auf ihre Uhr. „Fünf Minuten sind vergangen und wir haben uns kein einziges Mal gestritten.“
Cole grinste sarkastisch. „Weltrekord.“
„Vielleicht können wir ja mit dem Siezen aufhören, wo es gerade so gut läuft.“
„Hast du keine Angst, dass wir unser Glück damit zu sehr herausfordern?“
„Nö!“ PJ lächelte fröhlich.
Sie hatte wirklich hübsche Lippen. Aber warum sah er ihr eigentlich auf den Mund?
Kapitel 9
PJ fuhr mit der Rolle durch die Malerwanne und brachte die Farbe auf den Putz auf. Die weißen Wände schienen durch die neue dunkelrote Farbe immer noch durch. „Da sind auf jeden Fall zwei Anstriche nötig.“
Ryan klebte das Panoramafenster in dem Raum ab, der in Kürze der Hauptspeisesaal ihres Restaurants sein würde. „Mindestens.“
Diese Woche hatte sie die Pläne zurückbekommen. Um die Küche zu vergrößern, musste nur eine Wand versetzt werden. Das Restaurant würde aus zwei Räumen bestehen, dem früheren Wohnzimmer und dem Esszimmer. Die große Terrasse bot Platz für Tische im Freien. Sie konnte es kaum erwarten, bis alles fertig war.
Die Haustür ging auf und Cole kam mit Tüten vom Baumarkt herein. Er war den Großteil des Abends fort gewesen.
„Wie läuft’s?“, fragte er.
PJ ließ die Rolle sinken. „Hi.“
Coles Blick huschte zwischen PJ und Ryan hin und her, dann wandte er sich der Treppe zu.
„Warte mal“, sagte PJ. „Du erinnerst dich doch noch an meinen Bruder Ryan, oder?“
Cole schaute erneut zu Ryan hinüber und sie konnte förmlich zusehen, wie seine Erinnerung zurückkehrte. Er nahm eine Tüte auf den anderen Arm. „Vage. Danke für die medizinische Hilfe, Kumpel.“
Ryan stand auf und deutete mit dem Kinn auf PJ. „Das ist doch das Mindeste, was ich tun kann, wenn meine Schwester Gehirnerschütterungen austeilt.“
PJ stieß ihm den Ellbogen in den Bauch und erntete ein Grunzen. „Das war Selbstverteidigung.“
Cole lachte kurz auf und ging dann mit seinem Einkauf die Treppe hinauf.
„Brauchst du Hilfe?“, rief Ryan.
„Es geht schon. Danke.“
Cole verschwand und Sekunden später knarrten seine Schritte über ihnen. Ein Radio ging an und Musik mit einem treibenden Beat und heulenden E-Gitarren drang zu ihnen herunter. Manchmal tat er ihr ein bisschen leid. Er musste die ganze Arbeit oben alleine machen, während ihr die ganze Familie half.
„Also, wie sieht es aus?“, fragte Ryan.
„Was meinst du?“
„Er ist ziemlich still. Hast du noch etwas über ihn herausgefunden? Was ist mit dem Bericht, den Daniel besorgen wollte?“
PJ zuckte mit den Schultern, während sie ihre Lammfellrolle in der Farbwanne hin und her bewegte. „Ist nichts bei herausgekommen. Er redet nicht viel über sich selbst, aber er ist in Ordnung. Nicht gefährlich oder so.“
„Das weißt du nicht. Du hast nicht gerade die beste Menschenkenntnis.“
„Trau mir doch mal etwas zu. Ich bin keine zwölf mehr.“
„Sei aber vorsichtig. Vielleicht solltest du nur hier sein, wenn einer von uns dabei ist.“
PJ verdrehte die Augen. „Ich brauche keinen Babysitter. Mit Madison oder Jade würdest du nicht so reden.“
„Ich mache mir nur Sorgen.“
Sie wollte nicht mehr darüber nachdenken. Das bereitete ihr nur Unbehagen.
„Übrigens habe ich gehört, dass du letztes Wochenende eine Verabredung hattest. Mit wem?“
Ryan riss mit den Zähnen einen Streifen Klebeband ab. „Der neuen Sekretärin an der Schule. Du kennst sie nicht.“
Neben seiner Tätigkeit für die Freiwillige Feuerwehr unterrichtete Ryan und trainierte die Footballmannschaft der Highschool von Chapel Springs.
„Wo seid ihr hingegangen? War es nett?“
„Es war okay, würde ich sagen.“
PJ warf ihm einen Blick zu. „Und habt ihr euch noch einmal verabredet?“
„Bis jetzt noch nicht.“
„Es ist Freitagabend und du hilfst deiner Schwester beim Streichen – nicht, dass ich das nicht zu schätzen wüsste. Du solltest sie anrufen. Machst du das?“
„Du bist die neugierigste Schwester der Welt.“
PJ blinzelte unschuldig. „Ich mache mir nur Sorgen.“
Ryan sah sie über die Schulter hinweg an, die Lippen zusammengepresst.
Sie wusste, dass sie nicht mehr erfahren würde. Wahrscheinlich würde er noch ein paarmal mit der Frau ausgehen und dann würde die Sache im Sande verlaufen. Das schien inzwischen der übliche Ablauf zu sein. Sie fragte sich, ob er jemals eine Frau finden würde, die er so sehr liebte wie Abby. PJ hatte sie auch geliebt. Die anderen in der Familie waren nie richtig mit ihr warm geworden, aber die Scheidung hatte ihnen allen das Herz gebrochen.
Am liebsten würde sie Ryan nach ihr fragen, aber es war ein Thema, über das er nicht gerne sprach, selbst nach all der Zeit nicht.
PJ fing mit der nächsten Wand an und glättete dabei einige Farbnasen.
„Die Farbe macht den Raum wirklich dunkel“, sagte Ryan.
„Es wird romantisch. Ich möchte einen Dimmer für den Kronleuchter an der Decke und Kerzen auf den Tischen. Das wird richtig klasse.“
„Was für Tische und Stühle willst du nehmen?“
„Da nehme ich Sachen von Grandmas Dachboden.“ Der Laden ihrer Mutter war eine Fundgrube für gebrauchte Möbel. „Es wird eine bunte Mischung. Das entspricht zwar nicht ganz meiner Idealvorstellung, aber für den Anfang reicht es.“
„Hast du dir schon überlegt, was auf die Speisekarte kommt?“
„Inzwischen habe ich fast alle Gerichte beisammen. Zu meinem letzten Studienprojekt gehörte es, eine Speisekarte für ein Restaurant zusammenzustellen. Die meisten Hauptgerichte und einige Desserts hatte ich also schon – dabei fällt mir ein, im Kühlschrank steht Käsekuchen. Nimm ihn dir nachher mit. Ich brauche deine Meinung.“
„Dabei helfe ich doch gerne. Wenn du jemanden brauchst, der die Vorspeisen testet, kannst du mir ruhig jederzeit ein Abendessen vorbeibringen.“
„Genug vom Junggesellendasein?“
„Tiefkühlkost verliert ziemlich schnell ihren Reiz.“
„Ich könnte dir das Kochen beibringen. Meine Idee ist, an Abenden, an denen nicht viel los ist, Kochkurse anzubieten, um dem Restaurant eine weitere Einkommensquelle zu beschaffen.“
„Super Idee! Gerade im Winter wird das helfen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du da jeden Abend Gäste haben wirst.“
Ryan hatte recht. Sie würde ihr Geld im Frühling, Sommer und Herbst verdienen müssen, wenn die Touristen in der Stadt waren. Im Winter würde nicht viel los sein. Doch sie würde das Restaurant frühestens im Spätsommer eröffnen können. Wie sollte sie also in diesem Jahr einen Gewinn einfahren?
Denn das musste sie, wenn sie Mrs Simmons dazu bringen wollte, ihr das Haus zu überlassen. Entweder das, oder Cole müsste total versagen.
Ihr Vater hatte diese Woche ihren Kredit mit unterschrieben. So viel Geld. Die Profiküche war der größte Batzen. Außerdem würde sie Tafelsilber und Porzellan brauchen. Für Kochtöpfe und Pfannen hatte sie auch eine Menge ausgegeben – wundervolle Kupfertöpfe von Bourgeat. Sie konnte es kaum erwarten, bis die Sachen geliefert wurden.
Aber was, wenn es nicht funktionierte? Wenn sie das Haus verlor? Was, wenn sie in einem Jahr immer noch in Fionas Süßigkeitengeschäft arbeitete und Tausende Dollar Schulden hatte?
Bei dem Gedanken stockte PJ der Atem. Sie konzentrierte sich darauf einzuatmen und ihre Lunge zu weiten. Auszuatmen. Ihr Herz raste und ihr Atem ging schneller. Sie legte die Farbrolle ab und ging über den Boden, der mit einer Plane abgedeckt war.
Was war nur mit ihr los? Sie fühlte sich merkwürdig, ganz schrecklich. Es war fast so, als würde jemand anders aus ihren Augen blicken. Angst stieg in ihr auf, eine undefinierbare und ungreifbare Angst, aber sie war stark und drang selbst in die entlegensten Ecken.
Alles würde gut werden. Sie würde nicht versagen. Auf keinen Fall.
Aber im Moment hatte sie das Gefühl, als würde sie nicht einmal diesen Augenblick überleben. Reiß dich zusammen, PJ!
„Was ist los?“
PJ schüttelte den Kopf, während sie weiterhin versuchte, ihre Atmung in den Griff zu bekommen. „Ich habe Herzrasen.“ Sie begann auf und ab zu gehen. Irgendwie beruhigte sie das.
Ryan befestigte einen Streifen Klebeband am letzten Stück Fußleiste. „Das hat bestimmt nichts zu bedeuten.“ Er richtete sich auf und sah auf seine Uhr.
Es hatte nichts zu bedeuten. Dir geht es gut, PJ. Hör auf, dich verrückt zu machen. Du steigerst dich nur in etwas hinein.
„Ich habe leider noch eine Besprechung in der Wache.“
PJ nickte. Dann atmete sie aus und wünschte sich währenddessen, er würde so schnell wie möglich gehen, damit sie ungestört in Panik ausbrechen konnte.
„Sicher, dass alles in Ordnung ist?“, fragte Ryan, während er die Tür öffnete.
Sie nickte und versuchte zu lächeln. Mehr schaffte sie nicht. Und dann war er fort.
Während sie weiter auf und ab ging, konzentrierte PJ sich auf ihre Atmung, die irgendwie nicht mit ihrem Herzschlag Schritt halten konnte. Bitte, Gott! Hilf mir!
Minuten verstrichen, aber sie kamen ihr vor wie Stunden. Sie blieb am Fenster stehen, das auf den Garten hinausging. Beruhigende Bäume. Ein friedvoller Garten. Der Schatten strahlte Ruhe aus. Und sie holte immer wieder Luft und atmete durch den Mund aus.
Was war nur mit ihr los? Das war doch nicht normal. Oder?
„PJ?“
Sie schloss die Augen, weil sie es nicht wagte, über die Schulter zurückzuschauen. Warum konnten die anderen sie nicht mal für zwei Sekunden in Ruhe lassen?
Irgendwie gelang es ihr, gleichmäßiger zu atmen. „Ja?“
„Du hast nicht zufällig ein …“
Ein. Aus. Komm schon, PJ. Entspann dich.
„Ist alles in Ordnung?“
Geh weg. Geh einfach. Sie nickte.
Hinter sich hörte sie gedämpfte Schritte.
„Ob ich was habe?“, brachte sie mit Mühe heraus.
Sie spürte, wie Cole näher kam, und nahm seinen moschusartigen Duft wahr, der ihr jetzt schon vertraut war. Die zitternden Hände in die Hosentaschen geschoben, konzentrierte sie sich auf die aus einem alten Reifen gebastelte Schaukel, die am dicksten Ast einer riesigen Eiche hing.
„Irgendwas stimmt nicht mit dir.“ Jetzt stand er neben ihr. „Was ist los?“
PJ schüttelte den Kopf. Während sie erneut langsam ausatmete, starrte sie unverwandt auf die Schaukel, die sich im Wind sanft hin und her bewegte.
Cole umfasste ihr Handgelenk, zog ihre Hand aus der Tasche und legte zwei Finger an ihren Puls.
Ihr Herz machte einen merkwürdigen Satz. Plötzlich sah sie die Schaukel nicht mehr, weil ihre ganze Aufmerksamkeit auf diese beiden Finger gerichtet war.
„Mir geht es gut … ich … ich habe mich nur in etwas reingesteigert. Das tue ich manchmal. Dann denke ich, etwas stimmt nicht, obwohl alles in Ordnung ist.“
Sein Blick ruhte auf ihr, grüne Augen, die alles sahen. Durchdringend.
Sie wandte den Blick ab. Sie wollte nicht, dass er sie so sah, so verletzlich.
Endlich ließ Cole ihre Hand los. „Der Puls ist ziemlich hoch. Hundertzwanzig Schläge pro Minute.“
„Mir geht es schon wieder besser.“ Das stimmte. Die Tatsache, dass sie über seine Augen und seine Berührung nachdachte, war ein eindeutiger Beweis dafür. Sie rieb sich das Handgelenk, während sie ihre Atmung weiter verlangsamte.
Immer noch spürte sie seinen Blick auf sich ruhen. Sie schob das Fenster auf. Eine sanfte Frühsommerbrise strich über ihr Gesicht. „Du wolltest … was war es noch mal?“
„Eine Wasserpumpenzange. Hast du so was zufällig?“
Sie atmete aus. Es ging ihr eindeutig wieder besser. „Ich weiß nicht mal, was das ist.“
„Ach so. Na, egal.“ Er wandte sich wieder der Treppe zu. „Ist wirklich alles in Ordnung?“
„Klar.“ Ihr Herz schlug allmählich wieder in einem normalen Rhythmus, sie konnte einigermaßen klar denken und die intensive Angst hatte nachgelassen. „Hey“, rief sie Cole nach.
Er drehte sich am Fuß der Treppe um, eine Hand auf das Mahagonigeländer gelegt.
Eigentlich hatte sie ihm für seine Fürsorge danken wollen, aber die Worte blieben ihr im Halse stecken. „Wir könnten uns das Werkzeug teilen. Ich meine, um Geld zu sparen. Du kannst gerne mein Malerzeug haben, wenn ich fertig bin.“
Cole sah sie lange und prüfend an. „Ist gut“, sagte er schließlich.
Nachdem er die Treppe hinauf entschwunden war, fragte PJ sich, ob es nicht besser gewesen wäre, einfach Danke zu sagen.
Kapitel 10
Sein Herz raste, während er durch das Autowrack kroch. In seinem Kopf schrie es, aber er brachte keinen Laut heraus. Der Geruch von Dämpfen und verbranntem Gummi raubte ihm den Atem. Mom! Noelle! Dad!, schrie er in Gedanken.
Es war zu dunkel. Seine Hände tasteten nach Leben. Dann fand er den Kindersitz. Einen Arm. „Noelle!“ Endlich funktionierte seine Stimme wieder. Er schüttelte sie. Aber sie rührte sich nicht. Antwortete nicht.
Er ließ seine Hand zu ihrem Handgelenk wandern. Zwei Finger, so hatten sie es ihm in der Schule beigebracht. Nicht den Daumen. Er spürte nichts. Komm schon, komm schon.
Ihre kleine Hand war noch warm, aber die dicken Fingerchen lagen reglos da. Er tastete mit den Fingern umher und suchte. Aber er fand nichts. Keinen Puls. Keinen Herzschlag. Kein Leben.
„Noelle!“
* * *
Cole fuhr aus dem Schlaf hoch. Es war dunkel im Zimmer. Der Boden unter ihm fühlte sich hart an. Sein keuchender Atem durchbrach die Stille.
Er schloss die Augen wieder und wünschte sich einerseits, schlafen und vergessen zu können, wusste aber andererseits, dass es heute zu gefährlich war. Es war Jahre her, dass er diesen Traum zuletzt gehabt hatte. Er schlug die Decke zurück. Es würde eine lange Nacht werden.
Der Traum ging ihm noch nach und die Einzelheiten verfolgten ihn. Einzelheiten, die in dem Albtraum gerade gefehlt hatten – alles, was zu dem Unfall geführt hatte.
In seinem Magen setzte der vertraute Schmerz ein und ballte sich zu einem harten Knoten zusammen. Doch es war ein willkommener Schmerz.
* * *
Die Türglocke läutete und PJ blickte auf. Jade betrat Fionas Geschäft. „Du bist früh dran. Ich dachte, wir treffen uns beim Haus.“
„Daniel fährt mit den Mädchen zu seiner Oma und hat mich auf dem Weg hier abgesetzt.“
PJ war froh, dass der Strom von Samstagseinkäufern inzwischen verebbt war. „Warte einen Moment, ich komme gleich wieder.“ Fiona war in der Küche dabei, das Fudge auf der Marmorplatte abkühlen zu lassen. PJ war sich sicher, dass ihre Chefin nichts dagegen haben würde, wenn sie etwas früher ging.
Wenige Minuten später war sie mit ihrer Schwester unterwegs zum Haus.
„Ich bin gespannt, was du davon hältst“, sagte PJ, als sie vor dem historischen Gebäude hielt. „Gestern habe ich den ersten Anstrich in den Speisesälen gemacht.“
„Wow! Ich hatte vergessen, wie riesig es ist“, sagte Jade, als sie auf die Veranda zugingen.
„Wäre es nicht eine tolle Frühstückspension?“ PJ musste ihren Traum im Blick behalten. „Ich kann es gar nicht erwarten, bis ich das alles für mich habe.“
„Du musst aber erst gewinnen.“
Sie betraten das Haus durch die Fliegengittertür. Von oben drangen Hammerschläge herunter.
„Dein Freund arbeitet heute?“
„Er ist nicht mein Freund. Er ist mein Konkurrent.“ PJ dachte daran, wie nett Cole gestern gewesen war, als sie in Panik geraten war, und hatte einen Augenblick lang ein schlechtes Gewissen.
„Dass ich nicht lache! Du bist doch mit allen befreundet.“
PJ betätigte den Schalter für den Kronleuchter, aber nichts geschah. „Er muss die Sicherung rausgemacht haben. Na ja, dann machen wir die Besichtigung halt im Halbdunkeln.“
Sie zeigte Jade das Erdgeschoss und erklärte ihre Pläne.
„Diese Wand hier kommt raus. Da drüben kommen die professionellen Öfen hin. Ich bin an der Kücheneinrichtung eines Restaurants in Columbus dran, das dicht macht – drück mir mal die Daumen. Der Holzfußboden muss auch weg. Stattdessen gibt es Fliesen. Die verlegt Dad für mich.“
„Hmmm.“
Genau über ihnen war das Hämmern jetzt geradezu ohrenbetäubend.
„Was macht er denn da oben?“, wollte Jade wissen.
„Wer weiß.“ PJ führte ihre Schwester den kurzen Flur entlang. „Und dies wird mein Zimmer, wenn alles fertig ist.“
„Ein bisschen klein.“
„Das stimmt schon, aber ich werde mich ja nicht viel hier aufhalten. Und wenn ich den Wettbewerb erst einmal gewonnen habe, kann ich wohnen, wo ich will.“
„Oben bei den Gästen?“
„Oder unter dem Dach. Der Dachboden ist riesig und der Giebel geht zum Garten hin. Das wäre ein tolles Zimmer.“
„Klingt gut.“
Das Hämmern hörte auf.
„Willst du das Obergeschoss sehen?“
„Vielleicht sollten wir ihn nicht stören.“
„Willst du ihn denn nicht kennenlernen? Es dauert nicht lange.“
Als sie das Foyer betraten, knarrte der Boden am oberen Ende der Treppe. „PJ … hast du meinen neuen Hammer gesehen? Den mit dem langen Griff?“ Cole klang verärgert.
Sie hatte ihn am vergangenen Abend benutzt, um den Deckel der Farbdose richtig zu schließen. „Oh, tut mir leid.“ PJ rannte ins Esszimmer und holte den Hammer, dann lief sie die Treppe hinauf und bedeutete Jade, ihr zu folgen.
Auf dem Treppenabsatz streckte Cole mit gerunzelter Stirn die Hand nach dem Hammer aus.
„Tut mir leid“, sagte sie noch einmal.
Als sie oben angekommen waren, trat er zur Seite. Das Licht, das durch das Fenster eines Schlafzimmers fiel, erleuchtete die eine Seite seines Gesichts. Seine dunklen Haare waren voller Staub, seine Stirn glänzte vor Schweiß und um seinen Hals hing ein Mundschutz. Er sah müde aus.
„Jade, das ist Cole, mein … also … der Typ, von dem ich euch erzählt habe. Cole, das ist meine Schwester Jade.“
Sie gaben einander die Hand.
„Freut mich.“
„Ganz meinerseits.“
„Jade ist diejenige, die mit dem Bürgermeister verheiratet ist. Daniel, weißt du noch? Mein Bruder ehrenhalber, der mein Schwager geworden ist? Jade gibt Gitarrenunterricht und hat zwei total süße Töchter namens Ava und Mia. Sie sind Zwillinge.“ PJ wusste nicht, warum sie das hinzugefügt hatte. Oder warum sie überhaupt noch redete. „Cole kommt aus Fort Wayne. Er eröffnet ein Übergangswohnheim für ehemalige Pflegekinder.“ Halt die Klappe, PJ.
„Ach so“, sagte Jade.
„Also …“ PJ schob die Hände in ihre Hosentasche. „Wie lange bleibt der Strom noch aus? Ich muss noch einen Anstrich machen und es ist ziemlich dunkel in den Räumen.“
„Ich habe dir doch gesagt, dass ich heute die Mauer einreiße.“
„Ich weiß, aber … mir war nicht klar …“